Inhalt

VG München, Beschluss v. 22.01.2021 – M 13 S 21.337
Titel:

Beschränkungen einer Versammlung aus Gründen des Infektionsschutzes

Normenketten:
BayVersG Art. 15 Abs. 1
11. BayIfSMV § 3 Nr. 7
Leitsätze:
1. Eine Begrenzung der Teilnehmerzahl und die Beschränkung auf eine ortsfeste  Versammlung sind erforderliche Maßnahmen, um zu verhindern, dass von einer Versammlung infektionsschutzrechtlich nicht vertretbare Gefahren ausgehen. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Teilnahme an einer Versammlung ist kein "ähnlich gewichtiger und unabweisbarer Grund" (§ 3 Nr. 7 der 11 BayIfSMV) für das Verlassen der eigenen Wohnung während der zwischen 21 und 5 Uhr geltenden nächtlichen Ausgangssperre. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlungsrecht, Beschränkungen bzgl. Ort, Zeit und Teilnehmerzahl, Gefahrenprognose, Nächtliche Ausgangssperre, Corona, Versammlung, Beschränkungen, nächtliche Ausgangssperre, Querdenker
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 24.01.2021 – 10 CS 21.249
Fundstelle:
BeckRS 2021, 480

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
II. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen Beschränkungen einer Versammlung im Stadtgebiet der Landeshauptstadt München.
2
Der Antragsteller zeigte am 19. Januar 2021 per E-Mail eine Demonstration unter dem Motto „Wir fordern, dass der 10. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt wird, weil dieser sich gemäß § 7 Abs. 1 Nummer 10 des Völkerstrafgesetzbuches durch seine Rechtsprechung zu Demonstrationsverboten für eine unerwünschte politische Gruppierung („Querdenker“), u.a. Demonstration in Stein bei Nürnberg am 17. Januar 2021, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar gemacht hat.“ (sic) auf der Ludwigstraße in München an. Die Versammlung solle ca. 1000 Teilnehmer haben und von 18:00 bis 22:00 Uhr stattfinden. Es sei beabsichtigt, zwei Runden um den Altstadtring zu ziehen, anschließend werde vor dem Eingang des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs eine Kundgebung mit Redebeiträgen durchgeführt. Zudem sollten Unterschriften gesammelt werden.
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Mit Bescheid vom … Januar 2021 bestätigte die Antragsgegnerin die Versammlungsanzeige, beschränkte die Versammlung jedoch u.a. dahingehend, dass diese nur ortsfest (Ziffer 1) und auf dem Abschnitt der Ludwigstraße zwischen dem Oskar-von-Miller-Ring bzw. der Von-der-Tann-Straße und der Theresienstraße (Ziffer 2) stattfinden dürfe. Die Teilnehmerzahl wurde auf 200 Personen beschränkt (Ziffer 3), die Dauer der Versammlung auf 135 Minuten zwischen 17:45 Uhr und 20:00 Uhr begrenzt (Ziffer 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Wenngleich derzeit ein Rückgang der sog. 7-Tages-Inzidenz neuer Covid-19-Fälle zu verzeichnen sei, sei die infektionsschutzrechtliche Lage weiterhin kritisch. Eine neue Virus-Mutation, deren Verbreitung unbedingt vermieden werden müsse, sei inzwischen auch in München nachgewiesen worden. Nach den Wertungen der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung seien derzeit nur Versammlungen mit einer Teilnehmerzahl von bis zu 200 als in der Regel infektionsschutzrechtlich vertretbar anzusehen. Im Rahmen der versammlungsrechtlichen Gefahrenprognose dürften Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indiz für das Vorliegen einer Gefahr herangezogen werden, soweit diese bezüglich Motto, Ort, Datum oder Teilnehmer- und Organisatorenkreis Ähnlichkeiten zur geplanten Versammlung aufwiesen. Die geplante Versammlung sei aufgrund des Teilnehmerkreises und der Zugehörigkeit der Organisatoren zum „harten Kern“ der Bewegung ersichtlich der sog. Querdenker-Szene zuzuordnen. Daher seien Erfahrungen aus vergleichbaren Versammlungen zu berücksichtigen. Zuletzt sei es bei Querdenker-Versammlungen in Nürnberg am 3. Januar 2021 und in Fürth am 17. Januar 2021 mit jeweils etwa 300 bis 350 Teilnehmern erneut zu zahlreichen Verstößen gegen Infektionsschutzbestimmungen, insbesondere gegen die zulässige Teilnehmerzahl, gegen die einzuhaltenden Mindestabstände sowie die Maskenpflicht gekommen. Nach Polizeiberichten seien die infektionsschutzrechtlichen Bestimmungen bewusst und vehement missachtet worden; insgesamt sei es zu 117 bzw. 231 Verstößen gegen die Infektionsschutzmaßgaben gekommen. Vor diesen Hintergründen seien Beschränkungen der angezeigten Versammlung notwendig, um deren infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit zu gewährleisten. Eine sich fortbewegende Versammlung sei infektiologisch nicht zu rechtfertigen, da nach den Erfahrungen mit vergleichbaren Versammlungen und aufgrund des Vorverhaltens des Veranstalters zu befürchten sei, dass die Teilnehmer im Rahmen eines Demonstrationszuges gegen infektionsschutzrechtliche notwendige Auflagen verstoßen würden. Die Beschränkung der Versammlung auf 200 Personen sei erforderlich, um Infektionsgefahren nach den örtlichen Verhältnissen effektiv zu begegnen. Die Versammlung müsse zeitlich beschränkt und verlegt werden, um den Teilnehmern zu ermöglichen, die nächtliche Ausgangssperre gemäß § 3 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) einzuhalten. Die Teilnahme an einer Versammlung stelle generell keinen triftigen Grund für das Verlassen der Wohnung während der nächtlichen Ausgangsbeschränkungen dar. Es sei auch kein einzelfallbezogener Grund dafür ersichtlich, dass die angezeigte Versammlung, etwa aus einem kurzfristigen Anlass oder einem sonstigen unaufschiebbaren Bedürfnis, gerade während der Dauer der Ausgangssperre durchgeführt werden müsse. Die räumliche Verlegung ergebe sich aus der polizeilichen Gefahrenprognose, die darlege, dass bei den Teilnehmern an einschlägigen Querdenker-Versammlungen ein in letzter Zeit zunehmendes Aggressionspotenzial im Auftreten gegenüber den staatlichen Institutionen zu verzeichnen sei und daher nicht ausgeschlossen werden könne, dass diese Abneigung in entsprechenden Aktionen zum Ausdruck gebracht werden könnte.
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Der Antragsteller hat am 22. Januar 2021 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt und beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des noch einzulegenden Rechtsbehelfs gegen den Bescheid des Antragsgegners (sic) vom … Januar 2021 herzustellen.
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Eine unmittelbare Gefahr für geschützte Rechtsgüter sei mit der Durchführung der angezeigten Versammlung nicht verbunden. Die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin bestehe nur aus pauschalen Behauptungen ohne Beweise. Der Antragsteller habe u.a. bei zehn Versammlungen in Ulm unter Beweis gestellt, dass er in der Lage sei, die Einhaltung von Mindestabständen als Versammlungsleiter zu gewährleisten. Es sei nicht ersichtlich, weshalb mit einer beweglichen Versammlung erhöhte Infektionsschutzrisiken verbunden sein sollten. Das vorgelegte Hygienekonzept stelle sicher, dass es während des Demonstrationszuges nicht zu Verstößen gegen Infektionsschutzregeln kommen werde. Einzelne Verstöße gegen Abstands- und Maskenpflicht könnte die anwesende Polizei im Übrigen durch die Ahndung in Form von Bußgeldern verfolgen. Er berufe sich nicht nur auf Art. 8 GG, sondern auch auf das höherrangige Recht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 12 der Charta der Grundrechte der EU. Eingriffe in dieses Recht seien nur auf gesetzlicher Grundlage zulässig. Ein Verwaltungsakt oder eine Verordnung genüge dafür als Akt der Exekutive nicht. Er fordere, dass die Antragsgegnerin oder das Gericht anhand von Quellen belege, dass Versammlungen in irgendeiner Weise zum Infektionsgeschehen der Jahre 2020 und 2021 beigetragen hätten. Infektionen unter freiem Himmel seien sehr viel seltener als in Innenräumen, die meisten Übertragungen fänden innerhalb geschlossener Räume statt. Das Ende der Versammlung nach 21:00 Uhr während der nächtlichen Ausgangssperre gehöre zum Hygienekonzept der Veranstaltung und diene dazu, eine Vermischung der heimreisenden Versammlungsteilnehmer mit sonstigen Passanten zu vermeiden. Die örtliche Verlegung der Versammlung sei willkürlich. Der Verwaltungsgerichtshof werde in seiner Tätigkeit nicht gestört, da die Versammlung am Sonntagabend stattfinde. Der Antragsteller sei selbst federführend an einer Versammlung vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt gewesen.
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Am selben Tag wurde in der Hauptsache Klage erhoben.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung verweist sie auf den streitgegenständlichen Bescheid.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die angegriffenen Beschränkungen der Versammlung des Antragstellers ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er führt jedoch in der Sache nicht zum Erfolg.
I.
13
Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Suspensivinteresse am Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs vorzunehmen. Nach herrschender Meinung trifft das Gericht dabei eine eigene Ermessensentscheidung, für die in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs maßgeblich sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich erfolgreich sein, weil die Klage zulässig und begründet ist, so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Bei offener Erfolgsprognose ist eine Interessenabwägung durchzuführen. Dem Charakter des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht dabei in der Regel eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (Gersdorf, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2019, § 80 Rn. 176). Zum Schutz von Versammlungen ist indes schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt (BVerfG, B.v. 12.5.2010 - 1 BvR 2636/04 - juris Rn. 18 m.w.N.).
II.
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Hieran gemessen überwiegen die öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehbarkeit der angegriffenen versammlungsrechtlichen Beschränkungen. Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage hat keine Aussicht auf Erfolg.
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1. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wobei solche Beschränkungen im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Versammlungsgrundrechts auszulegen sind. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind daher nur zum Schutz gleichrangiger anderer Rechtsgüter und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, 21.11.2020 - 1 BvQ 135/20 - juris Rn. 6). Hinsichtlich des Vorbringens des Antragstellers zu den Bestimmungen der Grundrechtecharta der Europäischen Union wird auf die Ausführungen des BayVGH (B.v. 16. Januar 2021 - 10 CS 21.166) verwiesen, denen sich die Kammer ausdrücklich anschließt.
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Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. § 7 Abs. 1 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 bestimmt für öffentliche Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes unter anderem einen Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Teilnehmern (Satz 1) sowie die Pflicht der nach § 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörde, soweit im Einzelfall erforderlich durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 BayVersG sicherzustellen, dass die Bestimmungen nach Satz 1 eingehalten werden und die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben; davon ist in der Regel auszugehen, wenn die Versammlung nicht mehr als 200 Teilnehmer hat und ortsfest stattfindet (Satz 2). Damit konkretisiert § 7 Abs. 1 11. BayIfSMV die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG sowohl auf der Tatbestands-, wie auch auf der Rechtsfolgenseite im Hinblick auf von Versammlungen unter freiem Himmel ausgehende Gefahren für die Gesundheit und das Leben einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie den Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überlastung (vgl. BayVGH, B.v. 19. September 2020 - 10 CS 20.2103, m.w.N.).
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2. Die Antragsgegnerin hat mit Recht angenommen, dass von der Durchführung der angezeigten Versammlung voraussichtlich Infektionsschutzrechtlich nicht vertretbare Gefahren ausgehen würden und dass die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit nur durch versammlungsrechtliche Beschränkungen sichergestellt werden kann.
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Die Antragsgegnerin hat sich bei ihrer Gefahrenprognose in nicht zu beanstandender Weise maßgeblich auf die Erfahrungen mit früheren Versammlungen der „Querdenker“-Bewegung gestützt, u.a. am 12. September und am 23. Oktober 2020 in München, am 25. Oktober 2020 in Berlin sowie zuletzt am 3. Januar 2021 in Nürnberg und am 17. Januar 2021 in Fürth. In die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose dürfen Ereignisse im Zusammenhang mit anderen Versammlungen einbezogen werden, soweit sie hinsichtlich des Versammlungsthemas, des Ortes, des Datums oder des Teilnehmer- und Organisatorenkreises bei verständiger Würdigung Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, B.v.4.9.2009 - 1 BvR 2147/09 - NJW 2010, 141). Bei den zutreffend als Bezugsfälle herangezogenen Versammlungen ist es immer wieder zu zahlreichen Verstößen gegen die nach Landesrecht einzuhaltenden Mindestabstände sowie die nach Landesrecht angeordnete Maskenpflicht gekommen. Polizeiliche Einwirkungsversuche gestalteten sich bereits ab einer Teilnehmerzahl von nur 200 bis 300 Personen als schwierig und führten laut der von der Antragsgegnerin vorgelegten Stellungnahme des Polizeipräsidiums München teilweise zu „Eskalationen“ und (strafbaren) Widerstandshandlungen. Diese Erfahrungen erlauben auch aus Sicht des Gerichts den Schluss darauf, dass es auch bei der nunmehr geplanten Versammlung in erheblichem Umfang zu Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit kommen würde, sollten keine geeigneten Beschränkungen angeordnet werden.
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3. Auf dieser Grundlage ist die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass die infektionsschutzrechtliche Vertretbarkeit der Versammlung nur durch eine Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 200 und die ortsfeste Durchführung der Versammlung sichergestellt werden kann, nicht zu beanstanden. Beide Beschränkungen sind geeignet, zu einem übersichtlichen und für die Polizei und die Organisatoren möglichst beherrschbaren Versammlungsablauf beizutragen. Die Erforderlichkeit der Beschränkungen wäre nur zu verneinen, wenn sich andere Maßnahmen als eindeutig gleich geeignet, aber weniger belastend darstellten (vgl. Grzeszick, Maunz/Dürig, GG, 92. EL August 2020, Art. 20 VII Rn. 114). Dies erscheint der Kammer insbesondere aufgrund der dargelegten Erfahrungen mit einschlägigen Demonstrationszügen der letzten Wochen in Nürnberg und Fürth, bei denen es trotz der nur bei 300 bis 350 Personen liegenden Teilnehmerzahlen zu systematischen und zahlreichen Verstößen gegen infektionsschutzrechtliche Beschränkungen gekommen ist, nicht glaubhaft. Die sich aus dem zurückliegenden Versammlungsgeschehen ergebenden durchgreifenden Bedenken werden weder durch die Versicherung des Antragstellers, er sei wie kein anderer in der Lage, die Einhaltung von Infektionsschutzregeln sicherzustellen, noch durch das vorgelegte Sicherheitskonzept ausgeräumt. Soweit der Antragsteller einwendet, die repressive Ahndung etwaiger Ordnungswidrigkeiten durch die anwesenden Polizeibeamten würde zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit genügen, lässt er damit außer Acht, dass dieses Vorgehen nicht in gleicher Weise geeignet wäre, Infektions- und damit Gesundheitsgefahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) effektiv zu begegnen, da damit in Kauf genommen würde, dass es vielfach zum Eintritt infektionsschutzrechtlich unerwünschter Zustände und damit Störungen im Sinne des Sicherheitsrechts käme (vgl. BayVGH, B.v. 16.01.2021 - 10 CS 21.166). Der absehbare Eintritt infektionsschutzrechtlicher Störungen ist auch nicht etwa deshalb hinzunehmen, weil der Antragsteller beabsichtigt, während der Versammlung eine bestimmte Anzahl von Unterschriften zu sammeln.
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4. Auch die örtliche Verlegung der unmittelbar vor dem Eingang des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geplanten Kundgebung dürfte sich im Ergebnis als rechtmäßig erweisen. Auf der Grundlage der polizeilichen Gefahrenprognose vom 21. Januar 2021, die darlegt, dass bei den Teilnehmern an einschlägigen Querdenker-Versammlungen ein in letzter Zeit zunehmendes Aggressionspotenzial im Auftreten gegenüber den staatlichen Institutionen zu verzeichnen ist und darauf aufmerksam macht, dass der Verwaltungsgerichtshof, wie aus dem Versammlungsmotto hervorgeht, eines der institutionellen „Feindbilder“ der Bewegung darstellen dürfte, ist die Antragsgegnerin nachvollziehbar zur Einschätzung gekommen, dass die sicherheitsrechtlichen Bedenken den mit einer geringfügigen Ortsveränderung verbundenen Eingriff in die Versammlungsfreiheit rechtfertigen. Zwar berechtigen nur unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnungen zu Auflagen oder Versammlungsverboten (vgl. Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2016, § 15 Rn. 53), während bloße Verdachtsmomente nicht genügen (vgl. Hettich, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2018, Teil 4 Rn. 147). Nicht zuletzt unter Berücksichtigung des „Sturms“ auf das Reichstagsgebäude in Berlin am 29. August 2020 und dem in der Szene geäußerten Wunsch nach einem Sturm auf die staatlichen Institutionen auch in München (in „Dirndl und Lederhosen“, vgl. S. 29 des Bescheides) liegt aus Sicht der Kammer jedoch eine (noch) hinreichende Tatsachengrundlage für die angestellte Gefahrenprognose vor.
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5. Die vom Antragsteller angegriffene zeitliche Vorverlegung der Versammlung auf die Zeit von 17:45 Uhr bis 20:00 Uhr erweist sich bei der gebotenen summarischen Prüfung ebenfalls als rechtmäßig.
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Nach der nächtlichen Ausgangsbeschränkung des § 3 11. BayIfSMV ist landesweit von 21:00 Uhr bis 5:00 Uhr der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung untersagt, es sei denn, dies ist aufgrund des Vorliegens eines der in § 3 Nr. 1 bis 6 11. BayIfSMV enumerativ aufgezählten Tatbestände oder „von ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Gründen“ begründet.
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Als Ausnahmetatbestand ist § 3 Nr. 7 11. BayIfSMV grundsätzlich eng auszulegen. Weiter berücksichtigt die Kammer die Wertungsentscheidung des Verordnungsgebers, die im Verhältnis zu der in § 2 11. BayIfSMV geregelten allgemeinen Ausgangsbeschränkung deutlich zum Ausdruck kommt. Denn im Gegensatz zu der enumerativen Aufzählung der Ausnahmetatbestände der nächtlichen Ausgangsbeschränkung nach § 3 11. BayIfSMV wird die Teilnahme an Versammlungen unter den Voraussetzungen des § 7 11. BayIfSMV in § 2 Satz 2 Nr. 13 11. BayIfSMV ausdrücklich als „triftiger Grund“ für das Verlassen der Wohnung aufgeführt. Dies lässt den Schluss zu, dass der Verordnungsgeber die Teilnahme an Versammlungen gerade nicht als „ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Grund“ für das Verlassen der Wohnung zwischen 21 Uhr und 5 Uhr angesehen hat. Schließlich sind die in § 3 Nr. 1 bis Nr. 6 BayIfSMV aufgezählten Tatbestände als Vergleichsmaßstab für die Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffs des „ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Grundes“, bei denen es sich zum einen um unaufschiebbare Gründe handelt, die nicht ohne weiteres bis zum nächsten Morgen aufgeschoben werden können und die zumeist der Befriedigung existenzieller Bedürfnisse dienen, heranzuziehen.
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Nach diesen Maßstäben stellt die Teilnahme an der angezeigten Versammlung bei Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände auch im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG und des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters, über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung zu bestimmen (vgl. BVerfG, B. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 u.a. - juris Rn. 70, 61), keinen ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Grund im Sinne des Auffangtatbestands des § 3 Nr. 7 11. BayIfSMV dar. Wie die Antragsgegnerin zutreffend darstellt, ist nicht ersichtlich, dass der Versammlungszweck durch die zeitliche Verlegung gefährdet würde. Gründe, die die Durchführung der Versammlung in der beantragten Zeit unbedingt erforderlich machen, wie beispielsweise ein besonderer zeitlicher, unaufschiebbarer Bezug, der für die Erfüllung des Auffangtatbestandes der „ähnlich gewichtigen oder unabweisbare Gründe“ erforderlich wäre, wurden vom Antragsteller nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Redebeiträge und das Sammeln von Unterschriften können ebenso gut in der Zeit von 17:45 Uhr bis 20:00 Uhr erfolgen. Dieser nur geringfügigen Einschränkung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG durch die zeitliche Verlegung steht der mit der nächtlichen Ausgangsbeschränkung verfolgte deutlich gewichtigere Zweck, Kontakte notwendigerweise weiter zu reduzieren und dadurch den Schutz von Leben und Gesundheit und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zu gewährleisten (vgl. Begründung zur 11. BayIfSMV), gegenüber. Schließlich greift auch der Vortrag des Antragstellers, die Beendigung der Versammlung erst nach 21:00 Uhr sei Teil seines Hygienekonzepts und diene der Entzerrung des Abreiseverkehrs und der Vermeidung einer Vermischung der Versammlungsteilnehmer mit anderen Passanten, zu kurz. Denn es ist nicht nur Ziel der Infektionsschutzmaßnahmen, die Ansteckungsgefahr von Dritten zu vermeiden, sondern auch die Gefahr der Ansteckung der Versammlungsteilnehmer untereinander, die eine Infektion anschließend weitertragen könnten, zu minimieren.
III.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.