Titel:
Teilweise erfolgreiche Klage wegen Vorausleistung auf Erschließungsbeitrag
Normenketten:
BayKAG Art. 5a
BauGB §§ 127 ff., § 133 Abs. 3, § 242
EBS § 6, § 11
Leitsätze:
1. Eine vorhandene (historische) Straße, die nicht nach den §§ 127ff. BauGB abrechenbar ist, liegt vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30.6.1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erschlossen ist ein Grundstück grundsätzlich insbesondere dann wenn die Erschließungsanlage geeignet ist, dem anspruchsbegünstigten Grundstück eine vollauf funktionsgerechte Nutzung der vorhandenen Baulichkeiten zu gewährleisten, dh eine angemessene, hinreichend gefahrlose Verbindung des Grundstücks mit dem übrigen Verkehrsnetz der Gemeinde und in diesem Sinne eine ausreichende wegemäßige Erschließung zu vermitteln. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
kein Anliegen an historischer Straße, Anlagenbildung, natürliche Betrachtung, Gartenmauer auf Grundstück und Pfosten als Durchfahrtshindernis auf Straße hindern Beitragspflicht nicht, Klageverfahren, Erschließungsbeitrag, Vorausleistungsbescheid, Beitragspflicht, Neuberechnung, Herstellungsaufwand, historische Straße, Erschließungsanlage, natürliche Betrachtungsweise, verteilungsfähige Erschließungsaufwand, Anbaustraße, Abrechnungsgebiet
Fundstelle:
BeckRS 2021, 46875
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 14.01.2019 wird aufgehoben, soweit darin eine höhere Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag als 5.313,62 EUR festgesetzt worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin 90 % und die Beklagte 10 %. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Vorausleistung für die Herstellung der Erschließungsanlage „…gasse“.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des bebauten Grundstücks Fl.-Nr. aaa, Gemarkung S … Mit Bescheid vom 21.06.2018 setzte die Beklagte für das Grundstück eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 5.921,14 EUR fest. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die bautechnische Herstellung der Erschließungsanlage „…gasse“ zum 14.11.2016 erfolgt sei, jedoch stünden die Grunderwerbskosten nicht fest, die Straße sei noch nicht abrechnungsfähig und es stehe die Widmung noch aus. Der Beitragssatz betrage 12,48 EUR. Auf das Grundstück der Klägerin mit einer Grundstücksfläche von 250 m² und einer tatsächlich vorhandenen Geschossfläche von 224,45 m² (Summe GR + GF = 474,45 m²) entfalle damit ein Beitrag von 5.921,14 EUR.
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Gegen den Vorausleistungsbescheid erhob der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 04.07.2018 Widerspruch. Die Klägerin wendet sich in erster Linie gegen das Bestehen einer Beitragspflicht, da sie der Ansicht ist, ihr Grundstück sei bereits durch den historischen Teil der …gasse erschlossen. Sie verweist hierzu auf den Eingemeindungsvertrag vom 28.07.1971 zwischen der Beklagten und der vorher eigenständigen Gemeinde S …, der in Ziffer V. 7. folgendes regelt:
„Für Erschließungsbeiträge nach dem Bundesbaugesetz gilt: Die im beiliegenden Plan rot gekennzeichneten Staatsstraßen und inneren Ortsstraßen der Gemeinde, einschließlich der Ortsdurchfahrt der Kreisstraße …, sind fertige Straßen, sogenannte „historische Straßen“. Bei diesen Straßen werden die Kosten des weiteren Ausbaus nach dem BBauG nicht auf Anlieger oder sonstige Betroffene umgelegt. Das trifft auch für die nachträgliche Anlegung von Bürgersteigen zu.“
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Die …gasse sei in dem angesprochenen Plan des Eingemeindungsvertrages rot gekennzeichnet. Richtig sei, dass die rote Markierung nicht vollständig bis zum Grundstück der Klägerin reiche. Damit hätten die Vertragsparteien jedoch nicht zum Ausdruck bringen wollen, dass nur die Anlieger des an dem rot gemarkten Teils der …gasse vor zukünftiger Beitragspflicht entbunden sein sollten. Vielmehr sei die …gasse als solche bezeichnet und alle Anwohner dieser Straße sollten künftig beitragsfrei sei. Dem Vertragstext sei nicht zu entnehmen, dass nur ein Teilbereich der …gasse davon betroffen sein sollte.
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Mit Schreiben vom 07.01.2019 legte die Beklagte den Widerspruch der Regierung von Oberfranken zur Entscheidung vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2019 wies diese den Widerspruch zurück. Der Widerspruchsbescheid, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, wurde am 24.01.2019 an den Bevollmächtigten der Klägerin versandt.
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Mit Telefax vom 20.02.2019 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und beantragt den Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 21.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 22.01.2019 (gemeint wohl: vom 14.01.2019) aufzuheben und die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Mit Schriftsatz vom 06.05.2019 verwies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zur Klagebegründung erneut auf den Eingemeindungsvertrag zwischen der Beklagten und der selbstständigen Gemeinde S …vom 28.07.1971, Ziffer V 7.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 04.06.2019 beantragt,
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Zur Klageerwiderung wird ausgeführt, bereits vor Erlass des streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheids sei der Klägerin gegenüber dargelegt worden, dass es sich bei der Beurteilung, ob eine Beitragsfreiheit gemäß der Übergangsregelung des § 242 Abs. 1 BauGB vorliege, nicht um die Interpretation der im Eingemeindungsvertrag dokumentierten Willensäußerung gehe, sondern um eine rechtlich fundierte Einordnung auf Grundlage der Vorschriften des BauGB in Verbindung mit den nach BayStrWG erfolgten Eintragungen im Bestandsverzeichnis der Ortsstraßen.
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Mit Schriftsatz vom 06.06.2019 trug die Klägerseite ergänzend vor, bei Abschluss des Eingemeindungsvertrages sei die Straße …gasse auch entlang des Grundstücks der Klägerin vollständig ausgebaut, zum Teil geteert und teilweise geschottert gewesen. Zum Zeitpunkt des Eingemeindungsvertrages habe die Klägerin ihr Grundstück über einen ca. 5 m langen geschotterten Teil der Straße angefahren. Entlang dieser Strecke sei nunmehr auf dem Grundstück eine Mauer vorhanden. Die Einfahrt in ihr Grundstück sei seit dieser Zeit durch das Nachbargrundstück Fl.-Nr. bbb, das im Eigentum ihrer Schwester stehe, gewährleistet. Die Eintragungsverfügungen vom 29.05.1964 hätten die …gasse zum Teil als Ortsstraße und zum Teil als beschränkt öffentlichen Weg klassifiziert. Im Jahr 2006 sei festgestellt worden, dass man eine Straßenlänge von 5 m, die Strecke, über die die Klägerin auf ihr Grundstück gefahren sei, nicht zugewiesen habe. Deswegen sei schlichtweg durch eine handschriftliche Notiz diese Wegestrecke am 05.02.2006 als „beschränkt öffentlicher Weg“ klassifiziert worden. Die dem Eingemeindungsvertrag beigefügte Lageskizze sei ungenau. Die Roteinzeichnung sei unzureichend. Die Beklagte habe deshalb zurecht die Eigentümerin des Nachbargrundstücks Fl.-Nr. bbb von Beiträgen freigestellt. Dies müsste auch für die Klägerin gelten. Die unzureichende rote Markierung dürfe nicht zu ihren Lasten gehen. Intention des Eingemeindungsvertrages sei es gewesen, diejenigen Bürger, die bislang eine Zufahrtsmöglichkeit zu ihrem Grundstück gehabt hätten, bei einem späteren Ausbau nicht beitragspflichtig zu stellen.
11
Die Beklagte verwies mit Schriftsatz vom 22.07.2019 auf die vor Beginn der Ausbaumaßnahme gefertigte Fotodokumentation vom 19.10.2014. Diese zeige, dass das Grundstück der Klägerin noch unmittelbar vor Beginn der Ausbaumaßnahme entlang der gesamten westlichen Grundstücksgrenze lediglich an einem Trampelpfad angelegen habe. Der nachweislich tatsächliche vorhandene Ausbauzustand vor Beginn der streitgegenständlichen Ausbaumaßnahme zeige, dass die Ausführungen der Klägerin nicht zutreffend seien. Dies ergebe sich auch aufgrund der korrespondierenden Eintragung im Bestandsverzeichnis. Die Eintragungsverfügung vom 29.05.1964 beschreibe die …gasse in dem von der Klägerin angegebenen Bereich bei einer Breite von nur einem Meter als „nicht befestigt“. Damit handle es sich nicht um eine im Sinne des Eingemeindungsvertrages historische und damit beitragsfreie Straße. Die Errichtung einer Mauer auf dem Grundstück der Klägerin und der Umstand, dass sie ihr Grundstück seither nur über die Inanspruchnahme des benachbarten Grundstücks auf dem bereits ausgebauten beitragsfreien Teil der Ortsstraße erreichen konnte, spiele für die beitragsrechtliche Beurteilung keine Rolle. Die Straße …gasse sei seit ihrer Ersterfassung im Bestandsverzeichnis bis heute stets auf voller Länge gewidmet, wobei Ortsstraße und beschränkt öffentlicher Weg genau an der Nordwestgrenze des Grundstücks der Klägerin aufeinanderträfen. Das Grundstück der Klägerin habe stets am Teilstück des beschränkt öffentlichen Weges angelegen.
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Am 29.07.2020 führte das Gericht einen Erörterungstermin durch. Dabei gab es als vorläufige Rechtsmeinung zu erkennen, dass das Grundstück der Klägerin nicht am historischen Teil der …gasse anliege und damit dem Grunde nach beitragspflichtig sei. Dies ergebe sich aus dem Eingemeindungsvertrag und aus den Bestandsverzeichnissen betreffend die Ortsstraße …gasse und den beschränkt öffentlichen Weg …gasse. Als problematisch sah das Gericht allerdings die Anlagenbildung an, worauf die Beklagtenseite erklärte, dass sie noch einmal in Überlegungen eintreten und die beitragsfähigen Kosten neu berechnen wolle.
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Mit Schriftsatz vom 13.11.2020 legte die Beklagte eine neue Berechnung vor, wonach auf das Grundstück der Klägerin eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 5.313,62 EUR entfalle. Bei der …gasse lägen zwei Erschließungsanlagen vor. Die eine sei die historische Erschließungsanlage von der Abzweigung der …gasse bis zur nordwestlichen Grundstücksecke der Fl.-Nr. aaa. Bei der asphaltierten Fläche Fl.-Nr. cc/33 handle es sich um eine private Grundstückszufahrt und somit nicht um eine beitragsfähige Erschließungsanlage. Als Einheit erscheine hingegen der Straßenzug vom Einmündungsbereich der Straße …berg bis zur westlichen Grundstücksgrenze der Fl.-Nr. aaa, der durch die historische Anlage einerseits und die private Grundstückszufahrt andererseits begrenzt werde. Nähere sich der unbefangene Beobachter der …gasse vom Baugebiet …berg her, eröffne sich folgende Ansicht: Von der R … straße …berg zweige eine Straße mit einer Breite von ca. 5,40 m ab. Sie führe geradewegs auf das Grundstück der Klägerin zu. In etwa der Hälfte der Strecke befänden sich zwei Pfosten, die verkehrsrechtlich ein Durchfahren von der Straße …berg her verhindern sollten. Etwa ab Höhe der Pfosten seien rechtsseitig drei Längsparkplätze angelegt, die mit einer kleinen Grüninsel abschließe. Der Beobachter laufe auf der Straße direkt auf die Eingangstür des Anwesens der Klägerin zu. Die Mauer auf ihrem Grundstück stelle kein beitragsrechtliches Hindernis dar. Entlang des Grundstücks der Klägerin weite sich die Fahrbahn auf zu einem Wendebereich. Dort ende die Anlage. An den linken Teil des Wendehammers schließe sich die historische Anlage …gasse als selbstständige Anlage an, an den rechten Teil ein schmaler Weg, der vom unbefangenen Betrachter als Grundstückseinfahrt oder aufgrund seiner reduzierten Breite als Bürgersteig wahrgenommen werde. Ausgehend davon sei die vorliegende Neuberechnung vorgenommen worden.
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Mit Schriftsatz vom 08.02.2021 trug die Klägerseite ergänzend vor, die Beklagte habe die Straße …gasse im Zuge der Gesamterschließung weiter ausgebaut. Versorgungsleitungen seien zu den noch nicht bebauten Grundstücken verlegt worden. Die Straße sei mit einer Breite von 3,0 - 3,5m geteert worden. Bei der asphaltierten Fläche Fl.-Nr. cc/33 handle es sich nicht um eine Privatstraße. Vielmehr sei anzunehmen, dass den Eigentümern der erschlossenen Grundstücke ein Geh- und Fahrtrecht eingeräumt worden sei. Diese Maßnahmen seien erst erfolgt, nachdem der streitgegenständliche Bescheid der Klägerin zugestellt worden sei. Dass die …gasse bereits in der Vergangenheit im Bereich des Grundstücks der Klägerin erschlossen gewesen sei, belege ein Gully, der das Oberflächenwasser in den öffentlichen Kanal ableite.
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Die Beklagte erwiderte, soweit die Klägerseite die Eigenschaft der Privatstraße bezweifle, sei sicher die Fl.-Nr. cc/33 mit einer Breite von ca. 2,50m gemeint sowie der parallel daran anschließende beschränkt öffentliche Weg Fl.-Nr. ddd/Teilfläche (ca. 1m breit). Diese Zuwegung sei rechtlich zweigeteilt. Optisch werde dies durch die mittlerweile aufgebrachte Fahrbahnmarkierung verdeutlicht. Letztlich sei dies für die Belastung der Beitragspflichtigen unerheblich, da dieser Bereich keinen beitragsfähigen Aufwand ausgelöst habe. Die bautechnische Fertigstellung sei zum 14.11.2016 angezeigt worden. Der Vorausleistungsbescheid sei erst am 21.06.2018 ergangen.
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Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 31.05.2021 und 11.06.2021 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
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1. Die zulässige Klage ist überwiegend nicht begründet.
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Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 21.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 14.01.2019 ist nur im Umfang von 607,52 EUR aufzuheben, weil die festgesetzte Vorausleistung in Höhe von 5.313,62 EUR rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21
Gemäß Art. 5a Abs. 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) i.V.m. § 127 ff. Baugesetzbuch (BauGB) und der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 16.03.1990 i.d.F. vom 01.07.1998 (EBS) erhebt die Beklagte zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Hierbei können gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB i.V.m. § 11 Abs. 1 EBS für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht entstanden ist, Vorausleistungen verlangt werden, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage begonnen worden ist, sofern die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.
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1.1 Der Kern der klägerischen Einwendung gegen den Vorausleistungsbescheid besteht darin, dass sie ihre Beitragspflicht dem Grunde nach verneint, weil sie die Ansicht vertritt, ihr Grundstück liege am „historischen Teil“ der …gasse und unterliege daher nicht mehr einer Erschließungsbeitragspflicht. Diese Ansicht teilt die Kammer nicht.
23
Eine vorhandene (historische) Straße, die gemäß § 242 Abs. 1 BauGB nicht nach den §§ 127ff. BauGB abrechenbar ist, liegt vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30.06.1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war (BayVGH, B.v. 21.11.2013 - 6 ZB 11.2973 - juris Rn. 7).
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Dass eine Teilstrecke der …gasse als historische Straße i.S.d. § 242 BauGB gilt, ist unstreitig. Dies leitet sich ab von der Regelung in Ziffer V. 7. des Eingemeindungsvertrags vom 28.07.1971 zwischen der Beklagten und der vorher eigenständigen Gemeinde S …, wonach die in dem beiliegenden Plan rot gekennzeichneten inneren Ortsstraßen der Gemeinde als fertige, sogenannte „historische Straßen“ gelten.
25
Das Grundstück Fl.-Nr. aaa der Klägerin liegt allerdings nicht im Bereich der roten Kennzeichnung dieses Plan; diese endet vielmehr genau an der nordwestlichen Grundstückgrenze der Fl.-Nr. aaa. Dabei kann ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Ungenauigkeit bei der Einzeichnung in den sehr kleinmaßstäblichen Plan handelt. Denn aus den vorliegenden Eintragungsverfügungen vom 29.05.1964 zur Anlegung des Bestandsverzeichnisses der Gemeindestraßen (Art. 67 Abs. 3, Art. 3 Abs. 3 BayStrWG) lässt sich anhand des Wortlauts eindeutig nachvollziehen, dass die …gasse bereits damals aus zwei Teilen bestand, der 65m langen Ortsstraße von der Abzweigung von der …gasse bis zur „Nordwestgrenze Grundstück Fl.-Nr. aaa“ einerseits und dem 80m langen beschränkt öffentlichen Weg von der Kreisstraße … (B … straße) bis zur „Nordwestgrenze Grundstück Fl.-Nr. aaa“. Die Erhebungsniederschrift enthält als Bemerkung zur Beschaffenheit des Wegs: „Widmungsbeschränkung: nur Fußgängerverkehr, Deckenart: unbefestigt, Breite: 1m“. Eine Änderung der Eintragungsverfügung hinsichtlich des Wegs erfolgte durch Vermerk von 05.06.2006, indem seine Länge von 80m auf 85m korrigiert wurde. Diese Korrektur betrifft aber ausschließlich den beschränkt öffentlichen Weg und nicht die Ortsstraße. Die Grenze zwischen Ortsstraße und beschränkt öffentlichen Weg endete also genau an der Grundstücksgrenze der Klägerin, so dass für ihr Grundstück nur eine Punktberührung zur historischen Ortsstraße und kein „Anliegen“ gegeben war. Bestätigt werden die amtlichen Eintragungen durch die vor Beginn der Baumaßnahme gefertigten Fotos vom 19.10.2014 (Bl. 22 - 24, Beiakte II), die zeigen, dass vor der komplett durch eine Mauer eingefriedeten westlichen Grundstücksgrenze der Fl.-Nr. aaa keine befestigte Straße, sondern lediglich eine Gras- bzw. Schotterfläche vorhanden war. Auf diesen Fotos ist auch kein Gully zu sehen, wobei ein solcher allenfalls eine Entwässerungseinrichtung, aber nicht eine hergestellte Erschließungsstraße belegen könnte. Die Klägerin räumt schließlich selbst ein, dass sie ihr Grundstück über das ihrer Schwester gehörende Nachbargrundstück Fl.-Nr. bbb angefahren hat. Dieses Grundstück liegt unstreitig an dem „historischen Teil“ der …gasse an.
26
Damit unterliegt das Grundstück der Klägerin grundsätzlich dem Erschließungsbeitragsrecht.
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1.2 Maßgebliche Erschließungsanlage ist die teils als „…berg“, teils als „…gasse“ bezeichnete Straße, die aus den Fl.-Nrn. eee/23, cc/36, cc/51 und ddd (Teilfläche), Gemarkung S … besteht. An dieser Anlagenbildung bestehen unter dem Gesichtspunkt der „natürlichen Betrachtungsweise“ (vgl. BVerwG v. 09.01.2013 - 9 B 33.12; juris) keine Bedenken, weil diese ca. 80m lange Straße von der Abzweigung der R … straße „…berg“ bis zur westlichen Grundstücksgrenze des klägerischen Grundstücks völlig geradeaus verläuft und dort in einem aufgeweiteten Einmündungstrichter endet. Linksseitig wird die Anlage durch die historische …gasse begrenzt, rechtsseitig durch die private Zufahrt Fl.-Nr. cc/33 (ca. 47m lang, 2m breit) und den parallel dazu verlaufenden 1m breiten öffentlichen Fußweg Fl.-Nr. ddd (Teilfl.). Das Gericht hat sich durch Einsicht in das Grundbuch von S …, Blatt 2639 überzeugt, dass es sich bei der Zufahrt Fl.-Nr cc/33 um eine private Fläche, jeweils versehen mit Grunddienstbarkeiten für die anliegenden Grundstücke Fl.-Nrn. cc/34, cc/44 und cc/46 handelt.
28
1.3 Für diese im Verhältnis zum Ausgangsbescheid vom 21.06.2018 erweiterte Anlagenbildung hat die Beklagte nach Abzug des Eigenanteils nun einen verteilungsfähigen Herstellungsaufwand in Höhe von 96.215,71 EUR ermittelt (§ 129 Abs. 1 BauGB, § 3 Abs. 1 und 3 EBS).
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1.4 An der Aufwandsverteilung (§ 131 Abs. 1 BauGB, § 6 EBS) nimmt auch das Grundstück der Klägerin teil, da es durch die Anbaustraße erstmalig erschlossen wird. Grundsätzlich setzt das Erschlossensein im Sinne des § 131 Abs. 1 BBauG die Erreichbarkeit des Grundstücks in der Form einer (unmittelbaren) Zufahrt voraus. Abzustellen ist insbesondere darauf, ob die Erschließungsanlage geeignet ist, dem anspruchsbegünstigten Grundstück eine vollauf funktionsgerechte Nutzung der vorhandenen Baulichkeiten zu gewährleisten, d.h. eine angemessene, hinreichend gefahrlose Verbindung des Grundstücks mit dem übrigen Verkehrsnetz der Gemeinde und in diesem Sinne eine ausreichende wegemäßige Erschließung zu vermitteln (BVerwG, U. v. 28.10.1981 - 8 C 4/81 -, juris, Rn 25).
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Diese Voraussetzung liegt für das Grundstück Fl.-Nr. aaa der Klägerin vor. Die Erschließungsanlage grenzt an die westliche Grundstücksgrenze an. Dass von der Anlage nicht unmittelbar auf das Grundstück Zufahrt genommen werden kann, liegt an der dort befindlichen Gartenmauer. Das Erschlossensein eines Grundstücks im Sinne des § 131 Abs. 1 BBauG als auch des § 133 Abs. 1 BBauG hängt aber nicht davon ab, ob ein ausräumbares Hindernis, das allein in der Verfügungsmacht des jeweiligen Grundeigentümers steht, die Zufahrt verhindert. Es ist erschließungsbeitragsrechtlich ohne Belang, wenn eine Mauer, ein Zaun oder ähnliches das Grundstück gegen eine bestimmte Anbaustraße gleichsam verschließt. Denn es steht nicht im Belieben des Anliegers, auf diese Weise darüber zu entscheiden, ob sein Grundstück an der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für diese Straße teilnimmt und der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht unterliegt (BVerwG, U. v. 29.05.1991 - 8 C 76/89 -, juris, Rn. 17).
31
Auch der Umstand, dass sich etwa in Höhe der Hälfte der Erschließungsanlage zwei Pfosten befinden, die verkehrsrechtlich ein Durchfahren zur R … straße …berg verhindern sollen, stellt kein beitragsrechtliches Hindernis dar. Das Grundstück der Klägerin ist durch den von ihrem Grundstück aus befahrbaren Teil der Erschließungsanlage über die (historische) …gasse ausreichend mit dem übrigen Verkehrsnetz der Beklagten verbunden.
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1.5 Gegen die Bildung des Abrechnungsgebiets bestehen keine Bedenken. Die Summe der Grundstücks- und Geschossflächen beträgt 8.591,05m² (§ 6 EBS) Es ergibt sich ein Beitragssatz von 11,20 EUR/GR,GF (vorher 12,48 EUR/GR,GF). Gegen die Berechnungen selbst hat die Klägerseite keine Einwendungen erhoben. Irgendwelche offenkundigen Mängel sind nicht ersichtlich.
33
1.6 Die sachliche Beitragspflicht ist auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht entstanden, da es trotz technischer Fertigstellung der Anlage bis heute an der gemäß § 10 Abs. 1 EBS als Merkmal der endgültigen Herstellung erforderlichen Widmung fehlt.
34
Für das Grundstück der Klägerin reduziert sich der Vorausleistungsbeitrag um 607,52 EUR auf 5.313,62 EUR. In dieser Höhe ist der Vorausleistungsbescheid rechtmäßig. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
35
2. Die Kostenentscheidung entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
36
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), weil sie wegen der schwierigen Rechtsmaterie des Abgabenrechts vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden durfte (Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 22. Aufl., Rn. 18 zu § 162).
37
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.