Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 02.02.2021 – RO 4 K 20.163
Titel:

Erkennungsdienstliche Behandlung trotz zwischenzeitlicher Einstellung des Ermittlungsverfahrens

Normenketten:
StPO § 81b Alt. 2, § 153
StGB § 223
Leitsätze:
1. Für die Anwendung des § 81b Alt. 2 StPO und die Beschuldigteneigenschaft kommt es allein darauf an, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids formell betrachtet Beschuldigter eines Strafverfahrens war. Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung lässt daher die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahme unberührt (ebenso BayVGH BeckRS 2013, 58893). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Körperverletzungsdelikten handelt es sich nicht um eine Form von "Bagatellkriminalität". Der Vorwurf einer Körperverletzung rechtfertigt daher Maßnahmen nach § 81b Alt. 2 StPO. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Durch die Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO entfällt nicht der Restverdacht einer Straftat. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erkennungsdienstliche Behandlung, Einstellung des Verfahrens, Anlasstat, Restverdacht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.03.2022 – 10 ZB 21.779
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49472

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Gegenstand des Rechtsstreits ist eine polizeiliche Anordnung.
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Mit Bescheid vom 02.01.2020 ordnete die Polizeiinspektion R. … die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers gemäß § 81b 2 Alt. Strafprozessordnung (StPO) an, die sich auf die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrucken, die Aufnahme von Lichtbildern, die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale und eine Messung und Personenbeschreibung erstreckte (Nr. 1). Der Kläger wurde hierzu für einen Termin zwischen dem 18.01.2020, 13:00 Uhr und dem 19.01.2020, 08:00 Uhr zur Dienststelle PI Regensburg … vorgeladen (Nr. 2).
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Zur Begründung führt der Bescheid aus, dass gegen den Kläger wegen eines Körperverletzungsdelikts ermittelt werde. Am 30.09.2019 sei gegen 13:00 Uhr ein Geschädigter bei der PI R.… erschienen und habe Anzeige gegen einen bis dahin unbekannten Täter erstattet. Am Hals des Anzeigenerstatters seien eine Rötung bzw. oberflächliche Kratzer zu erkennen gewesen. In einem im Nachgang vorgelegten ärztlichen Attest seien Kratzspuren bis ca. 3 cm Länge über dem Kehlkopf und links zervikal zum Teil mit Umgebungshämatomen festgestellt worden. Außerdem habe der Anzeigenerstatter über Schmerzen beim Schlucken und Druckschmerz über dem Kehlkopf geklagt. Der Geschädigte habe angegeben, als Haustechniker für das Objekt L. straße 2 zuständig zu sein und am 30.09.2019 gegen 09:30 Uhr einen Firmenbus mit der Aufschrift „…“ festgestellt zu haben, der direkt vor dem Haupteingang der dortigen …filiale geparkt habe. Nachdem er den Fahrer auf dessen vermeintliches Fehlverhalten angesprochen habe, sei es zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf er von seinem als provokant und aggressiv beschriebenen Gegenüber in den Schwitzkasten genommen und zu Boden geworfen worden sei. Eine Mitarbeiterin des Geschäfts habe die Situation beobachten und bestätigen können. Nach Vorlage eines Lichtbilds des Klägers nebst Firmenfahrzeug habe der sachbearbeitende Beamte die Telefonnummer recherchieren können. Der Kläger habe auf den Anruf hin mitgeteilt, dass er es gewesen sei, mit dem der Anzeigenerstatter in Streit geraten sei. Er habe zunächst angegeben, sich zur Sache äußern zu wollen. Daraufhin sei ein Ermittlungsersuchen zur Wohnortdienststelle, der PI K. versandt worden, welches am 25.10.2019 mit dem Hinweis zurückgeschickt worden sei, der Kläger habe seine Ansicht geändert und verweigere nun jegliche Äußerung zum Sachverhalt und die erkennungsdienstliche Behandlung, nachdem er über diese belehrt worden sei.
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In der Vergangenheit sei gegen den Kläger bereits mehrfach und in regelmäßigen Abständen wegen Körperverletzungsdelikten, Diebstahl und Sachbeschädigung ermittelt worden. Seit 1990 sei der Kläger insgesamt 28-mal polizeilich in Erscheinung getreten. Gegenwärtig werde gegen ihn wegen des o. g. Körperverletzungsdelikts vom 30.09.2019 ermittelt. Zuletzt sei gegen ihn wegen leichter Körperverletzung vom 20.03.2016 und vom 12.04.2016 sowie wegen Diebstahl vom 12.04.2016 und vom 29.06.2016 und wegen Sachbeschädigung vom 12.04.2016 und vom 13.04.2016 ermittelt worden. Die zahlreichen Delikte, die der Kläger in der Vergangenheit begangen habe, und die wiederholten Delikte im Bereich der Körperverletzung ließen vermuten, dass er auch künftig wieder in Erscheinung treten werde. Die Vorladung und die Vornahme der erkennungsdienstlichen Behandlung seien verhältnismäßig. Die erkennungsdienstlichen Unterlagen seien geeignet, den Kläger aufgrund des erhöhten Entdeckungsrisikos von neuen Taten abzuhalten bzw. bei neuen Taten als Täter zu überführen bzw. auch zu entlasten, falls er zu Unrecht in den Kreis möglicher Verdächtiger einer Straftat geraten sollte. Die erkennungsdienstliche Behandlung sei auch erforderlich, da anzunehmen sei, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen künftig zu führende Ermittlungen entlastend oder überführend fördern könnten. Der aufgrund der fehlenden Außenwirkung nicht als „schwerwiegend“ zu erachtende Grundrechtseingriff sei dem Kläger zuzumuten, da die Wiederholungsgefahr bei ihm angesichts der oben dargestellten Sachlage als hoch einzuschätzen sei.
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 04.02.2020 Klage beim Verwaltungsgericht erhoben.
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Auf den Einspruch des Klägers gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 05.12.2019 stellte das Amtsgericht Regensburg das Strafverfahren gegen den Kläger wegen Körperverletzung am 20.05.2020 gemäß § 153 Abs. 2 StPO ein. In den Gründen wurde ausgeführt, dass die Schuld des Klägers gering erschiene und ein öffentliches Interesse an der Verfolgung nicht bestehe.
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Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger aus, der Bescheid sei formell rechtswidrig, weil er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden sei. Für die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 81b 2 Alt. StPO sei ausschließlich die Kriminalpolizei zuständig. Der gegenständliche Bescheid sei aber von der PI R. … erlassen worden. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig, weil die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nicht verhältnismäßig sei. Bagatelldelikte, insbesondere Antragsdelikte oder Privatklagedelikte böten regelmäßig keine hinreichende Grundlage zur Anordnung von Maßnahmen nach § 81b Alt. 2 StPO. Körperverletzung gemäß § 223 StGB sei sowohl ein Antrags- als auch ein Privatklagedelikt. Es fehle auch an der Wiederholungsgefahr. Der Kläger habe lediglich einen Eintrag im Bundeszentralregister. Dabei handle es sich um ein Urteil des Amtsgerichts K. vom 03.02.2016 wegen Sachbeschädigung. Es sei daher verfehlt, wenn gesagt werde, der Kläger habe in der Vergangenheit zahlreiche Delikte begangen. Zudem könne wegen einer einmaligen, vier Jahre zurückliegenden Verurteilung keine konkrete Wiederholungsgefahr abgeleitet werden, zumal es sich bei Körperverletzung und Sachbeschädigung um Delikte mit völlig unterschiedlichen Schutzrichtungen handle. Je länger die früheren Taten zurücklägen, desto mehr verlören sie an Indizwirkung. Die abgeurteilte Tat stamme sogar vom 18.04.2015. Alle sonstigen im Bescheid aufgeführten Ermittlungen stammten aus dem Jahr 2016, so dass deutlich werde, dass der Kläger seit 2016 weder eine strafrechtliche Sanktion erhalten noch polizeilich in Erscheinung getreten sei. Voraussetzung von § 81b Alt. 2 StPO sei auch, dass die erkennungsdienstliche Behandlung notwendig sein müsse. Eine Wiederholungsgefahr könne regelmäßig für Sexualdelikte prognostiziert werden, beim Verdacht einer bloßen einfachen Körperverletzung oder einer Sachbeschädigung sei dies jedoch nicht der Fall. Auffällig sei auch, dass die erkennungsdienstlichen Maßnahmen spätestens am 19.01.2020 durchgeführt werden sollten, was augenscheinlich nicht berücksichtige, dass sich dieser Termin noch mitten in der Klagefrist befinde.
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Der Kläger verweist weiter darauf, dass sich der Sachverhalt als unzutreffend erwiesen habe. Die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger habe zum endgültigen und eindeutigen Wegfall der Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Maßnahmen geführt. Diese Notwendigkeit müsse, anders als die Beschuldigtenstellung, auch noch zum Zeitpunkt der Vornahme der Maßnahmen bzw. zum Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz im Rahmen der gerichtlichen Prüfung bestehen. Für die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Maßnahme bedürfe es vier Voraussetzungen: Einer Anlasstat des Betroffenen, einer Wiederholungsgefahr bezüglich entsprechender Taten, der Wahrscheinlichkeit, dass gerade die Ergebnisse einer erkennungsdienstlichen Behandlung zur künftigen Überführung des Betroffenen führen werden und schließlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Dabei müssten sich Wiederholungsgefahr und Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gerade aufgrund der Anlasstat ergeben. Die Anlasstat sei dem Kläger lediglich kurzzeitig vorgeworfen und das Strafverfahren mittlerweile eingestellt worden. Nach der Rechtsprechung müsse daher ein über die Beendigung des Strafverfahrens fortbestehender „Restverdacht“ fortbestehen. Eine solche Feststellung erfolge bei der Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO nicht. In dem kurzzeitig geführten Ermittlungsverfahren hätten sich zwei verschiedene Angaben des vermeintlich Geschädigten und des Klägers gegenübergestanden. Es gebe keinen positiv festgestellten Sachverhalt, an den ein Restverdacht bezüglich der Begehung der Körperverletzung anknüpfen könne. Selbst wenn man von einem Restverdacht ausginge, begründe der festgestellte Sachverhalt keine Wiederholungsgefahr. Bedenklich erscheine es auch, dass der Beklagte die in der Vergangenheit gegen den Kläger geführten und eingestellten Ermittlungsverfahren als solche begreife, in denen es lediglich nicht gelungen sei, den Kläger als Täter festzustellen. Schließlich begründe der Sachverhalt nicht die Annahme, die Ergebnisse der erkennungsdienstlichen Behandlung führten im Falle künftiger Ermittlungen zur Überführung des Täters. Tatsächlich gebe es wohl kaum einen Sachverhalt, in dem der Betroffene in so plakativer Weise seine Identität zur Schau gestellt habe. Der Vorfall habe sich direkt vor dem Firmenfahrzeug des Betroffenen ereignet, dass eine schon von weitem sichtbare große Aufschrift seines Nachnamens direkt an der Front trage. Zudem habe sich der Vorfall vor einem Laden ereignet, den der Betroffene frequentiere und im Beisein von Zeugen. Im Telefonat habe der Betroffene zudem ohne Umschweife angegeben, die gesuchte Person zu sein. Die Unverhältnismäßigkeit ergebe sich schließlich daraus, dass selbst, wenn von einem Restverdacht ausgegangen werde, dieser sich nur auf ein Bagatelldelikt beziehen könne.
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Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Polizeiinspektion R. … vom 02.01.2020 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Er führt aus, dass bei der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen materielles Polizeirecht zur Anwendung komme, so dass sich die Zuständigkeit für die Anordnung nach Landesrecht beurteile. In Anwendung von Art. 3 Abs. 1 POG seien Polizeivollzugsbeamte im gesamten bayerischen Staatsgebiet zuständig, so dass die erkennungsdienstliche Behandlung von jedem Polizeibeamten angeordnet werden könne. Die Entscheidung, auf die sich der Klägervertreter beziehe, betreffe § 81b 1. Alt. StPO.
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Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig. Bei der Art und Weise der dem Kläger zur Last gelegten Begehung handle es sich nicht um eine Bagatelle, da der Hals des Geschädigten mehrere Kratzspuren bis 3 cm Länge über dem Kehlkopf und links zervikal zum Teil Umgehungshämatome aufgewiesen habe. Die vom Klägervertreter zitierte Entscheidung betreffe demgegenüber Beförderungserschleichung, was sich im Unrechtsgehalt deutlich von einer Körperverletzung mit oben beschriebenen Ausmaß unterscheide. Zusätzlicher Abwägungsaspekt sei die strafrechtliche Vorgeschichte des Klägers gewesen. Zuletzt sei gegen den Kläger wegen Körperverletzung vom 20.03.2016 und vom 12.04.2016 sowie wegen gefährlicher Körperverletzung vom 01.11.2017 ermittelt worden. Dieser Verlauf zeige, dass dem Kläger Verstöße gegen das Gesetz insbesondere in Bezug auf Körperverletzung nicht fremd seien. Dass die Vorfälle zum Teil vier Jahre zurücklägen, entkräfte die Negativprognose nicht. Es dränge sich die Annahme auf, dass der Kläger über ein erhöhtes Aggressionspotential verfüge und deshalb zur Begehung von (Gewalt-)Straftaten neige. Überdies würde sich auch schon aus einer einmaligen Körperverletzung eine hinreichende Wiederholungsgefahr herleiten lassen. Dass der Kläger die Körperverletzung begangen habe, ergebe sich schon daraus, dass er aufgrund der Vorlage einer Lichtbildaufnahme einwandfrei habe identifiziert werden können. Entgegen dem Vorbringen des Klägervertreters bestehe bei Körperverletzungsdelikten eine mit Sexualstraftaten vergleichbare Lage. Auch für die Identifikation der Täter solcher Deliktsgruppen sei es von entscheidender Bedeutung, insbesondere auf Fingerabdrücke und Lichtbilder zurückgreifen zu können. Gegebenenfalls könne mit dem Bildmaterial auch nach dem Kläger gefahndet werden. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung gehe es um die Gewährleistung einer effektiven Gefahrenabwehr, für die eine zeitnahe Ermittlung des Täters essentiell sei. Gerade das laufende Ermittlungsverfahren sei zunächst gegen einen unbekannten Täter geführt worden und eine Identifizierung des Klägers sei erst in Folge der Vorlage von Lichtbildaufnahmen gelungen. Der Bescheid sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Maßnahmen noch in der Klagefrist durchgeführt werden sollten. Die Beachtung der Klagefrist sei für die Anordnungsbehörde keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung. Sie spiele erst mittelbar im Zuge der Vollstreckung eine Rolle.
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Der Beklagte hat am 24.8.2020, der Kläger am 11.9.2020 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Klage, über die das Gericht wegen des Verzichts der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)), bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 2.1.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig.
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Entgegen der Auffassung der Klägerseite fehlt es nicht an der formellen Rechtmäßigkeit, weil eine unzuständige Behörde gehandelt hätte. Die Strafprozessordnung (StPO) enthält keine Regelung über die Zuständigkeit für Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge nach § 81 b 2. Alt. StPO, so dass sich die Zuständigkeit nach Landesrecht beurteilt (BVerwG, U.v. 23.11.2005 - 6 C 2/05, juris, Rn. 19). Somit gilt für die Zuständigkeit Art. 3 Abs. 1 Polizeiorganisationsgesetz (POG), wonach jeder im Vollzugsdienst tätige Beamte zur Wahrnehmung von Aufgaben im gesamten Staatsgebiet befugt ist.
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Der Kläger wurde auch vor dem Erlass des Bescheides den gesetzlichen Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) entsprechend angehört. Den Akten ist zu entnehmen, dass der Kläger zumindest mündlich über die beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung informiert wurde und diese ausdrücklich verweigert hat. Damit bestand für den Kläger ausreichend Gelegenheit, sich vor Erlass der Anordnung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Dass die Anhörung mündlich erfolgte, ist unschädlich, weil für die Anhörung der Grundsatz der Formfreiheit gilt (Ramsauer in Kopp, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 28 Rn. 39).
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2. Der Bescheid vom 6.2.2020 ist auch materiell rechtmäßig.
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a) Rechtsgrundlage für die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers ist § 81b Alt. 2 StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Diese Vorschrift ermächtigt zu präventiv-polizeilichen Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge und dient - ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren - der vorsorgenden Bereitstellung von Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten (vgl. z.B. BVerwG, U. v. 23.11.2005 - 6 C 2/05 -, juris Rn. 18; BayVGH, B, v. 23.11.2009 - 10 CS 09.1854 -, juris Rn. 9).
21
b) Der Kläger war zum Zeitpunkt der Anordnung seiner erkennungsdienstlichen Behandlung unstreitig Beschuldigter in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das gegen ihn wegen Körperverletzung geführt wurde. Dass das Ermittlungsverfahren gegen ihn durch Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 20.5.2020 eingestellt wurde, ändert weder an der einschlägigen Rechtsgrundlage noch an der in § 81b 2. Alt. StPO genannten Beschuldigteneigenschaft etwas. Für die Anwendung des § 81b 2. Alt. StPO und die Beschuldigteneigenschaft kommt es allein darauf an, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides formell betrachtet Beschuldigter eines Strafverfahrens war. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt lediglich, dass deren Anordnung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und sich jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss (BVerwG, U. v. 23.11.2005 - 6 C 2/05, juris, Rn. 20). Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung lässt daher die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen unberührt (vgl. BayVGH, U. v. 12.11.2013 - 10 B 12.2078, juris, Rn. 19 m.w.N.).
22
c) Der Beklagte ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers notwendig ist. Da diese noch nicht vollzogen wurde, kommt es für die Beurteilung der Notwendigkeit der Maßnahme auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Gerichts an (vgl. BayVGH, U. v. 12.11.2013 - 10 B 12.2078, juris, Rn. 20 m.w.N.).
23
Die Notwendigkeit i.S.d § 81b Alt. 2 StPO bestimmt sich danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellt wurde, nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen Straftat einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen, den Betroffenen letztlich überführend oder entlastend, fördern könnten (vgl. BVerwG, U. v. 23.11.2005 - 6 C 2/05, juris, Rn. 22). Für die Prognose zur Wiederholungsgefahr sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit und der Zeitraum, währenddessen er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, als Anhaltspunkte heranzuziehen (vgl. BayVGH, U. v. 12.11.2013 - 10 B 12.2078, juris, Rn. 25).
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Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Einschätzung des Beklagten, dass nach sachgerechter und vertretbarer kriminalistischer Erfahrung tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, der Kläger könne als Tatverdächtiger eines Körperverletzungsdelikts auch künftig in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einer aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden, als zutreffend. Die dem Kläger vorgeworfene Körperverletzung eignet sich als Anlasstat (dazu aa)), es ist auch von einer Gefahr auszugehen, dass der Kläger erneut tatverdächtig werden könnte (dazu bb)) und es fehlt auch nicht an der Verhältnismäßigkeit (dazu cc)).
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aa) Zu Unrecht meint der Kläger, die Ereignisse vom 30.09.2019 stellten keine geeignete Anlasstat dar. Denn weder handelt es sich bei den dem Kläger vorgeworfenen Delikt um ein Bagatelldelikt (dazu (1)) noch ist der Restverdacht durch die Einstellungsverfügung des Amtsgerichts Regensburg am 20.05.2020 entfallen (dazu (2)).
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(1) Körperverletzungsdelikte schützen die körperliche Unversehrtheit (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 223, Rn. 1) und damit ein hochrangiges, verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschütztes Rechtsgut. Sie lassen sich, auch wenn die Polizeiliche Kriminalstatistik die einfache Körperverletzung nicht explizit als Gewaltdelikt ausweist, letztlich der Gewaltkriminalität zuordnen, so dass die Überlegung, es handle sich um „Bagatellkriminalität“ schon im Ansatz verfehlt ist.
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(2) Durch die Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO ist auch nicht der Restverdacht eines Körperverletzungsdelikts gegen den Kläger entfallen. Dabei geht der Einwand des Klägervertreters, es gebe bei einer Einstellung nach § 153 StPO keinen positiv festgestellten Sachverhalt schon deshalb ins Leere, weil es darauf gar nicht ankommt. Zwar setzt die Anwendung von § 153 StPO keine Schuldfeststellung voraus, anderseits bleibt es aber eben ausdrücklich gerade offen, ob sich der Betroffene wirklich schuldig gemacht hat (vgl. Diemer in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 153, Rn. 5).
28
Vorliegend stehen sich unterschiedliche Versionen des Klägers und des Anzeigeerstatters über den Tathergang gegenüber. Letztlich hat das Amtsgericht bei seiner Entscheidung nach § 153 Abs. 2 StPO offen gelassen, ob es der vom Kläger oder der vom Anzeigeerstatter geschilderten Version folgt. Bei dieser Sachlage bleibt ein Restverdacht gegen den Kläger bestehen.
29
bb) Der Beklagte ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Gefahr besteht, der Kläger könne erneut in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einer Straftat einbezogen werden. Der Kläger trat nach den insoweit unwidersprochen gebliebenen Angaben des Beklagten seit 1990 insgesamt 28mal polizeilich in Erscheinung. Der gegen ihn vorliegend fortbestehende Restverdacht reiht sich somit in eine lange Kette weiterer Fälle ein, in welchen der Kläger in den vergangenen Jahren im Verdacht stand, Straftaten begangen zu haben. Entgegen der Auffassung des Prozessvertreters des Klägers liegen die schwerwiegenden Delikte auch nicht zehn Jahre und länger zurück. Vielmehr hat der Beklagte unwidersprochen dargelegt, dass zuletzt am 20.3.2016 und am 12.4.2016 wegen Körperverletzung und am 1.11.2017 wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den Kläger ermittelt wurde.
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Unzutreffend ist auch der Einwand, der Beklagte gehe davon aus, es sei in diesen Fällen lediglich nicht gelungen, den Tatnachweis gegen den Kläger zu führen. Vielmehr liegt der Grundkonzeption der präventiven Norm des § 81b 2. Alt. StPO zugrunde, dass aus der Tatsache, dass jemand mehrfach ins Blickfeld der Strafverfolgungsorgane geraten ist, der Schluss gezogen werden kann, dass sich dieses Risiko - ganz unabhängig von der Frage, ob der Betreffende tatsächlich das entsprechende Delikt begangen hat - erneut verwirklichen kann. Dies entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung. Daher belegen die gegen den Kläger mehrfach geführten Ermittlungen wegen Körperverletzungsdelikten eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger wieder in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen Straftat, insbesondere nach den §§ 223 ff. Strafgesetzbuch (StGB), einbezogen werden könnte.
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Auch mit dem Einwand, eine Wiederholungsgefahr bestehe nur bei Sexualdelikten, kann der Kläger nicht durchdringen. Vielmehr handelt es sich gerade bei Körperverletzungsdelikten um Straftaten, bei denen nach kriminalistischer Erfahrung eine statistisch deutlich erhöhte Rückfallgefahr besteht (vgl. Harrendorf, Rückfälligkeit und kriminelle Karrieren von Gewalttätern, 2007, S. 388). Diesem Erfahrungssatz hat der Kläger nichts Substantiiertes entgegengesetzt, was eine andere Einschätzung rechtfertigen könnte.
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cc) Die angeordnete Maßnahme ist im Hinblick auf den vergleichsweise geringen Eingriff auch nicht unverhältnismäßig. Ermessensfehler der Beklagtenseite bei Erlass der Anordnungen sind nicht ersichtlich. Dass Finger- und Handflächenabdrücke, Lichtbilder, festgestellte äußere körperliche Merkmale sowie Messung und Personenbeschreibung bei einer noch aufzuklärenden anderen Straftat für Ermittlungserfolge oder auch für die Widerlegung eines etwaigen, gegen den Kläger bestehenden Verdachts hilfreich sein können, liegt auf der Hand.
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Das Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung künftiger Straftaten und dem Schutz der betroffenen hochrangigen Rechtsgüter überwiegt daher deutlich das Interesse des Klägers, von dem durch die erkennungsdienstliche Behandlung bewirkten, vergleichsweise geringfügigen Grundrechtseingriff verschont zu bleiben.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.
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III. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.