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AG München, Endurteil v. 14.05.2021 – 113 C 23543/20
Titel:

Schadensersatz wegen fehlendem Hinweis bei erheblicher Überschreitung der Mobilfunk-Flatrate

Normenketten:
Roaming-VO Art. 15 Abs. 3
BGB § 241, § 242, § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 282, § 288 Abs. 2, § 286 Abs. 2, § 404, § 611
ZPO § 92, § 138 Abs. 3, § 708 Nr. 11, § 71
Leitsatz:
Bei Flatrate-Tarifen hat der Mobilfunkanbieter die Nebenpflicht aufgrund der überlegenen Sachkunde auf stark über dem vereinbarten Basistarif entstehende Kosten hinzuweisen (BGH MMR 2012, 525). Die Informationspflicht ergibt sich für Verbraucher bereits aus Art. 15 Abs. 3 Roaming-VO und ist vom Rechtsgedanken auch auf Nicht-Verbraucher anwendbar. Erfolgt dies nicht, obwohl eine Benachrichtigung problemlos möglich wäre, zB SMS steht dem Kunden die Einrede unzulässiger Rechtsausübung gem. § 242 BGB zu. (Rn. 20 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EU Roaming, Flatrate, Nebenpflicht, Mobilfunkvertrag, Schadensersatz
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Endurteil vom 25.02.2022 – 30 S 7463/21
Fundstellen:
BeckRS 2021, 49074
MMR 2022, 702
LSK 2021, 49074

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 552,59 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.07.19 sowie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 12,50 €, 5,00 € Auskunfts- und 72,00 € Inkassokosten zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 72 % und der Beklagte 28 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.961,11 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Mobilfunkvertrag.
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Zwischen dem Beklagtem und der … (nachfolgend Zedentin) wurde ein Mobilfunkvertrag mit Vertragsbeginn am 05.03.2018 zu einem Basistarif in Höhe von 50,17 € brutto monatlich geschlossen. In dem Vertrag wurde auf die Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Zedentin hingewiesen, was durch Unterschrift des Beklagten bestätigt wurde. Das Mobiltelefon mit SIM-Karte mit der Rufnummer ... wurde dem Vorstand des Beklagten zur Benutzung überlassen.
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Die Zedentin stellte im Rahmen des Vertragsverhältnisses eine Rechnung am 21.06.2019 für den Erfassungszeitraum vom 15.05.2019 bis 14.06.2019 über 2.464,39 €. Die Rechnung ging dem Beklagten spätestens am 23.06.2019 zu.
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Im Laufe dieses Abrechnungszeitraums befand sich der Vorstand des Beklagten in Kanada. Die Zedentin ließ ihm keine Mitteilungen über erhöht anfallende Kosten zukommen. Auf die Rechnung vom 21.06.2019 wurden durch den Beklagten zuletzt mit Schreiben vom 16.10.2019 Einwände erhoben und Nachweise über die erbrachten Mobilfunkleitungen angefordert. Die Zedentin übersandte dem Beklagten die entsprechenden Einzelverbindungsnachweise. Außerdem erteilte die Zedentin dem Beklagten im Oktober 19 eine Kulanzgutschrift über 400,00 € zzgl. Mehrwertsteuer welche auf die Folgerechnungen des Beklagten übertragen wurde. Nach mehreren Mahnungen wurde durch den Beklagten am 20.11.2019 eine Zahlung in Höhe von 425,31 € geleistet. Der Vertrag endete zum 4.3.20 durch Kündigung des Beklagten.
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Die Klägerin trägt vor, die verbleibende Forderung sei von der … an sie abgetreten worden. Die abgerechneten Verbindungen seien zustande gekommen. Die Roaming-Funktion des Mobiltelefons sei während der Fernreise nach Kanada nicht ausgeschaltet gewesen. Sie habe daher Anspruch auf Zahlung der streitgegenständlichen Rechnung. Für drei Mahnungen begehrt sie die Zahlung von Mahnkosten in Höhe von 12,50 €, 5,00 € Auskunftskosten sowie Inkassokosten in Höhe einer 0,65 Gebühr nebst Auslagenpauschale von 117,50 €. Die Klägerin führt weiter aus, Informationspflichten seitens der Zedentin gegenüber dem Beklagten in Ansehung des Kostenanstiegs hätten nicht bestanden. Einen Schadensersatzanspruch aus deren Verletzung könne der Beklagte der Klägerin daher nicht entgegenhalten. Entsprechende Informationspflichten bestünden nur gegenüber Verbrauchern. Der Beklagte sei jedoch Unternehmer. Eine Kappungsgrenze gegenüber Unternehmern greife erst in Höhe von 2.999,00 € ein.
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Die Klägerin beantragt daher,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 1.961,11 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.07.2019 sowie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 12,50 €, 5,00 € Auskunfts- und 117,50 € Inkassokosten zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte bestreitet das die abgerechneten Verbindungen angefallen seien. Außerdem trägt er vor, sein Vorstand sei der festen Überzeugung gewesen die Roaming-Funktion des Mobiltelefons während der Fernreise nach Kanada ausgeschaltet zu haben. Der Beklagte ist der Ansicht, dass aufgrund der fehlenden Warnhinweise seitens der Zedentin über die erhöhten Kosten eine Nebenpflichtverletzung in Ansehung des Mobilfunkvertrages vorläge. Die hieraus resultierenden Schadensersatzansprüche könne der Beklagte gegebenenfalls den Ansprüchen der Klägerin einredeweise entgegenhalten.
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Der Beklagte meint weiter, dass eine Kappungsgrenze für Roaming-Gebühren, die den Flatrate-Tarif um 50,00 € übersteigen, aus Art. 15 Abs. 3 EU Roaming-VO abzuleiten sei.
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Die Zustimmung zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 128 II ZPO wurde von der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.03.2021 und von dem Beklagten mit Schriftsatz vom 06.04.2021 erteilt.
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In Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenbestandteilen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
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I. Die Klage ist zulässig.
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Das Amtsgericht München ist gemäß §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO örtlich und gemäß § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.
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II. Die Klage ist lediglich teilweise begründet.
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Die Klägerin hat einen Anspruch aus dem zwischen der Zedentin und dem Beklagten geschlossenen Mobilfunkvertrag auf Zahlung von 1.961,11 €, der allerdings lediglich in Höhe von 552,39 € durchsetzbar ist, sowie einen Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Mahnkosten in Höhe von 12,50 €, 5,00 € Auskunfts- und 72,00 € Inkassokosten aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB.
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1. Die Klägerin ist aktivlegitimiert, da die Abtretung der streitgegenständlichen Forderung seitens der Zedentin an die Klägerin wirksam und hinreichend bestimmt war. Die Klägerin ist der ihr diesbezüglich obliegenden Darlegungs- und Beweislast durch Vorlage der Abtretungserklärung hinreichend nachgekommen.
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2. Der Anspruch aus dem zwischen der Zedentin und dem Beklagten geschlossenen Mobilfunkvertrag auf Zahlung von 1.961,11 € ist entstanden. Ihm steht allerdings in Höhe von 1408,72 € die Einrede unzulässiger Rechtsausübung entgegen, weshalb der Anspruch nur in Höhe von 552,39 € durchsetzbar ist.
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a. Die Zedentin hat im Ausgangspunkt einen Anspruch auf Zahlung von 1.961,11 € als Entgelt für die Inanspruchnahme von Leistungen aus dem unstreitig geschlossenen Mobilfunkvertrag im streitgegenständlichen Zeitraum durch den Beklagten erworben. Dieses Entgelt überschritt aufgrund des Zugriffs auf den ausländischen Roaming-Dienst den monatlichen Basistarif in Höhe von EUR 50,17. Die einzelnen Verbindungsnachweise wurden dem Beklagten unstreitig von der Zedentin überlassen. Da diese eine unproblematische Sachverhaltsaufklärung ermöglichen, ist der Beklagte insoweit beweisbelastet. Der Beklagte hat allerdings keinen Beweis mittels des Verbindungsnachweises geführt, der die Richtigkeit der Rechnungshöhe widerlegen würde. Folglich gilt diese als zugestanden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO.
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b. Dem somit entstandenen Anspruch steht aber die Einrede unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) in Höhe von 1408,72 € entgegen, da der Beklagte einen Schadensersatzanspruch in dieser Höhe aus §§ 611, 280 Abs. 1, 3, 282 BGB wegen Verletzung einer Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB gegen die Zedentin hat.
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Konkret verletzte die Zedentin ihre Nebenpflicht, den Beklagten auf stark über dem vereinbarten Basistarif entstehende Kosten hinzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 15.03.2012 - III ZR 190/11; LG Saarbrücken, Urt. v. 09.03.2012 - 10 S 12/12). Diese Pflicht ergibt sich aus der überlegenen Sachkunde der Zedentin in Ansehung der entstehenden Kosten. Dem Beklagten war es bis zur Rechnungsstellung nicht erkennbar, erhöhte Kosten zu verursachen und er konnte daher auch keine weiteren Vorkehrungen treffen, diese zu verhindern. Im Gegensatz dazu hatte die Zedentin jederzeit Einblick in die Höhe und Ursache der Kosten, weshalb ein eklatantes Informationsgefälle zwischen der Zedentin und dem Beklagten bestand. Es war der Zedentin auch problemlos möglich, entsprechende Hinweise zu geben, etwa durch automatisierte Benachrichtigungen via SMS oder E-Mail.
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Weiterhin war ein Interesse des Beklagten an Geringhaltung der Kosten für die Zedentin nicht nur ersichtlich, sondern auch mittelbar Vertragsgegenstand geworden, da der geschlossene Mobilfunkvertrag einen Flatrate-Tarif hatte. Ein solcher wird üblicherweise vereinbart, um eine gleichbleibende, berechenbare Kostengrundlage zu gewährleisten. Demnach besteht bei Flatrate-Tarifen eine noch erhöhte Veranlassung der die überlegende Sachkunde innehabenden Vertragspartei, die andere Partei über stark ansteigende Kosten zu informieren.
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Eine solche Informationspflicht ist - wenn auch im vorliegenden Fall mangels Verbrauchereigenschaft des Beklagten nicht anwendbar - in Art. 15 Abs. 3 EU Roaming-VO festgelegt. Dieser Rechtsgedanke ist jedoch verallgemeinerbar auch auf Parteien anwendbar, die keine Verbraucher sind, da lediglich die fehlende Verbrauchereigenschaft der anderen Vertragspartei nicht das Ausnutzen überlegener Sachkunde rechtfertigt. Lediglich der Schwellenwert; ab dem eine Informationspflicht besteht, muss bei unternehmerischen Vertragspartnern höher angesetzt werden, um insofern einer gewissen Erfahrung im Geschäftsverkehr und damit üblicherweise geringeren Schutzbedürftigkeit Rechnung zu tragen. Soweit die Klägerin meint gegenüber einem Unternehmer bestehe keine Informationspflicht und eine Kappungsgrenze bestehe erst ab einem Schwellenwert von 2.999,00 €, ist dem nicht beizutreten. Es gibt keinen Erfahrungsgrundsatz dahingehend, dass Unternehmer bereit sind bei Auslandsreisen ihrer Mitarbeiter Telefongebühren im Bereich von 2999,00 € zu akzeptieren. Vielmehr ist gerichtsbekannt, dass heutzutage gerade bei Unternehmen ein hoher Kostendruck besteht. Mitarbeiter müssen auch bei Auslandsreisen penibel auf die durch die Reise anfallenden Kosten achten und sind verpflichtet diese so gering wie möglich zu halten. Es bestehen auch für Unternehmer diverse Möglichkeiten, z.B. durch den Kauf von Datenvolumen, Mobilfunk im Ausland zu geringen Gebühren in Anspruch zu nehmen. Mitarbeiter von Unternehmen sind nach Kenntnis des Gerichts auch verpflichtet diese zu nutzen und dürfen auch bei Auslandsreisen nicht Telefongebühren von mehreren tausend Euro verursachen. Gerade deshalb ist beim Anfall erhöhter Kosten eine Information des Mobilfunkanbieters auch gegenüber Unternehmern unbedingt erforderlich. Als Schwellenwert erscheint hier unter Berücksichtigung der geringeren Schutzbedürfiigkeit von Unternehmern gegenüber Verbrauchern ein Betrag in zehnfacher Höhe des Basistarifs geeignet, welcher im vorliegenden Fall EUR 501,70 beträgt.
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Diesen Betrag schuldet der Beklagte daher aus der streitgegenständlichen Rechnung. Angesichts der Tatsache, dass der Beklagte 425,31 € auf die Rechnung gezahlt hat, verbleiben daher 76,39 €. Allerdings hat die Klägerin dem Beklagten eine Kulanzgutschrift in Höhe von 400,00 € nebst Mehrwertsteuer, somit 476,00 € auf den Rechnungsbetrag von 2.464,39 € erteilt. Die erfolgte auf die Beschwerde des Beklagten und wurde nach unstreitigem Klägervortrag auf die Folgerechnungen angerechnet. Diese Gutschrift hätte die Klägerin nicht erteilt, wäre sie davon ausgegangen, dass ihr von den abgerechneten 2.464,39 € nur 501,70 € zustehen. Die Gutschrift ist daher bei der Berechnung des Schadensersatzanspruchs abzuziehen. Nachdem dem Beklagten damit 50,69 € mehr gutgeschrieben wurden als er gezahlt hat, verbleibt letztlich ein vom Beklagten noch zu bezahlender Betrag in Höhe von 552,39 €. Der Schadensersatzanspruch beziffert sich auf 1408, 72 €.
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Diesen Schadensanspruch kann der Beklagte der Klägerin einredehalber entgegen halten, da diese gemäß § 404 BGB die zum Zeitpunkt der Abtretung bereits bestehenden Einwendungen gegenüber der Zedentin gegen sich gelten lassen muss.
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III. Der Zinsanspruch in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.07.2019 basiert auf § 288 Abs. 2 BGB.
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Der Beklagte befand sich in Verzug im Sinne des § 286 Abs. 2 Ziff. 2 BGB, da die streitgegenständliche Forderung - wenn auch in geringerer Höhe - am 02.07.2019 fällig war und eine Mahnung wegen Ziffer 3.4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Zedentin nicht erforderlich war.
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Die Klägerin hat außerdem einen Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Mahnkosten in Höhe von 12,50 €, 5,00 € Auskunfts- und 72,00 € Inkassokosten aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB. Diese Kosten sind ebenfalls als Verzugsschaden entstanden, da der Beklagte trotz Fälligkeit am 02.07.2019 keine Zahlung auf die - allerdings in geringerer Höhe - entstandene Forderung der Zedentin leistete. Die geforderten Inkassokosten in Höhe einer 0,65 Geschäftsgebühr sind jedoch lediglich aus dem bestehenden Anspruch in Höhe von 552,39 € zu berechnen. Angefallen sind daher 52,00 € nebst einer Auslagenpauschale von 20,00 €.
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IV. Die Kostenentscheidung basiert auf § 92 ZPO.
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V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.