Titel:
Erfolglose Asylklage eines sierraleonischen Staatsangehörigen
Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Schlagworte:
Verfolgung privater Dritter, inländische Fluchtalternative, Sierra Leone, Homosexualität, Vergewaltigung, TBC, Erbstreitigkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 20.01.2022 – 9 ZB 22.30056
Fundstelle:
BeckRS 2021, 44557
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger ist sierraleonischer Staatsangehörigkeit, vom Volk der Temme und Christ. Er reiste nach eigenen Angaben am 16. Juli 2017 aus Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 2. Februar 2018 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
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Im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 16. Mai 2018 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er habe Sierra Leone verlassen, da es nach dem Tod von Großvater und Mutter erhebliche Erbstreitigkeiten in der Familie gegeben habe.
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Die Mutter habe Dokumente über Häuser und Ländereien von ihrem Vater geerbt und nach ihrem eigenen Tod dem Antragsteller und seinem Bruder hinterlassen. Sein vier Jahre älterer Bruder habe diese Dokumente an sich genommen und auch ein Geschäft mit den Ländereien begonnen. Sein Bruder habe auch einen Geschäftspartner gehabt und ihm diese Dokumente gegeben. Dann seien die Geschwister seiner verstorbenen Mutter gekommen, um ihr Recht auf das Erbe geltend zu machen. Der Bruder des Antragstellers habe ihnen aber nur die Dokumente über die Häuser gegeben, nicht über die Ländereien. Es sei zu einem Familienstreit gekommen, da die Geschwister auch die Ländereien für sich beansprucht hätten. Sie hätten auch Anzeige gegen den Antragsteller und seinen Bruder erstattet. Die Brüder hätten der Polizei sowie dem Chef des Bezirks aber erklärt, keine Dokumente über Ländereien zu besitzen. Danach hätten die Geschwister der verstorbenen Mutter die Brüder bedroht und gesagt, dass sie leiden und sterben würden. Später sei dann auch der Mann, der die Papiere damals an seinen Großvater mütterlicherseits verkauft habe, gekommen und habe nach den Dokumenten gefragt. Die beiden Brüder hätten ihm erneut erklärt, die Papiere nicht zu besitzen. Danach habe er seinen Bruder tot aufgefunden, mit Schnittwunden am Rücken und am Hals. Er habe einen Zettel auf dem Oberkörper gehabt, auf dem gestanden habe, dass er ein Dieb gewesen sei und deswegen habe sterben müssen. Es habe aber keine Spur darüber gegeben, wer genau seinen Bruder getötet habe. Danach seien die Geschwister der verstorbenen Mutter erneut zum Antragsteller kommen, um die Papiere zu holen. Er habe ihnen wieder erklärt, keine Dokumente zu besitzen. Sie hätten ihm gedroht, dass er genauso enden würde wie sein Bruder, falls sie die Papiere nicht bekämen.
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Er sei dann zu dem Geschäftspartner seines Bruders, Herrn …, gegangen, um die Papiere zu erhalten. Herr … habe ihm erklärt, die Papiere nicht zu besitzen. Er wolle ihm aber helfen, sich zu verstecken und eine Möglichkeit zu finden, um die Schule zu beenden. Der Antragsteller habe Herrn … zugestimmt und sechs Monate bis zu seiner Ausreise bei ihm gelebt. Herr … habe auch Geschlechtsverkehr mit ihm haben wollen, der Antragsteller habe zugestimmt, weil er der einzige gewesen sei, der ihm geholfen habe. In der Zeit bei Herrn … sei er krank geworden und habe deswegen keinen Sex mehr haben wollen. Er habe nur noch die Papiere über das Erbe wegen der Geschwister seiner verstorbenen Mutter von Herrn … haben wollen. Daraufhin habe Herrn … gedroht, den Geschwistern den Aufenthaltsort des Antragstellers zu verraten. Der Antragsteller habe sodann seinerseits Herrn … gedroht, zu verraten, was dieser mit ihm getan habe. Herr … habe auch gedroht, ihn umzubringen. Irgendwann habe Herr … dann doch beschlossen, ihm zu helfen und ihn irgendwohin zu schicken, wo er frei sei und die Schule beenden könne. Der Antragsteller habe dem zugestimmt unter der Voraussetzung des Herrn …, dass er die Papiere für die Ländereien nicht weiter beanspruche und dass er nicht verraten würde, was Herr … mit ihm getan habe.
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Mit Bescheid vom 27. Juni 2018 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (Ziffer 1). In Ziffer 2 wurde der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt. In Ziffer 3 wurde der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt und in Ziffer 4 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen. In Ziffer 5 wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und die Abschiebung nach Sierra Leone angedroht. In Ziffer 6 wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen.
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Der Kläger lässt mit Schreiben seiner anwaltlichen Vertreter vom 13. Juli 2018 Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland erheben und beantragen
I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, und die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 bis Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Die Begründung erfolgt mit Schriftsatz vom 13. August 2018. Sie wiederholt im Wesentlichen das Vorbringen des Klägers. Herr … habe Geschlechtsverkehr mit dem Kläger haben wollen im Gegenzug dafür, dass er bei ihm gewohnt habe. Das habe er über sich ergehen lassen, da Herr … der Einzige Mensch in … war, der ihm habe helfen wollen. In dieser Zeit habe der Kläger das Haus nicht verlassen dürfen und sei quasi eingesperrt gewesen. Als der Kläger gehen wollte, habe Herr … ihn zunächst gedroht, ihn bei seiner Familie zu verraten und die homosexuellen Handlungen öffentlich zu machen. Schließlich habe man sich darauf geeinigt, dass er ihm bei der Flucht helfe. Der Kläger sei zwischenzeitlich an TBC erkrankt. Hierzu werde ein Entlassungsbrief der Cnopf’schen Kinderklinik in Vorlage gebracht.
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Im Falle einer Rückkehr drohe dem Kläger ernsthafter Schaden durch die Geschwister seiner Mutter. Es sei weiter zu erwarten, dass Herr … den Geschlechtsverkehr öffentlich mache und dem Kläger hieraus weitere Probleme drohen. Homosexuelle Handlungen unter Männern seien illegal, da ein britisches Gesetz aus dem Jahre 1861 fortgelte. LGBT Personen seien in Sierra Leone einer starken Diskriminierung ausgesetzt.
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Aufgrund der Tuberkulose Erkrankung wurde eine Abschiebung zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers führen.
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Mit Schreiben vom 19. Juli 2018 erwidert die Beklagte und beantragt,
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Die Beklagte bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung am 22. November 2021, auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung, auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz (§ 4 AsylG) oder auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch im Übrigen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 und Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, denen sich das Gericht anschließt (§ 77 Abs. 2 AsylG). Hierzu ist gerichtlicherseits, mit Blick auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) folgendes zu ergänzen:
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Von Seiten des Gerichts gibt es keinen Anlass an der Wahrheit des Fluchtvorbringens zu zweifeln, auch wenn sie im Detail teilweise unscharf und unschlüssig blieb, was durchaus auch der Natur des Erlebten und dem Alter des Klägers bei der Flucht zugeschrieben werden kann. Es verbleibt im Ergebnis dennoch dabei, dass der Kläger im Heimatland keine beachtliche Gefahr einer asylverfahrensrelevanten Verfolgung zu erwarten hat. Die Familie des Klägers war nach Vortrag vor allem an den Unterlagen über die Ländereien interessiert, die aber schon der Bruder des Klägers an einen Dritten gegeben hatte. Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, dass der Kläger befürchten muss, von wem auch immer, auf ähnliche Weise wie sein Bruder ermorverweisen.
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Für alles Weitere könnte er seiner Familie gegenüber auf Herrn Im Übrigen kann der Kläger ohne weiteres in der Anonymität der Stadt … leben ohne Behelligung durch seine Familie oder Herrn … befürchten zu müssen.
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Das Gesetz über Homosexualität wird laut Auskunftslage nicht mehr angewendet und der Kläger war nach Darstellung im Übrigen Opfer einer Vergewaltigung.
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Aus der Attestierung über die TBC-Erkrankung ergibt sich keine Existenzialgefahr, die zu einem Abschiebehindernis führen könnte.
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Damit war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 83 b AsylG, 154 Abs. 1 VwGO.