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LG München II, Endurteil v. 12.03.2021 – 10 O 2866/20 Ver
Titel:

Kein Deckungsschutz aus Betriebsschließungsversicherung in der Corona-Pandemie

Normenketten:
IfSG § 6, § 7
BGB § 307 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Definieren die Bedingungen einer Betriebsschhließungsversicherung die für den Versicherungsfall maßgebenden Krankheiten und Krankheitserreger als "die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten", besteht kein Leistungsanspruch in der Corona-Pandemie, wenn Covid-19/SARS-COV-2 in den Bedingungen namentlich nicht genannt wird (Anschluss an OLG Stuttgart BeckRS 2021, 2001; BeckRS 2021, 2002).  (Rn. 25 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine derartige Regelung in den Versicherungsbedingungen ist weder intransparent noch benachteiligt sie den Versicherungsnehmer unangemessen. (Rn. 36 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Corona-Pandemie, Covid-19, SARS-COV-2, Apartmenthaus, Ferienwohnungen, Inhaltskontrolle, Transparenzgebot
Fundstelle:
BeckRS 2021, 4740

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.   
3. Das Urteil ist für den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Kläger gegen den Beklagten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung hat.
2
Der Kläger betreibt in Garmisch-Partenkirchen ein Apartmenthaus (Vermietung von Ferienwohnungen).
3
Zwischen den Parteien bestand im Zeitraum vom 27.02.2020 bis zum 26.02.2021 unter der VS-Nr.: 48...9/FK eine Betriebsschließungsversicherung.
4
Gem. dem Versicherungsschein vom 26.02.2020 (vgl. Anlage K1) ist der Betrieb „gegen Schließungsschäden infolge Infektionsgefahr auf der Grundlage des Antrages“ versichert.
5
Als Versicherungsprämie wurde ein Jahresbeitrag in Höhe von netto 89,50 € bzw. brutto 106,51 € und als Tagesentschädigung - bis zur Dauer von 30 Schließungstagen - ein Betrag in Höhe von 994,00 € vereinbart.
6
Gegenstand dieses Versicherungsvertrages sind die von dem Beklagten verwendeten „Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) - AVB-BS“ (im Folgenden einfach „AVB“), Stand 01.01.2019 (vgl. Anlage K2).
7
§ 1 AVB hat folgenden Wortlaut:
㤠1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
1. Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
(…)
2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
a) Krankheiten (…)“
(Es folgt eine Aufzählung bestimmter Krankheiten. Nicht in dieser Aufzählung enthalten ist die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19).)
„b) Krankheitserreger (…)“
(Es folgt eine Aufzählung bestimmter Krankheitserreger. Nicht in dieser Aufzählung enthalten ist das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2).)
8
§ 3 AVB hat folgenden Wortlaut:
„Ausschlüsse (…)
4. Krankheiten und Krankheitserreger
Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.
(…)“
9
Jeweils ausdrücklich aufgrund der gegenwärtigen Corona-Pandemie kam es in Bayern zum Erlass u.a. folgender Allgemeinverfügungen bzw. Verordnungen:
- Gem. Nr. 3 der Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020, Az.: 51-G8000-2020/122-67, wurde, gestützt auf § 28 I 2 IfSG, wurde mit Wirkung vom 18.03.2020 bis zum 30.03.2020 Folgendes bestimmt:
„Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen hiervon sind in der Zeit von 6.00 bis 15.00 Uhr Betriebskantinen sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ausgenommen ist zudem die Abgabe von Speisen zum Mitnehmen bzw. die Auslieferung; dies ist jederzeit zulässig. Es muss sichergestellt sein, dass der Abstand zwischen den Gästen mindestens 1,5 Meter beträgt und dass sich in den Räumen nicht mehr als 30 Personen aufhalten. Weiter ausgenommen sind Hotels, soweit ausschließlich Übernachtungsgäste bewirtet werden.“
- Gem. Nr. 1 der Allgemeinverfügung vom 17.03.2020 zur Änderung der Allgemeinverfügung über Veranstaltungsverbote und Betriebsuntersagungen anlässlich der Corona-Pandemie vom 16. März 2020, Az. 51-‍G8000-2020/122-67, wurde mit Wirkung ab 18.03.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
„e) In Nr. 3 wird nach dem ersten Satz folgender neuer Satz eingefügt: „Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen).
f) In Nr. 3 wird der letzte Satz durch folgende zwei Sätze ersetzt: „Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. Nr. 2 der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020, Az.: Z6a-G8000-2020/122-98, wurde, gestützt auf § 28 I 2 IfSG, wurde mit Wirkung vom 21.03.2020 bis zum 03.04.2020 Folgendes bestimmt:
„Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.“
- Gem. § 2 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV) vom 27.03.2020 wurde mit Wirkung vom 31.03.2020 bis zum 19.04.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. § 2 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16.04.2020 wurde mit Wirkung vom 20.04.2020 bis zum 03.05.2020 Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. § 4 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 01.05.2020 wurde mit Wirkung vom 04.05.2020 bis zum 10.05.2020 Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
- Gem. der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 05.05.2020 wurde mit Wirkung vom 11.05.2020 bis zum 17.05.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
㤠13 Gastronomie
Gastronomiebetriebe jeder Art sind untersagt. Ausgenommen sind:
1. Die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken,
2. nicht öffentlich zugängliche Betriebs- und Schulkantinen, wenn gewährleistet ist, dass der Abstand zwischen den Gästen mindestens 1,5 m beträgt.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 hat der Betreiber ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. § 12 Abs. 4 gilt entsprechend.
§ 14 Hotellerie
(1) Der Betrieb von Hotels, Beherbergungsbetrieben, Schullandheimen, Jugendherbergen und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte ist vorbehaltlich der Regelungen des Abs. 2 untersagt. Insbesondere darf für private touristische Zwecke keine Übernachtungsmöglichkeit angeboten werden.
(2) Zulässig ist die Beherbergung
1.
von Geschäftsreisenden,
2.
in Seminar- und Bildungshäusern, Wohnheimen und vergleichbaren Einrichtungen zu Zwecken der beruflichen Aus- oder Fortbildung, und
3.
von privat Reisenden, soweit der Aufenthalt nicht touristisch begründet ist.“
10
Bereits mit Schreiben vom 02.04.2020 (vgl. Anlage K4) zeigte der Kläger dem Beklagten den Versicherungsfall an und setzte eine Frist zur Zahlung bis zum 02.05.2020.
11
Mit Schreiben vom 09.04.2020 (vgl. Anlage K5) lehnte der Beklagte eine Einstandspflicht aus verschiedenen, dort genannten rechtlichen Gründen ab, bot dem Kläger allerdings eine vergleichsweise Zahlung in Höhe von 15% der vereinbarten Tagesentschädigung für die Dauer von 30 Tagen an. Nachdem die o.g. bis zum 02.05.2020 gesetzte Zahlungsfrist abgelaufen war, beauftragte der Kläger seine jetzigen Prozessbevollmächtigten zunächst mit der außergerichtlichen Verfolgung seiner Ansprüche, woraufhin mit anwaltlichem Schreiben vom 18.05.2020 (vgl. Anlage K6) auf einer vollständigen Zahlung unter neuer Fristsetzung bis zum 02.06.2020 bestanden wurde, was wiederum von dem Beklagten mit Schreiben vom 29.05.2020 (vgl. Anlage K7) abgelehnt wurde.
12
Der Kläger behauptet, sein Betrieb sei aufgrund der o.g. Allgemeinverfügungen bzw. der o.g. Rechtsverordnungen seit dem 18.03.2020 komplett über 30 Tage lang geschlossen gewesen.
13
Er vertritt u.a. die Ansicht, die o.g. in § 1 AVB enthaltenen Aufzählungen von Krankheiten und Krankheitserregern seien nicht abschließend, sondern hätten nur einen beispielhaften Charakter. Sollte man dies anders sehen, wäre die Klausel wegen Widersprüchen zwischen den im IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserregern und den in der Klausel genannten intransparent und deswegen sowie auch wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers unwirksam. Dies führe immer nur zu dem Ergebnis, dass der Beklagte einstandspflichtig sei. Er habe daher gegen den Beklagten Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Tagesentschädigung i.H.v. 994,00 € für die Zeit von 30 Tagen, d.h. insg. 29.820,00 € (nebst Zinsen, vorgerichtlichen Netto-Anwaltskosten und vorgerichtlichen Mahnauslagen).
14
Der Kläger beantragt,
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29.820,00 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 03.05.2020, vorgerichtliche Netto-Anwaltskosten in Höhe von 1.141,90 € sowie 10,00 € vorgerichtliche Mahnauslagen zu bezahlen.
15
Der Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
16
Der Beklagte bestreitet, dass der Betrieb des Klägers vollständig geschlossen gewesen sei.
17
Er vertritt im Übrigen - neben diversen weiteren rechtlichen Einwänden - die Ansicht, es liege bereits deswegen kein Versicherungsfall vor, weil die in § 1 AVB enthaltenen Krankheiten- und Krankheitserreger-Kataloge jeweils - auch für einen verständigen Versicherungsnehmer leicht erkennbar - sehr wohl abgeschlossen seien.
18
Mit Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts München II vom 07.12.2020 wurde die Sache gemäß § 348 a I ZPO auf den Einzelrichter übertragen.
19
Es wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, wobei hinsichtlich des Inhalts dieser Verhandlung auf das Sitzungsprotokoll vom 24.02.2021 Bezug genommen wird (Bl. 66/68 d.A.).
20
Beweis wurde nicht erhoben.
21
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die ausgetauschten Schriftsätze der Parteivertreter samt Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
22
Die Klage war abzuweisen, weil sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.
23
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 29.820,00 € (nebst Zinsen) sowie auf Zahlung vorgerichtlicher Netto-Anwaltskosten in Höhe von 1.141,90 € sowie 10,00 € vorgerichtliche Mahnauslagen.
24
1. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 29.820,00 € aus der Betriebsschließungsversicherung.
25
Es liegt nämlich bereits deswegen kein Versicherungsfall vor, weil die o.g. Allgemeinverfügungen bzw. die o.g. Rechtsverordnungen jeweils ausschließlich wegen der gegenwärtigen Corona-Pandemie erlassen worden sind, während § 1 AVB dahingehend auszulegen ist, dass die dort enthaltenen Krankheiten- und Krankheitserreger-Kataloge, welche weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 enthalten, abschließend sind. Zudem bestehen auch keine Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Versicherungsbedingungen.
26
Das Gericht folgt dabei der nach dem gegenwärtigen Stand ganz vorherrschenden Meinung in der Rechtsprechung, wobei neben den bereits zahlreich veröffentlichten Landgerichtsentscheidungen insbesondere die beiden aktuellen Urteile des OLG Stuttgart jeweils vom 15.02.2021, Az.: 7 U 335/20, BeckRS 2021, 2001, und Az.: 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002, hervorzuheben sind.
27
a) Wie es das OLG Stuttgart in seinen beiden o.g. Urteilen jeweils überzeugend formuliert, ist von folgendem rechtlichen Ausgangspunkt auszugehen:
„Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Bei der hier in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung ist überdies zu berücksichtigen, dass der typische Adressaten- und Versichertenkreis nicht in Verbraucherkreisen zu suchen ist, sondern vielmehr geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist, nachdem die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Gewerbebetriebe abzielt (vgl. dazu allgemein BGH, Urteile vom 18.11.2020 - IV ZR 217/19 Rn. 11 und vom 21.04.2010 - IV ZR 308/07 Rn. 12).“
28
b) Einem derartigen Versicherungsnehmer erschließen sich folgende Aspekte, wobei in der Folge kein Raum mehr bleibt für eine Anwendung der Mehrdeutigkeitsbestimmung des § 305c II BGB:
29
(1.) Betrachtet man den Wortlaut der AVB, so fällt auf, dass sowohl die Krankheit COVID-19 als auch der Krankheitserreger SARS-CoV-2 fehlen. Unter den Versicherungsschutz sollen aber nur, was in § 1 Nr. 2 AVB mit den Worten „im Sinne dieser Bedingungen“, „die folgenden“ (dies noch dazu durch Fettdruck hervorgehoben) und „namentlich genannten“ verdeutlicht wird, die dort aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger fallen.
30
(2.) Der hiesige Versicherungsvertrag wurde im Februar 2020 geschlossen. Zwar waren zu diesem Zeitpunkt bereits die Krankheit COVID-19 sowie der Krankheitserreger SARS-CoV-2 bekannt, aber noch nicht im IfSG gelistet. Dies geschah erst mit der Fassung der §§ 6, 7 IfSG vom 19.05.2020. Erst seitdem wird in § 6 IfSG (unter Abs. 1 Nr. 1 lit. t) die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) und in § 7 IfSG (unter Abs. 1 S. 1 Nr. 44a) das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) aufgelistet. Zudem wurden hier die AVB mit dem Stand vom 01.01.2019 verwendet. Damals waren die Krankheit COVID-19 und der Krankheitserreger SARS-CoV-2 noch nicht einmal bekannt. Hätte hier aber tatsächlich keine statische, sondern eine dynamische Klausel vereinbart werden sollen, so wäre es naheliegend gewesen, dies durch eine Bezugnahme auf die zum Zeitpunkt der Betriebsschließung jeweils gültige Fassung des IfSG auszudrücken. Darüber hinaus hätte ohne weiteres auch eine Bezugnahme auf das IfSG insofern erfolgen können, als dort unter § 6 I 1 Nr. 5 bzw. unter § 7 II 1 Auffangtatbestände für nicht aufgezählte, aber bedrohliche übertragbare Krankheiten und gefährliche Krankheitserreger vorliegen.
31
(3.) Weiterhin fällt auf, dass bei dem Krankheiten-Katalog in § 1 Nr. 2 AVB nicht nur COVID-19 fehlt. Es fehlt vielmehr auch die bereits lange vor Vertragsschluss und darüber hinaus auch schon vor dem Zeitpunkt der Fassung der hiesigen AVB (01.01.2019) in § 6 I Nr. 1 IfSG enthaltene Krankheit humane spongiforme Enzephalopathie (= Creutzfeldt-Jakob-Krankheit). Im Übrigen fehlen auch noch die jeweils seit der Fassung vom 21.03.2013 in § 6 I IfSG enthaltenen Krankheiten Keuchhusten, Mumps, Röteln und Windpocken. Zudem stellt sich die Frage, wozu überhaupt - recht umständlich - solche Aufzählungen von Krankheiten und Krankheitserregern in den AVB stehen, wenn dies nach dem Verständnis des Klägers letztlich überflüssig wäre. Viel näher liegt der Schluss, dass der Beklagte hier ganz bewusst enumerativ bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger aufgelistet hat, um das für ihn bestehende Versicherungsrisiko zu begrenzen. Angemerkt sei, dass sich ein solch begrenztes Risiko regelmäßig auch in entsprechend moderaten Versicherungsprämien (wie hier) widerspiegelt.
32
(4.) Gegen diese Auslegung ließe sich zwar einwenden, dass der unter § 3 Nr. 4 AVB geregelte Haftungsausschluss bei Prionenerkrankungen sinnlos wäre, wenn es sich hier tatsächlich um eine statische Klausel handeln würde. Tatsächlich findet sich nämlich in dem in § 1 Nr. 2 AVB enthaltenen Krankheiten-Katalog keine Prionenerkrankung. So wurde, wie bereits ausgeführt, die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, eine Prionenerkrankung, in den Katalog gerade nicht aufgenommen. Es stellt sich mithin die Frage, weshalb die Versicherung eine Krankheit aus dem Versicherungsschutz herausnehmen möchte, wenn sie Betriebsschließungen aufgrund dieser Krankheit ohnehin bereits im Rahmen der Risikobegrenzung nicht versichert. Dies könnte als Argument für eine dynamische Klausel herangezogen werden.
33
Wie das OLG Stuttgart in seinem o.g. Urteil, Az.: 7 U 335/20, überzeugend ausführt, gilt diesbezüglich jedoch Folgendes:
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog (…) nicht als abschließend. Es handelt sich lediglich um einen klarstellenden Hinweis. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 2 AVB erkennbar und eindeutig („nur“) abschließend formulierte und ohne ausdrücklichen Bezug zu den §§ 6 f. IfSG aufgestellte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
34
Anzumerken ist, dass sich zwar die Klausel in dem vom OLG Stuttgart mit dem o.g. Urteil entschiedenen Fall insofern von der hiesigen unterscheidet, als dort das - besonders einengende - Wort „nur“ verwendet worden ist. Aber auch hier finden sich mit „die folgenden“ und „namentlich“ zumindest annähernd so restriktive Worte.
35
Entsprechend hat das OLG Stuttgart auch wiederum in seinem bereits zitierten Urteil mit dem Az.: 7 U 351/20, bzgl. einer Klausel ohne das Wort „nur“, überzeugend ausgeführt:
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog in Ziff. 1.2 AVB nicht als abschließend. Es wird vielmehr lediglich darauf hingewiesen, dass eine Mitursächlichkeit einer anderen Erkrankung ebenso wie die Mitursächlichkeit anderer, äußerer Faktoren den Versicherungsschutz entfallen lässt. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 1.2 AVB erkennbar abschließend formulierte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
36
c) Es liegt auch kein Fall der Unwirksamkeit der Regelung zum Umfang des Versicherungsschutzes gem. § 307 BGB vor:
37
(1.) Wie bereits oben im Rahmen der Ausführungen zur Auslegung der Klausel dargelegt, ist die Regelung nicht intransparent i.S.d. § 307 I 2 BGB. Es erschließt sich dem verständigen Versicherungsnehmer - zumindest bei einer für ihn nicht unzumutbaren Heranziehung des Gesetzestextes von § 6 f. IfSG - vielmehr, dass er hier gerade keinen umfassenden, sondern nur einen lückenhaften Versicherungsschutz erhält.
38
(2.) Auch benachteiligt die Regelung den Versicherungsnehmer nicht etwa deswegen treuwidrig unangemessen i.S.d. § 307 I 1 BGB, weil er keinen umfassenden Versicherungsschutz erhält. Vielmehr stellt sich dies als Ausdruck der Privatautonomie dar, wonach die Parteien grundsätzlich frei in der Ausgestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen sind. Würde man verlangen, dass Versicherungen stets nur einen umfassenden Versicherungsschutz zu gewähren haben, würde sich dies als Eingriff in die Privatautonomie darstellen. Wenn der Versicherungsnehmer an einem umfassenderen Schutz interessiert ist, liegt es an ihm, sich um eine entsprechende andere Vertragsgestaltung zu bemühen, und sei es auch, wie bereits erwähnt, ggf. zum Preis höherer Versicherungsprämien, bzw. sich eine andere Versicherung als Vertragspartner zu suchen.
39
(3.) Schließlich ergibt sich hier auch keine Unwirksamkeit der Regelung aus einer fehlenden Vereinbarkeit i.S.d. § 307 II Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung, von welcher abgewichen würde. Tatsächlich existiert eine solche gesetzliche Regelung im hiesigen Zusammenhang nämlich gar nicht. Gesetzlich geregelt ist im IfSG der Schutz der Bevölkerung vor ansteckenden Krankheiten, nicht aber der Schutz des Unternehmers vor Schäden aufgrund pandemiebedingter Betriebsschließungen (vgl. auch OLG Stuttgart, a.a.O.).
40
2. Mangels Bestehens eines Anspruchs in der Hauptsache hat der Kläger gegen den Beklagten auch keine Ansprüche auf Zahlung von Verzugs- bzw. Prozesszinsen und außergerichtlichen Rechtsanwalts- und Mahnkosten.
II.
41
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I 1 ZPO.
III.
42
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.