Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 29.11.2021 – W 8 K 21.896
Titel:

Verdienstausfallentschädigung, Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit, bisherige Erwerbstätigkeit, Saisonhelferin, häusliche Quarantäne vor bzw. bei vertraglich vereinbartem Beginn der Erwerbstätigkeit, keine ausgeübte Erwerbstätigkeit bei Quarantäneanordnung

Normenketten:
IfSG § 56 Abs. 1
IfSG § 56 Abs. 5
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigung, Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit, bisherige Erwerbstätigkeit, Saisonhelferin, häusliche Quarantäne vor bzw. bei vertraglich vereinbartem Beginn der Erwerbstätigkeit, keine ausgeübte Erwerbstätigkeit bei Quarantäneanordnung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 46998

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung für ihre Arbeitnehmerin V. 1. V. war mit Arbeitsvertrag vom 9. September 2020 bei der Klägerin befristet ab dem 1. Oktober 2020 bis Mitte November 2020 als Produktionshelferin angestellt. Am 27. September 2020 reiste sie in einer Gruppe mit elf weiteren Personen in die Bundesrepublik ein und wurde am gleichen Tag negativ auf das Sars-CoV-2 Virus getestet. Da jedoch zwei Personen aus der Gruppe positiv auf das Sars-CoV-2 Virus getestet wurden, ordnete das Landratsamt M.-Sp. gegenüber V. eine häusliche Quarantäne im Sinne des IfSG zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten (§ 30 IfSG) für die Zeit vom 30. September 2020 bis 14. Oktober 2020 an. Für diesen Zeitraum zahlte die Klägerin an V. ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 514,30 EUR und führte für sie Sozialbeiträge in Höhe von insgesamt 293,89 EUR ab.
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Am 27. November 2020 beantragte die Klägerin bei der Regierung von Unterfranken die Erstattung dieser Aufwendungen in Höhe von insgesamt 808,19 EUR.
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Mit Bescheid vom 4. Juni 2021 lehnte die Regierung von Unterfranken für den Beklagten den Antrag auf Erstattung der Aufwendungen ab. Begründet wurde die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass es an einem Verdienstausfall im Sinne des § 56 Abs. 1 IfSG fehle. Nach § 56 Abs. 1 IfSG erhalte eine Verdienstausfallentschädigung, wer aufgrund einer behördliche Anordnung einen Verdienstausfall aus seiner bisherigen Erwerbstätigkeit erleide. Dies setze voraus, dass zum Zeitpunkt, in dem das Tätigkeitsverbot oder die Absonderungsanordnung wirksam werde, bereits eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde. Eine erst künftige Erwerbstätigkeit genüge nicht. Ausgeübt im Sinne der Vorschrift sei eine Erwerbstätigkeit, wenn bereits ein Arbeitseinkommen erzielt worden sei, also Lohn für geleistete Arbeit gezahlt worden sei. Folge die Aufnahme der Erwerbstätigkeit, für welche ein Verdienstausfall beansprucht werde, erst nach, so handle es sich nicht um die „bisherige“ Erwerbstätigkeit und es bestünde insoweit kein Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG.
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2. Die Klägerin ließ am 5. Juli 2021 Klage erheben und am 9. August 2021 zur Begründung im Wesentlichen ausführen: Sie habe einen Anspruch auf Erstattung der Verdienstausfallentschädigung. Es sei mit der betroffenen Arbeitnehmerin vor Beginn des Arbeitsverhältnisses ein schriftlicher Arbeitsvertrag abgeschlossen worden. Aufgrund dieses Vertrages sei sie verpflichtet gewesen, den vertraglich vereinbarten Lohn zu zahlen, was auch erfolgt sei. Der Anspruch auf Entschädigung bestehe, da die Lohnfortzahlungsverpflichtung bereits vor Beginn des Arbeitsverhältnisses durch die vertragliche Vereinbarung mit der Arbeitnehmerin entstanden sei. Es könne nicht zu ihren Lasten gehen, wenn sie sich an behördliche Anordnungen halte.
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Mit Schriftsatz vom 4. September 2021 erwiderte der Beklagte, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die beantragte Erstattung, weil dem der Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG - „Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit“ - entgegenstehe, da das Arbeitsverhältnis mit der betroffenen Arbeitnehmerin erst nach Beginn der Absonderung habe beginnen sollen.
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3. Der Klägerbevollmächtigte b e a n t r a g t e in der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2021,
die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids der Regierung von Unterfranken vom 4. Juni 2021 dazu verpflichtet, der Klägerin wie beantragt die Verdienstausfallentschädigung für die Mitarbeiterin … … in Höhe von 808,19 EUR zu gewähren.
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Der Beklagtenvertreter b e a n t r a g t e,
die Klage abzuweisen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 29. November 2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung sowie abgeführter Sozialversicherungsbeiträge für ihre Arbeitnehmerin V. (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil der notwendige Entschädigungsanspruch der Arbeitnehmerin nicht gegeben ist. Es fehlt bereits an der tatbestandlich vorausgesetzten bisherigen Erwerbstätigkeit der Arbeitnehmerin i.S.d. § 56 Abs. 1 IfSG.
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Gem. § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne im September und Oktober 2020 maßgeblichen Fassung mit Gültigkeit vom 23. Mai 2020 bis 18. November 2020 (vgl. zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage i. R. d. § 56 IfSG: VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021 - B 7 K 21.110 - juris) erhält der Arbeitgeber, der für die zuständige Behörde die Entschädigung auszahlt, auf Antrag eine entsprechende Erstattung, wenn sein Arbeitnehmer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden.
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Vorliegend hat die Klägerin ihrer Arbeitnehmerin zwar für den Zeitraum der Quarantäne ein Arbeitsentgelt ausgezahlt und bei der Regierung von Unterfranken einen Antrag auf dessen Erstattung gestellt. Der Erstattungsanspruch der Klägerin besteht jedoch deshalb nicht, weil der Arbeitnehmerin kein - zunächst von der Klägerin für die zuständige Behörde zu erfüllender - Entschädigungsanspruch gem. § 56 Abs. 1 IfSG zusteht.
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Die Arbeitnehmerin war zwar i. S. d. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG abgesondert worden. Der Anspruch scheitert jedoch daran, dass sie durch die Absonderung nicht in der Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit i. S. d. § 56 Abs. 1 IfSG beeinträchtigt war, da sie ihre Tätigkeit bei der Klägerin erst am 1. Oktober 2020 und mithin am Tag nach Beginn der Absonderung aufnehmen sollte.
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Denn ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG nur für die bisherige Erwerbstätigkeit, sprich, nur für die Erwerbstätigkeit, welche zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Maßnahme durch die betroffene Person ausgeübt wurde (vgl. Aligbe, Infektionsschutzrecht in Zeiten von Corona, 9. Kapitel Nr. 2, Entschädigung bei Verboten der Erwerbstätigkeit; Erdle, IfSG, 8. Auflage, S. 190; Gerhardt, IfSG, 5. Aufl. 2021, § 56 Rn. 8; Kümper in Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 56 Rn. 17). Eine künftige Erwerbstätigkeit genügt nicht (Eckart/Kruse in BeckOK InfSchR, 9. Edition Stand: 20.12.2021, IfSG § 56 Rn. 22), da § 56 Abs. 1 IfSG bloß künftige Erwerbschancen nicht umfasst (vgl. Becker in Huster/Kingreen InfektionsschutzR-HdB, Kap. 9 Öffentliches Entschädigungsrecht Rn. 117). Auch nach einem Berufswechsel ist der neu aufgenommene Beruf kein tauglicher Anknüpfungspunkt für einen Anspruch nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG (vgl. Erdle, IfSG, 8. Auflage, S. 191; Kümper in Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 56 Rn. 17). Dies gilt ebenfalls für den Anspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG. Denn aufgrund seines Wortlauts, „Das Gleiche gilt für“, ist das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG - mit Ausnahme des Tätigkeitsverbotes - Voraussetzung für den Anspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG (vgl. Aligbe, Infektionsschutzrecht in Zeiten von Corona, 9. Kapitel Nr. 3., Entschädigung bei Quarantäne; Eckart/Kruse in BeckOK InfSchR, 9. Edition Stand: 20.12.2021, IfSG § 56 Rn. 22; Gerhardt, IfSG, 5. Aufl. 2021, § 56 Rn.13; wohl auch: VG Oldenburg, U.v. 26.4.2021 - 7 A 1497/21 - juris Rn. 14). Gründe, aus denen die Beschränkung auf die bisherige Erwerbstätigkeit nur für Ansprüche aus § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht aber für Ansprüche aus § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG gelten sollte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, weshalb § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG künftige Erwerbschancen umfassen sollte, § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG hingegen nicht. Daher genügt auch für einen Anspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG eine erst nach Wirksamwerden der Absonderungsanordnung aufgenommene Erwerbstätigkeit nicht. Eine anderweitige Auslegung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG verbietet sich, da § 56 Abs. 1 IfSG als Billigkeitsregelung eng auszulegen ist (vgl. Erdle, IfSG, 8. Auflage, S. 190; Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 31; Winter/Thürk in Schmidt, COVID-19 Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Auflage 2021, § 22 Rn. 16). Danach soll nicht jeder finanzielle Nachteil ausgeglichen werden, sondern nur dann, wenn der Betreffende seiner bisherigen regelmäßigen Tagesarbeit aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr nachgehen kann (vgl. Eckart/Kruse in BeckOK InfSchR, 9. Edition, Stand 20.12.2021, IfSG § 56 Rn. 3.1).
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Etwas Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem klägerischen Vortrag, die Anordnung der Quarantäne vor Beginn des Arbeitsverhältnisses stehe einem Anspruch nicht entgegen, da der Arbeitsvertrag bereits vor Beginn des Arbeitsverhältnisses geschlossen worden sei und daher bereits zu diesem Zeitpunkt eine Lohnfortzahlungsverpflichtung der Klägerin gegenüber ihrer Arbeitnehmerin entstanden sei. Denn eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 56 IfSG besteht, entsprechend dem Sinn und Zweck der Norm, Betroffene vor materieller Not aufgrund des Entfallens des erwarteten Lohnes für die Dauer der infektionsschutzrechtlichen Maßnahme zu schützen (vgl. BT-Drs. 3/1888, 27), nicht bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages, sondern erst ab Beginn des Arbeitsverhältnisses, da der Arbeitnehmer in der Regel erst ab dann einen Lohn enthält. Darüber hinaus ist vorliegend bereits nicht ersichtlich, woraus sich die behauptete Lohnfortzahlungsverpflichtung überhaupt ergeben sollte. Sie ist weder vertraglich geregelt, noch ergibt sie sich aus § 616 BGB, da die Arbeitnehmerin angesichts der vertraglich vereinbarten Dauer des Arbeitsverhältnisses von lediglich eineinhalb Monaten aufgrund der angeordneten Quarantäne für 13 Tage nicht nur für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an der Dienstleistung verhindert war (vgl. VG Bayreuth, G.v. 5.5.2021 - B 7 K 21.210 - juris Rn. 31 ff.). Doch auch wenn die behauptete Lohnfortzahlungsverpflichtung bestehen würde, ist nicht erkennbar, weshalb hieraus ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung der Arbeitnehmerin folgen sollte. Vielmehr würde sie diesem gerade entgegenstehen, da es dann an dem tatbestandlich vorausgesetzten Verdienstausfall fehlen würde.
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In der Folge besteht auch kein Anspruch auf Erstattung der für die Arbeitnehmerin abgeführten Sozialversicherungsbeiträge gem. § 57 Abs. 1 Satz 4 IfSG da hierfür der Anspruch gem. § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 IfSG Voraussetzung wäre.
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Demnach war die Klage insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.