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VG Regensburg, Urteil v. 01.03.2021 – RN 11 K 19.1507
Titel:

Rücknahme einer Stundung und Fälligstellung eines Erschließungsbeitrags

Normenketten:
AO § 130 Abs. 2 Nr. 3
BauGB § 135 Abs. 4
Leitsatz:
Wenn im Zeitpunkt der Rücknahme der Stundung die Ansprüche  aus einem Erschließungsbeitragsbescheid bereits erloschen waren, geht die Rücknahme der Stundung ins Leere und die Fälligstellung des Erschließungsbeitrages erweist sich als rechtswidrig. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stundung, Rücknahme, Verjährung, Erschließungsbeitrag, landwirtschaftliche Nutzung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 13.01.2022 – 6 ZB 21.1101
Fundstelle:
BeckRS 2021, 44462

Tenor

I. Der Bescheid des Marktes … vom 15.12.2015, Az. 1.1-JU, und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes D. vom 19.07.2019, Az. 41-.../2016, werden aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme einer Stundung und Fälligstellung eines Erschließungsbeitrags.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 8...6 der Gemarkung … im Markt … Mit Bescheid vom 21.4.1998 hatte der Beklagte für die Grundstücke FlNrn. 8...5 und 8...6 einen Erschließungsbeitrag für die … straße in Höhe von insgesamt 336.468,99 DM (= 172.033,86 €) festgesetzt. Zugleich war der Beitrag gemäß § 135 Abs. 4 BauGB gestundet worden, solange die Grundstücke im Eigentum des Bescheidsadressaten stehen und landwirtschaftlich genutzt werden. Bescheidsadressat und Eigentümer der Grundstücke war damals der Ehemann der Klägerin, dessen Alleinerbin sie ist.
3
Mit Schreiben vom 28.10.2014 bat der Beklagte die Klägerin um Mitteilung, ob die Voraussetzungen für eine Stundung des Erschließungsbeitrags für das Grundstück FlNr. 8...6 noch erfüllt seien. Die Klägerin teilte daraufhin mit, die Stundungsvoraussetzungen lägen noch vor, das Grundstück werde weiterhin landwirtschaftlich genutzt.
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Weiter ließ die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten unter Vorlage eines Landpachtvertrages mitteilen, das Grundstück sei seit 02.01.1990 an Herrn L. … verpachtet. Die Stundungsvoraussetzungen seien damit von Anfang an nicht erfüllt gewesen, so dass mittlerweile Zahlungsverjährung eingetreten sei.
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Mit Bescheid vom 15.12.2015 nahm der Beklagte die mit Bescheid vom 21.04.1998 bewilligte Stundung des Erschließungsbeitrags für das Grundstück FlNr. 8...6 in Höhe von 38.487,45 € zurück; der zu zahlende Erschließungsbeitrag werde binnen eines Monats nach Bekanntgabe dieses Bescheides fällig. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Stundungsvoraussetzungen hätten von Anfang an nicht vorgelegen, da das Grundstück bereits seit 1990 verpachtet gewesen sei. Die Angaben der Klägerin im Jahre 2014, die Stundungsvoraussetzungen lägen noch vor, seien demnach falsch gewesen. Der Stundungsbescheid könne damit nach § 130 Abs. 2 Nummer 3 AO zurückgenommen werden, da ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Die Rücknahme entspreche auch pflichtgemäßem Ermessen.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Deggendorf vom 19.07.2019 zurückgewiesen wurde.
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Die Klägerin ließ daraufhin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 19.08.2019 Klage erheben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der vom Beklagten behauptete Anspruch gegen die Klägerin in Höhe von 38.487,45 € aus dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 21.04.1998 für das Grundstück Flurnummer 8...6 sei bereits durch Zahlungsverjährung erloschen. Das Grundstück sei nämlich zum Zeitpunkt des Erlasses des Erschließungsbeitragsbescheides an Herrn L. … verpachtet gewesen. Das Grundstück sei demnach nicht von der Klägerin bzw. ihrem verstorbenen Ehemann landwirtschaftlich genutzt worden. Die Voraussetzungen für eine Stundung gemäß § 135 Abs. 4 BauGB hätten von Anfang an nicht vorgelegen. Entgegen den Ausführungen des Beklagten sei die Stundung auch nicht durch unrichtige Angaben erwirkt worden. Zum einen sei zum Zeitpunkt der Angaben der Klägerin im Jahre 2014, dass die Stundungsvoraussetzungen noch vorliegen, bereits Zahlungsverjährung eingetreten gewesen, so dass die Angaben der Klägerin keine Bedeutung mehr hatten. Zum anderen sei der Vorwurf der Beklagten, die Klägerin habe falsche Angaben gemacht, auch als unzutreffend zurückzuweisen. Der Beklagte habe bereits seit Anfang 2014 Kenntnis davon gehabt, dass das streitgegenständliche Grundstück von Herrn L. … gepachtet worden sei. Herr L. … habe sich nämlich Anfang des Jahres 2014 bei dem Beklagten darüber beschwert, dass das von ihm gepachtete Grundstück FlNr. 8...6 nicht über ausreichende Erschließungsanlagen erreichbar sei. Außerdem sei die Aussage der Klägerin zutreffend, dass weiterhin eine landwirtschaftliche Nutzung des streitgegenständlichen Grundstücks vorliege. Soweit vom Beklagtenseite noch behauptet werde, es sei unklar, ob das Grundstück auch von Herrn Z. …, einem privilegierten Familienangehörigen im Sinne des § 15 AO, gepachtet oder bewirtschaftet worden sei, sei dies ebenfalls als unzutreffend zurückzuweisen. Der Pachtvertrag sei ausschließlich mit Herrn L. … abgeschlossen worden. Eine gemeinsame Bewirtschaftung zusammen mit Herrn Z. … habe nicht stattgefunden. Der streitgegenständliche Bescheid sei damit rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 15.12.2015, Az. 1.1-JU und den Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Deggendorf vom 19.07.2019, Az. 20-6341-2/2016, aufzuheben.
9
Der Beklagte legte die einschlägigen Behördenakten vor und äußerte sich ansonsten nicht zur Sache. Auch ein Antrag wurde von Beklagtenseite nicht gestellt.
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Mit Schriftsätzen vom 8.2.2021 bzw. 23.2.2021 erklärten die Parteien ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung.
11
Mit Beschluss vom 25.02.2021 wurde der Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
12
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

13
Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 15.12.2015 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Deggendorf vom 19.07.2019 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Zeitpunkt der Rücknahme der Stundung und Fälligstellung des zu zahlenden Erschließungsbeitrags war die Forderung des Beklagten aus dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 21.04.1998 nämlich bereits durch Zahlungsverjährung erloschen (Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a KAG i.V.m. §§ 228 bis 232 AO).
14
Ansprüche aus dem Beitragsschuldverhältnis unterliegen einer besonderen Zahlungsverjährung. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 228 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO), vorliegend also mit Ablauf des Jahres 1998. Geendet hat die Zahlungsverjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2003.
15
Ein Hinausschieben der Fälligkeit des festgesetzten Erschließungsbeitrags und damit ein Hinausschieben des Beginns der Zahlungsverjährungsfrist bzw. eine Unterbrechung der Zahlungsverjährung durch eine Stundung gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5a KAG ist nicht erfolgt.
16
Zwar wurde mit dem Bescheid vom 21.4.1998 der festgesetzte Erschließungsbeitrag zugleich gemäß § 135 Abs. 4 BauGB gestundet, solange das Grundstück landwirtschaftlich genutzt wird und im Eigentum des Rechtsvorgängers der Klägerin ist.
17
Wie die Klägerin durch Vorlage des Landpachtvertrages vom 5.1.1990 nachgewiesen hat, war das streitgegenständliche Grundstück FlNr. 865 aber bereits seit 2.1.1990 an Herrn L. … verpachtet. Das Grundstück wurde damit zum Zeitpunkt der mit Bescheid vom 21.4.1998 gewährten Stundung nicht mehr durch den damaligen Grundstückseigentümer selbst landwirtschaftlich genutzt.
18
Auch eine landwirtschaftliche (Mit-)Nutzung durch einen Angehörigen im Sinne des § 15 AO lag entgegen den Ausführungen im Widerspruchsbescheid jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Zahlungsverjährungsfrist (31.12.2003) nicht vor. Nach der von der Widerspruchsbehörde eingeholten Auskunft des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat der Neffe der Klägerin das streitgegenständliche Grundstück allenfalls ab dem Jahre 2005 landwirtschaftlich (mit) genutzt. Zuvor erfolgte eine landwirtschaftliche Nutzung lediglich durch Herrn L. … und ab dem Jahre 2004 zusätzlich noch durch die Benediktinerabtei Niederalteich.
19
Die Voraussetzungen für eine Stundung gemäß § 135 Abs. 4 BauGB lagen damit weder im Zeitpunkt der Gewährung der Stundung vor noch traten die Voraussetzungen bis zum Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist (31.12.2003) ein.
20
Dies wird auch vom Beklagten nicht in Frage gestellt. Der Beklagte hat vielmehr selbst, nachdem er von dem Umstand der Verpachtung des Grundstücks erfahren hatte, die Stundung mit dem streitgegenständlichen Bescheid zurückgenommen und zur Begründung ausgeführt, aufgrund der Verpachtung des Grundstücks seien die Voraussetzungen für eine Stundung des Erschließungsbeitrags nach § 135 Abs. 4 BauGB nicht gegeben gewesen.
21
Der Stundungsbescheid hat damit (automatisch) von Anfang an keine Wirkungen entfaltet. Eines besonderen Aufhebungsbescheides bzw. einer Rücknahme oder eines Widerrufs der Stundung bedarf es dazu nicht. Es kommt allein darauf an, dass die Stundungsvoraussetzungen objektiv nicht vorlagen (vgl. BayVGH, U.v. 25.1.2013 - 6 B 12.355 - juris Rn. 21; Driehaus in Berliner Kommentar, BauGB, § 135 Rn. 27; ders. in Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 26 Rn. 30; Vogel in Brügelmann, BauGB, § 135 Rn. 44; Rhein/ Eschenbach, Stadt und Gemeinde 1991, 223/226).
22
Vorliegend fehlte es bereits von Anfang an am Vorliegen dieser Voraussetzung. Der Stundungsbescheid entfaltete demnach von Anfang an keine Wirkungen, so dass der Beginn der Zahlungsverjährungsfrist nicht aufgrund der Stundung hinausgeschoben wurde und auch keine Unterbrechung der Zahlungsverjährungsfrist erfolgte. Zahlungsverjährung ist damit mit Ablauf des 31.12.2003 eingetreten.
23
Der Eintritt der Zahlungsverjährung hat nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 a) KAG i.V. m. § 232 AO zur Folge, dass den Ansprüchen des Beklagten aus dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 21.4.1998 nicht lediglich - wie im bürgerlichen Recht - eine Einrede entgegensteht, sondern die Ansprüche des Beklagten erlöschen [sog. Extinktionsverjährung] (vgl. Grziwotz/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 135 Rn. 1a und 1b; BayVGH, U.v. 25.1.2013 - 6 B 12.355 - juris Rn. 19).
24
Im Zeitpunkt der Rücknahme der Stundung durch den Beklagten im Jahre 2015 waren die Ansprüche des Beklagten aus dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 21.4.1998 demnach bereits erloschen. Die Rücknahme der Stundung geht damit ins Leere und die Fälligstellung des Erschließungsbeitrages erweist sich als rechtswidrig.
25
Soweit der Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid ausführt, die Rücknahme des rechtswidrigen Stundungsbescheides sei nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO möglich, weil die Angaben der Klägerin vom 6.11.2014 falsch gewesen seien, geht dies offensichtlich fehl. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), u.a. dann zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Dass die bereits im Jahre 1998 gewährte Stundung nicht durch Angaben der Klägerin im Jahre 2014 - also 16 Jahre nach Erlass des Stundungsbescheides - erwirkt wurde, liegt auf der Hand. Zum Zeitpunkt der Angaben der Klägerin im Jahre 2014 waren die Ansprüche des Beklagten schon längst durch Zahlungsverjährung erloschen. Die Klägerin konnte damit auch nicht etwa eine Verlängerung der Stundung durch falsche Angaben erwirken, da die Stundung wegen der eingetretenen Zahlungsverjährung bereits gegenstandslos geworden war und keine Rechtswirkungen mehr entfaltete.
26
Der Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
27
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war angesichts der schwierigen Sach- und Rechtslage für notwendig zu erklären (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Von der Klägerin konnte nicht erwartet werden, das Widerspruchsverfahren ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu führen.
28
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § § 708 ff ZPO.