Inhalt

LG Coburg, Endurteil v. 06.10.2020 – 11 O 92/20
Titel:

Anfechtung, Grundbuch, Offenbarung, Zahlung, Mord, Kenntnis, Annahmeverzug, Rechtsanwaltskosten, Zinsen, Haftung, Verzug, Vertrag, Kleinkind, Bedeutung, Zug um Zug, Treu und Glauben, arglistiges Verschweigen

Schlagworte:
Anfechtung, Grundbuch, Offenbarung, Zahlung, Mord, Kenntnis, Annahmeverzug, Rechtsanwaltskosten, Zinsen, Haftung, Verzug, Vertrag, Kleinkind, Bedeutung, Zug um Zug, Treu und Glauben, arglistiges Verschweigen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 45686

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht Ansprüche auf Rückabwicklung eines notariellen Kaufvertrags nach erklärter Anfechtung wegen arglistiger Täuschung geltend.
2
Mit notariellem Vertrag vom 13.12.2018 kaufte die Klägerin von der Beklagten das Wohnanwesen …, zum Kaufpreis von 230.000,00 € zur Eigennutzung.
3
Im November oder Dezember 2019 erfuhr die Klägerin, dass in dem Anwesen im Jahre 1998 ein Verbrechen, nämlich ein zweifacher Mord an einer Frau und einem Kleinkind stattgefunden hatte. Die Klägerin hätte das Anwesen nicht erworben, wenn sie von diesem sie psychisch belastenden Ereignis vor dem Kauf Kenntnis gehabt hätte.
4
Die Beklagte erwarb das Anwesen im Jahr 2004 zusammen mit Familienangehörigen, wobei sie zur Zeit ihres eigenen Erwerbs ebenfalls keine Kenntnis von dem stattgehabten Verbrechen hatte. Die Kenntniserlangung erfolgte zwei oder drei Jahre nach dem eigenen Erwerb durch die Beklagte, sodass sie im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses mit der Klägerin Kenntnis von dem Verbrechen hatte.
5
Die Klägerin ließ mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 13.12.2019 gegenüber der Beklagten die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung erklären und verlangte die Rückabwicklung des Vertrags. Die Ansprüche wurden von Beklagtenseite außergerichtlich zurückgewiesen.
6
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte wäre auch ohne entsprechende Nachfrage verpflichtet gewesen, auf die Vergangenheit des Hauses hinzuweisen. Das mit dieser Vergangenheit belastete Anwesen sei schwer veräußerbar, der Wert des Hauses werde hierdurch gemindert. Die Beklagte habe die Klägerin somit durch Unterlassen einer entsprechenden Mitteilung über maßgebliche Umstände getäuscht, so dass die Klägerin berechtigterweise den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung habe anfechten können. Die Beklagte sei daher zur Rückerstattung des Kaufpreises und zum Ersatz der im Zusammenhang mit dem Erwerb des Anwesens durch die Klägerin aufgewendeten Kosten verpflichtet, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Anwesens. Ferner schulde sie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
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Die Klägerin beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zug um Zug gegen Rückübertragung des Anwesens …, Grundbuch des Amtsgerichts Coburg von … zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 19.12.2019, zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Anwesens … Grundbuch des Amtsgerichts Coburg von … Zug und Zug gegen Zahlung von 254.000,97 €, zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 19.12.2019, und seit 19.12.2019 gegenüber der Klägerin in Verzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3.509,19 € zu zahlen.
8
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
9
Die Beklagte ist der Meinung, eine Verpflichtung zur ungefragten Offenbarung der Vergangenheit des Hauses habe nicht bestanden. Der jetzige Klägervertreter habe zudem mit der Anfechtungserklärung vom 13.12.2019 keine ordnungsgemäße Vollmachtsurkunde vorgelegt, weshalb die Anfechtung - unabhängig vom Fehlen eines Anfechtungsgrundes - zurückgewiesen worden sei.
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Hinsichtlich des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die wechselseitig eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 15.09.2020 Bezug genommen.
11
Das Gericht hat die Parteien informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses wird ebenfalls auf die Sitzungsniederschrift vom 15.09.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
13
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises des Hauses und Erstattung von Aufwendungen Zug um Zug gegen Rückübereignung gemäß §§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1, 812 Abs. 1, Satz 1 Alt. 1) BGB, da sie bei Vertragsabschluss durch die Beklagte nicht arglistig getäuscht wurde.
14
Bei einer Täuschung durch Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Umstandes handelt arglistig, wer den Umstand kennt oder ihn für möglich hält und gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Umstand nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätte (BGH, NJW 1995, Seite 1549 f.).
1. Kein offenbarungspflichtiger Umstand
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Eine ungefragte Aufklärungspflicht besteht dann, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung über den betreffenden Umstand erwarten darf. Grundsätzlich ist es dabei Sache einer jeden Partei, ihre eigenen Interessen selbst wahrzunehmen. Eine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils zum Vertragsabschluss von Bedeutung sein können, besteht nicht. Jedem Vertragspartner obliegt es aber, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsanschauung erwarten konnte.
16
Zur Überzeugung des Gerichts kann die Tatsache, dass in einem zum Verkauf stehenden Haus ein Verbrechen stattgefunden hat, je nach den Umständen des Falles auch ungefragt aufklärungspflichtig sein. Dies gilt jedoch nicht zeitlich uneingeschränkt, da bei objektiver Bewertung die Bedeutung eines derartigen Umstandes für die Kaufentscheidung mit zunehmendem Zeitablauf geringer wird. Vorliegend sind zwischen dem zweifachen Mord, der vor dem 02. Oktober 1998 stattgefunden hat, und dem Kaufvertragsabschluss am 13.12.2018 mehr als 20 Jahre vergangen. Zur Überzeugung des Gerichts musste über ein so lange zurückliegendes Verbrechen ohne Nachfrage oder ohne Hinzutreten besonderer Umstände, die hier nicht dargetan sind, daher nicht aufgeklärt werden.
2. Kein arglistiges Handeln auf Beklagtenseite
17
Selbst wenn man entgegen obiger Ziff. 1) vorliegend einen ungefragt offenbarungspflichtigen Umstand annehmen würde, fehlt es auf Seiten der Beklagten an einem arglistigen Handeln. Arglistig handelt nämlich nur der, der damit rechnet bzw. billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragspartner den Umstand nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätte. Nach den Angaben der Beklagten im Rahmen informatorischer Anhörung, denen das Gericht Glauben schenkt, hat das im Jahr 1998 stattgefundene Verbrechen für die Beklagte selbst keine Bedeutung gehabt, es hat ihr beziehungsweise ihrem damaligen Ehemann „nichts ausgemacht“. Die Beklagte hat nach Erlangung der entsprechenden Kenntnis (zwei oder drei Jahre nach Erwerb) auch noch über ein Jahrzehnt selbst in dem Anwesen gewohnt. Die Beklagte hat bekundet, dass die Sache für sie und ihren geschiedenen Ehemann damals keine Rolle gespielt habe bzw. sie sich diesbezüglich „keine großen Gedanken“ gemacht habe. Weiter hat die Beklagte angegeben, dass sie sich beim Verkauf des Hauses keine Gedanken über die Geschichte des Hauses bzw. den Vorfall gemacht habe. Das sei bei ihr „ganz weit hinten im Kopf“ gewesen. Das Gericht glaubt der Beklagten. Sie hat daher gerade nicht billigend in Kauf genommen, dass die Klägerin den Vertrag bei Kenntnis der entsprechenden Umstände nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Jedenfalls ist das Gegenteil von der insoweit darlegungs- und beweibeslasteten Klägerseite nicht nachgewiesen.
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3. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die begehrte Rückabwicklung des Vertrages auch nicht darauf gestützt werden könnte, dass das Haus in Folge seiner Vorgeschichte einen „Sachmangel“ aufweise. Aus dem als Anlage K1 vorgelegten Vertrag ist ersichtlich, dass die Haftung für Sach- und Rechtsmängel ausgeschlossen wurde und somit nur arglistig verschwiegene Mängel entsprechende Gewährleistungsansprüche des Käufers auslösen könnten. Arglistiges Verschweigen eines möglichen Sachmangels liegt aber aus den oben dargelegten Gründen nicht vor.
19
Die Klägerin kann daher weder die Rückabwicklung des Kaufvertrages noch Schadenersatz für die von ihr für den Fall der Rückabwicklung vergebens getätigten Aufwendungen verlangen.
20
Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf Feststellung von Annahmeverzug bzw. Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.