Titel:
Berufung, Beschädigtenrente, tätlicher Angriff, körperliche Gewaltanwendung, Glaubhaftigkeit, sexuelle Übergriffe, Opferschutz
Normenketten:
OEG § 1 Abs. 1 S. 1
SGB XIV § 13 Abs. 1 Nr. 2
KOVVfG § 15 S. 1
Schlagworte:
Berufung, Beschädigtenrente, tätlicher Angriff, körperliche Gewaltanwendung, Glaubhaftigkeit, sexuelle Übergriffe, Opferschutz
Vorinstanz:
SG Augsburg, Endurteil vom 26.11.2020 – S 6 VG 5/18
Rechtsmittelinstanz:
BSG, Beschluss vom 21.12.2021 – B 9 V 34/21 B
Fundstelle:
BeckRS 2021, 46412
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26. November 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) i.V.m. dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) streitig.
2
Der 1972 geborene Kläger stellte am 09.10.2016 beim Beklagten Antrag auf Leistungen für Gewaltopfer aufgrund sexuellen Missbrauchs durch den damaligen Kaplan R, den Zeugen, im Sommer 1997 in M. Der Zeuge habe ihn zu sexuellen Handlungen während eines Beichtgesprächs genötigt. Der Kläger machte im Antragsformular geltend, an Traumatisierung, Depression, Paranoia, Sozialphobie, Zwangsstörung, chronischem psycho-somatischen Asthma und Suizidalität zu leiden. Dem Antrag war E-Mail-Verkehr des Klägers mit dem Zeugen, insbesondere dessen E-Mail vom 23.04.2015 beigefügt, in der Folgendes ausgeführt wird:
„Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich bei mir melden. Auch ich leide darunter und es tut mir von Herzen leid, Ihnen das angetan zu haben. (..). Gerne würde ich in irgendeiner Weise wiedergutmachen können, was ich angerichtet habe. Nein, mir war damals nicht bewusst, dass ich meine Rolle als Priester verdrängt habe und meine eigenen Bedürfnisse im Vordergrund standen. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie Anzeige erstatten und was Sie von mir fordern“.
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Der Kläger hatte den Zeugen einen Tag zuvor darauf hingewiesen, ihn im Sommer 1987 während eines seelsorgerischen Gesprächs in Ausnützung seiner Hilfesituation zu sexuellen Handlungen veranlasst zu haben. In einer weiteren E-Mail vom 23.04.2015 teilte der Zeuge dem Kläger mit, er werde sich an den Therapiekosten beteiligen o.ä. und sei zu allem bereit, was die Situation des Klägers verbessere. Er stehe tief in der Schuld des Klägers.
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Im Rahmen der Vernehmung bei der Kriminalpolizei K gab der Kläger an, dass der Vorfall im Sommer 1997 passiert sei. Es sei ein Tag unter der Woche gewesen, als er zwischen 19.30 und 20.30 Uhr den Zeugen angerufen habe, weil er einen Rat von diesem gebraucht habe. Der Zeuge habe in der Kaplanei in der Straße „J“ gewohnt. Bei der Wohnung habe es sich um ein Appartement gehandelt, um einen Raum, in dem gekocht, gegessen und geschlafen worden sei. Sodann beschrieb der Kläger im Einzelnen den Ablauf der Tat und machte dabei deutlich, dass diese gegen seinen Willen und unter Einsatz von Gewalt erfolgt sei.
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Den sexuellen Übergriff hatte das Bischöfliche Ordinariat M bei der zuständigen Staatsanwaltschaft M mit Schreiben vom 24.08.2016 angezeigt. Die Kirche sei verpflichtet, so das Ordinariat, jede Äußerung über sexuelle Übergriffe zur Kenntnis zu geben, auch wenn sich aus dem Vorbringen keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Geschehen ergäben.
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In einer Stellungnahme des beschuldigten Zeugen gegenüber der Rechtsabteilung des Bischöflichen Ordinariats M vom 24.08.2016 hatte dieser darauf hingewiesen, 1997 bereits in G gewesen zu sein. In G habe ihn der Kläger zwar einmal besucht und im Gästezimmer übernachtet. Es sei aber zu keinen sexuellen Handlungen gekommen. Auf den vom Kläger genannten Vorfall bezogen hatte der Zeuge angegeben, dass der Kläger zum Gespräch in seine Wohnung gekommen sei. Nach dem Gespräch habe sich der Kläger auf die Einladung des Zeugen mit Letzterem auf dessen Bett gelegt. Dabei sei es zu sexuellen Handlungen am Kläger gekommen. Der Kläger sei bis zum nächsten Morgen geblieben und beide hätten in einem Bett geschlafen. Auf die Frage, ob die sexuellen Handlungen einvernehmlich gewesen seien, antwortete der Zeuge, aus seiner Perspektive ja. Er habe keine Anzeichen dafür gehabt, dass der Kläger keine sexuellen Handlungen gewollt habe. Natürlich übernehme er die volle Verantwortung.
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Mit Schreiben vom 27.07.2017 nahm der vom Zeugen beauftragte Rechtsanwalt gegenüber der Staatsanwaltschaft zu dem Vorgang Stellung und bezeichnete die Schilderungen des Klägers zum angeblichen Übergriff als völlig unglaubhaft. Richtig sei, dass es zwischen dem Kläger und dem Zeugen zu einem sexuellen Kontakt gekommen sei, der jedoch einvernehmlich und vom Ablauf her anders als vom Kläger behauptet stattgefunden habe. In den E-Mails des Klägers sei bezeichnenderweise mit keinem Wort von einem vermeintlichen Nötigungselement bzw. von der Anwendung von Gewalt die Rede gewesen. Der Vorwurf gegenüber dem Zeugen habe vielmehr ausschließlich zum Gegenstand gehabt, eine Hilfesituation im Rahmen eines seelsorgerischen Gesprächs ausgenutzt zu haben, um den Kläger zu sexuellen Handlungen zu veranlassen. Der Vorwurf der Gewaltanwendung sei offenkundig falsch; es liege auf der Hand, dass der Kläger die vorausgegangene Entschuldigung des Zeugen auszunutzen suche, um Letzteren wahrheitswidrig einer vermeintlichen Sexualstraftat zu bezichtigen. Insoweit sei u.a. maßgeblich, dass es sich bei den beiden am Geschehen Beteiligten um erwachsene Männer handle. Wenn sich, wie vorliegend vom Kläger geschildert, ein erwachsener Mann zu einem anderen erwachsenen Mann ins Bett lege, sei dies für sich allein schon bezeichnend. U.a. sei unglaubhaft, dass der Zeuge es mit links habe bewerkstelligen können, dem Kläger über einen Zeitraum von sieben bis acht Minuten hinweg zur Durchführung von Auf- und Ab- Bewegungen am Geschlechtsteil des Zeugen zu zwingen. Selbst wenn – wie nicht – der Kläger der Kraft des Zeugen unterlegen gewesen wäre, hätte er sich der angeblich erzwungenen Situation ohne weiteres entziehen können. Denn nach der Schilderung des Klägers habe dieser während der gesamten von ihm behaupteten Zeit durchweg eine freie Hand zur Verfügung gehabt. Abgesehen davon, dass es für einen erwachsenen Mann ein Leichtes sei, sein Gegenüber mit einer freien Hand wegzustoßen bzw. zumindest die Hand des Gegenübers wegzuschlagen, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, sich mit einer einfachen Drehbewegung des Körpers aus der Situation herauszuwinden und die Angelegenheit damit augenblicklich zu beenden. Die Tatsache, dass es sich insoweit um eine Lügengeschichte des Klägers handle, werde auch dadurch untermauert, dass der Kläger entsprechend seinen eigenen Angaben sehr wohl in der Lage gewesen sei, weiteres übergriffiges Verhalten zu unterbinden, in dem er den angeblichen Übergriff, bei dem der Täter versucht haben solle, den Kläger zu entkleiden, augenblicklich abgewendet habe.
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Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft M (Az.: 3100 Js 26029/16) wurde mit Verfügung vom 07.08.2017 gem. § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt (Tatverdacht nach § 178 Abs. 1 Strafgesetzbuch – StGB – a.F.). Es sei zwischenzeitlich Verjährung eingetreten und damit ein zwingendes Verfahrenshindernis gegeben; Ermittlungen seien daher nicht zu führen. Die Staatsanwaltschaft stellte in dem Schreiben fest, dass der Beschuldigte zum 28.08.1996 nach G gezogen sei und die Tat daher vor diesem Zeitpunkt stattgefunden haben müsse.
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Von 21.11.2016 bis 01.07.2020 ist das Verfahren vom rheinland-pfälzischen Landesamt für Soziales M geführt worden.
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Nach den Ermittlungen zum Tatgeschehen und der Auswertung von medizinischen Unter-lagen (aus denen sich weitere Belastungsfaktoren für den Kläger ergeben) lehnte dieses mit Bescheid vom 09.01.2018 den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab. Ein Angriff i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sei nicht nachgewiesen. Es stehe insoweit Aussage gegen Aussage, wobei neben den Angaben des Klägers und des beschuldigten Täters keine weiteren Beweismittel zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stehen würden. Es gebe keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, den Wert der Aussage des Klägers höher zu bewerten als die Einlassung des Beschuldigten, aus seiner Sicht sei es zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen gekommen. Dies sei insbesondere im Hinblick auf den langen Zeitablauf nicht widerlegbar. Abschließend wies das Landesamt auf den Grundsatz der Beweislast hin.
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Am 15.01.2018 legte der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass ein sexueller Übergriff mit hoher Wahrscheinlichkeit er-wiesen sei. Der Sachverhalt stehe ohne vernünftige Zweifel bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest. Die vorgetragene Darstellung sei plausibel und nachvollziehbar. Die angebliche Übernachtung und die nicht erwähnte Alkoholisierung durch den Beschuldigten seien Schutzbehauptungen. Die E-Mail erlaube eine Feststellung der wahrheitsgemäßen Grundlage sehr wohl in hinreichendem Maße. Die Aufgabe, einen Anspruch nach dem OEG zu begründen, hätten wohl die Behörden und nicht die Opfer.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2018 wies das Landesamt den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein tätlicher Angriff i.S.v. § 1 Abs. 1 OEG setze grundsätzlich eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame physische Einwirkung voraus. Eine bloße Drohung mit Gewalt oder die bloße Ausnutzung eines Beichtgesprächs genügten nach dem OEG nicht. Im Übrigen verwies der Beklagte auf die Einlassung des Rechtsanwalts des Zeugen. Es könne nicht mit hinreichender Sicherheit widerlegt werden, dass es sich um keine Gewalt bzw. keine Nötigung gehandelt habe. Das Eingeständnis habe sich lediglich auf die stattgehabte sexuelle Handlung bezogen.
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Am 09.04.2018 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. In der Klagebegründung hat der Kläger u.a. das Abhängigkeitsgefälle hervorgehoben, das zum Zeitpunkt der Straftat zwischen Täter und Opfer bestanden habe. Er habe den Zeugen nicht privat besucht, sondern in einer seelsorglichen Notsituation aufgesucht; er sei in einer psychischen Ausnahmesituation und damit wehrlos den Übergriffen des Zeugen ausgesetzt gewesen. Das seelsorgerische Vertrauensverhältnis, das dem Zeugen auferlegt gewesen sei, habe dieser scharmlos für seine niedrigen Beweggründe ausgenutzt. Versuche, die Tat abzuwehren, habe der Zeuge ignoriert bzw. mit entsprechender physischer Übermacht durchgesetzt, auch wenn er dies heute bestreiten möge. Letzteres sei ein klassischer Fall einer Schutzbehauptung von Seiten des Zeugen. Sämtliche Kriterien einer „erwachsenen Schutzbefohlenheit“ seien damit zweifellos erfüllt. Die grundlegende Voraussetzung für Leistungen nach dem OEG sei eine rechtswidrige Gewalttat; dies aus gutem Grund, weil ein sexueller Kontakt auf einem „nötigenden Abhängigkeitsverhältnis“ beruhe. Der Zeuge habe nicht der irrigen Annahme erliegen können, dass er gerechtfertigt gehandelt habe. Seine Alkoholisierung habe dem Zeugen phasenweise suggerieren mögen, das Geschehen sei einvernehmlich gewesen, um sich der Verantwortung für sein Tun zu entledigen. Der Kläger als Opfer sei allerdings nüchtern gewesen und wisse, was er erleben und erleiden haben müssen. Die Straftat sei von der Staatsanwaltschaft nicht in Frage gestellt worden, genauso wenig die Täterschaft des Zeugen. Wenn die Tat angeblich einvernehmlich gewesen sei, so frage er, warum ein explizites Schuldeingeständnis des Zeugen per E-Mail vorliege. Auch habe der Zeuge keine straf- oder zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Kläger geltend gemacht.
14
Im Folgenden hat das SG Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt und weitere vorliegende medizinische Unterlagen ausgewertet.
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Mit Schreiben vom 27.06.2019 hat der Kläger die Auffassung vertreten, es gebe wohl kaum einen sexuellen Übergriff im Kontext Kirche, der so gut und hinreichend durch ein Tätereingeständnis schriftlich belegt sei, wie in seinem Fall. Dem Schreiben hat der Kläger E-Mails eines weiteren Priesters beigefügt. Aus einer E-Mail geht hervor, dass dieser von mehreren „Gelegenheiten“ zu sexuellen Handlungen, die der Zeuge „inszeniert“ habe, gewusst habe.
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Sodann hat der Kläger mit am 31.07.2020 beim SG eingegangenem Schreiben Befangenheitsantrag gegen die Kammervorsitzende gestellt. Mit Beschluss vom 16.09.2020 hat das SG den Antrag abgelehnt ().
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Am 24.11.2020 hat das Bischöfliche Ordinariat M dem Zeugen eine Aussagegenehmigung gem. § 118 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 376 Zivilprozessordnung erteilt. In der mündlichen Verhandlung des SG vom 26.11.2020 ist der Zeuge ausführlich einvernommen worden.
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Mit Urteil vom 26.11.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung gebe es vorliegend nicht, da ein tätlicher Angriff dann nicht vorliege, wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung fehle. Fehle es aber an einem tätlichen Angriff, ergäben sich für die Opfer allein psychischer Gewalt aus § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG keine Entschädigungsansprüche, wie das BSG entschieden habe. Ein irgendwie geartetes körperliches Gewaltmoment lasse sich vorliegend nicht erkennen. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus den vom Kläger vorgelegten E-Mails aus dem Jahr 2015. In keiner von diesen E-Mails habe der Zeuge erklärt, dass er den Kläger mit Gewalt gegen seinen Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen habe. Das darin niedergelegte Schuldeingeständnis könne ohne weiteres vielmehr als das Eingestehen einer moralischen Schuld verstanden werden, die aber von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG bei fehlender Gewaltanwendung nicht erfasst werde.
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In dem ausführlichen Urteil hat das SG im Einzelnen dargelegt, dass der Vortrag des Klägers hinsichtlich der Tatausführung, nämlich dass er seine Hand vom Geschlechtsteil des Zeugen nicht mehr habe zurückziehen können, selbst bei Annahme einer Beweiserleichterung gem. § 6 Abs. 3 OEG nicht durchgreifen könne, da er nicht glaubhaft sei. Bereits die Angaben des Klägers zum Zeitpunkt und Ort des Geschehens könnten nach den gerichtlichen Ermittlungen nicht zutreffend sein: Im Sommer 1997 habe der Zeuge nämlich nicht mehr in M, sondern wegen der neuen Kaplanstelle in G gewohnt. Weiter sei die klägerische Angabe nicht glaubhaft, dass der Zeuge versucht haben solle, in der Folgezeit mehrfach telefonischen Kontakt mit dem Kläger aufzubauen. Letztendlich sei aber auch nicht glaubhaft, dass sich der Kläger ohne Bedenken in das Bett mit dem Zeugen gelegt habe und sogar noch liegengeblieben sei, nachdem dieser während des Gesprächs seine Hose geöffnet und sein Geschlechtsteil herausgenommen habe. Nach Ansicht des Gerichts habe der Zeuge das Verhalten des Klägers nur dahingehend verstehen können, dass dieser mit sexuellen Handlungen einverstanden gewesen sei. Sollte der Kläger tatsächlich gegenüber dem Zeugen aufgrund eines psychisch empfundenen Drucks nicht fähig gewesen sein, sich den sexuellen Handlungen des Zeugen zu widersetzen, ergebe sich ebenfalls kein Anspruch. Psychische Gewalt falle nicht unter den Gewaltbegriff von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG.
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Weiter hat das SG klargestellt, dass der Antrag des Klägers auf Zeugeneinvernahme des M Bischofs als ungeeignet abzulehnen gewesen sei. Für den geltend gemachten Anspruch komme es nämlich nicht darauf an, ob das Verhalten des Zeugen gegenüber dem Kläger als übergriffig und nicht tolerabel einzustufen sei, da ein solches Verhalten zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nicht ausreiche. Im Übrigen werde auch in dem vom Kläger vorgelegten Zeitungsartikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von der Ausnutzung der besonderen Vertrauenssituation gesprochen, also nicht von einer Gewaltanwendung, so dass der Beweisantrag des Klägers im Ergebnis auf einen unzulässigen sogenannten Ausforschungsantrag hinauslaufe.
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Nur ergänzend werde, so das SG, darauf hingewiesen, dass aus gerichtlicher Sicht auch kein Kausalzusammenhang zwischen den psychischen Erkrankungen des Klägers und dem damaligen Ereignis angenommen werden könnte, da der Kläger bereits vor 1996 nervenärztlich erkrankt gewesen sei. So habe der Kläger nach dem Entlassungsbericht der R Kliniken vom 23.07.2012 bereits 1995 einen Suizidversuch begangen und sei im Jahre 1994/1995 in tiefenpsychologischer Behandlung infolge eines Traumas durch einen sexuellen Missbrauch gewesen. Die jetzigen nervenärztlichen Erkrankungen seien daher wahrscheinlich nicht auf das Ereignis von 1996 zurückzuführen.
22
Gegen das Urteil hat der Kläger am 07.12.2020 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) Berufung eingelegt. Diese begründete er damit, dass ihm jedenfalls das umfassende rechtliche Gehör nicht gewährt worden sei, weil das SG den M Bischof nicht antragsgemäß geladen habe, obwohl der Anwalt des Bischofs jüngst eindeutig in der Presse geäußert habe, dass Missbrauch von Erwachsenen in der Beichte nie einvernehmlich sein könne, sondern sexuelle Gewalt darstelle. Die Vollbeweis-Forderung des SG bedeute eine Benachteiligung jener Opfer, deren Täter nicht aussagen würden. Durch diese Forderung werde es den Tätern ein zweites Mal möglich, ihr Vorgehen im Gerichtssaal zu wiederholen und sich „daran zu ergötzen“, die Sachverhalte zu verstellen und zu verdrehen. Weiter hat der Kläger auf die vorhandenen Schriftstücke hingewiesen, die Indizien seien. Im Übrigen hat er dem SG Vorhaltungen gemacht. Zur Rechtslage hat der Kläger auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt sowie darauf hingewiesen, dass als körperliche Unversehrtheit sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit eines Menschen betrachtet werde. Das OEG, auch in seiner jetzigen Fassung, habe psychische Schäden einer sexuellen Nötigung zu entschädigen.
23
Im Schriftsatz vom 04.01.2021 hat der Beklagte bemängelt, dass das Rechtsschutzziel des Klägers im Klageverfahren „nicht wirklich erkennbar“ werde.
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Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger sodann am 27.01.2021 erklärt, dass in der Berufungsschrift neue rechtserhebliche Gesichtspunkte hinreichend vorgetragen und auch belegt worden seien. Aus den Schriftsätzen im Klageverfahren sei sehr wohl das konkrete Begehren ersichtlich, nämlich die Zahlung einer monatlichen Rente nach dem OEG aufgrund einer hinreichend belegten, vom Zeugen schriftlich eingestandenen Tat. Der Zeuge habe nichts Verifizierbares vorgetragen, um die Beweislage zu erschüttern.
25
Mit Schreiben vom 08.06.2021 hat der Kläger die „nicht-öffentliche Einstufung“ des beim BayLSG geführten Rechtsstreits beantragt.
26
Im Erörterungstermin am 14.06.2021, zu dem der Kläger wie angekündigt nicht erschienen ist, und wiederholend am 14.07.2021 hat der Beklagte seine Zustimmung zum schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG erteilt; weitere Erörterungen haben mangels Anwesenheit des Klägers in dem Termin nicht stattgefunden. Der Kläger hat im Nachgang ebenfalls seine Zustimmung erklärt.
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Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des SG Augsburg vom 26.11.2020 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 09.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.03.2018 zu verurteilen, als Schädigungsfolgen im Sinne des OEG Traumatisierung, Depression, Paranoia, Sozialphobie, Zwangsstörung, chronisches psycho-somatisches Asthma und Suizidalität festzustellen und Beschädigtenrente zu gewähren.
28
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
29
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des SG und des Beklagten verwiesen. Im Rahmen der Vernehmung bei der Kriminalpolizei K gab der Kläger an, dass der Vorfall im Sommer 1997 passiert sei. Es sei ein Tag unter der Woche gewesen, als er zwischen 19.30 und 20.30 Uhr den Zeugen angerufen habe, weil er einen Rat von diesem gebraucht habe. Der Zeuge habe in der Kaplanei in der Straße „J“ gewohnt. Bei der Wohnung habe es sich um ein Appartement gehandelt, um einen Raum, in dem gekocht, gegessen und geschlafen worden sei. Sodann beschrieb der Kläger im Einzelnen den Ablauf der Tat und machte dabei deutlich, dass diese gegen seinen Willen und unter Einsatz von Gewalt erfolgt sei.
Entscheidungsgründe
30
Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG.
31
Die zulässige Berufung gegen das Urteil des SG Augsburg vom 26.11.2020 bleibt ohne Erfolg.
32
Sie ist unbegründet. Das SG hat die streitgegenständliche Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beschädigtenrente nach dem OEG, weil sich ein vorsätzlicher, rechtswidriger, tätlicher Angriff auf den Kläger im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht feststellen lässt. Die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
33
Maßgeblich ist vorliegend § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. § 137 SGB XIV). Damit ist die neue Regelung in § 13 SGB XIV nicht anwendbar. Auf die dort festgelegte Berücksichtigung auch „psychischer Gewalt“ kommt es vorliegend nicht an.
34
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
35
Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette) geht der Senat von folgenden rechtlichen Maßgaben aus:
36
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungshandlung im OEG entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (BSG, Urteil v. 07.04.2011 – B 9 VG 2/10 R, m.w.N.). Gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Begriffs des „tätlichen Angriffs“ (vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 28.03.1984 – B 9a RVg 1/83). Die Auslegung hat sich mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (z.B. einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a.a.O., m.w.N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (z.B. Urteil vom 29.04.2010 – B 9 VG 1/09 R).
37
Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist also grundsätzlich unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, a.a.O., m.w.N.).
38
Soweit eine gewaltsame Einwirkung vorausgesetzt wird, hat das BSG entschieden, dass der Gesetzgeber durch den Begriff des „tätlichen Angriffs“ den schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat (BSG, Urteil v. 07.04.2011, a.a.O., m.w.N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (vgl. hierzu BeckOK StGB/Valerius, 50. Ed. 01.05.2021, StGB, § 240, Rn. 6 ff., m.w.N.) zeichnet sich der tätliche Angriff gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, d.h. er wirkt physisch auf einen anderen ein (vgl. das strafrechtliche Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB).
39
Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus; das BSG ist einem an Aggression orientierten Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs letztlich nicht gefolgt (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG Urteile vom 18.10.1995 – B 9 RVg 4/93 und B 9 RVg 7/93 bzgl. sexuellen Missbrauchs an Kindern). Dahinter steht der Gedanke, dass auch nicht zum (körperlichen) Widerstand fähige Opfer von Straftaten den Schutz des OEG genießen sollen (BSG v. 07.04.2011, a.a.O.).
40
Dabei hat das BSG in Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern nicht vollständig auf das Erfordernis körperlicher Handlungen verzichtet. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Kindes, die Möglichkeit seiner „sekundären Viktimisierung“ im Verwaltungs- und Gerichts-verfahren sowie die Gefahr schwerwiegender seelischer Krankheiten hat es allerdings – beschränkt auf diese Fallgestaltungen – zu einem erweiterten Verständnis des Begriffs des tätlichen Angriffs veranlasst. Danach ist für die „unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Kindes“ entscheidend, dass die Begehensweise, nämlich die sexuelle Handlung, eine Straftat war, unabhängig davon, ob bei der Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche oder das spielerische Moment im Vordergrund steht (BSG v. 07.04.2011, a.a.O., m.w.N.; vgl. auch das Urteil des Senats vom 05.02.2013 – L 15 VG 22/09).
41
Eine solche Begriffsausweitung ist jedoch bei (zum körperlichen Widerstand fähigen) Erwachsenen nicht angezeigt. Nach der ganz herrschenden Meinung (vgl. die o.g. Rspr., m.w.N.) ist – wie auch im Fall des Klägers – insoweit keine besondere Schutzbedürftigkeit gegeben, so wie sie bei Kindern anzunehmen ist. Ein ohne Anwendung von Gewalt herbeigeführter sexueller Missbrauch erfüllt nur bei Kindern den Tatbestand des § 1 OEG (auf die Frage des Einbezugs von Jugendlichen muss hier nicht eingegangen werden).
42
Somit ist hier als tätlicher Angriff eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende gewaltsame Einwirkung im physischen Sinne zu fordern. Eine allein psychisch vermittelte Beeinträchtigung, die nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt, stellt dagegen keinen Versorgungsansprüche auslösenden tätlichen Angriff dar. Eine gewaltsame Einwirkung auf den Körper eines anderen kann schon bei einem psychisch vermittelten Zwang vorliegen, ohne dass es zu einer körperlichen Berührung zwischen Täter und Opfer kommen muss, wenn wegen der Angriffshandlung bereits eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit der anderen Person eingetreten ist. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss grundsätzlich geprüft werden, inwiefern durch die Handlung – unter Berücksichtigung eines möglichen Geschehensablaufs – eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers besteht (BSG, Urteil vom 07.04.2011 – B 9 VG 2/10 R). In der neueren Rechtsprechung (Urteil v. 16.12.2014 – B 9 V 1/13 R) hat das BSG nun ausdrücklich entschieden, dass eine bloße Drohung für einen tätlichen Angriff nicht ausreicht, und damit das Kriterium der objektiven Gefährlichkeit der Situation aufgegeben, weil in der konkreten Situation die Drohwirkung (z.B. der vorgehaltenen Waffe auf das Opfer) und die psychische Belastung im Vordergrund stehen (Karl, in: B. Schmidt, SGB XIV, 1. Aufl. 2021, § 13, Rn. 34, 35, m.w.N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs ist nicht nach den Folgen zu beurteilen, sondern danach, ob diese zurechenbar auf einer körperlichen Gewaltanwendung beruhen (a.a.O.; BSG v. 16.12.2014, a.a.O.). Nach der jüngsten Rechtsprechung des BSG ist unerheblich, ob sich die Situation im Nachhinein als tatsächlich objektiv gefährlich erweist (a.a.O.).
43
Dabei muss die Tatsache, dass ein tätlicher Angriff stattgefunden hat, grundsätzlich er-wiesen sein, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Abweichend hiervon sind nach § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), das auch im Bereich des OEG gilt (§ 6 Abs. 3 OEG), bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn für den schädigenden Vorgang, hier den tätlichen Angriff, keine Tatzeugen vorhanden sind und die Angaben des Antragstellers nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Eine als Täter in Betracht kommende Person, die den tätlichen Angriff bestreitet, soll nach der Rechtsprechung des BSG insoweit nicht als Zeuge anzusehen sein (vgl. näher BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 V 1/12 R).
44
Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt daher im gegenständlichen Rechtsstreit im Hinblick auf den sexuellen Übergriff durch den vom Kläger Beschuldigten nicht vor.
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Die oben genannten Kriterien zugrunde gelegt, sind die Voraussetzungen eines tätlichen Angriffs vorliegend nicht glaubhaft gemacht im Sinne von § 15 KOVVfG und erst recht nicht nachgewiesen.
46
Im Hinblick auf die obigen Darlegungen können die Aussagen des Klägers nach Auffassung des Senats nicht als glaubhaft angesehen werden, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für die Möglichkeit von mit Gewalt erzwungenen sexuellen Handlungen sprechen würde (vgl. BSG v. 17.04.2013, a.a.O.). Von den in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten kommt der eines solchen Verhaltens des Zeugen nicht einmal ein gewisses Übergewicht zu. Aus Sicht des Senats scheidet die Möglichkeit für das vom Kläger geschilderte Gewalt-Geschehen zur Ermöglichung der sexuellen Handlungen so gut wie aus.
47
Der Senat ist zusammenfassend der Auffassung, dass besonders viel für die Möglichkeit spricht, dass es an jenem Abend zu gewaltlosem sexuellen Kontakt bzw. einem sexuellen Übergriff gekommen ist, also letztlich in der Weise, wie er vom Zeugen zugegeben worden ist. Dabei ist beinahe auszuschließen, dass auch ein Gewaltmoment (wenn auch nur für kurze Zeit) bestanden haben könnte. Anders liegt die Wahrscheinlichkeit bzgl. einvernehmlicher sexueller Handlungen. Aus Sicht des Senats ist unter Verweis auf die obigen Darlegungen und mit Blick auf die Einlassung des Zeugen am Wahrscheinlichsten, dass ein vom Kläger grundsätzlich nicht gewollter, aber gewaltloser Geschehensablauf gegeben war.
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Dass die Möglichkeit für das vom Kläger geschilderte Gewalt-Geschehen zur Ermöglichung der sexuellen Handlungen so gut wie ausscheidet, ergibt sich zur Überzeugung des Senats im Einzelnen vor allem aufgrund der überzeugenden Darlegungen des SG.
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Dieses hat zu Recht entschieden, dass es nicht glaubhaft ist, soweit der Kläger (in seiner polizeilichen Vernehmung am 27.02.2017) angegeben hat, dass seine rechte Hand vom Zeugen an dessen Geschlechtsteil zur Befriedigung geführt worden und mit der zweiten Hand des Zeugen dort fixiert worden sei, sodass der Kläger die Hand (über sieben bis acht Minuten!) nicht mehr habe zurückziehen können. Im Einzelnen kann an dieser Stelle nur auf die einleuchtenden Erörterungen des Bevollmächtigten des Zeugen (s.o.) und vor allem auch des SG verwiesen werden; Letzteres hat plausibel festgestellt:
„Ebenso wenig glaubhaft ist, dass es dem Zeugen gelungen sein soll, sich selbst unter Fixierung der Hand des Klägers auf seinem Geschlechtsteil mit seiner eigenen zweiten Hand im Liegen zu befriedigen, ohne dass sich der Kläger trotz seines Bemühens hieraus nicht befreien konnte. Schließlich hat auch der Kläger eine zweite Hand, die er hätte einsetzen können, um seine Hand zu lösen. Das Gericht denkt auch nicht, dass es möglich ist, sich mit der Hand eines anderen zu befriedigen, wenn dieser nicht still hält. Dass der Kläger zu einer geeigneten Befreiungsreaktion nicht fähig gewesen sein könnte, weil er wie gelähmt gewesen sei und nicht habe einordnen können, was das jetzt solle, ist ebenfalls angesichts des damaligen Alters des Klägers und fehlender Anhaltspunkte dafür, dass er mit Beruhigungsmitteln vom Zeugen ruhiggestellt worden war, für das Gericht nicht nachvollziehbar. Nach Ansicht des Gerichts konnte der Zeuge das Verhalten des Klägers somit nur dahingehend verstehen, dass dieser mit sexuellen Handlungen einverstanden gewesen war.“
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Das SG hat aber auch das vom Kläger geschilderte Geschehen unmittelbar zuvor zu Recht als nicht nachvollziehbar betrachtet und Folgendes ausgeführt:
„Letztendlich ist aber auch nicht glaubhaft, dass der Kläger, der damals 26 Jahre war, sich ohne Bedenken in das Bett mit dem Zeugen gelegt hat, nur, weil dieser gesagt habe, dass er dies bequemer fände und sogar noch liegen geblieben ist, nachdem der Zeuge sich während des Gesprächs seine Hose geöffnet habe und sein Geschlechtsteil herausgenommen habe, das bereits deutlich erigiert gewesen sein soll, wenn er keine sexuellen Handlungen mit dem Zeugen wollte. Anstelle aber dann das Bett zu verlassen, habe er nur gefragt, was das jetzt solle. Wenn aber die sexuellen Handlungen, wie vom Kläger behauptet, entgegen seinem Willen gewesen wären, erschließt sich dem Gericht weiter nicht, weshalb der Kläger nicht umgehend das Bett verlassen hat, nachdem – selbst nach den eigenen Angaben des Klägers – zu diesem Zeitpunkt der Zeuge keinerlei Gewalt gegenüber ihm angewandt hatte.“
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Im Übrigen bleiben Zweifel auch hinsichtlich sonstiger Angaben des Klägers. Bereits seine Angaben zum Zeitpunkt und Ort des Geschehens, nämlich in M im Sommer 1997, können wie oben bereits dargelegt nicht zutreffend sein, da nachweislich dem Zeugen mit Schreiben des Bischöflichen Ordinariats M vom 12.07.1996 die Kaplaneistelle in G über-tragen worden war und der Zeuge im Sommer 1997 daher nicht mehr in M am Tatort gewohnt hat. Weiter nicht glaubhaft ist, dass der Zeuge, wie vom Kläger ebenfalls in der polizeilichen Vernehmung angegeben, versucht haben soll, später mehrfach telefonischen Kontakt mit ihm aufzunehmen. Dies ergibt sich aus den vorgelegten E-Mails, deren diesbezügliche Ausführungen nur so verstanden werden können, dass der Zeuge gerade keine Kontaktdaten vom Kläger gehabt hat (andernfalls hätte der Zeuge in dieser E-Mail berichtet, dass seine bisherigen Kontaktversuche gescheitert seien und gerade nicht, dass es ihm wohl „leider“ nicht möglich gewesen sei, Kontakt aufzunehmen).
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Der Kläger hat außer der von ihm geäußerten Ansicht, dass auch gewaltlose sexuelle Übergriffe einen Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG darstellen würden, und der Behauptung, vorliegend sei Gewalt im Spiel gewesen, den differenzierten Gründen des sozialgerichtlichen Urteils nichts entgegensetzen können. Neben dieser von ihm wieder-holt vorgetragenen Behauptung ergeben sich keine objektiven Hinweise hierfür. Insbesondere erscheinen demgegenüber auch die oben im Einzelnen dargestellten Darlegungen des Bevollmächtigten des Zeugen plausibel. Gleiches gilt für die umfangreichen Aus-sagen des Zeugen selbst in der mündlichen Verhandlung des SG.
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Ein anderes Ergebnis folgt im Übrigen (u.a. entsprechend der zutreffenden Darlegungen im Widerspruchsbescheid) auch nicht daraus, dass der Zeuge ggf. seine seelsorgerische Position bzw. den geschützten Rahmen einer seelsorgerischen Handlung i.w.S. ausgenutzt hat. Denn selbst dann, wenn sexuelle Handlungen gegen den Willen des Opfers nicht durch den Einsatz körperlicher Gewalt, sondern aufgrund einer psychisch hervorgerufenen Zwangslage durchgeführt werden, fehlt es nach der Rechtsprechung zu Recht an einem tätlichen Angriff im Sinne von § 1 OEG (vgl. z.B. LSG Hamburg, Urteil vom 17.12.2019 – L 3 VE 1/14), da dies nicht dem Schutzbereich der Norm unterfällt.
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Weitere Ermittlungen waren nicht veranlasst. Insbesondere bestand kein Grund dafür, den Beschuldigten erneut als Zeugen einzuvernehmen, was auch der Kläger nicht beantragt hat. Aber auch der M Bischof war nicht einzuvernehmen; insoweit kann auf die zu-treffenden Darlegungen des SG im angefochtenen Urteil verwiesen werden.
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Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).