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LG München II, Endurteil v. 12.03.2021 – 10 O 4155/20 Ver
Titel:

Kein Deckungsschutz aus Betriebsschließungsversicherung in der Corona-Pandemie

Normenketten:
IfSG § 6, § 7
BGB § 307 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Definieren die Bedingungen einer Betriebsschhließungsversicherung die für den Versicherungsfall maßgebenden Krankheiten und Krankheitserreger als "die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten", besteht kein Leistungsanspruch in der Corona-Pandemie, wenn Covid-19/SARS-COV-2 in den Bedingungen namentlich nicht genannt wird (Anschluss an OLG Stuttgart BeckRS 2021, 2001; BeckRS 2021, 2002). (Rn. 31 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine derartige Regelung in den Versicherungsbedingungen ist weder intransparent noch benachteiligt sie den Versicherungsnehmer unangemessen. (Rn. 43 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Corona-Pandemie, Covid-19, SARS-COV-2, Gastronomie, Inhaltskontrolle, Transparenzgebot
Fundstelle:
BeckRS 2021, 4549

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.   
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Klägerin gegen die Beklagte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung hat.
2
Die Klägerin betreibt in Pöcking einen Gasthof.
3
Zwischen den Parteien besteht seit dem 18.04.2019 unter der VS-Nr.: 060...5.1 und der Bezeichnung “H… All Inclusive“ u.a. eine Betriebsschließungsversicherung.
4
Gem. dem Versicherungsschein vom 26.04.2019 (vgl. Anlage K1) gilt diese Versicherung „für die Betriebsschließung infolge einer Seuchengefahr für Schließungsschäden bzw. für Warenschäden“. Vereinbart wurde insb. eine Tagesentschädigung i.H.v. 3.000,00 € bei einer Haftzeit von bis zu 60 Tagen pro Versicherungsfall und einem Selbstbehalt je Versicherungsfall i.H.v. 2 Arbeitstagen.
5
Gegenstand dieses Versicherungsvertrages sind die von der Beklagten verwendeten „… Business All Inclusive Allgemeine Versicherungsbedingungen (Hotel- und Gastgewerbe) BL-AIHG-1607“, hier: „Abschnitt C Betriebsschließungsversicherung“, (im Folgenden einfach „AVB“), Stand 01.07.2016 (vgl. Anlage K2).
6
Nr.1 AVB hat folgenden Wortlaut:
„1.1 Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
(…)
1.2 Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
a) Krankheiten (…)“
(Es folgt eine Aufzählung bestimmter Krankheiten. Zumindest nicht explizit in dieser Aufzählung enthalten ist die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19).)
„b) Krankheitserreger (…)“
(Es folgt eine Aufzählung bestimmter Krankheitserreger. Nicht in dieser Aufzählung enthalten ist das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2).)
„1.3 Nicht versicherte Schäden Nicht versichert sind ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen Schäden (…)
e) von Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf;
(…)“
7
Jeweils ausdrücklich aufgrund der gegenwärtigen Corona-Pandemie kam es in Bayern zum Erlass u.a. folgender Allgemeinverfügungen bzw. Verordnungen:
8
- Gem. Nr. 3 der Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020, Az.: 51-G8000-2020/122-67, wurde, gestützt auf § 28 I 2 IfSG, wurde mit Wirkung vom 18.03.2020 bis zum 30.03.2020 Folgendes bestimmt:
„Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen hiervon sind in der Zeit von 6.00 bis 15.00 Uhr Betriebskantinen sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ausgenommen ist zudem die Abgabe von Speisen zum Mitnehmen bzw. die Auslieferung; dies ist jederzeit zulässig. Es muss sichergestellt sein, dass der Abstand zwischen den Gästen mindestens 1,5 Meter beträgt und dass sich in den Räumen nicht mehr als 30 Personen aufhalten. Weiter ausgenommen sind Hotels, soweit ausschließlich Übernachtungsgäste bewirtet werden.“
9
- Gem. Nr. 1 der Allgemeinverfügung vom 17.03.2020 zur Änderung der Allgemeinverfügung über Veranstaltungsverbote und Betriebsuntersagungen anlässlich der Corona-Pandemie vom 16. März 2020, Az. 51-‍G8000-2020/122-67, wurde mit Wirkung ab 18.03.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
„e) In Nr. 3 wird nach dem ersten Satz folgender neuer Satz eingefügt: „Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen).
f) In Nr. 3 wird der letzte Satz durch folgende zwei Sätze ersetzt: „Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
10
- Gem. Nr. 2 der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020, Az.: Z6a-G8000-2020/122-98, wurde, gestützt auf § 28 I 2 IfSG, wurde mit Wirkung vom 21.03.2020 bis zum 03.04.2020 Folgendes bestimmt:
„Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.“
11
- Gem. § 2 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV) vom 27.03.2020 wurde mit Wirkung vom 31.03.2020 bis zum 19.04.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
12
- Gem. § 2 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16.04.2020 wurde mit Wirkung vom 20.04.2020 bis zum 03.05.2020 Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z.B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
13
- Gem. § 4 der Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (3. BayIfSMV) vom 01.05.2020 wurde mit Wirkung vom 04.05.2020 bis zum 10.05.2020 Folgendes bestimmt:
„(2) Untersagt sind Gastronomiebetriebe jeder Art. Dies gilt auch für Gaststätten und Gaststättenbereiche im Freien (z. B. Biergärten, Terrassen). Ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
(3) Untersagt ist der Betrieb von Hotels und Beherbergungsbetrieben und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte zu privaten touristischen Zwecken. Hiervon ausgenommen sind Hotels, Beherbergungsbetriebe und Unterkünfte jeglicher Art, die ausschließlich Geschäftsreisende und Gäste für nicht private touristische Zwecke aufnehmen.“
14
- Gem. der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 05.05.2020 wurde mit Wirkung vom 11.05.2020 bis zum 17.05.2020 u.a. Folgendes bestimmt:
㤠13 Gastronomie
Gastronomiebetriebe jeder Art sind untersagt. Ausgenommen sind:
1. Die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen und Getränken,
2. nicht öffentlich zugängliche Betriebs- und Schulkantinen, wenn gewährleistet ist, dass der Abstand zwischen den Gästen mindestens 1,5 m beträgt.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 hat der Betreiber ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. § 12 Abs. 4 gilt entsprechend.
§ 14 Hotellerie
(1) Der Betrieb von Hotels, Beherbergungsbetrieben, Schullandheimen, Jugendherbergen und die Zurverfügungstellung jeglicher Unterkünfte ist vorbehaltlich der Regelungen des Abs. 2 untersagt. Insbesondere darf für private touristische Zwecke keine Übernachtungsmöglichkeit angeboten werden.
(2) Zulässig ist die Beherbergung
1.
von Geschäftsreisenden,
2.
in Seminar- und Bildungshäusern, Wohnheimen und vergleichbaren Einrichtungen zu Zwecken der beruflichen Aus- oder Fortbildung, und
3.
von privat Reisenden, soweit der Aufenthalt nicht touristisch begründet ist.“
15
Noch vor dem 24.03.2020 zeigte die Klägerin der Beklagten den Versicherungsfall an.
16
Mit Schreiben vom 24.03.2020 (vgl. Anlagenkonvolut K3) lehnte die Beklagte eine Einstandspflicht ab. Mit Schriftsatz ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 10.08.2020 (vgl. ebenfalls Anlagenkonvolut K3) forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 24.08.2020 zur Zahlung von 174.000,00 € (nebst Zinsen) aus der Betriebsschließungsversicherung auf, was wiederum von der Beklagten mit Schreiben vom 12.08.2020 (vgl. Anlage K4) abgelehnt wurde.
17
Die Klägerin behauptet, aufgrund der entsprechenden Allgemeinverfügungen bzw. Rechtsverordnungen sei ihr Hotelbetrieb in der Zeit vom 17.03.2020 bis zum 31.05.2020 und ihr Gaststättenbetrieb in der Zeit vom 20.03.2020 bis zum 17.05.2020 vollständig eingestellt worden. In der Zeit vom 18.05.2020 bis zum 24.05.2020 sei bzgl. der Gaststätte nur der Außenbereich betrieben worden.
18
Sie vertritt u.a. die Ansicht, die o.g. in Nr. 1 AVB enthaltene Aufzählung von Krankheiten umfasse sehr wohl auch die Krankheit COVID-19. Denn soweit in dieser Aufzählung auch „der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung“ enthalten ist, dürfte unstreitig sein, dass COVID-19 gesundheitliche Spätfolgen hervorrufen kann, welche weit über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehen. Selbst wenn man dies anders sehen sollte, müsste die Beklagte hier trotzdem leisten, wobei diesbezüglich insb. auf die Urteile des LG München I, Az.: 12 O 5868/20, und LG Hamburg, Az.: 412 HKO 91/20, Bezug genommen werde.
19
Sie habe daher gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Tagesentschädigung i.H.v. 3.000,00 € für die Zeit von 60 Tagen, d.h. insg. 180.000,00 €, abzüglich dem o.g. Selbstbehalt i.H.v. 6.000,00 € (nebst Zinsen) und auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren.
20
Die Klägerin beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Zahlbetrag in Höhe von 174.000,00 € zu bezahlen nebst Zinsen hierauf in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Leistungsablehnung der Beklagten mit Schreiben vom 24.03.2020.
II. Die Beklagte wird ferner verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren in Höhe von 4.272,51 € freizustellen.
21
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
22
Die Beklagte bestreitet, dass der Betrieb des Klägers tatsächlich vollständig geschlossen gewesen sei.
23
Sie vertritt im Übrigen - neben diversen weiteren rechtlichen Einwänden - die Ansicht, es liege bereits deswegen kein Versicherungsfall vor, weil die in Nr. 1 AVB enthaltenen Krankheiten- und Krankheitserreger-Kataloge jeweils - auch für einen verständigen Versicherungsnehmer leicht erkennbar - sehr wohl abgeschlossen seien und dort weder COVID-19 noch SARS-CoV-2 enthalten seien.
24
Mit Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts München II vom 20.01.2021 wurde die Sache gemäß § 348 a I ZPO auf den Einzelrichter übertragen.
25
Es wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, wobei hinsichtlich des Inhalts dieser Verhandlung auf das Sitzungsprotokoll vom 24.02.2021 Bezug genommen wird (Bl. 108/110 d.A.).
26
Beweis wurde nicht erhoben.
27
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die ausgetauschten Schriftsätze der Parteivertreter samt Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
28
Die Klage war abzuweisen, weil sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.
29
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 174.000,00 € (nebst Zinsen) sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 4.272,51 €.
30
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 174.000,00 € aus der Betriebsschließungsversicherung.
31
Es liegt nämlich bereits deswegen kein Versicherungsfall vor, weil die o.g. Allgemeinverfügungen bzw. die o.g. Rechtsverordnungen jeweils ausschließlich wegen der gegenwärtigen Corona-Pandemie erlassen worden sind, während Nr. 1 AVB dahingehend auszulegen ist, dass die dort enthaltenen Krankheiten- und Krankheitserreger-Kataloge, welche weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 enthalten, abschließend sind. Zudem bestehen auch keine Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Versicherungsbedingungen.
32
Das Gericht folgt dabei der nach dem gegenwärtigen Stand ganz vorherrschenden Meinung in der Rechtsprechung, wobei neben den bereits zahlreich veröffentlichten Landgerichtsentscheidungen insbesondere die beiden aktuellen Urteile des OLG Stuttgart jeweils vom 15.02.2021, Az.: 7 U 335/20, BeckRS 2021, 2001, und Az.: 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002, hervorzuheben sind.
33
a) Wie es das OLG Stuttgart in seinen beiden o.g. Urteilen jeweils überzeugend formuliert, ist von folgendem rechtlichen Ausgangspunkt auszugehen:
„Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Bei der hier in Rede stehenden Betriebsschließungsversicherung ist überdies zu berücksichtigen, dass der typische Adressaten- und Versichertenkreis nicht in Verbraucherkreisen zu suchen ist, sondern vielmehr geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut ist, nachdem die Versicherung ihrem Zweck und Inhalt nach auf Gewerbebetriebe abzielt (vgl. dazu allgemein BGH, Urteile vom 18.11.2020 - IV ZR 217/19 Rn. 11 und vom 21.04.2010 - IV ZR 308/07 Rn. 12).“
34
b) Einem derartigen Versicherungsnehmer erschließen sich folgende Aspekte, wobei in der Folge kein Raum mehr bleibt für eine Anwendung der Mehrdeutigkeitsbestimmung des § 305c II BGB:
35
(1.) Betrachtet man den Wortlaut der AVB, so fällt auf, dass sowohl die Krankheit COVID-19 als auch der Krankheitserreger SARS-CoV-2 fehlen. Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich COVID-19 insbesondere auch nicht etwa unter den „Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung“ subsumieren. Denn bei COVID-19 handelt es sich, wie allgemein bekannt, nicht um eine Impfreaktion, sondern eine Infektionskrankheit. Unter den Versicherungsschutz sollen aber nur, was in Nr. 1.2 AVB mit den Worten „im Sinne dieser Bedingungen“, „die folgenden“ und „namentlich genannten“ verdeutlicht wird, die dort aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger fallen.
36
(2.) Bei einem Vertragsschluss bereits im April 2019 und Verwendung von AVB mit dem Stand vom 01.07.2016, wie hier, konnten zwar die damals noch unbekannte Krankheit COVID-19 sowie der ebenso noch unbekannte Krankheitserreger SARS-CoV-2 gar nicht Eingang in die AVB finden. Erst seit der jeweiligen Fassung vom 19.05.2020 wird im Übrigen in § 6 IfSG (unter Abs. 1 Nr. 1 lit. t) die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) und in § 7 IfSG (unter Abs. 1 S. 1 Nr. 44a) das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) aufgelistet. Hätte hier aber tatsächlich keine statische, sondern eine dynamische Klausel vereinbart werden sollen, so wäre es naheliegend gewesen, dies durch eine Bezugnahme auf die zum Zeitpunkt der Betriebsschließung jeweils gültige Fassung des IfSG auszudrücken. Darüber hinaus hätte ohne weiteres auch eine Bezugnahme auf das IfSG insofern erfolgen können, als dort unter § 6 I 1 Nr. 5 bzw. unter § 7 II 1 Auffangtatbestände für nicht aufgezählte, aber bedrohliche übertragbare Krankheiten und gefährliche Krankheitserreger vorliegen.
37
(3.) Weiterhin fällt auf, dass bei dem Krankheiten-Katalog in Nr. 1.2 lit. a AVB nicht nur COVID-19 fehlt. Es fehlt vielmehr auch die bereits lange vor Vertragsschluss und darüber hinaus auch schon vor dem Zeitpunkt der Fassung der hiesigen AVB (01.07.2016) in § 6 I Nr. 1 IfSG enthaltene Krankheit humane spongiforme Enzephalopathie (= Creutzfeldt-Jakob-Krankheit). Im Übrigen fehlen auch noch die jeweils seit der Fassung vom 21.03.2013 in § 6 I IfSG enthaltenen Krankheiten Keuchhusten, Mumps, Röteln und Windpocken. Zudem stellt sich die Frage, wozu überhaupt - recht umständlich - solche Aufzählungen von Krankheiten und Krankheitserregern in den AVB stehen, wenn dies nach dem Verständnis des Klägers letztlich überflüssig wäre. Viel näher liegt der Schluss, dass die Beklagte hier ganz bewusst enumerativ bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger aufgelistet hat, um das für sie bestehende Versicherungsrisiko zu begrenzen. Angemerkt sei, dass sich ein solch begrenztes Risiko regelmäßig auch in entsprechend moderaten Versicherungsprämien widerspiegelt.
38
(4.) Gegen diese Auslegung ließe sich zwar einwenden, dass der unter Nr. 1.3 lit. e AVB geregelte Haftungsausschluss bei Prionenerkrankungen sinnlos wäre, wenn es sich hier tatsächlich um eine statische Klausel handeln würde. Tatsächlich findet sich nämlich in dem in Nr. 1.2 AVB enthaltenen Krankheiten-Katalog keine Prionenerkrankung. So wurde, wie bereits ausgeführt, die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, eine Prionenerkrankung, in den Katalog gerade nicht aufgenommen. Es stellt sich mithin die Frage, weshalb die Versicherung eine Krankheit aus dem Versicherungsschutz herausnehmen möchte, wenn sie Betriebsschließungen aufgrund dieser Krankheit ohnehin bereits im Rahmen der Risikobegrenzung nicht versichert. Dies könnte als Argument für eine dynamische Klausel herangezogen werden.
39
Wie das OLG Stuttgart in seinem o.g. Urteil, Az.: 7 U 335/20, überzeugend ausführt, gilt diesbezüglich jedoch Folgendes:
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog(…) nicht als abschließend. Es handelt sich lediglich um einen klarstellenden Hinweis. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 2 AVB erkennbar und eindeutig („nur“) abschließend formulierte und ohne ausdrücklichen Bezug zu den §§ 6 f. IfSG aufgestellte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
40
Anzumerken ist, dass sich zwar die Klausel in dem vom OLG Stuttgart mit dem o.g. Urteil entschiedenen Fall insofern von der hiesigen unterscheidet, als dort das - besonders einengende - Wort „nur“ verwendet worden ist. Aber auch hier finden sich mit „die folgenden“ und „namentlich“ zumindest annähernd so restriktive Worte.
41
Entsprechend hat das OLG Stuttgart auch wiederum in seinem bereits zitierten Urteil mit dem Az.: 7 U 351/20, bzgl. einer Klausel ohne das Wort „nur“, überzeugend ausgeführt:
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog in Ziff. 1.2 AVB nicht als abschließend. Es wird vielmehr lediglich darauf hingewiesen, dass eine Mitursächlichkeit einer anderen Erkrankung ebenso wie die Mitursächlichkeit anderer, äußerer Faktoren den Versicherungsschutz entfallen lässt. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 1.2 AVB erkennbar abschließend formulierte Katalog solle wieder geöffnet werden.“Anzumerken ist, dass sich zwar die Klausel in dem vom OLG Stuttgart mit dem o.g. Urteil entschiedenen Fall insofern von der hiesigen unterscheidet, als dort das - besonders einengende - Wort „nur“ verwendet worden ist. Aber auch hier finden sich mit „die folgenden“ und „namentlich“ zumindest annähernd so restriktive Worte.
42
Entsprechend hat das OLG Stuttgart auch wiederum in seinem bereits zitierten Urteil mit dem Az.: 7 U 351/20, bzgl. einer Klausel ohne das Wort „nur“, überzeugend ausgeführt:
„Damit wird nicht der Eindruck erweckt, der Versicherer verstehe den Katalog in Ziff. 1.2 AVB nicht als abschließend. Es wird vielmehr lediglich darauf hingewiesen, dass eine Mitursächlichkeit einer anderen Erkrankung ebenso wie die Mitursächlichkeit anderer, äußerer Faktoren den Versicherungsschutz entfallen lässt. Ein Rückschluss von dieser Ausnahme auf den Umfang der Leistungspflicht liegt für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer gerade nicht nahe, schon gar nicht kann hieraus bei verständiger Betrachtung der Schluss gezogen werden, der in Ziff. 1.2 AVB erkennbar abschließend formulierte Katalog solle wieder geöffnet werden.“
43
c) Es liegt auch kein Fall der Unwirksamkeit der Regelung zum Umfang des Versicherungsschutzes gem. § 307 BGB vor:
44
(1.) Wie bereits oben im Rahmen der Ausführungen zur Auslegung der Klausel dargelegt, ist die Regelung nicht intransparent i.S.d. § 307 I 2 BGB. Es erschließt sich dem verständigen Versicherungsnehmer - zumindest bei einer für ihn nicht unzumutbaren Heranziehung des Gesetzestextes von § 6 f. IfSG - vielmehr, dass er hier gerade keinen umfassenden, sondern nur einen lückenhaften Versicherungsschutz erhält.
45
(2.) Auch benachteiligt die Regelung den Versicherungsnehmer nicht etwa deswegen treuwidrig unangemessen i.S.d. § 307 I 1 BGB, weil er keinen umfassenden Versicherungsschutz erhält. Vielmehr stellt sich dies als Ausdruck der Privatautonomie dar, wonach die Parteien grundsätzlich frei in der Ausgestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen sind. Würde man verlangen, dass Versicherungen stets nur einen umfassenden Versicherungsschutz zu gewähren haben, würde sich dies als Eingriff in die Privatautonomie darstellen. Wenn der Versicherungsnehmer an einem umfassenderen Schutz interessiert ist, liegt es an ihm, sich um eine entsprechende andere Vertragsgestaltung zu bemühen, und sei es auch, wie bereits erwähnt, ggf. zum Preis höherer Versicherungsprämien, bzw. sich eine andere Versicherung als Vertragspartner zu suchen.
46
(3.) Schließlich ergibt sich hier auch keine Unwirksamkeit der Regelung aus einer fehlenden Vereinbarkeit i.S.d. § 307 II Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung, von welcher abgewichen würde. Tatsächlich existiert eine solche gesetzliche Regelung im hiesigen Zusammenhang nämlich gar nicht. Gesetzlich geregelt ist im IfSG der Schutz der Bevölkerung vor ansteckenden Krankheiten, nicht aber der Schutz des Unternehmers vor Schäden aufgrund pandemiebedingter Betriebsschließungen (vgl. auch OLG Stuttgart, a.a.O.).
47
2. Mangels Bestehens eines Anspruchs in der Hauptsache hat die Klägerin gegen die Beklagte auch keine Ansprüche auf Zahlung von Verzugs- bzw. Prozesszinsen und auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
II.
48
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I 1 ZPO.
III.
49
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.