Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 22.12.2021 – Au 4 K 21.30750
Titel:

Unbegründete Klage gegen Ablehnung des Asylfolgeantrags

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Die Entscheidung über inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse in Bezug auf die Abschiebung obliegt nicht dem Bundesamt im Asylverfahren, sondern nach dessen Abschluss der Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylfolgeantrag, Abschiebeverbot, Vollstreckungshindernis
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.02.2022 – 9 ZB 22.30148
Fundstelle:
BeckRS 2021, 47188

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrags als unzulässig.
2
Den am 27. April 2017 gestellten Asylantrag des Klägers lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 10. April 2018 ab. Mit Urteil vom 22. August 2018 wies das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die hiergegen erhobene Klage (Au 4 K 18.30735) ab. Der hiergegen gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg (BayVGH, B.v. 6.11.2018 - 9 ZB 18.32931).
3
Mit Schreiben vom 10. Juni 2021 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, weil sich 2021 seine gesundheitliche Situation verschlechtert habe. Er legte hierzu eine fachärztliche Stellungnahme vom 17. Mai 2021 vor.
4
Mit Bescheid vom 19. Juli 2021, dem Kläger zugestellt am 23. Juli 2021, lehnte das Bundesamt den Folgeantrag als unzulässig (Nr. 1) und den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 10. April 2018 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Nr. 2) ab. Hinsichtlich der Zuerkennung internationalen Schutzes seien keine Gründe im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG vorgebracht worden. Der Kläger berufe sich ausschließlich auf seinen Gesundheitszustand. Die fachärztliche Stellungnahme sei nicht geeignet ist, nachvollziehbar die Diagnose einer Erkrankung zu bestätigen und schlüssig darzulegen. Das vorgelegte ärztliche Attest würde den Anforderungen aus § 60a Abs. 2c AufenthG nicht genügen, insbesondere werde es den Substantiierungsanforderungen nicht gerecht. Es sei nicht erkennbar, warum der Kläger die psychischen Probleme nicht schon früher geltend gemacht habe. Im Übrigen falle auf, dass das Vorbringen des Klägers im Asylerstverfahren gegenüber dem, was er der Ärztin geschildert habe, abweiche bzw. gesteigert sei. Weiter würden andere, weitere Vorkommnisse wie Kindheitserinnerungen, Erlebnisse bei der Überfahrt nach Italien sowie die drohende Abschiebung als Trauma auslösend erachtet werden; diese hätten mit dem eigentlichen Fluchtgeschehen aber nichts zu tun. Damit seien die Angaben zu der krankheitsbedingt eingeschränkten Alltagstauglichkeit des Klägers nicht verwertbar und auch ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG scheide aus. Nach seinen Angaben im Erstverfahren verfüge der Kläger neben einer verheirateten Schwester über eine Großfamilie und damit über ein soziales Netzwerk, über das er hinreichend abgesichert wäre.
5
Hiergegen ließ der Kläger am 6. August 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben. Für ihn ist zuletzt beantragt,
6
den Bescheid des Bundesamts vom 19. Juli 2021 aufzuheben,
7
hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen.
8
Die Beklagte trat der Klage unter dem 12. August 2021 entgegen.
9
Für sie ist beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Am 2. November 2021 legte der Kläger eine Bestätigung für einen stationären Krankenhausaufenthalt vor.
11
Mit Beschluss vom 22. November 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
12
Mit Schriftsätzen vom 13. und 14. Dezember 2021 führte der Kläger zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen aus, dass die Einschätzung des Gerichts im Asylerstverfahren, wonach der Kläger im Falle einer Rückkehr wegen der Vorfälle um die Demonstration im August 2016 mit keiner strafrechtlichen Verfolgung rechnen müsse, unzutreffend sei. Aufgrund der spontanen Eskalation von einzelnen Demonstranten habe der Kläger unverschuldet erhebliche Brandwunden erlitten. Die vom Kläger geschilderten Vorkommnisse würden in einem Bericht von amnesty international ebenfalls erwähnt werden. Aufgrund der Vorfälle sei der Kläger psychisch schwer belastet und habe sich deswegen sogar in stationärer Behandlung begeben. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes werde auf die vorgelegten Atteste und fachärztlichen Stellungnahmen Bezug genommen. Beim Kläger liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor die zum einen auf den Umständen und Folgen der Demonstration im Jahr 2016 in ... und der spontanen Eskalation von einzelnen Demonstranten beruhe. Zum anderen rühre die Erkrankung auch von der Flucht und den dort erlebten schrecklichen Ereignissen her.
13
Mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 hat das Gericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten des Klägers abgelehnt.
14
Am 20. Dezember 2021 hat das Bundesamt zur Klagebegründung Stellung genommen und insbesondere darauf hingewiesen, dass eine Behandlungsmöglichkeit in ... gegeben sei und die meisten der verordneten Medikamente im Heimatland des Klägers verfügbar seien. Der Klägerbevollmächtigte äußerte sich unter dem 21. Dezember 2021 nochmals schriftsätzlich.
15
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte, auch aus dem Erstverfahren, sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 22. Dezember 2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

16
Die zulässige Klage ist unbegründet.
17
1. Die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids erweist sich als rechtmäßig, da Wiederaufgreifensgründe nach § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG in Bezug auf den begehrten internationalen Schutz nach § 3 und § 4 AsylG weder geltend gemacht wurden noch vorliegen. Wie im Urteil vom 22. August 2018 - Au 4 K 18.30735 - ausgeführt, kann dahingestellt bleiben, ob es bei der Demonstration Tote gegeben hat, weil der Kläger nicht wegen dieser Tötung angeblich verfolgt wird, sondern wegen der Brandstiftung. Im Übrigen ist nicht ersichtlich und geht auch aus dem vom Klägerbevollmächtigten vorgelegten Artikel von amnesty international nicht hervor, dass dem Kläger deswegen eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG bzw. eine Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG drohe.
18
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 10. April 2018 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten. Der dies ablehnende Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
19
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens, soweit es die Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG betrifft, liegen nicht vor. Zur Begründung wird Bezug genommen auf die Ausführungen des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG). Insbesondere ist der Beklagten dahingehend zuzustimmen, dass der Kläger in Bezug auf seine Erkrankung keine Veränderung im Vergleich zum Erstverfahren vorgetragen oder belegt hat (vgl. § 71 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG), welche zu einer günstigeren Entscheidung im Hinblick auf die Feststellung von Abschiebungsverboten führen könnte. Auch hat der Kläger keine Gründe vorgetragen, die eine Abänderung der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Ermessenswege rechtfertigen könnten. Die beim Bundesamt sowie im Gerichtsverfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen rechtfertigten dies nicht.
20
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NW, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - juris Rn. 56). Erheblich ist eine Gefahr, wenn der Umfang der Gefahrenrealisierung von bedeutendem Gewicht ist. Das ist der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Betroffenen wegen geltend gemachter unzureichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung in einem angemessenen Prognosezeitraum wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, U.v. 25.11.1997 - 9 C 58.96 - BVerwGE 115, 338). Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712/713).
21
Davon abzugrenzen sind sogenannte inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse in Bezug auf die Abschiebung, über die im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ist. Hierüber hat nämlich nicht das Bundesamt im Asylverfahren, sondern nach dessen Abschluss die Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu befinden. Dies betrifft solche befürchteten negativen Auswirkungen, die allein durch die Abschiebung als solche (wie auch durch jedes sonstige Verlassen des Bundesgebiets) und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung eintreten. Solche Abschiebungsfolgen führen auch dann nicht zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG, wenn sie besonders intensiv oder sogar mit einer Lebensgefahr verbunden sind (vgl. BVerwG, U.v. 21.09.1999 - 9 C 8.99 - NVwZ 2000, 26).
22
Nach § 60a Abs. 2c AufenthG hat der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen. Diese ärztliche Bescheinigung muss insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachmedizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Mit diesen mit dem Gesetz vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) eingeführten Regelungen hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die ohnehin bereits bestehende Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine substantiierte Geltendmachung krankheitsbedingter Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 (10 C 8.07 - juris Rn. 15) nachvollzogen (BayVGH, B.v. 10.1.2018 - 10 ZB 16.30735 - juris Rn. 8 m.w.N.).
23
An diesen rechtlichen Vorgaben gemessen ergibt sich aus den vorgelegten aktuellen ärztlichen Bescheinigungen, insbesondere aus den in diesen ausgewiesenen Diagnosen kein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen.
24
Nach dem Arztbericht vom 12. November 2021 ist der Kläger von akuter Suizidalität distanziert. Auch aus dem aktuellsten ärztlichen Attest von ... vom 6. Dezember 2021 lässt sich keine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entnehmen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass sein Zustand zu einer akuten Gefährdung führen könne, wobei die Symptomatik auch von einer Angst vor Abschiebung herrührt, was inlandsbezogen zu bewerten ist. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung insbesondere seine Erlebnisse auf der Flucht in Libyen und auf der Überfahrt als traumatisierend erachtet, fehlt es am erforderlichen Zielstaatsbezug.
25
Im Übrigen erfüllen die ärztlichen Stellungnahmen, worauf die Beklagte zu Recht abstellt, die Substantiierungsanforderungen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 und 10 C 17.07 - juris). Denn wird das Vorliegen einer psychischen Störung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Eine solche ist den fachärztlichen Berichten nicht zu entnehmen. Weiter fällt auf, dass als traumatisierende Ereignisse mehrere Vorkommnisse in verschiedenen Lebensabschnitten des Klägers angeführt werden (Kindheit, Demonstration 2016, Überfahrt und Aufenthaltssituation in Deutschland). Die Vermutung nach § 60a Abs. 2c AufenthG, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen, ist nicht widerlegt (zum A-Kriterium: vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2018 - 10 ZB 16.30102 - juris Rn. 8 m.w.N.).
26
Unabhängig ist davon auszugehen, dass eine ausreichende medikamentöse Versorgung mit Antidepressiva auch in ... gewährleistet ist (vgl. VG Augsburg, U.v. 11.9.2019 - Au 4 K 19.30020 - Rn. 38 n.v.). Eine therapeutische bzw. psychiatrische Behandlung ist dort nach dem insofern unwidersprochenen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 20. Dezember 2021 wohl nur eingeschränkt möglich, darauf kommt es aber im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG nicht an. Insbesondere ist es danach nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Entsprechend der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva auch in ... erfolgen kann (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Aachen vom 21.2.2007). Nach den nicht substantiiert angegriffenen Feststellungen des Gerichts im Asylerstverfahren, wonach davon auszugehen ist, dass der Kläger in ... das Existenzminimum erlangen könnte, besteht kein Anlass zu der Annahme, dass der Kläger nach einer Rückkehr dauerhaft nicht in der Lage wäre, einen ausreichenden Unterhalt, der auch eine notwendige medikamentöse Behandlung einschließt, für sich zu erzielen; er verfügt über verwandtschaftliche Beziehungen in seinem Heimatland, so dass er ggfs. auch auf familiäre Unterstützung zurückgreifen könnte. Somit liegen auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots für den Kläger gem. § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vor.
27
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG)