Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 17.11.2021 – AN 17 K 20.01574
Titel:

keine Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit

Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2
BV Art. 11 Abs. 2
GG Art. 28 Abs. 2
BauGB § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 67, Art. 71
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 1
Leitsätze:
1. Der in einem bestandskräftigen Vorbescheid entschiedene Teil der Baugenehmigung ist im späteren Baugenehmigungsverfahren nicht mehr von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfen, denn der Vorbescheid entscheidet über das, was Gegenstand der Prüfung im Vorbescheidsverfahren war, abschließend.  (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein bestandskräftiger Vorbescheid vermittelt dem Bauherrn für den abschließend vorweg entschiedenen Teil der Baugenehmigung die gleiche gesicherte begünstigende Rechtsstellung wie die Baugenehmigung selbst. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird ein Vorhaben derart verändert, dass es in rechtserheblicher Weise von den entschiedenen Punkten abweicht und die Genehmigungsfrage neu aufwirft, entfällt die Bindungswirkung des Vorbescheids. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines Vorbescheids ergibt sich aus den im Vorbescheidsantrag gestellten Fragen und den diesem Antrag zugrundeliegenden Plänen; nur die im Vorbescheid ausdrücklich im Sinne einer positiven Bescheidung einzelner Fragen geklärten Aspekte der Bauvoranfrage nehmen an der Bindungswirkung des Vorbescheides teil.  (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klagebefugnis der Gemeinde im Hinblick auf eine mögliche Verletzung von Vorgaben des Bebauungsplanes und der gemeindlichen Stellplatzsatzung, Zulässigkeit einer weiteren Wohnbebauung seiner Art nach in einem festgesetzten Mischgebiet, Bindungswirkung eines Vorbescheids gegenüber der Gemeinde, im Vergleich zum Vorbescheid verändertes Bauvorhaben im Baugenehmigungsverfahren, notwendige Anzahl an Stellplätzen und Fahrradstellplätzen nach gemeindlicher Stellplatzsatzung, Klagebefugnis der Gemeinde, Bebauungsplan, Planungshoheit, Vorbescheid, Bindungswirkung, Stellplatzsatzung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 48707

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.  Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für die Errichtung einer Wohnanlage mit elf Wohneinheiten und Tiefgarage.
2
Die Fa. … beantragte mit Bauantrag vom 28. Februar 2018 den Erlass eines Vorbescheides bezüglich der Errichtung zweier Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage, Gebäudeklasse nach Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BayBO, auf dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück FlNr. …, Gemarkung … (Vorhabengrundstück). Gemäß dem beigefügten Beiblatt zum Antrag auf Vorbescheid wurde um Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens gebeten. Das Vorhabengrundstück befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. … „…“ - 1. Änderung - der Klägerin, einer kreisangehörigen Gemeinde im Landkreis … Im fraglichen Bereich ist ein Mischgebiet festgesetzt. Die Klägerin verweigerte mit Schreiben vom 20. April 2018 aufgrund des zugrundeliegenden Beschlusses vom 18. April 2018 ihr gemeindliches Einvernehmen, da das Vorhaben nicht den Festsetzungen des zugrundeliegenden Bebauungsplanes …, 1. Änderung, entspreche. Nachdem der Beklagte zunächst noch von einer fehlenden Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ausging, kam er nachfolgend, nach erneuter Prüfung, zu einer bauplanungsrechtlichen Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens.
3
Nach erfolgter Anhörung der Klägerin zur geplanten Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erließ der Beklagte den Bescheid vom 18. Dezember 2018 (Vorbescheid) unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens. Nach dessen Tenor wird auf Antrag des Bauwerbers vom 28. Februar 2018 festgestellt, dass das Bauvorhaben unter den genannten Bedingungen und Auflagen hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit grundsätzlich genehmigungsfähig sei. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 BauGB erfüllt seien. Im festgesetzten Mischgebiet sei auch nach Genehmigung des beantragten Vorhabens eine ausgewogene Durchmischung möglich. Ob dies der Fall sei, lasse sich nicht allein nach den Anteilen der Grundfläche der jeweiligen Nutzungsart bestimmen. Erforderlich sei eine Bewertung aller für eine quantitative Beurteilung infrage kommenden tatsächlichen Umstände. Die quantitative Grenze müsse dabei unter der Grenze der Funktionslosigkeit liegen. Die Funktionslosigkeit einer Mischgebietsfestsetzung sei bei einer Dominanz von mehr als 80% durch eine Hauptnutzungsart anzunehmen. Innerhalb des Mischgebiets finde sich derzeit ausschließlich Wohnbebauung. Es seien die vorhandenen Grund- und Geschossflächen ermittelt und die noch mögliche gewerbliche Bebauung des Grundstückes FlNr. … sowie in Teilbereichen der Grundstücke FlNrn. … und … gegenübergestellt worden. Welche Gewerbebetriebe im Einzelnen möglich wären, müsste geprüft werden. Zwar seien die verbliebenen Grundstücke für Gewerbe mit viel Fahrverkehr oder hohem Lärmaufkommen möglicherweise ungeeignet, jedoch seien beispielsweise Büronutzungen in großem Umfang möglich. Innerhalb des Mischgebietes ergebe sich (ohne öffentliche Verkehrsflächen) eine Grundstücksfläche von ca. 11.400 m2. Bei Berücksichtigung der Baugrenzen und der festgesetzten Grundflächenzahl komme man auf ca. 6.200 m2 bebaubare Fläche. Derzeit erreiche man mit Haupt- und Nebengebäuden sowie den Zugängen einschließlich der geplanten Mehrfamilienhäuser eine bebaute Fläche von ca. 2.900 m2. Demnach seien 3.300 m2 noch bebaubar. Da jedoch objektiv betrachtet nur die FlNrn. …, … und … sinnvoll bebaubar seien, würden nur diese Grundstücke gegenübergestellt. Unter Beachtung von Grundflächenzahl und Baugrenzen ergebe sich dort eine bebaubare Fläche von ca. 1.300 m2. Unter Berücksichtigung der einzuhaltenden Abstandsflächen (wobei hier bei den FlNrn. … und … auf die Abstandsfläche zwischen den Grundstücken nicht eingegangen worden sei, weil beide Grundstücke dem gleichen Eigentümer gehören würden und die Grenze somit überbaut werden könne) ergebe sich bei den drei verbliebenen Grundstücken eine noch bebaubare Grundfläche von ca. 800 m2. Bei einer Betrachtung der Grundflächen ergebe sich aufgrund der derzeit mit Wohnbebauung bebauten Flächen und unter Einrechnung der Mehrfamilienhäuser (ca. 2.900 m2) noch eine Durchmischung mit ca. 28% (gemeint wohl: 22%) Gewerbeanteil und ca. 72% (gemeint wohl: 78%) Wohnbebauung.
4
Wie aus der Geschossflächenberechnung ersichtlich, sei die mögliche Geschossfläche auf allen Grundstücken nicht ausgenutzt worden. Im Baugebiet sei, bezogenen auf die vorhandenen Grundstücksflächen (ca. 11.400 m2) eine Geschossfläche von ca. 13.680 m2 möglich. Tatsächlich ergebe sich eine vorhandene Geschossfläche von ca. 5.770 m2, so dass rechnerisch noch 7.910 m2 möglich wären. Allerdings würden auch hier (analog der Grundflächenberechnung) nur noch die FlNrn. … und … sowie … betrachtet und erforderliche Abstandsflächen einbezogen. Auf der FlNr. … sei noch eine gewerbliche Geschossfläche von 450 m2, bei den FlNrn. …, … noch 1.560 m2 möglich. Insgesamt sei daher noch eine gewerbliche Geschossfläche von 2.010 m2 möglich. Bei einer Geschossflächenbetrachtung des Mischgebietes ergebe sich somit bei einer Gegenüberstellung der vorhandenen Gesamtgeschossfläche mit Wohnnutzung von 5.770 m2 und einer möglichen gewerblichen Geschossfläche von ca. 2.010 m2 eine Durchmischung von ca. 26% Gewerbenutzung und 74% Wohnnutzung. Die Klägerin legte gegen den ihr zugestellten Vorbescheid vom 18. Dezember 2018 keine Rechtsmittel ein und teilte dem Beklagten dies mit Schreiben vom 23. Januar 2019 auch mit.
5
Mit Bauantrag vom 28. Januar 2020 beantragte die Beigeladene (welche nicht Eigentümerin des Vorhabengrundstückes ist) eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Wohnanlage (elf Wohneinheiten) mit Tiefgarage auf dem Vorhabengrundstück. Laut beiliegender Baubeschreibung handelt es sich bei dem Vorhaben um die Gebäudeklasse 5 und einer Wohnfläche von 870,48 m2. Die Grundstückfläche wird mit 1.698,40 m2 angegeben. Von einer Nachbarbeteiligung solle abgesehen werden. Die Klägerin verweigerte mit Schreiben vom 12. März 2020 aufgrund des Beschlusses vom 11. März 2020 ihr gemeindliches Einvernehmen zu dem beantragten Vorhaben.
6
Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 3. Juni 2020 mit, dass das Vorhaben genehmigungsfähig sei. Es sei beabsichtigt, das gemeindliche Einvernehmen ggf. zu ersetzen, weshalb Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werde. Das nun beantragte Bauvorhaben unterscheide sich optisch und größenmäßig grundsätzlich von den Skizzen der Bauvoranfrage. Aus den Berechnungen der Grund- und Geschossflächen sei aber nun ein geringfügig kleineres Gebäude geplant als das Gebäude, welches für die Betrachtung beim Vorbescheid herangezogen worden sei. Da es beim Vorbescheid im Wesentlichen um das Kippen des Gebietstyps „MI“ zu einem „WA“ gegangen sei, führe das verkleinerte Bauvorhaben ebenfalls zu keiner Gebietsveränderung, so dass der Gebietstyp „MI“ weiterhin möglich bleibe.
7
Die Klägerin verweigerte weiterhin ihr gemeindliches Einvernehmen mit Schreiben vom 25. Juni 2020, da der Einschätzung des Beklagten zur Wahrung des Mischgebietscharakters nicht gefolgt werde. Überdies würden auch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nicht eingehalten. Gemäß Ziff. 1.8.2 des maßgeblichen Bebauungsplanes sei das Auffangen der anfallenden Oberflächenabwässer in einer Zisterne oder in einem Gartenteich festgesetzt. Eine entsprechende Darstellung fehle in den Antragsunterlagen. Eine Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens scheide daher aus, da das Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht entspreche.
8
Mit Bescheid vom 20. Juli 2020 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. In den Gründen des Bescheides wurde ausgeführt, dass sich das Baugrundstück im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. … „…“ - 1. Änderung der Klägerin befinde. Das Bauvorhaben könne daher trotz verweigerten Einvernehmens, das damit begründet worden sei, dass die Wahrung des Mischgebietscharakters nach der Realisierung des Vorhabens nicht mehr möglich sei, genehmigt werden. Im Bereich des Bauvorhabens werde als Art der Nutzung ein Mischgebiet nach § 6 BauNVO festgesetzt. Das geplante Mehrfamilienhaus sei im Mischgebiet gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO seien die allgemein zulässigen Nutzungsarten im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprächen. Dies sei hier nicht der Fall, was bereits im Vorbescheid, hinsichtlich dessen das gemeindliche Einvernehmen mit derselben Begründung verweigert worden sei, umfänglich begründet worden sei. Zwar unterscheide sich das Vorhaben optisch und größenmäßig von den Skizzen der Bauvoranfrage, jedoch sei nunmehr ein geringfügig kleineres Gebäude beantragt, so dass auch das nunmehr beantragte Bauvorhaben nicht zu einer Gebietsveränderung führe. Der Gebietstyp „MI“ sei weiterhin möglich. Hinsichtlich der erforderlichen Zisterne (Ziffer … des Bebauungsplanes) sei vom Bauherrn nun in den Plänen eine Zisterne dargestellt worden. Das Vorhaben könne trotz verweigerten Einvernehmens der Gemeinde genehmigt werden. Das gemeindliche Einvernehmen sei im vorliegenden Fall nach § 36 BauGB nicht erforderlich, da das Bauvorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes nach § 30 Abs. 1 BauGB zur Ausführung komme und den Festsetzungen des Bebauungsplanes entspreche. Ausnahmen oder Befreiungen würden nicht erteilt.
9
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 14. August 2020 erhob die Klägerin Klage bei dem Verwaltungsgericht Ansbach, eingegangen am selben Tag, gegen den Bescheid vom 20. Juli 2020 (AN 17 K 20.01574) und beantragte dessen Aufhebung. Mit weiterem Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10. März 2021, eingegangen am selben Tag, wurde ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gestellt, den das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 18. Juni 2021 (AN 17 S 21.00427) ablehnte.
10
Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass entgegen der Annahme des Beklagten der Anteil der Geschossflächen der Wohnnutzung an der Gesamtgeschossfläche nach Realisierung des Bauvorhabens bereits mehr als 80% ausmache. Bei der eigenen Berechnung seien die Geschossflächen der vorhandenen Wohngebäude sowie der Nebengebäude anhand der eingereichten Baupläne sowie des Geoinformationssystems berechnet worden. Berücksichtigt worden seien zudem die bislang unbebauten Grundstücke. Die Berechnungen des Beklagten seien fehlerhaft. So seien bereits errichtete Nebengebäude auf den Grundstücken …, … (zwei Nebengebäude), … sowie auf der FlNr. … nicht berücksichtigt worden. Zudem werde bei der Flächenberechnung zur FlNr. … eine Geschossfläche von 450 m2 zugrunde gelegt. Im Rahmen eines Bauantragsverfahrens bezogen auf dieses Grundstück für ein Vorhaben mit einer beantragten Geschossfläche von 249,97 m2 sei dieses vom Landratsamt unter Verweis auf die Mischgebietsunverträglichkeit abgelehnt worden. Bei der Berechnung des Landratsamtes fehle zudem, ob und in welchem Umfang eine gewerbliche Nutzung überhaupt noch realisiert werden könne. Gerade die FlNrn. … und … seien nicht in dem vom Landratsamt zugrunde gelegten Maß bebaubar. Vielmehr seien erforderliche Abstandsflächen, auch im Hinblick auf ein Heranrücken der gewerblichen Nutzung an die bereits bestehenden Wohngebäude, zu berücksichtigen. Auch beim Grundstück FlNr. … sei zu berücksichtigen, dass das Grundstück von Wohnbebauung umgeben sei. Ebenso sei die Grundflächenberechnung von 11.400 m2 falsch. Die Addition der im Mischgebiet befindlichen Flächen ergebe eine Gesamtfläche von 11.612 m2. Abzuziehen sei ein Anteil des Grundstücks FlNr. …, der sich bereits im Geltungsbereich des Industriegebietes befinde (300 m2) und der im Bebauungsplan auf dem gleichen Grundstück dargestellte Privatweg mit einer Fläche von 130 m2. Es bleibe daher eine Grundstücksfläche von 11.182 m2.
11
Die Klägerin sei durch die streitgegenständliche Baugenehmigung in eigenen Rechten, insbesondere in ihrer Planungshoheit verletzt. Die planerische Grundkonzeption, die Ausweisung des maßgeblichen Gebiets im Bebauungsplan als Mischgebiet, werde durch die erteilte Baugenehmigung vereitelt, da das ausgewiesene Mischgebiet damit in ein Wohngebiet „umkippe“. Mischgebiete würden dem Wohnen und der Unterbringung von nicht störenden Gewerbebetrieben dienen. Eine Durchmischung zu gleichen Teilen sei nicht nötig. Es werde angenommen, dass die Funktionslosigkeit der Festsetzung „Mischgebiet“ erst bei einer Dominanz von mehr als 80% einer Hauptnutzungsart entstehe. Es seien nicht allein die Anteile der Grundfläche der jeweiligen Nutzungsart entscheidend. Es müsse eine Bewertung aller für eine quantitative Beurteilung in Frage kommenden tatsächlichen Umstände im Einzelfall erfolgen, auch die tatsächliche Realisierbarkeit einer Durchmischung auf Dauer, wobei qualitative Aspekte ebenso zu berücksichtigen seien. Dies habe das Landratsamt nicht berücksichtigt. Es habe fehlerhaft nicht die vorhandene, sondern eine fiktive Gesamtgeschossfläche der Bewertung der Durchmischung des Baugebiets zugrunde gelegt. Die errechneten 6.260 m2 würden die Geschossflächen darstellen, die maximal aufgrund der Vorgaben des Bebauungsplanes errichtet werden könnten. Dem seien eine vorhandene sowie eine mögliche gewerbliche Nutzung gegenüberzustellen, was nach der Berechnung des Landratsamtes 2.410 m2 ergebe. Maßgeblich sei jedoch, inwieweit eine gewerbliche Bebauung überhaupt realisiert werden könne. Ferner sei bei der Beurteilung auch der städtebauliche Wille der Gemeinde zu berücksichtigen. Danach sei eine weitere Wohnbebauung nicht erwünscht, wie sich aus der Begründung zur 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. … implizit ergebe. Durch die Ausweisung unterschiedlicher Gebietstypen des Bebauungsplanes werde deutlich, dass diese zunächst dem Schutz vor Emissionen dienen würden. Es solle grundsätzlich ein Neben- und Miteinander von Wohnen und gewerblicher Nutzung stattfinden. Das Mischgebiet diene als Pufferzone. Im Hinblick auf die bereits vorhandenen gewerblichen Ansiedlungen, insbesondere das Auslieferungslager der … sowie des fleischverarbeitenden Großunternehmens … und die hierdurch hervorgerufenen Emissionen sei im Bereich des ausgewiesenen Mischgebietes ein deutliches Übergewicht an gewerblicher Nutzung gewünscht. Insbesondere auf dem Vorhabengrundstück, das unmittelbar an das ausgewiesene Industriegebiet angrenze, sei eine gewerbliche Nutzung gewünscht. Wie sich aus der Begründung zur 1. Änderung des Bebauungsplanes ergebe, sei die Änderung zur Neuordnung der Wohnbebauung erfolgt, um eine sinnvolle Abstufung zwischen der Wohnbebauung und dem angrenzenden Industriegebiet (Bebauungsplan Nr. …) über die Ausweisung von Mischgebiet, eingeschränktem Gewerbegebiet und Gewerbegebiet festzulegen. Die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens stelle eine massive Verletzung der Planungshoheit der Gemeinde dar.
12
Die Rechtskraft des Vorbescheides stehe dem Begehren nicht entgegen. Das Landratsamt habe mit dem Baugenehmigungsbescheid eine erneute, umfassende Prüfung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens vorgenommen. Die Klägerin sei explizit erneut um Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens, auch im Hinblick auf die Mischgebietsverträglichkeit, gebeten worden. Die Baugenehmigung enthalte daher eigene Feststellungen, die auch angegriffen werden könnten und sei nicht eine bloße redaktionelle Wiedergabe des Inhalts des bestandskräftigen Vorbescheides. Auch sei ein in Größe und Kubatur vom Vorbescheid abweichendes Vorhaben eines anderen Bauherrn genehmigt worden. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung des Vorbescheides beziehe sich nur auf Vorhaben, die inhaltlich dem Vorbescheid vollständig entsprechen oder von diesem ohne Veränderung der Grundkonzeption abweichen. Im Rahmen der Bauvoranfrage seien zwei Mehrfamilienhäuser beantragt worden. Es seien weder die Grund-, noch die Geschoss-, noch die Wohnfläche konkret berechnet worden. Im Vergleich zu dem der Baugenehmigung zugrundeliegenden Bauantragsunterlagen werde deutlich, dass sowohl der Gebäudezuschnitt verändert worden sei als auch nur noch ein Gebäudekomplex beantragt worden sei. Das Maß der baulichen Nutzung weiche von den nur ungefähr angegebenen Maßen im Vorbescheidsverfahren ab. Gerade im Hinblick auf eine weitere mögliche bauliche Nutzung des Baugrundstücks sowie etwaige Auswirkungen auf benachbarte Grundstücke sei insoweit eine Neubewertung des Vorhabens nötig.
13
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, und führte zur Begründung, ergänzend zu Vorbescheid und Baugenehmigung, im Wesentlichen aus, dass die geplanten Mehrfamilienhäuser im festgesetzten Mischgebiet nach ihrer Art zulässig seien. Auch eine Unzulässigkeit aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO läge nicht vor, denn die Errichtung der geplanten Mehrfamilienhäuser würde nicht zu einer Funktionslosigkeit des Mischgebietes führen. Bereits mit Vorbescheid vom 18. Dezember 2018 sei festgestellt worden, dass das damals gegenständliche Vorhaben grundsätzlich genehmigungsfähig sei. Es sei damals um die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit gebeten worden. Das gemeindliche Einvernehmen sei rechtswidrig verweigert und daher gemäß Art. 67 BayBO ersetzt worden. Der Klägerin sei der Vorbescheid zugestellt worden. Diese habe mit Fax vom 23. Januar 2019 mitgeteilt, dass keine Klage gegen den Vorbescheid erhoben werde. Soweit die Klägerin nunmehr die bauplanungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit unter Verweis auf den Gebietscharakter bezweifele, könne sie hiermit nicht mehr gehört werden. Gehe der Erteilung einer Baugenehmigung ein positiver, bestandskräftiger Vorbescheid voraus, so entstünde eine dreijährige Bindungswirkung für die Bauaufsichtsbehörde und die Gemeinde. Innerhalb von drei Jahren müsse ein auf dem Vorbescheid aufbauender Bauantrag gestellt werden, um die Bindungswirkung des Vorbescheides auszulösen. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Vorbescheid sei nicht nötig. Gleichwohl sei hier in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug auf den positiven Vorbescheid genommen worden. Der im Vorbescheid entschiedene Teil sei im späteren Baugenehmigungsverfahren nicht mehr zu prüfen. Die nachfolgende Baugenehmigung übernehme den Inhalt des bestandskräftigen Vorbescheides nur noch nachrichtlich oder als Hinweis, aber ohne eigene, Dritte beschwerende Regelung. Eine Neueröffnung der Prüfung der Mischgebietsverträglichkeit habe nicht stattgefunden. Auch der Umstand, dass die Klägerin angesichts der erneuten Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens angehört worden sei, ändere hieran nichts. Dies sei nur geschehen, weil das Bauvorhaben in seiner endgültigen konkreten Ausgestaltung von den Unterlagen des genehmigten Vorbescheides abwich. Die abweichende Ausführung führe allerdings nicht dazu, dass der Vorbescheid seine Bindungswirkung verloren hätte. Denn das genehmigte Vorhaben entspreche in seinen wesentlichen Merkmalen dem Gegenstand des Vorbescheides. Insbesondere sei nun ein geringfügig kleineres Gebäude geplant.
14
Die nicht nachvollziehbaren Berechnungen der Klägerseite würden auch an handwerklichen Fehlern leiden. Denkbar sei, dass die abweichenden höheren Werte bei den Geschossflächen der Wohngebäude dadurch zustande gekommen seien, dass bei den meisten Gebäuden ein zusätzliches Geschoss angerechnet worden sei. Zudem könnten die Grundstücke FlNrn. …, … und … ohne weiteres mit gewerblichen Nutzungen bebaut werden. So würden z. B. auch emissionsarme Büros oder Läden zu einer gewerblichen Nutzung zählen. Selbst bei Zugrundelegung der fehlerhaften Berechnungen der Klägerseite läge der Anteil der Wohnbebauung nach Durchführung des streitgegenständlichen Vorhabens bei 80%. Die Funktionslosigkeit der Festsetzung als Mischgebiet komme erst bei einer Dominanz von mehr als 80% in Frage. Auch sei sehr wohl der städtebauliche Wille der Klägerin beachtet worden, der in dem Bebauungsplan in seiner aktuell gültigen Fassung wiedergespiegelt werde. Bauplanungsrechtliche Sicherungsinstrumente, z. B. in Form einer Veränderungssperre, seien nicht ergriffen worden.
15
Besondere Abstände, die in einem Mischgebiet aus dem Heranrücken von gewerblichen Betrieben an eine Wohnbebauung resultieren, seien nicht zu berücksichtigen. Sinn und Zweck des Mischgebiets sei ein Nebeneinander von nicht störenden Gewerbebetrieben und Wohnbebauung. Die Einwendung der Klägerseite, dass eine gewerbliche Nutzung auf den freien Flächen per se nicht mehr zulässig sei, sei unsubstantiiert. Die Zulässigkeit von Vorhaben werde im Einzelfall durch das Gebot der Rücksichtnahme bestimmt. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Anteil der gewerblichen Bebauung nach der nun erfolgten Novellierung der BayBO noch größer werden könne als ursprünglich berechnet. Wesentlicher Inhalt der Novelle sei die Verkürzung der Abstandsflächen auf 0,4 H. Der Einwand hinsichtlich der nicht berücksichtigten Nebengebäude gehe fehl, denn diese Flächen seien bereits vollinhaltlich dem Wohnen zugeordnet worden. Der Beklagte habe tatsächlich nur drei Grundstücke betrachtet, bei denen eine sinnvolle gewerbliche Nutzung in Frage komme. Er habe insoweit bereits eine „Worst case-Betrachtung“ angenommen. Tatsächlich seien nur ca. 47% der Grundfläche bzw. ca. 42% der insgesamt im Mischgebiet möglichen Geschossfläche mit Wohnbebauung bebaut.
16
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
17
Es bestünden bereits Zweifel an der Zulässigkeit der Klage. Es sei kein Fall des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB gegeben, da die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 30 Abs. 1 zu beurteilen sei. Dessen ungeachtet sei die Klägerin nicht in ihrer gemeindlichen Planungshoheit verletzt. Das beantragte Mehrfamilienhaus sei in einem Mischgebiet allgemein zulässig und entspreche auch sonst den Vorgaben des Bebauungsplanes. Mit bestandskräftigem Vorbescheid sei die Zulässigkeit des Vorhabens bereits festgestellt worden. Das nun streitgegenständliche Vorhaben solle sogar noch verkleinert werden und könne daher erst recht zu keiner Gebietsveränderung führen.
18
Nach Erlass einer Baueinstellung durch den Beklagten vom 2. August 2021 aufgrund planabweichender Bauausführung stellte die Beigeladene einen Änderungsantrag vom 2. August 2021 zu dem mit Bescheid vom 20. Juli 2020 genehmigten Vorhaben. Laut beiliegender Baubeschreibung handelt es sich bei dem Vorhaben um die Gebäudeklasse 5 und einer Wohnfläche von 870,48 m2. Die Grundstückfläche wird mit 1.698,40 m2 angegeben. Die Klägerin verweigerte mit Schreiben vom 23. September 2021 aufgrund des zugrundeliegenden Beschlusses des Bauausschusses vom 22. September 2021 ihr gemeindliches Einvernehmen zu dem beantragten Vorhaben.
19
Die Klägerbevollmächtigte wies mit Schriftsatz vom 30. September 2021 auf die ergangene Baueinstellung hin. Die Außenmaße des Bauvorhabens seien von bisher 37,05 m x 15 m auf 37,20 m x 15 m verändert worden, wobei die Grundfläche für die geplanten Häuser unverändert bleibe, das Foyer mit Aufzug aber um 0,15 m verbreitert und Fahrradstellplätze abweichend errichtet worden seien. Auch sei die Stellplatzsatzung der Klägerin nicht eingehalten worden. Laut Satzung seien 21 Parkplätze, ein Besucherparkplatz sowie elf Fahrradabstellplätze erforderlich. Nachgewiesen seien nur 20 Stellplätze sowie 20 Fahrradstellplätze.
20
Mit Nachtragsbescheid vom 11. Oktober 2021 zur Baugenehmigung hat der Beklagte der Beigeladenen für die dem genehmigten Bauantrag nachgereichten und mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Nachtragsbauunterlagen vom 2. August 2021 die bauaufsichtliche Genehmigung erteilt. Im Bescheid ist ausgeführt, dass die Auflagen und Hinweise aus den vorherigen Genehmigungen gelten, soweit sie nicht durch den Nachtragsbescheid gegenstandslos geworden sind. Weiter habe die Prüfung der Nachtragsbauvorlagen ergeben, dass die beantragte Änderung des Bauvorhabens genehmigungsfähig sei.
21
Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2021 teilte die Klägerseite mit, dass der Beigeladenen mit Nachtragsbescheid vom 11. Oktober 2021 die bauaufsichtliche Genehmigung für eine Tektur erteilt worden sei. Entgegen der Auffassung der Kammer sei die Klägerin in ihrer gemeindlichen Planungshoheit verletzt. Der Vorbescheid entfalte keine Bindungswirkung. Die Bauaufsichtsbehörde habe vollumfänglich Berechnungen zur beantragten Anlage, insbesondere im Hinblick auf die Festsetzungen des Bebauungsplanes durchgeführt. Berechnungen der vorhandenen und zulässigen Grundflächenzahl sowie bebaubaren Flächen seien in das Verfahren einbezogen worden. Diese Berechnungen seien auch erneut anzustellen gewesen, da eine in der Zwischenzeit ergangene baurechtliche Genehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes die maßgebliche Flächenberechnung bezogen auf Gewerbe- und Wohnflächen maßgeblich hätte ändern können und dann der Bauantrag, trotz Vorbescheides, abzulehnen gewesen wäre. Zudem sei die Flächenberechnung des Beklagten fehlerhaft. Das Landratsamt habe in der Berechnung der vorhandenen Geschossflächen die Grundflächen vereinfacht mit der Zahl der vorhandenen Geschosse multipliziert. Die Klägerin habe die tatsächlich vorhandene Geschossfläche je Geschoss anhand der vorliegenden Bauantragsunterlagen ermittelt. Auf diese Weise ergebe sich eine tatsächlich wesentlich höhere vorhandene Geschossfläche von ca. 8.080 m2, während der Beklagte lediglich eine Fläche von 5.770 m2 zugrunde gelegt habe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts seien aus diesem Grunde auch die vorhandenen Nebengebäude zu berücksichtigen. In der Berechnung der Klägerin seien im Übrigen die durch das Landratsamt angenommenen, noch möglichen Geschossflächen unverändert übernommen worden. Selbst dann ergebe sich eine rechnerische Überschreitung des noch zulässigen gewerblichen Anteils von 20%. Im Übrigen werde insoweit auf die bisherigen Ausführungen verwiesen.
22
Die Klägerin beantragt zuletzt,
Der Bescheid des Landratsamtes … vom 20. Juli 2020 in Gestalt des Nachtragsbescheides vom 11. Oktober 2021 wird aufgehoben.
23
Der Beklagte nimmt mit Schriftsatz vom 11. November 2021 zum Schriftsatz der Klägerseite vom 28. Oktober 2021 Stellung. Die angefochtenen Bescheide seien nicht rechtswidrig und würden die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen. Ausgehend von der bereits genehmigten Bestandssituation sei auch der Änderungsantrag auf seine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit hin geprüft worden. Der Beklagte habe errechnet, dass die Grundfläche des geänderten beantragten Vorhabens nach wie vor deutlich unterhalb dessen liege, was mittels Vorbescheid vom 18. Dezember 2018 genehmigt worden sei. Darin sei festgestellt worden, dass ein Bauvorhaben mit einer Grundfläche von 462,52 m2 bauplanungsrechtlich zulässig sei. Das nunmehr mit Nachtragsbescheid genehmigte Vorhaben habe eine Grundfläche von nur 437,60 m2. Daraus ergebe sich zwangsläufig, dass das Bauvorhaben auch hinsichtlich seiner Geschossflächen nicht das durch den Vorbescheid genehmigte Maß übertreffe. Auch sei die Geltungsdauer des Vorbescheides noch nicht abgelaufen. Dieser sei am 18. Dezember 2018 erteilt und der Klägerin am 15. Januar 2019 zugestellt worden. Ein Vorbescheid gelte für die Dauer von drei Jahren und sei zum Zeitpunkt der Nachtragsgenehmigung vom 11. Oktober 2021 noch nicht abgelaufen gewesen und sei es auch jetzt noch nicht. Weiter könne nicht von einer Störung des gebotenen Mischverhältnisses die Rede sein. Durch die Nachtragsgenehmigung würden lediglich kleine Änderungen des beantragten Vorhabens behandelt. So seien auf Grund der zwischenzeitlich erlassenen Stellplatzsatzung für das Bauvorhaben nun auch Fahrradabstellplätze notwendig. Auch seien aus diesem Grund Stellplätze verschoben worden und es seien Plätze für Müllboxen vorgesehen. Ebenso seien die Höhenlage des Gebäudes bzw. das natürliche Gelände an die tatsächlich vor Ort maßgebliche Situation angepasst worden. Auch durch das nachträglich genehmigte Vorhaben würden die für eine gewerbliche Nutzung vorgesehenen Grundstücke (FlNrn. …, … und …) nicht eingeschränkt.
24
Die Klägerin führte mit weiterem Schriftsatz vom 11. November 2021 nach erfolgter Akteneinsicht aus, dass durch den Nachtragsbescheid die Geschossflächen der genehmigten Wohnbebauung nochmal erhöht werden. Statt einer bereits überhöhten GFZ von 0,83 bei einer Summe der Geschossflächen von 1.152 m² (nach den Berechnungen des Landratsamtes) werde nun eine GFZ von 0,84 bei einer Summe der Geschossflächen von 1.167 m² genehmigt. Die Wohnnutzung habe damit ein noch größeres Gewicht als im Ausgangsbescheid, Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und Behördenakten einschließlich der Gerichtsakte zum Verfahren AN 17 S 21.00427 verwiesen.

Entscheidungsgründe

25
Prüfgegenstand ist die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 20. Juli 2020 in der Fassung des Nachtragsbescheids vom 11. Oktober 2021, mit der das Bauvorhaben der Beigeladenen in der mit Bauantrag vom 2. August 2021 beantragten geänderten Gestalt genehmigt wurde. Das Bauvorhaben in der ursprünglich mit Bescheid vom 20. Juli 2020 genehmigten Gestalt ist nicht mehr Prüfgegenstand. Weder der Beklagte noch die Klägerin, die die Aufhebung des „Bescheides vom 20. Juli 2002 in der Gestalt des Nachtragsbescheids vom 11. Oktober 2021“ beantragt, gehen von einem selbständigen Regelungsgehalt der Nachtragsgenehmigung, mit der das geänderte Vorhaben in seiner Gesamtheit neu beurteilt wurde, aus. Vielmehr heißt es im Tenor des Bescheides, dass das Landratsamt „folgenden Nachtragsbescheid zur Baugenehmigung“ erlässt und dem Bauwerber „für die dem genehmigten Bauantrag nachgereichten mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Nachtragsbauvorlagen (…) die bauaufsichtliche Genehmigung erteilt“. Auch sollen die Auflagen und Hinweise aus den vorherigen Genehmigungen, soweit sie nicht durch diesen Nachtragsbescheid gegenstandslos geworden sind, weitergelten. Mit seiner Bezugnahme auf den bereits erlassenen Baugenehmigungsbescheid und dem Verweis auf die im Ausgangsbescheid enthaltenen Auflagen und Hinweise zeigt das Landratsamt, dass es sich bei dem Nachtragsbescheid nicht um eine neue selbständige Baugenehmigung handelt. Der Nachtragsbescheid vom 11. Oktober 2021 ist vielmehr als sog. Tekturgenehmigung einzuordnen, bei der sich die diesbezügliche Prüfung und Entscheidung auf die Feststellung beschränkt, dass die zur Änderung vorgesehenen Teile des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar sind; für die übrigen Teile ergibt sich diese Feststellung aus der neben der Tekturgenehmigung bestehenbleibenden ursprünglichen Baugenehmigung (näher zur Abgrenzung: BayVGH, B.v. 23.10.2019 - 15 ZB 18.1275 Rn. 11 ff. m.w.N.). Letztlich ist, egal ob man den Nachtragsbescheid vom 11. Oktober 2021 als selbständige Baugenehmigung oder als sog. Tekturgenehmigung ansieht, das gesamte Bauvorhaben in seiner mit Bauantrag vom 2. August 2021 geänderten Gestalt darauf zu untersuchen, ob diesbezüglich Rechte der Klägerin verletzt werden. Etwaige Bestandskraftprobleme ergeben sich nicht, da die Klägerin beide Bescheide fristgerecht angegriffen hat.
26
Da, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, eine Rechtsverletzung der Klägerin ausscheidet, ist es im Übrigen unerheblich, falls richtigerweise nicht eine bloße Tekturgenehmigung, sondern ein selbständiger Bescheid, der das geänderte Vorhaben in seiner Gesamtheit neu beurteilt, zu erlassen gewesen wäre. Der Einzelne kann zwar verlangen, dass seine materiellen Rechte gewahrt werden, er hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass dies in einem bestimmten Verfahren geschieht (vgl. BayVGH, U.v. 19.5.2011 - 2 B 11.397 - juris Rn. 19).
27
Die zulässige Klage ist unbegründet.
28
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Gemeinde klagebefugt, § 42 Abs. 2 VwGO. Dies ergibt sich aus der Planungshoheit der Gemeinde, wenn - wie hier - die Übereinstimmung eines Bauvorhabens mit einem Bebauungsplan in Frage steht (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.1981 - 4 C 36, 37/78 - juris; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 153; OVG MV, B.v. 26.3.2013 - 3 M 8/13 - juris Rn. 6). Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV dienenden einfachgesetzlichen Normen der § 36 BauGB und Art. 67 BayBO (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 66 Rn. 407) verletzt wurden, ein ggf. notwendiges gemeindliches Einvernehmen der Klägerin zu Unrecht nicht eingeholt bzw. ersetzt wurde und diese damit in ihrer Planungshoheit verletzt wurde. Nichts Anderes gilt hinsichtlich des vorgetragenen Verstoßes gegen die Stellplatzsatzung der Klägerin vom 15. Februar 2021 (StS). Auch diesbezüglich kommt eine Verletzung der Satzungshoheit der Klägerin als Ausprägung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2021 - 15 CS 21.1636; VGH BW, B.v. 28.3.2017 - 5 S 2427/15; HessVGH, B.v. 15.3.2021 - 4 A 629/20./ - alle juris).
29
2. Die Klage ist indes unbegründet.
30
Der Bescheid des Landratsamtes … vom 20. Juli 2020 in der Fassung des Nachtragbescheides vom 11. Oktober 2021 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die objektive Verletzung einer Rechtsnorm allein genügt für den Erfolg der Klage der Standortgemeinde gegen eine einem Dritten erteilte Baugenehmigung nicht. Im gerichtlichen Verfahren findet keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Vielmehr hat sich die Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung Rechte der Gemeinde verletzt wurden.
31
Eine Verletzung von solchen die Gemeinde schützenden Vorschriften liegt nicht vor. Die Klägerin wird durch den streitgegenständlichen Bescheid nicht in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV geschützten und einfachgesetzlich durch § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB garantierten kommunalen Planungshoheit verletzt. Verstöße gegen andere Normen können einem Rechtsmittel der Gemeinde nur dann zum Erfolg verhelfen, wenn sie auch dem Schutz der Gemeinde - insbesondere ihrer Planungshoheit - zu dienen bestimmt sind (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2006 - 4 B 48/05 - juris Rn. 5).
32
Das streitgegenständliche Bauvorhaben, dessen Erschließung gesichert ist, entspricht den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplanes, § 30 Abs. 1 BauGB (nachfolgend unter b)). Es hält die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften, auf deren Verletzung sich die Klägerin berufen kann (vgl. BVerwG, U.v. 3.8.2016 - 4 C 3/15 - juris Rn. 11, U.v. 20. Mai 2010 - 4 C 7.09 - juris Rn. 34), ein, insbesondere ist das im Mischgebiet allgemein zulässige Vorhaben auch nicht im Einzelfall unzulässig nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Zwar hat der Beklagte weder bei Erlass der Baugenehmigung vom 20. Juli 2020 noch bei Erlass des Nachtragsbescheids vom 11. Oktober 2021 das verweigerte Einvernehmen der Klägerin (ausdrücklich) ersetzt. Das Einvernehmen der Gemeinde zum Vorhaben war jedoch aufgrund Plankonformität des beantragten Bauvorhabens nicht nötig (vgl. OVG MV - B.v. 19.10.2006 - 3 M 63/06 - juris Rn. 35; Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 140. EL Oktober 2020, § 36 Rn. 18), so dass die mangelnde Ersetzung keine Rechtsverletzung der Gemeinde begründen kann. Bei dem Vorhaben handelt es sich vorliegend gerade nicht um ein Vorhaben nach § 31 BauGB (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB), bei dem die Gemeinde in eigenen Rechten verletzt sein kann, wenn die Baugenehmigungsbehörde ein Vorhaben, das den Festsetzungen des Bebauungsplanes widerspricht, ohne die an sich erforderliche Befreiung, § 31 Abs. 2 BauGB, genehmigt bzw. wenn bei einer erteilten Befreiung das gemeindliche Einvernehmen nicht eingeholt wurde (vgl. OVG MV, B.v. 26.3.2013 - 3 M 8/13 - juris Rn. 6).
33
Ohnehin kann sich die Klägerin aufgrund des bestandskräftigen Vorbescheides vom 18. Dezember 2018 nicht mehr auf eine Unzulässigkeit des Vorhabens unter Hinweis auf dessen Unverträglichkeit im festgesetzten Mischgebiet berufen (nachfolgend unter a)).
34
Ebenso sind die Vorgaben der kommunalen Stellplatzsatzung eingehalten, so dass sich auch hieraus keine Rechtsverletzung der Gemeinde in ihrem kommunalen Selbstverwaltungsrecht ergibt. Das diesbezüglich verweigerte Einvernehmen der Gemeinde musste nicht ersetzt werden, da es keines Einvernehmens bedurfte, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO (nachfolgend unter c)).
35
Auch eine Rechtsverletzung aus sonstigen Gründen ist nicht gegeben (nachfolgend unter d)).
36
a) Die Klägerin kann mit ihren Angriffen auf die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens unter Hinweis auf den Gebietscharakter aufgrund des bestandskräftigen Vorbescheides vom 18. Dezember 2018 nicht mehr gehört werden. Der Vorbescheid vom 18. Dezember 2018 entfaltet hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens seiner Art nach gegenüber der Klägerin Bindungswirkung.
37
Ein bestandskräftiger Vorbescheid, Art. 71 BayBO, hat in der entschiedenen Einzelfrage eine grundsätzlich auf drei Jahre befristete Bindungswirkung für die Bauaufsichtsbehörde, die Gemeinde und die Nachbarn, bezüglich letzterer jedoch nur insoweit, als diese am Verfahren beteiligt worden sind. Der im Vorbescheid entschiedene Teil der Baugenehmigung ist im späteren Baugenehmigungsverfahren nicht mehr von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfen. Über ihn ist deshalb nicht mehr bei Erteilung der Baugenehmigung zu entscheiden. Vielmehr entscheidet der Vorbescheid über das, was Gegenstand der Prüfung im Vorbescheidsverfahren war, abschließend. Die nachfolgende Baugenehmigung, wenn sie innerhalb der dreijährigen Geltungsdauer des Vorbescheides beantragt worden ist, übernimmt daher den Inhalt des bestandskräftigen Vorbescheids nur redaktionell oder als Hinweis, aber ohne eine eigene, Dritte beschwerende Regelung. Die in der Sache von einem Dritten gegen die Baugenehmigung erhobene Klage ist dann zwar nicht unzulässig, wohl aber unbegründet, soweit sich der Dritte auf Feststellungen stützt, die ihm gegenüber durch den Vorbescheid bereits bestandskräftig geworden sind (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 71 Rn. 98).
38
Der Vorbescheid vom 18. Dezember 2018, der Klägerin per Empfangsbekenntnis zugestellt am 15. Januar 2019, wurde von dieser nicht angegriffen. Vielmehr teilte die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 23. Januar 2019 mit, dass auf eine Klage verzichtet werde. Bestandskraft des Vorbescheides und damit Bindungswirkung ist gegenüber der Klägerin eingetreten. Ebenso wurde sowohl der Bauantrag der Beigeladenen vom 28. Januar 2020 als auch der Bauantrag zur Änderung des Vorhabens vom 2. August 2021 innerhalb der maßgeblichen Frist von drei Jahren gestellt, Art. 71 Satz 2 BayBO. Dahinstehen kann, ob ein Vorbescheid nach Bestandskraft der nachfolgenden Baugenehmigung noch Rechtswirkungen hat oder sich erledigt hat (so König in Schwarzer/König, BayBO, 4. Auflage 2012, Art. 71 Rn. 24; a.A. Michl in BeckOK, BayBO, 20. Ed. 1.4.2021, Art. 71 Rn. 72). Da vorliegend die Baugenehmigung vom 20. Juli 2020 aufgrund der dagegen fristgerecht erhobenen Klage nicht bestandskräftig geworden ist, entfaltet der Vorbescheid auch für das nachfolgend fristgerecht beantragte geänderte Vorhaben Bestandswirkung.
39
Weiter wurde der bestandskräftige Inhalt des Vorbescheids nur redaktionell bzw. als Hinweis in die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 20. Juli 2020 i.d.F. vom 11. Oktober 2021 aufgenommen. Wie bereits ausgeführt, ist die Baugenehmigungsbehörde an den Vorbescheid gebunden und kann die im Vorbescheid geregelten Fragen im Baugenehmigungsverfahren nicht nach Belieben neu aufrollen. Vielmehr vermittelt der bestandskräftige Vorbescheid dem Bauherrn für den abschließend vorweg entschiedenen Teil der Baugenehmigung die gleiche gesicherte begünstigende Rechtsstellung wie die Baugenehmigung selbst. Die Genehmigungsbehörde darf sich im nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren nicht von dem vorher erteilten Vorbescheid lösen und über dessen Gegenstand nicht anders entscheiden (vgl. Decker in Busse/ Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 71 Rn. 99) und tat dies auch nicht. Zwar hat der Beklagte die Klägerin aufgrund des verweigerten Einvernehmens mit Schreiben vom 3. Juni 2020 zu einer ggf. erfolgenden Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens angehört. Eine Neueröffnung der Prüfung der Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach fand jedoch nicht statt. Vielmehr wurde hinsichtlich dieser Frage auf den bestandskräftigen Vorbescheid verwiesen, was auch gerade dadurch deutlich wird, dass im Baugenehmigungsbescheid vom 20. Juli 2020 - im Gegensatz zum Vorbescheid - keinerlei Berechnungen zu Grund- und/oder Geschossflächen erfolgten. Im Baugenehmigungsbescheid vom 20. Juli 2020 wurde vielmehr gerade darauf verwiesen, dass mit bestandskräftigem Vorbescheid bereits festgestellt wurde, dass das Vorhaben seiner Art nach in dem Mischgebiet zulässig ist und es zu keiner Gebietsveränderung aufgrund eines Übergewichts an Wohnbebauung kommt. Die Ausführungen zur Vergleichbarkeit der Vorhaben im Hinblick auf diese Frage stützen diese Ansicht, denn ihrer hätte es nicht bedurft, hätte man im Baugenehmigungsbescheid eigene Feststellungen zur Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach in dem Mischgebiet getroffen. Im Nachtragsbescheid vom 11. Oktober 2021 finden sich erst gar keine Ausführungen zur Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach. Das streitgegenständliche Vorhaben ist auch vom sachlichen Umfang der Bindungswirkung des Vorbescheides umfasst. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines Vorbescheids bezieht sich nur auf Vorhaben, die inhaltlich dem Vorbescheid vollständig entsprechen oder von diesem ohne Veränderung der Grundkonzeption allenfalls geringfügig abweichen. Das Vorhaben darf mithin nicht derart verändert werden, dass wegen dieser Änderung die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher und/oder bauordnungsrechtlicher Hinsicht neu aufgeworfen wird. Wird das Vorhaben derart verändert, dass es in rechtserheblicher Weise von den entschiedenen Punkten abweicht und die Genehmigungsfrage neu aufwirft, entfällt die Bindungswirkung des Vorbescheids (vgl. BVerwG, U.v. 4.3.1983 - 4 C 69//9 - juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 4.11.1996 - 1 B 94.2923 - juris; OVG NRW, U.v. 23.4.1996 - 10 A 620/91 - juris Rn. 22 ff.; Decker in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 71 Rn. 106). Die Genehmigungsfrage stellt sich dann unter bodenrechtlichen und/oder bauordnungsrechtlichen Aspekten neu, wenn für die neue Nutzung weitergehende Vorschriften gelten als für die alte, aber auch dann, wenn sich die Zulässigkeit der neuen Anlage nach derselben Vorschrift bestimmt, nach dieser Vorschrift aber anders zu beurteilen ist als die frühere (vgl. OVG MV, U.v. 2.6.2009 - 3 M 54/09 - juris Rn. 34 mit Verweis auf BVerwG, B. v. 07.11.2002 - 4 B 64/02 - juris; BayVGH, B.v. 4.8.2011 - 2 CS 11.997 - juris Rn. 8).
40
Ein Vergleich zwischen dem Bauvorhaben des Vorbescheides und des anschließenden Baugenehmigungsverfahrens zeigt, dass zwar durchaus Abweichungen vorliegen. So wurden im Rahmen der Bauvoranfrage zwei Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage der Prüfung zugrunde gelegt, während es im Baugenehmigungsverfahren um einen Mehrfamilienkomplex mit elf Wohneinheiten und Tiefgarage geht, der im Wesentlichen aus zwei Gebäudekomplexen mit baulicher Verbindung besteht. Auch lag dem Antrag auf Vorbescheid an Planunterlagen neben dem amtlichen Lageplan nur eine Bauzeichnung bei, während im Bauverfahren detailliertere Pläne eingereicht wurden. Dennoch konnten den Bauantragsunterlagen zum Vorbescheid, ggf. auch durch Berechnung anhand der vorgegebenen Maße, insbesondere alle relevanten Informationen zu Grund- und Geschossflächen entnommen werden, um die Frage der Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach beurteilen zu können. Der diesbezügliche Einwand der Klägerseite zu mangelnden konkreten Berechnungen in den Bauunterlagen zum Vorbescheid greift daher nicht.
41
Durch die Abweichung wird keine, die Zulässigkeit der Nutzung ihrer Art nach betreffende Frage neu aufgeworfen, über die nicht bereits im Vorbescheid entschieden worden wäre. Bei dem streitgegenständlichen mit Bescheid vom 20. Juli 2020 i.d.F. des Nachtragsbescheides vom 11. Oktober 2021 genehmigten Vorhaben handelt es sich - wie auch bei dem mit Bescheid vom 20. Juli 2020 genehmigten Vorhaben - nach den plausiblen Berechnungen des Landratsamtes um ein geringfügig kleineres Gebäude als das dem Vorbescheid zugrundeliegende, so dass die Änderung die Genehmigungsfrage in dieser Hinsicht nicht neu aufgeworfen wurde. Die für die Beurteilung der Frage der Gebietsverträglichkeit einer weiteren Wohnnutzung im Bebauungsplangebiet maßgeblichen Tatsachen sind gleichgeblieben bzw. haben sich aufgrund einer verringerten Größe des Vorhabens sogar zugunsten einer Zulässigkeit einer weiteren Wohnnutzung verschoben. Zwar hat sich die Grundfläche des Vorhabens, genehmigt mit streitgegenständlicher Baugenehmigung vom 20. Juli 2020 i.d.F. des Nachtragsbescheides vom 11. Oktober 2021, im Vergleich zum mit Bescheid vom 20. Juli 2020 genehmigten Vorhabens von 424,08 m2 auf 437,60 m2 erhöht. Beides liegt aber immer noch unterhalb der Größe des dem Vorbescheid zugrundeliegenden Vorhabens mit einer Grundfläche von 462,51 m2. Selbiges gilt entsprechend für die Geschossflächen.
42
Unerheblich ist, ob andere bodenrechtliche Belange (abgesehen von der Frage der Zulässigkeit der Art der Nutzung) durch das mit der Baugenehmigung genehmigte Vorhaben neu berührt werden. Bezüglich anderer Aspekte der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit (und auch hinsichtlich bauordnungsrechtlichen Fragen) ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts schon keine Bindungswirkung des Vorbescheides. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines Vorbescheids ergibt sich letztlich aus den im Vorbescheidsantrag gestellten Fragen und den diesem Antrag zugrundeliegenden Plänen. Nur die im Vorbescheid ausdrücklich im Sinne einer positiven Bescheidung einzelner Fragen geklärten Aspekte der Bauvoranfrage nehmen an der Bindungswirkung des Vorbescheides teil (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2018 - 15 C 18.795 - juris Rn. 35, OVG NRW, B.v. 29.7.2002 - 7 B 831/02 - juris Rn. 7). Den sachlichen Umfang der Bindungswirkung des erteilten Vorbescheides für das anschließende Baugenehmigungsverfahren bestimmt daher zunächst der Bauherr durch seine Angaben in den Antragsunterlagen. Je konkreter und bestimmter der Antrag ist, umso weiter reicht die Bindung. Der Bauantragsteller im Vorbescheidsverfahren beantragte zwar die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens wie sich aus dem mit den Antragsunterlagen beigefügten Schreiben vom 28. Februar 2018 ergibt. Das Landratsamt stellte im Tenor des Vorbescheids fest, dass das (im Betreff näher bezeichnete) Vorhaben hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit grundsätzlich genehmigungsfähig sei und führte in den Gründen aus, dass die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 BauGB erfüllt seien und damit das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig sei. Nachfolgend prüfte das Landratsamt jedoch ausschließlich und umfangreich allein die Frage der Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach im Bebauungsplangebiet. Anderweitige Überlegungen zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens wurden nicht angestellt. Auch aus dem Schriftverkehr zwischen Vorhabenträger, Antragstellerin und Antragsgegner aus dem Jahr 2018 folgt, dass letztlich allein die Frage der Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach Thema aller Überlegungen war. Aus alledem folgt, dass der Vorbescheid letztlich nur die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach verbindlich feststellte, weitere Aspekte der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit aber nicht an der Bindungswirkung des Vorbescheides teilnehmen. Damit erstreckt sich die Bindungswirkung des Vorbescheides vom 18. Dezember 2018 auf das hier mit der Baugenehmigung beantragte Vorhaben, denn, wie bereits dargestellt, ist dieses zwar nicht mit dem Vorhaben des Vorbescheides identisch, die Abweichung ist ohne Veränderung der Grundkonzeption aber allenfalls geringfügig. Diesbezüglich wurde die Genehmigungsfrage nicht neu aufgeworfen.
43
Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens in seiner Gesamtheit (und nicht nur hinsichtlich der Zulässigkeit der Art der Nutzung) vom sachlichen Umfang der Bindungswirkung des Vorbescheids erfasst wird, so folgt hieraus kein anderes Ergebnis. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Bauherr, dem die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens in seiner Gesamtheit durch Vorbescheid verbindlich attestiert wird, hinsichtlich eines Teilaspekts der verbindlich festgestellten bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit mit Blick auf die Bindungswirkung des Vorbescheides hinsichtlich dieses Teilaspektes schlechter gestellt werden sollte (weil sich die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher Hinsicht aufgrund eines anderen Aspekts der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit neu stellt) als ein Bauherr, bei dem der sachliche Umfang der Bindungswirkung des Vorbescheids von vornherein lediglich diesen Teilaspekt umfasst.
44
b) Das streitgegenständliche Bauvorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig. Es entspricht den Vorgaben des maßgeblichen Bebauungsplans. Die Erschließung ist gesichert.
45
(1) Die Klägerin kann sich nach den obigen Ausführungen unter a) auf eine etwaige Unzulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach nicht mehr berufen. Ohnehin ist das Vorhaben seiner Art nach in dem Mischgebiet zulässig. Das Vorhaben, ein Mehrfamilienhaus, ist in dem durch Bebauungsplan Nr. … „…“ - 1. Änderung der Klägerin festgesetzten Mischgebiet seiner Art nach allgemein zulässig, § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO. Eine ausnahmsweise Unzulässigkeit hinsichtlich der Art der Nutzung ergibt sich auch nicht aus, § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, da die Wohnnutzung weder nach Anzahl, Lage, Umfang noch nach ihrer Zweckbestimmung der Eigenart des Mischgebiets widerspricht. Zur Begründung wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die Gründe unter II. 2 b) des Beschlusses der Kammer im Eilverfahren vom 18. Juni 2021 (AN 17 S 21.00427) verwiesen, die für die Klage gleichermaßen gelten. Auch unter Berücksichtigung der im Nachgang der Eilentscheidung erfolgten Änderung des Vorhabens, dem Erlass des Nachtragsbescheides vom 11. Oktober 2021 und des weiteren Vortrages sieht die Kammer keinen Anlass von ihrer bisherigen Würdigung abzuweichen.
46
Ergänzend wird folgendes ausgeführt:
47
Zwar ist das geänderte und nun streitgegenständliche Vorhaben der Beigeladenen mit einer Grundfläche von 437,60 m2 größer als das mit Bescheid vom 20. Juli 2020 genehmigte Ursprungsvorhaben mit 424,08 m2, das Gegenstand des Eilverfahrens war. Auch hat sich, wie die Klägerseite zutreffend vorträgt, die Geschossflächenzahl und Geschossfläche im Vergleich zur Baugenehmigung vom 20. Juli 2020 weiter erhöht. Statt einer Geschossflächenzahl von 0,83 m2 bei einer Geschossfläche von 1.152,30 m2 wurde nun eine GFZ von 0,84 m2 bei einer Geschossfläche von 1.167 m2 errechnet. Dennoch ist auch das nunmehr streitgegenständliche Vorhaben nach wie vor kleiner als das mit Vorbescheid vom 18. Dezember 2018 genehmigte Vorhaben, dem eine Grundfläche von 462,51 m2 und eine Geschossfläche von 1.387,53 m2 zugrunde lag, so dass die Ausführungen des Gerichts im Eilverfahren weiter Bestand haben.
48
(2) Auch hinsichtlich der übrigen Vorgaben des maßgeblichen Bebauungsplanes ergeben sich keine Rechtmäßigkeitsbedenken. Die nach dem Bebauungsplan in Ziffer … vorgeschriebene Zisterne ist in den Plänen enthalten, die Festsetzung des Bebauungsplanes in dieser Hinsicht erfüllt. Dasselbe gilt für die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung. Das Vorhaben hält sowohl die im Bebauungsplan festgesetzten Vorgaben zur Zahl der Vollgeschosse, zur Geschossflächenzahl von 1,2 als auch die festgesetzte Grundflächenzahl von 0,6 ein. Zwar wird für das Vorhaben eine Grundflächenzahl von 0,64 errechnet, was größer als 0,6 ist. Jedoch greift vorliegend zugunsten der Beigeladenen die Regelung in § 19 Abs. 4 Satz 2 BauNVO, wonach die zulässige Grundfläche durch die Grundflächen der in § 19 Abs. 4 Satz 1 BauNVO erwähnten Anlagen bis zu 50 von Hundert, höchstens jedoch bis zu einer Grundflächenzahl von 0,8 überschritten werden darf. Ohne die genannten Anlagen beträgt die Grundflächenzahl 0,31 und damit deutlich weniger als 0,6. Auch eine Verletzung der weiteren Vorgaben des Bebauungsplanes wie etwa hinsichtlich Bauweise und überbaubaren Grundstücksflächen ist weder (substantiiert) vorgetragen noch ersichtlich.
49
c) Das streitgegenständliche Vorhaben hält auch die Vorgaben der Stellplatzsatzung der Klägerin vom 15. Februar 2021 (StS), Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO, ein. Eine Verletzung der Satzungshoheit der Klägerin als Ausprägung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2021 - 15 CS 21.1636; VGH BW, B.v. 28.3.2017 - 5 S 2427/15; HessVGH, B.v. 15.3.2021 - 4 A 629/20./ - alle juris) scheidet aus. Eines gemeindlichen Einvernehmens bedurfte es nicht, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO.
50
Nach der StS ist für Wohngebäude ab vier Wohneinheiten pro angefangene 35 m2 je ein Fahrradstellplatz herzustellen und bereitzuhalten, § 2 Abs. 1 Sätze 2, 3 StS. Bei 870,48 m2 Wohnfläche laut Bauantrag sind damit 25 Fahrradstellplätze zu errichten. Bei einer gewünschten Größe von 1,30 m2 pro Fahrradstellplatz, § 5 Abs. 2 Satz 1 StS, wobei die Fläche bei Aufstellung von Fahrradparksystemen u.U. unterschritten werden kann (§ 5 Abs. 2 Satz 2 StS), errechnet sich eine Abstellfläche von insgesamt 32,5 m2, die bei einer Fahrradabstellfläche von 5,30 m x 6,50 m =34,45 m2 laut eingereichten und genehmigten Bauunterlagen (Plan: Erdgeschoss, S. 40 der Behördenakte zum Nachtragsbescheid) eingehalten ist (siehe auch die Berechnungen auf S. 34 sowie S. 26 Rückseite der Behördenakte zum Nachtragsbescheid). Im Übrigen kann ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 Satz 1 StS eine Verletzung der StS nicht begründen, da die Vorschrift des § 5 Abs. 2 StS als bloße Sollvorschrift gestaltet wurde. Wenn die Klägerseite ausführt, dass 11 Fahrradplätze erforderlich seien, ist diese Vorgabe unproblematisch erfüllt.
51
Ebenso hält das Vorhaben die Vorgaben der StS zu den erforderlichen Kfz-Stellplätzen ein. Unklar ist, wie die Klägerseite zu den behaupteten 21 Stellplätzen und einem Besucherparkplatz kommt. Ein Vortrag hierzu erfolgte nicht. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass insgesamt 20 Stellplätze vorzuhalten sind, was auch erfüllt wird. Wie die Beklagte richtigerweise errechnet hat (S. 27 der Behördenakte zum Nachtragsbescheid), ist bei Gebäuden mit Altenwohnungen, Ziffer 1.3 der Anlage 1 zur StS, ein Stellplatz je Wohnung zu errichten, jedoch gilt dies maximal für 50% der zu errichtenden Wohnungen. Somit ergibt sich bei insgesamt 11 Wohnungen für 5,5 Wohnungen eine Stellplatzzahl von sechs Stellplätzen. Für Besucher ist ein weiterer Stellplatz je angefangene drei Wohnungen zu errichten, was bei 5,5 Wohnungen zwei weitere Stellplätze ergibt. Für die übrigen 5,5 Wohnungen sind je zwei Stellplätze pro Wohnung zu errichten (Ziffer 1.2 der Anlage 1 der StS), somit 11 Stellplätze zuzüglich einem weiteren Stellplatz für Besucher (je angefangene sechs Wohnungen ein Stellplatz).
52
Sofern sich die klägerseits genannten insgesamt 22 Stellplätze damit begründen, was nur vermutet werden kann, dass zwei der elf Wohnungen des streitgegenständlichen Vorhabens nicht in Gänze mit dem Fahrstuhl zu erreichen sind (Spitzboden), ergibt sich dennoch eine notwendige Stellplatzzahl von 20 Stellplätzen. Ziffer 1.3 der Anlage 1 der StS fordert nicht, dass sämtliche Wohnungen Altenwohnungen sind, weshalb die Regelung anzuwenden ist. Auch gilt die Regelung in Ziffer 1.3 der Anlage 1 zur StS von einem Stellplatz pro Wohnung, jedoch für maximal für 50% der insgesamt zu errichtenden Wohnungen, für sämtliche zu errichtende Wohnungen, also für insgesamt 11 Wohnungen. Hätte der Satzungsgeber gewollt, dass die Regelung nur für maximal 50% der zu errichtenden Altenwohnungen gilt, hätte er dies deutlich machen müssen. Unklarheiten gehen zu Lasten der satzungsgebenden Gemeinde.
53
d) Ein Verstoß gegen andere, dem Schutz der Gemeinde dienende Normen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
54
3. Die Klage hat keinen Erfolg und ist mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese durch Stellung eines Antrages ein Kostenrisiko eingegangen sind. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.