Titel:
Urlaubsabgeltung nach Langzeiterkrankung vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Normenketten:
BUrlG § 7 Abs. 3, Abs. 4
Arbeitszeit-RL Art. 7 Abs. 1
BGB § 275 Abs. 1
SGB IX § 208 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Hat der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt und war es dem Arbeitnehmer bis zum Übertragungszeitraum allein aufgrund durchgehend bestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, den Urlaub zu nehmen, ist § 7 Abs. 3 BUrlG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Dies betrifft den Urlaub für Urlaubsjahre, in denen der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig krank war und deshalb - unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat - überhaupt keinen Urlaub nehmen konnte. Auch in diesem Fall ist von besonderen Umständen auszugehen, die den Verfall des Urlaubsanspruchs rechtfertigen (Anschluss an BAG BeckRS 2020, 16677 Rn. 19). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden. Der Zusatzurlaub teilt das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubs (Anschluss an BAG BeckRS 2019, 10842 Rn. 24). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Solange der Arbeitgeber von einer Schwerbehinderung des Arbeitnehmers keine Kenntnis hat, besteht für ihn keine Verpflichtung, ihn – gleichsam prophylaktisch – auf einen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen hinzuweisen und diesen ggf. vorsorglich zu gewähren (Anschluss an LAG Rheinland-Pfalz BeckRS 2021, 3608 Rn. 19; s. auch LAG Rheinland-Pfalz BeckRS 2021, 24318 Rn. 23). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Urlaubsabgeltung, Schwerbehinderung, Arbeitsunfähigkeit, Langzeiterkrankung, Zusatzurlaub, Hinweisobliegenheiten, RL 2003/88/EG
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Endurteil vom 15.09.2020 – 17 Sa 4787/19
Fundstelle:
BeckRS 2021, 44844
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 15.09.2020, Az.: 17 Ca 4787/19, teilweise abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 576,45 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.09.2019 zu zahlen.
Im Übriger wird die Klage abgewiesen.
3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Abgeltung von Urlaubsansprüchen und Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen für die Jahre 2015 bis 2019.
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Der Kläger war bei der Beklagten als Helfer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wird geregelt durch den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 04.12.2000 (Bl. 15 f. d.A.). Der Kläger war in die Lohngruppe IV eingruppiert, danach war nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Lohnabkommens für die Druckindustrie (gültig ab 01. September 2018) ab Mai 2019 ein Bruttostundenlohn in Höhe von 16,47 € zu zahlen. Für das Arbeitsverhältnis galt eine 35-Stunden-Woche.
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Der Kläger war seit spätestens 01.01.2015 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Ebenso war bei ihm seit diesem Zeitpunkt eine Schwerbehinderung anerkannt, vgl. Bescheinigung des Versorgungsamts vom 22.07.2019, Bl. 27 d.A. und Kopie des Schwerbehindertenausweises des Klägers, Bl. 25 f. d.A.).
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Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des 31.07.2019. Die Beklagte hat mit der Abrechnung für Juli 2019 (Anlage B1, Bl. 60 d.A.) insgesamt 50 Urlaubstage (für das Jahr 2018: 30 Urlaubstage, für das Jahr 2019: 20 Urlaubstage) in Höhe von 5.764,50 € brutto abgerechnet und ausbezahlt.
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Mit Schreiben vom 02.09.2019 (Bl. 32 f. d.A.) ließ der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen in Höhe von 19.938,21 € brutto auffordern. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 06.09.2019 angekündigt, noch 15 Tage Urlaubstage abzugelten und 1.729,35 € brutto an den Kläger auszuzahlen, in Übrigen hat sie die Ansprüche des Klägers zurückgewiesen. Die Beklagte hat mit Nachberechnung vom September 2019 (Anlage B3; Bl. 64 d.A.) weitere 15 Urlaubstage (für das Jahr 2019: zehn Urlaubstage zuzüglich fünf Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen) in Höhe von 1.729,35 € brutto abgerechnet und ausgezahlt.
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Mit seiner Klage vom 11.09.2019, eingegangen beim Arbeitsgericht Nürnberg am 12.09.2019 und der Beklagten am 19.09.2019 zugestellt, verfolgt der Kläger seine Ansprüche auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 19.938,21 € brutto weiter.
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Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien in erster Instanz und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtener Entscheidung verwiesen.
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Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 15.09.2020 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses weder Anspruch auf die Abgeltung von Urlaubsansprüchen zuzüglich Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen für die Jahre 2015, 2016 und 2017 noch auf Zahlung weiterer Urlaubsabgeltung für die Jahre 2018 und 2019 und den jeweiligen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 7 Abs. 4 BurlG. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung setze voraus, dass zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein offener Urlaubsanspruch bestünde, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden könne. Die Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers für die Jahre 2015, 2016 und 2017 sowie die jeweiligen Ansprüche auf Zusatzurlaub seien jedoch erloschen, da der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen se:. Die Urlaubsansprüche seien erloschen, obwohl die Beklagte den Kläger unstreitig nicht auf den Verfall seiner bestehenden Urlaubsansprüche hingewiesen habe. Im Fall des langandauemd erkrankten Arbeitnehmers vermöge die Befristung des Urlaubsanspruchs den Arbeitnehmer nicht dazu anzuhalten, den Urlaub grundsätzlich in Urlaubsjahr geltend zu machen. Eine Aufforderung des Arbeitgebers führe in diesem Fall gerade nicht dazu, dass ein verständiger Arbeitnehmer seinen Urlaub rechtzeitig voll beantragt. Der Arbeitgebe: könne dem Arbeitnehmer wegen dessen Arbeitsunfähigkeit keinen Urlaub gewähren, unabhängig davon ob der Arbeitnehmer einen Urlaubsantrag stellt oder hierauf verzichtet. Deshalb sei der Urlaubsanspruch, einschließlich der Ansprüche auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus den Jahren 2015 bis 2017 verfallen.
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Dem Kläger stünden keine Ansprüche auf eine höhere Urlaubsabgeltung für die Jahre 2018 und 2019 zu. Unstreitig habe die Beklagte für 2018 und 2019 jeweils 30 Urlaubstage abgerechnet und ausgezahlt. Die Beklagte habe die Abgeltung aufgrund der tariflichen Bestimmungen errechnet. Der carlegungs- und beweisbelastete Kläger habe die von ihm beanspruchte höhere regelmäßige Vergütung nicht substantiiert darlegen können.
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Den Kläger stünde auch kein Anspruch auf die Zahlung von Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen für die Jahre 2018 und 2019 zu. Unstreitig habe die Beklagte für das Jahr 2019 5 weitere Tage abgerechnet und ausgezahlt. Auch hier habe der Kläger eine höhere Berechnungsgrundlage nicht darlegen können. Für das Jahr 2018 stünde dem Kläger kein Anspruch auf Abgeltung von Zusatzurlaub zu, da der Kläger nicht substantiiert dargelegt habe, dass die Beklagte von seiner Schwerbehinderung vor dem Schreiben vom 02.09.2020 Kenntnis gehabt habe. Erst mit Kenntniserlangung obliege dem Arbeitgeber als Nebenpflicht die Gewährung des Zusatzurlaubs. Der Kläger habe eine frühere Kenntnis der Beklagten nicht nachweisen können.
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Das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 15.09.2020 ist dem Kläger am 28.09.2020 zugestellt worden. Die Berufungsschrift vom 28.10.2020 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 28.10.2020 eingegangen. Die Berufungsbegründungsschrift vom 26.11.2020 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg em 27.11.2020 eingegangen.
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Der Kläger wendet sich gegen das Ersturteil. Unstreitig habe er aufgrund langjähriger Erkrankung die Urlaubsansprüche für die Jahre 2015 bis einschließlich 2019 nicht h Natur nehmen können. Es sei unstreitig, dass beim Kläger das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft für die Zeit ab 01. Januar 2015 festgestellt worden sei. Für die Jahre 2018 und 2019 habe die Beklagte zwar Urlaubsabgeltung teilweise in Höhe von 30 Tagen für 2018 und 20 Tage für 2019 geleistet. Allerdings habe die Beklagte ein zu niedriges Ausgangsgehalt zugrunde gelegt. Tatsächlich sei von einem durchschnittlichen Ausgangsgehalt in Höhe von 2.937,45 € brutto auszugehen. Der Kläger habe seine Schwerbehinderung nachgewiesen, der Urlaubsanspruch sei entstanden und nicht verfallen. Nach der Rechtsprechung des EuGH trete kein Verfall ein, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht auf den drohenden Verfall hingewiesen habe. Dies gelte nach der Rechtsprechung des BAG auch bei Krankheit. Sonst bestünde eine Kollision mit Unionsrecht. Gegebenenfalls sei das hiesige Verfahren auszusetzen.
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Der Kläger und Berufungskläger stellt im Berufungsverfahren folgende Anträge:
- 1.
-
Des Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 15. September 2020, Az. 17 Ca 4787/19, wird abgeändert.
- 2.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.938,21 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06. September 2019 zu bezahlen.
- 3.
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Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
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Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt:
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Die Berufung wird zurückgewiesen und dem Kläger werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
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Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefen ihres erstinstanzlichen Sachvortrags. Die Berufung sei zumindest teilweise unzulässig. Es werde faktisch der gesamte erstinstanzliche Vortrag wiederholt, ohne sich überhaupt mit dem Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg inhaltlich auseinanderzusetzen. Die Berufung sei aber auch nicht begründet. Die Urlaubsansprüche des Klägers für die Urlaubsjahre 2015 bis 2017 seien 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Jrlaubsjahres verfallen, so dass mit Ablauf des 31.03.2019 Urlaubsansprüche des Klägers aus diesen Jahren nicht mehr bestanden und damit auch nicht abzugelten seien. Die neue Rechtsprechung des EuGH vermöge daran nichts zu ändern. Der Zweck der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers ergebe sich grundsätzlich aus der richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 BurlG und solle verhindern, dass der Arbeitnehmer gerade deshalb seinen Urlaubsanspruch nicht wahrnehme, weil der Arbeitgeber ihn nicht auf den Verfall seiner Urlaubsansprüche hingewiesen habe. Im Fall des langandauernd erkrankten Klägers hätte die Befristung des Urlaubsanspruchs den Arbeitnehmer nicht dazu anzuhalten vermögen, den Urlaub grundsätzlich im Urlaubsjahr geltend zu machen. Eine Aufforderung des Arbeitgebers könne gerade nicht dazu führen, dass ein verständiger Arbeitnehmer seinen Urlaub rechtzeitig vor dem Verfall beantrage. Die Beklagte habe den Abgeltungsanspruch richtig berechnet, entgegen der Auffassung des Klägers sei der Stundenlohn von 16,47 € maßgebend. Darüber hinaus werde bestritten, dass beim Kläger das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft für die Zeit ab 01. Januar 2015 festgestellt wurde. So bestehe bereits deshalb kein Anspruch auf Abgeltung des Zusatzurlaubs, da der Beklagten die Schwerbehinderteneigenschaft erst mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 02.09.2019 und damit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Kenntnis gelangt sei. Erst mit Kenntniserlangung könne der Arbeitgeber den Zusatzurlaub gewähren. Eine Aussetzung des Rechtsstreits sei nicht veranlasst. Der vorliegende Fall sei nicht mit dem Fall vergleichbar, der derzeit dem EuGH vorgelegt worden sei. Es gehe nicht um eine teilweise Arbeitsfähigkeit des Klägers in den streitgegenständlichen Jahren.
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Bezüglich der näheren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auch auf die Sitzungsniederschrift vom 15.04.2021 Bezug genommen.
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Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig.
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Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
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Die Berufung des Klägers ist aber weitgehend unbegründet. Das Erstgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, was die Urlaubsansprüche der Jahre 2015 bis 2017 und die vom Kläger beanspruchte höhere Urlaubsvergütung betrifft. Das Berufungsgericht folgt insoweit der ausführlich und zutreffend unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung begründeten Entscheidung des Arbeitsgerichts Nürnberg und macht sich dessen Erwägungen vollständig zu eigen. Von einer rein wiederholenden Darstellung wird abgesehen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Lediglich hinsichtlich des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen für das Jahr 2018 ist das Berufungsgericht anderer Ansicht.
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1. Im Hinblick auf das Berufungsvcrbringen betreffend den Verfall der Urlaubsansprüche 2015 bis 2017 sind vertiefte Ausführungen nicht veranlasst. Der Kläger hat in seiner Berufung seine bereits erstinstanzlich vorgetragenen Rechtsansichten im Wesentlichen nur wiederholt, die angesprochenen Rechtsprobleme hat das Erstgericht bereits vollständig abgearbeitet und in seiner Entscheidung entsprechend berücksichtigt. Auch das Berufungsgericht geht davon aus, dass die genannten Urlaubsansprüche verfallen sind. Ausdrücklich ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger unstreitig seit dem 01.01.2015 durchgehend bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.07.2019 arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Ebenso unstreitig hat die Beklagte den Kläger in diesem Zeitraum nicht auf den drohenden Verfall seiner Urlaubsansprüche hingewiesen.
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Hat der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt und war es dem Arbeitnehmer bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres allein aufgrund durchgehend bestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, den Urlaub zu nehmen, ist § 7 Abs. 3 BUrlG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Dies betrifft den Urlaub für Urlaubsjahre, in deren der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig krank war und deshalb - unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat - überhaupt keinen Urlaub nehmen konnte. Auch in diesem Fall ist von besonderen Umständen auszugehen, die den Verfall des Urlaubsanspruchs rechtfertigen (BAG, EuGH - Vorlage vom 07.07.2020 - 9 AZR 401/19 (a) -, Rn. 19, juris). Allerdings bestehen die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers regelmäßig auch, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Sie können ihren Zweck erfüllen, weil sich die Dauer der Erkrankung nicht von vorneherein absehen lässt. Jedoch ist die Befristung des Urlaubsanspruchs bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BurlG nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es - was erst im Nachhinein feststellbar ist - objektiv und möglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, cen Urlaubsanspruch zu realisieren (BAG a.a.O., Rn. 23). Dem Arbeitgeber ist die Berufung auf die Befristung und cas Erlöschen des Urlaubsanspruches nicht versagt, wenn auch bei Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten deren Zweck nicht hätte erreicht werden können, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. War der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal. Der Urlaubsanspruch ist auf eine bezahlte Befreiung von der Arbeitspflicht gerichtet. Kann der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung krankheitsbedingt nicht erbringen, wird ihm die Arbeitsleistung unmöglich. Er wird nach § 275 Abs. 1 BGB von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung ist deshalb rechtlich unmöglich (vgl. BAG, a.a.O., Rn. 26, m.w.N.).
24
Das BAG ist der Ansicht, dass dieses Ergebnis im Einklang mit der durch den Gerichtshof gefundenen Auslegung des Unionsrechts steht. Eine Aussetzung des Verfahrens kam deshalb nicht in Beracht. Der Vorlagebeschluss betrifft einen anderen Fall, nämlich, dass der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest noch teilweise hätte nehmen können (BAG, a.a.O., Rn. 29). Dieser Fall liegt hier aber nicht vor. Der Kläger war unstreitig vom 01.01.2015 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.07.2019 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Damit geht das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem BAG davon aus, dass es dem Arbeitgeber im vorliegenden Fall nicht verwehrt ist, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen, da die Erfüllung dieser Obliegenheiten ihren Zweck wegen der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht hätten erreichen können. Die Urlaubsansprüche des Klägers für die Jahre 2015 bis 2017 sind verfallen. Dies umfasst auch die Ansprüche auf Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX. Auf diesem Zusatzurlaub sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden (BAG, Urteil vom 22.01.2019 - 9 AZR 45/16).
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2. Dem Kläger steht auch nicht ein höherer Abgeltungsbetrag zu. Von Anfang an hat die Beklagte die Berechnung des Klägers gerügt und auf ihre Berechnung verwiesen, die den tariflichen Vorschriften entsprochen hat. Zu Recht ist dem das Arbeitsgericht gefolgt. Auch in der Berufung konnte der Kläger das von ihm behauptete „durchschnittliche Ausgangsgehalt in Höhe von 2.937,45 € brutto“ nicht substantiieren. Die Auskunft des Klägervertreters in der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, dass nach seiner Kenntnis der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst des Klägers anhand der vertraglichen Daten berechnet wurde, erklärt die von ihm angenommenen Beträge nicht. Auch insoweit war die Berufung zurückzuweisen.
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3. Anders als das Erstgericht geht das Berufungsgericht aber davon aus, dass dem Kläger noch 5 Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 SGB IX für das Jahr 2018 zustehen. Nach den vorliegenden Kopien von Bescheinigungen des Versorgungsamtes (Bl. 27 d.A.) und des Schwerbehindertenausweises des Klägers (Bl. 26 f d.A.) ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bereits ab 01.01.2015 einen Grad der Behinderung von 60 % zuerkannt bekommen hat. Damit steht ihm grundsätzlich der geltend gemachte Zusatzurlaub zu. Für die Jahre 2015 bis 2017 ist er allerdings wie der vertragliche Anspruch verfallen (vgl. oben 1.). Dem Kläger steht aber roch der Anspruch auf Zusatzurlaub für das Jahr 2018 zu, dieser ist noch nicht verfallen und in der von der Beklagten bereits für 2019 abgerechneten Höhe von 576,45 € (5 Tage × 7 Stunden × 16,47 €) ebzugelten. Es mag die Nebenpflicht zur Urlaubsgewährung erst mit Kenntnis entstehen, der gesetzliche Anspruch gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX entsteht aber ohne weiteres, wenn eine Schwerbehinderung vorliegt. Eine Anzeige gegenüber dem Arbeitgeber ist nicht erforderlich. Dann kann dieser allerdings seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachkommen und de: Zusatzurlaub verfällt (ebenso LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.01.2021 - 5 Sa 267/19). Der hier streitgegenständliche Urlaub von 2018 ist aber noch nicht verfallen und ist deshalb bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten. Selbst wenn die Beklagte Kenntnis von der Schwerbehinderung gehabt hätte, hätte sie den Zusatzurlaub dem langzeiterkrankten Kläger nicht gewähren können, er wäre in jedem Fall abzugelten gewesen. Damit steht dem Kläger der genannte Betrag zu, §§ 7 Abs. 4, 11 Abs. 1 Satz 1 BurlG, § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX.
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 4 BurlG, 288 Abs. 1 BGB.
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1. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 92 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
29
2. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Abs. 1 und 2 ArbGG.