Titel:
Bescheid, Widerspruchsbescheid, Widerspruch, Erstattung, Berufung, Aufwendungen, Festsetzung, Nachzahlung, Verschulden, Zulassung, Widerspruchsverfahren, Berechnung, Anspruch, Notwendigkeit, Zulassung der Berufung, Wert des Beschwerdegegenstands
Schlagworte:
Bescheid, Widerspruchsbescheid, Widerspruch, Erstattung, Berufung, Aufwendungen, Festsetzung, Nachzahlung, Verschulden, Zulassung, Widerspruchsverfahren, Berechnung, Anspruch, Notwendigkeit, Zulassung der Berufung, Wert des Beschwerdegegenstands
Rechtsmittelinstanz:
LSG München, Beschluss vom 17.02.2022 – L 7 AS 131/21 NZB
Fundstelle:
BeckRS 2021, 48237
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 11.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2019 verurteilt, an den Kläger weitere 9,65 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte trägt 1/2 der notwendigen außergerichtlichen Kosten.
III. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Höhe der vom Beklagten zu erstattenden Aufwendungen für ein Widerspruchsverfahren.
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Der Kläger bezog zumindest 2018 und 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten. Gegen den Bescheid vom 31.01.2018 (Brennstoffbeihilfe) erhob der Kläger Widerspruch. Die per Einschreiben mit Rückschein für 6,10 EUR übersandte Widerspruchsbegründung enthielt unter anderem neun mit einem Drucker beschriebene Seiten in einem Din A4 Briefumschlag für mehrere Seiten.
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Mit Bescheid vom 19.02.2018 half der Beklagte dem Widerspruch ab und erklärte, dass die entstandenen Kosten, soweit notwendig, erstattet würden.
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Mit Schreiben vom 14.03.2018 beantragte der Kläger die Erstattung von 19,10 EUR für das Widerspruchsverfahren. Er führte unter anderem Kosten für das Einschreiben und geschätzte Kosten für Büromaterialien auf.
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Der Beklagte erklärte sich mit Bescheid vom 11.04.2019 zur Erstattung von 1,45 EUR (Kosten für einen Standardbrief) bereit. Sonstige Kosten seien nicht nachgewiesen. Der Widerspruch des Klägers gegen diese Festsetzung blieb gem. Widerspruchsbescheid vom 24.05.2019 ohne Erfolg.
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Der Kläger hat sich am 21.06.2019 an das Sozialgericht Landshut gewandt. Das Einschreiben sei zur rechtssicheren Nachweismöglichkeit erforderlich gewesen. Zu den erstattungsfähigen Kosten gehörten selbstverständlich auch pauschalisierte Bürokosten.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für das Widerspruchsverfahren weitere 19,10 EUR zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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Ein einfacher Brief wäre ausreichend gewesen. Sonstige Kosten kämen nicht in Betracht.
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Ein vom Gericht vorgeschlagener Vergleich, der eine weitere Zahlung von 5,80 EUR zum Inhalt hatte, wurde vom Kläger angenommen, jedoch vom Beklagten abgelehnt.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten und auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Diese hat das Gericht seiner Entscheidungsfindung zugrunde gelegt.
Entscheidungsgründe
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Im Einverständnis der Beteiligten kann die Kammer gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
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Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf den geltend gemachten Aufwendungserstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 11,10 EUR.
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Der Kläger verfolgt sein Anliegen zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage.
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Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Entscheidung des Beklagten darüber, in welcher Höhe die zu erstattenden Aufwendungen festzusetzen sind (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Halbs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)). Der Beklagte hat bindend entschieden, dass dem Kläger die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach erstattet werden (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 SGB X). Eine Einschränkung in Bezug auf die Kostengrundentscheidung, namentlich eine Quotelung der Kosten, hat er dabei nicht vorgenommen. Die Einschränkung, dass die Kosten erstattet werden, „soweit sie notwendig und nachgewiesen sind“, bezieht sich insoweit nur auf die Höhe der Aufwendungen.
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Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung weiterer Aufwendungen nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Höhe von weiteren 9,65 EUR.
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Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
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Notwendig sind nur die Kosten für solche Handlungen, die zurzeit ihrer Vornahme (Ex-Ante-Betrachtung) und nicht aus der Rückschau (Ex-post-Betrachtung) objektiv erforderlich und geeignet erscheinen, das im Streit stehende Recht zu verfolgen oder zu verteidigen. Abzustellen ist darauf, was vernünftigerweise vom Standpunkt eines verständigen Bürgers für notwendig erachtet werden durfte, auf die Sicht einer rechtskundigen Person kommt es nicht an. Dass die Aufwendungen zum Erfolg des Widerspruchs geführt oder beigetragen haben, ist nicht Voraussetzung für die Notwendigkeit. Die geltend gemachten Aufwendungen müssen auch tatsächlich entstanden sein. Der Begriff der Aufwendungen ist weit zu verstehen. Ihrer Berechnung ist das Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz JVEG in seiner jeweils maßgeblichen Fassung zugrunde zu legen, weil dies letztlich auch im Gerichtsverfahren für die Kosten der Beteiligten angewandt wird.
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Nicht erstattungsfähig sind der Aufwand für eigene Zeit und Mühe, z. B. für das Schreiben des Widerspruchs, weil dem Widerspruchsführer dadurch keine Aufwendungen oder Kosten entstehen.
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Aufwendungen, die durch das Verschulden des Erstattungsberechtigten entstanden sind, sind nicht zu erstatten (§ 63 Abs. 1 S. 3 SGB X) (vgl. Becker in: Hauck/Noftz, SGB, 04/20, § 63 SGB X, Rn. 62ff).
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Der Akte des Beklagten ist zu entnehmen, dass die Kosten für das Einschreiben mit Rückschein 6,10 EUR betrugen. Dem Kläger ist zuzustimmen, dass ein Einschreiben dem Nachweis dient, dass ein Schreiben tatsächlich zugegangen ist. Daher nutzt auch der Beklagte Post-Einschreiben, um Bescheide zuzustellen. Schon unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Waffengleichheit kann dann ein Einschreiben durch den Kläger nicht unverhältnismäßig sein. Schließlich ist es auch gerichtsbekannt, dass häufig über den Zugang von Schriftstücken gestritten wird.
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Der Kläger kann auch 0,50 EUR pro bedruckter Seite vom Beklagten erstattet verlangen. Für die Anfertigung von Kopien und Ausdrucken werden nach § 7 Abs. 2 JVEG 0,50 EUR ersetzt. Diese Vorschrift ist vorliegend entsprechend anzuwenden. Für die Anwendung spricht auch, dass über § 25 Abs. 5 Satz 3 SGB X auch der Beklagte seinerseits Kosten für Ausdrucke geltend machen kann. Als Orientierung kann, sofern keine eigenen Arbeitsanweisungen der Behörde bestehen, das RVG Anlage 1 Teil 7 herangezogen werden. Dies sieht gleichfalls 0,50 EUR für die ersten 50 Seiten und 0,15 EUR für jede weitere Seite vor. Die Kammer hat schließlich auch für den Din A4 Briefumschlag Kosten wie für einen Ausdruck angenommen.
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Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beklagte durchgehend behauptet, die Entstehung der Kosten sei nicht nachgewiesen worden. Die umfangreiche Widerspruchsbegründung lag dem Beklagten vor. Es ist offensichtlich, dass Ausdrucke, Papier und ein Umschlag nicht ohne Kosten dem Kläger zur Verfügung stehen.
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Dem Kläger sind somit Kosten in Höhe von 11,10 EUR entstanden. Anzüglich der bewilligten 1,45 EUR kommt es zu einer Nachzahlung iHv 9,65 EUR.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass der Kläger nur teilweise obsiegte.
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Da der Wert des Beschwerdegegenstands den Betrag von 750,00 EUR nicht überschreitet, war gemäß § 144 Abs. 1 SGG eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung zu treffen. Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich.