Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 13.12.2021 – Au 9 K 19.31546
Titel:

Zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots

Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2 S. 3
VwGO § 114
GG Art. 6
Leitsatz:
Art. 6 GG gewährleistet keinen grenzenlosen Schutz der familiären Lebensgemeinschaft; es ist daher mit Art. 6 GG ebenso wie mit Art. 8 EMRK grundsätzlich vereinbar, den ausreisepflichtigen Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visumverfahrens zu verweisen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nigeria, Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, Ermessen, Visumverfahren, familiäre Bindungen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49466

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.   

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Dauer von 12 Monaten ab dem Tag der Abschiebung.
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Der am ... 1979 in ... (Nigeria) geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der Yoruba und christlichem (katholischem) Glauben.
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Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 18. September 2017 (Gz. ...) wurden die Anträge des Klägers auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt (Nrn. 1 und 2. des Bescheids). Nr. 3 des Bescheids bestimmt, dass dem Kläger auch der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wird. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen nicht vor (Nr. 4). In Nr. 5 wird der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde dem Kläger die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 6 befristet das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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In den Gründen des Bescheides ist unter Nr. 6 ausgeführt, dass das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet werde. Im Falle einer Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 35 Asylgesetz (AsylG) oder einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG habe das Bundesamt gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG das aus § 11 Abs. 1 AufenthG resultierende Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zu befristen. Die Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots werde gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und dürfe grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreiten. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sei im vorliegenden Fall angemessen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristfestsetzung aufgrund schutzwürdiger Belange sei weder vorgetragen noch läge sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 18. September 2017 wird ergänzend verwiesen.
6
Die gegen den vorbezeichneten Bescheid zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg am 21. September 2017 erhobene Klage (Az. Au 4 K 17.34706) hatte teilweise Erfolg. Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 11. September 2019 wurde der Bescheid des Bundesamts vom 18. September 2017 in Nr. 6 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, eine erneute Ermessensentscheidung über die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Kläger nach § 11 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu treffen. Auf die Gründe der vorbezeichneten Entscheidung wird ergänzend verwiesen.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 11. November 2019 (Gz. ...) wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Grundlage der erneuten Ermessensentscheidung sei die geänderte familiäre Situation des Klägers. Der Kläger habe unter Vorlage einer Geburtsurkunde nachgewiesen, dass er Vater eines Kindes sei, dessen Mutter die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei und das Kind einen entsprechend abgeleiteten Schutzstatus erhalten habe. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 12 Monate sei im vorliegenden Fall angemessen. Die schutzwürdigen Belange des Klägers seien bei der Fristfestsetzung berücksichtigt worden.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 11. November 2019 wird ergänzend verwiesen.
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Der Kläger hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 18. November 2019 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 11. November 2019, Az., zugestellt am 18. November 2019 wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht über zwei Monate unter Ausübung des Ermessens zu verhängen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass der mit der Klage angegriffene Bescheid rechtlichen Bedenken begegne. Zum einen sei nicht auszuschließen, dass die Beklagte nach wie vor von einem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgehe. Zum anderen sei das Ermessen mit einer Befristung von zwölf Monaten nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden. Auch scheine die Beklagte nicht von einem anfechtbaren Verwaltungsakt auszugehen, da eine Rechtsmittelbelehrungdem Bescheid nicht beigefügt worden sei.
13
Die Beklagte hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 3. November 2021 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Am 13. Dezember 2021 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beteiligten an der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2021 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Der Kläger und die Beklagte sind zur mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2021 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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Die mit der Klage angegriffene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung weist keine gemäß § 114 VwGO beachtlichen Ermessensfehler auf.
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Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Überlegungen. Art. 6 Grundgesetz (GG) gewährt keinen grundsätzlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Beklagte zwar, bei der Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers zu Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in seinen Erwägungen zur Geltung zu bringen. Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach § 6 GG ist es aber ebenso wie mit Art. 8 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), der dem Kläger ebenfalls einen Anspruch auf Achtung des Familienlebens vermittelt, grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visumsverfahrens zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und den weiteren Aufenthalt begehrt, i.d.R. hinzunehmen. Die Durchführung des Visumsverfahrens verhindert ein familiäres Zusammenleben im Bundesgebiet nämlich regelmäßig nur für einen überschaubaren Zeitraum (vgl. VG Saarland, U.v. 10.12.2019 - 6 K 1413/18 - juris Rn. 20; VG Augsburg, B.v. 10.2.2020 - Au 6 E 19.1999 - juris Rn. 51). Vorliegend kommt hinzu, dass es für den Kläger zumutbar ist, nach Nigeria zurückzukehren. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit ist entscheidend, welche Dauer das Visumsverfahren voraussichtlich haben wird und ob besondere Umstände vorliegen. Die nachträgliche Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist dabei nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Denn Art. 6 GG gewährleistet keinen grenzenlosen Schutz der familiären Lebensgemeinschaft. Insoweit spielt es eine Rolle, ob der Drittstaatsangehörige das Unionsgebiet, etwa zur Nachholung des Visumverfahrens, für unbestimmte Zeit oder aber nur für einen kurzen, verlässlich zu begrenzenden Zeitraum zu verlassen hat (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 34 ff.). Bei vorhandenen familiären Bindungen ist davon auszugehen, dass eine Ermessensverdichtung allenfalls dahingehend in Betracht kommt, dass die Befristung einen Zeitraum von einem Jahr nicht übersteigen darf (vgl. VG Berlin, U.v. 14.1.2020 - 21 K 189.19 - juris Rn. 24). Dem hat die Beklagte vorliegend mit der Befristungsdauer von zwölf Monaten (noch) in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Für einen Ermessensfehler bzw. eine Ermessensverdichtung zu Gunsten des Klägers ist nichts ersichtlich.
21
Weiter weist das Gericht darauf hin, dass ausweislich einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Landratsamt ... vom 30. September 2019 bezüglich der Dauer des Visumsverfahrens bei nigerianischen Staatsangehörigen bei Vorlage von Vorabzustimmungen von folgenden Zeiträumen auszugehen sei. Das regelmäßig verlangte Urkundenüberprüfungsverfahren dauere regelmäßig ca. vier bis fünf Monate. Bei vorliegender Vorabzustimmung bei einem Nachzug zu einem deutschen Kind dauere das sich anschließende Visumsverfahren noch etwa einen Monat. Auch vor diesem Hintergrund erweist sich die vorgenommene Befristung von zwölf Monaten als (noch) ermessensgerecht.
22
Abschließend weist das Gericht auch darauf hin, dass das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nur in den Fällen Geltung beansprucht, in denen es zu einer tatsächlichen Abschiebung des Ausländers kommt. Der Kläger ist vorliegend vollziehbar ausreisepflichtig und hat dementsprechend das Visumsverfahren zu durchlaufen. Ein irgendwie gearteter Anspruch auf abweichende Fristfestsetzung steht dem Kläger daher nicht zur Seite.
23
Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
24
Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.