Inhalt

LG München I, Endurteil v. 10.02.2021 – 15 O 18592/17
Titel:

Unbegründete Ansprüche eines Insolvenzverwalters aus Amtshaftung wegen eines enteignungsgleichen Eingriffes

Normenketten:
BGB § 839
LFBG § 40 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
Leitsätze:
1. Ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Beamten überlassen, in welcher Weise er in einer bestimmten Situation vorgehen kann, ist sein Verhalten solange nicht amtspflichtwidrig, als es sich innerhalb der Grenzen einer fehlerfreien Ermessensausübung befindet. (Rn. 88) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff setzt voraus, dass eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme bei einem Betroffenen unmittelbar zu Nachteilen führt, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen. (Rn. 96 – 98) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Amtshaftungsanspruch, Insolvenzverwalter, enteignungsgleichem Eingriff, enteignendem Eingriff, Lebensmittelüberwachung, Wurst- und Schinkenprodukten, Mindesthaltbarkeitsdatum, Listerien, Mitverschulden
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Grund- und Teilurteil vom 31.01.2023 – 1 U 1316/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2024 – III ZR 24/23
Fundstelle:
BeckRS 2021, 44676

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 46.591,90 €, ab 19.12.2019 auf 12.149.074,54 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter der … im folgenden: … Ansprüche aus Amtshaftung und aus enteignungsgleichem Eingriff geltend.
2
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der … die neben Wurst- und Schinkenprodukten auch vegetarische Produkte herstellt.
3
Am 16.03.2016 entnahm die Lebensmittelüberwachung des … in einem … in … am Sand eine Probe des von der … hergestellten Produkts … mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum 28.03.2016. In einem Zwischenbericht vom 24.03.2016 informierte das … darüber, dass in der Probe qualitativ Listerien mit einer quantitativen Anzahl von mehr als 1.000 KbE/g (koloniebildende Einheit pro Gramm) aufgefunden worden seien. Listerien sind Bakterien, die insbesondere für Schwangere, Neugeborene und Immungeschwächte gefährlich werden können. Sie werden durch Erhitzung abgetötet. Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass die Unternehmen dafür sorgen müssen, dass bestimmte Grenzwerte von Listerien eingehalten werden. In der Verordnung (EG) 2073/2005 der Kommission vom 15.11.2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel wurden gesetzliche Grenzwerte festgelegt, ab denen belastete Lebensmittel als nicht mehr verkehrsfähig anzusehen sind. Bevor das Lebensmittel die unmittelbare Kontrolle des Herstellers verlassen hat, dürfen gemäß Anhang I Kapitel 1 Ziffer 1.2 der Verordnung (EG) 2073/2005 Listerien in 25 g nicht nachweisbar sein. Für in Verkehr gebrachte Erzeugnisse beträgt der Grenzwert während der Haltbarkeitsdauer 100 KbE/g.
4
Am 24.03.2016 rief die … das Produkt … mit den Mindesthaltbarkeitsdaten 25.03.2016 und 28.03.2016, Loskennzeichnung 16047, wegen der bakteriellen Kontamination zurück.
5
Die mikrobiologische Untersuchung durch das … vom 30.03.2016 wies in der Probe eine Kontamination mit Listeria monocytogenes (im folgenden: Listerien) über Anreicherung und quantitativ in einer Zahl von 190.000 KbE/g aus.
6
In der Folgezeit wurden weitere Proben von Produkten der … vom … begutachtet. Wegen der Ergebnisse wird auf Anlagen B 5 bis B 16 Bezug genommen.
7
Bei einer von der … in Auftrag gegebenen Untersuchung wurden ausweislich des Befundes des … vom 12.04.2016 Listerien auf einer Edelstahlschütte nachgewiesen.
8
Die Produktion des … wurde daraufhin örtlich in einen anderen Teil der Betriebsstätte verlagert und die Verpackung umgestellt.
9
Am 19.05.2016 teilte das … dem … per E-Mail mit, Untersuchungen beim … und beim … hätten ergeben, dass die Listerien, mit denen die … - Probe, die im März 2016 entnommen worden sei, kontaminiert gewesen sei, ausweislich einer Gesamtgenomsequenzierung dem Clustertyp CT 1248 zuzuordnen seien. Dieser Clustertyp sei Listeriose-Ausbruchsgeschehen in Süddeutschland im Zeitraum 2012 bis 2016 zuzuordnen. Daraufhin wurde am 20.05.2016 eine Betriebskontrolle unter Beteiligung der Spezialeinheit des … durchgeführt. Dabei wurden Proben aus dem Herstellungsbereich und aus dem Werksverkauf der Firma … entnommen. Auch im Einzelhandel wurden Proben von Ware der … entnommen.
10
Am 20.05.2016 erließ das … zunächst mündlich mit Sofortvollzug Maßnahmen. Am 24.05.2016 lagen erste Ergebnisse von 10 Proben vom 20.05.2016 vor, die negativ waren (K 30). Die mündlich am 20.05.2016 angeordneten Maßnahmen wurden mit Auflagenbescheid des … vom 25.05.2016 u.a. betreffend Produktion und Kontrolle von … (K 33) schriftlich bestätigt. Dieser Auflagenbescheid wurde bestandskräftig.
11
Am 25.05.2016 teilte das … per E-Mail dem … mit, der Fund des gleichen NGS-Listeria-Typs, nämlich CT 1248, in dem Produkt … und bei Listeriose-Patienten im süddeutschen Raum zeige mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Zusammenhang auf. Wegen des Wortlauts wird auf Anlage K 32 = B 20 Bezug genommen.
12
Am 27.05.2016 übermittelte das … Ergebnisse der Untersuchungen von weiteren Proben, die am 20. und 23.05.2016 entnommen wurden. Auf die Aufstellung Anlage K 37 wird Bezug genommen. Danach wurden insgesamt 49 Proben gezogen. In Proben von fünf Produkten, den Proben Nummer 14 … 27, 34, 39 und 41 wurden Listerien qualitativ in 25 g festgestellt. Die Probe Nr. 14 war aus einer Selbstbedienungstheke im Werksverkauf der … entnommen worden, die übrigen vier Proben im Einzelhandel. Die zuständigen Behördenmitarbeiter des Beklagten kamen bei einer Telefonkonferenz unter Leitung des … am 27.05.2016 zu dem Ergebnis, dass es erforderlich sei, die Öffentlichkeit zu informieren, auf dem Markt befindliche Produkte der … zurückzurufen und der … zu verbieten, ihre am Betriebsstandort in … hergestellten Produkte in den Verkehr zu bringen. Die … wurde zu der beabsichtigten Pressemitteilung angehört und beantragte am selben Tag um 16.34 Uhr beim Bayerischen Verwaltungsgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, mit der dem Staatsministerium untersagt werden sollte, die beabsichtigte Pressemitteilung mit der Warnung vor den Produkten der … zu veröffentlichen. Auf den Antrag K 39 und K 40 wird Bezug genommen. Diesen Antrag lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht München unter dem Aktenzeichen M 18 E 16.2403 noch mit Beschluss vom selben Tag, dem 27.05.2016 ab (K 42). Gegen diesen Beschluss legte die … kein Rechtsmittel ein.
13
Daraufhin warnte am 27.05.2016 das … in seiner Pressemitteilung Nr. 91/... vor allen … wegen einer möglichen Kontamination mit Listeria monocytogenes. Das Ministerium riet in der Überschrift der Pressemitteilung vom Verzehr von Schinken- und Wurstprodukten der Firma … ab. Im 3. Absatz der Pressemitteilung führt das Ministerium aus, nachdem vermutet werde, dass die unter der Bezeichnung … vertriebenen Produkte der Firma … in Zusammenhang mit einem Listeriose-Ausbruch in Süddeutschland stünden und nun Untersuchungen in fünf weiteren Fällen positive Listerienergebnisse auf verschiedenen Wurstwaren ergeben hätten, bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass von Erzeugnissen der Firma … eine Gefährdung für die Gesundheit der Verbraucher ausgehen könne, auch wenn ein direkter Nachweis von Listerien nicht für sämtliche Produkte der Firma … vorliege. Wegen des Wortlautes der Pressemitteilung wird auf Anlage K 43 Bezug genommen.
14
Gemäß Aktenvermerk des … ordnete … am 27.05.2016 gegenüber der … unter anderem telefonisch an, alle Erzeugnisse der Produktionsanlage … zurückzurufen, sofern das Mindesthaltsbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen war (K 44). Am 27.05.2016 erhob die … beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage gegen die mündliche Anordnung des Vertriebsverbotes und des Rückrufs durch das … (Aktenzeichen des Verwaltungsgerichts M 18 S 16.2408) und beantragte, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen bzw. - so im Schriftsatz an das Verwaltungsgericht vom 06.06.2016 formuliert - wiederherzustellen. Das Aktenzeichen des Bayerischen Verwaltungsgerichts München zum § 80 Abs. 5 VwGO-Antrag lautet M 18 E 16.2409.
15
Am 28.05.2018 erließ das … einen Auflagenbescheid (K 45), in dem der … geboten wurde, alle Erzeugnisse aus der Produktionsanlage … zurückzurufen, die Listerienkontaminationsquelle ausfindig zu machen und in dem bis auf weiteres untersagt wurde, Produkte aus dem Herstellungsbetrieb … Verkehr zu bringen. Die erfolgte Rücknahme sollte die … anhand der Rückrufmitteilungen und der Verteilerliste bis spätestens 03.06.2016 nachweisen.
16
Am Abend des 28.05.2016 übersandte die … dem ….
17
Am 29.05.2016 rief die … in einer Pressemitteilung alle Produkte ihres Sortiments zurück (B 21).
18
Schriftlich wurden die Untersuchungsergebnisse der am 20.05.2016 entnommenen Proben in Gutachten mit Datum 04.06.2016 (Anlage B 8 bis Anlage B 12) festgehalten.
19
Am 06.06.2016 beschränkte die … den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO im Verwaltungsrechtsstreit M 18 E 16.2408 auf die Untersagung des Inverkehrbringens aller Erzeugnisse aus der Produktionsanlage in … da der Rückruf bereits erfolgt war.
20
Mit Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 07.06.2016 wurde auf den Eigenantrag der … vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet.
21
Mit E-Mails vom 10. und 14.06.2016 teilte das … mit, die in drei am 11.04.2016 entnommenen Wammerl-Proben bzw. Proben „Bauchspeck Schwein gepöckelt gegart geräuchert“ gefundenen Listerien seien solche des Clustertyps 1248, die Listerien in der am 18.04.2016 entnommenen Probe … jedoch solche eines anderen Clustertyps (Anlagen B 21 und B 22).
22
Am 16.06.2016 lehnte das bayerische Verwaltungsgericht München den Antrag der … gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen den Bescheid vom 28.05.2018 ab. Die … erhob gegen die Entscheidung Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Diese wurde in der Folgezeit zurückgenommen.
23
Die … gab gemäß dem Auflagenbescheid vom 28.05.2016 bei … ein Listerienkontrollkonzept in Auftrag. Auf das Konzept vom 29.07.2016, Anlage K 16, wird Bezug genommen. Darin ist unter anderem festgehalten, dass Listerien in der Verpackungslinie 5 (auf Riemen) nachgewiesen wurden. Dies stelle die wahrscheinliche Kontaminationsquelle dar, da dieser „Hotspot“ auch nach Reinigung und Desinfektion der Verpackungsmaschine nachweisbar gewesen sei. Dies mache nachvollziehbar, dass in unterschiedlichen Aufschnittwaren Listerien nachgewiesen worden seien. Die Reinigungsmaßnahmen wurden daraufhin angepasst.
24
Am 24.08.2016 teilte das …, die … habe alle Auflagen gemäß Ziffer 2.1 bis 2.4 des Bescheides vom 28.05.2016 erfüllt und dass die Untersagungsverfügung damit ihre Wirkung verloren habe. Am 26.08.2016 nahm … daraufhin ihre Beschwerde gegen den Beschluss vom 16.06.2016 zurück (K 56).
25
Mit Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 01.09.2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der … wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestimmt.
26
Der Kläger macht geltend, die Beamten des Beklagten hätten in zweierlei Hinsicht amtspflichtwidrig gehandelt: Sie hätten erstens am 27.05.2016 nicht vor dem Verzehr der Produkte der … warnen dürfen, jedenfalls nicht vor sämtlichen ihrer Produkte. Zweitens hätte sie der … nicht das Inverkehrbringen sämtlicher Produkte verbieten dürfen.
27
Der Kläger bestreitet, dass die Probe … vom 16.03.2016 unversehrt beim … (im folgenden: …) angekommen ist. In einer Vergleichsprobe aus derselben Charge wie die Probe vom 16.03.2016 seien keine Listerien festgestellt worden. Der Kläger schließt daraus, dass die amtlich entnommenen Proben nicht ordnungsgemäß transportiert und gelagert worden seien.
28
Der Kläger bestreitet, dass der in der Wammerl-Probe aufgefundene Listerientyp identisch sei mit dem bei den Listeriose-Patienten gefundenen. Die Gesamtgenomsequenzierung sei fehleranfällig.
29
Der Kläger ist der Auffassung, die am 20.05.2016 im Werksverkauf entnommene Probe Nr. 14 „Fleischwurst mit Paprika“ sei lebensmittelrechtlich nicht zu beanstanden, da das Lebensmittel bereits in Verkehr gebracht gewesen sei im Sinne von Art. 3 Nr. 8 der VO (EG) Nr. 2073/2005 (BasisVO). Es handele sich um einen Selbstbedienungswerkverkauf, bei der die … keine unmittelbare Kontrolle über das Lebensmittel mehr gehabt habe. Die Probe müsse daher nicht den Anforderungen an eine im Herstellungsbetrieb gezogene Probe erfüllen. Auch die Proben Nr. 27, 34, 39 und 41 seien lebensmittelrechtlich nicht zu beanstanden. Die Maßnahmen vom 27.05.2016 und 28.05.2016 seien damit widerrechtlich auf nicht zu beanstandende Proben gestützt worden. Unter den gezogenen Proben seien auch solche, die ausweislich der Gutachten nicht ausreichend gekühlt waren (S. 6 ff. des Schriftsatzes vom 1.10.2018).
30
Daraus, dass in keiner der 49 Produktproben Grenzwertüberschreitungen festgestellt worden seien, folge statistisch zwingend, dass selbst bei eventuellen Kontaminationen mit Listerien in der Herstellung sich diese aufgrund ihrer Eigenart nur in äußerst geringem Umfang vermehren konnten. Daher sei aus den Probenergebnissen zwingend zu folgern gewesen, dass vom Betrieb der Schuldnerin keine aktuellen Gesundheitsgefahren ausgingen.
31
Die Beamten des Beklagten hätten nicht beachtet, dass die Schlussfolgerungen des Robert-Koch-Instituts zur Kausalität nicht zwingend gewesen seien.
32
Der Kläger behauptet, die Rostbratwürste der … seien vor dem Verlassen des Betriebs in der Verpackung nachpasteurisiert worden, so dass sie keine Listerien hätten aufweisen können und somit sicher gewesen seien. Auf der Verpackung der tiefgekühlten Brätprodukte sei ein Hinweis angebracht gewesen, nach dem die Ware vor dem Verzehr durchzuerhitzen sei. Von der Ware sei deshalb keine Gesundheitsgefahr ausgegangen. Die von der … hergestellten Brühwürste würden nachpasteurisiert, indem sie nach der Verpackung auf sogenannten Hordenwägen in der Kochkammer erhitzt würden. Die Beamten des Beklagten hätten selbst erkennen müssen, dass einige der Produkte der … nachpasteurisiert waren. Die Beamten des Beklagten hätten keine Proben pasteurisierter Produkte gezogen. Es sei davon auszugehen, dass sie bei diesen keine Listerien erwarteten. In den Besprechungen sei es allenfalls um die Nachpasteurisierung des Original Bayerischen Wammerls gegangen. Nur dieses Produkt sei Gegenstand der Betriebsbegehung am 20.05.2016 gewesen. Der Geschäftsführer Schach habe keinesfalls die Nachpasteurisierung aller Produkte abgelehnt. Als milderes Mittel hätte der Beklagte der … aufgeben können, ihre Produkte mit dem Hinweis zu versehen, dass sie durcherhitzt werden müssen.
33
Der Schaden habe sich bereits mit der öffentlichen Warnung vom 27.05.2016, K 43, realisiert, da darin vor allen Schinken- und Wurstprodukten gewarnt worden sei. Ein Mitverschulden der … wegen ungenügender Begründung des Antrags nach § 123 VwGO komme daher nicht in Betracht. Auch habe die … bereits im Verfahren nach § 123 VwGO vorgetragen, dass die öffentliche Warnung vor sämtlichen Produkten unverhältnismäßig und rechtswidrig sei. Auf diesen Vortrag sei im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO Bezug genommen worden. Der Geschäftsführer der … habe am 28.05.2016 den Rückruf aller Produkte veranlasst, weil der Beklagte in der Pressemitteilung vom 27.05.2016 mitgeteilt habe, dass von allen Erzeugnissen der Firma … eine Gefährdung für die Gesundheit der Verbraucher ausgehen könne, auch wenn ein direkter Nachweis von Listerien nicht für sämtliche Produkte der Firma vorliege. Ausweislich Anlage K 44 sei von … am 27.05.2016 angeordnet worden, dass alle Produkte der … zurückzurufen sind (Bl. 171).
34
Der Kläger behauptet, infolge der behördlichen Anordnungen hätte die Firma … die in erster Linie Gastronomiebetriebe beliefere, tiefgekühlte Erzeugnisse der … die vor der Abgabe an Verbraucher vollständig durcherhitzt und deshalb bei Verzehr listerienfrei seien, zurückgegeben. Es sei am 08.06.2016 eine Rückbelastung von 3.549,34 € erfolgt. Im einzelnen handelt es sich um Leberkäsbrät fein, Mini Münchner Weisswürste, Leberkäse-Brät, München. Weißwurst, Kalbsbratwurst fein.
35
Auf Anlage K 74 wird Bezug genommen.
36
Am 26.07.2016 habe der … Ware der … im Gesamtwert von 107.013,75 € retourniert. Die Teilposten für

SB-Rostbratwürste in Höhe von

23.301,96 €,

SB-Deli Rostbratwürste in Höhe von

5.054,28 € und

SB-Minirostbratwürste in Höhe von

14.686,32 €

macht der Kläger als Schaden mit Ziffer 1 der Klage geltend.
37
Mit Ziffer 2 der Klage macht der Kläger den aufgrund der Insolvenz der … entstandenen Schaden geltend.
38
Der Kläger behauptet, der Betrieb hätte fortgeführt werden können, wenn er sich bis zum 26.08.2016, als die Produktion wieder freigegeben wurde, oder auch - bei Ausbau der Produktion nachpasteurisierter Ware (K 72) bis Ende 2016 - auf die Produktion nachpasteurisierter Ware beschränkt hätte. Aufgrund der Grillsaison und der Fußball-Europameisterschaft hätten die pasteurisierten oder vom Verwender nachzuerhitzenden Produkte zum Zeitpunkt der Einstellung des Betriebs umsatzmäßig einen erheblichen Anteil von ca. 50 % der aktuellen Produkte ausgemacht.
39
Der Rückruf des … im März/April 2016 habe nicht dazu geführt, dass der Umsatz der … eingebrochen sei. Im April 2016 sei der Umsatz sogar gestiegen.
40
Der Firmenwert habe im Mai 2016 einschließlich des Substanzwertes des Anlage- und Umlaufvermögens mindestens 10,5 Mio € betragen. Bereinigt um das von der … zu diesem Zeitpunkt in Anspruch genommene Fremdkapital von 5,5 Mio € ergebe sich unmittelbar vor dem schädigenden Ereignis ein Unternehmenswert von 5 Mio €. Nach der Insolvenz betrage der Unternehmenswert 0 €. Die Verfahrenskosten gemäß § 54 InsO beliefen sich auf mindestens 400.000 €. Die Kunden der … hätten wegen des Warenrückrufs Ansprüche in Höhe von 1.277.896,62 € geltend gemacht (K 106).
41
Mit Ziffer 3 der Klage macht der Kläger die Feststellung der Schadensersatzpflicht für zukünftige aus der Abwicklung der … zu erwartende Schäden geltend.
42
Der Kläger beantragt:
1.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 46.591,90 € nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
2.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 10.709.199,73 € nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte die weiteren Schäden aus der Abwicklung der … zu tragen hat.
43
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
44
Der Beklagte rügt, er sei nicht passivlegitimiert, da das … in dem Auflagenbescheid vom 28.05.2016 lediglich die Vorgaben des Bundesinstituts für Risikobewertung und des Robert-Koch-Instituts umgesetzt habe, die beide Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland seien. Für die Richtigkeit dieser Vorgaben hafte nicht das ….
45
Die Pressemitteilung des … vom 27.05.2016 sei rechtmäßig gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 LFGB. Es hätte hinreichende Anhaltspunkte für eine Gefahr gegeben. Aufgrund des hochrangigen Schutzgutes Leben und Gesundheit sei ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar gewesen. Der im Betrieb festgestellte Clustertyp 1248 sei für ein massives humanes Listeriose-Ausbruchsgeschehen zwischen 2012 und 2016 verantwortlich. Es seien 78 zum Teil lebensbedrohliche Erkrankungen, 4 Todesfälle sowie 2 schwangerschaftsassoziierte Listeriosen verursacht worden.
46
Die Produkte der … seien nicht sicher gewesen, weshalb die Maßnahmen rechtmäßig gewesen seien. Eine Verfälschung der Probe … sei nicht erfolgt, was sich auch daraus ergebe, dass auch die Untersuchung der Gegenprobe im Auftrag der … eine Überschreitung des Grenzwertes von 100 KbE/g, nämlich 1400 KbE/g ergab. Die Beklagte ist der Auffassung, für die am 20.05.2016 im Werksverkauf entnommene Probe … gelte der Grenzwert der Nichtnachweisbarkeit in 25 g des Produkts.
47
Nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 sei es Aufgabe der Lebensmittelhersteller, für die Sicherheit ihrer Produkte zu sorgen und im Fall der Kontamination der Produkte mit Bakterien die Ursache zu finden und zu beseitigen. Dies sei der … nicht gelungen. In 15 seit dem 20.05.2016 analysierten, vom … untersuchten Proben von Produkten der … darunter auch vegetarische Produkte, seien Keimzahlen von Listerien festgestellt worden. Bei 14 der 15 Isolate sei der Clustertyp 1248 festgestellt worden. Es lägen 23 Listerienisolate aus Produkten der … vor, die das NGS-Muster CT 1248 aufwiesen. Wenn die Produkte die Grenzwerte aus der Verordnung einhalten, führe dies nicht automatisch zu der Bewertung, dass das betroffene Lebensmittel sicher sei, denn der Grenzwert müsse bis zum Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums eingehalten werden. Deshalb seien auch Befunde unter 100 KbE/g relevant.
48
Der Aussage des Robert-Koch-Instituts und des Bundesinstituts für Risikobewertung komme nach der Rechtsprechung eine besondere Bedeutung bzw. ein hoher Erkenntniswert zu, auf den sich die Sachbearbeiter in der Kreisverwaltungsbehörde verlassen dürften. Ein Ermessensspielraum bei den Anordnungen im Auflagenbescheid vom 28.05.2016 sei nicht eröffnet gewesen wegen der bereits listeriosebedingt eingetretenen Erkrankungs- und Todesfälle. Für das Einschreiten der Behörden habe bereits der Verstoß in Gestalt der Wacholderwammerlprobe im März 2016 genügt. Solange die Kontaminationsquelle nicht geortet und beseitigt gewesen sei, habe das Inverkehrbringen von neuer Ware verhindert werden müssen.
49
Die … habe sich als unzuverlässig erwiesen, da sie im Jahr 2013 listerien-positive Beprobungen aus dem Betrieb pflichtwidrig entgegen § 3 Abs. 2 Zoonose-Verordnung nicht der Lebensmittelbehörde mitgeteilt habe. Auch am 21.09.2015 sei durch einen Gutachter, der von dem Kunden Transgourmet der … beauftragt worden war, eine Keimzahl von 30.000 KbE/g in einer Probe Minirostbratwürsten der … festgestellt worden. Auch dies habe die … den Behörden pflichtwidrig nicht gemeldet.
50
Die … selbst habe alle ihre Produkte zurückgerufen, auch angeblich nachpasteurisierte und zu erhitzende Ware. Es müsse bei der Gefährlichkeitseinschätzung neben dem üblichen Gebrauch der Ware auch der nicht vollständig unübliche Gebrauch berücksichtigt werden. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass Brühwürste und Leberkäsbrät ohne vollständiges Durcherhitzen verzehrt würden, seien auch diese Produkte gefährlich gewesen.
51
Der Beklagte trägt vor, bei der Kontrolle am 20.05.2016 sei der fachliche Fokus auf der Produktion des … gelegen. Erst seit den Probenergebnissen, die am 27.05.2016 vorlagen, habe es Hinweise darauf gegeben, dass auch die anderen Produkte der … in gesundheitsgefährdender Weise mit Listerien kontaminiert sein konnten. Aufgrund der Laborergebnisse, die am 27.05.2016 mitgeteilt worden seien, sei eine Eingrenzung des Listerienbefalls auf bestimmte Produkte oder Produktionslinien der Sieber GmbH nicht mehr möglich gewesen. Die Behörden hätten davon ausgehen müssen, dass die gesamte Ware kontaminiert sein könnte, weil die Kontaminationsquelle unbekannt war. Es fehlten Unterlagen über das Wachstumsverhalten von Listerien in den Produkten der …. Seit der Schließung des Betriebs seien nur 4 weitere Listerioseerkrankungen aufgetreten, die dem Clustertyp 1248 zugeordnet wurden.
52
Dass Produkte in der Verpackung nachpasteurisiert worden seien, werde erstmals in diesem Rechtsstreit vorgetragen und sei weder vor dem Verwaltungsgericht noch im Strafverfahren vorgetragen worden. Bei der Betriebskontrolle am 20.05.2016 sei die Möglichkeit, die bereits verpackte Ware nachzupasteurisieren, erörtert worden. Dies sei vom Geschäftsführer der … zurückgewiesen worden, weil damit eine Qualitätseinbuße verbunden sei. Er habe mitgeteilt, dass eine Nacherhitzung für viele Produkte, beispielsweise Aufschnittware oder Veggi-Produkte, technisch nicht möglich sei. Auch die HACCP-Konzepte würden die Nacherhitzung endverpackter Produkte nicht abbilden. In den den Beamten des Beklagten vorgelegten HACCP-Fließschemata Anlage B 22 sei eine Nachpasteurisierung nicht vorgesehen gewesen. Das nunmehr vorgelegte HACCP Fließschema K 81 sei den Behörden bisher nicht vorgelegt worden, zudem ergebe sich daraus nicht die Nachpasteurisierung aller Brühwurstprodukte.
53
Der Beklagte ist der Auffassung, der vorgetragene Schaden sei intransparent und unschlüssig. In Ziffer 1 der Klage würden ungerechtfertigt Bruttobeträge geltend gemacht, obwohl die … vorsteuerabzugsberechtigt sei. Der Kläger trage nicht vor, dass die streitgegenständlichen Retouren nur wegen der Warnung bzw. des Rückrufs vom Mai 2016 erfolgt seien und auf welcher Grundlage diese überhaupt erfolgten. Es wird bestritten, dass die Nettowarenwerte aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien gerechtfertigt waren.
54
Der aufgrund der Insolvenz eingetretene Schaden wird bestritten.
55
Zur Ergänzung des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
56
Das Gericht hat mit Beschlüssen vom 28.01.2019, 14.08.2019, 04.11.2019 und 26.06.2020 Hinweise erteilt.
57
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ….
58
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 23.09.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

59
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da eine etwaige Amtspflichtverletzung für den geltendgemachten Schaden nicht kausal geworden ist. Die … trifft ein die Haftung des Beklagten ausschließendes Mitverschulden.
A. Pressemitteilung des … vom 27.05.2016
60
Der Beklagte ist passivlegitimiert, da die Pressemitteilung vom … veröffentlicht wurde.
61
I. Kein Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB
62
Die Pressemitteilung durfte aufgrund § 40 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 LFBG in der vom 28.05.2013 bis 29.04.2019 geltenden Fassung ergehen. Nach dieser Vorschrift soll die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels und des Lebensmittelunternehmens nach Maßgabe des Artikels 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 informieren, vorbehaltlich des Absatzes 1 a auch dann, wenn im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von einem Erzeugnis eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit ausgeht oder ausgegangen ist und aufgrund unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnis oder aus sonstigen Gründen die Unsicherheit nicht innerhalb der gebotenen Zeit behoben werden kann. In diesem Fall ist eine Information der Öffentlichkeit zulässig nach Abwägung der Belange der Betroffenen mit den Interessen der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung. Nach Absatz 1 a) der Vorschrift informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit, wenn der durch Tatsachen, im Falle von Proben nach § 39 Absatz 1 Satz 2 auf der Grundlage mindestens zweier unabhängiger Untersuchungen von Stellen nach Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004, hinreichend begründete Verdacht besteht, dass in Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes festgelegte zulässige Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen überschritten wurden.
63
Es lagen zwei Grenzwertüberschreitungen nach der VO (EG) Nr. 2073/2005, nämlich Art. 3 Abs. 1 S. 1 dieser Verordnung vor, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Information der Öffentlichkeit durch das Ministerium gemäß § 40 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, Abs. 1 a LFBG gegeben waren.
64
Nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 der VO (EG) Nr. 2073/2005 stellen die Lebensmittelunternehmen sicher, dass Lebensmittel die in Anhang I zu dieser Verordnung aufgeführten mikrobiologischen Kriterien einhalten. Bevor das Lebensmittel die unmittelbare Kontrolle des Herstellers verlassen hat, dürfen gemäß Anhang I Kapitel 1 Ziffer 1.2 Listerien in 25 g nicht nachweisbar sein. Für in Verkehr gebrachte Erzeugnisse beträgt der Grenzwert während der Haltbarkeitsdauer 100 KbE/g (koloniebildende Einheiten pro Gramm).
65
1. Die Beweisaufnahme hat bestätigt, dass sich in der am 16.03.2016 entnommenen Probe des Produkts „Original Bayerisches Wacholderwammerl“ Listeria monocytogenes in einer Zahl von 190.000 KbE/g - also weit über 100 KbE/g - befanden. Damit liegt ein lebensmittelrechtlicher Verstoß vor.
66
Die Vernehmung der Zeugen hat die Behauptung des Klägers widerlegt, dass das Ergebnis der Untersuchung der am 16.03.2016 im Einzelhandel gezogenen Probe des … verfälscht sei. Die Zeugenvernehmung hat vielmehr die Behauptung des Beklagten bestätigt, dass die Probenentnahme und Untersuchung ordnungsgemäß und das Ergebnis daher unverfälscht gewesen sei.
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An der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu zweifeln, hatte das Gericht keinen Anlass. Keiner von ihnen zeigte einen besonderen Belastungseifer. Das Ziehen der Probe und deren Untersuchung stellte für die Beamten - bis zum ersten Untersuchungsergebnis - einen Routinevorgang dar. Dies spiegelte sich auch in ihren Aussagen wider. Dieser Routinevorgang hatte zunächst keinen direkten Bezug zur …, das heißt, die Probe wurde nicht zur Kontrolle der … gezogen. Viemehr handelte es sich - das hat auch der … bestätigt - um eine sogenannte Risikoorientierte Planprobe, bei der nach Vorgabe des … hier am Standort …, bestimmte Produkte im Einzelhandel kontrolliert werden, unabhängig davon, von wem sie hergestellt werden. Die Zeugin … die die Verpackung des Wammerlprodukts im Laden entnahm, gab an, ihr sei keine Beschädigung der Verpackung aufgefallen. Eine Beschädigung wäre ihr aufgefallen, wenn sie vorgelegen hätte, denn auch wenn ihr keine Dienstanweisung bekannt sei, dass man die Proben auf Beschädigungen untersuchen müsse, mache sie diesbezüglich eine Sichtkontrolle. Sie habe das Produkt in einem Siegelbeutel versiegelt. Das Produkt habe ausweislich eines Datenausdrucks nach der Entnahme eine Temperatur von 10 Grad Celsius gehabt und sei in einer Kühltasche transportiert worden. Der Zeuge … hat den ordnungsgemäßen Transport und die Übergabe an das Labor am … bestätigt, auch, dass die mit dem Datenlogger gemessene Temperatur abgelesen und im Übergabeprotokoll dokumentiert wurde.
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Der Zeuge … vom … schilderte Temperaturmessung, Lagerung, Öffnung der Probe und deren Aufbereitung für die mikrobiologische Untersuchung. Daraus ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Untersuchungsergebnis aufgrund fehlerhafter Behandlung verfälscht worden sein könnte.
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Die Zeugin … vom … des … berichtete, dass die Untersuchung der im Markt zurückgelassenen Gegenprobe - einer weiteren Verpackung aus der gleichen Charge - durch das von der … bestellte Labor … ebenfalls eine Listerienbelastung ergab. Ausweislich des Gutachtens des Labors … vom 12.04.2016 wurde eine Listerienbelastung von 1400 KbE/g festgestellt. Auch diese zweite Packung entsprach also nicht den lebensmittelrechtlichen Vorgaben, sondern wäre, hätte es sich um eine amtliche Prüfung gehandelt, als gesundheitsgefährdend beanstandet worden. Damit waren die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 a LFBG erfüllt.
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Dass bei einer Untersuchung einer weiteren Probe derselben Charge, die im Betrieb der … gezogen wurde, keine Listerien festgestellt wurden, ändert nichts an dem Ergebnis der Beweisaufnahme, dass ein lebensmittelrechtlicher Verstoß mit der Folge der Gesundheitsgefährdung vorlag. Für die Einordnung als lebensmittelrechtlicher Verstoß ist nicht erforderlich, dass eine Listerienkontamination in allen Verpackungen derselben Charge vorliegen muss. Dieser Sachverhalt ist auch nicht geeignet, die Richtigkeit der amtlichen Messung zu erschüttern.
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Im übrigen ergab auch die Untersuchung der am 10.04.2016 im Betrieb der … durch das Landratsamt entnommenen Probe … mit Mindesthaltbarkeit bei Raumtemperatur bis 02.05.2016 (die Untersuchung erfolgte zwischen dem 17. und dem 22.04.2016, also innerhalb des Mindesthaltbarkeitsdatums) ausweislich Gutachten des … vom 28.04.2016 eine unzulässige Belastung mit 10 KbE/g in 25 g, also einen weiteren Verstoß (B 5). Nicht behelflich ist das Vorbringen des Klägers, die Probe sei offenbar nicht ausreichend gekühlt worden, da die Eingangstemperatur 10,4 Grad Celsius betragen habe. Denn das … ist kein Produkt, das gekühlt gelagert werden muss.
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2. Auch das Ergebnis der Untersuchung der … die am 20.05.2016 im Werksverkauf der … gezogen wurde, dokumentiert einen lebensmittelrechtlichen Verstoß. Die Untersuchung dieser Probe ergab ausweislich Anlage B 8 eine Belastung mit Listerien von weniger als 10 KBE/g. Nach Auffassung der Kammer gilt für diese Probe nicht der Grenzwert von 100 KbE/g bis zum Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums, sondern die Anforderung, dass Listerien in 25 g nicht nachgewiesen werden dürfen. Auf die Ausführungen im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 16.06.2016, mit dem der § 80 Abs. 5 VwGO-Antrag zurückgewiesen wurde, dort S. 24 bis 26, insbesondere ab Seite 25 unten wird Bezug genommen:
„Die VO (EG) Nr. 2073/2005 enthält aber - anders als z.B. Art. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 882/2004 - keine Regelung dahingehend, dass die Begriffsbestimmungen aus der VO (EG) Nr. 178/2002 auch für die Zwecke der VO (EG) Nr. 2073/2005 gelten. Ziffer 1.2 des Anhangs I zur VO (EG) Nr. 2073/2005 stellt hinsichtlich der unterschiedlichen festgesetzten Grenzwerte zwar einerseits auf „In Verkehr gebrachte Erzeugnisse während der Haltbarkeitsdauer“ ab, stellt dem aber die Situation „bevor das Lebensmittel die unmittelbare Kontrolle des Lebensmittelunternehmers, der es hergestellt hat, verlassen hat“ gegenüber. Daraus ist zu schließen, dass im Sinn der VO (EG) Nr. 2073/2005 ein Lebensmittel solange nicht in Verkehr gebracht ist, solange es die unmittelbare Kontrolle des Lebensmittelunternehmers, der es hergestellt hat, nicht verlassen hat. Bei einem Werksverkauf unterliegt das Produkt aber noch der unmittelbaren Kontrolle des Herstellers. Der Grenzwert der Nichtnachweisbarkeit in 25 g dürfte daher einschlägig sein,“
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Diesem Verständnis der Vorschrift, dessen endgültige Klärung das Verwaltungsgericht im Antragsverfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO dem Hauptsacheverfahren vorbehalten hat, schließt sich das Gericht an. Die … hatte nach wie vor die unmittelbare Kontrolle über die im Werksverkauf befindliche Ware. Sie hatte insbesondere die Möglichkeit, mit eigenem Personal die ständige Kühlung der Produkte zu überwachen. Ihr war es zum Beispiel auch möglich dafür zu sorgen, dass von Kunden aus der Kühlung in der Selbstbedienungstheke entnommene Ware nicht ungekühlt zurückbleibt, sondern entweder umgehend wieder gekühlt oder aus dem Verkehr gezogen wird.
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In der Probe durften daher keine Listerien nachweisbar sein.
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Auch wenn die Untersuchung quantitativ Listerien unter 10 KbE/g ergab, liegt ein Lebensmittelrechtlicher Verstoß vor. Insbesondere ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass für die vom … vorgenommenen Untersuchungen das gilt, was der Kläger für die Ergebnisse des von der … beauftragten Labors … vorträgt, nämlich dass auch dann, wenn keinerlei Listerien vorgefunden wurden, als Ergebnis nicht ein Koloniewachstum von Null, sondern nur von weniger als 10 KbE/g aufgeführt wird.
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Damit wurde auch nach dem Entdecken von Listerien auf einer Edelstahlschütte der … am 12.04.2016 und nach der Umstrukturierung der Produktion ein weiterer Verstoß gegen das Lebensmittelrecht festgestellt.
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3. Da die … in der Folgezeit für keines der beiden Produkte nachgewiesen hat, dass das Erzeugnis den Grenzwert von 100 KbE/g während der gesamten Mindesthaltbarkeitsdauer nicht überschreitet, liegt auch kein Ausnahmefall gemäß Fußnote 7 zu Ziffer 1.2 des Anhangs I der VO (EG) Nr. 2073/2005 vom Grenzwert der Nichtnachweisbarkeit in 25 g vor.
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Wegen dieser zwei Grenzwertüberschreitungen und der damit einhergehenden lebensmittelrechtlichen Verstöße waren die Voraussetzungen für eine Information der Öffentlichkeit gemäß § 40 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, Abs. 1 a LFBG gegeben. Die Öffentlichkeit selbst vor allen Produkten zu warnen, hat die … abgelehnt, so dass auch kein ebenso wirksames milderes Mittel gemäß § 40 Abs. 2 LFBG gegeben war.
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II. Die von den Behörden aufgrund dieser Verstöße herausgegebene Pressemitteilung entspricht den Vorgaben des Art. 7 Abs. 3 Spiegelstrich 1 der VO (EG) Nr. 882/2004 möglicherweise nicht. Ob dies eine Amtspflichtverletzung gegenüber der … darstellt, kann jedoch dahinstehen, da ein solcher Verstoß für den behaupteten Schaden nicht ursächlich geworden ist (siehe 1.). Ob die Maßnahme unverhältnismäßig war, weil auch das Inverkehrbringen von nachpasteurisierter Ware und solcher, die nach Hinweis auf der Packung vor dem Verzehr durcherhitzt werden muss, untersagt wurde, kann auch dahinstehen. Denn insoweit liegt ein die Haftung des Beklagten ausschließendes Mitverschulden der … vor (siehe 2.).
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1. Es kann dahinstehen, ob die Pressemitteilung insoweit rechtswidrig war, als sie möglicherweise entgegen den Vorgaben des Art. 7 Abs. 3 Spiegelstrich 1 der VO (EG) Nr. 882/2004 auch die Information enthielt, dass der … „vorab“ mündlich untersagt wurde, Ware in den Verkehr zu bringen. Der Geheimhaltungspflicht unterliegen nach dem bis zum 13.12.2019 geltenden Art. 7 Abs. 3 Spiegelstrich 1 der VO (EG) Nr. 882/2004 insbesondere Informationen betreffend die Vertraulichkeit von Voruntersuchungen oder laufenden rechtlichen Verfahren. Es kann dahinstehen, ob es sich insoweit um eine Information über eine Voruntersuchung oder ein laufendes rechtliches Verfahren handelt und ob dieser Verordnung eine den Kläger drittschützende Wirkung zukommt. Denn selbst wenn mit der Information gegen Art. 7 Abs. 3 Spiegelstrich 1 der VO (EG) Nr. 882/2004 verstoßen worden sein sollte: Diese Amtspflichtverletzung war für den streitgegenständlichen Schaden nicht ursächlich. Die Kammer ist davon überzeugt, dass es auch ohne die Mitteilung, dass der … untersagt wurde, Ware in den Verkehr zu bringen und ihr augegeben wurde, Ware zurückzurufen, zu dem geltendgemachten Schaden gekommen wäre. Denn zur Erschütterung des Vertrauens der gewerblichen Abnehmer der … wie das der Verbraucher war die Warnung vor dem Verzehr von Produkten der … allein ausreichend.
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2. Wenn die … auch Produkte herstellte, die keine Listerien enthalten konnten, weil sie in der Verpackung nachpasteurisiert wurden, war die Rückrufanordnung und das Verbot des Inverkehrbringens auch solcher Ware nicht zur Gefahrenabwehr erforderlich - auch dann nicht, wenn, wie hier, die Quelle des Listerieneintrags noch nicht gefunden war. Das Ministerium hätte dann nicht vor allen Produkten warnen und das Inverkehrbringen aller Produkte verbieten dürfen. Denn jedenfalls sachgemäßes Nachpasteurisieren in der Verpackung tötet Listerien zuverlässig ab. Es kann dahinstehen, ob die … tatsächlich Produkte herstellte, die ordnungsgemäß nachpasteurisiert waren. Dahinstehen kann auch, ob es bei Tiefkühlbrätprodukten zum Schutz der Verbraucher ausreichend gewesen wäre, wenn die … wie vom Kläger behauptet auf der Verpackung darauf hingewiesen hat, dass sie vor dem Verzehr durcherhitzt werden müssen. Einer Beweisaufnahme dazu, ob die … solche Produkte ordnungsgemäß nachpasteurisiert bzw. etikettiert hat, bedarf es dazu nicht. Denn selbst wenn man diesen Vortrag des Klägers als wahr unterstellt, kommt eine Haftung aus Amtspflichtverletzung wegen des die Haftung ausschließenden Mitverschuldens der … das dem Kläger als deren Insolvenzverwalter zuzurechnen ist, nicht in Betracht.
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Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten sind nicht gegeben, weil die … es versäumt hat, den von ihr gegen die angekündigte Pressemitteilung eingelegten Rechtsbehelf damit zu begründen, dass sie solche unbedenklichen Produkte herstellt. Der Gebrauch des Rechtsbehelfs mit unzureichender Begründung stellt nach Auffassung der Kammer zwar keinen Fall des § 839 Abs. 3 BGB dar (dies hält allerdings Staudinger/Wöstmann, Neubearbeitung 2020, § 839 BGB Rn 344 für möglich). Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass darin ein die Haftung des Beklagten ausschließendes Mitverschulden der … liegt, das sich der Kläger zurechnen lassen muss (vgl. BGH, Urteil vom 29.03.1971, III ZR 98/69).
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Der Antrag der … im folgenden: … vom 27.05.2016 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO gegen die Pressemitteilung (K39) enthält keine Ausführungen dazu, dass SB-Rostbratwürste, SB-Deli Rostbratwürste und SB-Minirostbratwürste der … vor dem Inverkehrbringen in der Verpackung nachpasteurisiert worden seien und dass Verpackungen der Produkte „Leberkäsbrät fein“, „Mini Münchner Weisswürste“, „Leberkäse-Brät“, „Münchener Weißwurst“ und „Kalbsbratwurst fein“ der … mit einem Hinweis versehen waren, dass das Produkt vor dem Verzehr durchgegart werden müsse.
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Zwar ist zutreffend, dass sich die …bereits in ihrem § 123 VwGO-Antrag darauf berief, es sei unverhältnismäßig, vor allen Produkten und nicht nur vor den „etwaig[…] belasteten Erzeugnissen“ zu warnen, und es sei völlig ausreichend, die … zurückzurufen. Es fehlt jedoch bei der Begründung das Argument, dass es Produkte gibt, die aufgrund der Herstellung technisch keine Listerien aufweisen können. Streitpunkt zwischen der … und der Behörde war, welche Produkte potentiell mehr als die erlaubten Listerien aufweisen können. Wenn die … die im hiesigen Verfahren vorgetragene Information auch gegenüber dem Verwaltungsgericht vorgetragen hätte, hätte - die Produkte betreffend, die wegen Erhitzung keine Listerien aufweisen können - die Argumentation der Behörde, es sei bisher die Eintragsquelle der Listerien nicht gefunden worden, so dass ein Rückruf aller Produkte erforderlich sei, das Gericht nicht überzeugt. In diesem Fall hätte das Gericht entschieden, dass diese Produkte von der Warnung ausgenommen werden müssen. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, die Beamten des Beklagten hätten gewusst, dass die … auch solche Produkte herstellte. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen Amtspflichten, weil die Beamten wider besseren Wissens auch unbedenkliche Ware zurückgerufen haben, ist nicht ersichtlich. Selbst der Geschäftsführer der … war, obwohl er spätestens seit dem Untersuchungsergebnis der Probe vom 16.03.2016 bezüglich des Themas Listerien sensibilisiert war, offenbar nicht in der Lage, seinen Prozessbevollmächtigten nach der Ankündigung der beabsichtigten Pressemitteilung dahingehend zu unterrichten, dass - wie er nun vorträgt - ein Teil der von ihm produzierten Ware nachpasteurisiert und damit ungefährlich sei. Eine Haftung wegen Amtspflichtverletzung kann nicht darauf gestützt werden, dass die Beamten des Beklagten die Produkte der … und deren Herstellungsweise besser hätten kennen müssen als der herstellende Betrieb selbst.
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Die mangelnde Begründung ist auch vorwerfbar. Die … war spätestens seit dem 24.03.2016 mit dem Thema Listerien in ihrem Betrieb befasst. Sie hat unter anderem das Labor … mit einer Suche nach der Kontaminationsquelle im Betrieb beauftragt, deren Ergebnis am 12.04.2016 vorgelegt wurde. Weiter sind am 20.05.2016 sogar zweimal Beamte zu Untersuchungen des Betriebs erschienen. Es ist daher davon auszugehen, dass die … bereits vor dem 27.05.2016 wusste oder jedenfalls wissen musste, welche ihrer Produkte aufgrund der Nachpasteurisierung oder wegen ausreichender Erhitzungshinweise auf der Verpackung unbedenklich waren. Es ist nicht ersichtlich, dass die … erst am 27.05.2016, als sie zu der beabsichtigten Pressemitteilung angehört wurde, Anlass hatte, sich dieses Wissen zu erarbeiten. Der Kläger kann dem Beklagten nicht vorhalten, der Beklagte hätte bei seiner Rückrufanordnung nach den einzelnen Produkten differenzieren müssen, wenn selbst die … - die als Herstellerin der Produkte über diese am besten informiert war - dies in ihrem Antrag gemäß § 123 VwGO nicht getan hat. Bezüglich der Pressemitteilung vom 27.05.2016 liegt damit wegen nicht ausreichender Begründung des § 123 VwGO-Antrags ein die Haftung des Beklagten ausschließendes, ganz überwiegendes Verschulden der … vor.
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Zudem war die Begründung des Antrags gemäß § 123 VwGO noch in anderer Hinsicht unvollständig: Die … teilte in ihrem Antrag dem Gericht mit, die Probe … aus der Produktion - es handelt sich um die am 20.05.2016 im Werksverkauf entnommene Probe - sei nicht verkehrsfähig, weil in 25 g Listerien nachgewiesen worden seien. Sie hat nicht mitgeteilt, dass diese Probe im Werksverkauf entnommen wurde, und dass ihrer Ansicht nach deshalb der Grenzwert von 100 KbE/g anwendbar sei. Erst später, nämlich im Schriftsatz vom 06.06.2016 in Rahmen des Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO (K 51), argumentierte die … die „…“ sei bereits in Verkehr gebracht gewesen, weil der Werksverkauf dem Einzelhandel vergleichbar sei. Bereits am 07.06.2016 stellte die … Insolvenzantrag.
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Ein etwaiges Verschulden der Beamten des Beklagten, weil sie nicht berücksichtigt hatten, dass die … einen Teil der Brühwurstprodukte nachpasteurisiert bzw. Tiefkühlbrätprodukte ausreichend kennzeichnet, tritt demgegenüber vollständig zurück.
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Jeder Amtsträger hat die Pflicht, vor einer hoheitlichen Maßnahme, die geeignet ist, einen anderen in seinen Rechten zu beeinträchtigen, den Sachverhalt im Rahmen des Zumutbaren so umfassend zu erforschen, dass die Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage nicht in wesentlichen Punkten zum Nachteil des Betroffenen unvollständig bleibt. Das ist namentlich bei Sachverhalten notwendig, die wegen ihrer Komplexität nicht offen zutage liegen und aus denen Konsequenzen gezogen werden sollen, die mit erheblichen Beeinträchtigungen oder Risiken für den Betroffenen verbunden sein können (BeckOGK/Dörr, 1.6.2019, BGB § 839 Rn. 143). Darüber hinaus fordert der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass bei hoheitlichen Eingriffen in die Rechtssphäre eines Betroffenen Art und Schwere des Eingriffs in einem angemessenen Verhältnis zu dem erstrebten Zweck stehen. Ferner müssen sie erforderlich, das heißt unumgänglich notwendig sein, um das erstrebte Ziel zu erreichen. Daraus folgt, dass unter mehreren gleich wirksamen Mitteln demjenigen der Vorzug zu geben ist, das die Rechtsstellung des Betroffenen am wenigsten belastet (BGH, Urteil vom 27.10.1960 - III ZR 149/59). Die Behörden haben daher den Eingriff selbst von vornherein in seinem Umfang auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken (BGH, Urteil vom 27.10.1955 - III ZR 82/54; BeckOGK/Dörr, 1.6.2019, BGB § 839 Rn. 152). Ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Beamten überlassen, in welcher Weise er in einer bestimmten Situation vorgehen kann, ist sein Verhalten solange nicht amtspflichtwidrig, als es sich innerhalb der Grenzen einer fehlerfreien Ermessensausübung befindet (BeckOGK/Dörr, 1.6.2019, BGB § 839 Rn. 153). Ist die objektiv richtige Handlung für den Amtsträger angesichts der Verhältnisse und in der Kürze der für die Entscheidungsfindung zur Verfügung stehenden Zeit nicht erkennbar, kann ihm kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden (BGHZ 212, 173 = NJW 2016, 3656 Rn. 46). Was ein Amtsträger trotz sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung im Zeitpunkt seiner Entscheidung „nicht sieht“ und nach den ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auch „nicht zu sehen braucht“, kann von ihm nicht berücksichtigt werden und braucht von ihm auch nicht berücksichtigt zu werden (Senat, BGHZ 123, 191 [195] = NJW 1993, 2615).
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Das Gericht ist der Auffassung, dass nach diesem Maßstab - zu Gunsten des Klägers als zutreffend unterstellt, dass die … der Verpackung nachpasteurisierte Ware hergestellt hat bzw. Tiefkühlbrätprodukte mit dem Hinweis versehen hat, dass sie durcherhitzt werden müssen - das Verschulden der Behördenmitarbeiter, dies übersehen bzw. nicht berücksichtigt zu haben, äußerst gering ist. Die Nachpasteurisierung von Brühwürsten ergibt sich nicht zwingend aus dem HACCP-Fließschema K 81. Auf den Hinweis vom 14.08.2019 wird Bezug genommen. Aus dem HACCP-Fließprotokoll Anlage K 81 gehen zwei mögliche Verläufe nach der „Etikettierung“ hervor: Es führt einerseits ein Pfeil zu „Erhitzen (Pasteurisieren)“, aber andererseits der andere Pfeil unmittelbar zu „Kommissionierung, Versand, Zwischenlagerung“. Welche Ware welchen Weg genommen hat, hat der Kläger auf Nachfrage des Gerichts auf Seite 4 des Klägervertreterschriftsatzes vom 18.10.2019 damit beantwortet, manche Brühwürste wie z.B. Regensburger würden gemäß Kundenspezifikation nicht nachpasteurisiert, andere, nämlich SB Rostbratwürste, SB Deli Rostbratwürste und SB Mini Rostbratwürste hingegen schon. Wenn die Behörde dieser Differenzierung in der aufgrund der akuten Gefahr gebotenen Eile nicht nachgegangen ist und nicht berücksichtigt hat, dass nur einige, nicht alle Brühwurstprodukte in der Verpackung nachpasteurisiert werden, stellt dies schon im Hinblick auf die ausweislich der Sortimentsübersicht zahlreichen verschiedenen Produkte der … ein geringes Verschulden dar. Bei der Einordnung als allenfalls geringfügig fahrlässig ist auch zu berücksichtigen, dass die Behörden, nachdem das Robert-Koch-Institut den Zusammenhang mit dem Clustertyp 1248, der aus den Wammerlprodukten der … isoliert wurde, und Listeriose-Erkrankung im süddeutschen Raum herstellte, bei denen es auch zu Todesfällen gekommen war, schnell reagieren musste, um weitere Infektionen zu vermeiden. Dabei kann für die Einordnung des Verschuldens der Beamten des Freistaates offen bleiben, ob der vom RKI hergestellte Zusammenhang tatsächlich zutraf. Insoweit durften sich die Behörden des Beklagten auf die Richtigkeit der Mitteilung der Fachbehörde verlassen.
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Wegen der bestehenden Gesundheits- und Lebensgefahr ist das Gericht auch der Überzeugung, dass der Behörde - wenn überhaupt - nur ein leichter Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, wenn sie Tiefkühlbrätprodukte, die behauptetermaßen mit entsprechenden Warnhinweisen versehen waren, nicht von der Produktwarnung ausgenommen hat und das Risiko vermieden hat, das aus einem Verzehr dieser Produkte im nichtdurchgegarten Zustand folgt.
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Zudem: Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Insolvenz der … auch dann eingetreten wäre, wenn der Beklagte SB-Rostbratwürste, SB Deli Rostbratwürste und SB Mini Rostbratwürste sowie Tiefkühlbrätprodukte von der Produktwarnung ausgenommen hätte. Denn es ist davon auszugehen, dass die Verbraucher auch nach einer auf die anderen Produkte eingeschränkten Warnung die von der Warnung ausgenommenen Produkte nicht mehr gekauft hätten, aus Vorsicht oder weil sie sich nicht die Mühe gemacht hätten, nach den einzelnen Produkten dieses Herstellers zu unterscheiden. Das Gericht ist deshalb der Überzeugung, dass die Amtspflichtverletzung für den geltendgemachten Schaden letztendlich nicht kausal geworden ist.
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Darauf, ob mit einer Beschwerde gemäß § 146 VwGO gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27.05.2016 der Schaden hätte abgewendet werden können, indem das Verwaltungsgericht gemäß § 149 Abs. 1 S. 2 VwGO die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung einstweilen ausgesetzt hätte, und auch deshalb die Haftung wegen Nichtausschöpfung des Rechtswegs nach § 839 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen wäre, kommt es nicht mehr an,
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II. Keine Ansprüche aus enteignendem bzw. enteignungsgleichem Eingriff
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Dem Kläger stehen auch unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen oder des enteignenden Eingriffs keine Ansprüche zu.
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Zwar kommen derartige Ansprüche bei einer gezielten Warnung vor Produkten eines bestimmten Unternehmens grundsätzlich in Betracht, da es sich insoweit um einen zielgerichteten Eingriff in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und damit in ein Schutzgut des Art. 14 Abs. 1 GG handelt. Die Maßnahme hat jedoch ihre Ursache im Verantwortungsbereich des klägerischen Unternehmens und kann daher mangels Sonderopfer keine Entschädigungsansprüche auslösen.
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Der BGH führt in seinem Urteil vom 15.12.2016 - III ZR 387/14 (NJW 2017, 1322 Rn. 25, beck-online) aus:
„Ein Anspruch aus enteignendem Eingriff setzt voraus, dass eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme bei einem Betroffenen unmittelbar zu Nachteilen führt, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (stRspr, vgl. nur Senat, BGHZ 158, 263 [267] = NVwZ 2004, 1018 = NJW 2004, 3118 Ls.; NJW 2005, 1363 und BGHZ 197, 43 = NJW 2013, 1736 Rn. 7, jew. m.w.N.). Da das Sonderopfer nicht wie beim enteignungsgleichen Eingriff mit der Rechtswidrigkeit der hoheitlichen Maßnahme begründet werden kann, muss geprüft werden, ob die Einwirkungen auf die Rechtsposition des Betroffenen die Sozialbindungsschwelle überschreiten, also im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Personen eine besondere Schwere aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken (Senat, BGHZ 197, 43 = NJW 2013, 1736 Rn. 8; BeckOGK BGB/Dörr, § 839 Rn. 1233; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., 344, jew. m.w.N.). Ob in diesem Sinn eine hoheitliche Maßnahme die Sozialbindungsschwelle überschreitet oder sich noch als Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums begreifen lässt, kann nur aufgrund einer umfassenden Beurteilung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden (Senat, BGHZ 197, 43 = NJW 2013, 1736; BeckOGK BGB/Dörr, § 839 Rn. 1233). Das „Abverlangen“ eines Sonderopfers im öffentlichen Interesse ist regelmäßig zu verneinen, wenn sich der nachteilig Betroffene freiwillig in eine gefährliche Situation begeben hat, deren Folgen dann letztlich von ihm herbeigeführt und deshalb grundsätzlich von ihm selbst zu tragen sind (vgl. Senat, BGHZ 17, 172 [175] = NJW 1955, 1109; BGHZ 31, 1 [4] = NJW 1960, 97 und BGHZ 197, 43 = NJW 2013, 1736 Rn. 11; BeckOGK BGB/Dörr, § 839 Rn. 1236 m.w.N.). Wer daher schuldhaft den Anschein einer polizeilichen Gefahr hervorruft, hat keinen Anspruch aus enteignendem Eingriff auf Ersatz eines Vermögensnachteils, der ihm aus einer hierauf zurückzuführenden polizeilichen Maßnahme entstanden ist (BeckOGK BGB/Dörr, § 839 Rn. 1236). Denn in einem solchen Fall wird nicht in die Rechtssphäre eines unbeteiligten Dritten eingegriffen. Vielmehr ist der Betroffene für eine Sachlage verantwortlich, die eine Pflicht der Polizei zum Handeln begründet hat (BGHZ 5, 144 [152] = NJW 1952, 586 und BGHZ 197, 43 = NJW 2013, 1736). […] Verallgemeinernd ist festzustellen, dass derjenige, der durch privates auch erlaubtes Verhalten, welches im Hinblick auf etwaige nachteilige Einwirkungen nicht geschützt ist, einen Konflikt zwischen den privaten und öffentlichen Interessen hervorruft, hinnehmen muss, dass die Folgen regelmäßig seiner Sphäre zugeordnet werden und kein gleichheitswidriges Sonderopfer darstellen (BeckOGK BGB/Dörr, § 839 Rn. 1236).“
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Zudem gilt auch für eine Haftung wegen enteignungsgleichen Eingriffs, dass Rechtsmittel ausgeschöpft und ausreichend begründet werden müssen (Staudinger/Wöstmann, Neubearbeitung 2020, § 839 BGB Rn 482 BGB), was - siehe oben - nicht geschehen ist.
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Die Amtspflichtverletzung ist für den geltendgemachten Schaden letztendlich nicht kausal geworden, da auch eine rechtmäßige Pressemitteilung zu demselben Ergebnis geführt hätte.
B. Verbot des Inverkehrbringens von Ware mit Bescheid vom 28.05.2016
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Der Beklagte ist passivlegitimiert, da der Auflagenbescheid vom 28.05.2016 vom … erlassen wurde.
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Es kann dahinstehen, ob es eine Amtspflichtverletzung darstellte, der … das Inverkehrbringen jeglicher Ware zu verbieten und den Rückruf anzuordnen. Es kann auch dahinstehen, ob die … im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ausreichend vortrug. Denn wie der Kläger selbst vorträgt, war jede der von ihm gerügten Amtspflichtverletzungen geeignet, den streitgegenständlichen Schaden eintreten zu lassen. Nach der Pressemitteilung waren nach seinem Vortrag sämtliche Produkte des Sortiments nicht mehr vermarktbar (S. 2 des Schriftsatzes vom 18.12.2019). Damit war nach dem eigenen Vortrag des Klägers bereits mit der Pressemitteilung des Ministeriums vom 27.05.2016 die Ursache für die Insolvenz gesetzt und auch der Schaden durch den Produktrückruf, den der Kläger mit Ziffer 1 der Klage geltend macht. Da die … bezüglich der ersten Amtspflichtverletzung ein die Haftung auslösendes Mitverschulden trifft und der Schaden bereits aufgrund dieser ersten Amtspflichtverletzung eingetreten ist, kommt es auf eine Amtspflichtverletzung bei dem Verbot des Inverkehrbringens nicht mehr an. Die … hat sich ihren Schaden selbst zuzuschreiben.
101
Die Klage ist insgesamt abzuweisen.
C. Nebenentscheidungen
102
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
103
Wegen der Streitwertfestsetzung wird auf den Beschluss vom 27.12.2019 Bezug genommen, mit dem der Streitwert vorläufig festgesetzt wurde.