Inhalt

LG Würzburg, Endurteil v. 24.03.2021 – 42 S 2276/20
Titel:

Reparaturkosten, Arbeitszeit, Berufung, Unfall, Herstellungsaufwand, Schadensbeseitigung, Verletzung, Versicherung, Vergleich, Trennung, Berufungsverfahren, Schaden, Anlage, Herausgabe, Herausgabe des Fahrzeugs, weitergehende Berufung

Schlagworte:
Reparaturkosten, Arbeitszeit, Berufung, Unfall, Herstellungsaufwand, Schadensbeseitigung, Verletzung, Versicherung, Vergleich, Trennung, Berufungsverfahren, Schaden, Anlage, Herausgabe, Herausgabe des Fahrzeugs, weitergehende Berufung
Vorinstanz:
AG Würzburg, Urteil vom 01.12.2020 – 30 C 1609/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 48115

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts … vom 01.12.2020, Az. 30 C 1609/20, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 536,73 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.08.2020 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 10 % und die Beklagte 90 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten der Streithelferin hat die Beklagte 90 % zu tragen; im Übrigen trägt die Nebenintervenientin ihre Kosten selbst.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger verlangt weiteren Schadensersatz wegen eines Unfallereignisses vom 12.05.2020, für welches die Beklagte dem Grunde nach zu 100 % einzustehen hat, was zwischen den Parteien unstreitig ist.
2
Die Beklagte hat die geltend gemachte Forderung der entstandenen Reparaturkosten von 2.673,62 € um insgesamt 612,13 € gekürzt, darunter Corona-Desinfektionskosten in Höhe von 80,52 € netto („Fahrzeugdesinfektion“ „Mitarbeiter 10241“) und 65,00 € netto („Fahrzeugdesinfektion vor Reparaturbeginn und vor Fahrzeugrückgabe“) sowie weitere Schadenspositionen wie Gurtprüfung, GFS/Geführte Funktion, Kleinersatzteile, Luftdüse Mitte Ausbauen und Erneuern, Dynamische Kalibrierungsfahrt, Fahrzeugwäsche, Konservierer für Hohlraum Karosserie und Steinschlagschutz. Auf die Rechnung der Streithelferin vom 17.07.2020 (Anlage K 4, Bl. 33 ff. d.A.) und die Rechnungsprüfung des Unternehmens ... vom 21.07.2020 (Anlage K 6, Bl 37 f. d.A.), vorgelegt mit Regulierungsschreiben vom gleichen Tag (Anlage K 5, Bl. 36 d.A.), wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
3
Der Kläger hatte zuvor ein Schadensgutachten der … eingeholt, welches die Reparaturkosten am 02.07.2020 mit 2.355,18 € bemessen hat, darunter 78,90 € netto für die Position „Fahrzeugdesinfektion: vor Reparaturbeginn und vor Fahrzeugrue“. Auf die Anlage K 1 (Bl. 9 ff., 16 d.A.) wird verwiesen.
4
Nach Streitverkündung durch die Beklagtenseite ist das ausführende Werkstattunternehmen dem Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 14.10.2020 als Streithelferin auf Klägerseite beigetreten (Bl. 105 d.A.).
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Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird im Übrigen Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
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Das Amtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag in der Berufungsinstanz vollumfänglich weiterverfolgt.
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Sie macht zur Begründung geltend, die gekürzten Schadenspositionen seien nicht erforderlich bzw. überhöht, insbesondere die in Rechnung gestellten Desinfektionskosten wegen durchgeführter Corona-Schutzmaßnahmen. Es handele sich um Arbeitsschutzmaßnahmen und nicht um Aufwendungen, die aus technischen Gründen zur Beseitigung des unfallkausalen Fahrzeugschadens notwendig seien.
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Im Berufungsverfahren beantragte die Beklagte,
das Urteil des Amtsgerichts … vom 01.12.2020, Az.: 30 C 1609/20, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9
Der Kläger beantragte,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Die Klägerseite trägt mit Schriftsatz vom 18.09.2020, dort Seite 2 (Bl. 74 d.A.) vor, die Desinfektionsmaßnahmen seien umfassend gewesen und hätten folgende Maßnahmen beinhaltet: Türgriffe innen und außen, Türöffner innen, Fensterheber, Schalter, Lenkrad, Schaltknauf, Lichtschalter, Handbremshebel oder Schalter und Sicherheitsgurt (vgl. auch Flyer der Streithelferin, Anlage K 11, Bl. 83 d.A.). Es gehe nicht um einige Milliliter Desinfektionsmittel, es gehe in erster Linie um die Arbeitszeit der Mitarbeiter, die hier aufwendig die Fahrzeuge hätten desinfizieren müssen.
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Die Klägerseite macht geltend, die Desinfektionskosten seien durch die Reparatur ausgelöst und kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen. Die abgerechneten Kosten seien vollständig erforderlich, um den unfallbedingten Schaden fachgerecht zu beseitigen.
II.
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Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache nur in geringem Umfang Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung restlicher Reparaturkosten aus §§ 7, 17 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG in tenorierter Höhe. Desinfektionskosten aufgrund von Coronaschutzmaßnahmen kann der Kläger allerdings nur in Höhe von 80,52 € netto verlangen, eine darüber hinaus geltend gemachte Schadensposition in Höhe von 65,00 € netto kann er nicht verlangen. Die übrigen Kosten sind ersatzfähig und konnten zugesprochen werden.
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1. Diese geltend gemachten Kosten und insbesondere die Corona-Desinfektionskosten gehen kausal auf das Unfallereignis zurück und sind damit vom Schädiger zu ersetzen.
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a.) Die Tatsache, dass sich Mitarbeiter der Streithelferin in das klägerische Fahrzeug setzen mussten, ist allein aufgrund des Unfallereignisses erforderlich. Ohne dieses hätte der Kläger keine Werkstatt aufgesucht. Mit welchen Vorbehalten die gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen mit unbekannten Dritten in Pandemiezeiten versehen sind, kann im Übrigen zwanglos und offenkundig (§ 291 ZPO) anhand der Medienberichte über Umsatzrückgänge bei Mietwagen- und Carsharingunternehmen nachvollzogen werden. Deren Fahrzeuge wurden im Juli 2020 und werden weiterhin - wie andere Kontaktflächen auch - in irgendeiner Weise bei Benutzerwechsel desinfiziert und sind generell in weit zurückgegangenem Maße nachgefragt, was auch an Befürchtungen der Bevölkerung zu einer entsprechenden Infektionsgefahr liegen dürfte. Von der Streithelferin unternommene Maßnahmen sind daher auf das Unfallereignis zurückzuführen und grundsätzlich ersatzfähig.
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b.) Es handelt sich um ersatzfähige Kosten, selbst wenn es sich - insbesondere bei Hereinnahme des Fahrzeugs - auch um Arbeitsschutzmaßnahmen handelt. Wie sich an der Tatsache zeigt, dass beispielsweise Lackierarbeiten in einer gesonderten Halle und Montagearbeiten auf einer Hebebühne in einer ergonomischen Höhe durchgeführt werden, was anders jeweils weniger zeitaufwändiger wäre, gibt es eine Reihe von Arbeitsschutzmaßnahmen in Werkstätten, deren Aufwand vom Schädiger und seiner Versicherung grundsätzlich beanstandungslos beglichen werden. Ob es sich also um eine Arbeitsschutzmaßnahme handelt, ist für die Frage der Ersatzfähigkeit entsprechender Aufwendungen im konkreten Fall von beschränktem Erkenntnisgewinn. Der Schädiger kann daher dem Grunde nach sowohl den Aufwand bei Hereinnahme des Fahrzeugs wie auch die Desinfektionskosten vor Herausgabe des Fahrzeugs vom Schädiger verlangen. Dies hat das Erstgericht zutreffend erkannt.
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2. Zutreffend geht das Amtsgericht in seiner Entscheidung weiter davon aus, dass grundsätzlich der Schädiger ein sogenanntes Prognose- oder Werkstattrisiko trägt.
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Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1974 (BGH, Urt. v. 29.10.1974 - Az.: VI ZR 42/73 = BGHZ 63, 182 = NJW 1975, 160), die die Kammer ihrer Entscheidung zugrunde legt, gilt Folgendes:
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Der Geschädigte kann, wenn er das Unfallfahrzeug selbst zur Reparatur gibt, nach § 249 S. 2 BGB (jeweils a.F.) von dem Schädiger bzw. seinem Haftpflichtversicherer nur den Geldbetrag ersetzt verlangen kann, der zur Herstellung des beschädigten Fahrzeugs erforderlich ist. Ihm sind die Mittel für diejenigen Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, die ein verständiger Fahrzeugeigentümer in der besonderen Lage des Geschädigten zur Schadensbeseitigung treffen würde.
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§ 249 S. 2 BGB verlangt unbeschadet seiner begrifflichen Trennung zwischen den erforderlichen und den vom Geschädigten tatsächlich aufgewendeten Herstellungskosten nicht eine Normierung des geschuldeten Betrages etwa nach dem typischen Durchschnittsaufwand. Die Ersetzungsbefugnis, die das Gesetz in § 249 S. 2 BGB dem Geschädigten (bei bestimmten Schäden: Verletzung einer Person oder einer Sache) gewährt, soll ihn davon befreien, die Schadensbeseitigung dem Schädiger anvertrauen oder überhaupt eine Instandsetzung veranlassen zu müssen; sie soll ferner das Abwicklungsverhältnis von dem Streit darüber entlasten, ob die Herstellung durch den Schädiger gelungen ist und vom Geschädigten als Ersatzleistung angenommen werden muß (Prot. I 296, 297). Im übrigen läßt diese Regelung die Verpflichtung des Schädigers, den Geschädigten wirtschaftlich so weit wie möglich so zu stellen, als ob der Unfall nicht eingetreten wäre, unberührt. Deshalb müssen die nach § 249 S. 2 BGB zur Verfügung zu stellenden Mittel so bemessen sein, daß der Geschädigte durch die Ausübung der Ersetzungsbefugnis, sofern er nur wirtschaftlich vernünftig verfährt, nicht reicher, aber auch nicht ärmer wird, als wenn der Schädiger den Schaden nach § 249 S. 1 BGB beseitigt. Der danach „erforderliche“ Herstellungsaufwand wird nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflußmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muß. In diesem Sinne ist der Schaden nicht „normativ“ zu bestimmen, sondern subjektbezogen.
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Auch muß sich der Geschädigte bei der Auftragserteilung sowie bei den weiteren Vorkehrungen für eine ordnungsmäßige, zügige Durchführung der Reparatur von wirtschaftlich vertretbaren, das Interesse des Schädigers an einer Geringhaltung des Schadens mitberücksichtigenden Erwägungen leiten lassen. Es darf aber nicht außer acht gelassen werden, daß seinen Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Unfallfahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben hat; auch diese Grenzen bestimmen das mit, was „erforderlich“ ist. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 S. 2 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis - sei es aus materiellrechtlichen Gründen, etwa gar in Anwendung des § 278 BGB, oder aufgrund der Beweislastverteilung - im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluß entzogen ist und die ihren Grund darin haben, daß die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten, wohl auch nicht vom Schädiger kontrollierbaren Einflußsphäre stattfinden muß. Insoweit besteht kein Sachgrund, dem Schädiger das „Werkstattrisiko“ abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 S. 1 BGB überlassen würde. Die dem Geschädigten durch § 249 S. 2 BGB gewährte Ersetzungsbefugnis ist kein Korrelat für eine Überbürdung dieses Risikos auf ihn.
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Weist der Geschädigte nach, daß er die Instandsetzungsarbeiten unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze veranlaßt hat, so können deshalb die „tatsächlichen“ Reparaturkosten regelmäßig auch dann für die Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind.
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Aber auch in den Fällen, in denen ein Vorgehen gegen die Werkstatt nach Sachlage aussichtsreich erscheint, würde der Schädiger von ihm zuviel verlangen, wollte er ihm die Mühen und Risiken einer Auseinandersetzung aufbürden, die letztlich vom Schädiger zu verantworten ist.
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Diese Grundsätze führen freilich nicht dazu, die Reparaturkosten der Werkstatt dem nach § 249 S. 2 BGB für die Instandsetzung des Fahrzeugs geschuldeten Betrag ungeprüft gleichzusetzen. Selbstverständlich haben Reparaturen bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes auszuscheiden, die nur bei Gelegenheit der Instandsetzungsarbeiten mitausgeführt worden sind. Ferner dürfen die dargestellten Bemessungsgrundsätze nicht dazu führen, daß sich - letztlich zum Schaden der Allgemeinheit - mangelndes Interesse der Vertragsbeteiligten an einer marktgerechten Abwicklung der Instandsetzung im Kostenniveau niederschlägt. An den vom Geschädigten zu führenden Nachweis, daß er wirtschaftlich vorgegangen ist, also bei der Beauftragung, aber auch bei der Überwachung der Reparaturwerkstatt den Interessen des Schädigers an Geringhaltung des Herstellungsaufwandes Rechnung getragen hat, dürfen nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden.
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Verzögerungen, die etwa durch fehlerhafte Organisation des Reparaturbetriebes, Ausfall von Arbeitskräften, unwirtschaftliche oder fehlerhafte Handhabung der Reparatur entstehen, also dem Einfluß und der Kontrolle des Geschädigten entzogen sind, im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich nicht zu seinen Lasten. Auch insoweit muß der Schädiger auch hier auf die Möglichkeit verwiesen werden, sich von dem Geschädigten etwaige Ansprüche gegen die Werkstatt abtreten zu lassen und sich selbst mit dieser auseinanderzusetzen.
(vgl. BGH, a.a.O., NJW 1975, 160-163).
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3. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Kürzungen der Beklagten in Höhe von 536,73 € gegenüber dem Kläger unberechtigt erfolgten.
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a.) Sollten sie in der Sache berechtigt sein, unterfallen sie dem Werkstatt- bzw. Prognoserisiko, welches dem Schädiger bei tatsächlicher Durchführung der Reparatur zur Last fällt. Der Kläger ist Geschädigter und kein mit natürlicher oder künstlicher Intelligenz ausgestatteter „ControlExpert“.
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b.) Dies gilt auch für die Schadensposition „Luftdüse Mitte A+E“ in Höhe von 32,21 € netto und „Ausstroem.“ in Höhe von 55,95 € netto. Dass diese Maßnahmen nur bei Gelegenheit der Schadensbeseitigung ausgeführt worden sind, macht selbst die Rechnungsprüfung der Beklagten nicht ausdrücklich geltend. Nach ihrer Formulierung „Die Kosten für den Ausströmer und die dazugehörigen Arbeiten werden nicht akzeptiert, da sie nicht zu den schadensbedingten Reparaturkosten gehören.“ können auch so verstanden werden, die Kosten seien für die Reparatur des Unfallschadens technisch nicht erforderlich gewesen. Einen in dieser Weise nicht vollständig konkreten Vorhalt muss sich der Kläger nicht entgegenhalten lassen. Auch diese Kosten unterfallen daher dem Werkstattrisiko, welches der Schädiger und damit hier seine beklagte Versicherung zu tragen hat.
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c.) Die Kammer verkennt bei ihrer Entscheidung nicht, dass die von der Streithelferin berechneten Kosten teilweise sehr hoch sind, z.B. die Kosten „Fzg Waschen“ in Höhe von 48,31 € netto. Diese Kosten entsprechen aber zum einen in ihrer Größenordnung den Feststellungen des Sachverständigengutachtens, welches den Aufwand in Höhe von 47,34 € netto bemessen hat. Zum anderen ist es Ausprägung des Werkstatt- und Prognoserisikos, nicht den Geschädigten in die Pflicht zu nehmen, die ordnungsgemäße Höhe der Kosten mit der Streithelferin zu erstreiten. Dies unterfällt vielmehr dem Pflichtenkreis der übrigen Prozessbeteiligten des Verfahrens.
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4. Einen Teilbetrag der Desinfektionskosten in Höhe von 65,00 € netto kann der Kläger allerdings nicht von der Beklagten verlangen. Gemessen an obigen Rechtsprechungsgrundsätzen des Bundesgerichtshofs hätte ein Auftraggeber Kosten in Höhe von 145,52 € netto gegenüber der Werkstatt beanstandet.
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a.) Bei einer auf Plausibilität ausgerichteten Rechnungsprüfung des Klägers im eigenen Kosteninteresse wäre ihm aufgefallen, dass diese Schadensposition in der streitgegenständlichen Rechnung zweifach auftaucht, was ihm bei der wohl üblichen Rechnungserläuterung durch die Werkstatt zu einer Nachfrage Anlass gegeben hätte. Dabei hätte sich voraussichtlich ergeben, dass eine Korrektur erfolgt wäre (vgl. Geigel-Katzenstein, Haftpflichtprozess, [28.], 2020, § 3 Rn. 16 zum Prognose- und Reparaturfehlerrisiko: „…- von Fällen offensichtlicher Berechnungsfehler, deren klaglose Korrektur zu erwarten ist, abgesehen …“), so dass ein streitiger Regress des Geschädigten gegen die Streithelferin nicht notwendig sein dürfte. Weitere Erläuterungen dazu, wieso dieser Aufwand unter zwei Rechnungspositionen in der Rechnung erscheint, sind trotz schriftsätzlichem Vorhalt der Beklagtenseite nicht aktenkundig.
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b.) Im Übrigen ist festzuhalten, dass die tatsächliche Rechnungssumme die im Gutachten kalkulierten Kosten für die Corona-Desinfektionskosten um fast 100 % übersteigt.
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c.) Auch ergibt ein Vergleich der von der Streithelferin hierfür berechneten Kosten mit anderen, jüngst von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, dass diese die vorliegend berechneten Kosten bei weitem nicht erreichen. Es fällt der Kammer auch schwer anzunehmen, dass diese Kosten wirklich bei jedem Werkstattbesuch im Juli 2020 angefallen und berechnet worden sind, bei dem sich ein Mitarbeiter der Werkstatt zu irgendeinem Zeitpunkt in das Fahrzeug setzte, unabhängig davon, ob die Rechnungssumme für die übrigen Arbeiten 150 € oder 15.000 € betragen hat und unabhängig davon, ob es sich um einen Haftpflichtfall oder Privatauftrag handelte.
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Eine solche, von der Kammer hier nur skizzierte Markt- oder Rechtsprechungsübersicht kann vom Geschädigten allerdings nicht verlangt werden, zumal die hier genannten Urteile im wesentlichen erst nach Beendigung und Bezahlung der Reparaturarbeiten erlassen bzw. veröffentlicht worden sind.
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Sie sind damit keine Umstände, die dem Anspruch des Klägers von der Beklagten entgegengehalten werden können.
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d.) Die Kammer muss nicht entscheiden und kann offenlassen, bis zu welcher Höhe Corona-Desinfektionskosten für den Zeitraum Juli 2020 grundsätzlich ersatzfähig sein können. Diese Bewertung mag zudem von jeweils empfohlenen bzw. behördlich angeordneten Hygienestandards abhängen, die seit März 2020 einem ständigen Erkenntnisprozess unterliegen, und überdies von entsprechenden Preisen der anzuwendenden Desinfektionsmittel am Markt abhängen, welche im Jahr 2020 bekanntlich starken Schwankungen unterlagen, wobei die Klägerseite die entstandenen Kosten maßgeblich mit Arbeits- und nicht mit Materialaufwand rechtfertigt.
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Soweit dem Kläger wie im vorliegenden Fall ein Sachverständigengutachten vorliegt, wohnt diesem jedenfalls eine Indizwirkung dahingehend inne, dass er gegenüber der Werkstatt bei tatsächlicher Durchführung der Reparatur im Regelfall nicht geringere Aufwendungen reklamieren muss, als im Sachverständigengutachten als erforderlich festgestellt worden sind.
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e.) Es bleibt der Beklagten unbenommen, nach Abtretung von Ansprüchen Regressforderungen gegenüber der Streithelferin geltend zu machen. Eine Zug-um-Zug Verurteilung wäre nur veranlasst gewesen, soweit ein entsprechendes Zurückbehaltungsrecht prozessual geltend gemacht worden wäre, was hier nicht ausdrücklich geschehen ist. Rechtsausführungen zu diesem Problemkreis ersetzen eine ausdrückliche Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts bereits während des Prozesses nicht, insbesondere nicht im anwaltlich geführten Rechtsstreit.
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Von der Kürzung des klägerischen Anspruchs in Höhe von 65,00 € netto (= 74,50 € brutto) abgesehen war der Klage stattzugeben. Die weitergehende Berufung der Beklagten war zurückzuweisen.
III.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 Abs. 1, 101 ZPO
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO.
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3. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.