Inhalt

VG München, Urteil v. 10.12.2021 – M 27 K 18.32795
Titel:

Erfolglose Asylklage staatenloser Palästinenser (Folgeantrag, Jordanien)

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz:
Ein Klumpfuß ist bei einem weitgehend ausbehandelten, das sechste Lebensjahr knapp vollendet habenden Kind in Jordanien nicht als lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG anzusehen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Folgeantrag, Wiederaufgreifensgründe (verneint), Klumpfuß, staatenlose Palästinenser, Jordanien, Abschiebungsverbot
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.03.2022 – 15 ZB 22.30230
Fundstelle:
BeckRS 2021, 48095

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger, vom Volk der Palästinenser und muslimischen Glaubens, sind nach eigenen Angaben staatenlos. Nach Aktenlage sind sie ungeklärter Staatsangehörigkeit mit gewöhnlichem Aufenthalt in Jordanien. Sie reisten am 13. Mai 2014 von Norwegen kommend im Rahmen einer Rücküberstellung in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 2. Juni 2014 Asylanträge.
2
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 9. August 2016 gaben die Kläger im Wesentlichen an, dass sie Jordanien, das Land ihres gewöhnlichen Aufenthalts, aufgrund der Diskriminierung verlassen hätten, die ihnen als in Jordanien gebürtige Palästinenser ohne jordanische Staatsangehörigkeit widerfahren sei. Diese Diskriminierungen beträfen den Zugang zur Bildung und Gesundheitsversorgung sowie zu beruflichen Möglichkeiten. So sei es dem Kläger zu 1 nach Abschluss seiner Ausbildung zum Krankenpfleger nicht möglich gewesen, in diesem Beruf tätig zu werden, weshalb er andere Tätigkeiten wie Maler oder Verkäufer ausgeübt habe. Eine weitere Ausbildung oder ein Studium sei ihm ebenfalls nicht erlaubt gewesen. Die Klägerin zu 2 habe ihren Beruf als Lehrerin nach dem Abschluss ihres Literaturstudiums nur illegal bei einer Privatschule ausüben können und hierfür auch einen Lohn von nur 100 Dinar akzeptieren müssen, während das normale Gehalt für Lehrer bei 300 - 400 Dinar gelegen habe. Auch ihr Studium selbst habe sie nicht an einer staatlichen Universität absolvieren dürfen, weshalb ihr Vater ihr unter Schwierigkeiten ein Studium an einer privaten Hochschule finanziert habe. Der Zugang zur staatlichen Gesundheitsversorgung sei den Klägern ebenfalls verwehrt worden. So habe die Klägerin zu 2, während diese schwanger gewesen sei, eine notwendige Behandlung im Krankenhaus nicht erhalten. Die Kläger hätten dann Schulden machen müssen, um eine private Behandlung finanzieren zu können. Die Klägerin zu 2 habe das Kind verloren und im Anschluss an die Behandlung sogar noch eine höhere Rechnung präsentiert bekommen als ihr im Vorfeld mitgeteilt worden sei. Dieses Ereignis habe dann auch den Anlass gegeben, die Ausreise aus Jordanien zu planen.
3
Mit Bescheid vom 24. Januar 2017, am 1. Februar 2018 zugestellt, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Asylanerkennung (Nr. 2) ab, erkannte weder die Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) noch den subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Die Kläger wurden aufgefordert, innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, anderenfalls wurde ihnen die Abschiebung angedroht (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Eine am … April 2017 erhobene Klage gegen den Bescheid vom 24. Januar 2017 wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. März 2018 (Az.: M 17 K 17.37729) als unzulässig abgewiesen. Das Urteil wurde am 23. April 2018 rechtskräftig.
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Der Klägerbevollmächtigte führte mit Schreiben vom … und … April 2018 an das Bundesamt im Wesentlichen aus, die Kläger seien während ihres zeitweiligen Aufenthalts in Jordanien diskriminiert und schlecht behandelt worden. Er legte mehrere Abhandlungen (Human Rights Watch, Forced Migration Review, Huffpost, Refugee Review Tribunal Australia, Bl. 62ff. der Behördenakte - BA -), betreffend die Kläger als Staatenlose, sowie mehrere ärztliche Schreiben aus den Jahren 2016 und 2017 (Bl. 81ff. BA), betreffend den Kläger zu 5, vor. Die Palästinenser würden in Jordanien in drei Gruppen aufgeteilt. Medizinische Behandlungen würden nicht auf Kosten des Staates und auch nicht auf Kosten der UNRWA durchgeführt. Palästinenser seien in einigen Berufsgruppen von der Arbeit ausgeschlossen.
6
Am . Mai 2018 stellten die Kläger einen Folgeantrag. Zur Begründung führten sie aus, der Kläger zu 5 habe einen Klumpfuß, und legten verschiedene Atteste hierzu vor. Außerdem erklärten sie, sie seien sie staatenlos. Hierzu wurde ein Schreiben der Regierung von Oberbayern, Zentrale Ausländerbehörde, vom 24. April 2018 sowie ein Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom … April 2018 (Bl. 102ff. BA) vorgelegt. Zudem werde die Lage in Jordanien besonders für Palästinenser, die in Jordanien geboren seien und aus dem Gaza-Streifen stammten, immer schlimmer. Die Klägerin zu 2 ergänzte, ihr Kind sei im fünften Schwangerschaftsmonat verstorben. Sie habe sich Geld von Verwandten leihen müssen, um die Operation zu bezahlen. Bei ihrer Arbeit als Lehrerin sei sie ausgenutzt worden. Ihr Beruf sei von Seiten des Staates verboten.
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Mit Bescheid vom 2. Juli 2018, zugestellt am 6. Juli 2018, wurde der Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig abgelehnt (Nr. 1) sowie der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 24. Januar 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgelehnt (Nr. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erforderliche Änderung der Sachoder Rechtslage sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es liege auch kein neues Beweismittel im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor. Restitutionsgründe seien nicht ersichtlich. Ebenso wenig seien die Voraussetzungen für ein Wideraufgreifen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG gegeben.
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Die Kläger haben gegen diesen Bescheid am … Juli 2018 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben lassen und beantragen zuletzt sinngemäß,
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unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 2. Juli 2018 die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz zu gewähren, weiter hilfsweise, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG festzustellen.
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Mit Schriftsatz vom ... August 2018 führte der Klägerbevollmächtigte zur Begründung der Klage aus, die Klägerin zu 2 sei schwer an Krebs erkrankt. Bei einer Operation in … seien der Klägerin die Speicheldrüse am Ohr und ein Lymphknoten entfernt worden. Er legte ärztliche Atteste vom 4. April 2016, 29. Januar 2018, 1. Juni 2018 und 22. Juni 2018 vor. Das Auftreten massiver Folgeerkrankungen werde befürchtet. Bei dem Kläger zu 5 werde ein Klumpfuß beklagt.
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Am 14. August 2018 stellte die Beklagte die Behördenakten zur Verfügung.
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Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2019 beantragte die Beklagte,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte führte aus, aufgrund der übermittelten ärztlichen Unterlagen könne sie keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG feststellen.
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Mit Schriftsatz vom ... April 2019 legte der Klägerbevollmächtigte für den Kläger zu 5 zwei weitere ärztliche Atteste vom 5. Februar 2019 und 26. Februar 2019 vor.
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Mit Schriftsatz vom … April 2019 legte der Klägerbevollmächtigte für den Kläger zu 5 ein weiteres ärztliches Attest vom 26. Februar 2019 vor.
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Mit Schriftsatz vom … Oktober 2019 legte der Klägerbevollmächtigte für die Klägerin zu 2 ein weiteres ärztliches Attest vom 30. September 2019 vor. Er führte aus, die Klägerin zu 2 leide an einem Karzinom der linken Ohrspeicheldrüse. Nach der am 15. Juni 2018 durchgeführten Operation sei eine engmaschige Überwachung erforderlich, da in einem Zeitraum von 10 Jahren eine massive Verschlechterung auftreten könne.
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Mit Beschluss vom 18. August 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2021 trugen die Kläger zu 1 und zu 2 im Wesentlichen vor, sie hätten als Palästinenser aus dem Gazastreifen in Jordanien keine Rechte gehabt. Aufgrund ihrer Staatenlosigkeit seien sie in Jordanien immer erniedrigt worden. Der Kläger zu 5 könne inzwischen selbständig und normal, ohne Gehhilfe, laufen. Er falle des Öfteren hin, da sein linker Fuß nach innen gedreht sei, und benötige spezielle Schuhe. Wöchentlich mache er Gymnastik. Eine weitere Operation sei geplant. Die Klägerin zu 2 sei aufgrund ihrer Krebserkrankung zwei Mal im Jahr 2018 operiert worden. Jetzt gehe sie alle sechs Monate zur Kontrolle. Sie habe noch Probleme mit der Schilddrüse und nervliche Probleme an der linken Seite des Kopfes beim Essen und Sprechen. Die Kläger übergaben eine Bestätigung der Palästinensischen Mission … vom 24. August 2021, in der bestätigt wird, dass der Kläger zu 1 palästinensischer Volkszugehörigkeit und bei der UNRWA registriert ist, sowie eine Bescheinigung des Landratsamts … vom 7. September 2021, aus der sich ergibt, dass der Kläger zu 1 sich einen Reisepass ausstellen lassen könne. Der Kläger zu 1 erklärte, er habe einen Reisepass bereits beantragt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte, die beigezogenen Akten des Verfahrens M 17 K 17.37729 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und aufgrund der mündlichen Verhandlung entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend waren. In den Ladungsschreiben war auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
21
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO). Diese haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens oder auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Zur Begründung wird auf die Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid verwiesen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
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I. Das Bundesamt hat den Asylfolgeantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt, da die Kläger nach der unanfechtbaren Ablehnung des Erstantrags erneut einen Asylantrag gestellt haben, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens jedoch nicht vorliegen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
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Im vorliegenden Fall ist von einer Folgeantragssituation auszugehen. Die Kläger haben nach unanfechtbarer Ablehnung ihres Erstantrags erneut einen Asylantrag gestellt. Zeitlich ist insoweit auf die nach § 71 Abs. 2 Satz 1 AsylG vorgeschriebene persönliche Antragstellung am 9. Mai 2018 abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war das Erstverfahren bestandskräftig abgeschlossen, da das Urteil vom 7. März 2018 (Az. M 17 K 17.37729), mit dem die Klage gegen die ablehnende Entscheidung des Bundesamtes vom 24. Januar 2017 abgewiesen worden war, am 23. April 2018 rechtskräftig wurde.
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Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen nicht vor. Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG muss sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Klägers geändert haben (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für diesen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO bestehen (Nr. 3). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es reicht schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B.v. 3.3.2000 - 2 BvR 39/98 - juris Rn. 32 m.w.N.). Der Antrag ist gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG jedoch nur dann zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen. Nach § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
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Eine nachträgliche Veränderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten der Kläger (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) ist nicht gegeben. Die von den Klägern im Folgeverfahren genannten Fluchtgründe - die Staatenlosigkeit der Kläger und die schlechte Lage der Palästinenser, die in Jordanien geboren wurden und aus dem Gaza-Streifen stammen - lagen vielmehr bereits im Erstverfahren vor und wurden von diesen so im Wesentlichen auch dargelegt. Die von den Klägern im Rahmen des Folgeverfahrens getätigten Ausführungen sind lediglich ergänzender Natur zu den im Rahmen des Erstverfahrens getätigten Ausführungen und bilden keine veränderte Sach- oder Rechtslage ab. Inwieweit sich die Lage nachträglich nochmal verschlechtert haben soll, wurde durch den oberflächlichen Vortrag zu Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Arbeitsstelle, zum eingeschränkten Schulbesuch der Kinder und zum allgemeinen Verhalten der jordanischen Behörden sowie zu eingeschränkter medizinischer Behandlung nicht glaubhaft und substantiiert dargelegt. Das Gleiche gilt für die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten in dem Schreiben an das Bundesamt vom 23. April 2018. Der Klägerbevollmächtigte gibt hier sogar an, dass es das Recht der Palästinenser, im privaten bzw. staatlichen Bereich arbeiten zu dürfen, seit Jahren nicht mehr gibt, und belegt seine Aussagen zur medizinischen Versorgung mit Beispielen, die Jahre zurückliegen. Die von der Klägerin zu 2 vorgebrachten Schwierigkeiten beim Studium und bei der Ausübung ihres Berufs als Lehrerin sowie die fehlende medizinische Behandlung in der Schwangerschaft wurden bereits im Erstverfahren vorgetragen. Bei den im Rahmen des Folgeantrages vorgetragenen Umständen handelt es sich außerdem um solche, welche bereits vor der Flucht der Kläger nach Europa vorlagen und somit umfänglich bereits im Erstverfahren hätten vorgetragen werden müssen. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die Kläger auch nicht durch berücksichtigungswürdige Umstände daran gehindert gewesen sind, die nun getätigten Ausführungen bereits vor Abschluss des Erstverfahrens darzubringen. Umstände, die einem solchen Sachvortrag im ersten Asylverfahren der Kläger entgegengestanden haben könnten, wurden nicht dargelegt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Der Berücksichtigung im Asylfolgeverfahren steht mithin § 51 Abs. 2 VwVfG entgegen.
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Neue Beweismittel, die eine für die Kläger günstigere Entscheidung herbeiführen wür den (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), liegen ebenfalls nicht vor. Aus dem Schreiben der Regierung von Oberbayern, Zentrale Ausländerbehörde, vom 24. April 2018 sowie dem Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 26. April 2018 ergibt sich, dass die Vertretung des Königreichs Jordanien Personen palästinensischer Volkszugehörigkeit, die ihren ständigen Wohnort in Jordanien innehaben oder innehatten, keine neuen Pässe oder Heimreisescheine mehr ausstellt. Der Bestätigung der Palästinensischen Mission … vom 24. August 2021 ist zu entnehmen, dass der Kläger zu 1 palästinensischer Volkszugehöriger und bei der UNRWA registriert ist. Aus dem Schreiben des Landratsamts vom 7. September 2021 geht hervor, dass der Kläger zu 1 sich mit dem vorgelegten Schreiben der Palästinensischen Mission vom 24. August 2021 einen Reisepass ausstellen lassen könnte. Die Kläger haben bezüglich dieser nun vorgelegten Dokumente nicht glaubhaft und substantiiert dargelegt, dass diese eine für sie günstigere Entscheidung hervorrufen. Das Gleiche gilt für die mit Schreiben des Klägerbevollmächtigten an das Bundesamt vom 19. April 2018 vorgelegten Abhandlungen. Damit erscheinen die vorgelegten Beweismittel im Zusammenhang mit dem Sachvorbringen der Kläger nicht geeignet, die Richtigkeit derjenigen Feststellungen infrage zu stellen, die für die Entscheidung im Asylverfahren tragend waren.
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Auch Gründe i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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II. Auch die Entscheidung des Bundesamts zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist nicht zu beanstanden. Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG feststellen zu lassen.
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Aufgrund der allgemeinen Verhältnisse in Jordanien sowie der individuellen Umstände der Kläger ist trotz der schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Jordanien (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Jordanien vom 16.4.2020, Ziff. 20) nicht ersichtlich, dass eine Rückkehr nach Jordanien die Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzielle Notlage i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bringen könnte. Es ist auch davon auszugehen, dass der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 als arbeitsfähige Leute auf dem jordanischen Arbeitsmarkt ein existenzsicherndes Einkommen für ihre Familie erwirtschaften können werden. Eine Einschränkung des Klägers zu 1 oder der Klägerin zu 2 - insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Krebserkrankung - in ihrer Erwerbsfähigkeit wurde nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Hierzu wurden auch keine ärztlichen Atteste vorgelegt. Der Kläger zu 1 verfügt nach eigenen Angaben über eine Ausbildung zum Krankenpfleger sowie über Berufserfahrung als Maler und Verkäufer. Die Klägerin zu 2 hat Literatur studiert und war in Jordanien als Lehrerin an einer Privatschule tätig. Gegebenenfalls könnten die Kläger Unterstützung von ihren in Jordanien lebenden Verwandten erlangen. Außerdem könnten die Kläger ggf. auch staatliche Rückkehrhilfen oder Reintegrationsprogramme in Anspruch nehmen (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/).
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Es besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies wäre dann der Fall, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, so dass die Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint, weil er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, wobei sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren müssten (BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - juris Rn. 14; B.v. 14.11.2007 - 10 B 47.07 - juris Rn. 3; U.v. 29.9.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 20). Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Eine konkrete Gefahr setzt dabei voraus, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde (vgl. BayVGH, U.v. 1.2.2013 - 13a B 12.30045 - juris Rn. 24). Dabei ist es gemäß § 60 Abs. 7 Sätze 4 und 5 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch dann vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
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Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben kann unter Zugrundelegung des Vorbringens der Kläger im gerichtlichen Verfahren nicht vom Vorliegen einer individuellen erheblichen konkreten Gefahr u.a. für Leib und Leben im Sinne dieser Bestimmung bei einer Rückkehr nach Jordanien ausgegangen werden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, welche insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlichmedizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten soll (§ 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG).
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Soweit die Kläger sich unter Vorlage verschiedener ärztlicher Schreiben aus den Jah ren 2016 bis 2019 auf gesundheitliche Beeinträchtigungen des Klägers zu 5 wegen eines Klumpfußes berufen, ist keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG zu erkennen. Nach den Angaben der Kläger zu 1 und zu 2 in der mündlichen Verhandlung haben sich die Beschwerden inzwischen gebessert, der Kläger zu 5 kann ohne Gehhilfe laufen und einen normalen Kindergarten besuchen. Der Umstand, dass er beim Laufen des Öfteren stürzt, erreicht nicht die in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorausgesetzte erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben. Aus dem ärztlichen Attest der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis … - … vom 10. Oktober 2017 ergibt sich auch, dass grundsätzlich bis zum sechsten Lebensjahr eine Dauerbehandlung erforderlich ist. Der Kläger zu 5 vollendet das sechste Lebensjahr in wenigen Tagen. Dem Kläger zu 5 wäre es darüber hinaus zur weiteren Behandlung seines Klumpfußes auch in Jordanien möglich, nachts eine Orthese zu tragen und wöchentlich Gymnastik zu machen. Die medizinische Notwendigkeit einer weiteren Operation wurde nicht durch ärztliche Atteste glaubhaft dargelegt. Gegebenenfalls könnte der Kläger zu 5 die von seinen Eltern in der mündlichen Verhandlung erwähnte Operation zur weiteren Verbesserung seines Gehverhaltens in Jordanien durchführen lassen. An dieser Beurteilung ändert auch die Bescheinigung über einen Grad der Behinderung von 40 vom 28. Februar 2018 nichts. Zum einen ist auch diese Bescheinigung nicht aktuell, zum anderen ergibt sich auch hieraus nicht das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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Auch in Hinblick auf die Erkrankung der Klägerin zu 2 ist das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde. Die vorgelegten Atteste, die schon nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG entsprechen, stammen aus den Jahren 2016 bis 2019 und können daher nicht zur Beurteilung des aktuellen Gesundheitszustandes der Klägerin zu 2 herangezogen werden. Aus dem Attest vom 30. September 2019 ergibt sich lediglich pauschal, dass in einem Zeitraum bis zu 10 Jahre Tochtergeschwülste auftreten können und deshalb eine regelmäßige Nachkontrolle erforderlich sei. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr ist dem Attest nicht zu entnehmen. Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, das Auftreten massiver Folgeerkrankungen werde befürchtet, reicht allein die Befürchtung nicht für die Feststellung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus. Die Klägerin wurde nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung im Jahr 2018 zwei Mal operiert. Derzeit geht sie halbjährlich zur Kontrolle. Die von ihr genannten Einschränkungen an der linken Seite des Kopfes beim Essen und Sprechen erreichen nicht den Schweregrad einer Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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III. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.