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VG München, Urteil v. 27.07.2021 – M 2 K 19.5298
Titel:

Straßen- und Wegerecht, Einziehung eines beschränkt öffentlichen Weges, Öffentliche Bekanntmachung, Klagefrist versäumt

Normenketten:
VwGO § 74
BayVwVfG Art. 41
BayStrWG Art. 8
Schlagworte:
Straßen- und Wegerecht, Einziehung eines beschränkt öffentlichen Weges, Öffentliche Bekanntmachung, Klagefrist versäumt
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.02.2022 – 8 ZB 21.2299
Fundstelle:
BeckRS 2021, 47185

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig volltreckbar.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Aufhebung der durch die Gemeinde M. erlassenen Allgemeinverfügung betreffend die Einziehung eines beschränkt öffentlichen Weges.
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Der Kläger ist Eigentümer des landwirtschaftlich genutzten Grundstücks mit der Fl.-Nr. 290, Gemarkung … Das Grundstück grenzt direkt an den beschränkt öffentlichen Weg mit der Fl.-Nr. 291, Gemarkung … an, der ursprünglich im Eigentum der Beklagten stand und im Jahre 2016 an eine privaten Dritten veräußert wurde.
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In der Gemeinderatssitzung vom 22. November 2018 hat der Gemeinderat von M. die Einziehung des beschränkt öffentlichen Wegs mit der Fl.-Nr. 291, Gemarkung …, wegen des Verlusts jeglicher Verkehrsbedeutung beschlossen. Die Absicht der Einziehung wurde am16. Januar 2019 öffentlich bekannt gemacht (Bl. 107 d. BA). Mit Allgemeinverfügung der Beklagten vom 27. Juni 2021 wurde der Weg eingezogen. Die öffentliche Bekanntmachung der Verfügung erfolgte durch Aushang an den Gemeindetafeln vom 28. Juni 2019 bis 22. August 2019. Dabei wurde nicht nur der verfügende Teil, sondern der Verwaltungsakt insgesamt einschließlich Begründung und Rechtsbehelfsbelehrungbekanntgemacht (Bl. 104 und 105 d. BA).
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Der Kläger ließ durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom … Oktober 2019, eingegangen bei Gericht am 22. Oktober 2019, Klage gegen die Allgemeinverfügung erheben und beantragen,
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die Allgemeinverfügung vom 27. Juni 2019 aufzuheben.
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Zur Klagebegründung wurde zunächst vorgebracht, dass die Klagefrist des § 74 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorliegend eingehalten sei, da die Bekanntmachung vom 16. Januar 2019 nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Es sei lediglich der verfügende Teil bekannt gemacht worden ohne Hinweis darauf wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden könne (Bl. 107 d. BA). Mangels wirksamer Bekanntgabe habe auch die Klagefrist noch nicht zu laufen begonnen. Neben der fehlenden wirksamen Bekanntgabe sei die Einziehung auch deshalb formell rechtswidrig, weil es an einem ordnungsgemäßen Gemeinderatsbeschluss fehle. Zu der entsprechenden Gemeinderatssitzung vom 22. November 2018 sei nicht ordnungsgemäß geladen worden. Die Einladung zur Gemeinderatssitzung weise keinen Tagesordnungspunkt „Einziehung des beschränkt öffentlichen Weges“ auf. Eine Beschlussfassung darüber unter dem Tagesordnungspunkt „Anträge, Anfragen und Informationen“ sei rechtswidrig. Auch in materielle Hinsicht sei die Einziehung rechtswidrig, da der streitgegenständliche Weg seine Verkehrsbedeutung nicht verloren habe. Für den Kläger besitze der Weg zur Bewirtschaftung seines an den Weg anschließenden Grundstücks eine hohe verkehrsrechtliche Relevanz. Durch die Einziehung des Weges werde die Zufahrt zum klägerischen Grundstück extrem erschwert und eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung für die Zukunft nicht mehr gewährleistet.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, dass die Klage verfristet erhoben wurde. Die Allgemeinverfügung vom 27. Juni 2019 wurde vollständig, d.h. mit Begründung und Rechtsbehelfsbelehrungöffentlich bekanntgemacht (Bl. 104 und 105 d. BA). Bei der Bekanntmachung vom 16. Januar 2019 handle es sich lediglich um die Bekanntmachung der Absicht der Einziehung (Bl. 107 d. BA), Art. 8 Abs. 2 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG).
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Der Klägerbevollmächtigte erwiderte insofern, dass der Kläger von der Allgemeinverfügung vom 27. Juni 2019 keine Kenntnis hatte und erstmals über die Akteneinsicht vom 25. März 2021 von der Allgemeinverfügung Kenntnis erlangt habe. Zudem bestreite der Kläger eine wirksame ortsübliche Bekanntmachung. Es sei aus dem handschriftlichen Vermerk auf der Allgemeinverfügung (Bl. 105 d. BA) nicht ersichtlich, ob und durch wen tatsächlich auch ein Aushang an den Bekanntmachungstafeln erfolgt sei und in welchen Ortsteilen. Bestritten wird zudem, dass ein Aushang an der Schautafel in … erfolgt sei, da die Schautafel seit längerem nicht mehr gepflegt werde. Der Kläger habe zudem vorgerichtlich bereits mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 Protest gegen die Einziehung erhoben. Selbst wenn die Allgemeinverfügung wie von der Beklagten vorgetragen bekanntgemacht worden sei, so stelle dies dennoch einen Verstoß gegen Art. 41 Abs. 4 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dar, da dieser nämlich vorschreibe nur den verfügenden Teil ortsüblich bekannt zu machen und darüber hinaus anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werde könne. Die Beklagte habe vorliegend im Widerspruch dazu den Verwaltungsakt mit Begründung öffentlich bekannt gemacht.
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Die Beklagtenvertreterin legte die Geschäftsordnung der Gemeinde M. vor, die in § 31 Abs. 1 regelt, dass Satzungen und Verordnungen dadurch bekanntgegeben werden, dass sie in der Verwaltung der Gemeinde niedergelegt werden und die Niederlegung durch Anschlag an die Gemeindetafeln bekanntgegeben wird. Nach § 31 Abs. 3 der Geschäftsordnung unterhält die Gemeinde Gemeindetafeln in der Gemeindekanzlei in M. und im Rathaus der Verwaltungsgemeinschaft P. unterhalte. In den Ortschaften H., I., O.-O., H. und T. befinden sich lediglich Hinweistafeln, § 31 Abs. 4 der Geschäftsordnung.
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Mit Beschluss vom 16. Februar 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Am 28. Mai 2021 fand mündliche Verhandlung statt; wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die öffentliche mündliche Verhandlung Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung erklärten sich beide Parteien mit einem Übergang ins schriftliche Verfahren einverstanden und verzichteten auf weitere mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist bereits unzulässig, da sie verfristet erhoben wurde.
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Über die Klage konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2021 auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet haben und einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Einziehung des streitgegenständlichen beschränkt öffentlichen Weges durch Allgemeinverfügung vom 27. Juni 2019 wurde wirksamen öffentlich bekanntgemacht, so dass die Klagefrist nach § 74 VwGO am 23. September 2019 endete und die am 22. Oktober 2019 bei Gericht eingegangene Klage somit verfristet ist.
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Die Einziehung des beschränkt öffentlichen Weges mit der Fl.-Nr. 291, Gemarkung … nach Art. 8 Abs. 1 BayStrWG erfolgte vorliegend durch den Erlass der Allgemeinverfügung vom 27. Juni 2021. Die Allgemeinverfügung wurde gem. Art. 41 Abs. 4 BayVwVfG wirksam öffentlich bekanntgegeben.
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1. Die Bekanntgabe erfolgte rechtmäßig.
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a) Gem. Art. 41 Abs. 3 BayVwVfG kann eine Allgemeinverfügung iSd Art. 35 Abs. 2 VwVfG öffentlich bekanntgegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist. Dies ist dann der Fall, wenn eine individuelle Bekanntgabe wegen der Natur des Verwaltungsakts nicht möglich oder mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, so z. B. wenn der Kreis der Adressaten nur schwer abgrenzbar ist (vgl. Baer in Schoch/Schneider, Verwaltungsverfahrensgesetz, Juli 2020, § 41 Rn.96).
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Bei der Einziehung handelt es sich um eine Allgemeinverfügung iSd Art. 35 Abs. 2 BayVwVfG (vgl. Häußler in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegerecht, März 2020, Art. 8 Rn. 6 und 35), bei der auch auf Grund des nicht abgrenzbaren Adressatenkreises eine öffentliche Bekanntgabe zulässig war.
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b) Für den Inhalt des gem. Art. 41 Abs. 4 BayVwVfG bekanntzugebenden Verwaltungsakts gelten keine Besonderheiten. Auch wenn in Art. 41 Abs. 4 BayVwVfG seinem Wortlaut nach vorgesehen ist, den verfügenden Teil des Verwaltungsakts zusammen mit einem Hinweis, wo der Verwaltungsakt eingesehen werden kann, zu veröffentlichen, so ist aber auch die vollständige Bekanntgabe des Verwaltungsakts möglich (vgl. Baer in Schoch/Schneider, Verwaltungsverfahrensgesetz, Juli 2020, § 41 Rn.98 m.w.N.).
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Vorliegend wurde ausweislich Bl. 104 und 105 der vorgelegten Behördenakte der komplette Verwaltungsakt inklusive Begründung und Rechtsbehelfsbelehrungveröffentlicht. Eines Hinweises darauf, wo der Verwaltungsakt eingesehen werden kann, bedurfte es entgegen der Auffassung des Klägervertreters daher nicht mehr. Abzustellen ist vorliegend allein auf die Bekanntmachung der Allgemeinverfügung vom 27. Juni 2019, nicht auf die Bekanntmachung der Absicht der Einziehung nach Art. 8 Abs. 2 BayStrWG vom 16. Januar 2019, da es sich bei letzterer um keinen selbständigen Verwaltungsakt handelt, sondern um einen Teil des Einziehungsverfahrens und als solcher um eine einseitige öffentlichrechtliche Willenserklärung (vgl. Häußler in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegerecht, März 2020, Art. 8 Rn. 31)
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c) Die öffentliche Bekanntgabe gem. Art. 41 Abs. 4 VwVfG erfolgt durch Aushang der Allgemeinverfügung an den Gemeindetafeln in der Gemeindekanzlei in M. und im Rathaus der Verwaltungsgemeinschaft P. vom 28. Juni 2021 bis 22. August 2019.
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Gemäß der Geschäftsordnung der Beklagten erfolgt die öffentliche Bekanntgabe an den Gemeindetafeln in der Gemeindekanzlei in M. und im Rathaus der Verwaltungsgemeinschaft P. Für das Gericht besteht kein Zweifel daran, dass die Allgemeinverfügung wie auch durch handschriftlichen Vermerk auf der Allgemeinverfügung auf Bl. 105 der Behördenakte dokumentiert in dem angegebenen Zeitraum an den beiden Gemeindetafeln aushing. Vom Kläger wurden keine hinreichend substantiierten tatsächlichen Anhaltspunkte vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass ein Aushang und damit eine ortsübliche Bekanntmachung der Allgemeinverfügung entgegnen den Angaben der Beklagten unterblieben sei. Ein einfaches Bestreiten mit Nichtwissen reicht insofern nicht aus. Auf einen Aushang im Ortsteil H. kommt es vorliegend nicht an, da laut Geschäftsordnung der Beklagten in diesem Ortsteil lediglich eine Hinweistafel unterhalten werde.
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d) Gemäß Art. 41 Abs. 4 S. 3 BayVwVfG gilt die Allgemeinverfügung 2 Wochen nach der öffentlichen Bekanntgabe als bekanntgegeben. Fristauslösendes Ereignis ist dabei der Vollzug der ortsüblichen Bekanntmachung. Im Fall eines Aushangs ist die Bekanntmachung vollzogen, wenn die ortsübliche Aushangdauer erfüllt worden ist. § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Beklagten regelt, dass der Anschlag an den Gemeindetafeln frühestens nach 14 Tagen wieder abgenommen werden dürfe. Weiter ist geregelt, dass schriftlich festzuhalten ist, wann der Anschlag angebracht und wann er wieder abgenommen worden ist. Folglich beträgt die ortsübliche Aushangdauer mindestens 14 Tage, im Übrigen solange wie der Aushang tatsächlich angebracht war. Vorliegend war der Aushang bis zum 22. August 2019 angeschlagen. Die Allgemeinverfügung gilt damit 2 Wochen nach dem 22. August 2019 als bekanntgegeben, mithin am 5. September 2019.
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Die Allgemeinverfügung wurde vorliegend wirksam am 5. September 2019 bekanntgegeben. Dass der Kläger keine Kenntnis hiervon hatte, ist unerheblich, da die Wirkung der Bekanntgabe für und gegen jedermann eintritt, unabhängig davon, ob der Einzelne davon Kenntnis genommen hat (vgl. Baer in Schoch/Schneider, Verwaltungsverfahrensgesetz, Juli 2020, § 41 Rn. 93 f.).
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2. Durch die wirksame Bekanntgabe am 5. September 2019 wurde die Klagefrist des § 74 VwGO in Kraft gesetzt. Die Klagefrist begann nach § 74 iVm § 57 Abs. 1 und 2 VwGO iVm § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) und § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am 6. September 2019 zu laufen und endete gemäß den §§ 74 und 57 Abs. 2 VwGO iVm § 222 Abs. 1 ZPO und § 188 Abs. 1 BGB am 7. Oktober 2019, da der 5. Oktober 2019 ein Sonnabend war.
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Die vom Bevollmächtigten des Klägers erhobene Klage ging am 22. Oktober 2021 bei Gericht ein und ist daher verfristet. Hieran ändert auch der Umstand, dass der Kläger bereits vorprozessual gegenüber der Beklagten seinen Protest gegen die geplante Einziehung bekundete, nichts, da fristwahrend allein der Eingang der Klageschrift beim zuständigen Gericht ist (vgl. Meissner/Schenk in Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, Februar 2021, § 74 Rn. 30).
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Die Klage ist daher als unzulässig abzuweisen.