Titel:
Bescheid, Leistungen, Altersrente, Versicherungspflicht, Erkrankung, Pflegeversicherung, Unfallversicherung, Regelaltersrente, Anerkennung, Gesundheitszustand, Ablehnung, Widerspruch, Neufeststellung, Betreuung
Schlagworte:
Bescheid, Leistungen, Altersrente, Versicherungspflicht, Erkrankung, Pflegeversicherung, Unfallversicherung, Regelaltersrente, Anerkennung, Gesundheitszustand, Ablehnung, Widerspruch, Neufeststellung, Betreuung
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Beschluss vom 20.09.2021 – L 13 R 252/21
BSG Kassel, Beschluss vom 28.02.2022 – B 5 R 287/21 B
Fundstelle:
BeckRS 2021, 48973
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich mit der vorliegenden Klage gegen die Ablehnung der Anerkennung von Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege seines Sohnes M. für die Zeit ab 01.01.2000 und begehrt die Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung dieser Kinderpflegezeiten.
2
Im Rahmen der Beantragung von Altersrente machte der Kläger für die Jahre 2000 bis 2003 Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege seines am 21.10.1991 geborenen Sohnes M. geltend. Dabei legte er die Geburtsurkunde des Sohnes, den Schwerbehindertenausweis und den Bescheid über die Feststellung eines GdB von 50 vom 13.05.2014 vor. Der Sohn leide seit seiner Geburt am Asperger-Syndrom, nach der Trennung von seiner Ehefrau habe er den Sohn ab Januar 2000 bis Ende des Jahres 2004 betreut. Am 10.07.2017 gab der Kläger weiter an, die wirtschaftliche Versorgung und Körperpflege von M. in dieser Zeit in einem Umfang von fünf Stunden täglich verrichtet zu haben.
3
Mit Bescheid vom 20.07.2017 wurde dem Kläger eine Regelaltersrente für die Zeit ab dem 01.06.2017 bewilligt.
4
Mit Schreiben vom 27.07.2017, 07.09.2017 und 05.02.2018 forderte die Beklagte den Kläger auf, aktuelle ärztliche Befunde über den Gesundheitszustand des Sohnes M. vorzulegen.
5
Die Anerkennung von Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege wurde mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 09.04.2018 für die Zeit vom 01.01.2000 bis 31.12.2003 abgelehnt, weil der Kläger keinen Nachweis für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen, wöchentlicher Pflegeaufwand von mindestens 14 Stunden, vorgelegt habe.
6
Dagegen legte der Kläger am 11.05.2018 Widerspruch ein. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte er eine Stellungnahme der Frau Dr. R. vom I. A.-Klinikum D. vom 23.08.2018 vor, wonach beim Sohn M. ein dringender Verdacht auf Autismusspektrumstörung, Zwangserkrankung, phobische Störung mit sozialer Phobie und Höhenphobie bestünde. M. habe sich bereits in der Kindheit zurückgezogen. Seit der Kindheit bestünden feinmotorische Störungen, die eine ergotherapeutische Behandlung erforderlich machten. Mit 15 Jahren sei eine deutliche Akzentuierung der Probleme mit Verhaltensauffälligkeiten aufgetreten. Aufgrund der Diagnose Autismusspektrumsstörung und der sich daraus ableitenden Probleme und Symptome sei von einem Vollbild der Erkrankung auch im bezeichneten Zeitraum 2010 bis 2013 auszugehen. Krankheitsbedingt habe M. intensiv zu Hause betreut werden müssen, der Vater habe diese Betreuung übernommen, so dass Pflegezeiten erforderlich geworden seien.
7
Mit Schreiben vom 19.09.2018 wurde der Kläger aufgefordert, einen Bescheid über die Pflegebedürftigkeit seines Sohnes und deren Dauer vorzulegen. Die vorgelegten Befunde für die Zeit von 2010 bis 2013 seien nicht maßgeblich, weil sich Kinderpflegezeiten bis maximal zur Vollendung des 18. Lebensjahres auswirken könnten.
8
Am 22.01.2019 und 12.02.2019 wurde der Kläger wiederum erfolglos aufgefordert, ein Pflegegutachten aus dem Zeitraum 2000 bis 2003 vorzulegen.
9
Mit Bescheid der Beklagten vom 18.03.2019 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Nach Erhalt neuer Beweismittel könnte die Kinderpflegezeit nochmals geltend gemacht werden.
10
Dagegen erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 23.04.2019 die vorliegende Klage. Dem Kläger stünden seit mindestens 2001 Rentenversicherungszeiten für die Pflegetätigkeit zu Gunsten des Sohnes zu. In dieser Zeit sei der Kläger gehindert gewesen, einer anderen Tätigkeit nachzugehen. Die vorgelegten Unterlagen und Argumentationen seien von der Beklagten nicht berücksichtigt worden.
11
Der Prozessbevollmächtigte beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2019 zu verpflichten, für den Zeitraum 01.01.2000 bis 31.12.2003 die Versicherungspflicht für Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege des pflegebedürftigen Sohnes M. anzuerkennen und festzustellen.
12
Der Beklagtenvertreter beantragt,
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie auf die gerichtliche Verfahrensakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
14
Die zulässige Klage ist unbegründet.
15
Der Bescheid der Beklagten vom 09.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung weiterer Versicherungszeiten wegen der Pflege seines Sohnes.
16
Der Gesetzgeber hat mit Wirkung vom 01. April 1995 durch das Pflegeversicherungsgesetz eine Versicherungspflicht von nichterwerbstätigen Pflegepersonen eingeführt. So sind ab diesem Zeitpunkt gemäß § 3 S. 1 Nr. 1 a SGB VI Personen versicherungspflichtig in der Zeit, in der sie einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) nicht erwerbsmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegen, wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung hat. In der geänderten, seit dem Jahr 2012 geltenden, Neufassung bedarf es der Pflege einer Person mit mindestens Pflegegrad 2 und eines Pflegeaufwandes von mindestens 10 Wochenstunden.
17
Vorliegend hat der Kläger zwar angegeben, seinen Sohn in der Zeit ab dem Jahr 2000 aufgrund dessen Erkrankungen über das normale Maß der Kindererziehung hinaus betreut zu haben.
18
Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Beitragszeit ist jedoch gemäß § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI, dass die Pflegebedürftigkeit festgestellt worden ist, sei es durch einen Pflegeleistungsanspruch aus der sozialen oder privaten Pflegeversicherung oder nach anderen Vorschriften, wie etwa der Unfallversicherung, des Sozialhilfeträgers oder der Kriegsopferfürsorge. Ein Pflegeleistungsanspruch hätte folglich dem Grunde nach bestehen müssen.
19
Der Sohn hatte unstreitig während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraumes keinen Anspruch auf Pflegeleistungen.
20
Der Kläger gab, nachdem er bereits im schriftlichen Verfahren trotz Aufforderung keine Nachweise zur Pflegebedürftigkeit vorgelegt hatte, in der mündlichen Verhandlung am 01.03.2021 an, dass zu keiner Zeit ein Anspruch auf Pflegeleistungen für seinen Sohn geltend gemacht worden seien.
21
Im Übrigen konnte der Kläger auch nicht nachweisen, seinen Sohn tatsächlich krankheits- bzw. behinderungsbedingt in einem zeitlichen Umfang von mindestens 14 Stunden wöchentlich gepflegt zu haben. Der Kläger selbst erklärte, dass sein Sohn altersentsprechend sich selbst habe an- und auskleiden, Nahrung zu sich nehmen oder sich allein körperlich pflegen können. Er habe nur über das normale Maß hinaus beaufsichtigt, angeleitet und motiviert werden müssen.
22
Im streitgegenständlichen Zeitraum der Jahre 2000 bis 2003 war der Sohn 9 bis 12 Jahre alt, so dass ohnehin noch eine vollumfassende Aufsicht und Betreuung erforderlich gewesen ist und damit kein krankheitsbedingter Mehraufwand, jedenfalls nicht im Umfang von mindestens 14 Stunden festgestellt werden kann. Sicherlich hatte der Kläger aufgrund der sich damals bereits abzeichnenden Erkrankungen einen größeren Betreuungsaufwand, als Erziehende eines psychisch gesunden Kindes. Es liegen dennoch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesundheitszustand des Sohnes in den Jahren 2000 bis 2003 einen Pflegeaufwand von 14 Stunden und mehr wöchentlich erforderlich machte.
23
Auf eine Entscheidung, ob bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß § 3 S. 1 SGB VI der Begriff der Pflege in einem ganzheitlichen Sinne aufzufassen und bei der Ermittlung der Mindeststundenzahl neben der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung auch die Zeit der ergänzenden Pflege und Betreuung mit zu rechnen ist, kommt es mangels Nachweises eines solchen erheblichen, weiteren Aufwandes und ohnehin bereits aufgrund des fehlenden Anspruchs auf Pflegeleistungen im vorliegenden Fall nicht an. In Rechtsprechung und Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass auch der zeitliche Aufwand für familiäre Pflege und Betreuung zu berücksichtigen sei, der nicht aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert werde. Dazu zählte z.B. die Zeit, die die Pflegeperson für die notwendige Beförderung bzw. Begleitung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Schule und zurück zur Wohnung aufwendet.
24
Auch die ärztliche Stellungnahme der Frau Dr. R. vom I. A. - Klinikum D. vom 23.08.2018 bringt keinen weiteren Aufschluss über die hier streitgegenständliche Zeit. Sie beschreibt allein die Entwicklung der psychischen Erkrankung seit der Kindheit des Sohnes und bestätigt das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit in den Jahren 2010 bis 2013.
25
Selbst wenn in diesem ärztlichen Attest versehentlich falsche Jahreszahlen angegeben worden sein sollten (2010 bis 2013 anstatt 2000 bis 2003) und der Kläger nunmehr noch den Nachweis eines entsprechend hohen Pflegeaufwandes rückwirkend erbringen könnte, ergebe sich dennoch kein Anspruch auf Versicherungspflicht. Denn Beiträge, die trotz Versicherungspflicht nicht durch die Pflegekasse gezahlt worden sind, unterliegen der vierjährigen Verjährung gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV). Anhaltspunkte, dass die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind, § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV, und eine dreißigjährige Verjährung eintritt, liegen nicht vor.
26
Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die Voraussetzungen des § 3 S. 1 Nr. 1a SGB VI in seiner bis zum Jahr 2012 geltenden Fassung sind nicht erfüllt, weil keine Pflegebedürftigkeit des Sohnes festgestellt wurde und er im maßgeblichen Zeitraum keinen Anspruch auf Pflegeleistungen hatte.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).