Inhalt

LG Traunstein, Urteil v. 13.10.2021 – 5 O 3827/20
Titel:

Kein Schadensersatz wegen Betreibens der Immobiliarzwangsvollstreckung trotz Suizidalität des Schuldners

Normenketten:
BGB § 241
ZPO § 765a
ZVG § 86
Leitsatz:
Der Betreiber der Zwangsvollstreckung macht sich nicht schadensersatzpflichtig, wenn diese durchgeführt wird, obwohl ein Gutachter dem Schuldner Suizidalität bescheinigt hat, denn die Entscheidung über die Durchführung des Vollstreckungsverfahrens obliegt dem Gericht. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsvollstreckung, Schadensersatz, Pflichtverletzung, Darlehensgeber, Suizidalität, Vollstreckungsschutzantrag
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 23.03.2022 – 5 U 8161/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.09.2022 – XI ZB 14/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 49067

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht aufgrund der durchgeführten Zwangsversteigerung ihrer Immobilie Schadensersatzansprüche geltend wegen eines angeblichen Verstoßes der Beklagten gegen die Pflicht zur bestmöglichen Verwertung des Sicherungsgutes.
2
Die Parteien haben am 24.06.2003 einen Darlehensvertrag unter der Konto-Nr.  über den Nettodarlehensbetrag von 300.000 € zur Umfinanzierung von Verbindlichkeiten bei der  vereinbart.
3
In dem Darlehensvertrag wurde unter Ziffer 2 folgendes vereinbart: Die Rückzahlung erfolgt durch den Verkauf des Einfamilienwohnhauses in . Eine Umstellung des Darlehens in ein Tilgungsdarlehen ist möglich. Unter Ziffer 1.7. wurde vereinbart, dass das Darlehen zum 30.06.2008 zurückzuzahlen sei.
4
Die Absicherung des Darlehens erfolgte durch die Übertragung einer Buchgrundschuld in Höhe von DM 220.000 auf dem Grundstück g auf die Beklagte, die ursprünglich zur Finanzierung des Kaufs dieser Immobilie für die  errichtet wurde.
5
Auf Wunsch der Klägerin wurde dieses Darlehen sodann am 04.01.2006 in ein Festdarlehen umgewandelt, welches am 30.06.2010 zur Rückzahlung fällig war, ohne dass es einer Kündigung bedurft hätte.
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Weiter wurde der Klägerin am 23.06.2005 für das Girokonto Nr. ein Kontokorrentkredit in Höhe von 30.000 € eingeräumt, der am 03.02.2009 auf 100.000 € erhöht wurde. Auch dieser Kredit war bis spätestens 30.06.2010 zurückzuzahlen. Zum Fälligkeitsdatum, dem 30.06.2010, erfolgte jedoch keine Rückzahlung der Beträge.
7
Nachdem ein freihändiger Verkauf der Immobilie zur Rückführung der Verbindlichkeiten durch die Klägerin sodann nicht erfolgen konnte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 11.12.2012 die Girokontovereinbarung und forderte die Klägerin auf, die offenen Sollstände sowohl des Girokontos als auch des Darlehens bis spätestens 30.06.2013 zurückzuzahlen.
8
Nachdem bis zum 30.06.2013 die Verbindlichkeiten erneut nicht beglichen wurden, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 10.07.2013 der Klägerin mit, dass ihr ein weiteres Zuwarten nicht mehr zumutbar sei und kündigte gerichtliche Verwertungsmaßnahmen an.
9
Schließlich wurde die besagte Immobilie versteigert und am 27.10.2017 wurde der Zuschlag erteilt, wobei ein Versteigerungserlös in Höhe von 475.000 € erzielt werden konnte.
10
Die Klägerin führt an, die Beklagte habe sich gemäß § 241 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig gemacht, da sie eine Schutzpflicht verletzt habe. So hätte bei einem freihändigen Verkauf der 5 O 3827/20 - Seite 3 - Immobilie ein Mindestbetrag von 600.000 € erzielt werden können. Die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen durch aktive und kooperative Förderung zur Erzielung des bestmöglichen Verkaufserlöses beizutragen.
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Eine besonders schwere Verletzung der Schutzpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB sei auch dadurch zustande gekommen, dass die Beklagte trotz der seitens des Psychiaters Dr. med.  erfolgten Begutachtung und der eindeutigen Einschätzung einer hohen Gefahr einer Suizidalität des Herrn H. im Falle einer Zwangsräumung die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens durchgesetzt habe.
12
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 250.000 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
14
Die Beklagte trägt vor, sie habe alles getan, um der Klägerin einen freihändigen Verkauf zu ermöglichen und habe vielfach signalisiert, vorläufig still zu halten und keine Zwangsversteigerungsmaßnahmen einzuleiten.
15
Dies sei im steten Glauben geschehen, die Eheleute  seien redlich bemüht, die Immobilie zu veräußern. Erst nach einem Zuwarten von insgesamt zweieinhalb Jahren sei im Dezember 2012 der Klägerin mitgeteilt worden, ein weiteres Zuwarten sei nun nicht mehr möglich.
16
Trotzdem wurde der Klägerin nochmals Zeit gegeben, die Verbindlichkeiten bis spätestens 30.06.2013 zurückzuzahlen.
17
Eine Pflichtverletzung der Beklagten sei somit nicht ersichtlich, insbesondere wurde ein freihändiger Verkauf von der Beklagten keineswegs hintertrieben.
18
Im Übrigen habe die Beklagte es nicht übernommen, die Immobilie der Klägerin zu verkaufen, da insoweit gar kein Auftrag vorgelegen habe. Auch die Einleitung der gerichtlichen Verwertung sei ohne weiteres zulässig und per se keine Pflichtverletzung.
19
Selbst wenn der Vortrag der Klägerseite zutreffen sollte, dass eine Zwangsversteigerung aufgrund der Suizidalität von Herrn  nicht hätte durchgeführt werden dürfen, so würden sich hieraus keine Rechte gegen die Beklagte herleiten sondern allenfalls gegen den Staat.
20
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

21
Die zulässige Klage ist unbegründet.
22
I. Die zulässige Klage ist unbegründet, da die Klägerin eine Pflichtverletzung seitens der Beklagten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB nicht nachweisen kann.
23
Ein Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur bestmöglichen Verwertung des Sicherungsgutes kann in bestimmten Fällen zwar grundsätzlich gegeben sein, nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ist dies aber hier nicht der Fall.
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1. Ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte ergibt sich nicht daraus, dass die Beklagte angeblich pflichtwidrig einen freihändigen Verkauf der Immobilie verhindert bzw. zumindest nicht gefördert hat.
25
a) Es ist zwar zutreffend, dass der Sicherungsnehmer, der die Verwertung des Sicherungsguts betreibt, die berechtigten Belange des Sicherungsgebers in angemessener und zumutbarer Weise zu berücksichtigen hat und er deshalb bestrebt sein muss, das bestmögliche Verwertungsergebnis zu erzielen (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.1999 - XI ZR 280/98). Dem Sicherungsnehmer muss grundsätzlich die Möglichkeit gegeben werden, die Verwertung des Sicherungsguts durch einen freihändigen Verkauf abzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 01.03.1962 - II ZR 70/609).
26
Der Sicherungsnehmer ist somit gehalten, eine vom Sicherungsgeber nachgewiesene günstige Verwertungsmöglichkeiten sorgfältig zu prüfen und diese auszunutzen (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.1999 - XI ZR 280/98).
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Allerdings ist gleichfalls festzuhalten, dass es grundsätzlich Sache des Sicherungsgebers ist, mit potentiellen Interessenten die erforderlichen Verhandlungen zu führen, einen Kaufvertrag mit gesicherter Finanzierung vorzubereiten und dann den Sicherungsnehmer zur Mitwirkung an diesem Vertrag aufzufordern (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.1999 - XI ZR 280/98; BGH, Urteil vom 24.06.1997 - XI ZR 178/96).
28
Würde der Sicherungsnehmer an dem Zustandekommen eines solchen Vertrags sodann nicht mitwirken und ihn vielmehr hintertreiben, käme ein Schadensersatzanspruch gegen den Sicherungsnehmer in Betracht.
29
b) Im hiesigen Fall konnte die Klägerin aber bereits keinen konkreten Käufer der Immobilie benennen, der die Immobilie zu einem bestimmten Kaufpreis definitiv gekauft hätte und dessen Kauf die Beklagte aktiv verhindert hätte. Vielmehr ist es gerade so, dass es im Jahr 2015 einen Interessenten gegeben hätte, der 520.000 € für den Kauf der Immobilie gezahlt hätte und der nicht etwa aufgrund eines Dazwischentretens der Beklagten von dem Kauf der Immobilie abgehalten wurde, sondern vielmehr - nach dem eigenen Vortrag der Klägerseite - aufgrund der Tatsache, dass er den Kaufpreis nicht finanzieren konnte.
30
Allein hieraus ergibt sich, dass nicht etwa die Beklagte den Verkauf der Immobilie aktiv verhinderte, sondern dass schlicht kein Käufer für die Immobilie gefunden werden konnte.
31
Unerheblich ist hierbei, ob die Beklagte sich aktiv an dem Verkauf der Immobilie beteiligt und diesen gefördert hat. Denn der Verkauf der Immobilie ist grundsätzlich Sache des Eigentümers, also der Klägerseite.
32
Im Übrigen gibt die Beklagte plausibel und glaubhaft an, sie sei von der Klägerin gar nicht beauftragt worden, die Immobilie zu verkaufen.
33
Dass dies anders gewesen sein soll und die Beklagte von der Klägerin zum Verkauf der Immobilie beauftragt worden sei, wird seitens der Klägerin schon gar nicht substantiiert vorgetragen und konnte erst recht nicht nachgewiesen werden.
34
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Beklagte unstreitig der Klägerin nach dem Fälligwerden der Forderungen am 30.06.2010 noch insgesamt bis 30.06.2013 - also drei Jahre - Zeit gegeben hat, die Immobilie freihändig zu verkaufen. Erst danach wurden gerichtliche Verwertungsmaßnahmen angekündigt und sodann betrieben.
35
Die Gewährung eines solch langen Zeitraums für die Verwertung einer Immobilie ist mit Sicherheit mehr als angemessen, das Interesse des Sicherungsgebers zu wahren, das Sicherungsgut bestmöglich zu verwerten, da natürlich auch die Belange des Sicherungsnehmers, finanziell in absehbarer Zeit befriedigt zu werden, berücksichtigt werden müssen.
36
Da auch ein aktives Hintertreiben eines freihändigen Verkaufs der Immobilie durch den Sicherungsnehmer nicht vorliegt, liegt eine Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 BGB nicht vor.
37
2. Ein Anspruch auf Schadensersatz ergibt sich des Weiteren nicht aufgrund der Einleitung der Zwangsvollstreckung.
38
Selbst wenn man unterstellen würde, dass das Gutachten des Sachverständigen  in Abweichung zu dem Gutachten des Herrn Dr.  unzutreffend eine fehlende Suizidalität festgestellt hätte, läge darin keine Pflichtverletzung der Beklagten.
39
Die Durchführung eines Zwangsvollstreckungsverfahrens und die Entscheidung über Vollstreckungsschutzanträge im Rahmen von § 765a ZPO in Verbindung mit § 86 ZVG und die dazu gegebenenfalls erforderliche Einholung von Sachverständigengutachten obliegt alleine dem Gericht. Pflichtverletzungen von Darlehensverträgen durch die Beklagte können sich daraus jedenfalls nicht ergeben.
40
II. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten des Verfahrens ergibt sich aus § 91 ZPO.
41
III. Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.