Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 21.06.2021 – AN 10 K 19.02569
Titel:

Widerruf einer Sondernutzungserlaubnis zur Aufstellung einer Werbeklapptafel

Normenketten:
BayVwVfG Art. 40, Art. 42, Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
BayStrWG Art. 18 Abs. 2
VwGO § 114
Leitsatz:
Ein generelles Verbot von Werbetafeln in einem Altstadtbereich kann von der straßenrechtlichen Gestaltungsfreiheit umfasst sein. (Rn. 24 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf einer Sondernutzungserlaubnis für Werbeklapptafel, Sondernutzungsrichtlinie als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift offenbare Unrichtigkeit, Sondernutzungserlaubnis, Werbetafel, Widerruf, Ermessen, geänderte Verwaltungspraxis, Verwaltungsvorschrift, Sondernutzungsrichtlinie, straßenrechtliche Gestaltungsfreiheit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 14.01.2022 – 8 ZB 21.2752
Fundstelle:
BeckRS 2021, 44401

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf der Sondernutzungserlaubnis zur Aufstellung einer Werbeklapptafel auf öffentlichen Verkehrsflächen.
2
Die Klägerin betreibt eine Anwaltskanzlei in der ... in … Die Kanzlei wurde zuvor in der ... in … betrieben. Hierfür wurde ihr antragsgemäß mit Bescheid vom 24. September 2007 das Aufstellen einer Werbeklapptafel in der Größe DIN A1 auf der stadteigenen öffentlichen Verkehrsfläche vor dem Anwesen …, … …, ab dem 1. Oktober 2007, als Sondernutzung widerruflich erlaubt. Aufgrund des Umzugs in die … … wurde mit Bescheid vom 3. Dezember 2012 eine entsprechende Sondernutzungserlaubnis für die … … widerruflich erteilt.
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Mit Beschluss vom 23. Oktober 2019 erließ der Stadtrat der Beklagten eine Richtlinie zur Neuordnung und Zulassung von Sondernutzungen in der … Altstadt (Sondernutzungsrichtlinie Altstadt). Die Richtlinie gilt auf allen Straßen, Wegen und Plätzen gemäß Art. 1 BayStrWG und § 1 Sondernutzungssatzung der Beklagten innerhalb der … Altstadt (begrenzt durch den Altstadtring). Der Geltungsbereich ist unterteilt in die Zonen 1 und 2 sowie die übrige Altstadt. Die Zone 1 ist laut der Richtlinie gekennzeichnet durch stadtbildprägende Plätze und Bereiche von besonderer städtebaulicher Bedeutung, meist im Umfeld von wichtigen Einzeldenkmälern und/oder einer hohen Denkmaldichte, wichtiger Blickachsen, einer hohen Fußgängerfrequenz sowie durch Bereiche mit hohem touristischen Interesse. Nach der Richtlinie befinden sich in der Zone 2 wichtige und von Fußgängern stark frequentierte Verbindungen innerhalb der Altstadt und Zugänge in die Altstadt. Auch hier befinden sich Einzeldenkmäler. Für die übrige Altstadt gilt der Ensembleschutz nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz, ein sensibler städtebaulicher Umgang mit der städteräumlichen Struktur sei auch hier geboten. Nicht zulässige Sondernutzungen im gesamten Geltungsbereich der Richtlinie sind das Aufstellen bzw. Anbringen von Werbeflächen (z.B. Dreiecksständer, Klappständer, Plakatwerbung, Symbolwerbung, sog. „Kundenstopper“).
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Die … … befindet sich in Zone 2.
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Die Beklagte informierte die Klägerin mit Schreiben vom 4. November 2019 darüber, dass für den Altstadtbereich eine Sondernutzungsrichtlinie erarbeitet und am 23. Oktober 2019 durch den Stadtrat beschlossen worden sei. In dieser Richtlinie sei u.a. festgelegt worden, dass ab dem 1. Januar 2020 das Aufstellen bzw. Anbringen von Werbeflächen wie z.B. Dreieckständer, Klappständer, Plakatwerbung im Bereich der Altstadt generell nicht mehr zulässig sei. Dies habe zur Folge, dass die Sondernutzungserlaubnis zur Aufstellung der Werbeklapptafel der Klägerin zum 31. Dezember 2019 widerrufen werden müsse. Die Altstadt sei der historische Stadtkern … und Ziel zahlreicher Besucher aus dem In- und Ausland. Sie stehe unter Ensembleschutz und verfüge über zahlreiche Einzeldenkmäler nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz. Die Fußgängerfrequenz in der Altstadt sei überdurchschnittlich hoch. Ziel der Richtlinie sei es, eine Überfrachtung des touristisch bedeutenden Altstadtbereichs mit Werbeanlagen und Möblierung zu vermeiden sowie die Nutzung von Fußgängerzonen und Gehwegbereichen in den Geschäftsstraßen für Passanten zu erleichtern.
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Mit Bescheid vom 18. November 2019 widerrief die Beklagte gegenüber der Klägerin den Bescheid vom 1. Oktober 2007 über die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung von Werbetafeln vor dem Anwesen … … mit Wirkung zum 1. Januar 2020. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Aufstellen von Werbetafeln eine den Gemeingebrauch überschreitende genehmigungspflichtige Sondernutzungserlaubnis gemäß Art. 18 Abs. 1 BayStrWG, § 3 Abs. 1 der Sondernutzungssatzung der Beklagten vom 15. Dezember 2016 (SNS) darstelle. Am 23. Oktober 2019 habe der Stadtrat die Richtlinie zur Neuordnung und Zulassung von Sondernutzungen in der … Altstadt beschlossen. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Sondernutzungserlaubnis sei Art. 49 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG, dessen Voraussetzungen erfüllt seien, weil die Sondernutzungserlaubnis widerruflich erteilt worden sei. Für die Ermessensausübung bei einem Widerruf würden die gleichen Grundsätze gelten, wie für die Erlaubniserteilung. Der Widerruf müsse von sachlichen Gründen getragen sein, die sich am gesetzlichen Schutzzweck orientierten. Dabei könne sich die Behörde auf alle straßenrechtlich relevanten Erwägungen stützen. Hierzu gehörten neben den Belangen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs u.a. auch städtebauliche und baugestalterische Belange. Die Beklagte habe sich mit der neuen Sondernutzungsrichtlinie das Ziel gesetzt, das Stadtbild in der Altstadt zu ordnen, ausufernden Sondernutzungen entgegenzutreten und durch einheitliche Regeln den Charakter des historischen Stadtkerns, der unter Ensembleschutz stehe und über zahlreiche Einzeldenkmäler verfüge, zu erhalten. Gemäß der das Ermessen bindenden Richtlinie sei der Widerruf der Sondernutzungserlaubnis zulässig. Aufgrund des Widerrufsvorbehalts stünden dem auch keine Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen.
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Hiergegen ließ die Klägerin mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2019 Klage erheben und beantragte zuletzt,
den Bescheid vom 18. November 2019 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Widerruf rechtswidrig sei, da die zugrunde liegende Richtlinie vom 23. Oktober 2019 rechtswidrig und nicht verhältnismäßig sei. Die Richtlinie untersage im Zusammenhang mit dem Ensembleschutz und dem historischen Stadtbild, in der gesamten Altstadt das Aufstellen von Werbetafeln, in der Absicht eine Überfrachtung der Stadt mit Werbung zu verhindern. Diese Maßnahme sei nicht verhältnismäßig, da deren Zweck mit weniger intensiven Maßnahmen erreichbar sei. Weite Teile der Altstadt seien nicht historisch wertvoll, da sie ausschließlich nicht denkmalgeschützte Bebauung aus den fünfziger bis achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufwiesen, wie die Adresse der Klägerin und ihr Umfeld. Die fragliche Werbetafel entspreche dem Charakter der Einkaufsstraßen in der sie stehe. Übermäßige Werbung werde im Umfeld der Klägerin nicht durch Werbetafeln verursacht. Für den Ensembleschutz wäre es ausreichend, diesen in den Gegenden der Altstadt anzuordnen, in denen sich historische Bausubstanz befinde und nicht im mehreren Quadratkilometer großen Gesamtareal. Darüber hinaus befänden sich auch alle Einkaufsstraßen in dem fraglichen Areal. Zuletzt betreibe die Beklagte durch ihre Stadtreklame, u.a. an sämtlichen Bushaltestellen der Altstadt, auch in historisch bedeutsamem Umfeld mit tags wie nachts hell erleuchteten riesigen Wechselbildschirmen, selbst exzessive Werbung, was dem Satzungszweck zuwiderlaufe und den Eindruck der Altstadt wesentlich mehr störe als einige Dutzend Dreiecksschilder in den Haupteinkaufsstraßen. Die … sei eine sehr breite Geschäftsstraße mit dem Charakter einer Einkaufsmeile. Historisch bedeutsame, insbesondere mittelalterliche Bebauung im sichtbaren Umfeld existierten nicht. Die Straße sei breit, hell und modern. Es stünden auf einer Länge von ca. 200 m zusätzlich etwa 10 bis 15 Werbetafeln auf der Straße. Wesentlich dominanter seien andere Werbemaßnahmen, wie an den Läden angebrachte Schilder oder die Schaufenster der Läden. Da weder im Bescheid dargelegt am betreffenden Ort ausufernde oder dem Stadtbild widersprechende Werbung durch die untersagten Dreiecksständer existiere, noch an diesem Ort ein Schutzbedürfnis für das Stadtbild bestünde, aber ein geschäftliches Interesse vorhanden sei, mit dem Hinweisschild in erster Linie das Auffinden der Kanzlei zu erleichtern (durch die Ladengeschäfte hätten Mandanten häufig Probleme die Hausnummer zu finden und rufen an, wenn die Tafel nicht vor dem Haus stünde) und in zweiter Linie das Neukundengeschäft fördern würde, sei der angegriffene Bescheid, sowie die diesem zugrunde liegende Richtlinie, rechtswidrig und aufzuheben.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 5. Mai 2020
Klageabweisung.
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Zur Begründung führte sie im Wesentlichen ergänzend zum angefochtenen Bescheid aus, dass die freistehend aufgestellten Werbeträger zunehmend zum Gegenstand von Beschwerden der Bürger geworden seien, da sie das Stadtbild und die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt beeinträchtigen würden, dass ungestörte Flanieren der Passanten behinderten und nicht zuletzt auch eine Gefährdung für sehbehinderte Personen darstellten. Die falsche Datumsangabe im Widerrufsbescheid vom 18. November 2019 (1.10.2007 statt richtig 3.12.2012) stelle lediglich eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von Art. 42 Satz 1 BayVwVfG dar. Der Regelungsgehalt des Widerrufsbescheids sei für alle Beteiligten klar erkennbar; es sei der Beklagten exakt um die Erlaubnis für den Klappständer vor dem Anwesen … … gegangen. Die Klägerin mache - wie die anderen im Gebäude befindlichen Praxen und Büros - von der Möglichkeit Gebrauch, durch ein Werbeschild unter der Hausnummer an der Wand auf ihre Kanzlei hinzuweisen. Weshalb es den Mandanten der Klägerin dennoch nicht gelinge sollte, ohne zusätzlichen Werbestopper die Kanzleiräume zu finden, sei nicht nachvollziehbar. So hat auch keines der anderen im Haus befindlichen Unternehmen eine Sondernutzungserlaubnis für eine Werbeanlage beantragt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die Klage ist unbegründet, da der angefochtene Widerrufsbescheid der Beklagten vom 18. November 2019 rechtmäßig ist und die Klägerin damit nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Das im Widerrufsbescheid unrichtig genannte Datum (1.10.2007 statt richtig 3.12.2012) ist unschädlich, da es sich hierbei um eine jederzeit berichtigbare offenbare Unrichtigkeit i.S.v. Art. 42 BayVwVfG handelt, die die Rechtmäßigkeit des Bescheids nicht in Frage stellt.
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Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist eine Unrichtigkeit dann offenbar, wenn sie entweder aus anderen Teilen des Verwaltungsakts oder aus den Beteiligten sonst bekannten Umständen erkennbar ist; entscheidend ist, dass sich der Irrtum aus dem Sinn- bzw. Gesamtzusammenhang des Verwaltungsakts selbst oder aus den Vorgängen bei seiner Bekanntgabe ergibt und dass den Beteiligten aus einer solchen Konstellation heraus die Unrichtigkeit ohne Weiteres auffällt (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2012 - 22 ZB 12.452 - juris Rn. 11).
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Mit dem Bescheid vom 3. Dezember 2012 wurde der Klägerin eine Sondernutzungserlaubnis für eine Werbeklapptafel DIN A1 vor dem Anwesen …, … … widerruflich erteilt. Bereits aus dem Tenor des Widerrufsbescheids, wonach ausdrücklich die Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen von Werbetafeln vor dem Anwesen … … mit Wirkung zum 1. Januar 2020 widerrufen wurde, aber auch aus den Gesamtumständen ist zweifelsfrei erkennbar, dass die zu diesem Zeitpunkt gültige Sondernutzungserlaubnis widerrufen werden sollte. Denn nur diese erlaubte die Sondernutzung, die für die Zukunft widerrufen werden sollte. Das Vorgehen der Beklagten ist darauf gerichtet, dass dieses Aufstellen der Werbetafel zukünftig unterbleibt.
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b) Der angefochtene Widerrufsbescheid ist auch materiell rechtmäßig.
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Der Widerrufsbescheid stützt sich auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG, wonach ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden darf, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschriften zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist. Die Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 3. Dezember 2012 das Aufstellen einer Werbeklapptafel als Sondernutzung widerruflich erlaubt. Zu Recht hat die Beklagte angenommen, dass es sich bei dem Aufstellen einer Werbeklapptafel um eine erlaubnispflichtige Sondernutzung handelt, da sie eine über den Gemeingebrauch hinausgehende, gewerbliche Benutzung des öffentlichen Straßengrundes darstellt (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrW, § 3 Abs. 1 Sondernutzungssatzung d. Beklagten). Mit der widerruflichen Erteilung wurde der Regelung des Art. 18 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG Rechnung getragen, wonach eine Sondernutzungserlaubnis nur auf Zeit oder auf Widerruf erteilt werden darf. Aufgrund des Widerrufsvorbehalts ist ein Widerruf der erteilten Sondernutzungserlaubnis grundsätzlich zulässig.
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Die Widerrufsentscheidung steht im Ermessen der Beklagten (vgl. BayVGH, U.v. 23.7.2009 - 8 B 08.3282 - juris Rn. 34). Die Ermessensausübung ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden.
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Bei der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen darf das Gericht sein Ermessen nicht an die Stelle des behördlichen Ermessens setzen, d.h. die Zweckmäßigkeit überprüfen, sondern ist auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung beschränkt. Im Hinblick auf das Ermessen ist der Verwaltungsakt daran zu messen, ob die Behörde das Ermessen entsprechend dem Ziel der Ermächtigung ausgeübt und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat (§ 114 Satz 1 VwGO, Art. 40 BayVwVfG) (vgl. VG Augsburg, U.v. 02.10.2002 - Au 6 K 01.1534 - juris Rn. 24).
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Die Behörde darf sich bei der Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis als auch bei deren Widerruf regelmäßig nur an Gründen orientieren, die einen sachlichen Bezug zu Straße haben. Zu diesen Gründen zählen vorrangig die in Art. 18 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG ausdrücklich genannten Belange der Straßenbaulast und der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Daneben können aber auch baugestalterische oder städtebauliche Belange, wie etwa der Schutz eines bestimmten Straßen- oder Ortsbildes, berücksichtigt werden, sofern sie einen sachlichen Bezug zur Straße haben und auf einem konkreten Gestaltungskonzept der Gemeinde beruhen (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2011 - 8 ZB 10.2931 - juris Rn. 19). Bei der Erstellung des Gestaltungskonzepts ist der Gemeinde dabei eine „straßenrechtliche Gestaltungsfreiheit“ eingeräumt, die ihre Grenzen nur im Willkürverbot findet (vgl. VGH BW, B.v. 2.11.2009 - 5 S 3121/08 - juris Rn. 5).
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Bei Anwendung dieses Maßstabes begegnet der Widerruf der Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung einer Werbeklapptafel mit Bescheid vom 18. November 2019 keinen rechtlichen Bedenken. Die Beklagte hat den Widerruf im Wesentlichen auf die neu erlassene Sondernutzungsrichtlinie Altstadt und die dadurch geänderte Verwaltungspraxis gestützt. Daran ist nichts zu erinnern.
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Zunächst ist festzustellen, dass die Sondernutzungsrichtlinie Altstadt durch den Stadtrat der Beklagten am 23. Oktober 2019 und damit vom zuständigen Gremium beschlossen wurde (vgl. VGH BW, U.v. 6.7.2001 - 8 S 716/01 - juris).
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Die Sondernutzungsrichtlinie Altstadt genügt auch den materiellen Anforderungen. Die Regelungen der Richtlinie sind entgegen der Auffassung der Klägerin insbesondere verhältnismäßig. Maßgeblich ist vorliegend das Verbot des Aufstellens von Dreiecks- und Klappständern (sog. Kundenstopper) nach Nr. 2.1 der Sondernutzungsrichtlinie Altstadt und der diesbezüglich vorgesehene Widerruf entsprechender Sondernutzungserlaubnisse nach Nr. 4.2 der Sondernutzungsrichtlinie Altstadt. Dieses grundsätzliche Verbot ist nicht zu beanstanden. Es beruht auf einem konkreten Gestaltungskonzept der Beklagten. Die Beklagte hat bei der Erstellung des Gestaltungskonzepts die Grenzen der ihr zustehenden „straßenrechtliche Gestaltungsfreiheit“ nicht überschritten. Es liegen insbesondere keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Willkürverbot vor. Die Beklagte verfolgt mit der Sondernutzungsrichtlinie Altstadt vor allem das Ziel, unter besonderer Berücksichtigung des städtebaulich wertvollen und touristisch bedeutenden Altstadtbereichs einerseits einer Überfrachtung mit Werbeanlagen, Möblierung usw. und der damit verbundenen qualitativen Abwertung des öffentlichen Raums entgegenzuwirken, andererseits die gemeinverträgliche Nutzung öffentlicher Straßen und Plätze für unterschiedlichste Interessen zu ermöglichen (vgl. Präambel der Sondernutzungsrichtlinie Altstadt). Aufgrund der überdurchschnittlich hohen Fußgängerfrequenz in der Altstadt sollen zudem störungsfreie Laufwege gewährleistet werden. Die genannten Erwägungen sind sachgerecht und im Rahmen des Gestaltungskonzepts berücksichtigungsfähig. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs stellt einen sich unmittelbar aus dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz ergebenden öffentlichen Belang dar. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung kann aber auch der Schutz des Ortsbildes als zulässiger Belang Berücksichtigung finden. In den Grenzen des Willkürverbots liegt es in der straßenrechtlichen Gestaltungsfreiheit der Beklagten, gegebenenfalls bestimmte Sondernutzungen auf öffentlichem Straßengrund zu privilegieren. Die vorgenommene Differenzierung und Abstufung der Regelungen anhand der drei Kategorien Zone 1, Zone 2 und die übrige Altstadt trägt der unterschiedlichen Schutzwürdigkeit und verkehrlichen Belastung der einzelnen Bereiche Rechnung.
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Das vorgesehene generelle Verbot von Werbetafeln im gesamten Altstadtbereich verstößt nicht gegen das Willkürverbot, sondern ist von der straßenrechtlichen Gestaltungsfreiheit der Beklagten umfasst. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Richtlinie in Nr. 1.5 ausdrücklich Ausnahmen hiervon zulässt. Auch verfängt der Einwand der Klägerin nicht, dass es für den Ensembleschutz ausreichend wäre, das Verbot von Werbetafeln nur in Gegenden anzuordnen, in denen sich historische Bausubstanz befindet. Zum einen unterliegt das gesamte innerhalb des Mauerrings gelegene Stadtgebiet der Beklagten dem Ensembleschutz Altstadt nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz. Zum anderen ist - neben dem Schutz der historischen Bausubstanz - Zweck der Sondernutzungsrichtlinie Altstadt generell einer Überfrachtung des Stadtbildes und einer Übermöblierung des öffentlichen Verkehrsraums mit verkehrsfremden Gegenständen entgegenzuwirken. Dies stellt einen nachvollziehbaren straßenrechtlichen Bezug dar und ist vom Ermessensspielraum der Beklagten gedeckt. Darüber hinaus dient das Verbot sog. Kundenstopper auch dazu, störungsfreie Laufwege zu gewährleisten und damit dem öffentlichen Belang der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs Geltung zu verschaffen.
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Die Regelung in Nr. 2.1 der Sondernutzungsrichtlinie Altstadt, wonach u.a. das Aufstellen bzw. Anbringen von Werbeflächen im gesamten Geltungsbereich der Richtlinie eine unzulässige Sondernutzung darstellt, ist geeignet, die Ziele der Bewahrung des Erscheinungsbilds des Altstadtbereichs und störungsfreie Laufwege zu erreichen, insbesondere indem einer Überfrachtung mit Werbeanlagen entgegengewirkt wird. Die streitgegenständliche Werbeklapptafel vor dem Anwesen … … liegt in Zone 2 der Sondernutzungsrichtlinie Altstadt. In Zone 2 befinden sich wichtige und von Fußgängern stark frequentierte Verbindungen innerhalb der Altstadt und Zugänge in die Altstadt. Es befinden sich hier auch Einzeldenkmäler (Nr. 1.2 der Sondernutzungsrichtlinie Altstadt). Die … ist in dem inmitten stehenden Bereich zu Recht der Zone 2 zugeordnet, da die vorgenannten Kriterien dort erfüllt werden. Es handelt sich bei der … mit den in der Nähe befindlichen und als Baudenkmäler eingestuften …brücke und …brücke um einen der Hauptzugänge zur historischen Altstadt. Zudem existiert eine unmittelbar über die … erreichbare Passage, die zur U-Bahn-Haltestelle … führt und zusätzlich ist in rund 110 m zur … … ein weiterer Zugang zur UBahn vorhanden. Angesichts dessen ist mit der Beklagten davon auszugehen, dass die … als eine von Passanten stark frequentierte Straße innerhalb des Altstadtbereichs einzustufen ist. Der Umstand, dass es sich bei der … nicht um eine schmale Straße handelt, führt vor diesem Hintergrund und des Werbeklapptafeln innewohnenden Risikos in die Mitte der Straße zu „wandern“, um damit eine größere Werbewirkung zu erzielen (vgl. BayVGH, U.v. 20.1.2004 - 8 N 02.3211 - juris Rn. 88), nicht dazu, dass die Gefahr der Beeinträchtigung des öffentlichen Belangs der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht gegeben wäre. Auch befindet sich - entgegen den Ausführungen der Klägerin - in rund 45 m Entfernung zur … … im sichtbaren Umfeld, am Eckgebäude der …, ein Einzeldenkmal. Nach der Rechtsprechung können zur Aufwertung am Straßenrand gelegener historischer Baudenkmäler straßenrechtliche Sondernutzungen generell verboten oder beschränkt werden (vgl. BayVGH, U.v. 22.6.2010 - 8 B 10.970 - juris Rn. 26). Die angestrebte ortsgestalterische Verbesserung bzw. die Gewährleistung störungsfreier Laufwege lassen sich mit dem grundsätzlichen Verbot von Werbetafeln, die regelmäßig auffällig gestaltet sind bzw. so platziert werden, dass sie ins Blickfeld bzw. in die Laufwege der Passanten geraten, ohne Weiteres erreichen.
27
Bei der vorliegenden Sondernutzungsrichtlinie handelt es sich um eine sog. ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift. Sie bewirkt, dass die Behörde im Regelfall ihr Ermessen entsprechend den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift auszuüben hat. Die Ermessensbindung durch Verwaltungsvorschriften ist allerdings nicht so weitgehend, dass sie es nicht erlauben würde, wesentlichen Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen. Vielmehr stellt es einen Ermessensmangel dar, wenn die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensermächtigung die Entscheidungen so schematisiert, dass die Besonderheiten des Einzelfalles außer Betracht bleiben. Die Selbstbindung durch Verwaltungsvorschriften entbindet die Behörde daher nicht von der Verpflichtung, in jedem in Frage kommenden Fall zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Selbstbindung durch die Verwaltungsvorschrift gegeben sind, ob mithin ein von den Verwaltungsvorschriften abweichender Fall vorliegt, ohne dass es insoweit einer expliziten Öffnungsklausel in der Verwaltungsvorschrift bedarf (vgl. OVG NW, B.v. 21.6.2010 - 6 A 3160/08 - juris). Bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vom Regelfall abweichenden Fallkonstellation, dann begründet es aber keinen Ermessensmangel, wenn die Behörde ohne weitere Ermessenserwägungen im Einzelfall nach Maßgabe der Verwaltungsvorschrift entscheidet (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 15.09.2010 - 14 ZB 10.715 - juris Rn. 6 m.w.N.).
28
Gemessen daran ist entgegen der Annahme der Klägerin die Ausübung des Ermessens nicht fehlerhaft bzw. die Entscheidung nicht verhältnismäßig.
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Wie bereits ausgeführt, sieht Nr. 1.5 der Sondernutzungsrichtlinie Altstadt eine Öffnungsklausel für Ausnahmefälle vor, wonach in begründeten Einzelfällen unter Beachtung des Gleichheitssatzes von der Richtlinie abgewichen werden kann, wenn dadurch die gestalterischen Ziele nicht in Frage gestellt werden. Die Beklagte hat im Fall der Klägerin zu Recht keinen atypischen Sonderfall angenommen. Hierfür sind weder Anhaltspunkte ersichtlich noch hat die Klägerin hierzu etwas vorgetragen. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die baugestalterischen Belange und den öffentlichen Belang der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs höher gewichtet als die geschäftlichen Interessen der Klägerin. Zwar gewährleistet das Straßen- und Wegerecht verkehrsübliche Anliegernutzungen, die je nach Herkommen und Gewohnheit örtlich verschieden sein können. Dieser gegenüber dem schlichten Gemeingebrauch von Nicht-Anliegern gesteigerte Schutz reicht jedoch nur so weit, wie die angemessene Nutzung des Grundeigentums oder Bestand und Ausübung des Gewerbebetriebs eine Benutzung der Straße unabdingbar erfordern (vgl. zum Ganzen VGH BW, U.v. 9.12.1999 - 5 S 2051/98 - juris Rn. 42 m.w.N.). Um ein solches ''Angewiesensein'' geht es im vorliegenden Fall nicht. Der Zugang zu den Kanzleiräumen der Klägerin ist ohne Einschränkungen gegeben. Bestand und Ausübung des Kanzleibetriebs sind auch nicht davon abhängig, dass vor dem Kanzleisitz eine Werbeklapptafel aufgestellt ist. Der erforderliche ''Kontakt nach außen'' ist der Klägerin durch das außen am Gebäude angebrachten Kanzleischild möglich.
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Der Einwand der Klägerin, die Beklagte betreibe selbst mit ihrer „Stadtreklame“ an Bushaltestellen im Altstadtgebiet beleuchtete Werbeflächen, die dem Zweck der Richtlinie zuwiderliefen, führt auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht zum Erfolg. Unabhängig von der Frage, ob die „Stadtreklame“ tatsächlich von der Beklagten betrieben wird, handelt es sich hierbei nicht um einen vergleichbaren Sachverhalt. Bushaltestellen sind für den Busbetrieb und damit für den öffentlichen Nahverkehr notwendige verkehrliche Anlagen im öffentlichen Straßenraum, die einem öffentlichen Zweck dienen und ohnehin vorhanden sind. Anders dagegen die hier im Streit stehenden Werbeklapptafeln, die einzig Werbezwecken dienen und ausschließlich zu diesem privaten Zweck den öffentlichen Verkehrsraum in Anspruch nehmen. Eine sachliche Differenzierung ist daher gerechtfertigt.
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Die Beklagte hat ihr Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Der angefochtene Widerrufsbescheid erweist sich demnach als rechtmäßig, sodass die Klage abzuweisen ist.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.