Titel:
Störende Häufung von Werbeanlagen
Normenkette:
BayBO Art. 8 S. 3, Art. 81 Abs. 1 Nr. 2
Leitsatz:
Bei insgesamt sieben vorhandenen, unterschiedlichen Werbeanlagen ist eine Häufung zu bejahen. Diese Häufung ist auch als "störend“ anzusehen, wenn der enge örtliche Bereich, der gleichzeitig im Gesichtsfeld der Verkehrsteilnehmer liegt, mit Anbringung einer weiteren Werbeanlage derart überladen würde, dass das Auge keinen Ruhepunkt mehr findet. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Baugenehmigung für beleuchtete Plakatanschlagtafel, Werbeanlagensatzung, Störende Häufung von Werbeanlagen, Werbeanlage, störende Häufung, ortsgestalterische Gründe, Plakatanschlagtafel
Fundstelle:
BeckRS 2021, 45742
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine statische beleuchtete Plakatwerbetafel im Stadtgebiet der Beigeladenen.
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Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich einer Werbeanlagensatzung der Beigeladenen.
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Die Klägerin hatte mit Bauantrag vom 10. August 2020 die Baugenehmigung zur Errichtung einer beleuchteten Plakatwerbetafel mit einer Höhe von 2,80 m und einer Breite von 3,80 m auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... beantragt. Die geplante Werbeanlage soll an einem an der Straße stehenden Giebel angebracht werden und weist eine Fläche von 10,64 m² auf.
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Die Beigeladene verweigerte die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens unter Hinweis auf die Werbeanlagensatzung.
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Mit Bescheid vom 5. Mai 2021 (Gz. ...) lehnte das Landratsamt ... (im Folgenden: Landratsamt) den Antrag auf Erteilung der beantragten Genehmigung ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Vorhaben in mehreren Punkten von der Werbeanlagensatzung der Beigeladenen abweiche. Das erforderliche Einvernehmen zu Abweichungen habe der zuständige Bauausschuss der Beigeladenen nicht erteilt. Eine Normverwerfungskompetenz stehe dem Landratsamt nicht zu.
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Hiergegen ließ die Klägerin am 14. Juni 2021 Klage erheben und beantragen,
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den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 5.5.2021 zu verpflichten, der Klägerin die Baugenehmigung zur Anbringung einer statischen, beleuchteten Plakatanschlagtafel auf der Liegenschaft, ... Straße, gemäß näherer Darstellung in den Bauvorlagen, zu erteilen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Vorhaben in einem Dorfgebiet liege und sich deshalb seiner Art nach in die nähere Umgebung einfüge. Die Werbeanlagensatzung der Beigeladenen erweise sich als rechtswidrig. Schon hinsichtlich der formellen Wirksamkeit und der Bestimmtheit bestünden erhebliche Bedenken. Darüber hinaus sei es aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht zulässig, in einem Dorfgebiet ohne weiteres Fremdwerbeanlagen grundsätzlich auszuschließen. Ein genereller Ausschluss von Fremdwerbeanlagen in Gebieten, in denen sie nutzungsrechtlich nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) zulässig seien, könne nicht mit bodenrechtlichen Regelungen, sondern nur mit bauplanungsrechtlichen Instrumentarien geregelt werden. Zudem sei nicht nachvollziehbar, welche ortsgestalterischen Gründe mit dem Fremdwerbeausschluss verbunden seien. Es handle sich bei der ... Straße/ ... Straße in ... um eine klassische, dorfgebietstypisch geprägte Durchgangsstraße, die das Vorhandensein von euroformatiger Fremdwerbung bereits kenne. Von einer besonders schützenswerten Umgebung im Rechtssinne sei nicht auszugehen.
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Auf die weiteren Ausführungen zur Klagebegründung wird verwiesen.
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Für den Beklagten beantragte das Landratsamt mit Schriftsatz vom 25. Juni 2021,
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Zur Begründung wurde auf den Ablehnungsbescheid Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 23. Juli 2021 wurde die Stadt ... zum Verfahren beigeladen. Sie beantragte mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 7. September 2021,
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Vorhaben sich nach seiner Art nicht in die nähere Umgebung einfüge, da diese als Allgemeines Wohngebiet i.S. des § 4 Abs. 1 BauNVO zu qualifizieren sei. Auch nach dem Maß der baulichen Nutzung füge sich die Werbetafel nicht ein, weil sie sich dem Gebäude, an dem sie angebracht werden solle, nicht deutlich unterordne. Zudem beeinträchtige das Bauvorhaben das Ortsbild. Dieses sei bereits jetzt durch weitere Werbeanlagen vorbelastet. Des Weiteren führe die Werbeanlage zu einer unzulässigen störenden Häufung. Im maßgeblichen Bereich gebe es bereits mehrere Werbeanlagen. Die Häufung sei auch störend, weil das Bauvorhaben an der Ortseinfahrt zum Altort, von Norden kommend, liege. Hier erwarte der Durchschnittsbetrachter keinen Schilderwald. Es handle sich in diesem Bereich um einen ländlichen, traditionell geprägten Ort, nicht um die Einfahrt in ein Gewerbe- oder Industriegebiet. Das Vorhaben widerspreche auch im Hinblick auf die dort gelegene Bushaltestelle und die Vielzahl von Werbeanlagen und sonstigen Hinweistafeln der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Des Weiteren wirke sich das Bauvorhaben auf den Bestand und das Erscheinungsbild von Baudenkmälern in diesem Bereich aus. Die Werbeanlagensatzung der Beigeladenen sei formell und materiell rechtmäßig und wirksam. Die Voraussetzungen für eine Abweichung lägen nicht vor.
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Auf die weiteren Ausführungen im Schriftsatz vom 7. September 2021 wird verwiesen.
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Mit Beschluss vom 23. Juli 2021 hat die Kammer den Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen (§ 6 Abs. 4 Satz 1 VwGO).
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Am 20. September 2021 fand ein gerichtlicher Augenscheinstermin mit den Beteiligten statt.
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Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2021 nahm der Bevollmächtigte der Beigeladenen erneut Stellung und vertiefte insbesondere nochmals die Auffassung, dass eine störende Häufung von Werbeanlagen vorliege, die der Genehmigung des Vorhabens entgegenstünde.
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Die Beteiligten haben sich mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2021 (Klägerin), vom 20. Dezember 2021 (Beklagter) sowie vom 16. Dezember 2021 (Beigeladene) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Über die Klage konnte ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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a) Zwar spricht einiges dafür, dass die geplante Werbeanlage bauplanungsrechtlich im Einklang mit § 34 Baugesetzbuch (BauGB) steht, weil die nähere Umgebung, wie auch der durchgeführte Augenschein bestätigt hat, einem Dorfgebiet i.S. des § 5 BauNVO entspricht. In diesem wäre die Werbeanlage als gewerbliche Hauptnutzung ihrer Art nach allgemein zulässig. Auch kann die „Satzung über besondere Anforderungen an Werbeanlagen im Bereich der Ortsdurchfahrt im Stadtteil ... (Werbeanlagensatzung)“ vom 31. März 2008 dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden, soweit sie nach § 3 Abs. 2 Großflächenwerbetafeln und Werbeanlagen mit einer Fläche von mehr als 2 m² in allgemeinen Wohngebieten oder Dorfgebieten generell ausschließt. Eine Werbeanlagensatzung darf auf der Grundlage des Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 Bayerische Bauordnung (BayBO) nur aus ortsgestalterischen Gründen ergehen. Ein Verbot der Errichtung von Werbeanlagen durch den Satzungsgeber auf der Grundlage des Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO ist nur dort gerechtfertigt und somit verhältnismäßig, wo die in Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO gennannten ortsgestalterischen Gründe ein entsprechendes Verbot tatsächlich erfordern (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2021 - 9 ZB 19.1582 - juris Rn. 17). Ob und in wie weit das der Fall ist, beurteilt sich nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Gebietes. Sollen mit einer Werbeanlagensatzung - wie hier in § 1 der Satzung - Regelungen zur Zulässigkeit von Fremdwerbeanlagen für nahezu die gesamten Bereiche der Ortsdurchfahrt, die nicht im Umgriff eines Bebauungsplanes liegen, erlassen werden, so hat sich der Satzungsgeber mit dem Problem auseinanderzusetzen, dass ein derart weit gefasster Bereich in seiner Gesamtheit in der Regel aus verschiedenen Bereichen besteht, deren Ortsbild unterschiedlich schutzwürdig ist. Demnach sind an die Zulässigkeit von Werbeanlagen je nach den Gegebenheiten des jeweiligen Gemeindebereichs und dem damit verbundenen Schutzzweck unterschiedliche Anforderungen zu stellen und nach diesen die Schutzmaßnahmen abzustufen (VG Augsburg, U.v. 12.9.2013 - Au 5 K 12.1588 - juris Rn. 48 m.w.N.). Vorliegend fehlt es an ortsgestalterischen Gründen, die einen so weitreichenden Ausschluss rechtfertigen. Die Werbeanlagensatzung selbst enthält keine Begründung für den Ausschluss jeglicher Fremdwerbung in Allgemeinen Wohngebieten und Dorfgebieten. Auch aus der Sitzungsvorlage der Verwaltung zum Erlass der Werbeanlagensatzung vom 4. März 2008 sowie aus dem Beschluss zum Erlass der Satzung am 13. März 2008 ergeben sich keine Darlegungen zu konkreten ortsgestalterischen Gründen, die aus Sicht des Beigeladenen den generellen Ausschluss von Fremdwerbeanlagen im maßgeblichen Bereich rechtfertigen könnten. Auch eine entsprechende Ortsbildanalyse wurde offenbar nicht durchgeführt. Ungeachtet dessen ist auf der Grundlage des vom Gericht durchgeführten Augenscheinstermins davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Baugrundstückes und der maßgeblichen Umgebung keine ortsgestalterischen Gründe gegeben sind bzw. keine städtebaulich bedeutsame Prägung vorliegt, die den vollständigen Ausschluss von Fremdwerbeanlagen in diesem Bereich rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 14.8.2012 - 15 ZB 12.1515 - juris Rn. 6). Allein der Umstand, dass es sich im eine Ortseinfahrt bzw. Ortsdurchfahrt handelt, ist hierfür nicht ausreichend. Vielmehr handelt es sich um eine Ortsdurchfahrt, wie sie in gleicher Weise in einer Vielzahl von Gemeinden zu finden ist.
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b) Die streitgegenständliche Werbeanlage verstößt jedoch gegen Art. 8 Satz 3 BayBO und ist deshalb unzulässig. Nach Auffassung des Gerichts würde die Anbringung der beantragten Werbeanlage zu einer störenden Häufung führen.
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Eine Häufung liegt vor, wenn mehrere, mindestens aber drei gleichartige oder verschiedene Werbeanlagen in enger räumlicher Beziehung zueinander angebracht werden und gleichzeitig im Gesichtsfeld des Betrachters liegen. Einzubeziehen sind dabei alle vorhandenen Werbeanlagen, auf deren Funktion als Eigen- oder Fremdwerbeanlage kommt es nicht an (VG Ansbach, U.v. 2.7.2020 - AN 17 K 19.01354 - juris Rn. 26; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Stand: Juli 2021, Art. 8 Rn. 204 ff). Vorliegend fallen dem aus Norden in den Ort einfahrenden Verkehrsteilnehmer eine großflächige, freistehende Plakatanschlagtafel, eine an einem dahinterstehenden Hausgiebel angebrachte Werbetafel für ein nahegelegenes Gasthaus sowie fünf kleinformatige, an einer Einfriedung entlang der Straße angebrachte Werbetafeln gleichzeitig in den Blick. Auf die Frage, ob es sich bei Letzteren aufgrund des Formats um verfahrensfreie Anlagen nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a BayBO handelt, kommt es für die Frage der „Häufung“ nicht an. Bei insgesamt sieben vorhandenen, unterschiedlichen Werbeanlagen ist eine Häufung zu bejahen. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ist diese Häufung auch, jedenfalls mit Hinzutreten der beantragten Werbeanlage, als „störend“ anzusehen. Zwar ist eine bloße Häufung noch nicht mit einer Störung gleichzusetzen. Vorliegend ist jedoch nach Auffassung des Gerichts entscheidend, dass der enge örtliche Bereich, der gleichzeitig im Gesichtsfeld der aus Norden kommenden Verkehrsteilnehmer liegt, mit Anbringung der streitgegenständlichen Werbeanlage derart überladen würde, dass das Auge keinen Ruhepunkt mehr findet. Angesichts der Vielzahl an Werbeanlagen auf relativ kleinem Raum, verbunden mit der Situation der Bushaltestelle, den hierfür angebrachten Tafeln und Schaukästen sowie weiteren Informationstafeln wirkt der maßgebliche Kurvenbereich bereits jetzt sehr überladen. Einen Ruhepunkt bildet bisher noch der freie Giebel, auf dem nun die Werbeanlage angebracht werden soll. Diese Wirkung wird dadurch verstärkt, dass die Verkehrsteilnehmer wegen der Kurvensituation auf diesen Giebel nahezu direkt zufahren, dem dadurch automatisch eine besondere Bedeutung für das Blickfeld zukommt. Hinzu kommt, dass die Dorfeinfahrt von Norden her kommend, wie der Augenscheinstermin ergeben hat, bislang noch eine durchaus charakteristische, dörfliche Prägung aufweist. Mit dem Hinzutreten der geplanten Werbeanlage fände jedoch an optisch dominanter Stelle eine beziehungslose Anhäufung unterschiedlichster Werbeanlagen statt, die eher dem Charakter eines Gewerbegebiets entspricht. Die mit einem dörflich-ländlich strukturierten Gebiet verbundene Erwartungshaltung des Betrachters würde an dieser Stelle durch die Ballung der Anlagen deshalb optisch empfindlich gestört. Der Erteilung der beantragten Baugenehmigung steht deshalb Art. 8 Satz 3 BayBO entgegen.
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Nach alledem war die Verpflichtungsklage als unbegründet abzuweisen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Nachdem die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich am Kostenrisiko beteiligt hat, waren ihre außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).