Inhalt

LArbG Nürnberg, Urteil v. 14.10.2021 – 5 Sa 162/21
Titel:

Anrechnung von Dienstzeiten bei einem nicht tarifgebundenen Konzert- und Theaterorchester nach § 15 TVK

Normenkette:
Orchester-Tarifvertrag § 1, § 15
Leitsatz:
Die Anrechnung von Dienstzeiten nach § 15 des Tarifvertrags für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern (TVK) in der Fassung vom 01.10.2019 setzt nicht voraus, dass die Dienstzeiten bei einem tarifgebundenen Konzert- und Theaterorchester zurückgelegt wurden. (Rn. 16 und 7)
Schlagworte:
Tarifvertrag, Auslegung, Musiker, tarifgebundenes Konzert- und Theaterorchester, Anrechnung, Dienstzeit, Vordienstzeiten
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Endurteil vom 18.12.2020 – 12 Ca 619/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49076

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 18.12.2020, Aktenzeichen: 12 Ca 619/20, wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Anerkennung von Vordienstzeiten der Klägerin aufgrund der anzuwendenden tariflichen Regelung.
2
Die Klägerin ist im Orchester der Beklagten seit dem 01.02.2012 als 1. Violinistin beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 21.11.2012. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beidseitiger Tarifgebundenheit sowie individualrechtlicher Bezugnahme der Tarifvertrag für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern nebst ergänzenden und ändernden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung Anwendung (im Folgenden: TVK).
3
Der Tarifvertrag, der bei Dienstantritt der Klägerin galt (Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern), lautete auszugsweise wie folgt:
„§ 1 Geltungsbereich
(1) Dieser Tarifvertrag gilt für die Musiker in Kulturorchestern innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins ist.“
(2) Kulturorchester sind Orchester, die regelmäßig Operndienst versehen oder Konzerte ernst zu wertender Musik spielen.
§ 15 Dienstzeit
(1) Die Dienstzeit umfasst die bei Kulturorchestern (§ 1 Abs. 2) als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden Zeiten.
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Dieser Tarifvertrag wurde ab dem 01.10.2019 durch den Tarifvertrag für Konzert- und Theaterorchester ersetzt. Darin heißt es auszugsweise wie folgt:
„§ 1 Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins ist.“
§ 15 Dienstzeit
(1) Die Dienstzeit umfasst die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden Zeiten.
(2) Zeiten einer Tätigkeit als Musiker in anderen als Konzert- und Theaterorchestern sowie Zeiten einer sonstigen musikalisch-künstlerischen oder einer musikpädagogischen Tätigkeit können auf die Dienstzeit angerechnet werden.
(3) …
(4) Der Musiker hat die anrechnungsfähigen Zeiten innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Aufforderung durch den Arbeitgeber nachzuweisen. Zeiten, für die der Nachweis nicht fristgemäß erbracht wird, werden nicht angerechnet. Kann der Nachweis aus einem vom Musiker nicht zu vertretenden Grund innerhalb der Ausschlussfrist nicht erbracht werden, ist die Frist auf einen vor Ablauf der Ausschlussfrist zu stellenden Antrag angemessen zu verlängern.
5
Vor ihrer Tätigkeit bei der Beklagten war die Klägerin mit befristeten Arbeitsverträgen bei der T… Landestheater und Orchester GmbH I… vom 08.01.2009 bis zum 05.07.2009 sowie bei der B… Philharmoniker GmbH vom 19.08.2010 bis zum 18.08.2011 beschäftigt. Bei Dienstantritt machte die Klägerin ihre Dienstzeit bei der B… Philharmoniker GmbH hinsichtlich der Anrechnung von Vordienstzeiten geltend. Mit Bescheid vom 26.03.2012 lehnte die Beklagte die Anrechnung der Dienstzeit der Klägerin bei der B… Philharmoniker GmbH ab. Mit Schreiben vom 14.12.2019 beantragte die Klägerin erneut, ihre Dienstzeit bei der B… Philharmoniker GmbH sowie darüber hinaus die Dienstzeit bei der T… Landestheater und Orchester GmbH anzuerkennen. Die monatliche Vergütungsdifferenz, die die (Nicht-) Berücksichtigung der Vordienstzeiten der Klägerin ergibt, beläuft sich auf etwa 200,00 EUR.
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Hinsichtlich des streitigen Sachvortrags der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Klageanträge wird auf den Tatbestand der angegriffenen Entscheidung verwiesen.
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Das Arbeitsgericht Würzburg hat der Klage mit Endurteil vom 18.12.2020 stattgegeben. Die Auslegung des § 15 Abs. 1 TVK ergäbe, dass die Dienstzeit bei Konzert- und Theaterorchestern nicht notwendigerweise bei Orchestern zurückgelegt werden müsse, die ihren Sitz innerhalb der Bundesrepublik Deutschland hätten und deren Arbeitgeber ein Mitglied des Deutschen Bühnenvereins sei. Insoweit sei es nicht erforderlich, dass solche Vordienstzeiten bei Orchestern erbracht worden seien, die unter dem betrieblichen Geltungsbereich des § 1 TVK fallen würden. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 TVK umfasse die Dienstzeit unter anderem die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten Zeiten. Anders als bei der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.05.2006 hinsichtlich des Begriffs der Beschäftigung bei § 51 Abs. 1 TVK (alte Fassung) verweise § 15 Abs. TVK nicht auf § 1 des Tarifvertrags. Im Gegensatz zur früheren Fassung, bei der in § 1 Abs. 2 TVK (alte Fassung) der Begriff des Kulturorchesters definiert worden sei, regele § 1 TVK seit 2019 nur noch den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrags. In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.05.2006 habe sich das Bundesarbeitsgericht lediglich mit der „Beschäftigungszeit“ des § 51 TVK (alte Fassung) befasst. Die Frage, ob der weitergehende Begriff der „Dienstzeit“ anders zu beurteilen sei, habe das Bundesarbeitsgericht jedoch ausdrücklich offengelassen. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 15 Abs. 2 TVK sei, die größere Erfahrung eines Musikers, die er auch an anderer Stelle erworben haben könne, entsprechend zu honorieren, da die gesammelten Vordienstzeiten notwendige Einarbeitungszeiten verringern könnten. Auch sei zu berücksichtigen, dass bei der Neufassung des Tarifvertrages im Jahre 2019 den Tarifvertragsparteien die Auslegung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2006 hinsichtlich der „Beschäftigungszeit“ des § 51 TVK (alte Fassung) und die durch das Bundesarbeitsgericht aus der Verweisung auf § 1 Abs. 2 TVK geschlossene Schlussfolgerungen bekannt gewesen sein dürften. Hätte es den Tarifvertragsparteien daran gelegen, dass lediglich Vordienstzeiten bei tarifgebundenen innerdeutschen Konzert- und Theaterorchestern bei der Dienstzeit berücksichtigt werden sollten, hätte es nahegelegen, dies in § 15 Abs. 1 TVK klarzustellen. Weiter sei zu bedenken, dass ein Tarifvertrag im Zweifel so auszulegen sei, dass er zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktischen Lösung führe. Eine Auslegung, die - entgegen dem Wortlaut - zum Ergebnis führe, dass lediglich Vordienstzeiten bei deutschen und tarifgebundenen Theater- und Konzertorchestern zu berücksichtigen seien, würde auch ein Verstoß des Tarifvertrages gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV bedeuten. Denn eine nationale Regelung, die nicht alle in einem anderen als dem Herkunftsmitglied statt des Wanderarbeitnehmers zurückgelegten gleichwertigen Vordienstzeiten anrechne, sei auch geeignet, die Freizügigkeit des Arbeitnehmers zu beschränken.
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Das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 18.12.2020 ist der Beklagten am 01.04.2021 zugestellt worden. Die Berufungsschrift der Beklagten ging beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 27.04.2021 ein. Die Berufungsbegründungsschrift ging beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 01.07.2021 innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist ein.
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Unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags ist die Beklagte der Auffassung, dass Wortlaut und Systematik des § TVK für das Verständnis der Beklagten sprechen würde. Systematisch baue die Tarifvorschrift des § 15 Abs. 1 TVK und die dort verwendete Begrifflichkeit „Konzert- und Theaterorchester“ auf § 1 TVK auf. Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 TVK und die genannte „Dienstzeit“ des Musikers bei „Konzert- und Theaterorchestern“ setze bei der nochmaligen Verwendung dieser Begriffe die für die Eröffnung des Geltungsbereichs des Tarifwerkes vorgesehenen Regelungsinhalte mit voraus. Eine nochmalige Ausführung bzw. Definition, dass Dienstzeiten des Musikers bei Konzert- und Theaterorchestern im Sinne des Tarifvertrages nur solche innerhalb der Bundesrepublik Deutschland seien, deren Arbeitgeber ein Unternehmensmitglied des Deutschen Bühnenvereins sei, sei nicht erforderlich gewesen, denn eine entsprechende Definition regele bereits § 1 TVK. Auf dieser Vorschrift würden die nachfolgenden Normen aufbauen. Nicht überzeugend habe das Erstgericht auch ausgeführt, dass die seitens des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 18.05.2006 (Aktenzeichen: 6 AZR 422/05) aufgestellten Grundsätze vorliegend nicht anwendbar seien. Die Ausführungen des Erstgerichts würden nicht überzeugen, da die Tarifvertragsparteien im Rahmen der Neuabfassung des Tarifvertrages ab dem 01.10.2019 davon abgesehen hätten, eine Definition entsprechend § 1 Abs. 2 TVK (alte Fassung) aufzunehmen, da auch in der neuen Fassung der Tarifvertrag nur für die Arbeitgeber zur Anwendung käme, die auch Mitglied des Deutschen Bühnenvereins seien. Nach Auffassung der Beklagten sei die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.05.2006 daher auf den vorliegenden Fall auch übertragbar. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts sei es nicht so, dass § 1 TVK „nur noch den betrieblichen Geltungsbereich des Tarifvertrages“ definiere. § 1 TVK regele den Geltungsbereich des TVK umfassend, auch den persönlichen und räumlichen Geltungsbereich, sodass bei Verwendung des Begriffs „Konzert- und Theaterorchester“ in den nachfolgenden Normen diese inhaltlich und systematisch auf die Vorschrift des § 1 TVK aufbauen würden. Systematische Erwägungen stünden der Auffassung des Arbeitsgerichts entgegen. So differenziere § 15 Abs. 2 hinsichtlich der Tätigkeiten die angerechnet werden könnten, zwischen Tätigkeiten in anderen als Konzert- und Theaterorchestern und Zeiten einer sonstigen musikalisch-künstlerischen oder musikpädagogischen Tätigkeit. Abzugrenzen sei also unter anderem zwischen „Konzert- und Theaterorchestern“ im Sinne des § 15 Abs. 1 TVK und anderen als Konzert- und Theaterorchestern im Sinne des § 15 Abs. 2 TVK. Es müsse folglich auch Dienstzeiten bei Orchestern geben, die keine „Konzert- und Theaterorchester“ seien. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts solle die Definition in § 1 TVK, also eine Verbandszugehörigkeit des Trägers, wie sie in § 1 TVK vorgesehen ist, kein Differenzierungskriterium sein. Insoweit könne auch nicht im Rahmen des § 15 Abs. 1 und Abs. 2 TVK zwischen Zeiten einer Tätigkeit in Konzert- und Theaterorchestern und „anderen als Konzert- und Theaterorchestern“ abgegrenzt werden. Es stelle sich sonst die Frage, wonach sich die beiden in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 TVK genannten Tätigkeitszeiten unterscheiden würden. Die Regelung in § 15 Abs. 2 TVK wäre insoweit teilweise obsolet. Nach Ansicht der Beklagten führe jedoch auch der Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Regelung vorliegend zu der Nichtanrechnung der streitgegenständlichen Zeiten. Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 TVK, wonach Dienstzeiten bei Konzert- und Theaterorchestern angerechnet werden müssten, dienen die Treue zu Verbandsangehörigen in Theatern und Konzertorchestern und den dort erworbenen bisherigen sozialen Besitzstand zu sichern und zusätzlich die dort erworbenen Fähigkeiten zu berücksichtigen. Liege nur Berufserfahrung vor, ohne dass diese bei verbandsangehörigen Theater- und Konzertorchestern im Sinne des § 1 TVK erworben worden seien, greife lediglich § 15 Abs. 1 TVK. Die außerhalb der Verbandszugehörigkeit erworbenen Erfahrungen müssten nicht notwendigerweise angerechnet werden. Nach Ansicht der Beklagten sei auch der Schutzbereich des Art. 45 Abs. 1 AEUV und des Art. 7 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/211 nicht eröffnet, da insoweit hier eine Bereichsausnahme nach Art. 45 Abs. 4 AEUV vorläge. Im Übrigen würden nach Ansicht der Beklagten den geltend gemachten Ansprüchen die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 TVK entgegenstehen. Die Klägerin habe die vorliegend geltend gemachten Zeiten, die sie für anrechnungsfähig halte, nicht innerhalb der dortigen Ausschlussfrist von drei Monaten nachgewiesen. Etwaige Zahlungsansprüche der Klägerin seien nach § 61 TVK entfallen.
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Die Beklagte und Berufungsklägerin stellt folgenden Antrag:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 18. Dezember 2020 (12 Ca 619/20) abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin weist darauf hin, dass ihrer Meinung nach die tarifvertragliche Regelung nach dem Wortlaut eindeutig sei. Keine Voraussetzung sei, dass die anzurechnenden Dienstzeiten bei Unternehmen erfolgt sei die Mitglied des Deutschen Bühnenvereins seien. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.05.2006 - Aktenzeichen: 6 AZR 422/05 - könne auf den streitgegenständlichen Fall nicht angewendet werden, da sie lediglich den Begriff der „Beschäftigungszeit“ gemäß § 51 TVK (alte Fassung) betroffen hätte. Weiter sei auch zu berücksichtigen, dass mit der Änderung des TVK im Jahr 2019 eine Änderung der Rechtslage eingetreten sei, da die Tarifvertragsparteien es bei der Neufassung des TVK bewusst unterlassen hätten, eine Definition des ersetzenden Begriffs „Konzert- und Theaterorchester“ vorzunehmen. Unzutreffend argumentiere die Beklagte dahingehend, dass nach dem Verständnis des Arbeitsgerichtes für § 15 Abs. 2 TVK kein Anwendungsbereich mehr verbleibe. Neben Konzert- und Theaterorchestern gäbe es eine Reihe weiterer Orchesterformen, zum Beispiel Kurorchester, Kapellen, Salonorchester, Musicalorchester und Polizeiorchester etc., sodass weiterhin ein Anwendungsbereich für § 15 Abs. 2 TVK gegeben sei. Auch sei es nicht so, dass § 15 Abs. 1 TVK dem Zweck diene, die Treue zu verbandsangehörigen Theatern und Konzertorchestern zu sichern, da es vielmehr zwischen 1960 bis 2000 üblich gewesen sei, dass auch ausländische Dienstzeiten regelmäßig anerkannt worden seien. Im Übrigen sei auch, wie das Arbeitsgericht erkannt habe, der Anwendungsbereich des Art. 45 AEUV eröffnet. Ausschlussfristen stünden der Klage nicht entgegen, da die Klägerin sämtliche Anrechnungszeiten direkt nach Dienstantritt durch Vorlage ihrer Arbeitsverträge nachgewiesen habe. Soweit sich die Beklagte auf § 61 TVK berufe, sei darauf hinzuweisen, dass die Klageanträge nicht auf Zahlung gerichtet seien.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 14.10.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
15
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
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Das Erstgericht hat zutreffend der Klage stattgegeben. Es kann insoweit vollumfänglich auf die zutreffenden und ausführlichen Ausführungen im Ersturteil verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind nur noch folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:
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1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme und beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für die Musiker in Theater- und Konzertorchestern vom 01.10.2019 (TVK) Anwendung. Nach § 15 Abs. 1 TVK umfasst die Dienstzeit, die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten und auch die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden Zeiten. Die von der Klägerin bei der B… Philharmoniker GmbH und dem T… Sinfonieorchester I… als Musikerin zurückgelegten Zeiten sind als erworbene Dienstzeiten der Klägerin nach § 15 Abs. 1 TVK anzurechnen.
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a. Bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages (BAG vom 09.04.2008 - 4 AZR 164/07, vom 05.10.1999 - 4 AZR 578/98 und vom 28.05.1998 - 6 AZR 349/96) hat das Arbeitsgericht die Auslegungsgrundsätze zutreffend und umfassend wiedergegeben. Insoweit kann auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts Würzburg unter III. 3 a) verwiesen werden.
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b. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 TVK umfasst die Dienstzeit unter anderem die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten Zeiten. Ein Verweis auf andere Tarifvorschriften befindet sich mit Ausnahme auf die Absätze 2 und 3 nicht. Auch eine Definition bezüglich der Begrifflichkeit der Konzert- und Theaterorchester ist entgegen der Vorgängervorschrift im Tarifwerk nicht mehr enthalten, Diese hatte noch in § 1 Abs. 2 eine Begriffsdefinition zum dort verwendeten Begriff des „Kulturorchesters“ vorgesehen. Nach dem Wörterbuch Duden handelt es sich bei einem Orchester um ein größeres Ensemble aus Instrumentalisten, in dem bestimmte Instrumente mehrfach besetzt sind und das unter der Leitung eines Dirigenten spielt. Nach weiterer Maßgabe des § 15 Abs. 1 muss das Orchester Konzert- oder Theaterauftritte wahrnehmen. Diese Voraussetzungen sind sowohl bei den B… Philharmonikern als auch dem T… Sinfonieorchester unstreitig gegeben. Der reine Wortlaut des § 15 Abs. 1 TVK spricht damit klar für das Auslegungsverständnis der Klägerin.
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c. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift des § 15 Abs. 1 und Abs. 2 TVK unterstützen dieses Auslegungsverständnis. Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass Sinn und Zweck der Vorschrift die größere Erfahrung eines Musikers ist, die er eben auch an anderer Stelle erworben haben kann, wie insbesondere § 15 Satz 2 TVK zeigt, entsprechend zu honorieren. Konsequent wird demnach auch in der Vergütungsordnung die Verdiensthöhe unter Berücksichtigung der Dienstzeit errechnet. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Dienstleistung eines Musikers mit steigender Dienstzeit aufgrund der in dieser Zeit gesammelten Erfahrungen für den Arbeitgeber wertvoller wird und damit eine längere Dienstzeit regelmäßig auch eine höhere Vergütung rechtfertigt. Dabei wird ein Musiker, der bereits in anderen Theater- und Konzertorchestern Erfahrung gesammelt hat, nicht so lange und nicht so intensiv eingearbeitet werden müssen und kann beim neuen Dienstherrn schon auf einem höheren Niveau beginnen. Entsprechende vergleichbare tarifvertragliche Regelungen finden sich unter anderem auch im Tarifwerk des öffentlichen Dienstes (dort § 16 TV-L oder § 16 TVöD). Die Auffassung der Beklagtenpartei die nach § 15 Abs. 1 TVK dem Zweck diene, die Treue zu verbandsangehörigen Theatern- und Konzertorchestern zu sichern, teilt die erkennende Kammer nicht, da insoweit auch ein Widerspruch zu § 15 Abs. 2 TVK besteht. Es handelt sich zwar bei § 15 Abs. 2 TVK um eine Kann-Vorschrift, dies allerdings deshalb, um dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben um zu überprüfen, ob die anderweitige musikalische Tätigkeit es rechtfertigt, einen Erfahrungsgewinn für die Tätigkeit in Konzert- und Theaterorchestern darzustellen. Im Übrigen ließe sich die Auffassung der Beklagten auch nicht mit dem Grundsatz der Lohngerechtigkeit vereinbaren, wenn mit der Lohnvergütung insoweit lediglich die Verbandstreue honoriert wird.
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Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch darauf hingewiesen, dass mit der vorgenommenen Auslegung kein Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.05.2006, Aktenzeichen: 6 AZR 422/05, verbunden ist. Insoweit kann auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils auf Seite 9 und 10 verwiesen werden.
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d. Aber auch die Systematik des Tarifvertrages spricht für das gefundene Auslegungsergebnis. In § 1 des TVK wird nunmehr lediglich noch der Anwendungsbereich des Tarifvertrages geregelt. Eine Klärung von materiell-rechtlichen Fragen im Bereich des tariflichen Geltungsbereichs ist zwar damit nicht ausgeschlossen, jedoch in den Tarifwerken allgemein unüblich.
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Die Auslegung der tarifvertraglichen Vorschrift ist nach Auffassung der erkennenden Kammer aufgrund dieser Überlegungen eindeutig zu Gunsten der von der Klägerin vertretenen Auffassung vorzunehmen.
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2. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht aufgrund der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 TVK verfallen. Zum einen räumt die Beklagte selbst ein, dass die Klägerin schon bei der Einstellung zumindest die Zeiten bei der B… Philharmoniker GmbH angegeben hat und zum anderen ist die Vorschrift des § 15 Abs. 4 TVK dahingehend zu verstehen, dass die Ausschlussfrist erst zu laufen anfängt, wenn der Mitarbeiter eine anrechnungsfähige Dienstzeit geltend macht und der Arbeitgeber daraufhin einen Nachweis verlangt. Dies ergibt sich alleine schon aufgrund des Wortlauts des § 15 Abs. 4 TVK, demnach erst nach Geltendmachung von Dienstzeiten eine Überprüfung veranlasst ist und als Folge ein Nachweis hierfür verlangt werden kann. Dies ist auch gerechtfertigt, da solange der Arbeitnehmer Vordienstzeiten nicht geltend macht, für den Arbeitgeber auch keine materiellen Folgen damit verbunden sind. Macht der Arbeitnehmer Vordienstzeiten erst später geltend, so ergeben sich für den Arbeitgeber für die Vergangenheit auch keine negativen Folgen, da eine nachträgliche Anrechnungsverpflichtung nicht besteht und von der Klägerin auch nicht geltend gemacht wird. Im Übrigen wären etwaige Zahlungsansprüche der Klägerin auch nach § 61 TVK verfallen, falls diese von Verdienstzeiten abhängig sind, die aber von der Klägerin nicht als anrechenbar gegenüber der Beklagten geltend gemacht wurden.
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Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen.
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III. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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2. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass (§ 72 Abs. 2 ArbGG.