Titel:
Anforderungen an die Beweiswürdigung in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation.
Normenkette:
StGB § 22, § 23, 52, § 53, § 64, § 174 Abs. 1 Nr. 3, § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2, § 177
Leitsätze:
1. Die Bedeutung des Konstanzmerkmals geht darauf zurück, dass eigene Erlebnisse besser behalten werden als Aussageinhalte, die sich ein Zeuge ausgedacht, auf Bildern, in Filmen oder sonst gesehen oder von anderen gehört hat. Neben einer besseren und multimodalen Speicherung, insbesondere emotional bedeutsamer Erfahrungen, unterliegen reale Erlebnisse auch spezifisch gedächtnispsychologischen Gesetzesmäßigkeiten, welche einem falsch aussagenden Zeugen kaum bekannt sein dürften bzw. welche er nur schwerlich über die Zeit hinweg im Rahmen einer intentionalen Falschaussage beachten und stimmig einbringen kann. (Rn. 180) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwischen der Schilderung eines wahren und eines bewusst unwahren Geschehens besteht ein grundlegender Unterschied hinsichtlich der jeweils zu erbringenden geistigen Leistungen des Aussagenden. Während einerseits ein Bericht aus dem Gedächtnis abgerufen wird, konstruiert eine bewusst lügende Person ihre Aussage aus dem gespeicherten Allgemeinwissen. Es ist eine schwierige Aufgabe mit hohen Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit, eine Aussage über ein komplexes Geschehen zu erfinden und über längere Zeiträume aufrecht zu erhalten. (Rn. 220) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Falle einer bewussten Lüge ist deshalb die Wahrscheinlichkeit der Schilderung von zB nebensächlichen Details, sogenannte abgebrochenen Handlungsketten, unerwarteten Komplikationen oder phänomengemäßen Schilderungen unverstandener Handlungselemente gering. Hinzu tritt das Bemühen der lügenden Person, auf das Gegenüber glaubhaft zu erscheinen. Das Auftreten aussageimmanenter Qualitätsmerkmale wie zB logische Konsistenz, quantitativer Detailreichtum, raumzeitliche Verknüpfungen, Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge, Entlastung des Angeklagten und deliktspezifische Aussageelemente gelten als Hinweis auf die Glaubhaftigkeit der Angaben. (Rn. 220) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Hang iSd § 64 StGB eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ein Hang ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Angeklagte aufgrund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Nicht notwendig ist dagegen eine chronische körperliche Sucht, ein täglicher Konsum oder eine erhebliche Einschränkung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit. (Rn. 430) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beweiswürdigung, Zeugenaussage, Konstanzmerkmal, Unwahrheit, Sucht, sexueller Missbrauch, Kind
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 14.12.2021 – 1 StR 234/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 46917
Tenor
1. Der Angeklagte S. H., geboren 1974, ist schuldig des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in Tatmehrheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in fünf selbstständigen Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in Tatmehrheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in drei selbstständigen Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchtem sexuellem Übergriff mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen.
2. Er wird deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt.
3. Der Angeklagte wird verurteilt an die Adhäsionsklägerin F. K., H.straße 4, 8... E., gesetzlich vertreten durch die Erziehungsberechtigte M. K., ein Schmerzensgeld in Höhe von 21.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.01.2021 zu zahlen. Es wird festgestellt, dass die vorstehende Forderung der Adhäsionsklägerin aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Angeklagten herrührt.
4. Das Urteil zu 3. ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrags.
5. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin. Der Angeklagte trägt zudem die durch den Adhäsionsantrag der Nebenklägerin F. K. vom 18.01.2021 angefallenen (besonderen) gerichtlichen Kosten. Von den der Adhäsionsklägerin und dem Angeklagten durch den Adhäsionsantrag vom 18.01.2021 entstandenen notwendigen Auslagen tragen der Angeklagte 81%, die Adhäsionsklägerin 19%.
Angewandte Strafvorschriften:
§§ 174 Abs. 1 Nr. 3 (in der Fassung gültig seit 27.01.2015), 176 Abs. 1, 176a Abs. 2 Nr. 1 (jeweils in der Fassung gültig seit 27.01.2015 bis zum 12.03.2020), 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 S. 2 Nr. 1 (in der Fassung gültig seit 10.11.2016), 22, 23 Abs. 1, 52, 53 StGB
Entscheidungsgründe
1
Der Angeklagte ist ein 46-jähriger Maschinenbauingenieur. Er lebte bislang ein unauffälliges Leben.
2
Im Jahr 2011 lernte der Angeklagte M. K. kennen, die ihre zum damaligen Zeitpunkt 6-jährige Tochter F. mit in die schnell entstandene Beziehung brachte. Im April 2012 bezogen der Angeklagte, M. und F. K. ein der M. K. gehörendes Haus in der K.straße 7 in 8... O., wobei der Angeklagte ab diesem Zeitpunkt für F. die Rolle eines Stiefvaters einnahm. Im Jahr 2013 kam der gemeinsame Sohn des Angeklagten und M. K., der heute 7-jährige A., zur Welt.
3
Zu insgesamt neun Gelegenheiten kam es im Zeitraum zwischen den bayerischen Pfingstferien 2016 und der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 zu sexuellen Handlungen des Angeklagten an der zu diesem Zeitpunkt fast 11 bzw. 12 Jahre alten F. K..
4
In den Pfingstferien 2016 fasste der Angeklagte F. auf der nächtlichen Autofahrt an den Gardasee in die Hose und berührte sie an der nackten Scheide, wobei er etwa zehn Minuten lang an ihrem Kitzler spielte. Während des Urlaubs am Gardasee berührte er das Mädchen zudem zu mindestens zwei weiteren Gelegenheiten nachts im Stockbett des Wohnwagens der Familie im nackten Intimbereich, wobei er seine Finger jedoch nicht in die Vagina der Geschädigten einführte. F. erwachte jeweils durch die Berührungen, stellte sich aber weiter schlafend.
5
Zu mindestens fünf jeweils nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten zwischen Ende September 2016 und dem 23.07.2017 kam der Angeklagte am Wochenende in der Nacht in das Zimmer der F. K. im Dachgeschoss der Hauses in der K.straße 7 in 8... O. und fasste dem Mädchen, das sich während der Vorfälle stets schlafend stellte, für eine Dauer von etwa jeweils fünf Minuten von unten unter den BH an die Brust und drückte diese zusammen. Zudem griff er F. unter ihre Schlafanzughose und Unterhose, berührte sie an der nackten Scheide und spielte kurz am Kitzler. Anschließend drang er mit dem Finger in ihre Scheide ein und penetrierte sie mit dem Finger.
6
In der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 suchte der Angeklagte, enthemmt durch Alkoholkonsum während einer vorangegangenen privaten Feier, F. erneut in ihrem Kinderzimmer auf und vollzog den Geschlechtsverkehr an F., die sich hiergegen erfolglos durch Zusammendrücken ihrer Beine zur Wehr zu setzen versuchte. Es gelang dem Angeklagten hierbei nicht, vollständig in das Mädchen einzudringen; er drang jedoch mit seinem erigierten Penis jedenfalls weiter als bis zum Scheidenvorhof vor, wodurch F. Schmerzen verspürte.
7
F. vertraute sich ihrer Mutter M. K. am 23.07.2017 an. Diese trennte sich noch am selben Tag vom Angeklagten. Eine polizeiliche Anzeige der Vorfälle durch F. erfolgte erst im November 2018.
8
Der Angeklagte bestreitet die Taten. Er wird jedoch durch die Angaben der Nebenklägerin F. K. überführt. Ausgehend von der sog. Unwahrheitshypothese (Nullhypothese) und unter Beachtung der vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation hat die Kammer die Angaben der Nebenklägerin einer besonders kritischen und gründlichen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen, wobei sie von der psychologischen Sachverständigen Dipl. Psych. S. A. unterstützt wurde, die in der Hauptverhandlung ein aussagepsychologisches Gutachten zur Glaubhaftigkeit der Angaben des Mädchens erstattet hat, wobei die Kammer jedoch unabhängig hiervon aufgrund eigener Sachkompetenz eine eigene Würdigung der Aussagen der Zeugin vorgenommen hat.
9
Die Kammer kam diesbezüglich zum Ergebnis, dass die Angaben von F. K. der Wahrheit entsprechen und insbesondere aufgrund der Qualität der Aussage nicht von einem Erfinden der Tatvorwürfe oder einer Fremdeingebung ausgegangen werden kann, wobei die Kammer als mögliches Motiv für eine Falschbelastung des Angeklagten insbesondere berücksichtigt hat, dass F. diesen aus der Familie herausdrängen wollte, weil die Beziehung des Angeklagten mit ihrer Mutter M. K. bereits seit geraumer Zeit kriselte oder sie auf ihren kleinen Bruder A. eifersüchtig gewesen sein könnte. Die Kammer hat sich auch mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass F. ihre Schilderungen aus der Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ entlehnt haben könnte. Auch der zeitliche Versatz zwischen der letzten Tat und der polizeilichen Anzeige wurde von der Kammer berücksichtigt. Sämtliche Hypothesen, die gegen eine Erlebnisbasiertheit der Angaben F.s sprachen, mussten jedoch letztlich verworfen werden.
10
Die Schilderungen des Mädchens werden zudem durch den Umstand gestützt, dass der Angeklagte gegenüber den Zeugen M. K. und J. K. (Großvater von F.) die Taten zur Überzeugung der Kammer jedenfalls zum Teil eingeräumt hat. So gab er bei einem Gespräch im Haus des J. K. am 23.07.2017, wo ihn M. und J. K. mit den aufgekommenen Vorwürfen F.s konfrontierten, an: „Es war ja nur mit dem Finger, es war nur ein paar Mal, ich war immer angetrunken.“
11
Der Angeklagte war während der Taten zum Teil alkoholisiert, Einschränkungen seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit zu den jeweiligen Tatzeitpunkten konnte die sachverständig beratene Kammer jedoch nicht feststellen. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt liegen nicht vor.
12
B. Persönliche Verhältnisse
14
Der Angeklagte S. H. wurde 1974 in K. geboren. Er hat einen sechs Jahre jüngeren Bruder.
15
Die Kindheit des Angeklagten verlief unauffällig. Er erreichte nach einer regulären Schullaufbahn das Abitur und absolvierte anschließend zwölf Monate Wehrdienst in Mecklenburg-Vorpommern.
16
Von 1994 bis 1999 studierte er in K. Maschinenbau und schloss dieses Studium erfolgreich mit einem Diplom ab.
17
Im Jahr 2000 zog der Angeklagte berufsbedingt in den Raum M. und arbeitete dort etwa zwölf Monate bei einer Firma in P.. Am 01.04.2001 wechselte er als Ingenieur zur Firma K.-M. in M.. Dort verdiente er zuletzt ca. 6.400,00 € brutto im Monat und lebte in geordneten finanziellen Verhältnissen. Von 2002 bis 2007 absolvierte der Angeklagte erfolgreich ein Zweitstudium und erlangte ein Diplom als Wirtschaftsingenieur.
18
Der Angeklagte wohnte bis 2005 in einer Wohngemeinschaft mit Studienkollegen in O.. Im Jahr 2006 zog er mit seiner damaligen Partnerin zusammen. Diese verstarb im April 2011 bei einem Verkehrsunfall. Etwa zwei Monate nach diesem Unfall lernte er M. K., die Mutter der Nebenklägerin F. K., auf einem Fest kennen. Einige Tage darauf traf er die zum damaligen Zeitpunkt sechsjährige F. zum ersten Mal. Im weiteren Verlauf führte der Angeklagte mit M. K. eine Beziehung.
19
Der Angeklagte zog im April 2012 zu M. und F. K. in deren Wohnhaus in der K.straße 7 in 8... O..
20
Im Juli 2012 wurde M. K. schwanger, erlitt jedoch im August 2012 eine Fehlgeburt. Im Januar 2013 wurde sie erneut schwanger und im Oktober 2013 kam der gemeinsame Sohn A. auf die Welt.
21
Am 23.07.2017 zog der Angeklagte nach Aufkommen der unter C. II. geschilderten Vorfälle aus dem gemeinsamen Haus in O. aus, wohnte vorübergehend beim befreundeten Ehepaar H. und C. M. und zog anschließend nach D.. Seit der Trennung von M. K. betreute der Angeklagte den gemeinsamen Sohn A. jedes zweite Wochenende und teilweise länger in den Ferien. Ab Dezember 2019 hatte er beruhend auf einer Entscheidung des Familiengerichts Neuburg a.d. Donau begleiteten Umgang mit A. jeden Donnerstag und an jedem zweiten Wochenende.
22
Seit etwa Herbst 2017 führt der Angeklagte eine Beziehung mit Y. B., der Schwester der C. M..
24
Der Angeklagte hatte im Alter von siebzehn Jahren zum ersten Mal eine ernsthafte Beziehung. Mit seiner ersten Partnerin, die ein Jahr älter als er war, war er von 1993 bis 2002 liiert. Mit seiner zweiten Partnerin, die ebenfalls ein Jahr älter als er war, war er etwa sieben Jahre liiert, bis diese bei dem Verkehrsunfall im April 2011 verstarb.
25
Hinweise auf das Vorliegen einer Störung der Sexualpräferenz im Sinne des ICD-10 haben sich nicht ergeben.
27
Der Angeklagte konsumiert keine illegalen Drogen.
28
Der Angeklagte konsumiert gelegentlich Alkohol, wobei er unter der Woche selten bis gar nicht, sondern überwiegend an den Wochenenden auf Festen oder privaten Feiern Alkohol trank. Bei diesen Veranstaltungen nahm der Angeklagte gelegentlich in einem erhöhten Maße Alkohol zu sich, wodurch es auch zu Rauschzuständen kam. Entzugssymptome verspürte der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt. Der Angeklagte leidet weder an einer Alkoholsucht noch liegt bei ihm ein schädlicher Gebrauch von Alkohol im Sinne der ICD 10-Klassifikation vor.
30
Der Angeklagte ist in körperlicher und geistiger Hinsicht gesund. Er hatte keine gravierenden Krankheiten und Unfälle, durch welche seine strafrechtliche Verantwortlichkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB berührt sein könnte.
31
V. Strafrechtliches Vorleben und Freiheitsentziehung in dieser Sache Der Angeklagte ist strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten.
32
Er befindet sich in dieser Sache seit 11.01.2021 aufgrund Untersuchungshaftbefehl des Landgerichts Ingolstadt vom selben Tag in Untersuchungshaft in der JVA A.G..
34
Der Angeklagte war von Mitte 2011 bis zum 23.07.2017 der Lebensgefährte der M. K., der Mutter der 2005 geborenen Geschädigten F. K..
35
M. K. trennte sich von F.s leiblichem Vater, dem Zeugen K. R., als diese etwa drei Jahre alt war. Zu ihrem Vater K. R. hat F. seitdem ein gutes Verhältnis und regelmäßigen Kontakt, wobei sie etwa jedes zweite Wochenende bzw. länger in den Ferien bei diesem wohnte. Ansonsten lebte F. K. bei ihrer Mutter und dem Angeklagten im Haus in der K.straße 7 in 8... O..
36
Die Beziehung des Angeklagten zu M. K. gestaltete sich im Laufe der Zeit immer schwieriger und konfliktbehafteter. Insbesondere Alltagsthemen und Finanzielles waren häufige Streitpunkte des Paares. So gab es Konflikte darüber, ob sich der Angeklagte genügend im Haushalt, in der Kindererziehung oder bei Reparaturarbeiten engagierte. Mehrere Male stand eine Trennung konkret im Raum, zuletzt kurz vor den Pfingstferien 2016. Seit der Geburt des gemeinsamen Sohnes A. im Oktober 2013 kam es nur noch selten zu Sexualkontakten zwischen den Partnern. Zuletzt blühte die Beziehung und das Sexualleben des Paares während eines Urlaubs am Gardasee in den Pfingstferien 2016 wieder auf, sodass sich M. K. entschied, die Beziehung zum Angeklagten weiterzuführen. Im weiteren Verlauf verschlechterte sich die Beziehung aber nach etwa zwei bis drei Monaten wieder zusehends.
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Der Angeklagte erfüllte seit dem Einzug bei M. K. für F. K. eine Stiefvaterrolle, was ihm auch bewusst war. Er beteiligte sich an der Erziehung von F.. So war er eingebunden auch in die schulische Ausbildung des Kindes, lernte mit ihr und kümmerte sich im Übrigen um ihre persönlichen Belange. F. hatte zu ihm und seiner Familie ein überwiegend gutes Verhältnis.
38
Nach der Geburt des Halbbruders A. im Oktober 2013 verhielt sich F. diesem gegenüber zunächst skeptisch, was sich aber im weiteren Verlauf schnell legte. Der Angeklagte behandelte F. in der Erziehung in gleicher Weise wie seinen leiblichen Sohn A..
39
Seit dem 23.07.2017 hat der Angeklagte keinen Kontakt mehr zu F. K..
41
Zwischen den bayerischen Pfingstferien 2016 und dem 23.07.2017 kam es bei insgesamt mindestens neun Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen des damals 41 bzw. 42 Jahre alten Angeklagten an der Nebenklägerin F. K..
42
In drei Fällen berührte der Angeklagte F. K. während eines einwöchigen Urlaubsaufenthalts am Gardasee in den bayerischen Pfingstferien 2016 vom 17.05.2016 bis 28.05.2016 an der nackten Scheide.
43
Nach den Pfingstferien verstarb die Großmutter von F., was für diese einen schweren Verlust bedeutete. Daraufhin unterbrach der Angeklagte die Handlungen für einen Zeitraum von wenigen Wochen, jedenfalls bis Ende September 2016.
44
Von Ende September 2016 bis zur Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 kam der Angeklagte regelmäßig an den Wochenenden, an denen F. K. nicht bei ihrem leiblichen Vater K. R. war, in der Nacht in ihr Kinderzimmer im ausgebauten Dachgeschoss des Hauses in der K.straße 7 in 8... O.. Dabei stellte sich F., die teilweise schon durch die knacksenden Geräusche des Angeklagten auf der schmalen und steilen Zugangstreppe erwachte, zum Teil schlafend, als dieser ihr Zimmer betrat, zum Teil machte sie das Licht an und sprach ihn an, woraufhin der Angeklagte das Zimmer stets wieder verließ.
45
In den verfahrensgegenständlichen Nächten, in denen F. das Licht nicht anmachte, legte oder setzte sich der Angeklagte zu dieser ins Bett und berührte sie an der nackten Brust und Scheide und penetrierte sie mit dem Finger. F. wachte in jedem Fall, wenn sie nicht schon durch die Geräusche auf der Treppe wach geworden war, spätestens durch die Berührung des Angeklagten auf und stellte sich schlafend. Der Angeklagte ging jeweils davon aus, dass sie weiter schlafen würde.
46
Gelegentlich erkundigte sich der Angeklagte am Morgen darauf bei F., ob sie gut geschlafen hätte, um sich zu vergewissern, dass sie jeweils schlief und nichts mitbekam.
47
In der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 vollzog der Angeklagte den Beischlaf mit F. K..
48
Dem Angeklagten war jeweils bewusst, dass F. K. zu den Tatzeitpunkten das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.
49
Der Angeklagte war zu keinem Zeitpunkt in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eingeschränkt, noch war diese vollständig aufgehoben.
50
Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fälle:
51
1. Ziffer 3 der Anklage (Fahrt an den Gardasee)
52
Während der nächtlichen Urlaubsfahrt an den Gardasee zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt in den bayerischen Pfingstferien vom 17.05.2016 bis 28.05.2016 saß der Angeklagte am Steuer des Familienfahrzeugs, einem Ford Mondeo. Die Geschädigte F. K. saß neben ihm auf dem Beifahrersitz und schlief. Auf der Rückbank befanden sich die ebenfalls schlafende M. K. und der schlafende Bruder A..
53
Der Angeklagte griff während der Autofahrt nach Passieren der italienischen Autobahnmautstelle mit seiner Hand zu F. K. hinüber - in dem Glauben, dass sie schlafen würde -, fasste ihr von oben unter ihre Jogginghose und Unterhose und spielte etwa zehn Minuten lang an ihrem Kitzler.
54
F. K. erwachte durch diese Berührung sofort, stellte sich aber aus Angst schlafend. Der Angeklagte nahm nicht wahr, dass sie erwacht war. Mit dem Finger penetrierte der Angeklagte sie nicht. Zum Tatzeitpunkt war der Angeklagte nicht alkoholisiert.
55
2. Ziffer 4 der Anklage (Taten während des Urlaubs am Gardasee)
56
Zu mindestens zwei jeweils nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten in den bayerischen Pfingstferien vom 17.05.2016 bis 28.05.2016 trat der Angeklagte in der Nacht auf einem Campingplatz am Gardasee im dortigen Wohnwagen der Familie K. an das Stockbett, in dem oben die Geschädigte F. K. schlief. M. K. schlief zu diesem Zeitpunkt auf der anderen Seite des Wohnwagens im gemeinsamen Bett des Paares, F.s Bruder A. unten im Stockbett.
57
Der Angeklagte streichelte hierbei jeweils die auf dem Rücken liegende F. K. unter ihrem BH an der Brust und berührte sie anschließend unter ihrem Schlafanzug jedenfalls kurz im nackten Intimbereich, ohne mit dem Finger einzudringen. F. K. erwachte jeweils sofort, stellte sich aber aus Angst schlafend, was der Angeklagte in keinem Fall bemerkte.
58
Zu einer Alkoholisierung des Angeklagten zum jeweiligen Tatzeitpunkt konnte keine Feststellung getroffen werden.
59
3. Ziffer 5 der Anklage (Taten in F.s Kinderzimmer)
60
Zu mindestens fünf jeweils nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten zwischen Ende September 2016 und dem 23.07.2017 kam der zu diesem Zeitpunkt nackte Angeklagte am Wochenende in der Nacht in das Zimmer der schlafenden F. K. im Dachgeschoss des Hauses in der K. straße 7 in 8... O..
61
Der Angeklagte legte oder setzte sich jeweils zu F. K. ins Bett. Er fasste ihr zu Beginn für eine Dauer von etwa jeweils fünf Minuten von unten unter den BH an die Brust und drückte diese zusammen. Zudem griff er F. K. unter ihre Schlafanzughose und Unterhose, berührte sie an der nackten Scheide und spielte jedenfalls kurz am Kitzler. Anschließend drang er mit dem Finger über den Scheidenvorhof hinaus in ihre Scheide ein und penetrierte sie mit dem Finger. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Angeklagte jeweils mit dem gesamten Finger in das Mädchen eingedrungen ist. Insgesamt befand sich der Angeklagte jeweils etwa eine halbe Stunde im Zimmer von F. K..
62
Der Angeklagte war dabei jeweils in dem Glauben, dass F. K. schlafen würde, indes erwachte diese aber jeweils spätestens, als er anfing sie zu berühren, und stellte sich schlafend.
63
Der Angeklagte war in diesen Fällen teilweise alkoholisiert, wobei nicht feststellbar ist, bei welchen Einzeltaten er alkoholisiert bzw. nüchtern war.
64
4. Ziffer 6 der Anklage (Vaginaler Verkehr)
65
In der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 kam der zu diesem Zeitpunkt nackte Angeklagte erneut in das Kinderzimmer der F. K., wodurch diese wach wurde.
66
Der Angeklagte drehte sie von der Seitenlage auf den Rücken und streifte ihr die Schlafanzughose und die Unterhose ab. F. K. machte sich steif und presste ihre Beine so fest, wie sie konnte, zusammen. Der Angeklagte drückte die Beine jedoch gegen ihren Widerstand mit einigem Kraftaufwand auseinander, um mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Dadurch, dass sich F. gegen das Auseinanderdrücken ihrer Beine zur Wehr setzte, erkannte der Angeklagte, dass sie wach war.
67
Der Angeklagte zog sodann einen Tampon aus der Scheide des Mädchens, welches zu diesem Zeitpunkt seine Menstruation hatte, und legte diesen beiseite.
68
Anschließend kniete er sich zwischen die weiter auseinandergedrückten Beine von F. K. und lehnte sich nach vorne, wodurch es ihm gelang, gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen der Geschädigten mit seinem erigierten Glied über den Scheidenvorhof hinweg in ihre Vagina einzudringen. Hierbei gelang es ihm aber nicht, vollständig in das Mädchen einzudringen. F. K. verspürte hierdurch, wie vom Angeklagten vorhergesehen und billigend in Kauf genommen, nicht nur unerhebliche Schmerzen. Der Angeklagte benutzte kein Kondom. Zum Samenerguss kam es bei ihm nicht. Der Angeklagte ließ nach etwa 10 Minuten von sich aus wieder von dem Mädchen ab.
69
Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt alkoholisiert, wobei sich das genaue Ausmaß der Alkoholisierung nicht mehr feststellen ließ.
71
Während der vorgenannten Taten war der Angeklagte weder aufgrund Alkoholgenusses noch aufgrund anderer Umstände in seiner Einsichtsfähigkeit oder Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt, noch waren diese aufgehoben.
73
Am Vormittag des 23.07.2017 holte F. ihre Mutter M. K. in ihr Kinderzimmer und teilte ihr mit, der Angeklagte habe sie vergewaltigt. Das Ganze gehe schon über ein Jahr, der Angeklagte habe sie mehrmals berührt und dabei auch den Finger eingeführt bzw. beim letzten Mal seinen Penis. Der Angeklagte kam unter dem Vorwand, ein Fliegengitter im Kinderzimmer reparieren zu wollen, ebenfalls nach oben, um herauszufinden, was F. ihrer Mutter berichtete. M. K. schickte ihn aber wieder aus dem Zimmer.
74
Daraufhin fuhr M. K. mit F. zum Großvater J. K., dem sie von den Vorwürfen F.s berichteten.
75
Rund 15 Minuten später traf auch der Angeklagte ein. Der Zeuge J. K. schickte F. ins Obergeschoss und stellte den Angeklagten zusammen mit M. K. über das, was ihnen F. mitgeteilt hatte, zur Rede. Der Angeklagte wiederholte den beiden gegenüber mehrmals, es tue ihm so leid, er habe das nicht gewollt und es habe am Alkohol gelegen, er sei immer angetrunken gewesen. Auf Nachfrage von J. K., ob er auch mit F. geschlafen hätte, antwortete der Angeklagte, es sei nur mit dem Finger und nur ein paar Mal gewesen.
76
J. K. verwies den Angeklagten sodann des Hauses und kontaktierte die PI N., um sich hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise beraten zu lassen.
77
Auf Anraten der Polizei fuhren M., F. und J. K. in die Notaufnahme der Kliniken St. E. in N. a.d. Donau. Eine gynäkologische Untersuchung durch die behandelnde Kinderärztin Dr. med. S., wurde dort letztlich nicht durchgeführt. Im Verlauf des 23.07.2017 suchten Beamte der PI N. den J. K. zu Hause auf. Dieser wurde informatorisch befragt sowie am 25.07.2017 polizeilich vernommen, machte hierbei jedoch keine Angaben zur Sache selbst. F. und M. K. waren sowohl am 23.07.2017 als auch im Nachgang nicht bereit, mit den Polizeibeamten zu sprechen und eine Aussage zu machen. Die Staatsanwaltschaft stellte das laufende Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten daraufhin nach § 170 Abs. 2 StPO ein.
78
M. K. trennte sich noch am 23.07.2017 vom Angeklagten und er zog aus dem gemeinsamen Haus in O. aus. Im Nachgang stritten sich M. K. und der Angeklagte über einen längeren Zeitraum bezüglich des Umgangs des Angeklagten mit dem gemeinsamen Sohn A. und der Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts, bis es im Dezember 2019 zu einer Regelung durch das Familiengericht kam.
79
Im November 2018 entschlossen sich F. und M. K. dazu, gegen den Angeklagten Anzeige zu erstatten. Am 15.11.2018 wurden sie nach Wiederaufnahme des Verfahrens polizeilich vernommen.
80
IV. Auswirkungen der Taten auf die Geschädigte und ihre Familie Die Nebenklägerin F. K. und ihre Mutter M. K. leiden auch heute noch unter den Folgen der Tat. Mit Beginn der Übergriffe durch den Angeklagten begann sich F. zu ritzen. Im Schuljahr 2016/2017 verschlechterten sich ihre schulischen Leistungen.
81
Die Taten führten auch dazu, dass F. in dem Wohnhaus in O. zunächst ein anderes Zimmer bezog, da sie in der alten Umgebung ständig an die Taten erinnert wurde.
82
Die Kammer konnte sich aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung nicht ohne vernünftige Zweifel davon überzeugen, dass F. an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Jedenfalls steht aber sicher fest, dass eine solche nicht kausal auf den Taten des Angeklagten beruhen würde.
84
Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hatte dem Angeklagten zudem in Ziffern 1 und 2 der unverändert zugelassenen Anklage vom 22.10.2019 schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in fünf Fällen gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB zulasten der F. K. (fünf Fälle von Berührungen an der Brust und im Intimbereich mit Eindringen des Fingers bereits vor dem Gardaseeurlaub im Jahr 2016) vorgeworfen. Die Kammer hat diese Tatvorwürfe auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 18.01.2021 gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
I. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen
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Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf seinen Angaben in der Hauptverhandlung sowie den Angaben gegenüber der Sachverständigen 16 F. F., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im kbo I. A. Klinikum M. Ost, V.straße 72, 8... H., soweit der Angeklagte diese als richtig bestätigt hat. Ferner beruhen die Feststellungen auf den Angaben der Zeuginnen M. K. und Y. B..
88
Die Kammer sieht keinen Anlass, an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Angeklagten insoweit zu zweifeln.
89
2. Zu Krankheiten, Sexual- und Suchtanamnese
90
Die Feststellungen, dass der Angeklagte weder an psychischen noch physischen Erkrankungen leidet, beruhen auf dem ausführlichen und nachvollziehbaren Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen F.. Die Sachverständige ist der Kammer als zuverlässige, erfahrene und kompetente Sachverständige bekannt. Die Kammer macht sich das erstattete Gutachten aufgrund eigener Überzeugung nach kritischer Prüfung zu eigen, da es sich auch mit dem Eindruck deckt, den die Kammer in der Hauptverhandlung vom Angeklagten erhalten hat.
92
Die Feststellungen zur Sexualanamnese beruhen auf den Angaben des Angeklagten, an deren Glaubhaftigkeit die Kammer insoweit nicht zweifelt, und auf dem ausführlichen und nachvollziehbaren mündlichen Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen F..
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Die Angeklagte berichtete, er habe im Alter von etwa 17 Jahren die erste ernsthafte Beziehung geführt. Seine ersten beiden Partnerinnen seien jeweils ein Jahr älter gewesen als er. Mit der ersten Freundin sei er von 1993 bis 2002 liiert gewesen, mit der zweiten Partnerin etwa sieben Jahre lang bis zu dem Verkehrsunfall im Jahr 2011.
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Die Zeugin KHKin H. bestätigte in der Hauptverhandlung, dass auf den beim Angeklagten sichergestellten Datenträgern kein kinderpornografisches Material vorhanden gewesen sei.
95
Die Kammer kam zu dem Ergebnis, dass auch eine Paraphilie im Sinne der ICD 10- Klassifikation beim Angeklagten nicht besteht. Dafür spricht, dass der Angeklagte nie Beziehungen mit deutlich jüngeren Partnerinnen geführt hat und dass auf den bei ihm sichergestellten Datenträgern keinerlei kinderpornografisches Material gefunden wurde. Nach den Ausführungen der Sachverständigen F. handele es sich bei den vorliegenden Tatvorwürfen vielmehr um eine Inzestkonstellation. Bei einem solchen Inzest sei eine etwaige pädophile Neigung des Täters in der Regel nur begrenzt die Ursache, vielmehr würde ein solches Verhalten nach wissenschaftlichen Untersuchungen hauptsächlich auf pathologischen Familienursachen beruhen. Beim Angeklagten habe eine schwierige Familiensituation durch 17 die konfliktbehaftete Beziehung zu M. K. bestanden. Im Ergebnis sei daher davon auszugehen, dass die Inzestvorwürfe ein sexualisierter Ausdruck nichtsexueller Schwierigkeiten des Angeklagten seien. Inzest sei nicht das Symptom einer psychischen Störung. Die Kammer schließt sich auch diesbezüglich den fundierten und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen an und macht sich diese zu eigen.
97
Die Kammer kommt aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, dass beim Angeklagten eine Alkoholabhängigkeit oder ein schädlicher Gebrauch von Alkohol im Sinne der ICD 10-Klassifikation nicht vorliegen.
98
Die Feststellungen zur Suchtanamnese beruhen auf den eigenen Angaben des Angeklagten sowie den damit übereinstimmenden Aussagen der Zeugen M. K., J. K., C. M., H. M. und Y. B..
99
Der Angeklagte gab an, er trinke unter der Woche gar keinen Alkohol, im Übrigen trinke er nie allein Alkohol und sonst vor allem bei Partys oder Treffen mit Freunden. Dann trinke er aber gelegentlich aus der Gruppendynamik heraus schon etwas mehr. Drogen habe er noch nie konsumiert.
100
Die Zeugen M. K., J. K., C. M., H. M. und Y. B. gaben übereinstimmend an, dass der Angeklagte nur an Geburtstagen bzw. auf Festen, die alle paar Monate bzw. fünf bis sechs Mal im Jahr stattgefunden hätten, mehr getrunken hätte. Die Zeugen M. K., J. K. und H. M. berichteten darüber hinaus, dass er bei diesen Festen gelegentlich auch betrunken gewesen sei. Die Zeugin M. K. gab in diesem Zusammenhang an, der Angeklagte habe bei den Feiern „kein Ende gekannt“ und sich auf der Heimfahrt dann beispielsweise nicht mehr alleine aus dem Auto abschnallen können. Die Zeugen M. und J. K., C. und H. M. und Y. B. gaben jedoch alle weiterhin übereinstimmend an, dass der Alkoholkonsum des Angeklagten normal und unauffällig gewesen sei.
101
Die Sachverständige F. führte in der Hauptverhandlung aus, eine Alkoholabhängigkeit im Sinne der ICD 10- Klassifizierung sei beim Angeklagten nicht zu diagnostizieren, da dieser keinerlei Entzugszeichen, keinen Suchtdruck und keine anderweitigen Schädigungen aufweise und stets die Kontrolle über sein Trinkverhalten gehabt habe. Auch ein schädlicher Gebrauch von Alkohol im Sinne der ICD-Klassifikation könne nicht festgestellt werden. Zwar komme der Angeklagte alkoholbedingt immer wieder in einen Rauschzustand, leide jedoch nicht unter einem Suchtdruck und könne seine Trinkmenge problemlos auf einen rein sporadischen Konsum reduzieren. Auch trinke er Alkohol nur, wenn er am nächsten Tag nicht arbeiten müsse, sodass sich durch seinen Alkoholkonsum keinerlei Auffälligkeiten im Beruf 18 zeigten. Ebenfalls sei es beim Angeklagten nicht zu alkoholbedingten Aggressionen gekommen. Die Kammer macht sich diese Angaben aufgrund eigener kritischer Überprüfung insoweit zu eigen.
102
3. Strafrechtliches Vorleben und Freiheitsentziehung in dieser Sache Die Feststellungen zum strafrechtlichen Vorleben des Angeklagten beruhen auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen Bundeszentralregisterauszug vom 12.02.2021, dessen Richtigkeit der Angeklagte bestätigt hat.
103
II. Feststellungen zum Sachverhalt
104
1. Feststellungen zur Vorgeschichte
105
a) Die Feststellungen zur Beziehung des Angeklagten zu M. K. beruhen auf den Angaben des Angeklagten, die die Kammer insoweit für glaubhaft hält, sowie auf den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen M. K., F. K., C. M. und H. M..
106
Der Angeklagte selbst gab an, seine Beziehung zu M. K. sei ein Auf und Ab gewesen, sexuelle Kontakte hätten nur selten wie zum Beispiel in den Ferien am Gardasee stattgefunden und er hätte sich mit M. K. oft über seine Beteiligung am Haushalt, an der Kindererziehung sowie über Renovierungsarbeiten am Haus gestritten.
107
Die Zeugin M. K. gab an, sie hätten seit der Geburt des gemeinsamen Sohnes A. oft gestritten, da sie der Ansicht gewesen sei, der Angeklagte hätte sie im Haushalt und mit den Kindern zu wenig unterstützt. Vor dem Urlaub in den Pfingstferien 2016 habe sie ihm gegenüber eine räumliche Trennung angekündigt, jedoch habe er sich während des Urlaubs am Gardasee wieder viel Mühe gegeben. Etwa zwei bis drei Monate nach dem Urlaub sei die Beziehung gut verlaufen, dann hätten sie wieder vermehrt Konflikte gehabt.
108
Die Zeugin F. K. berichtete in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 13.03.2019, die durch Vorführung gemäß § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, dass ihre Mutter und der Angeklagte sich mittelmäßig, manchmal gut verstanden hätten, manchmal hätten sie gestritten. Der Angeklagte sei zu Hause manchmal gegenüber ihrer Mutter „bösartig drauf“ gewesen, wenn die beiden gestritten hätten. Die Streitigkeiten seien kurzfristig gewesen. Er sei manchmal schnell sauer geworden.
109
Die Zeugin C. M. gab an, dass die Beziehung zwischen dem Angeklagten und M. K. anfangs schön, mit der Zeit aber weniger schön gewesen sei. Der Zeuge H. M. beschrieb die Beziehung in der Hauptverhandlung als geprägt von Überlastung auf Seiten des Angeklagten und von dem Wunsch nach mehr Unterstützung auf Seiten der M. K..
110
b) Die Feststellungen zum Verhältnis des Angeklagten zu F. K. beruhen auf dessen eigenen Angaben in der Hauptverhandlung, die die Kammer insoweit für glaubhaft hält und die insoweit mit den Aussagen der Zeugen F. K., K. R., J. K., C. M., H. M. und Y. B. übereinstimmen.
111
Der Angeklagte führte in der Hauptverhandlung aus, dass es sich aus seiner Sicht um ein Vater-Tochter-Verhältnis gehandelt habe. Er habe sich um F.s schulische Belange gekümmert, mit ihr gelernt und ihr z.B. auch die Haare gewaschen und geflochten.
112
Die Zeugin F. K. gab in der ermittlungsrichterlichen Videovernehmung vom 13.03.2019 an, dass sie sich vorher eigentlich gut mit dem Angeklagten verstanden habe. Ab und zu sei er ihr aber komisch gekommen, weil er manchmal so schnell sauer geworden sei.
113
Der Zeuge R. berichtete in der Hauptverhandlung, dass seine Tochter F. ihm eigentlich immer sehr Positives vom Angeklagten und von dessen Eltern erzählt habe.
114
Der Zeuge J. K. beschrieb F.s Verhältnis zum Angeklagten als ganz normal, so wie man in einer Familie zusammenlebe.
115
Die Zeugen C. und H. M. berichteten übereinstimmend, dass die Beziehung des Angeklagten zu F. K. unauffällig gewesen sei, dass F. aber manchmal schnippisch und respektlos gegenüber dem Angeklagten gewesen sei.
116
Die Zeugin Y. B. gab an, F. sei wie eine Tochter für den Angeklagten gewesen. Zum Teil sei sie ihm gegenüber aufmüpfig gewesen.
117
c) Die Feststellungen zum Verhältnis der F. K. zu ihrem Halbbruder A. beruhen auf den entsprechenden Schilderungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die die Kammer insoweit für glaubhaft hält.
118
2. Feststellungen zu den Taten selbst
119
Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe vollumfänglich bestritten.
120
Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen im Wesentlichen auf den Angaben der Nebenklägerin F. K., insbesondere auf den im Rahmen der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 13.03.2019 getätigten Angaben, welche gemäß § 255a Abs. 2 StPO durch Inaugenscheinnahme der Bild-Ton-Aufzeichnung in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, sowie auf den im Rahmen der ergänzenden Vernehmung der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung getätigten Angaben.
121
Das Gericht sah unter Berücksichtigung der sogenannten „Unwahrheitshypothese“ (BGH, Urteil vom 23.10.2002, Az. 1 StR 274/02; BGH, Urteil vom 30.07.1999, Az. 1 StR 618/98) und der vorliegenden „Aussage-gegen-Aussage“-Konstellation (BGH, Beschluss vom 19.08.2008, Az. 5 StR 259/08; BGH, Beschluss vom 02.09.2015, Az. 2 StR 101/15; BGH, Beschluss vom 19.07.2016, Az. 5 StR 231/16) keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben bzw. an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin zu zweifeln. Nicht übersehen worden ist hierbei insbesondere, dass die Angaben des Mädchens im Sinne einer bewussten Falschaussage auch frei erfunden sein könnten, sie den Angeklagten vor dem Hintergrund realer sexueller Übergriffe zu stark oder in zu großem Umfang belastet haben könnte, sie die vorgebrachten Geschehnisse aus Fremdquellen entnommen haben könnte und dass eine Falschbezichtigung auch auf einer auto- oder fremdsuggestiven Beeinflussung beruhen könnte. In die diesbezüglich angestellten Erwägungen sind sämtliche im konkreten Fall realistisch scheinenden Möglichkeiten einbezogen worden, die als Erklärung für eine unterstellt unwahre Aussage in Betracht kommen könnten. Ferner wurden die einzelnen Indizien nicht nur isoliert, sondern auch in ihrer Gesamtheit bewertet. Aus diesem Grund wurde bedacht, dass, selbst wenn einzelne Indizien jeweils für sich genommen noch keine „vernünftigen Zweifel“ an der Richtigkeit der den Angeklagten belastenden Aussage aufkommen lassen, doch eine Häufung solcher Indizien bei einer Gesamtbetrachtung zu Zweifeln führen kann (BGH, Beschluss vom 10.02.2009, Az. 5 StR 12/09).
122
Die Aussage wird zudem durch die Schilderungen der Zeugen J. und M. K. über das Gespräch mit dem Angeklagten am 23.07.2017 gestützt, in welchem der Angeklagte den beiden gegenüber die Taten aus Sicht der Kammer jedenfalls teilweise eingeräumt hat.
123
a) Einlassung des Angeklagten
124
Der Angeklagte gab in der Hauptverhandlung an, dass er die Anschuldigungen nicht zugebe. Er habe sich nie betrunken zu F. ins Bett gelegt und diese auch sonst nicht, egal ob über oder unter der Kleidung, an den Geschlechtsteilen berührt. In der Beziehung mit F.s Mutter seien ihm nach der Geburt ihres Sohnes A. immer mehr „die Daumenschrauben“ angelegt worden. Die Beziehung habe gekriselt, sie hätten auch viel vor F. gestritten. Als F. von ihrem Opa J. K. ein Handy geschenkt bekommen habe, seien die Konflikte in der Familie nochmals mehr geworden. Er habe das Handy einmal kontrolliert und gesehen, dass F. bei Google den Suchbegriff „Ficken“ 21 eingegeben und entsprechende Pornovideos, die Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau zeigen, angezeigt bekommen habe. Ob sie die Videos tatsächlich angesehen habe, wisse er nicht. Er sei F. oder ihrer Mutter gegenüber nie gewalttätig oder bösartig geworden.
125
An dem Wochenende, als er daheim rausgeflogen sei, habe er am Samstag eine dreistündige Motorradausfahrt gemacht und sei dann auf die anschließende Feier gegangen. Er habe dort Alkohol konsumiert. Gegen zwei Uhr sei er nach Hause gegangen, da ihm schlecht gewesen sei und er gemerkt habe, dass er genug hatte. Er habe auf der Couch schlafen sollen, wenn er auf Festen gewesen sei und habe das auch in dieser Nacht gemacht. Er wisse noch, dass ihm schlecht gewesen sei und er einen Fuß auf der Couch liegend auf dem Boden abgestellt habe, um „zu bremsen“.
126
Er sei bei der Unterredung im Haus des J. K. am Sonntag mit den Vorwürfen konfrontiert worden. Zu keiner Zeit habe er in dem Gespräch aber irgendetwas zugegeben.
127
Zu seinem Sohn A. habe er nach seinem Rauswurf praktisch gleich wieder Umgang haben dürfen, dies sei jedoch im Laufe der Zeit schwieriger geworden. Im Jahr 2019 sei es dann vor dem Amtsgericht Neuburg a.d. Donau um das Umgangsverbot gegangen. M. K. habe wohl zu anderen Leuten gesagt, da sei er allerdings nicht dabei gewesen, solange sie ihn nicht anzeigen würden, sei er im Rahmen des Sorge- bzw. Umgangsrechts erpressbar.
128
Er habe keine Ahnung, welche Gründe F. zu den Falschbezichtigungen bewogen haben könnten.
129
b) Aussage der Geschädigten F. K. aa) Aussagetüchtigkeit Die Nebenklägerin F. K. ist aussagetüchtig. Die Kammer folgt bei dieser Einschätzung aus eigener Überzeugung den Ausführungen der Sachverständigen S. A., Dipl.-Psychologin, Im Gewerbepark C25, 9... R., die in der Hauptverhandlung ihr Gutachten detailliert erläuterte und dem Gericht in nachvollziehbarer Weise darlegte, wie sie zu den Annahmen hinsichtlich der Aussagetüchtigkeit der Zeugin gelangt ist.
130
(1) Zur Überzeugung der Kammer ergaben sich vorliegend keine Einschränkungen der Wahrnehmung und Denkfähigkeiten der Nebenklägerin, weder zum aktuellen Zeitpunkt noch zum Zeitpunkt der vorliegenden Taten. Die psychologische Sachverständige A. führte in diesem Zusammenhang aus, F. sei in der Lage, frei und eigenständig zu berichten, und sei zum weitgehend eigenständigen Abruf von Gedächtnisinhalten in der Lage. Entsprechende individuelle Vergleichsstandards seien diesbezüglich im Rahmen der Exploration von ihr erhoben worden, so habe sie sich beispielsweise einen Bruch des Fingers im Grundschulalter schildern lassen. Diese Verletzung sei über die Mutter M. K. auch in der Exploration und in der Hauptverhandlung hinreichend validiert worden. Sie habe sich die Schulzeugnisse des Mädchens aus dem 5. und 6. Schuljahr (2015/2016 und 2016/2017) zeigen lassen, auch aus diesen hätten sich keine Auffälligkeiten hinsichtlich der Aufmerksamkeit oder dem kognitivem Vermögen zum Tatzeitpunkt ergeben. Bei dem im Mai 2017 in der Praxis des Zeugen Dr. T. durchgeführten Intelligenztestungsverfahren habe F. einen leicht überdurchschnittlichen Gesamt-IQ von 110 Punkten erreicht. Hinweise auf eine grundsätzliche Einschränkung der autobiographischen Gedächtnisleistung, auf inhaltliche und formale Denkstörungen, Halluzinationen, eingeschränktes Bewusstsein oder Orientierungsfähigkeit lägen bei dem Mädchen nicht vor.
131
(2) Die Sachverständige nahm im Rahmen ihrer Gutachtenserstattung auch ausführlich dazu Stellung, ob sich aus den für die Nebenklägerin von den Zeugen Dr. B. und Dr. T. gestellten Diagnosen Einschränkungen im Hinblick auf die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin ergeben könnten:
132
Der Zeuge Dr. med. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, schilderte in der Hauptverhandlung, dass die Nebenklägerin vom 09.05.2017 bis zum 04.02.2019 in seiner Praxis in Behandlung war. Er erläuterte, dass er F. hierbei an insgesamt drei Terminen gesehen habe. Man sei letztlich von der Arbeitsdiagnose emotionale Störung mit Geschwisterrivalität (ICD 10 F 93.3) sowie einer mittelschweren depressiven Episode (ICD 10 F 32.0) ausgegangen.
133
Aus der in der Hauptverhandlung nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO verlesenen schriftlichen Stellungnahme (Bl. 377/378 d.A.) des Zeugen Dr. B., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie, ergibt sich, dass F. bei ihm seit dem 17.07.2019 in Behandlung ist. Zu Beginn und im weiteren Verlauf der Behandlung hätten sich laut dem Zeugen für die Nebenklägerin die Diagnosen posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1 G) sowie depressive Episode (ICD 10 F 32.1 G) ergeben.
134
Keine dieser Diagnosen, sollten sie tatsächlich bei der Nebenklägerin vorliegen, lassen nach den fundierten und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen A. jedoch Zweifel daran aufkommen, dass die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin besteht.
135
(a) Hinsichtlich der Diagnose depressive Episode erläuterte die Sachverständige, dass nach der Fachliteratur bis zu einer mittelgradigen Symptomatik einer depressiven Episode, wie sie der Zeuge Dr. T. bei F. annehme, keine Zweifel an einer erhaltenen Aussagetüchtigkeit begründet sind. Sie habe in die Prüfung der Aussagetüchtigkeit auch die Besonderheiten eingestellt, die sich nach allgemein anerkannten fachlichen Erkenntnissen bei einer depressiven Episode ergeben können, nämlich eine mögliche Auswirkung auf die Detailliertheit der Aussage oder eine etwaige Beeinträchtigung des Informationsabrufs. Bei der im Rahmen der Begutachtung durchgeführten Gedächtnisprüfung hätten sich jedoch gerade keine Hinweise darauf ergeben, dass solche Beeinträchtigungen auch bei der Nebenklägerin vorliegen würden.
136
(b) Hinsichtlich der Diagnose Emotionale Störung mit Geschwisterrivalität führte die Sachverständige aus, dass dies nach der Lehrmeinung ebenfalls kein Störungsbild sei, dass Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erwarten lasse. Eine Mehrzahl von Kindern zeige nach der Geburt eines jüngeren Geschwisters ein gewisses Ausmaß an emotionalen Störungen. Die Sachverständige gab weiterhin ergänzend an, dass nach den bekannten Forschungsergebnissen die Mehrheit der Kinder dabei aber keine Auffälligkeiten oder Einschränkungen in den kognitiven Fähigkeiten zeige. Vielmehr werde durch diese Diagnose das biopsychosoziale Umfeld verschlüsselt. Sie habe auch hier wiederum keine Hinweise auf eine konkrete Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin im Rahmen der Exploration feststellen können. Hierbei berücksichtigte die Sachverständige auch die Angaben des Zeugen Dr. T., wonach bei der Nebenklägerin nie Hinweise auf psychotische Fehlwahrnehmungen aufgetreten seien. Die Sachverständige gab weiterhin an, dass die Diagnose Emotionale Störung mit Geschwisterrivalität durchaus Auswirkungen in der Motivationsanalyse haben könne, was sie auch im Folgenden bei der Begutachtung entsprechend ergebnisoffen berücksichtigt habe.
137
(c) Hinsichtlich der vom Zeugen B. gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung führte die Sachverständige aus, dass sich die Gedächtnisstruktur bei traumatisierenden Ereignissen nach der herrschenden Fachmeinung nicht wesentlich zu jener bei anderen Situationen unterscheide und dass auch Erinnerungen an extrem stressreiche Ereignisse überwiegend detailliert, konstant und recht zuverlässig seien, sodass wie bei anderen bedeutsamen Lebensereignissen der Kernbereich gut im Gedächtnis bleibe, periphere Details dagegen eher vergessen würden. Damit handele es sich auch bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung nicht um ein Störungsbild, das in der Regel die Aussagetüchtigkeit beeinträchtigen würde. Studien hätten gerade keine Hinweise auf Besonderheiten in der Gedächtnisstruktur bei Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung ergeben. Personen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, würden in den Befragungssituationen auch oft ein erhöhtes Vermeidungsverhalten an den Tag legen. Ein solches habe bei F. gerade nicht festgestellt werden können. Auch eine Kombination der Diagnosen posttraumatische Belastungsstörung und depressive Episode würde nach den fundierten Ausführungen der Sachverständigen nichts an der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin ändern, diese würde sich wenn dann dahingehend auswirken, dass F. gar nicht mehr in der Lage wäre, über das Ereignis zu sprechen, was vorliegend jedoch gerade nicht der Fall sei.
138
(d) Die Sachverständige ging auch darauf ein, dass F. sich seit längerer Zeit ritze und laut den Angaben der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin B. Suizidgedanken im Rahmen einer akuten Krise Anfang des Jahres 2020 geäußert habe. Hinsichtlich dieser bei der Nebenklägerin im Raum stehenden suizidalen und selbstschädigenden Verhaltensweisen sowie Schlaf- und Konzentrationsproblemen berief sich die Sachverständige ebenfalls auf die Fachliteratur, wonach diese in keinem Zusammenhang mit der Aussagetüchtigkeit stünden. Zwar könnten in diesem Zusammenhang durchaus Probleme entstehen, längeren Befragungen zu folgen. Solche hätten sich aber bei der Nebenklägerin gerade nicht gezeigt. So habe sie mit ihr im ersten Gesprächstermin etwa eine Stunde und im zweiten Termin etwa zwei Stunden gesprochen und dabei jeweils keine Beeinträchtigungen ihrer Konzentrationsfähigkeit feststellen können.
139
(3) Nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen ergaben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin zur Zeit der infrage stehenden Ereignisse, somit in den Jahren 2016 und 2017, in anderer Weise beeinträchtigt gewesen sein könnte, was dazu geführt haben könnte, dass sie seinerzeit das Geschehen falsch wahrgenommen und in der Folgezeit unrichtig im Gedächtnis behalten haben könnte. Es lagen vorliegend insbesondere keine Hinweise vor, wonach die Zeugin z.B. wegen des Konsums von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Ähnlichem zur fraglichen Tatzeit eingeschränkt gewesen sein könnte, die Vorfälle ausreichend gut wahrzunehmen.
140
Die Kammer konnte eine Aussageuntüchtigkeit der Nebenklägerin damit nach umfassender Bewertung aller Gesichtspunkte ausschließen. Eine Beeinträchtigung ihrer Fähigkeit, Geschehenes richtig wahrzunehmen, im Gedächtnis zu behalten und auch nach einem gewissen Zeitablauf korrekt wiederzugeben, ist nicht gegeben.
141
(4) Im Hinblick auf die vorstehend thematisierten potentiellen Störungsbilder der Nebenklägerin war die Kammer hinreichend sachverständig beraten durch die Sachverständige A.. Üblicherweise erfolgt die Bewertung, ob überhaupt solche konkreten Anhaltspunkte für eine mögliche Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit durch psychische Erkrankungen oder Besonderheiten vorliegen, als Vorfrage im Rahmen der aussagepsychologischen Begutachtung. So verfügen Aussagepsychologen, wie auch insbesondere die Sachverständige A., über Fachkenntnisse und über die entsprechende Ausbildung in dem Bereich der Aussagetüchtigkeit, insbesondere bei der Frage, ob traumatische Erlebnisse diese beeinträchtigen können. Mögliche traumatische Erlebnisse eines Zeugen in der Vergangenheit, sei es durch eine Straftat oder andere Umstände, stellen den typischen Fall dar, in denen ein Aussagepsychologe seitens des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft für die Begutachtung der Aussage eines Zeugen herangezogen wird.
142
So hat auch die Sachverständige A. auf Nachfrage in der Hauptverhandlung bestätigt, dass sie über langjährige Erfahrung in der Begutachtung von Kindern und Jugendlichen verfügt und dass die bei der Nebenklägerin im Raum stehenden Erkrankungen bzw. psychischen Auffälligkeiten im Verlauf ihrer Begutachtungstätigkeit schon häufig vorgekommen seien.
143
Die Sachverständige hat sich mit der Auswirkung der in Betracht kommenden Störungsbilder der Nebenklägerin auf deren Aussagetüchtigkeit eingehend auseinandergesetzt und ist jeweils nach Prüfung unter Berücksichtigung der einschlägigen Fachliteratur zu dem Ergebnis gekommen, dass sich jedenfalls keine derartigen konkreten Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit ergeben, welche die Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen erfordert hätten. Die Sachverständige ist der Kammer aus früheren Verfahren als erfahren und zuverlässig bekannt. Insbesondere ist der Kammer auch aus anderen Verfahren bekannt, dass die Sachverständige, sollte sie nach eingehender Prüfung zu dem Ergebnis gelangen, dass eine Begutachtung ohne Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen nicht erfolgen kann, zuverlässig eigenständig an die Kammer herantritt und eine Hinzuziehung anregt.
144
Die Erholung eines zusätzlichen psychiatrischen Gutachtens war vor diesem Hintergrund nicht geboten.
145
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Nebenklägerin aussagetüchtig ist.
146
(5) Das Gutachten der Sachverständigen A. leidet aus Sicht der Kammer auch im Übrigen nicht an methodischen Mängeln. Die von der Verteidigung angeführten Angriffe auf die methodische Arbeitsweise der Sachverständigen A. greifen nicht durch.
147
Insbesondere hat die Sachverständige A., wie oben dargestellt, die Wahrnehmungs- und Gedächtnisfunktionen bei der Nebenklägerin F. K. auch in Bezug auf den angeblichen Tatzeitraum geprüft.
148
Der Umstand, dass die Sachverständige A. im Vorfeld der Erstellung des schriftlichen Gutachtens mit der Mutter der Nebenklägerin, M. K., informatorische Gespräche geführt hat, stellt ebenfalls keinen Mangel des Sachverständigengutachtens dar. Die informatorischen Gespräche mit M. K. dienten ausschließlich zur Feststellung der biographischen Verhältnisse der F. K., zur Vorbereitung der Motivationsanalyse und zur Feststellung der Aussagegenese. Wie die Sachverständige A. ausführte, stellt nach der Fachliteratur zur forensischpsychologischen Diagnostik im Strafverfahren die Fremdanamnese zur biographischen Rekonstruktion bei der Begutachtung von Kindern eine zwingend notwendige spezifische psychologische Methodik dar.
149
Die Vorschrift des § 80 Abs. 1 StPO untersagt dem Sachverständigen lediglich die Vernehmung von Zeugen, also solche Befragungen, mit denen der Fragende ermittelnde Ziele verfolgt. Dagegen untersagt die Vorschrift nicht informatorische Befragungen, Anhörungen oder Explorationsgespräche durch psychologische Sachverständige, die gerade keine ermittelnde Zielrichtung haben (BGH, Urteil vom 07.06.1956, Az. 3 StR 136/56; Monka in: BeckOK StPO, 38. Edition 2020, § 80 Rn. 2). Die Sachverständige verfolgte aber bei der informatorischen Befragung der M. K. keine ermittelnden Ziele. So war M. K. bereits aktenkundig am 15.11.2018 polizeilich vernommen worden. Die Ermittlungsakte stand der Sachverständigen zur Verfügung und die polizeiliche Zeugenvernehmung der M. K. wurde von der Sachverständigen als Anknüpfungstatsache aufgeführt. Die weiteren Gespräche, die die Sachverständige im Rahmen der Explorationstermine mit M. K. führte, betrafen dagegen biographische Aspekte, Fragen zur Beziehung mit dem Angeklagten, zur Sexualanamnese und zur Aussagegenese.
150
Daraus ist zu folgern, dass die Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens ohne diese biographischen Informationen aus Sicht der Kammer mangelhaft gewesen wäre. Als solche nach den fachlichen Standards der Aussagepsychologie durchzuführende Methodik liegt in der Vorgehensweise der Sachverständigen A. auch kein Verstoß gegen § 80 Abs. 1 StPO.
151
Aus Sicht der Kammer ist es auch unbedenklich, dass die Sachverständige gerade mit der Mutter M. K. informatorische Gespräche zur Verifizierung der biographischen Verhältnisse, zur Vorbereitung der Motivationsanalyse, der Vergleichsstandards und zur Feststellung der Aussagegenese geführt hat. So waren sämtliche Angaben der Zeugin glaubhaft und es ergaben sich für die Kammer gerade keine Anhaltspunkte für eine suggestive Beeinflussung der Nebenklägerin durch die Zeugin.
152
Es stellt auch keinen Mangel im Gutachten der Sachverständigen A. dar, dass sie die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin F. K. feststellte, ohne dass ihr als Anknüpfungstatsachen weitere Auskünfte von Lehrern, Erziehern oder anderen Bezugspersonen der Nebenklägerin zur Verfügung standen.
153
Der Sachverständigen waren alle zur Feststellung der Aussagetüchtigkeit erforderlichen Anknüpfungstatsachen bekannt. In der Hauptverhandlung sagten die Zeugen, darunter auch die Eltern und der Großvater der Nebenklägerin und die gleichaltrigen Bezugspersonen C. L. und J. G. umfassend aus. Während dieser Zeugenvernehmungen war die Sachverständige A. durchgehend anwesend und berücksichtigte diese auch in ihrem mündlichen Gutachten, das sie in der Hauptverhandlung erstattete. Auch berücksichtigte die Sachverständige bei der Prüfung der Aussagetüchtigkeit die vorgelegten Schulzeugnisse der Nebenklägerin und konnte hier keine Auffälligkeiten zum kognitiven Vermögen der Nebenklägerin feststellen. Aussagen von weiteren Bezugspersonen waren darüberhinausgehend aus Sicht der Kammer nicht mehr erforderlich, um die Aussagetüchtigkeit zu beurteilen.
154
Das Gutachten der Sachverständigen war damit insgesamt ausreichend, um dem Gericht die notwendige Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin F. K. zu vermitteln.
156
Aus der Situation der Entstehung und weiteren Entwicklung der Aussage der Nebenklägerin F. K. heraus ergaben sich für die Kammer keine Anzeichen für eine Falschbelastung des Angeklagten oder für eine relevante Beeinflussung durch Dritte.
157
(1) Zustandekommen der Aussage (a) Die Nebenklägerin F. K. gab in der Hauptverhandlung an, im Sommer 2017 sei ihr alles zu viel gewesen, sie habe damals nicht mit der Polizei über die Vorfälle sprechen und auch keine gynäkologische Untersuchung machen wollen. Im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung vom 15.11.2018, die über die kriminalpolizeiliche Sachbearbeiterin KHKin H. eingeführt wurde, schilderte die Nebenklägerin, sie habe sich im Nachhinein doch für die Anzeigenerstattung entschieden, weil man das, was ihr passiert sei, einfach nicht mache und sie sich nun entschlossen habe, dies auch bei der Polizei so anzugeben.
158
(b) Der Zeuge J. K. berichtete der Kammer, er habe am 23.07.2017 nach dem Gespräch mit dem Angeklagten nicht gewusst, was er nun machen solle, ihm sei letztlich nur eingefallen, die Polizei anzurufen, um sich beraten zu lassen. Dort habe er die Empfehlung erhalten, mit F. ins Krankenhaus zu fahren, dies hätten sie dann auch gemacht. Als sie anschließend wieder nach Hause gekommen seien, habe dort die Polizei gewartet und gefragt, ob er angerufen habe. Er habe zu diesem Zeitpunkt bzw. auch zum Zeitpunkt seiner Vernehmung am 25.07.2017, jedoch keine Aussage machen wollen, da er dies erst mit seiner Tochter M. besprechen wollte, diese sei zu diesen Zeitpunkten jedoch völlig durch den Wind gewesen. F. und M. hätten letztlich entschieden, dass keine Angaben gegenüber der Polizei gemacht werden sollen, insbesondere weil man hierbei auch an A. denken müsse. Er habe dies dann so respektiert, obwohl er persönlich für eine Anzeigenerstattung gewesen wäre.
159
Im Hinblick auf die Frage, wann, und wie konkret er mit F. über die Vorfälle mit dem Angeklagten gesprochen habe, führte der Zeuge K. aus, diese habe beim Gespräch in seinem Haus am Nachmittag des 23.07.2017 berichtet, dass der Angeklagte sie in ihrem Zimmer im Dachgeschoss unter der Bettdecke angefasst habe, es sei auch von einem Finger, jedoch nicht von einer Vergewaltigung mit dem Penis die Rede gewesen. Umfangreiche kritische Nachfragen seinerseits zum Sachverhalt, auch im Nachgang zum 23.07.2017 schildert der Zeuge nicht. Er gab an, er habe das Thema nie angesprochen, wenn ihn F. besucht habe, und er versuche das Thema bei ihr zu vermeiden.
160
(c) Die Zeugin M. K. berichtete, ihr Vater habe bei dem Anruf bei der Polizei vergessen, die Nummer zu unterdrücken. Sie hätte am 23.07.2017 niemals mit der Polizei reden können, sie habe zu diesem Zeitpunkt nur geheult, binnen drei Stunden sei ihr komplettes Leben auf den Kopf gestellt worden. F. habe damals keine Anzeige gewollt, erst etwa im Mai oder Juni 2018 habe sie begonnen darüber zu sprechen, dass sie den Angeklagten nun doch anzeigen wolle. Sie selbst habe das Thema zu diesem Zeitpunkt erst einmal von sich weggeschoben, da damals eine gewisse Ruhe eingekehrt sei und ihr Sohn A. sich normal entwickelt habe. F. habe jedoch immer wieder davon angefangen, dass sie nun doch eine Anzeige machen wolle. Nach einer Mutter-Kind-Kur im August 2018 hätten sie sich schließlich an Frau T. vom Opferhilfeverein W. gewandt, diese habe dann nach mehreren Gesprächen den Termin zur polizeilichen Aussage ausgemacht.
161
Im Hinblick auf Gespräche mit F. über den inkriminierten Sachverhalt schilderte die Zeugin K., F. habe im Laufe des Vormittags des 23.07.2017 alleine mit ihr sprechen wollen und betont, dass dies ganz alleine sein müsse. Als sie dann im Zimmer ihrer Tochter auf dem Bett gesessen seien, habe F. gesagt: „Mama, S. hat mich vergewaltigt“. F. habe ihr berichtet, dass es schon über ein Jahr gehe, der Angeklagte sie hierbei mehrmals berührt und den Finger eingeführt habe, beim letzten Mal auch sein Geschlechtsteil. Sie habe F. mehrmals darauf hingewiesen, dass dies schwere Anschuldigungen seien, F habe jedoch betont, dass dies so gewesen sei und sie ihr glauben müsse. Sie seien dann zu ihrem Vater, dem Zeugen J. K., gefahren. Sie selbst habe bei dem dortigen Gespräch nicht viel gesagt, nur, dass sie es nicht glauben könne. In der Notaufnahme des Krankenhauses sei es etwas blöd gelaufen. Zuerst seien sie alle im Untersuchungszimmer gewesen, dann sei ihr Vater ins Wartezimmer gegangen. F. habe dann gesagt, sie sei vergewaltigt worden, ihr sei es in diesem Moment nicht in den Kopf gegangen, dass der gut bestückte Angeklagte in ihr Kind „reinpasse“, sie habe F. daher gefragt, ob sie sich sicher sei, dass es nicht nur die Finger gewesen seien. Die Ärztin hätte dann erklärt, dass die Kinder bei der gynäkologischen Untersuchung sediert werden und man, wenn es nur die Finger gewesen seien, sowieso keine DNA-Spuren feststellen könne. F. habe die gynäkologische Untersuchung nicht gewollt. Im Nachgang habe sie mit F. vielleicht zwei oder drei kleine Gespräche über die Taten geführt, anfangs habe sie gar nichts davon hören wollen, damit sie die Bilder nicht im Kopf habe. Sie habe ihrer Tochter auch nie explizite Fragen nach den Vorfällen gestellt.
162
Im Rahmen der Gespräche mit der Prozessbegleiterin Frau T. sei nicht im Detail über die Vorfälle gesprochen worden, nur dass F. missbraucht wurde und dass der Angeklagte ein Stück mit dem Penis eingedrungen sei. Der Schwerpunkt habe auf der Beratung hinsichtlich des Ablaufs der Anzeige und des weiteren Verfahrens gelegen.
163
(d) Die Nebenklägerin F. K. berichtete in ihrer polizeilichen Aussage, sie habe mit ihrem damaligen Freund J. sowie ihrer damaligen besten Freundin C. über die Vorfälle mit dem Angeklagten gesprochen.
164
Die Zeugin C. L. berichtete der Kammer, die Nebenklägerin habe ihr als Grund für die Trennung ihrer Mutter vom Angeklagten genannt, dass dieser sie vergewaltigt und öfters mal angefasst habe. Genauer ins Detail sei F. hierbei jedoch nicht gegangen. Sie habe auch nicht näher nachgefragt, weil F. so sensibel gewesen sei. Der Zeuge J. G. berichtete der Kammer, ungefähr in der Mitte ihrer damaligen Beziehung habe F. angesprochen, dass etwas mit dem Angeklagten vorgefallen wäre, sie habe zuerst gedacht, es sei nur im Traum passiert und dann realisiert, dass es die Wirklichkeit gewesen sei. Sie hätten sich darüber unterhalten, er habe versucht F. zu beruhigen; was genau passiert sei, habe F. jedoch nicht erzählt.
165
(e) Die Nebenklägerin hat auch mit weiteren Zeugen nicht detailliert über die Vorfälle mit dem Angeklagten gesprochen.
166
Die Zeugin Dr. med. S., Kinderärztin in der N. Kinderklinik St. E., berichtete der Kammer, sie habe bei der Anamnese am 23.07.2017 versucht von F. zu erfragen, was genau passiert sei. Das Mädchen habe angegeben, dass eine Penetration mit dem Finger stattgefunden habe. Von einer Vergewaltigung oder versuchtem Geschlechtsverkehr sei nicht die Rede gewesen. Sie habe hierbei aber auch nicht nachgebohrt, weil sie hierfür nicht speziell ausgebildet sei. F. habe zurückhaltend gewirkt, man habe ihr die Informationen eher aus der Nase ziehen müssen. Sie habe damals F. und ihrer Mutter erklärt, dass wenn keine Vergewaltigung stattgefunden habe, man keine Spuren feststellen könne und man somit auf eine Untersuchung verzichten könne. Wenn, dann würde man diese unter einer Sedierung durchführen. Bei der Anamnese seien alte und neue Ritzspuren bei F. zu sehen gewesen.
167
Die Zeugin W., Mitarbeiterin der Fachberatungsstelle sexualisierte Gewalt beim Landratsamt N.-Sch., berichtete der Kammer, sie habe die Nebenklägerin am 25.07.2018 einmalig in der Beratungsstelle gesehen. Thema der Beratung sei die Frage einer Strafanzeige gegen den Angeklagten gewesen, F. und ihrer Mutter sei hierbei insbesondere der Ablauf und die Möglichkeit einer Video-Vernehmung erklärt worden. Über den sexuellen Missbrauch an sich sei nicht gesprochen worden.
168
Der Zeuge R., leiblicher Vater der Nebenklägerin, berichtete der Kammer, ihm sei erinnerlich im Jahr 2018 von M. K. berichtet worden, dass es zu sexuellen Übergriffen seitens des Angeklagten auf F. gekommen sei. Er habe mit F. danach nicht detailliert über den Missbrauch gesprochen. Sie wisse, dass sie ihm alles sagen könne, er glaube es sei für sie jedoch nicht so einfach darüber zu sprechen. Er versuche, das ganze irgendwie auszublenden, wenn F. bei ihm sei.
169
Auch im Rahmen der therapeutischen Anbindung der Nebenklägerin ist bislang nicht detailliert über die Missbrauchsthematik gesprochen worden.
170
Der Zeuge Dr. med. T. sowie die in seiner Praxis tätige Heilpädagogin F., geb. P., berichteten der Kammer übereinstimmend, es sei zwar im Jahr 2017 im Verlauf der Behandlung durch die Mutter berichtet worden, dass F. sexuell missbraucht worden sei, mit dem Mädchen selbst hätten sie über die einzelnen Vorfälle bei den folgenden Terminen jedoch nicht gesprochen.
171
Der Zeuge B., bei welchem die Nebenklägerin seit dem 17.07.2019 in psychiatrischer Behandlung ist, gab in seiner schriftlichen Stellungnahme an, F. habe im Rahmen der kinder- und jugendpsychiatrischen Diagnostik am 01.08.2019 geäußert: „ich wurde vergewaltigt und missbraucht“, detailliertere Erläuterungen hierzu seien jedoch bislang nicht erfolgt.
172
Die Zeugin B., Dipl. Psychologin, berichtete der Kammer, F. sei seit dem 08.10.2019 bei ihr in Behandlung. Über die einzelnen Vorfälle mit dem Angeklagten hätte sie mit F. noch nicht gesprochen, sie seien derzeit noch in der Stabilisierungsphase. F. habe lediglich von sich aus bislang berichtet, der Angeklagte habe sie bereits angefasst, als sie mit 7 Jahren öfters nachts zur Mama ins Bett gekommen sei, sie habe da jedoch nicht weiter nachgefragt.
173
(2) Ergebnis der Analyse der Aussageentstehung
174
Die Entstehung der Aussage der Nebenklägerin war aus Sicht der Kammer eher zögerlich. Die Nebenklägerin hat mit den vorstehenden Zeugen - wenn überhaupt - eigenständig und nur knapp über die Vorfälle gesprochen. Dass vorliegend zwischen dem Aufkommen der Vorfälle und der polizeilichen Aussage der Nebenklägerin mehr als ein Jahr vergangen ist, stellt für die Kammer keinen ungewöhnlichen Umstand dar. Sowohl der Zeuge J. K. als auch die Zeugin M. K. berichten übereinstimmend, dass sich die Familie damals in einer emotionalen Ausnahmesituation befunden habe. Erschwerend kam hinzu, dass es sich beim Angeklagten um den leiblichen Vater des kleinen Bruders der Nebenklägerin handelt und eine Anzeigenerstattung zwangsläufig auch mit Konsequenzen für diesen verbunden war. Die Nebenklägerin hat sich zur Überzeugung der Kammer im Nachgang zum 23.07.2017 intensiv mit den Vorfällen um den Angeklagten auseinandergesetzt und letztlich für sich selbst entschieden, dass er für seine Handlungen bestraft werden soll. Es gab in der Hauptverhandlung auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter, der Großvater oder andere Personen F. zur Anzeigenerstattung überredet hätten.
175
Nach den Ausführungen der Sachverständigen A., die sich die Kammer aufgrund eigener Überzeugung zu eigen macht, besteht vorliegend die Möglichkeit, dass F. aufgrund der anfangs zweifelnden Haltung ihrer Mutter sowie der im Raum stehenden gynäkologischen Untersuchung im Klinikum N. ein jedenfalls teilweises Eindringen mit dem Penis am 23.07.2017 bewusst verschwiegen haben könnte. Dies stelle eine gewisse Fragilität in der Fähigkeit der Nebenklägerin, ihre Angaben stetig unter dem Zuverlässigkeitsaspekt zu überdenken, dar. In den späteren Befragungssituationen bei der Polizei, dem Ermittlungsrichter sowie der Sachverständigen schilderte F. jedoch durchgehend ein nur stückweises Eindringen mit dem Penis, was nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen im Rahmen einer Falschaussage so kaum erwartbar wäre, da dann eine aggravierendere Haltung wahrscheinlich gewesen sei. Zudem sprechen die im Folgenden noch geschilderten weiteren aussagepsychologisch relevanten Details gegen fälschliche Angaben der Nebenklägerin in diesem Zusammenhang. Für die Kammer ist es auch durchaus nachvollziehbar, dass F., die sich zu diesem Zeitpunkt gerade noch nicht zur Anzeigenerstattung entschlossen hatte, den Aspekt des Eindringens mit dem Penis zum einen aus Schamgefühl, zum anderen, um einer gynäkologischen Untersuchung zu entgehen, nicht gegenüber der Zeugin Dr. S. bzw. ihrem Großvater erwähnte.
176
Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben der Nebenklägerin das Ergebnis suggestiver Einflüsse durch Dritte sein könnten, haben sich für die Kammer aufgrund der vorstehenden Angaben der Zeugen nicht ergeben.
177
Die Aussageentstehung spricht damit aus Sicht der Kammer für einen Erlebnisbezug der Angaben der F. K..
179
Im Rahmen der Überprüfung der Qualität der Angaben der Nebenklägerin F. K. stellt insbesondere die Konstanz in den Angaben des Mädchens, die den Kernbereich des Geschehens betreffen, ein wichtiges Indiz für die Glaubhaftigkeit der Angaben dar. Die Nebenklägerin machte über eine Vielzahl von Befragungen hinweg (polizeiliche Vernehmung durch die Kriminalpolizei Ingolstadt vom 15.11.2018, ermittlungsrichterliche Vernehmung vom 13.03.2019, Exploration durch die Sachverständige A. am 06.06.2019 sowie ergänzende Vernehmung im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Ingolstadt am 11.01.2021) zum inkriminierten Kernbereich des Geschehens konstante Angaben.
180
Die Bedeutung des Konstanzmerkmals geht darauf zurück, dass eigene Erlebnisse besser behalten werden als Aussageinhalte, die sich ein Zeuge ausgedacht, auf Bildern, in Filmen oder sonst gesehen oder von anderen gehört hat. Neben einer besseren und multimodalen Speicherung, insbesondere emotional bedeutsamer Erfahrungen, unterliegen reale Erlebnisse auch spezifisch gedächtnispsychologischen Gesetzesmäßigkeiten, welche einem falsch aussagenden Zeugen kaum bekannt sein dürften bzw. welche er nur schwerlich über die Zeit hinweg im Rahmen einer intentionalen Falschaussage beachten und stimmig einbringen kann. Dabei ist jedoch weiter zu beachten, dass nicht jede Inkonstanz einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt darstellt. Vielmehr können vor allem Gedächtnisunsicherheiten eine hinreichende Erklärung für festgestellte Abweichungen darstellen (BGH, Urteil vom 30.07.1999, Az. 1 StR 618/98). So werden gedächtnispsychologische Erfahrungen zufolge bei längeren Befragungsabständen und insbesondere bei mehrjährigen Erinnerungsintervallen Abweichungen verschiedener Art (Auslassungen, Ergänzungen, Verdrehungen) wahrscheinlicher. Solche Phänomene sind vor allem bei Zeugen zu beobachten, die eine Vielzahl von ähnlichen Ereignissen mit dem gleichen Handlungspartner berichten.
181
(1) Angaben in der polizeilichen Zeugenvernehmung
182
Die Angaben von F. K. bei der polizeilichen Zeugenvernehmung vom 15.11.2018 wurden über die Vernehmungsbeamtin KHKin H. in die Hauptverhandlung eingeführt.
183
F. schilderte hier, der Angeklagte sei, nachdem er auf Partys gewesen sei und Alkohol getrunken habe, damals in ihr Kinderzimmer gekommen und habe sie begrapscht. Sie habe nicht gewusst, ob es ein Traum sei oder wirklich passiere. Der Angeklagte sei die Treppe hoch gekommen, habe nackt vor ihrem Bett gestanden, sich dann zu ihr ins Bett gelegt, wobei er auf der Seite und sie auf dem Rücken gelegen sei und habe sie angefasst. Er habe ihr an die Brust gegriffen und sie im Intimbereich berührt und sei dann gleich mit dem Finger eingedrungen bzw. habe sie davor kurz am Kitzler berührt. Er habe Rein-Raus-Bewegungen mit seinem Finger gemacht. Dies sei jedes Mal gleich abgelaufen. Sie habe so getan, als wenn sie schlafen würde. Sie sei damals so 11 oder 12 Jahre alt gewesen und habe noch die M.W.-Realschule besucht. Es sei so ab Mitte des Schuljahres gewesen. Zur siebten Klasse sei sie auf die Wirtschaftsschule nach N. gewechselt. Die Vorfälle seien immer Samstag oder Sonntag in der Nacht passiert, der Angeklagte sei hierbei nicht immer alkoholisiert gewesen. Das letzte Mal sei an einem Samstag passiert. Sie habe wieder so getan, als ob sie schlafen würde. Sie sei auf der rechten Seite gelegen und habe ihren Körper steif gemacht und die Arme vor dem Intimbereich gehabt. Der Angeklagte habe sie auf den Rücken gedreht und ihr die Beine auseinandergedrückt. Er sei vor bzw. zwischen ihren Beinen gekniet. Seine Hände seien an ihren Oberschenkeln gewesen. Sie habe damals ihre Tage gehabt; der Angeklagte habe das „OB“ herausgezogen und sei mit dem Penis eingedrungen. Sie meine, dass er aber nicht ganz drin gewesen sei, nur teilweise oder zur Hälfte, weil es nicht richtig gegangen sei. Sie habe Schmerzen gehabt. Zuvor habe er nicht an die Brust oder in den Intimbereich gefasst, sondern sie gleich vergewaltigt. Der Vorfall habe ca. 10 Minuten gedauert. Der Angeklagte habe versucht „raus und rein“ zu gehen. Das habe sie so gespürt. Ein Kondom habe er nicht verwendet. Sie habe ihrer Mutter am darauffolgenden 23.07.2017 davon erzählt. Es habe auch Vorfälle im Sommerurlaub 2016 in Italien gegeben. Der Angeklagte habe sie auf der Hinfahrt im Auto, als ihre Mutter schlief und sie neben ihm auf dem Beifahrersitz gesessen sei, unten angefasst und an ihrem Kitzler gespielt. Sie habe hierbei Jogginghose und Pulli getragen, der Angeklagte habe von oben in den Bund der Hose gegriffen. Im Urlaub selbst habe es eine Situation im Wohnwagen gegeben, wo sie oben im Stockbett geschlafen habe, sie wisse aber nicht mehr, was der Angeklagte da genau gemacht habe.
184
Die Vorfälle seien eigentlich immer jedes Wochenende gewesen. Nicht immer, aber oft sei der Angeklagte mit dem Finger eingedrungen. Es habe ca. vier oder fünf Vorfälle vor der Italien-Fahrt gegeben, danach habe er es auch noch einige Male gemacht, sie schätze sechs oder sieben Mal.
185
(2) Angaben in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung Die Angaben von F. K. im Rahmen der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 13.03.2019 wurden durch Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung über diese Vernehmung gemäß § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt.
186
Im Rahmen der Vernehmung durch den Ermittlungsrichter am Amtsgericht Ingolstadt gab F. K. ebenfalls an, der Angeklagte sei nachts zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sie oben und unten angefasst, die Vorfälle seien am Wochenende gewesen, das letzte Mal am 22.07.2017, als sie noch auf der M. W. Schule gewesen sei. Die Stufen der Treppe zu ihrem Zimmer im Dachboden hätten immer Geräusche gemacht, wenn der Angeklagte nach oben gekommen sei. Die Vorfälle seien an den Wochenenden gewesen, an denen sie nicht bei ihrem leiblichen Vater, sondern zu Hause gewesen sei. Der erste Vorfall sei erinnerlich im Herbst 2016, der letzte im Juli 2017 gewesen. Es habe ungefähr Ende der 5. Klasse angefangen. Der Angeklagte sei in ihre Unterhose gegangen und habe so „rumgefummelt“, er sei ziemlich oft mit dem Finger eingedrungen, sie könne jedoch nicht sagen wie weit. Sie habe zu viel Angst gehabt, etwas zu sagen, weil er manchmal so bösartig gegenüber ihrer Mutter gewesen sei. Zu dieser habe er immer gesagt, er wolle schauen, ob sie sich ritze.
187
Sie wisse nicht mehr, ob die Vorfälle im Urlaub in den Sommerferien oder den Pfingstferien gewesen seien, sie seien hier mit Freunden auf einem Campingplatz am Gardasee in Italien gewesen. Als sie ins Bett gegangen seien, habe der Angeklagte gewartet, bis ihre Mutter schlief. Er sei neben dem Stockbett gestanden, wo sie oben geschlafen habe und habe bei ihr unten rumgefummelt, sie könne sich aber nicht mehr genau erinnern. Die Vorfälle im Stockbett seien zwei bis drei Mal gewesen. Auf der Autofahrt sei er ihr in die Hose gegangen, aber nicht eingedrungen. Der Ablauf der Taten sei auch nach dem Urlaub immer gleich gewesen, sie sei sich nicht sicher, ob er jedes Mal eingedrungen sei. Ein ganzer Vorfall habe so 30 - 45 Minuten gedauert. Es habe vielleicht noch zehn gleiche Vorfälle nach dem Urlaub gegeben. Ihre Oma sei nach dem Urlaub gestorben, der Angeklagte habe aber keine Rücksicht darauf genommen und es vielleicht einmal nicht gemacht. Bei der Vergewaltigung sei der Angeklagte auf dem Bett gekniet, sie habe auf dem Rücken gelegen und sich steif gemacht. Es könne sein, dass sie zuvor seitlich zur Wand gelegen habe und gedreht wurde. Sie habe ihre Beine nicht zusammenhalten können, weil der Angeklagte zu stark gewesen sei; er habe die Beine mit den Händen auseinandergemacht. Sie glaube der Angeklagte habe etwas getrunken gehabt, sie habe ein bisschen etwas gerochen. Als sie das „OB“ nach dem Aufwachen auf dem Boden liegen sah, habe sie realisiert, dass es wirklich passiert sei.
188
Der Angeklagte habe bei den Vorfällen manchmal nach Alkohol gerochen und dann auch lange gebraucht, um die Treppe zu ihrem Zimmer hochzukommen. Sie habe Angst gehabt, dass ihr der Angeklagte irgendwie drohe, daher habe sie erst so spät etwas gesagt. Der Angeklagte habe sie am Morgen nach den Vorfällen beim Frühstück gefragt, wie sie geschlafen habe, sonst habe er das nie gemacht.
189
(3) Angaben in den Explorationsgesprächen gegenüber der Sachverständigen A. Die Angaben der Nebenklägerin im Rahmen der Exploration durch die Sachverständige A. wurden im Rahmen des von dieser in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten Sachverständigengutachtens eingeführt.
190
Im Rahmen der Exploration schilderte F. die Vorfälle mit dem Angeklagten im Kerngeschehen gleich. Sie gab an, dass der Angeklagte, als er in der Nacht am Wochenende zu ihr ins Zimmer nach oben gekommen sei, sie anfangs nur an den Brüsten und im Genitalbereich angefasst bzw. dort herumgespielt habe. Sie habe am Knacksen der Treppe gemerkt, dass der Angeklagte die Treppe heraufgekommen sei. Mit der Zeit sei es schlimmer geworden und er sei mit dem Finger eingedrungen. Sie habe so getan, als ob sie schlafe, wenn er nackt vor ihrem Bett gestanden sei. Sie glaube, er habe manchmal gefragt, ob sie noch wach sei, wenn sie darauf nicht geantwortet habe, habe er sich dann zu ihr ins Bett gehockt und begonnen sie anzufassen. Sie habe manchmal das Gefühl gehabt, dass er betrunken gewesen sei.
191
Des Weiteren berichtete die Nebenklägerin, sie habe in der Grundschule öfters zwischen ihrer Mutter und dem Angeklagten im Bett geschlafen, sie habe damals auch schon das Gefühl gehabt, dass er an ihrer Unterhose rumfummele, sie wisse jedoch nicht ob sie das geträumt habe. Im Italienurlaub 2016 habe er sie während der Autofahrt im Genitalbereich angefasst, während ihre Mutter und ihr Bruder schlafend hinten im Auto gesessen seien. Man habe auf der Fahrt Tickets kaufen müssen, um (auf der Autobahn) durchfahren zu können. Da sei es passiert. Der Vorfall habe vielleicht 10 Minuten gedauert. Im Wohnwagen habe er sie im Stockbett auch manchmal angefasst, oben rum und im Genitalbereich. Ihre Oma sei nach dem Urlaub gestorben. Der Angeklagte habe sie dann vielleicht so drei bis vier Wochen in Ruhe gelassen, dann sei es krasser geworden, er habe auch angefangen einzudringen, hierbei jedoch nur einmal mit dem Genital. Als der Angeklagte bei der Vergewaltigung in sie eingedrungen sei, habe das voll bzw. höllisch weh getan. Der Angeklagte habe sie auf den Rücken gelegt, ihre Füße angewinkelt, sei von vorne gekommen, wobei er auf den Knien gewesen sei, und habe versucht einzudringen. Sie habe versucht sich wegzudrehen und steif zu machen, er habe sie aber immer wieder „so genommen“. Er habe ihre kurze Schlafanzughose ausgezogen, nachdem er ihre geschlossenen Beine angewinkelt habe. Sie glaube, er habe ihre Unterhose kurz bevor er eingedrungen sei runter getan und ihr den Tampon herausgezogen. Sie glaube er sei ein Stück eingedrungen, weil es schon echt weh getan habe. Er habe die ganze Zeit versucht fester einzudringen, sie wisse nicht mehr, ob er sich bewegt habe.
192
(4) Angaben in der Hauptverhandlung
193
Die Kammer hat im Rahmen der Hauptverhandlung nach Inaugenscheinnahme der Aufzeichnung der ermittlungsrichterlichen Vernehmung lediglich eine ergänzende Vernehmung der Nebenklägerin durchgeführt. Eine weitere ausführliche Vernehmung der Zeugin war aufgrund der Tatsache, dass der Angeklagte und seine Verteidigerin bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung anwesend waren und ihre Mitwirkungsrechte, insbesondere das Fragerecht, ausüben konnten, nicht geboten.
194
Im Rahmen der ergänzenden Befragung durch die Kammer am 11.01.2021 gab die Nebenklägerin auf Frage nach den Lichtverhältnissen in ihrem Zimmer an, schräg über dem Bett sei ein Dachfenster gewesen, es gäbe noch ein kleines Fenster, sie habe die Rollos immer offen gehabt. Die Nachttischlampe sei nie an gewesen. Auf Frage, wieso sie den Vorfall im Grundschulalter erst im Rahmen der Exploration durch die Sachverständige angesprochen habe, gab die Nebenklägerin an, dies sei ihr erst im Nachhinein eingefallen, sie habe immer mehr über die Sache nachgedacht. Wenn sie sich nicht schlafend gestellt, sondern das Licht angemacht habe, wenn der Angeklagte hereingekommen sei, sei dieser wieder gegangen. Sie habe aber Angst gehabt, immer das Licht anzumachen, wenn er nach oben gekommen sei. Beim letzten Vorfall habe sie das Gefühl gehabt, der Angeklagte sei in ihr drinnen gewesen. Sie habe versucht, die Beine so gut wie möglich zusammenzupressen, aber er sei stärker gewesen. Manchmal habe sie eine Fahne beim Angeklagten gerochen, aber nicht jedes Mal.
195
(5) Angaben gegenüber Dritten
196
Im Hinblick auf die Angaben der Nebenklägerin gegenüber Dritten wird auf die Ausführungen unter D. II. 2. b) bb) verwiesen.
198
Ein Vergleich der Angaben der Nebenklägerin F. K. in ihren Vernehmungen zeigt, dass sie über den inkriminierten Geschehensablauf über mehrere Befragungen hinweg konstant berichtete, insbesondere schilderte sie das sexuelle Kerngeschehen über alle Befragungen hinweg konstant. Zu diesem Ergebnis gelangt auch die Sachverständige A., deren nachvollziehbaren Ausführungen sich das Gericht aufgrund eigener Überzeugung anschließt.
199
F. berichtete über sämtliche Vernehmungen hinweg konstant, dass der Angeklagte ca. während ihres 11./12. Lebensjahrs am Wochenende in der Nacht (nackt) in ihr Zimmer im Dachboden gekommen sei und sie an der Brust und im Intimbereich berührt habe. Es sei oft, aber nicht immer zu einem fraglichen Eindringen mit dem Finger gekommen. Sie habe sich während der Taten schlafend gestellt. Der letzte Vorfall habe in der Nacht vor dem Gespräch mit ihrer Mutter am 23.07.2017 stattgefunden. Hier habe der Angeklagte versucht mit seinem Penis in sie einzudringen, wobei er zumindest ein Stück eingedrungen sei und sie Schmerzen verspürt habe. Vorher habe er ihr den Tampon herausgezogen. Der Angeklagte habe bei den Taten, auch bei der letzten, manchmal nach Alkohol gerochen. Konstant berichtete F. auch davon, dass sich auf der Fahrt in den Sommerurlaub nach Italien an den Gardasee ein Vorfall ereignet habe, wo sie der Angeklagte, während sie neben ihm im Auto auf dem Beifahrersitz saß, im Intimbereich berührt habe, hierbei jedoch nicht eingedrungen sei. Zudem sei es zu Berührungen im Intimbereich gekommen, während sie im Urlaub nachts oben im Stockbett des Wohnwagens gelegen habe.
200
Innere Widersprüche oder logische Brüche finden sich nicht in den Angaben der Nebenklägerin, die Angaben sind vielmehr in sich logisch, schlüssig und nachvollziehbar. Insbesondere im Rahmen des Eindringens mit dem Penis schildert die Nebenklägerin aus Sicht der Kammer nichts, was anatomisch nicht möglich wäre. So kann das geschilderte „Knien“ des Angeklagten während der Vergewaltigung nämlich nicht nur so verstanden werden, dass er hierbei die ganze Zeit mit dem Gesäß auf seinen Fersen „gesessen“ wäre bzw. sich sein Penis immer hinter seinen Knien befunden hätte, vielmehr würde er sich auch noch auf seinen Knien befinden, wenn er sich aus dieser ersten Position tiefer nach vorne, näher in Richtung der Vagina der Nebenklägerin, bewegt hat und dann, wie von der Nebenklägerin geschildert, versucht hat, in diese einzudringen (klassische Missionarsstellung). Im Hinblick auf die in der ergänzenden Vernehmung durch die Kammer von F. geschilderten Lichtverhältnisse in ihrem Kinderzimmer stellt es für die Kammer auch keinen logischen Widerspruch dar, dass F. - obwohl es nachts war - damals erkennen konnte, dass der Angeklagte nackt war.
201
Das Geschehen wurde von F. auch in einen räumlich-zeitlichen Kontext eingebettet, indem sie schilderte, die Vorfälle hätten sich - bis auf den Urlaub am Gardasee - stets in der Nacht an den Wochenenden, an denen sie nicht bei ihrem leiblichen Vater gewesen sei, in ihrem Kinderzimmer im Dachgeschoss ereignet, zu dem eine leiterartige Treppe geführt habe. Sämtliche Vorfälle hätten während der Zeit stattgefunden, in der sie die M.-W.Realschule besucht habe.
202
Im Hinblick auf die zeitliche Einordnung des Gardasee-Urlaubs geht die Kammer davon aus, dass dieser, entgegen der insoweit konstanten Angaben F.s, nicht in den Sommerferien, sondern in den Pfingstferien 2016 stattgefunden hat. Die Kammer folgt diesbezüglich den insoweit übereinstimmenden Angaben des Angeklagten und der M. K.. Beide schilderten in der Hauptverhandlung, der Urlaub habe in den Pfingstferien stattgefunden, wobei sie ihre Erinnerung auf den 85ten Geburtstag der Großmutter im Mai stützen, nach welchem sie dann an den Gardasee gefahren seien.
203
Dass F. die Sommerferien benennt, stellt aus Sicht der Kammer eine Unrichtigkeit dar, die jedoch gedächtnispsychologisch erklärbar ist. Die Sommer- und die Pfingstferien liegen zeitlich nur wenige Monate auseinander, in Italien herrschen auch bereits um Pfingsten herum sommerliche Temperaturen. Der Urlaub dauerte nach den übereinstimmenden Angaben von M. K. und dem Angeklagten nur eine Woche. Dass die zum Zeitpunkt des Urlaubs gerade 11-jährige F. die Gardasee-Fahrt zeitlich in den Sommerferien 2016 verortet, ist vor diesem Hintergrund aus Sicht der Kammer unproblematisch. Weiter sieht es die Kammer als unproblematisch an, dass F. zu Beginn der ermittlungsrichterlichen Vernehmung davon gesprochen hat, die ersten Vorfälle hätten sich im Herbst 2016 ereignet. Sie hat sich hier bereits in der Vernehmung unmittelbar selbst korrigiert, indem sie von sich aus anführte, das Ganze müsse sogar früher begonnen haben, da es der Angeklagte ja auch im (Sommer-) Urlaub gemacht habe.
204
(7) Inkonstanzen in den Angaben der Nebenklägerin
205
Die Kammer verkennt nicht, dass die Angaben der Nebenklägerin nicht in jeder Vernehmung völlig identisch sind. Auch im Hinblick auf die Anzahl der Vorfälle lassen sich gewisse Unsicherheiten in der Aussage der Geschädigten finden.
206
So gibt die Nebenklägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung an, der Angeklagte sei beim ersten Mal bereits mit dem Finger eingedrungen, in der Sachverständigenexploration berichtete sie dagegen, der Angeklagte habe anfangs nur im Genitalbereich herumgespielt, mit der Zeit sei es schlimmer geworden und er sei auch mit dem Finger eingedrungen. Aus Sicht der Kammer ist diese Widersprüchlichkeit jedoch nicht kritisch zu sehen. Die Sachverständige A. erläuterte in diesem Zusammenhang, aus sachverständiger Sicht würde es die Verarbeitungskapazität eines Zeugen übersteigen, exakte fragliche Handlungsabläufe konstant darzulegen, wenn mehrere, sich ähnelnde fragliche Situationen zur Diskussion stünden.
207
In der polizeilichen Vernehmung sowie beim Ermittlungsrichter schilderte die Nebenklägerin, der Angeklagte habe sich zu ihr ins Bett gelegt, bei der Sachverständigen gab sie an, der Angeklagte habe sich zu ihr ins Bett „gehockt“ und begonnen sie anzufassen. Die Sachverständige führte in diesem Zusammenhang nachvollziehbar aus, zwar müssten globale Körperpositionen konstant benannt werden, die Nebenklägerin habe jedoch auf Vorhalt im Rahmen der Exploration ausgeführt, der Angeklagte sei meist gesessen, ein- oder zweimal jedoch auch gelegen. Die nachträgliche Erklärung der Nebenklägerin relativiere den Widerspruch, da bei mehreren ähnlich Tatsituationen denkbar wäre, dass die Nebenklägerin in unterschiedlichen Befragungssituationen unterschiedliche fragliche Situationen aufgegriffen habe, was aus gedächtnispsychologischer Sicht nicht ungewöhnlich erscheine. Vor demselben Hintergrund könne es auch leicht zur Zuordnungsproblematik einer Nebenhandlung zu einer Haupthandlung kommen. Wenn die Nebenklägerin daher bei der Polizei angegeben habe, der Angeklagte habe sie nicht an der Brust angefasst, sondern gleich vergewaltigt, im Rahmen der Exploration jedoch davon berichtet habe, er habe auch ein bisschen an den Brüsten herumgespielt, sei dies, wenn Berührungen an der Brust mehrfach vorgekommen seien, gedächtnispsychologisch erwartbar und somit unkritisch.
208
Die Sachverständige erläuterte in diesem Zusammenhang auch das sogenannte „Inkadenzphänomen“, welches durch Befunde der Grundlagenforschung bestätigt werde. Dieses führe dazu, dass Gedächtnisinhalte nicht immer vollständig zu jeder beliebigen Zeit abrufbar seien, sodass es daher zu Inkonstanzen bei einer Zeugenaussage kommen könne, die jedoch keine inhaltlichen Widersprüche darstellen würden, aufgrund derer an der Glaubhaftigkeit der Aussage insgesamt gezweifelt werden müsse. Es sei durchaus denkbar, dass bei einer Vielzahl von inkriminierten Handlungen im Rahmen unterschiedlicher Befragungssituationen jeweils unterschiedliche Einzelfälle geschildert würden, die aber jeweils per se als glaubhaft eingestuft werden könnten. Somit lasse sich auch erklären, weshalb die Zeugin ab der ermittlungsrichterlichen Vernehmung genauer darlegen konnte, was genau im Italienurlaub passiert sei. Für die Kammer ist es vor diesem Hintergrund nur allzu gut nachvollziehbar, dass Details bei gleichförmigen Geschehensabläufen nicht mehr für alle Einzelfälle von der Zeugin präzise wiedergegeben werden können und es zu Verschmelzungen, Verdrehungen und Auslassungen in den Angaben der Zeugin, auch jeweils abhängig von der einzelnen Vernehmungssituation und der Fragetechnik des Vernehmenden, kommen kann.
209
Die Nebenklägerin macht zudem leicht unterschiedliche Angaben zu dem Zeitraum, in welchem nach dem Tod ihrer Großmutter keine sexuellen Handlungen stattgefunden haben sollen. Auch finden sich kleine Unterschiede in den Schilderungen der Zeugin bezüglich der Häufigkeit der Vorfälle vor bzw. nach dem Italienurlaub. Weiterhin machte die Zeugin sowohl in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung als auch in der Sachverständigenexploration aussageimmanent unterschiedliche Angaben dazu, wie oft der Angeklagte mit seinem Penis eingedrungen sei bzw. dies versucht habe.
210
Die Sachverständige erläuterte diesbezüglich, dass Häufigkeitsangaben ganz grundsätzlich gedächtnispsychologischen Schwankungen unterliegen würden und es bei vergleichbaren fraglichen Handlungen im Gedächtnis zu Verschmelzungsprozessen kommen könne, welche dann in einer Schrumpfung der Häufigkeitsangaben resultieren würden. Im Hinblick auf die Anzahl der Vorfälle, in denen mit dem Penis eingedrungen wurde, korrigierte F. ihre Angaben zudem auf nochmalige Nachfrage bereits in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung bzw. der Exploration und legte sich auf ein einmaliges Ereignis fest.
211
Dass die Nebenklägerin gewisse Unsicherheiten bei der Beschreibung, wie tief der Penis des Angeklagten genau eingedrungen sei, zeigte, ist für die Kammer bereits aufgrund ihres Alters und dem Umstand, dass sie diesbezüglich noch keine weiteren sexuellen Erfahrungen gesammelt hat, mehr als verständlich.
212
Im Hinblick auf die erstmals in der Exploration durch die Sachverständige von der Nebenklägerin angesprochenen Umstand, sie habe schon im Grundschulalter, als sie zwischen ihrer Mutter und dem Angeklagten im Bett geschlafen habe, das Gefühl gehabt, dass dieser an ihrer Unterhose „rumfummele“, gab die Nebenklägerin bereits gegenüber der Sachverständigen an, sie sei sich nicht sicher, ob sie dies eventuell nicht auch nur geträumt habe. Ein Erlebnisbezug dieser Angaben ist aus Sicht der Kammer, die sich auch diesbezüglich der Sachverständigen A. anschließt, bereits aufgrund der relativierenden Angaben der Nebenklägerin hier nicht mit der nötigen Sicherheit gegeben.
213
Darüber hinaus geht die Kammer jedoch davon aus, dass sämtliche in den Aussagen von F. aufgetretenen Inkonstanzen und Unsicherheiten keinen Hinweis auf einen fehlenden Erlebnisbezug ihrer Aussage betreffend die verfahrensgegenständlichen Taten darstellen. Für die Kammer wäre es vielmehr außergewöhnlich, wenn sich die Schilderungen im Laufe der verschiedenen Befragungssituationen in jedem Punkt exakt gedeckt hätten, denn dies würde eher auf ein Einüben der Aussage und damit auf einen möglicherweise fehlenden Erlebnisbezug hindeuten. dd) Aussageverhalten der Nebenklägerin Das Verhalten der Nebenklägerin bei ihren Aussagen stellt ein weiteres Indiz dar, welches gegen die Unwahrheitshypothese und für den Erlebnisbezug der Angaben spricht.
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Die Zeugin hat im Rahmen sämtlicher Vernehmungen eine unstrukturierte Erzählweise an den Tag gelegt. Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen A., die sich die Kammer insoweit zu Eigen macht, hat die Zeugin zwar entlang einer äußeren Handlungschronologie berichtet, ihre Angaben aber immer wieder durch Erklärungen, Einwürfe oder Beschreibungen durchbrochen, ohne dass sich hierbei logische Brüche ergeben haben. Über die jeweilige Gesamtaussage hinweg finden sich verstreut vorgebrachte Details, die sich jedoch nachvollziehbar einfügen. Ein intentional falsch aussagender Zeuge mag nach Einschätzung der Sachverständigen und der Kammer zwar in der Lage sein, eine detailreiche Schilderung zu erfinden oder in sich widerspruchsfrei Vorwürfe zu konstruieren, jedoch dürfte es ihm größte Schwierigkeiten bereiten, diese detailreiche Aussage dann auch in unstrukturierter Erzählweise vorzubringen und dabei aussageimmanente Widersprüche zu vermeiden.
215
Auf Nachfrage war F. auch in der Lage, ihre Angaben zu präzisieren bzw. zu ergänzen, was ein weiteres Qualitätsmerkmal der Aussage darstellt. Beispielsweise benannte sie auf Nachfrage der Sachverständigen A. in der Exploration das Fabrikat des Autos, mit dem sie an den Gardasee gefahren seien (ein weißer Ford Mondeo).
216
Aus Sicht der Sachverständigen A., der sich die Kammer anschließt, war die Nebenklägerin durchaus in der Lage, Inhalte, die die Nachvollziehbarkeit und Anschaulichkeit erhöhen, im Rahmen der Befragungen näher auszuführen. In der Exploration habe F. beispielsweise erweiterte Angaben zur Eigenpsychik, Beziehungsdynamik sowie zur kontextuellen Einbettung der fraglichen Handlungen machen können.
217
Insgesamt wirkte das Aussageverhalten der Nebenklägerin im Rahmen der in Augenschein genommenen ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 11.03.2019 sowie in der Hauptverhandlung auf die Kammer sehr authentisch.
219
Die Überzeugung der Kammer von der Richtigkeit der Angaben der Nebenklägerin F. K. ergibt sich im Weiteren auch aus der Qualität ihrer inhaltlichen Angaben.
220
Zwischen der Schilderung eines wahren und eines bewusst unwahren Geschehens besteht ein grundlegender Unterschied hinsichtlich der jeweils zu erbringenden geistigen Leistungen des Aussagenden. Während einerseits ein Bericht aus dem Gedächtnis abgerufen wird, konstruiert eine bewusst lügende Person ihre Aussage aus dem gespeicherten Allgemeinwissen. Es ist eine schwierige Aufgabe mit hohen Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit, eine Aussage über ein komplexes Geschehen zu erfinden und über längere Zeiträume aufrecht zu erhalten. Im Falle einer bewussten Lüge ist deshalb die Wahrscheinlichkeit der Schilderung von z.B. nebensächlichen Details, sogenannte abgebrochenen Handlungsketten, unerwarteten Komplikationen oder phänomengemäßen Schilderungen unverstandener Handlungselemente gering. Hinzu tritt das Bemühen der lügenden Person, auf das Gegenüber glaubwürdig zu erscheinen. Das Auftreten aussageimmanenter Qualitätsmerkmale wie z.B. logische Konsistenz, quantitativer Detailreichtum, raumzeitliche Verknüpfungen, Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge, Entlastung des Angeklagten und deliktspezifische Aussageelemente gelten als Hinweis auf die Glaubhaftigkeit der Angaben (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.1999, Az. 1 StR 618/98).
221
Realitätskennzeichen in dem eben dargestellten Sinne fanden sich in den Angaben der F. K. in großer Anzahl. In die insoweit angestellten Überlegungen wurde insbesondere einbezogen, dass aufgefundene Realkennzeichen in der Aussage nicht isoliert und auch nicht quantitativ zu betrachten sind, sondern stets vor dem Hintergrund der von der Zeugin zu erwartenden Leistungsfähigkeit, mithin qualitativ.
223
In der Aussage von F. finden sich zahlreiche Details, sowohl im Kern- als auch im Rahmengeschehen, sowie originelle Einzelheiten, die ebenfalls für eine hohe Qualität der Aussage und damit eine Erlebnisbasiertheit sprechen.
224
So berichtete F. im Rahmen des Kerngeschehens, die Treppe zu ihrem Zimmer im Dachgeschoss habe geknackst, wenn der Angeklagte nachts zu ihr gekommen sei. Manchmal habe er länger gebraucht, um die Treppe hochzukommen. Sie habe sich während der Vorfälle schlafend gestellt, aber trotzdem mehrfach versucht, ihren Körper, vor allem die Beine „steif“ zu machen.
225
Die Nebenklägerin berichtet auch wiederholt von Details, die für das eigentliche Kerngeschehen nebensächlich sind und die das Geschehen bei Annahme einer Falschaussage nur unnötig verkomplizieren würden. So schildert sie bezüglich des Übergriffs während der Autofahrt nach Italien, sie sei vorne gesessen, weil ihr hinten manchmal schlecht werde. Die Erwachsenen seien an den Abenden im Urlaub länger draußen gesessen, der Angeklagte habe immer gewartet, bis ihre Mutter schlafe. Sie habe im Rahmen der Vorfälle zu Hause irgendwann begonnen, ihr Kinderzimmer abzusperren, ihre Mutter habe ihr jedoch den Schlüssel weggenommen.
226
In der Aussage finden sich auch originelle bzw. ungewöhnliche Details. Von großer Bedeutung ist hier aus Sicht der Kammer die Schilderung der Nebenklägerin, sie habe zum Zeitpunkt der letzten Tat in der Nacht vom 22.07. auf den 23.07.2017 ihre Periode gehabt, der Angeklagte habe ihr den Tampon herausgezogen, bevor er begonnen habe, in sie einzudringen. Im Hinblick auf die Taten im Italienurlaub wertet die Kammer auch als vergleichbar außergewöhnliches Detail, dass sich laut den Schilderungen F.s weitere Personen in unmittelbarer Nähe zum Geschehen befunden haben (Mutter und Bruder auf der Rückbank des Autos bzw. im Wohnwagen), die jedoch geschlafen hätten.
227
Die Angaben der Nebenklägerin weisen zudem deliktstypische Details auf. So führte die Sachverständige A. aus, dass die von der F. beschriebenen Steigerungen im Vorgehen des Angeklagten (anfängliche Berührungen an der Brust und im Intimbereich, teilweise mit Eindringen des Fingers, welche sich bis zur gegenständlichen Vergewaltigung steigerten) in der aussagepsychologischen Fachliteratur als delikttypisches Element angeführt werden.
228
(2) Wiedergabe von Handlungskomplikationen
229
Die Angaben der Nebenklägerin enthalten auch realtypische Komplikationen im Handlungsablauf. Derartige Komplikationen finden sich regelmäßig in erlebnisbasierten Aussagen, selten aber in frei erfundenen, da es aus Sicht eines falsch aussagenden Zeugen gerade nicht naheliegend ist, diese nicht zielführenden Nebenumstände in die Aussage einzubauen. Zudem sind solche detaillierten Ausschmückungen einer Aussage schwer zu erfinden und homogen in die Gesamtaussage einzubetten. So stellt die Schilderung der Nebenklägerin, der Angeklagte habe ihr zuerst den Tampon herausgezogen und es dann trotz längeren Versuchens nicht komplett geschafft in ihre Vagina einzudringen, sie wisse jedoch nicht, woran das gelegen habe, eine solche Komplikation dar. Ebenso die wiederholte Schilderung der Nebenklägerin, dass der Angeklagte wieder gegangen sei, wenn sie gezeigt habe, dass sie wach sei.
230
(3) Schilderung von Interaktionen und Gesprächen sowie eigenpsychischer Inhalte In den Aussagen der Nebenklägerin finden sich auch Interaktions- und Gesprächsschilderungen. Die Sachverständige A. führte in diesem Zusammenhang aus, dass die Konstruktion wechselseitig aufeinander bezogener Interaktionen und Gespräche, die veranschaulichen, wie sich das Verhalten zweier Personen gegenseitig bedingt hat, eine besondere Schwierigkeit bei der Erfindung einer Falschaussage darstelle. Es bedürfe hier eines besonderen Ausmaßes an logischer Kombinationsgabe und der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel. Sie habe bei der Vergewaltigung versucht sich wegzudrehen und steif zu machen, er habe sie aber immer wieder „so genommen“. Am Morgen nach den Taten habe der Angeklagte sie beim Frühstück gefragt, ob sie gut geschlafen habe, das habe er sonst nie gemacht.
231
Die Nebenklägerin schildert auch Details zu ihrem eigenen psychischen Empfinden. So gibt sie beispielsweise an, ihr sei irgendwann klargeworden, dass das eh nicht mehr aufhöre und so habe das dann angefangen, dass sie es mit sich selbst ausgemacht und geritzt habe oder dass sie erst realisiert habe, dass das mit der Vergewaltigung wirklich passiert sei, als sie ihren Tampon dort liegen sehen habe. Die Nebenklägerin berichtet auch von eigenen körperlichen Empfindungen bzw. sinnlichen Wahrnehmungen im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen. So gab sie beispielsweise an, sie habe gespürt, dass der Penis des Angeklagten steif gewesen sei. Als er ein Stück eingedrungen sei, habe das schon echt bzw. höllisch wehgetan. Der Angeklagte habe manchmal nach Alkohol gerochen. Die Bedeutung dieses Qualitätsmerkmals liegt nach den Ausführungen der Sachverständigen A. darin begründet, dass es zu hohe Anforderungen an die psychologische Abstraktions- und Differenzierungsfähigkeit eines Zeugen stellen würde, derartige Schilderungen schlüssig in eine Falschaussage zu integrieren.
232
(4) Kein Belastungseifer und aussagekritisches Verhalten Für die Kammer ist zudem deutlich zu Tage getreten, dass F. K. in ihren Aussagen keinen Belastungseifer gegenüber dem Angeklagten zeigte. In den Äußerungen der Zeugin finden sich mehrfach Angaben, die den Angeklagten explizit und implizit entlasten und damit für eine unvoreingenommene Aussagehaltung sprechen. So schilderte die Zeugin beispielsweise, dass es gerade zu keinen Übergriffen durch den Angeklagten gekommen sei, wenn sie das Licht angemacht habe. Im Hinblick auf die Autofahrt nach Italien und das Geschehen im Wohnwagen verneint sie klar ein fragliches Eindringen des Angeklagten mit dem Finger. Auch gibt sie im Rahmen der ermittlungsrichterlichen Vernehmung auf Nachfrage, ob die Taten also fast jedes Wochenende gewesen seien, von sich aus an, dass sie jedes zweite Wochenende bei ihrem leiblichen Vater gewesen sei und die Taten sich nur an den Wochenenden ereignet hätten, an denen sie zu Hause in ihrem Kinderzimmer gewesen sei. Zudem berichtet sie konstant, dass der Angeklagte jeweils irgendwann von sich aus aufgehört habe und wieder nach unten gegangen sei.
233
Die Nebenklägerin weist bei ihren Angaben auch eine erinnerungskritische Haltung auf, insbesondere bezüglich der Anzahl der Vorfälle und der Frage, wie weit der Angeklagte genau mit seinem Finger bzw. seinem Penis eingedrungen ist. Auch betonte sie bezüglich des bei der Sachverständigen angesprochenen Vorfalls im Grundschulalter, sie sei sich nicht sicher, ob sie das nur geträumt habe.
234
Die Nebenklägerin hat letztlich aus Sicht der Kammer vielfache Gelegenheiten zur Mehrbelastung des Angeklagten nicht genutzt.
235
(5) Fazit Zusammenfassend weisen die Angaben der Nebenklägerin und Geschädigten F. K. eine Fülle an gemeinsam auftretenden und ineinandergreifenden Realitätskennzeichen auf, wobei sich ihre Angaben auch insoweit konstant zeigen. Diese stellen deshalb für die Kammer ein gewichtiges Indiz für den Erlebnisbezug ihrer Aussage dar.
236
(ff) Gesamtwürdigung und Hypothesenprüfung
237
Die Überprüfung der Angaben der Nebenklägerin F. K. mittels Falschaussage-, Wahrnehmungs-, Personenübertragungs- und Autosuggestionshypothese sowie Fremdsuggestionshypothese vermochte die Kammer weiter vom Erlebnisbezug ihrer Angaben zu überzeugen. Die Unwahrheitshypothese ließ sich mit den erhobenen Befunden nicht in Einklang bringen. Dabei ist generell festzuhalten, dass unbewusste Aussageübertragungen aufgrund der leicht überdurchschnittlichen Intelligenz der Nebenklägerin unwahrscheinlicher sind als eine bewusste Falschbelastung. Allerdings konnte die Kammer sowohl das Eine wie auch das Andere ausschließen:
238
(1) Falschaussagehypothese
239
Die Falschaussagehypothese, wonach die Nebenklägerin bewusst den Angeklagten falsch belastet hätte, sei es durch Verstärkung und Übertreibung von tatsächlichen Ereignissen, sei es durch vollständig Erfundenes, musste verworfen werden.
240
Die Kammer hat im Rahmen ihrer Glaubhaftigkeitsanalyse die Aussagemotivation der Nebenklägerin überprüft und dabei insbesondere diverse Motivlagen in ihre Betrachtung eingestellt, welche Anlass für eine Falschbelastung des Angeklagten sein könnten - sei es in Form völlig frei erfundener Anschuldigungen, sei es in Form der Übertreibung oder Ausweitung tatsächlich stattgefundener Vorfälle. Dabei hat sich jedoch keines der denkbaren Motive als stichhaltig erwiesen.
241
a) Motiv der Geschwisterrivalität
242
Zunächst wäre denkbar, dass F. ihrem kleinen Bruder A. aus Geschwisterrivalität heraus seinen Vater nehmen wollte und aus Eifersucht handelte. Diese Motivlage ist schon deshalb zu prüfen, weil der Nebenklägerin vom Zeugen Dr. T. eine emotionale Störung mit Geschwisterrivalität (ICD 10 F 93.3) diagnostiziert wurde.
243
So betonte der Zeuge Dr. T. in seiner ergänzenden Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung, dass die Diagnosestellung am 31.05.2017 erfolgt sei, zu einem Zeitpunkt, als von den gegenständlichen Vorwürfen noch nichts bekannt gewesen sei. Die Diagnose der emotionalen Störung mit Geschwisterrivalität habe zu den Aussagen der Nebenklägerin, ihrer Mutter, und den Testergebnissen gepasst. Als Vorstellungsgrund beim ersten Termin am 09.05.2017 habe F. das Gefühl genannt, nicht so geliebt zu werden, wie ihr kleiner Bruder. Die Mutter habe bestätigt, dass F. manchmal viel weine oder aggressiv sei, und habe ergänzt, dass damals 3-jährige F. mit der Trennung vom leiblichen Vater nicht so gut zurechtgekommen sei.
244
Die Kammer konnte das Vorliegen dieses Motivs bei F. K. nach der durchgeführten Hauptverhandlung jedoch ausschließen. Die Hauptverhandlung ergab, dass F. im Nachgang zur Offenbarung am 23.07.2017 das Wohl ihres Bruders A. im Blick hatte und ihn vor den Konsequenzen einer Anzeige gegen seinen Vater schützen wollte. So gab der Großvater der Nebenklägerin, J. K., in der Hauptverhandlung an, dass er am 23.03.2017 nach dem Besuch im Krankenhaus mit seiner Tochter und Enkeltochter ein Gespräch geführt habe, wie es jetzt weitergehen sollte. Er (J. K.) sei der Meinung gewesen, dass man es sofort anzeigen müsse. Seine Tochter und Enkeltochter seien beide ziemlich durch den Wind gewesen und hätten gesagt, dass sie dabei auch an A. denken müssten, da eine Anzeige gegen seinen Vater für ihn eine „Riesen Sache“ sein würde. Daher hätten sich die beiden dafür entschieden, dass sie erstmal nichts unternehmen wollten.
245
Es ist weiterhin auch nicht schlüssig, dass die Nebenklägerin mit der Anzeigeerstattung bis zum 15.11.2018 zugewartet hat, wenn sie damit das Ziel verfolgt hätte, ihrem Bruder den Vater zu entziehen. Allein durch die Offenbarung gegenüber ihrer Mutter am 23.07.2017 war diese Konsequenz nämlich noch nicht eingetreten, da der Angeklagte im weiteren Verlauf im Einverständnis mit M. K. weiterhin regelmäßigen Umgang mit A. pflegen durfte und diesen an jedem zweiten Wochenende abholte. Es wäre der Nebenklägerin jedoch ein Leichtes gewesen, als sie realisierte, dass dem Angeklagten der Umgang mit A. trotz ihrer Offenbarung nicht komplett verboten wurde, bereits viel früher als erst am 15.11.2018 Anzeige zu erstatten, wenn sie auch diesen Umgang des Angeklagten mit A. hätte verhindern wollen.
246
Auch spricht gegen das Bestehen dieser Motivlage der fehlende Belastungseifer, der sich in den Aussagen der Nebenklägerin gezeigt hat. So hat sie vielfach Gelegenheiten zur Mehrbelastung, wie oben erörtert, nicht genutzt. Dies hätte ihr aber geholfen, A. den Vater zu entziehen, wenn sie dieses Ziel aus Eifersucht wirklich verfolgt hätte.
247
Zudem spricht dagegen auch die eigene Einlassung des Angeklagten zum Verhältnis der Geschwister zueinander, die die Kammer insoweit für glaubhaft hält. So gab der Angeklagte an, dass F. sich dem neugeborenen Bruder gegenüber zunächst skeptisch verhalten, dass sich das im weiteren Verlauf aber schnell gelegt habe. Er (der Angeklagte) habe die Kinder immer gleich behandelt.
248
Vor dem Hintergrund dieser Aspekte erscheint es der Kammer vielmehr plausibel, dass die Angaben der Nebenklägerin bei der Vorstellung bei Dr. T. nur vorgeschoben waren, da sie zu diesem Zeitpunkt sich hinsichtlich der Übergriffe durch den Angeklagten noch niemandem anvertraut hatte.
249
b) Motiv, den Angeklagten aus dem Familienverbund zu vertreiben Weiterhin wäre denkbar, dass die Nebenklägerin den Angeklagten bewusst falsch bezichtigte, um ihn aus dem Familienverbund zu vertreiben.
250
Die Hauptverhandlung ergab jedoch schon keine Anhaltspunkte dafür, dass das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin derart zerrüttet gewesen wäre, dass dieses Motiv plausibel in Betracht kommt.
251
Aus der Hauptverhandlung ergab sich das Bild eines durchaus normalen, in keiner Hinsicht außergewöhnlichen Verhältnisses von Stiefvater zu Stieftochter.
252
Der Angeklagte selbst beschrieb sein Verhältnis zu F. als ein gutes Vater-Tochter-Verhältnis, im Rahmen dessen er an der Erziehung des Mädchens aktiv beteiligt war.
253
Die Nebenklägerin berichtete ambivalent vom Verhältnis zum Angeklagten. In der in Augenschein genommenen Videovernehmung gab sie an, dass sie sich vorher eigentlich gut mit dem Angeklagten verstanden habe. Manchmal sei er ihr aber komisch gekommen, weil er manchmal so schnell sauer geworden sei.
254
Die Sachverständige A. berichtete in der Hauptverhandlung, F. habe das Verhältnis zum Angeklagten differenziert beschrieben. Einerseits habe sie ihn als nett dargestellt, er habe ihr alles, was sie wollte, gekauft. Andererseits habe sie auch problematische Wesenszüge des Angeklagten geschildert, dass er beispielsweise schnell ausgerastet sei. Die Sachverständige gab dazu an, nach ihrer Einschätzung habe F. das Verhältnis insgesamt als ausgewogen dargestellt.
255
Die Aussagen der Zeugen in der Hauptverhandlung zum Verhältnis des Angeklagten zur Nebenklägerin bestätigen dieses Bild:
256
Der Zeuge R. berichtete in der Hauptverhandlung, dass seine Tochter F. ihm eigentlich immer sehr Positives vom Angeklagten und von dessen Eltern erzählt habe.
257
Der Zeuge J. K., der Großvater der F. K., beschrieb ihr Verhältnis zum Angeklagten in der Hauptverhandlung als ganz normal, so wie man in einer Familie zusammenlebe.
258
Die Zeugen C. und H. M. berichteten übereinstimmend, dass die Beziehung des Angeklagten zu F. K. unauffällig gewesen sei, dass F. aber manchmal schnippisch und respektlos gegenüber dem Angeklagten gewesen sei.
259
Die Zeugin Y. B. gab an, F. sei wie eine Tochter für den Angeklagten gewesen. Zum Teil sei sie ihm gegenüber aufmüpfig gewesen.
260
Das Vorliegen des Motivs, den Angeklagten aus der Familie loswerden zu wollen, erscheint auch vor dem Hintergrund nicht plausibel, dass die Nebenklägerin, wie bereits erörtert vielfach Gelegenheiten zur Mehrbelastung nicht ergriffen hat und bei ihr insgesamt kein Belastungseifer gegenüber dem Angeklagten feststellbar war.
261
Gegen das Motiv, den Angeklagten loswerden zu wollen, spricht weiterhin, dass es - das Vorliegen des Motivs unterstellt - dann nicht erklärbar ist, wieso die Nebenklägerin am 15.11.2018 noch Anzeige erstattete. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie das unterstellte Ziel nämlich längst erreicht, da noch am Tag ihrer Offenbarung der Angeklagte aus dem Familienhaus verwiesen wurde und sich ihre Mutter von ihm trennte. Anhaltspunkte dafür, dass die beiden nach dem Auszug des Angeklagten, insbesondere im Zeitraum der Anzeigenerstattung, möglicherweise wieder zusammengefunden hätten, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Die Anzeigenerstattung bei der Polizei war zur Erreichung dieses Ziels aus Sicht der Kammer damit gar nicht mehr nötig.
262
c) Motiv: Wunsch der Geschädigten, dass ihre leiblichen Eltern wieder zusammenkommen Hinsichtlich des weiter denkbaren Motivs, dass die Nebenklägerin handelte, um ihre leiblichen Eltern wieder zusammenzubringen, ergaben sich in der Hauptverhandlung, insbesondere aus den Vernehmungen der M. K. und des K. R., keinerlei stichhaltige Anhaltspunkte, die diesen Umstand stützen würden.
263
Vielmehr erscheint dies wiederum vor dem Hintergrund, dass das Verhältnis der Nebenklägerin zum Angeklagten von allen Beteiligten als normal bzw. gut beschrieben wurde, die Nebenklägerin zum Zeitpunkt der Trennung erst drei Jahre alt war und dass sie den Angeklagten bei ihren Aussagen mehrfach implizit und explizit entlastete, nicht plausibel. Der Weg für eine neue Beziehung der M. K. mit dem K. R. wäre zudem bereits mit Auszug des Angeklagten am 23.07.2017 eröffnet gewesen.
264
d) Motiv: Aufmerksamkeit erregen Als mögliches Motiv war zudem zu prüfen, ob die Nebenklägerin zu dem Zweck handelte, Aufmerksamkeit, insbesondere von ihrer Familie, zu bekommen.
265
Aus Sicht der Kammer wäre dann aber eine aggravierendere Aussage der Nebenklägerin zu erwarten gewesen, um ihre Opferrolle zu verstärken. F. hat den Angeklagten aber in ihren Angaben explizit und implizit entlastet.
266
Die Kammer schließt sich nach kritischer Überprüfung der Einschätzung der Sachverständigen an, dass bei der Nebenklägerin gerade kein Belastungseifer erkennbar war. Zudem spricht aus Sicht der Kammer gegen das Vorliegen dieses Motivs auch die Aussagegenese. So berichtete die Nebenklägerin ihrer Familie, ihrem damaligen Freund J. G. und ihrer damaligen besten Freundin C. L. nur oberflächlich und knapp von den Ereignissen und nahm weitere Gesprächsangebote nicht an.
267
e) Motiv: Handeln zum Wohle der M. K. Weiter war zu prüfen, ob die Nebenklägerin aus dem Motiv heraus handelte, eine Trennung zum Wohl ihrer Mutter herbeizuführen, da sie bemerkt hatte, dass deren Beziehung zum Angeklagten konfliktbehaftet war und wollte, dass die M. K. wieder „glücklich“ wird.
268
Dieses Motiv unterstellt, ist es aber wiederum nicht nachvollziehbar, wieso dann am 15.11.2018 noch die Anzeigeerstattung erfolgte, obwohl sich die Mi. K. bereits am 23.07.2017 endgültig vom Angeklagten getrennt hatte.
269
Zudem war für die Kammer auch der Umstand von besonderer Bedeutung, dass F. und ihre Familie zunächst durch die Offenbarung und anschließend durch die Anzeigeerstattung überwiegend negative Konsequenzen erlebten.
270
Die Mutter M. K. führte in der Hauptverhandlung aus, dass es der Familie seit der Offenbarung am 23.07.2017 schlecht gehe. Es habe Sorgerechtsstreitigkeiten mit dem Angeklagten wegen A. gegeben.
271
Der Zeuge J. K. schilderte in der Hauptverhandlung, dass die Familie seit dem 23.07.2017 drei sehr schlechte Jahre erlebt habe, dass sich seine Tochter M. K. selbst in Behandlung begeben musste und sich in dieser Zeit „wahnsinnig“ verändert hätte.
272
Die Zeugin B., Psychotherapeutin, führte in der Hauptverhandlung aus, dass die Mutter M. K. immer noch hochbelastet sei, da sie nicht wisse, wie sie ihrem Sohn vermitteln solle, dass der Angeklagte F. sexuell missbraucht habe.
273
Zwar hat die Zeugin F3. berichtet, die Mutter habe in einem Termin drei Tage nach der Offenbarung ausgeführt, F. habe sich ihr anvertraut, sie sei vom Stiefvater vergewaltigt worden. Sie (M. K.) habe einen Termin bei einer Beratungsstellte gehabt. Sie habe den Stiefvater rausgeworfen und fühle dadurch deutliche Erleichterung und Freiheit. Die Beziehung habe schon lang nicht mehr gepasst, sie habe aber mit der Trennung abwarten wollen, bis A. älter sei. Das Verhalten von F. habe sich komplett verändert, sie helfe zum Beispiel nun im Haushalt mit, ohne aufbrausend zu werden.
274
Diese geschilderten Gefühle der Erleichterung und Befreiung gegenüber der Zeugin F3. bilden in der Zusammenschau der vorstehenden Aussagen der Zeugen M. und J. K. sowie B. zur Überzeugung der Kammer aber eine bloße Momentaufnahme ab. Es ist für die Kammer auch nachvollziehbar, dass es für M. K. zunächst eine Befreiung war, den Angeklagten des Hauses verwiesen zu haben. Längerfristig führte das Aufkommen der Vorwürfe jedoch gerade zu keiner positiven Wendung für die Zeugin, vielmehr war diese durch die Offenbarung ihrer Tochter und das Wissen, dass zwischen dieser und dem Angeklagten sexuelle Handlungen stattgefunden hatten, emotional stark belastet. Hinweise darauf, dass sich F. selbst im Nachgang zur Offenbarung positiv gefühlt hätte, hat die Hauptverhandlung nicht ergeben. Vielmehr berichtete die Zeugin F3., F. hätte ihr gegenüber bei einem Termin am 26.07.2017 geäußert, dass sie an ihren Gefühlen wie Wut und Ärger etwas verändern möchte. Von sexuellen Übergriffen sei bei diesem Termin keine Rede gewesen.
275
Vor dem Hintergrund der bereits negativen Konsequenzen der Offenbarung ist die Kammer anstelle der oben geprüften möglichen Motive vielmehr davon überzeugt, dass die Nebenklägerin die zusätzliche Belastung des Ermittlungsverfahrens für sich und für ihre Familie durch die späte Anzeigeerstattung deswegen auf sich nahm, da sie für sich selbst beschlossen hatte, dass die Handlungen des Angeklagten ihr gegenüber bestraft werden müssten.
276
f) Motiv: Erpressbarkeit des Angeklagten
277
Auch war zu prüfen, ob F., gegebenenfalls im Zusammenwirken mit M. K., mit dem Ziel handelte, den Angeklagten im Zusammenhang mit dem Sorgerecht für A. in eine „erpressbare“ Situation zu bringen. Der Angeklagte gab in diesem Zusammenhang an, M. K. habe wohl zu anderen Leuten gesagt, solange sie ihn nicht anzeigen würden, sei er im Rahmen des Sorge- bzw. Umgangsrechts erpressbar. Die Erpressbarkeit des Angeklagten wurde aus Sicht der Kammer zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung bei der Polizei damit jedoch gerade reduziert. Auch in diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass F. vielfach Gelegenheiten zur Mehrbelastung des Angeklagten nicht genutzt hat, was bei der Verfolgung des Ziels, vom Angeklagten möglichst große Zugeständnisse im Hinblick auf A. zu erlangen, zu erwarten gewesen wäre. Der Angeklagte schilderte auch nicht, dass ihm F. bzw. M. konkret mit einer Anzeige gedroht hätten, sollte er gewisse Forderungen nicht erfüllen.
278
g) Würdigung zur Falschaussagehypothese
279
Die durchgeführte Motivationsanalyse ergab aus Sicht der Kammer, dass sich keines der konkret in Frage kommenden Motive als stichhaltig erwiesen hat.
280
Darüber hinaus könnte ohnehin selbst aus einer festgestellten Belastungsmotivation nicht zwingend auf das Vorliegen einer Falschaussage geschlossen werden (BGH, Urteil vom 30.07.1999, Az. 1 StR 618/98). Auch die Sachverständige A. führte in ihrem Gutachten in der Hauptverhandlung aus, dass auch bei Vorliegen von plausiblen Motivhypothesen eine Aussage mit Erlebnisgrund vorliegen könne.
281
So ist die Kammer insgesamt aufgrund der hohen Qualität der Aussage der Nebenklägerin mit vielfältigen Realkennzeichen davon überzeugt, dass die Nebenklägerin die Angaben in der vorliegenden Form nicht hätte tätigen können, wenn sie den Angeklagten bewusst falsch hätte bezichtigen wollen. Zwar ergab die Hauptverhandlung, dass die Nebenklägerin mit 110 Punkten einen leicht überdurchschnittlichen IQ hat. Jedoch ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte darauf, dass F. darüber hinaus über spezielle Kenntnisse oder über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet der Aussagepsychologie verfügt hätte, die es ihr ermöglicht hätten, diese Aussage von solch hoher Qualität zu konstruieren.
282
Daher musste die Falschaussagehypothese verworfen werden.
283
(2) Wahrnehmungsübertragungshypothese
284
Die Kammer schließt im Weiteren die Hypothese aus, dass die Nebenklägerin einen Sachverhalt, von dem sie aus anderen Quellen Kenntnis erlangt hat, auf den Angeklagten absichtlich oder unabsichtlich übertragen hat.
285
Dabei war für die Kammer unter anderem von Bedeutung, dass bei der Nebenklägerin von vornherein eine unabsichtliche Übertragung aus Fremdquellen unwahrscheinlich erscheint. So kam in den Aussagen der Nebenklägerin mehrmals zum Ausdruck, dass diese die Fähigkeit besitzt, zwischen real erlebten Dingen und Umständen, die sie aus Erzählungen etc. kennt, bzw. zwischen verschiedenen Informationsquellen zu differenzieren. Die Sachverständige A. berichtete in der Hauptverhandlung, dass F. in den Explorationsgesprächen differenziert und erinnerungskritisch berichtete und auch auf Informationsquellen verwies. So habe sie beispielsweise auf Nachfrage nach dem Trennungszeitpunkt ihrer Eltern angegeben, sie könne sich selbst nicht mehr erinnern, wisse den Zeitpunkt aber aus Erzählungen der Eltern.
286
a) Die Kammer hat berücksichtigt, dass die Nebenklägerin die erste Staffel der Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ und das dazugehörige Buch konsumiert hat, in welchen auch die Themen Vergewaltigung und sexueller Missbrauch behandelt werden. Darüber hinaus hat sich die Nebenklägerin, wie die Sachverständige A. berichtete, nicht intensiv mit der Thematik des Missbrauchs auseinandergesetzt.
287
Nach eingehender Prüfung ist die Kammer davon überzeugt, dass die Aussagen der Nebenklägerin nicht aus einer der Szenen aus der vorgenannten Netflix-Serie übertragen wurden.
288
Die Kammer war hierbei sachverständig beraten von der Sachverständigen A., die sich zur Erstattung ihres Gutachtens die gesamte erste Staffel der Serie angesehen hat und der Kammer über den Inhalt jedenfalls jener Szenen berichtet hat, die den Themenkreis des sexuellen Missbrauchs betreffen. Dabei hat sie auch die Unterschiede zu den von F. geschilderten Handlungen des Angeklagten dargestellt.
289
So werde in der Szene, in der die Vergewaltigung der Serienfigur Jessica durch die Serienfigur Bryce dargestellt wird, gezeigt, wie Jessica auf einer Party wehrlos im Bett auf dem Rücken liege und dann von Bryce gedreht werde, sodass sie quer auf dem Bett liege. Bryce nähere sich dann, indem er ein Bein zwischen ihre Beine schiebe, sich über Jessica beuge, und auf ihr liegend den Geschlechtsverkehr vollziehe.
290
Die Kammer kommt hier zu dem Ergebnis, dass eine Übertragung dieser Szene unwahrscheinlich ist. Insbesondere sind bei einem Vergleich mit der Aussage der Nebenklägerin die Unterschiede in den Körperposition eklatant. So schilderte die Nebenklägerin, dass der Angeklagte sie von der Seitenlage auf den Rücken gedreht habe, ihr die Schlafanzughose und die Unterhose ausgezogen habe. Sie habe ihre Beine fest zusammengedrückt und er habe sie auseinandergedrückt. Er habe ihr den Tampon aus der Vagina gezogen. Er sei dann zwischen ihren Beinen gekniet und mit seinem Penis eingedrungen. Dagegen ist die Serienfigur Jessica in dieser Situation nach den Schilderungen der Sachverständigen völlig wehrlos, während hingegen die Nebenklägerin ein nonverbales Abwehrverhalten, wie das Zusammenpressen der Beine, schilderte. Auch wird in der Serie laut der Sachverständigen eine vollendete Vergewaltigung und Küssen gezeigt, wohingegen F. einen Handlungsabbruch und keine Küsse schilderte. In der Serie wird auch gezeigt, wie Bryce seine Hose öffnete, dagegen hat die Nebenklägerin beschrieben, dass der Angeklagte bereits nackt in ihr Zimmer gekommen sei.
291
Die von der Sachverständigen aufgeworfenen Unterschiede zwischen der fraglichen Szene und der von F. geschilderten Situation schätzt die Kammer als so erheblich ein, dass sie eine Übertragung dieser Serieninhalte ausschließen kann.
292
Des Weiteren hat die Sachverständige A. in der Hauptverhandlung den Inhalt einer Szene beschrieben, in der die Serienfigur Hannah Baker wiederum vom Mitschüler Bryce in einem Whirlpool vergewaltigt wird. Auch diesbezüglich kann eine Übertragung aus Sicht der Kammer ausgeschlossen werden, da der inhaltliche Gehalt und die Rahmenbedingungen deutlich von den Schilderungen F.s abweichen. So zeigt die Szene in der Serie nach den Schilderungen der Sachverständigen A. eine vollendete Vergewaltigung zwischen Gleichaltrigen in Badebekleidung in einem Whirlpool mit verbalen Abwehrreaktionen. Die Figur Hannah werde hier von hinten vergewaltigt, während der Täter ihren Nacken festhalte. Sie weise danach Verletzungsspuren am Schulterblatt auf.
293
Hinsichtlich dieser zweiten Szene im Whirlpool ist damit bereits die räumliche und situative Einbettung deutlich anders als die von der Nebenklägerin geschilderte Situation.
294
Die Kammer hat zwar in der Hauptverhandlung die relevanten Szenen aus der Serie nicht selbst in Augenschein genommen, jedoch war es für einen Vergleich ausreichend, dass die Sachverständige in der Hauptverhandlung die Inhalte jeweils beschrieb. Auch war es ausreichend, nur die erste Staffel der Serie zu überprüfen, da nach Angabe der Sachverständigen die Nebenklägerin zum Zeitpunkt der Exploration, welche nach der polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmung stattgefunden hatte, nur diese erste Staffel konsumiert hatte. In der Hauptverhandlung wurde die Nebenklägerin nur noch ergänzend zu einzelnen Punkten vernommen.
295
Die Kammer hat auch den Umstand, dass F. die erste Staffel der Serie gesehen hat, obwohl diese erst ab 16 Jahren freigegeben war, für nicht relevant erachtet.
296
So führte die Sachverständige A. zu diesem Punkt aus, dass für die Bestimmung, ob ein Medium als alters- und entwicklungsentsprechend einzuschätzen ist, nicht starr auf die FSK-Kennzeichnung abgestellt werden könne. Zwar werde die Netflix-Serie kritisch diskutiert. Es handele sich trotz der FSK 16- Kennzeichnung um eine Serie, die bezüglich ihrer Inhalte eher ein jugendliches Publikum anspreche und die dem damaligen Alters- und Entwicklungsstand der Nebenklägerin entsprochen habe. Die Nebenklägerin habe auch das Buch zur Serie gelesen, das bereits ab einem Alter von 13 Jahren empfohlen sei. Die Nebenklägerin habe die Serie zudem zusammen mit ihrer Mutter angesehen und über die Inhalte im Nachgang gesprochen.
297
Ergänzend erörterte die Sachverständige, dass sich an ihrer gutachterlichen Einschätzung bezüglich relevanter Fremdquellen auch dann nichts ändern würde, wenn bezüglich des Konsums der Serie nicht von einem alters- und entwicklungsgerechten Medienkonsum der Nebenklägerin ausgegangen werden könnte.
298
Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer aus eigener Überzeugung an. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass es sich bei „Tote Mädchen lügen nicht“, um keine damals altersgerechte Serie für die Nebenklägerin handelte, so würde dies nichts daran ändern, dass zwischen den Inhalten der Serie bzw. des Buches und den von F. geschilderten Ereignissen jedenfalls so erhebliche Unterschiede bestehen, dass eine Übertragung ausgeschlossen werden kann.
299
b) Die Kammer konnte weiterhin ausschließen, dass die Nebenklägerin die von ihr geschilderten Handlungen des Angeklagten aus pornographischem Material entlehnt hat. So gab der Angeklagte in der Hauptverhandlung an, dass er einmal bei einer Kontrolle von F.s Handy gesehen habe, dass sie bei Google den Suchbegriff „Ficken“ eingegeben und Pornovideos angezeigt bekommen habe. Der Angeklagte führte dazu weiterhin aus, dass man bei dieser Suchanfrage natürlich zu Videos kommen würde, das sei aber ganz normale Pornographie gewesen und auch nicht viel, vielleicht zwei bis drei Videos. Es habe sich dabei um Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau gehandelt, er habe sich auch nicht jedes Video angeschaut. Er habe aus dem Browserverlauf gesehen, welche Videos angeklickt wurden, er wisse aber nicht, ob und wenn ja, wie weit F. diese Videos angeschaut habe. Er habe mit F. darüber nicht geredet. Weitere Anhaltspunkte für einen Konsum pornographischer Medien durch Nebenklägerin ergab die Hauptverhandlung nicht. Die Nebenklägerin gab auf Nachfrage an, dass sie keine Pornos angesehen habe.
300
Die Kammer kam vorliegend zu dem Ergebnis, dass eine Entlehnung der Schilderungen F.s aus Pornos nicht in Betracht kommt. So wird bei Pornos in der Regel ein reibungsloser Ablauf gezeigt. Selbst wenn F. diese Videos, die der Angeklagte als normalen Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau beschrieben hat, tatsächlich angesehen hätte, so unterscheiden sich diese von ihren Schilderungen, da sie von diversen Komplikationen wie zum Beispiel einem Steifmachen des Körpers, dem Auseinanderdrücken ihrer Beine, dem nicht gänzlich vollzogenen Eindringen des Penis und dem vorherige Herausziehen des Tampons berichtet hat. Auch passt es nach der Einschätzung der Sachverständigen A., der sich die Kammer aufgrund eigener Überzeugung anschließt, mit einer Entlehnung aus Pornos nicht zusammen, dass F. die Ereignisse differenzierend geschildert hat. Bei einer Entlehnung aus Pornos wäre es ihr ein Leichtes gewesen, ihre Angaben zu aggravieren, zum Beispiel hätte sie dann jeweils eine Ejakulation beschreiben können.
301
c) Darüber hinaus bestanden keine Anhaltspunkte für weitere Fremdquellen. Nach dem überzeugenden Bericht der Sachverständigen A. in der Hauptverhandlung war die Nebenklägerin zum Zeitpunkt der Aussagen eher oberflächlich aufgeklärt und hatte sich nicht weiter mit der Missbrauchsthematik auseinandergesetzt. Auf Nachfrage habe sie nur angegeben, ein Junge habe ihr gegenüber von einer Vergewaltigung erzählt. Diesbezüglich habe sie jedoch keinerlei Detailwissen gehabt, sodass auch hier keine Fremdquelle ausgemacht werden könne.
302
d) Zusammenfassend musste auch die Wahrnehmungsübertragungshypothese verworfen werden.
303
(3) Personenübertragungshypothese
304
Die Kammer ist im Weiteren davon überzeugt, dass die Nebenklägerin nicht einen Sachverhalt, den sie selbst mit einer anderen Person erlebt hat, auf den Angeklagten übertragen hat.
305
Gegen diese Annahme spricht schon die Einbettung der Vorfälle in räumlichsowie zeitlicher Hinsicht. Die Vorfälle fanden nach den Angaben der Nebenklägerin nachts im Haus der Familie in O., sowie nachts im Wohnwagen während des Familienurlaubs am Gardasee bzw. auf der Hinfahrt an den Gardasee statt. In diesen Situationen war jeweils nur der Angeklagte selbst als männlicher Erwachsener anwesend.
306
Geprüft hat die Kammer dennoch genauer, ob die Nebenklägerin sexuelle Vorfälle, die sie mit ihrem Ex-Freund J. G. oder anderen Ex-Freunden erlebt hat, auf den Angeklagten übertragen hat. Dagegen spricht, dass nach Aussage des Zeugen J. G. in der Hauptverhandlung dieser mit F. nicht mehr als Kuscheln, Küssen und Umarmen erlebt hätte, in Richtung Scheide habe er sie nie berührt. Die Nebenklägerin schilderte gegenüber der Sachverständigen A. in den Explorationsgesprächen, dass sie mit J. keinen Geschlechtsverkehr gehabt habe.
307
Hieraus schließt die Kammer, dass die Nebenklägerin mit J. zwar erste Erfahrungen im sexuellen Bereich gesammelt hat, diese aber nicht in der Nähe eines Beischlafs, wie von F. zur Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 geschildert, einzuordnen sind. Zudem spricht jedenfalls die räumliche, zeitliche und situative Einbettung der von F. geschilderten Vorgänge erheblich dagegen, dass sie diese Vorfälle tatsächlich mit J. G. erlebt hätte. Eine Übertragung von Erlebnissen mit J. konnte die Kammer daher ausschließen.
308
Auch mit anderen Jungen, mit denen die Nebenklägerin eine romantische Beziehung führte, kam es nach ihrer Aussage im Rahmen der Explorationsgespräche nicht zu sexuellen Erfahrungen bis hin zum Geschlechtsverkehr. Mit früheren Freunden habe sie sich nur umarmt, Händchen gehalten und geküsst. Diese Angaben der Nebenklägerin wurden über die Sachverständige A. in die Hauptverhandlung eingeführt. Auch hier ist die Intensität der sexuellen Erfahrungen deutlich geringer als die mit dem Angeklagten geschilderten Vorfälle.
309
Weiterhin gab F. in der Hauptverhandlung an, sie habe in der Schule einmal ein übergriffiges Verhalten eines Mitschülers erlebt. Der Junge habe sie damals in die Ecke gedrängt und sie am Oberschenkel angefasst.
310
Die Sachverständige A. gab dazu in der Hauptverhandlung die Einschätzung ab, dass sie dies nicht als relevante Vorerfahrung einstufe, da es sich um eine andere Kontexteinbettung und ein anderes Vorgehen handele. Aus Sicht der Kammer ist der Vorfall mit dem Mitschüler von den geschilderten Vorfällen vom Angeklagten hinsichtlich der räumlichen und situativen Einordnung sowie der Intensität der sexuellen Handlung so weit entfernt, dass auch hier für die Kammer nach eigener Überprüfung eine Übertragung auf den Angeklagten ausgeschlossen ist.
311
Somit war die Personenübertragungshypothese zu verwerfen.
312
(4) Autosuggestionshypothese Hinsichtlich der Autosuggestionshypothese (unbeabsichtigt falscher Transfer eines Erlebnisses oder einer sonstigen Wahrnehmung auf den Angeklagten oder eingeschränkte bzw. aufgehobene Fähigkeit der Nebenklägerin zwischen eigenen Fantasieprodukten und der Realität zu unterscheiden) ist von Bedeutung, dass sich nach den Ausführungen der Sachverständigen A. in der Hauptverhandlung bei F. keine erhöhte suggestive Neigung gezeigt habe. Sie habe zwischen verschiedenen Informationsquellen differenzieren können und habe auch selbst mehrfach ausdrücklich angesprochen, wenn sie nicht sicher war, ob sie das Geschilderte tatsächlich erlebt habe oder nur geträumt habe.
313
So berichtete die Sachverständige A. in der Hauptverhandlung, dass F. auf Nachfrage zu dem Trennungszeitpunkt ihrer Eltern angab, sie könne sich nicht mehr erinnern, wisse den Zeitpunkt aber aus Erzählungen der Eltern. Auch habe die Nebenklägerin erinnerungskritisch davon berichtet, dass sie bereits im Grundschulalter das Gefühl gehabt habe, dass der Angeklagte an ihrer Unterhose gewesen sei, dabei wisse sie nicht, ob das ein Traum oder Wirklichkeit war. Auch habe sie am 23.07.2017 realisiert, dass es nicht nur geträumt war, sondern wirklich geschehen sei, als sie den Tampon gesehen habe.
314
Nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen sind vorliegend keinerlei Hinweise auf autosuggestive Prozesse oder einen - solche Prozesse begünstigenden - unzureichenden Realitätsbezug der Nebenklägerin ersichtlich.
315
Die Kammer schließt daher vor diesem Hintergrund die Autosuggestionshypothese aus.
316
(5) Fremdsuggestionshypothese Weiter schließt die Kammer aus, dass die Nebenklägerin unbewusst Vorgänge reproduziert, die ihr von fremden Personen suggeriert wurden.
317
Anhaltspunkte für eine Fremdsuggestion sind nicht ersichtlich, insbesondere ergeben sich solche nicht aus der Aussagegenese. Die Nebenklägerin hat nur sehr wenig mit anderen Personen über die Vorfälle gesprochen. Mit den Zeugen M. und J. K., K. R., C. L. und J. G., Dr. S., B. und W., sprach sie, wie bereits in der Aussagegenese ausführlich erörtert wurde, - wenn überhaupt - eigenständig und nicht im Detail über die Handlungen des Angeklagten.
318
Die Kammer konnte insbesondere auch keine suggestive Beeinflussung der Nebenklägerin durch ihre Mutter M. K. feststellen. So stellte sich die Unterredung zwischen der Nebenklägerin und ihrer Mutter am 23.07.2017 als spontan, knapp und von der Nebenklägerin selbst initiiert dar.
319
Von dieser ersten Unterredung berichtete die Zeugin M. K. in der Hauptverhandlung. Ihre Aussage zu dem ersten Gespräch mit F. am Vormittag des 23.07.2017 war qualitativ so hochwertig, dass die Kammer von deren Glaubhaftigkeit überzeugt ist. M. K. schilderte anschaulich ihre eigenen Gefühle, als F. ihr von den Übergriffen berichtete. So habe sie sich gefühlt, als würden „drei Panzer über einen drüberfahren“. Auch berichtete sie von Interaktionen und Gesprächsinhalten. So habe sie ihrer Tochter gesagt, wenn sie eifersüchtig sei, müsse sie es ihr sagen, solche Anschuldigungen seien „eine Hausnummer“, F. habe darauf geantwortet „Nein, du musst mir glauben, Mama“. Die Kammer hat dabei auch berücksichtigt, dass die Zeugin M. K. in der Hauptverhandlung eine negative, von Wut geprägte Haltung gegenüber dem Angeklagten zeigte. Die Sachverständige A. führte hierzu nachvollziehbar aus, dass sie dennoch keine Beeinflussung der Nebenklägerin durch ihre Mutter sehe. So sei die Haltung der Mutter in den Begutachtungsgesprächen differenziert gewesen. Auch F. habe sich differenziert gezeigt und sich von der Sichtweise ihrer Mutter abgegrenzt und deren Angaben nicht undifferenziert übernommen. M. K. und F. hätten beispielsweise jeweils unterschiedlich von einem Beziehungsstreit berichtet. Während M. K. angab, der Angeklagte habe ihr eine Milchflasche hinterhergeworfen, schilderte F., dass er die Flasche nur herumgeworfen, aber nicht gezielt geworfen habe. Aufgrund dieser differenzierten Haltung der Nebenklägerin und der hohen Qualität ihrer Aussage schließt sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung der Einschätzung der Sachverständigen an und hat diesbezüglich auch die Möglichkeit verworfen, dass M. K. suggestiv auf F. eingewirkt haben könnte, um den Angeklagten zu erpressen.
320
Des Weiteren gab es keinerlei Hinweise darauf, dass die Nebenklägerin in den Vernehmungen im Ermittlungsverfahren bzw. in den Explorationsgesprächen mit der Sachverständigen A. suggestiv beeinflusst worden wäre.
321
Daher hat die Kammer auch die Fremdsuggestionshypothese verworfen.
322
(6) Ergebnis der Hypothesenprüfung Alle vorgenannten Hypothesen waren zu verwerfen. Die Unwahrheitshypothese lässt sich mit den erhobenen Befunden nicht vereinbaren.
323
c) Weitere Glaubhaftigkeitsmerkmale
324
Die Angaben der Zeugen M. K. und J. K. zum Verhalten und den Äußerungen des Angeklagten beim Gespräch im Haus des J. K. am 23.07.2017 stellen im Rahmen der Gesamtbetrachtung aller Umstände zudem ein weiteres gewichtiges Indiz dar, welches für die Erlebnisbasiertheit der Angaben der Nebenklägerin spricht. Aufgrund der glaubhaften Aussagen der beiden Zeugen in der Hauptverhandlung ist die Kammer davon überzeugt, dass der Angeklagte diesen gegenüber die Taten zumindest teilweise eingeräumt hat.
325
Der Zeuge J. K. berichtete der Kammer, als der Angeklagte am frühen Nachmittag des 23.07.2017 bei ihm erschienen sei, sei dieser sehr nervös gewesen. Seine Tochter und er hätten den Angeklagten zur Rede gestellt. Er habe nachgefragt, ob der Angeklagte auch mit F. geschlafen habe. Daraufhin habe dieser geantwortet: „Es war ja nur mit dem Finger, es war nur ein paar Mal, ich war immer angetrunken.“ Daraufhin habe er den Angeklagten „rausgeschmissen“.
326
Aus Sicht der Kammer ist die Aussage des Zeugen J. K. zu dem gemeinsamen Gespräch mit dem Angeklagten und M. K. über die Taten glaubhaft. Die Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung war qualitativ hochwertig. Der Zeuge schilderte das gemeinsame Gespräch mit dem Angeklagten und M. K. detailliert. Der Zeuge beschrieb auch eigenpsychische Details. So gab er an, es sei wie ein Schlag mit dem Hammer gegen seinen Kopf gewesen, als M. K. ihm von den Übergriffen berichtete. Sie seien in dem Moment alle drei „komplett von der Rolle“ gewesen. Zudem schilderte der Zeuge eigene Interaktionen und den Wortwechsel mit dem Angeklagten. So habe er ihm beispielsweise gesagt „Raus mit dir, verpiss dich“.
327
Ein übermäßiger Belastungseifer war beim Zeugen J. K. nicht zu erkennen. Vielmehr berichtete er, dass er zuvor den Angeklagten immer als normalen und umgänglichen Typen erlebt habe. Auch zur Beziehung des Angeklagten zu seiner Tochter könne er nichts Negatives berichten. Für F. sei der Angeklagte mit Sicherheit nicht der böse Stiefvater gewesen. Er habe das Zusammenleben der Familie als ganz normal empfunden. Deswegen sei es ein großer Schock gewesen, mit so etwas habe keiner gerechnet.
328
Die Zeugin M. K. berichtete zu dem Gespräch mit dem Angeklagten am 23.07.2017, dieser sei ständig um den Tisch herumgelaufen und habe immer wieder nur gesagt, es tue ihm so leid. Sie sei dagesessen wie festgenagelt. Sie habe ihn gefragt, warum er sich so „zusaufe“. Daraufhin habe er geantwortet, dass es am Alkohol liege. Sie habe sich auch gewundert, wie er „im Suff“ die Treppe hochgekommen sei. Sie habe nur daran denken müssen, was sie jetzt alles machen müsste, was sie mit den Kindern machen solle. Bei ihr sei ein „kompletter Film“ gelaufen. Ihr Vater habe den Angeklagten schließlich hinausgeworfen.
329
Die Kammer ist auch von der Glaubhaftigkeit der Angaben der M. K. zu dem Gespräch mit dem Angeklagten am 23.07.2017 überzeugt, da ihre Aussage vielfältige Qualitätskennzeichen aufweist, die für die Erlebnisbasiertheit dieser Angaben sprechen.
330
M. K. berichtete ebenfalls detailliert von dem Gespräch zu dritt. Ihre Aussage beinhaltete eigenpsychische Elemente und ihre eigenen Gedanken in dieser Situation, wie auch die Interaktion und den Wortwechsel mit dem Angeklagten. Zudem zeichnete sich ihre Aussage in der Hauptverhandlung durch einen zuweilen unchronologischen Erzählstil aus. So schob sie beispielsweise nach der Schilderung, sie habe sich gewundert, wie der Angeklagte im Suff die Treppe zu F. hinaufgekommen sei, wiederum ein: „An seinem Geburtstag war es 10 Uhr, und er war voll. Keine Ahnung wie er da hochkommt“.
331
Hierbei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die Angaben der M. K. in der Hauptverhandlung durchaus von Wut auf den Angeklagten geprägt waren. Dies war jedoch nicht so ausgeprägt, dass generell an der Richtigkeit der Angaben der Zeugin im Hinblick auf das Gespräch mit dem Angeklagten am 23.07.2017 gezweifelt werden müsste. Die Zeugin M. K. hat in der Hauptverhandlung auf Vorhalt der Angaben des Zeugen J. K., der Angeklagte habe auf seine Frage, ob er mit F. geschlafen habe, gesagt, dass es „nur der Finger“ gewesen sei, den Angeklagten sogar entlastet, indem sie angab, sie könne sich an dieses Detail nicht erinnern. Sie wisse nur noch, dass der Angeklagte immer wieder gesagt habe, es tue ihm so leid, es liege am Alkohol. Sollte die Zeugin bezüglich des Gesprächsinhalts die Unwahrheit gesagt haben, um eine Verurteilung des Angeklagten zu fördern, wäre aus Sicht der Kammer eine deutlich aggravierendere Schilderung des Gesprächsinhalts, in der auch ein Eindringen mit dem Penis thematisiert worden wäre, wahrscheinlich gewesen. Anhaltspunkte, dass sich die beiden Zeugen abgesprochen haben könnten, haben sich im Rahmen der Hauptverhandlung ebenfalls nicht ergeben.
332
Die Kammer wertet die Einlassung des Angeklagten, er habe im Haus des J. K. zu keinster Zeit etwas zugegeben, vor diesem Hintergrund als Schutzbehauptung.
333
d) Entgegenstehende Umstände aa) Einstellungen in der Hauptverhandlung Die Einstellung der Ziffern 1. und 2. der Anklageschrift vom 22.10.2019 (Tatvorwürfe vor dem Gardaseeurlaub) gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Rahmen der Hauptverhandlung erfolgte nicht, weil die Kammer davon ausgeht, dass F. diesbezüglich die Unwahrheit gesagt hat. Vielmehr geht die Kammer bei diesen Fällen lediglich zu Gunsten des Angeklagten davon aus, dass es aufgrund des bereits geschilderten „Inkadenzphänomens“ und der schematischen Abspeicherung ähnlich verlaufender Handlungen im Gedächtnis im Rahmen der verschiedenen Aussagesituationen im Hinblick auf die Berührungen und das Eindringen mit dem Finger zu einer gedanklichen Aufspaltung nur eines Falles gekommen sein kann, der vor der Fahrt an den Gardasee stattgefunden hat. Im Hinblick auf die zeitliche Einordnung der sexuellen Handlungen vor dem Gardaseeurlaub bzw. dem Tod der Großmutter bestanden zudem, wie bereits erörtert, gewisse gedächtnispsychologisch erklärbare Unsicherheiten bei der Nebenklägerin. Die Kammer hat daher zu Gunsten des Angeklagten die Tatvorwürfe vor dem Gardaseeurlaub eingestellt, weil diese im Vergleich zu den restlichen Taten aus der Anklageschrift nicht erheblich ins Gewicht fallen.
334
bb) Teilnahme und Verhalten der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung Wenn die Verteidigung bemängelt, dass die Nebenklägerin an der Hauptverhandlung teilgenommen und während ihrer ergänzenden Vernehmung nicht den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt hat, spricht dies aus Sicht der Kammer nicht gegen den Wahrheitsgehalt und Erlebnisbezug ihrer Angaben. Es gibt bereits kein Ideal-Verhalten eines Opfers von sexuellem Missbrauch, dem die Nebenklägerin durch Wahrnehmung ihres Rechts zur Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entsprochen hätte. Dass sie in der Lage war, die ergänzende Vernehmung in Anwesenheit der Öffentlichkeit zu bestreiten, bedeutet nicht, dass ihre Angaben der Unwahrheit entsprechen müssen. Diesbezüglich ist auch zu berücksichtigen, dass die Großmutter der Nebenklägerin während der ergänzenden Vernehmung auf Wunsch des Mädchens hin direkt neben ihr Platz genommen hat, was im Falle eines Ausschlusses der Öffentlichkeit gerade nicht ohne Weiteres möglich gewesen wäre.
335
cc) Keine Aussagen der Geschädigten im Rahmen der psychiatrischen Behandlung in der Praxis T. Gegen die Richtigkeit der Angaben von F. spricht auch nicht, dass sich diese im Jahr 2017 nicht dem sie behandelnden Psychiater Dr. T. bzw. der Zeugin F3. anvertraut hat. Die Nebenklägerin war zu diesem Zeitpunkt aus Sicht der Kammer noch nicht bereit, über die Vorfälle mit dem Angeklagten zu sprechen. Vielmehr führte erst die Eskalation der sexuellen Handlungen in der Vergewaltigung am 22./23.07.2017 dazu, dass sie sich ihrer Mutter bzw. ihrem Großvater anvertraute, jedoch auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage war, mit der Polizei über die Taten zu sprechen. Die Zeugen T. und F3. haben F. bzw. deren Mutter in den Gesprächen auch nicht explizit dazu befragt, ob möglicherweise ein sexueller Missbrauch stattfindet. Für die Kammer ist es vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte als Partner der M. K. im selben Haushalt wie die Nebenklägerin lebte und zudem der leibliche Vater ihres kleinen Bruders ist, trotz möglicher Eifersucht auf das jüngere Geschwister, auch durchaus nachvollziehbar, dass sich F. nicht bereits früher ihrer Mutter anvertraut hat.
336
dd) Kein die Taten verhinderndes Verhalten der Nebenklägerin Der Umstand, dass F. keine Maßnahmen ergriffen hat, um weitere Taten durch den Angeklagten zu verhindern, gibt ebenfalls keinen Anlass am Wahrheitsgehalt und Erlebnisbezug ihrer Angaben zu zweifeln. Vielmehr ist auch diese Reaktion aus Sicht der Kammer aufgrund der familiären Situation und dem Umstand, dass die zu den Tatzeitpunkten fast 11 bzw. 12 Jahre alte Nebenklägerin gerade nicht wissen konnte, wie der wesentlich ältere und ihr körperlich eindeutig überlegene Angeklagte beispielsweise auf ein Schreien oder starke Gegenwehr reagieren würde, durchaus nachvollziehbar. Zudem hat F. teilweise durchaus versucht, den Angeklagten von seinem Vorhaben abzubringen, indem sie ihn in manchen Nächten ansprach und signalisierte, dass sie wach sei, was den Angeklagten jeweils dazu veranlasste ihr Zimmer wieder zu verlassen. Die Nebenklägerin erläuterte in der Hauptverhandlung, dass sie sich dies nicht jedes Mal getraut habe, was für die Kammer aufgrund der vorstehend geschilderten Überlegenheit des Angeklagten, der mit ihr in einem Haushalt lebte, mehr als verständlich ist.
338
In einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ist in besonderem Maße eine Gesamtwürdigung aller Indizien geboten (BGH, Beschluss vom 19.08.2008, Az. 5 StR 259/08). Bei nochmaliger Berücksichtigung und Würdigung sämtlicher Umstände, die für und gegen die Glaubhaftigkeit der gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe durch die Nebenklägerin F. K. sprechen, ist die Kammer von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt. Neben der Aussagegenese und -konstanz war insbesondere die Fülle an verschiedenen Realkennzeichen ausschlaggebend für die Kammer, die Angaben der Nebenklägerin als erlebnisbasiert einzustufen. Gerade aufgrund der hohen Qualität der Aussage schließt die Kammer aus, dass sich das Mädchen die Vorwürfe lediglich ausgedacht haben könnte oder dass ihr diese von dritter Seite eingegeben worden sein könnten. Vielmehr ist die Kammer davon überzeugt, dass die Nebenklägerin mit ihrem Alters- und Wissensstand nicht in der Lage gewesen ist, eine derart komplexe und detailreiche Aussage zu konstruieren und diese im Rahmen mehrerer Vernehmungssituationen mit der vorliegenden Konstanz und Widerspruchsfreiheit aufrecht zu erhalten. Zweifel an der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin bestehen für die Kammer nicht.
339
Für die Kammer war es zudem von wesentlicher Bedeutung, dass die Angaben F.s zudem durch die insoweit glaubhaften Schilderungen der Zeugen M. und J. K. bezüglich des Verhaltens und der Äußerungen des Angeklagten im Rahmen der Konfrontation mit den Vorwürfen am 23.07.2017 gestützt werden.
340
Im Ergebnis gelangte die Kammer zu der Überzeugung, dass keine Zweifel daran bestehen, dass der Angeklagte die Taten so begangen hat, wie unter Ziffer C. II. festgehalten ist.
341
3. Feststellungen zur zeitlichen und örtlichen Einordnung der Taten und zur Mindestanzahl Im Hinblick auf die zeitliche Einordnung der Taten ist die Kammer, wie bereits ausgeführt, davon überzeugt, dass sich die Taten unter C. II. 1. und 2. in den Pfingstferien 2016 ereignet haben, eine auf der Hinfahrt in den Urlaub und zwei weitere Vorfälle während der Zeit am Gardasee. Im Hinblick auf die Fälle im Wohnwagen gibt F. ab der ermittlungsrichterlichen Vernehmung an, es habe sich um zwei bis drei bzw. mehrere Vorfälle gehandelt. Die Kammer ist aufgrund dieser Angaben der Nebenklägerin der Überzeugung, dass es sich nicht nur um lediglich einen Vorfall im Wohnwagen gehandelt hat, hat diesbezüglich aber zugunsten des Angeklagten nur die Mindestanzahl mehrerer Vorfälle, nämlich zwei, angenommen.
342
Die Kammer geht davon aus, dass sich die Tat im Auto auf italienischem Staatsgebiet ereignet hat, da F. in diesem Zusammenhang bei der Sachverständigen schilderte, sie hätten zu diesem Zeitpunkt bereits die Mautstelle auf der Autobahn, bei der man ein Ticket habe kaufen müssen, passiert gehabt.
343
Im Hinblick auf die unter C. II. 3. geschilderten Taten nach dem Gardasee-Urlaub geht die Kammer davon aus, dass diese zu jedenfalls fünf nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten zwischen Ende September 2016 und dem 22./23.07.2017 stattgefunden haben. Der Angeklagte gab an, die Großmutter von F. sei in den Sommerferien 2016 gestorben, F. habe seines Wissens nach im September davon erfahren. Bei der Sachverständigen gab F. an, der Angeklagte habe sie nach dem Tod ihrer Großmutter vielleicht 3-4 Wochen in Ruhe gelassen. Die Kammer geht vor diesem Hintergrund zugunsten des Angeklagten davon aus, dass dieser erst ab Ende September wieder damit begonnen hat, F. nachts in ihrem Kinderzimmer aufzusuchen.
344
Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte in mindestens fünf Fällen die unter C. II. 3. geschilderten Handlungen an F. vorgenommen hat. In der polizeilichen Vernehmung spricht F. von zehn Fällen nach dem Urlaub, in welchen der Angeklagte sicher jeweils mit seinem Finger eingedrungen sei, in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung von sechs bis sieben solchen Fällen. Würde man davon ausgehen, dass der Angeklagte F. tatsächlich jedes zweite Wochenende, wenn sie nicht bei ihrem leiblichen Vater übernachtete, ab Ende September in ihrem Zimmer aufgesucht hat, käme man rein rechnerisch auf deutlich über 10 Vorfälle. Eine derartige Schätzung hat die Kammer vorliegend gerade nicht vorgenommen, sondern folgt im Hinblick auf die Anzahl der Übergriffe nach dem Gardaseeurlaub den Angaben der Nebenklägerin. Aufgrund des Umstandes, dass Häufigkeitsangaben, wie bereits dargelegt, gedächtnispsychologischen Schwankungen unterliegen können, hat die Kammer von der durch F. geschilderten Mindestanzahl (sechs bis sieben Fälle) aber einen Sicherheitsabschlag vorgenommen und geht zugunsten des Angeklagten daher von mindestens fünf Fällen aus. Eine noch nähere Konkretisierung dieser fünf Fälle nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensablauf war der Kammer nicht möglich, weil nach den Angaben der Nebenklägerin die nächtlichen Situationen mit dem Angeklagten in gleichförmiger Art und Weise verlaufen sind.
345
4. Feststellungen zur Dauer der Vorfälle unter C. II. 2 und C. II 3.
346
Die Kammer hat im Hinblick auf die beiden Vorfälle unter C. II. 2. (Wohnwagen) zugunsten des Angeklagten nur eine kurze Dauer des Berührens im Genitalbereich angenommen, weil die Geschädigte hierzu in ihren Vernehmungen keine expliziten Angaben machte. Bezüglich der Vorfälle unter C. II. 3. (Eindringen mit dem Finger im Kinderzimmer) hat die Nebenklägerin angegeben, dass die Vorfälle jeweils zwischen 30 und 45 Minuten gedauert hätten. Die Kammer ist hierbei zugunsten des Angeklagten von einer Vorfallsdauer von je 30 Minuten ausgegangen.
347
5. Feststellungen zum Nachtatgeschehen
348
Die Feststellungen zum Nachtatgeschehen beruhen auf den Angaben der vernommenen erstermittelnden Polizeibeamten PHK D. und KHK H. und den Aussagen der Nebenklägerin sowie der Zeugen M. und J. K., von deren Glaubhaftigkeit die Kammer auch insoweit, aus den oben genannten Gründen, überzeugt ist.
349
6. Feststellungen zu den Auswirkungen der Taten auf die Geschädigte und ihre Familie Die Feststellungen zu den Auswirkungen der Taten auf die Geschädigte F. K. und ihre Familie beruhen auf der Aussage der Geschädigten in der Hauptverhandlung sowie den Aussagen der Zeugen M. K., C. L. und B..
350
F. gab in der Hauptverhandlung an, sie habe angefangen, sich zu ritzen und oft geweint, als das alles mit dem Angeklagten angefangen habe. Sie habe Angst, dass so etwas wieder passiere. Sie müsse weiterhin oft an die Vorfälle denken.
351
Die Zeugin M. K. schilderte der Kammer glaubhaft, F. habe in ihrem alten Kinderzimmer im Dachgeschoss nach Aufkommen der Vorfälle nicht mehr schlafen wollen. Sie sei zuerst in ein anderes Zimmer umgezogen, da sie im alten Zimmer zu oft an die Taten erinnert worden sei, was sie sehr mitgenommen habe. Das Ritzen sei Mitte 2016 losgegangen. Der Körper ihrer Tochter würde viele Narben aufweisen. F. sei damals bei einem Nachbarn, der pensionierter Lehrer sei, zur Mathe-Nachhilfe gewesen. Dieser habe sie als gute Schülerin eingeschätzt. In der Schule habe dann F. leere Blätter abgegeben und habe im Unterricht abwesend gewirkt. Die Lehrer hätten deswegen regelmäßig bei ihr angerufen. Eine Freundin habe ihr dann die Praxis Dr. T. empfohlen.
352
C. L. gab in der Hauptverhandlung an, sie sei zusammen mit F. auf der M. W. Schule gewesen. F. habe sich während dieser Zeit selbst verletzt, sie wisse nur nicht mehr genau ab wann. Sie habe zur selben Zeit dann auch vieler 4er und 5er geschrieben.
353
Die Kinder- und Psychotherapeutin B. schilderte der Kammer, die Hauptverhandlung sei für F. sehr belastend, sie habe bereits mehrere Tage vorher nicht mehr schlafen können und habe sich in einem hohen Erregungszustand befunden.
354
Die Kammer ist der Überzeugung, dass die selbstverletzenden Handlungen und schulischen Probleme F.s durch die Taten des Angeklagten begonnen haben. Diese traten erstmals in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit den Übergriffen im Jahr 2016 auf und waren aus Sicht der Kammer der Anlass für das damalige Ritzen. Die Kammer konnte sich, wie bereits dargelegt, aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung aber nicht ohne vernünftige Zweifel davon überzeugen, dass F. an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die erstmals Mitte 2019 nur durch den Zeugen B2. diagnostiziert wurde. Jedenfalls steht aber sicher fest, dass eine solche nicht kausal auf den Taten des Angeklagten beruhen würde.
355
7. Feststellungen zum subjektiven Tatbestand:
356
Es steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Angeklagte zu den jeweiligen Tatzeitpunkten wusste, dass F. noch unter 14 Jahre alt war.
357
Nach seiner Einlassung lebte der Angeklagte jahrelang mit dem Mädchen zusammen, und war insbesondere in ihre schulische Ausbildung eingebunden, sodass er Kenntnis davon hatte, welche Jahrgangsstufe F. besucht hatte. Auch gab die Zeugin M. K. in der Hauptverhandlung glaubhaft an, dass der Angeklagte an der Feier zum 12. Geburtstag von F. am 29.06.2017 teilgenommen hatte. Dem Angeklagten war zur Überzeugung der Kammer bewusst, dass zwischen ihm und F. ein Schutzbefohlenen-Verhältnis bestand, weil die beiden seit Jahren zusammenlebten und er sich nach seinen eigenen Angaben wie ein Vater um das Mädchen kümmerte.
358
Zur Überzeugung der Kammer ging der Angeklagte bei den Vorfällen C.II.1-3 jeweils davon aus, dass F. schlief. Dies verdeutlichen insbesondere seine mehrmaligen Nachfragen am Frühstückstisch, ob sie gut geschlafen hätte, was der Angeklagte nach ihren Schilderungen jeweils nur am Morgen nach den Vorfällen fragte. Nach den Angaben F.s verließ der Angeklagte ihr Zimmer, wenn sie das Licht anmachte. Zu Übergriffen sei es nur gekommen, wenn sie sich schlafend gestellt habe. Die Kammer ist daher der Überzeugung, dass der Angeklagte seine sexuellen Handlungen an dem Mädchen nur dann vorgenommen hat, wenn er sicher war, dass diese schlief. Einzige Ausnahme hierzu stellt der letzte Vorfall vom 22./23.07.2017 dar, wo der Alkoholkonsum des Angeklagten, wie nachfolgend dargestellt, diesen jedenfalls so weit enthemmte, dass es ihm gleichgültig war, ob F. die Handlungen mitbekommt.
359
Dass dem Angeklagten bewusst war, dass der Geschlechtsverkehr im Fall C.II. 4 gegen den Willen der Geschädigten passierte und er ihren Widerstand mit nicht unerheblichem Kraftaufwand überwinden musste, ergibt sich für die Kammer aus den Schilderungen der Nebenklägerin. Diese gab insbesondere an, sie habe ihre Beine so fest zusammengedrückt, wie sie konnte. Der Angeklagte sei jedoch stärker gewesen.
360
8. Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten
361
Der Angeklagte war zu den Tatzeitpunkten weder in seiner Steuerungsfähigkeit noch in seiner Einsichtsfähigkeit eingeschränkt noch waren diese aufgehoben. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen F2., denen sich die Kammer nach eigener Prüfung anschließt.
362
Die Sachverständige ist im mündlichen Gutachten in der Hauptverhandlung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte psychisch gesund sei, insbesondere eine Paraphilie nach der ICD 10-Klassifikation bei diesem nicht vorliege.
363
Ebenso führte die Sachverständige in der Hauptverhandlung aus, dass auch eine etwaige Alkoholisierung des Angeklagten jedenfalls nicht in einem solchen Maße vorgelegen habe, dass er in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei.
364
Hinsichtlich der Tat unter Ziffer C. II. 1. ergab die Hauptverhandlung, dass der Angeklagte gänzlich nüchtern war. So war er auf der Urlaubsreise an den Gardasee der Fahrer. Die Zeugin M. K., deren Aussage die Kammer für glaubhaft hält, gab an, dass er beim Autofahren nie getrunken habe.
365
Hinsichtlich der Taten unter Ziffer C. II. 2. (Vorfälle im Wohnwagen) ergab die Hauptverhandlung zur Überzeugung der Kammer, dass der Angeklagte jedenfalls nicht so stark alkoholisiert war, dass seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit vermindert oder ausgeschlossen gewesen wäre. Insoweit schließt sich die Kammer nach eigener kritischer Überprüfung den ausführlichen und nachvollziehbaren Angaben der psychiatrischen Sachverständigen F2. an.
366
So hat die Zeugin M. K. berichtet, dass sie in diesem Urlaub abends nicht viel getrunken hätten. Andere Berichte zu einer schweren Alkoholisierung zu diesen Tatzeitpunkten hat die Hauptverhandlung nicht ergeben. Nach den Erläuterungen der Sachverständigen F2. hätte der Angeklagte in der Situation im Wohnwagen, in dem auch M. K. und der kleine Bruder A. zu dem Zeitpunkt schliefen, leicht entdeckt werden können. Daher habe er in dieser Situation vorsichtig vorgehen müssen. Aus ihrer Sicht wäre ihm dies bei einem schweren Rausch nicht möglich gewesen.
367
In der Hauptverhandlung wurden durch die Kammer Lichtbilder eines baugleichen Wohnwagens (Bl. 284 bis 293 d. A.) in Augenschein genommen, auf denen das Stockbett, die Schiebetür, der Gang in der Mitte mit einer Küchenzeile sowie gegenüberliegend eine Sitzecke mit kleinem Tisch und anschließend im hinteren Bereich ein größerer Elternschlafbereich abgebildet sind. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf diese Lichtbilder verwiesen. Die Kammer ist durch die Inaugenscheinnahme der Bilder zur Überzeugung gekommen, dass die Verhältnisse im Wohnwagen beengt waren, und hält daher nach kritischer Überprüfung die entsprechenden Ausführungen der Sachverständigen für überzeugend.
368
c) C. II. 3. und C. II. 4. aa) Hinsichtlich der Taten unter Ziffer C. II. 3. ist die Kammer davon überzeugt, dass der Angeklagte teilweise zum Zeitpunkt der Taten alkoholisiert war, jedoch war nicht mehr feststellbar, bei welchen Taten dies konkret der Fall war.
369
Die Feststellungen zur teilweisen Alkoholisierung des Angeklagten zu manchen Tatzeitpunkten beruhen auf der Aussage der Zeugin F. K.. Diese gab in der ergänzenden Vernehmung in der Hauptverhandlung an, dass sie beim Angeklagten manchmal eine Fahne gerochen habe, dies aber nicht jedes Mal. Sie könne nicht einschätzen, wie stark er alkoholisiert war.
370
bb) Hinsichtlich der Tat unter C. II. 4. in der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 ist die Kammer davon überzeugt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt alkoholisiert war.
371
Die Feststellung, dass der Angeklagte alkoholisiert war, beruht auf seiner eigenen Einlassung sowie den Aussagen der Zeuginnen M. und F. K. in der Hauptverhandlung, welche diese insoweit bestätigen. Der Angeklagte gab in der Hauptverhandlung an, er habe am Abend des 22.07.2017 eine Feier mit Motorradfreunden besucht, wo er Alkohol konsumiert habe. Er sei nach Hause gegangen, als ihm schlecht gewesen sei und er gemerkt habe, dass er genug hatte. Die Zeugin M. K. sagte in der Hauptverhandlung aus, dass sich der Angeklagte nach der Motorradtour am 22.07.2017 bei dieser Feier betrunken habe. Die Zeugin F. K. berichtete in der ermittlungsrichterlichen Vernehmung, dass sie beim Angeklagten in dieser Nacht ein bisschen Alkohol gerochen hätte.
372
cc) Der Angeklagte war zur Überzeugung der Kammer jedoch weder bei den Taten unter C. II. 3. noch bei der letzten Tat unter C. II. 4. trotz der Alkoholisierung in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Ein hinreichend starker Rausch konnte aus Sicht der Kammer beim Angeklagten auch hier wiederum nicht festgestellt werden. Dies beruht wiederum auf dem nachvollziehbaren und überzeugenden mündlichen Gutachten der Sachverständigen F2..
373
Die Sachverständige führte aus, F.s Kinderzimmer sei nur über eine enge und steile Treppe zugänglich gewesen. Es sei schwierig, diese Treppe in einem so schweren Rauschzustand, in welchem die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt wäre, zu bewältigen. Zudem habe sich der Angeklagte dabei so leise verhalten müssen, dass M. K. nichts mitbekam. F. habe zwar angegeben, bei manchen Taten einen Alkoholgeruch wahrgenommen zu haben, ein Schwanken, Lallen oder ähnliche Ausfallerscheinungen habe sie aber nicht geschildert. Beim letzten Tatvorwurf in der Nacht vom 22.07. auf den 23.07.2017 sei der Tat auch eine gewisse Vorbereitung vorangegangen. So habe der Angeklagte F. ausziehen und ihr den Tampon herausziehen müssen. Die Sachverständige F2. kam daher zu dem Ergebnis, dass diese Gesamtkonstellation gegen einen starken Rausch im Sinne der §§ 20, 21 StGB spreche. Jedoch habe der Alkoholkonsum insofern konstellativ eine Rolle gespielt, als er die Hemmschwelle des Angeklagten herabgesetzt habe. Die Kammer nahm in der Hauptverhandlung Lichtbilder vom ehemaligen Kinderzimmer der F. K. und der Zugangstreppe (Bl. 295 bis 297 d. A.) in Augenschein. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf diese Lichtbilder verwiesen. Auf den Lichtbildern ist erkennbar, dass die steile Treppe beinahe wie eine Leiter nach oben ins Dachgeschoss führte. Auch sind die Treppenstufen nach unten hin offen und abwechselnd breit. Die Kammer ist daher nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass diese Treppe in einem schweren Rauschzustand, der zu einer Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit führen würde, für den Angeklagten nicht zu bewältigen gewesen wäre. Unter Berücksichtigung der weiteren Aspekte, welche die Sachverständige aufgeführt hat, kommt die Kammer daher zu dem Ergebnis, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seines Alkoholisierung zu keinem Tatzeitpunkt erheblich vermindert oder aufgehoben war.
374
E. Rechtliche Würdigung
375
I. Taten unter Ziffer C. II. 1. und 2.
376
Durch die Taten unter C. II. 1. und 2. hat sich der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei selbstständigen Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Übergriff mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß §§ 174 Abs. 1 Nr. 3 (in der Fassung gültig seit 27.01.2015), 176 Abs. 1 StGB (in der Fassung gültig seit 27.01.2015 bis zum 12.03.2020), 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, 22, 23 Abs. 1 (in der Fassung gültig seit 10.11.2016), 52, 53 StGB strafbar gemacht.
377
Im Hinblick auf § 177 StGB hat aus Sicht der Kammer die Fassung gültig seit 10.11.2016 zur Anwendung zu kommen. Zwar haben sich die Taten unter C II. 1 und 2. vor dem 10.11.2016 abgespielt, der damalige § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB sah jedoch für den (versuchten) sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Da die Kammer, wie unten dargestellt, nicht vom Vorliegen besonders schwerer Fälle ausgeht, ist der Strafrahmen der neuen Fassung des § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 StGB (sechs Monate bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe) günstiger für den Angeklagten, so dass diese Fassung wegen § 2 Abs. 3 StGB anzuführen ist.
378
Hinsichtlich dieser auf italienischem Staatsgebiet verwirklichten Taten kommt gemäß § 5 Nr. 8 StGB deutsches Strafrecht zur Anwendung.
379
Der Angeklagte ist vom Versuch des sexuellen Übergriffs jeweils nicht strafbefreiend zurückgetreten nach § 24 StGB. Der Angeklagte führte die Berührungen an F. K. in tatsächlicher Hinsicht vollständig durch. Es handelte sich jeweils um einen untauglichen Versuch, da nach der Vorstellung des Angeklagten F. K. während der gesamten Taten schlief, sie aber jeweils tatsächlich sofort durch die ersten Berührungen erwachte und sich dann nur noch schlafend stellte.
380
II. Taten unter Ziffer C. II. 3.
381
Durch die Taten unter C. II. 3. hat sich der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf selbstständigen Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung und mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß §§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB (in der Fassung gültig seit 27.01.2015), 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (in der Fassung gültig seit 27.01.2015 bis zum 12.03.2020), 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 (in der Fassung gültig seit 10.11.2016), 22, 23 Abs. 1, 52, 53 StGB strafbar gemacht.
382
Im Hinblick auf § 177 StGB ist die Kammer wiederum davon ausgegangen, dass auch hier die seit dem 10.11.2016 geltende Fassung der Norm anstatt des alten § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB Anwendung finden muss, obwohl sich ein Teil der Taten aus Sicht der Kammer bereits vor diesem Zeitpunkt, nämlich seit Ende September 2016, abgespielt hat. § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB stellt im Gegensatz zum alten Verbrechenstatbestand des § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB jedoch nur einen Vergehenstatbestand (in Kombination mit dem aus Sicht der Kammer verwirklichten, aber nach § 12 Abs. 3 StGB für diese Einstufung unbeachtlichem Regelbeispiel) dar und ist damit als für den Angeklagten günstigere Norm anzuführen.
383
Hinsichtlich §§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB liegen wiederum nur (beendete) untaugliche Versuche in fünf selbstständigen Fällen vor, da in der Vorstellung des Angeklagten die Geschädigte F. K. zu den Tatzeitpunkt jeweils schlief, diese aber tatsächlich wach war und sich nur schlafend stellte, als Angeklagte die festgestellten Tathandlungen vornahm. Von diesen Versuchen ist der Angeklagte jeweils nicht gemäß § 24 StGB strafbefreiend zurückgetreten, da er die Tathandlungen vollständig durchführte.
384
III. Tat unter Ziffer C. II. 4.
385
Durch die Tat unter Ziffer C. II. 4. hat sich der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß §§ 174 Abs. 1 Nr. 3 (in der Fassung gültig seit 27.01.2015), 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (in der Fassung gültig seit 27.01.2015 bis zum 12.03.2020), 177 Abs. 5, Abs. 6 S. 2 Nr. 1 (in der Fassung gültig seit 10.11.2016), 52 StGB strafbar gemacht.
386
Der Angeklagte hat als Person über 18 Jahren mit der Geschädigten, die zum Tatzeitpunkt in der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 unter 14 Jahre alt war, den Beischlaf vollzogen. Die Tat ist nicht nur im Versuchsstadium verblieben. So drang der Angeklagte mit seinem erigierten Penis in das Innere der Scheide der Geschädigten F. K. ein, auch wenn es ihm nicht gelang, vollständig mit dem Glied einzudringen. Bereits ein Kontakt des männlichen Gliedes mit dem Scheidenvorhof ist ausreichend, ein vollständiges Eindringen des Gliedes in die Scheide ist gerade keine Voraussetzung für den Vollzug des Beischlafs (BGH, Beschluss vom 27.03.2014, 1 StR 106/14).
387
Tateinheitlich hat der Angeklagte den Tatbestand des § 177 Abs. 5 StGB verwirklicht. Er wendete gegenüber der Geschädigten Gewalt an, indem er ihre Beine, die sie so fest, wie es ihr möglich war, zusammenpresste, mit Kraftaufwand auseinanderdrückte. Dabei hat er auch die Voraussetzungen des Regelbeispiel des § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB erfüllt, indem er mit seinem erigierten Glied über den Scheidenvorhof hinweg in die Geschädigte eindrang.
388
Hinsichtlich des ebenfalls mitverwirklichten Tatbestands der vorsätzlichen Körperverletzung gemäß § 223 StGB besteht ein Verfahrenshindernis, da nicht gemäß § 230 StGB Strafantrag gestellt wurde und die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht bejaht hat.
389
IV. Schutzbefohleneneigenschaft der Nebenklägerin
390
F. K. stellte aus Sicht der Kammer während aller Taten eine Schutzbefohlene des Angeklagten im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, da es sich beim Angeklagten um den damaligen Lebenspartner ihrer Mutter handelte, mit dem sie bereits seit mehreren Jahren zusammen in einem Haushalt lebte, wobei sich der Angeklagte um F. wie eine Tochter kümmerte.
I. Strafzumessung im Allgemeinen
392
Vorbehaltlich der nachfolgend dargestellten Besonderheiten liegen diverse Strafzumessungskriterien vor, die bei allen Taten identisch sind, sodass die Kammer diese vor die Klammer ziehen kann.
393
So hat die Kammer bei allen Taten (Ziffer C. II. 1 bis 4) jeweils zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser nicht vorbestraft ist. Strafmildernd wurde zudem jeweils gewertet, dass sich der Angeklagte in dieser Sache seit dem 11.01.2021 erstmals in Untersuchungshaft befindet, aus gefestigten sozialen Verhältnissen stammt und daher eine besonders hohe Haftempfindlichkeit - noch verstärkt durch die sich aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie ergebenden Einschränkungen - hat. Zudem ist zu seinen Gunsten zu sehen, dass der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Verurteilung seine langjährige und sichere Arbeitsstelle verlieren wird. Auch ist positiv werten, dass sämtliche Taten, die sich in den Jahren 2016 und 2017 ereigneten, bereits längere Zeit zurückliegen.
1. Taten unter Ziffer C. II. 1. und 2. a) Strafrahmen
395
Für jede der drei Einzelstrafen ist der Strafrahmen bei tateinheitlicher Verwirklichung mehrerer Tatbestände nach § 52 StGB dem Tatbestand mit der höchsten Strafdrohung und somit jeweils dem § 176 Abs. 1 StGB in der Fassung gültig seit 27.01.2015 bis zum 12.03.2020 zu entnehmen. Dieser sieht für den sexuellen Missbrauch von Kindern eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor.
396
Einen besonders schweren Fall nach § 176 Abs. 3 StGB in der Fassung gültig seit 27.01.2015 bis zum 12.03.2020 hat die Kammer unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte bei keiner der drei Taten unter Ziffer C. II. 1. und 2. angenommen.
397
Die Annahme eines besonders schweren Falles gemäß § 176 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass sich der Fall nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt vorkommender Fälle so abhebt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 46 Rn. 88).
398
Neben den zugunsten des Angeklagten berücksichtigten Punkten unter Ziffer F. I. spricht für den Angeklagten, dass sich die hier vorliegenden sexuellen Handlungen im Vergleich zur Bandbreite möglicher Tathandlungen eher im mittleren Bereich strafbaren Verhaltens bewegen. So drang der Angeklagte bei keiner der drei Taten in die Geschädigte ein. Die Vorfälle dauerten jeweils nicht länger als 10 Minuten.
399
Zu Lasten des Angeklagten hat die Kammer jeweils gewertet, dass er bei den Taten unter Ziffer C. II. 1. und 2. die Geschädigte jeweils nicht nur oberhalb der Kleidung, sondern im nackten Intimbereich berührt hat. Auch hat die Kammer jeweils strafschärfend berücksichtigt, dass er bei jeder der drei Taten tateinheitlich auch den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht hat, indem er das Vertrauensverhältnis missbrauchte, das er zur Geschädigten als Stiefvater hatte. Auch ist negativ zu werten, dass tateinheitlich jeweils der Tatbestand des versuchten sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB mitverwirklicht wurde. Dabei hat die Kammer jedoch wiederum zu seinen Gunsten gesehen, dass der sexuelle Übergriff nach § 177 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 StGB im Versuchsstadium verblieben ist, da der Angeklagte in seiner Vorstellung ein schlafendes Kind missbrauchte, die Geschädigte in allen Fällen aber tatsächlich wach war. Dabei konnte die Kammer den Rechtsgedanken des § 23 Abs. 3 StGB nicht zugunsten des Angeklagten berücksichtigen, da die Voraussetzungen für einen grob unverständigen Versuch hier nicht vorliegen.
400
Bei einer Gesamtbetrachtung all dieser Umstände, welche für die Wertung der jeweiligen Tat und der Person des Angeklagten in Betracht kommen, weicht das Bild der Taten unter Ziffer C. II. 1. und 2. vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle nicht so sehr ab, dass die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle geboten erscheint.
401
Sonstige Strafrahmenverschiebungen sind nicht ersichtlich.
402
b) Konkrete Strafzumessung
403
Innerhalb des somit eröffneten Strafrahmens von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe hält die Kammer unter nochmaliger Abwägung aller angeführten für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände für die Taten unter Ziffer C. II. 1. und 2. jeweils eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten für tat- und schuldangemessen.
404
2. Taten unter Ziffer C. II. 3. a) Strafrahmen
405
Für jede der fünf Einzelstrafen ist der Strafrahmen bei tateinheitlicher Verwirklichung mehrerer Tatbestände nach § 52 StGB dem Tatbestand mit der höchsten Strafdrohung und somit jeweils dem § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in der Fassung gültig seit 27.01.2015 bis zum 12.03.2020 zu entnehmen. Dieser sieht für den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe vor.
406
Unter einer Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte hat die Kammer bei keiner der fünf Einzeltaten einen minder schweren Fall nach § 176a Abs. 4 Hs. 2 StGB angenommen.
407
Ein minder schwerer Fall ist dann anzunehmen, wenn bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder folgen, die mildernden Faktoren beträchtlich überwiegen (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 46 Rn. 85).
408
Für den Angeklagten spricht neben den zugunsten zu wertenden Gesichtspunkten unter Ziffer F. I. auch, dass er in allen fünf Fällen der Ziffer C. II. 3. nicht mit dem Glied, sondern jeweils nur mit dem Finger eingedrungen ist, wobei auch positiv zu seinen Gunsten zu sehen ist, dass die Hauptverhandlung nicht ergab, dass der Angeklagte jeweils mit seinem gesamten Finger eingedrungen wäre.
409
Jedoch ist zu seinen Lasten zu werten, dass er in allen fünf Fällen der Geschädigten sowohl an die nackte Brust als auch an den nackten Intimbereich fasste. Auch ist strafschärfend zu berücksichtigen, dass der Angeklagte jeweils tateinheitlich eine versuchte Vergewaltigung im Sinne einer beischlafähnlichen Handlung nach § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 6 S. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB sowie einen sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB begangen hat. Dabei hat die Kammer jedoch wiederum zu seinen Gunsten gesehen, dass die Vergewaltigung im Versuchsstadium verblieben ist, da der Angeklagte in seiner Vorstellung ein schlafendes Kind missbrauchte, die Geschädigte in allen Fällen aber tatsächlich wach war. Dabei konnte die Kammer den Rechtsgedanken des § 23 Abs. 3 StGB nicht zugunsten des Angeklagten berücksichtigen, da die Voraussetzungen für einen grob unverständigen Versuch auch hier nicht vorliegen.
410
Nach einer Abwägung all dieser Umstände ist ein beträchtliches Überwiegen der mildernden Faktoren nicht feststellbar.
411
Sonstige Strafrahmenverschiebungen sind nicht ersichtlich.
412
b) Konkrete Strafzumessung
413
Innerhalb des somit eröffneten Strafrahmens von zwei Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe hält die Kammer unter nochmaliger Abwägung aller angeführten für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände für die fünf Taten unter Ziffer C. II. 3. jeweils eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten für tat- und schuldangemessen.
414
3. Tat unter Ziffer C. II. 4. a) Strafrahmen
415
Der Strafrahmen für die letzte Tat in der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 ist wiederum § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in der Fassung gültig seit 27.01.2015 bis zum 12.03.2020 zu entnehmen. Dieser sieht, wie bereits dargestellt, einen Strafrahmen von zwei Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe vor. Unter einer Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte hat die Kammer auch hier keinen minder schweren Fall nach § 176a Abs. 4 Hs. 2 StGB angenommen.
416
Ein minder schwerer Fall ist dann anzunehmen, wenn in einer Gesamtwürdigung aller Umständen, die für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder folgen, die mildernden Faktoren beträchtlich überwiegen (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 46 Rn. 85).
417
Zugunsten des Angeklagten sind die bereits unter Ziffer F. I. benannten Umstände zu sehen. Zudem hat die Kammer strafmildernd gewertet, dass der Angeklagten nicht vollständig in die Geschädigte eingedrungen ist, dass es nicht zum Samenerguss gekommen ist und dass er nach etwa 10 Minuten von selbst wieder von der Geschädigten abließ. Auch spricht für den Angeklagten, dass sich die von ihm ausgeübte Gewalt in Form des Auseinanderdrückens der Beine der Geschädigten vergleichsweise am unteren Rand einer möglichen Gewaltausübung bewegte.
418
Zu seinen Lasten hat die Kammer jedoch berücksichtigt, dass der Angeklagte tateinheitlich auch einen Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB begangen hat sowie einen sexuellen Übergriff nach § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB, wobei sogar das Regelbeispiel der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB vollendet wurde, indem er mit seinem erigierten Glied in die Scheide eindrang. Dabei hat die Kammer auch strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte kein Kondom benutzte.
419
Bei einer Gesamtabwägung überwiegen die mildernden Faktoren nicht so beträchtlich, dass ein minder schwerer Fall angenommen werden kann.
420
b) Konkrete Strafzumessung
421
Innerhalb des somit eröffneten Strafrahmens von zwei Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe hält die Kammer unter nochmaliger Abwägung aller angeführten für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände für die Tat unter Ziffer C. II. 4. eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten für tat- und schuldangemessen.
422
II. Gesamtstrafenbildung
423
Die Kammer hat aus den Einzelstrafen unter Erhöhung der Einsatzstrafe von fünf Jahren und neun Monaten bei Gesamtschau aller Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe nach §§ 53, 54 StGB gebildet und hierbei auch anhand der vorstehend genannten für und gegen den Angeklagten sprechenden Erwägungen die Person des Angeklagten, die einzelnen Straftaten und den situativen, motivatorischen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den Taten nochmals zusammenfassend gewürdigt.
424
Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung der Taten ist strafmildernd zu sehen, dass alle Taten zu Lasten derselben Geschädigten und zudem innerhalb einer Tatserie begangen wurden. Die Taten unter Ziffer C. II. 1. und 2. und unter Ziffer C. II. 3. sind jeweils gleichartig. Auch wurde bei allen Taten dasselbe Rechtsgut verletzt. Für den Angeklagten spricht zudem der räumliche Zusammenhang der Taten, die sämtlich entweder während des Urlaubs am Gardasee oder im Wohnhaus der Familie in O. begangen wurden.
425
Strafschärfend hat die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte mit einer Gesamtzahl von neun Taten eine nicht unerhebliche Anzahl von Taten begangen hat. Auch spricht gegen den Angeklagten, dass sich die Taten von Pfingsten 2016 bis 23.07.2017 und somit über einen Zeitraum von über einem Jahr erstreckten. Zudem waren die negativen Tatfolgen für die Geschädigte und ihre Mutter zu berücksichtigen. Nicht zu Lasten des Angeklagten wurde allerdings eine etwaige posttraumatische Belastungsstörung bei der Geschädigten F. K. gewertet, da vorliegend feststeht, dass eine solche nicht kausal auf den Taten des Angeklagten beruhen würde.
426
Unter nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte hält die Kammer eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren für tat- und schuldangemessen.
427
G. Keine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB war vorliegend nicht anzuordnen, da keine hinreichend konkreten Erfolgsaussichten gemäß § 64 S. 2 StGB bestehen.
429
Zwar besteht zur Überzeugung der Kammer beim Angeklagten ein Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen.
430
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Hang im Sinne des § 64 StGB eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen (BGH, Beschluss vom 06.11.2003, Az. 1 StR 451/03; BGH, Beschluss vom 19.04.2016, Az. 3 StR 566/15). Ein Hang ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Angeklagte aufgrund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (BGH, Beschluss vom 11.12.2018, Az. 3 StR 378/18). Nicht notwendig ist dagegen eine chronische körperliche Sucht, ein täglicher Konsum oder eine erhebliche Einschränkung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 64 Rn. 7a).
431
Der Angeklagte leidet nach dem überzeugenden Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen F2. nicht an einer Alkoholsucht, noch besteht bei ihm ein schädlicher Gebrauch von Alkohol im medizinischen Sinne.
432
Jedoch sieht die Kammer beim Angeklagten eine eingewurzelte, intensive Neigung, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Der Angeklagte trinkt regelmäßig mehrmals im Jahr auf Festen und gesellschaftlichen Zusammenkünften so viel, dass er betrunken ist. Zwar war der Angeklagte dadurch nie in seiner Berufstätigkeit beeinträchtigt und es ist ihm auch gelungen, unter der Arbeitswoche abstinent zu bleiben. Jedoch ist ein täglicher oder häufig wiederholter Konsum von Alkohol für das Vorliegen eines Hanges gerade nicht erforderlich, es genügt, wenn der Angeklagte von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit dem Hang folgt (BGH, Beschluss vom 20.12.2018, Az. 1 StR 600/18; BGH, Beschluss vom 07.01.2009, Az. 5 StR 586/08).
433
II. Symptomatischer Zusammenhang und Gefahr weiterer rechtswidriger Taten
434
Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass zumindest zwischen der Tat unter Ziffer C. II. 4. und dem Hang des Angeklagten ein symptomatischer Zusammenhang besteht.
435
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein symptomatischer Zusammenhang vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist. Der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang und der Tat und der zukünftigen Gefährlichkeit kann auch dann vorliegen, wenn ein evident gewordener Hang lediglich Einfluss auf die Qualität der bisherigen Straftaten hatte und ihm ein solcher Einfluss auch auf die künftigen zu befürchtenden Straftaten zukommen kann (BGH, Urteil vom 08.12.2016, Az. 1 StR 351/16). Auch reicht es beim Vorliegen mehrerer Taten aus, wenn nur ein Teil von ihnen auf den Hang zurückzuführen ist. (BGH, Urteil vom 27.06.2019, Az. 3 StR 443/18). Bei Sexualdelikten ist weiterhin zu beachten, dass es für die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs besonderer Anhaltspunkte bedarf (BGH, Beschluss vom 20.12.2018, 1 StR 600/18).
436
Diese sieht die Kammer im vorliegenden Verfahren als gegeben an. Die Kammer ist nach der durchgeführten Hauptverhandlung davon überzeugt, dass die Alkoholisierung des Angeklagten bei der Tat in der Nacht vom 22.07. auf den 23.07.2017 dazu führte, dass dieser so weit enthemmt war, dass er die Qualität der Schwere des Übergriffs auf F. K. im Vergleich zu den davor stattgefundenen Missbrauchstaten erheblich steigerte, indem er bei diesem Mal mit dem Mädchen den Beischlaf vollzog. Auch die Sachverständige F2. kam in ihrem psychiatrischen Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Alkoholkonsum in dieser Nacht zu einer gewissen Enthemmung geführt habe.
437
Zur Überzeugung der Kammer besteht die Gefahr, dass der Angeklagte auch in Zukunft durch Alkoholkonsum so enthemmt ist, dass er qualitativ erheblichere Sexualdelikte begeht. Nach den Ausführungen der Sachverständigen F2. handelte es sich vorliegend um eine sogenannte Inzest-Konstellation, bei welcher der Angeklagte im Zusammenhang mit den Partnerschaftskonflikten und Familienproblemen dysfunktional körperliche Nähe und Zuneigung zu seiner Stieftochter gesucht habe. Aus Sicht der Kammer besteht vorliegend durchaus die Gefahr, dass der Angeklagte in künftigen Beziehungen persönliche Probleme erneut über das „Ventil“ eines inzestuösen Verhaltens mit Kindern einer potentiellen neuen Partnerin kompensiert, jedenfalls wenn er durch den Genuss von Alkohol enthemmt ist.
438
IV. Fehlende Erfolgsaussichten einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt Jedoch war die Unterbringung des Angeklagten eine Entziehungsanstalt nicht anzuordnen, da vorliegend aus Sicht der Kammer keine hinreichend konkreten Erfolgsaussichten im Sinne des § 64 S. 2 StGB bestehen.
439
Die psychiatrische Sachverständige F2. führte in der Hauptverhandlung aus, dass sie die Erfolgsaussichten einer Behandlung nach § 64 StGB als schlecht einstufe. Durch eine Therapie in einer Entziehungsanstalt könnten weitere vergleichbare Taten nicht verhindert werden. Die Unterbringung würde ihrer Überzeugung nach alles nur noch schlimmer machen. Vorrangig müsste sich der Angeklagte zur Verhinderung von weiteren erheblichen rechtswidrigen Sexualdelikten vor dem Hintergrund der vorliegenden Inzest-Konstellation im Rahmen einer Therapie Copingmechanismen zur Bewältigung dieser Probleme aneignen.
440
Dies wäre aber bei einem Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt gerade nicht möglich. In der Regel würden Sexualstraftäter in einer Einrichtung nach § 64 StGB aus Eigenschutz die von ihnen begangenen Delikte verschweigen und tabuisieren. Durch solch ein Verhalten und ohne die Durchführung einer geeigneten Therapie, die über die Aufarbeitung des Alkoholkonsums hinausgeht, würde der Angeklagte nur in größere innere Konflikte gelangen. Seine Verhaltensweisen, die Ausdruck in den hier abgeurteilten Taten gefunden hätten, würden sich dadurch sogar noch verstärken. Auch käme eine Kombitherapie nicht in Betracht, da es in Entziehungsanstalten nach § 64 StGB keine therapeutischen Angebote für Sexualstraftäter gäbe.
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Die Kammer folgt nach kritischer Überprüfung den Ausführungen der Sachverständigen. In diesem Zusammenhang ist es zur Überzeugung der Kammer auch nicht von Belang, dass vorliegend in jedem Fall ein Vorwegvollzug eines Teils der ausgesprochenen Freiheitsstrafe vor Antritt des § 64 StGB in einer regulären Haftanstalt stattfinden würde, wo Therapien für Sexualstraftäter angeboten werden. Dass der Angeklagte eine solche Therapie aber auch tatsächlich absolvieren würde steht zum aktuellen Zeitpunkt, zu dem die Kammer aber ihre Prognoseentscheidung treffen muss, gerade nicht fest. Vielmehr ist derzeit nicht sicher zu erwarten, dass dieser sich im Rahmen des Vorwegvollzugs so weit mit seinen Taten auseinandersetzen würde, dass eine anschließende Therapie nach § 64 StGB seine Gefährlichkeit nicht erhöhen würde.
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Es ist aus Sicht der Kammer letztlich nicht zu verantworten, durch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Gefährlichkeit des Angeklagten im Hinblick auf die Begehung von Sexualdelikten zum Nachteil von Kindern sogar noch zu erhöhen.
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Der im Wege des Adhäsionsverfahrens gestellte Antrag auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, dessen Höhe das Ermessen des Gerichts gestellt wurde und in der Adhäsionsschrift in einer Größenordnung von 22.500,00 € beziffert wurde, ist zulässig.
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Die Voraussetzungen des Adhäsionsverfahrens (§ 403 StPO) liegen vor. Die Adhäsionsklägerin ist durch die verfahrensgegenständliche Tat des Angeklagten verletzt worden. Mit ihren Anträgen macht die Adhäsionsklägerin vermögensrechtliche Ansprüche geltend, welche gemäß § 13 GVG zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehören und auch noch nicht anderweitig gerichtlich anhängig gemacht worden sind.
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Die Antragsschrift vom 17.01.2021 genügt den formalen und inhaltlichen Anforderungen des § 404 StPO.
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Hinsichtlich des Feststellungsantrags in Ziffer 4. des Adhäsionsantrags ergibt sich das Feststellungsinteresse bereits aus § 850f Abs. 2 ZPO.
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II. Schmerzensgeldanspruch
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Der geltend gemachte Anspruch ist in Höhe eines Betrags von 21.000 € begründet.
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1. Anspruch dem Grunde nach Dem Grunde nach haftet der Angeklagte der Adhäsionsklägerin gegenüber für alle immateriellen Schäden infolge der hier abgeurteilten Taten aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 174 Abs. 1 Nr. 3 (in der Fassung gültig seit 27.01.2015), 176 Abs. 1, 176a Abs. 2 Nr. 1 (jeweils in der Fassung gültig seit 27.01.2015 bis zum 12.03.2020), 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 S. 2 Nr. 1 (in der Fassung gültig seit 10.11.2016), 22, 23 Abs. 1, 52, 53 StGB. Hinsichtlich der unter Ziffer C. II. 1. und 2. festgestellten Taten kommt jedenfalls nach Art. 4 Abs. 2 Rom-II-VO deutsches Recht zur Anwendung, da sowohl der Angeklagte als auch die Adhäsionsklägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.
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Nach den oben unter Ziffer C. II. getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte die Adhäsionsklägerin in einem Fall während der Urlaubsfahrt an den Gardasee sowie in zwei Fällen während des Urlaubs am Gardasee unter der Kleidung an der nackten Brust und im nackten Intimbereich berührt, ohne einzudringen, wobei er dachte, dass sie schläft, sie tatsächlich aber jeweils wach war. Ferner hat er in fünf Fällen im Kinderzimmer der Adhäsionsklägerin in O. dieser an die nackte Brust gegriffen, sie im nackten Intimbereich berührt und ist mit dem Finger in die Vagina eingedrungen, wobei er dachte, dass sie schläft, sie tatsächlich aber jeweils wach war.
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Des Weiteren drückte der Angeklagte in der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 im Kinderzimmer der Adhäsionsklägerin deren Beine gegen ihren Widerstand mit Kraftaufwand auseinander und drang mit seinem erigierten Glied in die Vagina der Adhäsionsklägerin ein. Dabei kannte der Angeklagte jeweils das Alter der Adhäsionsklägerin und war bereits seit 2012 als Stiefvater an der Erziehung der Adhäsionsklägerin beteiligt und lebte mit dieser und ihrer Mutter zusammen.
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Damit hat der Angeklagte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft gegen die aufgeführten Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstoßen.
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Die Haftung des Angeklagten ist auch nicht gemäß § 827 S. 1 BGB ausgeschlossen; denn der Angeklagte hat der Adhäsionsklägerin den Schaden nicht in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit zugefügt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Deliktsunfähigkeit nach § 827 S. 1 BGB entsprechen denen der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB. Die Sachverständige F2. hat bei ihrer Anhörung in der Hauptverhandlung eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit ebenso wie die vollständige Aufhebung der Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten sicher ausgeschlossen, insbesondere war der Angeklagte jeweils nicht so stark alkoholisiert, dass seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen wäre.
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2. Anspruch der Höhe nach Wegen der erlittenen Verletzungen kann die Adhäsionsklägerin gemäß § 253 Abs. 2 BGB eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles erscheint der Kammer insoweit ein Betrag von insgesamt 21.000,00 € angemessen.
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Durch das Schmerzensgeld soll der Verletzte einen Ausgleich für die erlittenen Schmerzen und Leiden erhalten. Er soll in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht worden ist. Daneben ist auch die grundsätzlich anzuerkennende Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes (BGH, Beschluss vom 06.07.1955, Großer Zivilsenat 1/55) zu berücksichtigen.
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Auch wenn beide Aspekte bei Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen sind, steht dem Geschädigten nur ein einheitlicher Anspruch zu, eine Aufspaltung in einen Betrag zum Ausgleich der immateriellen Schäden und einem solchen, der der Genugtuung dienen soll, findet nicht statt (BGH, Urteil vom 29.11.1994, Az. VI ZR 93/94).
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Im konkreten Fall hat die Kammer in die Ermessensentscheidung die für die Adhäsionsklägerin eingetretenen negativen Tatfolgen eingestellt. Auch war für die Bemessung des Schmerzensgeldes auf der einen Seite maßgeblich, dass der Angeklagte durch die Übergriffe die sexuelle Selbstbestimmung der Adhäsionsklägerin, die zu allen Tatzeitpunkten noch ein Kind war, massiv verletzt hat. Zudem war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte jeweils im Rahmen des Stiefvater-Stieftochter-Verhältnisses im geschützten familiären Rahmen begangen hat, in dem sich die Adhäsionsklägerin sicher fühlen durfte. Auch hat die Kammer erhöhend berücksichtigt, dass die Taten sich über einen langen Zeitraum von über einem Jahr erstreckten, sodass die Adhäsionsklägerin über diese Zeit in ihrem vertrauten Zuhause wiederholt Übergriffe ertragen und weitere befürchten musste. Bei der Bemessung des Schmerzensgelds hat die Kammer zudem berücksichtigt, dass die Adhäsionsklägerin bei der letzten Tat in der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 nicht unerhebliche Schmerzen verspürte. Dies wurde auch jeweils vom Angeklagten zumindest billigend in Kauf genommen. Zudem übte der Angeklagte bei der Tat in der Nacht vom 22.07.2017 auf den 23.07.2017 Gewalt gegenüber der Adhäsionsklägerin aus, indem er ihre Beine auseinanderdrückte, die sie, so fest, wie sie konnte, zusammenpresste.
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Auf der anderen Seite hat die Kammer als mildernden Umstand berücksichtigt, dass sich in der Hauptverhandlung das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bei der Adhäsionsklägerin nicht ohne vernünftige Zweifel festgestellt werden konnte und dass darüber hinaus sicher feststeht, dass eine solche posttraumatische Belastungsstörung jedenfalls nicht auf den Taten des Angeklagten beruhen würde.
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Hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Adhäsionsklägerin ergeben sich keine Besonderheiten, die der konkreten Bemessung ein besonderes Gepräge geben würden.
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Unter Würdigung der Gesamtumstände und im Hinblick auf die nicht unerheblichen Schmerzen bei der letzten Tat, die Folgen der Taten für die Adhäsionsklägerin und die durch nichts gerechtfertigten Taten des Angeklagten einerseits und die fehlende Kausalität der Taten für eine etwaige Posttraumatische Belastungsstörung andererseits hielt die Kammer insgesamt ein Schmerzensgeld von 21.000,00 Euro für erforderlich, aber ausreichend.
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III. Begründetheit des Feststellungsantrags
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Auch der Feststellungsantrag ist begründet, da der Anspruch der Adhäsionsklägerin aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen des Angeklagten herrührt.
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Die Entscheidung über die zugesprochenen Zinsen beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 404 Abs. 2 StPO.
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V. Vorläufige Vollstreckbarkeit
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 406 Abs. 3 S. 2 StPO i.V.m. § 709 S. 1 und 2 ZPO.
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I. Kostenentscheidung
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Gemäß §§ 464, 465 und 472 StPO hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens und seine, sowie die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen. Die Entscheidung über die Kosten des Adhäsionsverfahrens beruht auf § 472a StPO.