Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 24.02.2021 – B 4 K 19.978
Titel:

Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im abgabenrechtlichen Vorverfahren

Normenketten:
BayVwVfG Art. 80
VwGO § 68, § 72
Leitsätze:
1. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab und ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. In verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren des Beitrags- und Gebührenrechts ist die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren regelmäßig für notwendig zu erklären. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der durch die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren begründete Kostenerstattungsanspruch kann nicht unmittelbar, sondern nur aufgrund eines Kostenfestsetzungsbescheids, in dem über die Höhe der zu erstattenden Kosten durch die Behörde entschieden wird, geltend gemacht werden. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren, Zuziehung, Bevollmächtigter, Notwendigkeit, Abgabenrecht, Kostenfestsetzungsbescheid, Kostenerstattungsanspruch, Verpflichtungsklage
Fundstelle:
BeckRS 2021, 44323

Tenor

1. Der Beklagte wird verpflichtet, die Beiziehung eines Anwalts in den Widerspruchsverfahren gegen die Herstellungsbeitragsbescheide vom 21.11.2018 zur Wasserversorgungsanlage des Beklagten für die Grundstücke Fl.-Nrn. aaa und bbb/2 der Gemarkung … für notwendig zu erklären und die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren.
2
Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke Fl.-Nr. aaa und bbb/2, Gemarkung … Der Beklagte ist Träger der Wasserversorgungsanlage, an die das Grundstück Fl.-Nr. aaa angeschlossen ist. Das Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 ist bislang nicht an die Wasserversorgung angeschlossen.
3
Mit zwei Bescheiden vom 21.11.2018 setzte der Beklagte für das Grundstück Fl.-Nr. aaa einen Herstellungsbeitrag für die Wasserversorgungsanlage in Höhe von 2.003,11 EUR und für das Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 einen Herstellungsbeitrag in Höhe von 2.661,85 EUR fest.
4
Nach Erhalt der Bescheide erkundigte sich der Kläger am 05.12.2018 beim Beklagten nach der maßgeblich geltenden Satzung. Der Sachbearbeiter der Beklagten antwortete mit E-Mail vom 07.12.2018, dass nicht der Zeitpunkt der Erstellung der Anschlussmöglichkeit an die Einrichtung ausschlaggebend sei, sondern der Zeitpunkt der Bescheiderteilung.
5
Am 19.12.2018 fand eine Besprechung zwischen dem Kläger, dem Sachbearbeiter und dem Vorsitzenden des Zweckverbands statt.
6
Mit Schreiben vom 16.12.2018, eingegangen bei dem Beklagten am 19.12.2018, erhob der Kläger Widerspruch. Mit Schreiben vom 11.01.2019, eingegangen beim Beklagten am 15.01.2019, beantragte der Kläger, dass bezüglich seines eingelegten Widerspruchs gegen die Bescheide, betreffend die Grundstücke Fl.-Nr. aaa und Fl.-Nr. bbb/2, die Beiziehung eines Anwalts im Widerspruchsverfahren für notwendig erklärt werden solle und dass der Zweckverband die Kosten zu tragen habe.
7
Mit Änderungsbescheid vom 05.02.2019 setzte der Beklagte auf der Grundlage der BGS/EWS vom 04.12.2014 den Herstellungsbeitrag für das Grundstück Fl.-Nr aaa auf 1.016,67 EUR fest (statt 2.003,11 EUR im Bescheid vom 21.11.2018).
8
Mit weiterem Bescheid vom 05.02.2019 hob er den Bescheid vom 21.11.2018 bezüglich des Grundstücks Fl.-Nr. bbb/2 auf. Es wurde darauf abgestellt, dass das Grundstück nicht im Bereich eines Bebauungsplanes liege und dass irrtümlich davon ausgegangen worden sei, dass das Grundstück über die notwendigen Versorgungsleitungen verfüge.
9
In dem Begleitschreiben vom gleichen Tag führte der Beklagte aus, Anwaltskosten könnten im Fortgang eines Widerspruchsverfahrens allenfalls von der Widerspruchsbehörde anerkannt werden. Es stehe der Abhilfebehörde nicht zu, hierüber eine Entscheidung zu treffen.
10
Mit Schreiben vom 24.06.2019, dem eine Prozessvollmacht vom 30.01.2019 beigefügt war, forderte der Bevollmächtigte des Klägers den Beklagten auf, den Aufhebungsbescheid vom 05.02.2019 dahin zu ergänzen, dass die Beiziehung eines Anwalts im Widerspruchsverfahren notwendig gewesen sei und die Gebühren und Auslagen des Anwalts zu erstatten seien. Die Ansicht der Beklagten, dass nur die Widerspruchsbehörde über die Notwendigkeit der Beiziehung eines Anwalts zu entscheiden habe, sei falsch. Auch wenn der Schriftverkehr zwischen dem Kläger und dem Bevollmächtigten nur intern geführt worden sei, sei er im Widerspruchsverfahren anwaltlich tätig gewesen. Ein Bürger, der sich in der komplexen Materie des Beitragsrechts nicht auskenne, was von ihm auch nicht zu erwarten sei, sei berechtigt, einen Anwalt beizuziehen.
11
Mit Schreiben vom 26.06.2019 lehnte der Beklagte die Übernahme von Anwaltskosten ab, da aus seiner Sicht bis zum Schreiben vom 24.06.2019 keine anwaltliche Tätigkeit ersichtlich gewesen sei und seit der erfolgten Abhilfe bereits vier Monate verstrichen seien.
12
Mit Schreiben vom 03.07.2019 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass dieser hinsichtlich aller Bescheide von ihm am 04.12.2018 beraten worden sei. Hierzu lege er seinen Aktenvermerk vom 06.12.2018 über die Besprechung in seiner Kanzlei sowie den E-Mail-Verkehr zwischen ihm und dem Kläger vor. Er sei mit dem Kläger seit dem 04.12.2018 in ständiger Verbindung per E-Mail oder per Telefon gewesen. Zwar datierten die Vollmachten erst vom 30.01.2019, allerdings sei ihm vom Kläger schon am 04.12.2018 Auftrag erteilt worden. Eine Vollmacht benötige er nur, wenn er nach außen hin tätig werde. Die Frage der Kostenerstattung eines Anwalts hänge nicht davon ab, dass er für die Verwaltung erkennbar nach außen tätig geworden sei. Im Übrigen seien die Ansichten des Sachbearbeiters derartig verquer und falsch gewesen, dass der Mandant auf anwaltliche Hilfe geradezu angewiesen gewesen sei.
13
Mit weiterem Schreiben vom 09.07.2019 verwies er darauf, dass das Widerspruchsverfahren betreffend das Grundstück Fl.-Nr. aaa durch den Änderungsbescheid vom 05.02.2019 in Höhe von 986,44 EUR erfolgreich gewesen sei. Die Ansicht des Beklagten, eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Anwalts könne allenfalls von der Widerspruchsbehörde anerkannt werden, weil die Gemeinde als Abhilfebehörde darüber keine Entscheidung treffen könne, treffe nicht zu. Die Anwaltskosten in Höhe von 147,56 EUR seien zu erstatten.
14
Mit Schriftsatz vom 21.10.2019 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und zuletzt am 01.12.2020 beantragt,
1.
Der Beklagte ist verpflichtet, die Beiziehung eines Anwalts in den Widerspruchsverfahren gegen die Herstellungsbeitragsbescheide vom 21.11.2018 zur Wasserversorgungsanlage des Beklagten für die Grundstücke Fl.-Nrn. aaa und bbb/2 der Gemarkung … für notwendig zu erklären und die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen.
2.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zur Kostenerstattung in den Widerspruchsverfahren gegen die Herstellungsbeitragsbescheide vom 21.11.2018 für die Grundstücke Fl.-Nrn. aaa und bbb/2 der Gemarkung … den Betrag von 482,31 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klage zu zahlen.
15
Zur Klagebegründung führt der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, gegen die Bescheide vom 21.11.2018 habe der Kläger Widerspruch eingelegt, nachdem er von ihm im Rahmen einer Besprechung am 04.12.2018 über das Verfahren und die Aussichten eines Widerspruchs beraten worden sei. Der Sachbearbeiter des Beklagten habe gegenüber dem Kläger erklärt, das bebaute Grundstück Fl.-Nr. aaa und das noch unbebaute Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 seien eine wirtschaftliche Einheit und auch das unbebaute Grundstück sei beitragspflichtig. Aufgrund der anwaltlichen Beratung habe der Kläger erreichen können, dass der Bescheid gegen das Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 mit Bescheid vom 05.02.2019 aufgehoben worden sei. Während des Widerspruchsverfahrens sei der Kläger von ihm jeweils telefonisch bzw. per E-Mail kontaktiert und laufend begleitet worden. Da beim Aufhebungsbescheid vom 05.02.2019 über die Notwendigkeit einer Beiziehung im Widerspruchsverfahren und die Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren nicht entschieden worden sei, habe er mit Schreiben vom 24.06.2019 beantragt, den Aufhebungsbescheid entsprechend zu ergänzen. Das habe der Beklagte abgelehnt.
16
Das Grundstück Fl.-Nr. aaa habe der Beklagte veranlagt, nachdem der Kläger im Februar 2015 ein weiteres bezugsfertiges Wohnhaus errichtet habe. Im Rahmen der Erstbesprechung am 04.12.2018 sei er zunächst davon ausgegangen, dass für die Geschossflächenmehrung ein Herstellungsbeitrag zu erheben sei. Deswegen habe er dem Kläger zunächst von einem Widerspruch abgeraten. Nach Einsicht der im Internet vorhandenen Beitragssatzung des Beklagten habe er festgestellt, dass eine weitere Überprüfung und weitere Informationen des Klägers erforderlich seien. Vom Kläger habe er dann den Vorauszahlungsbescheid vom 28.12.2015, betreffend das Grundstück Fl.-Nr. aaa, erhalten. Da in diesem Bescheid auch der bereits erfolgte Neubau berücksichtigt worden sei, der Beitragsbescheid vom 21.11.2018 die neugeschaffene Geschossfläche aber mit dem Beitragssatz für Neuanschließer belastet habe, sei auch gegen den Bescheid vom 21.11.2018 Widerspruch einzulegen gewesen. Im Hinblick auf das E-Mail-Schreiben an den Kläger vom 14.12.2018 habe dieser dann auch Widerspruch eingelegt. Mit Änderungsbescheid vom 05.02.2019 habe der Beklagte dann den Bescheid vom 21.11.2018 aufgehoben und durch den Änderungsbescheid ersetzt, mit dem er nunmehr die neugeschaffene Geschossfläche mit dem Beitragssatz der Satzung vom 04.12.2014 (Beitragssatz für Altanschließer) veranlagt habe. Der Kläger habe mit Schreiben vom 11.01.2019 beim Beklagten beantragt, die Beiziehung eines Anwalts im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären. Eine entsprechende Entscheidung fehle sowohl im Aufhebungsbescheid, als auch im Änderungsbescheid vom 05.02.2019. Deswegen habe er im Auftrag des Klägers mit Schreiben vom 09.07.2019 die entsprechende Ergänzung der beiden Bescheide beantragt. In beiden Widerspruchsverfahren habe er den Kläger nicht nur anfänglich beraten, sondern habe über das gesamte Widerspruchsverfahren mit ihm in telefonischen und E-Mail-Kontakt gestanden. Damit sei in beiden Verfahren die Geschäftsgebühr nach dem RVG angefallen. Der Kläger sei Laie, was das kommunale Beitragsrecht betreffe. Es handele sich um eine Materie, die nicht einfach sei. Er habe sich daher eines Beistands in beiden Widerspruchsverfahren bedienen dürfen, zumal er vom zuständigen Sachbearbeiter des Beklagten fehlerhafte Auskünfte erhalten habe.
17
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19.11.2019 beantragt,
die Klage abzuweisen.
18
Zur Klageerwiderung wird ausgeführt, dass am 19.12.2018 ein Besprechungstermin zwischen dem Kläger, dem Sachbearbeiter und dem Verbandsvorsitzenden des Zweckverbandes, der zugleich Bürgermeister der Gemeinde sei, stattgefunden habe. In dem Gespräch sei dem Kläger eine umfassende Prüfung der Bescheide gerade hinsichtlich der anzuwenden Satzung zugesichert worden. Die Korrektur/Aufhebung der Bescheide würde sich aufgrund der Weihnachtszeit jedoch ins neue Jahr hinziehen. Insoweit sei auch vereinbart worden, dass bis zur sachgerechten Korrektur keine Zahlungen des Klägers zu leisten seien. Für den Beklagten sei es überraschend gewesen, als der Kläger mit Schreiben vom 11.01.2019 die Übernahme von Anwaltskosten im Widerspruchsverfahren begehrt habe. Nach dem Gespräch vom 19.12.2018 sei kein anwaltliches Schreiben mit weitergehende Begründung des Widerspruchs oder ein anderweitiger Nachweis irgendeiner anwaltlichen Tätigkeit erbracht worden. Im Abhilfebescheid vom 05.02.2019 sei wegen fehlender Zuständigkeit keine Entscheidung über die Anwaltskosten ergangen. Erst vier Monate nach Abhilfe des Widerspruchs habe sich der Prozessvertreter des Klägers als Bevollmächtigter angezeigt und habe hierbei Vollmachten vom 30.01.2019 vorgelegt. Bis dahin sei gegenüber dem Beklagten keine Kanzlei in Erscheinung getreten. Es bestünden erhebliche Zweifel, dass der Prozessbevollmächtigte zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Leistungen erbracht habe. Vielmehr habe es den Anschein, dass hier künstliche Anwaltskosten für einen bereits absehbaren Erfolg zu Lasten der Allgemeinheit generiert werden sollten. Es werde bestritten, dass notwendige Beratungsleistungen des Bevollmächtigten, die zu den Aufhebungs-/Abhilfebescheiden geführt hätten, stattgefunden hätten. Die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ergebe sich je nach Lage des Einzelfalles unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit. Die Frage, ob für ein Grundstück, welches weder bebaut sei, noch mit Kanal und Wasser erschlossen sei, Herstellungsbeiträge gezahlt werden müssten, sei im Grundsatz auch für einen Laien mit keinen rechtlichen Schwierigkeiten verbunden. Ebenso wenig die Frage, ob ein bereits 2015 errichtetes Anwesen nach Beitragssatzungen veranlagt werden könne, die zeitlich nach der Errichtung erlassen wurden. Bei der fehlerhaften Veranlagung habe es sich um offenkundige Versehen gehandelt, die im Gespräch vom 19.12.2018 auch angesprochen und erkannt worden seien. Selbst wenn man den Sachvortrag des Klägers zugrunde lege, werde die im Klageschriftsatz errechnete Gebühr zu hoch angesetzt. Eine nach § 14 RVG festzusetzende Gebühr könne bei dem denkbar einfachen Sachverhalt und einem minimalen Zeitaufwand allenfalls eine Gebühr von 0,8 auslösen, zumal noch ein Synergieeffekt mit dem parallel laufenden Verfahren gegen die Gemeinde gegeben sei.
19
Mit Schreiben vom 16.11.2020 wies das Gericht darauf hin, dass statthafte Klageart im streitgegenständlichen Fall die Verpflichtungsklage sei. Außerdem sei aus dem Behördenvorgang nicht ersichtlich, dass der Kläger auch gegen den Bescheid vom 21.11.2018, betreffend das Grundstück Fl.-Nr. aaa, Widerspruch erhoben habe.
20
Mit Schriftsatz vom 26.11.2020 legte der Beklagte den Gesprächsvermerk vom 19.12.2018 vor (Bl. 31 Gerichtsakte) und teilte mit, dass nur hinsichtlich des Grundstücks Fl.-Nr. bbb/2 Widerspruch eingelegt worden sei.
21
Mit Schriftsatz vom 01.12.2020 stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die oben angeführten Klageanträge und trug ergänzend vor, dass der Antrag zu Ziff. 2 in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig sei und gegebenenfalls ein weiteres Klageverfahren erspare. Außerdem habe der Kläger auch gegen den Bescheid, betreffend das Grundstück Fl.-Nr. aaa, Widerspruch eingelegt. Das entsprechende Schreiben vom 16.12.2018 mit Eingangsstempel des Beklagten wurde vorgelegt.
22
Der Beklagte stellte mit Schriftsatz vom 12.01.2021 unstreitig, dass der Kläger auch hinsichtlich des Grundstücks Fl.-Nr. aaa Widerspruch erhoben habe. Maßgeblich sei jedoch, dass der Kläger nach dem erfolgten Gespräch vom 19.12.2018 auf eine umfassende Prüfung und Korrektur der Bescheide habe vertrauen dürfen und dass er im Rahmen seines Widerspruchs bis zur Abhilfe gegenüber der Behörde nicht anwaltlich vertreten worden sei. Der erfolgreiche vom Kläger als Laie geschriebene Widerspruch zeige gerade, dass die Hinzuziehung eines Anwalts nicht notwendig gewesen sei.
23
Mit Schriftsatz vom 21.12.2020 wurde ein E-Mail-Schreiben des Klägers mit der Darstellung des Geschehens aus seiner Sicht vorgelegt. Danach habe er den Widerspruch mit Datum 16.12.2018 am 19.12.2018 persönlich bei dem Gespräch mit dem Bürgermeister abgegeben, nachdem eine Einigung nicht zustande gekommen sei. Bezüglich des Grundstücks Fl.-Nr. 635/2 sei keinesfalls zugesagt worden, dass die Bescheide korrigiert oder aufgehoben würden. Vielmehr sei darauf bestanden worden, dass das Grundstück erschlossen sei und die Bescheide zu bezahlen wären. Es sei nur eine Stundung bis zu einer tatsächlichen Bebauung angeboten worden. Er könne sich bis Januar überlegen, ob er die Bescheide gleich bezahlen oder eine Stundung wolle. Seine Frau sei bei dem Gespräch dabei gewesen und könne das bestätigen. Am 30.01.2019 habe der Sachbearbeiter des Beklagten bei ihnen angerufen und nachgefragt. Als seine Frau gesagt habe, dass sie auf Verjährung plädieren würden, habe dieser angekündigt, dass die Bescheide zurückgezogen würden und das Grundstück dann eben nicht erschlossen sei. Später könnten die Erschließungskosten sehr viel höher werden.
24
Mit Schriftsatz vom 12.01.2021 hat der Beklagte noch einmal bekräftigt, dass der Kläger nach dem Gespräch vom 19.12.2018 auf eine umfassende Prüfung und Korrektur der Bescheide habe vertrauen dürfen.
25
Die Klägerseite wies mit Schriftsatz vom 27.01.2021 darauf hin, dass die geltend gemachten Gebühren allein schon durch die Beratung am 04.12.2018 angefallen seien. Der Anwalt sei nicht erst durch die Vollmachtserteilung beauftragt worden. Solange er sich mit einer internen Tätigkeit begnügt habe, habe es keiner Vollmacht bedurft. Sie sei dann folglich auch erst eingeholt worden, als Klage auf Kostenerstattung zu führen gewesen sei. Dass die Klageeinreichung dann verzögert erfolgt sei, erkläre sich daraus, dass es sich nicht um ein eiliges Verfahren gehandelt habe.
26
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 01.12.2020 und 10.12.2020 auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
27
Der Kläger betreibt neben diesem Klageverfahren noch ein Verfahren gegen die Gemeinde als Trägerin der Entwässerungseinrichtung, in dem es ebenfalls um die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren gegen einen Beitragsbescheid vom 21.11.2018 geht. Das Verfahren wird unter dem Az. … geführt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten - auch des Parallelverfahrens … - Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

28
Über die Klage kann gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
29
Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg.
30
1. Dem Verpflichtungsbegehren im Klageantrag zu 1 war stattzugeben, denn der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte eine Entscheidung über die Kostentragung im Vorverfahren und über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten trifft. Der Kläger hat durch Vorlage der mit Empfangsstempel versehenen Widerspruchsschreiben vom 16.12.2018 nachgewiesen, dass er nicht nur gegen den das Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 betreffenden Beitragsbescheid vom 21.11.2018, sondern auch gegen den das Grundstück Fl.-Nr. aaa betreffenden Bescheid gleichen Datums Widerspruch erhoben hat. Der Beklagte hat dies letztendlich auch unstreitig gestellt. Hinsichtlich des Grundstücks Fl.-Nr. bbb/2 war der Widerspruch in vollem Umfang erfolgreich hinsichtlich des Grundstücks Fl.-Nr. aaa zum Teil (Abhilfe-/Änderungsbescheide vom 05.02.2019).
31
Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG hat - wenn der Widerspruch (ganz oder teilweise) erfolgreich ist - die Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, (ganz oder teilweise) die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen. Zu den Kosten des Widerspruchsverfahrens gehören nach Art. 80 Abs. 2 Sätze 1 und 3 BayVwVfG die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen dessen, der den Widerspruch eingelegt hat. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind nur dann notwendige Aufwendungen, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Da das Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO mit der Einlegung des förmlichen Widerspruchs beginnt, zählt dazu auch das Abhilfeverfahren. Ein dem Widerspruch stattgebender Abhilfebescheid (§ 72 VwGO) hat auch über die Kosten zu entscheiden. Dazu gehört auch die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren (Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 22. Aufl., Rn. 5 zu § 72). Wenn noch keine Vorlage an die Widerspruchsbehörde erfolgt ist, obliegt die Entscheidung der Ausgangsbehörde.
32
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab und ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts nach Art. 80 Abs. 2 BayVwVfG dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerwG, Beschluss v. 15.09.2005, Az.: 6 B 39/05, juris; BVerwG, Urteil v. 28.04.2009, Az.: 2 A 8/08, juris). Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern es ist zunächst einmal im Hinblick auf eine rechtsunkundige Partei anzunehmen, dass diese ohne rechtskundigen Rat nicht in der Lage ist, materiell- und verfahrensrechtlich ihre Rechte gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung ist dann zu bejahen, wenn der Sachverhalt Tat- und Rechtsfragen aufwirft, die sich nicht ohne weiteres beantworten lassen.
33
Abzustellen ist bei der Beurteilung auf den Zeitpunkt der Heranziehung des Rechtsanwalts. Dies ist in der Regel seine förmliche Bevollmächtigung.
34
Im vorliegenden Fall hat der Kläger nach Erhalt der beiden Beitragsbescheide vom 21.11.2018 zwar zunächst selbst rechtliche Erkundigungen beim Beklagten eingezogen (05.12.2018), ein Erörterungsgespräch mit dem Verbandsvorsitzenden/Bürgermeister geführt und förmlich Widerspruch gegen beide Bescheide eingelegt (19.12.2018), es ist aber zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits ab dem 04.12.2018 anwaltlichen Rat in der Kanzlei des Rechtsanwalts in Anspruch genommen hat (Vermerk des Rechtsanwalts vom 06.12.2018 über die Besprechung in der Kanzlei, Bl. 66 Beiakte). Dabei wurde ihm erklärt, dass das unbebaute Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 nicht erschlossen und somit nicht beitragspflichtig sei. Auch am 10.12. und 11.12.2018 gab es E-Mail-Verkehr zwischen dem Kläger und dem Rechtsanwalt mit rechtlichen Erörterungen, insbesondere zur Satzungslage, und Empfehlungen für das weitere Vorgehen (Bl. 62-64 Beiakte). Eine fachkundige Beratung des Klägers durch den Rechtsanwalt hat somit vor der Widerspruchserhebung vom 19.12.2018 stattgefunden und sich anschließend fortgesetzt (E-Mail vom 09.01.2019, Bl.65 Beiakte), auch wenn die förmliche Vollmacht erst vom 30.01.2019 datiert. Aufgrund der vorgelegten Unterlagen hat das Gericht keine Zweifel, dass der Rechtsanwalt den Kläger wie angegeben anhand der ihm vorgelegten Bescheide über die Rechtslage aufgeklärt hat. Damit ist ein Gebührentatbestand entstanden. Es gibt keinen Anlass für die Annahme, es sollten nachträglich künstliche Anwaltskosten generiert werden.
35
Die fachkundige Beratung durch den Rechtsanwalt war für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren auch erforderlich. Das kommunale Abgabenrecht ist eine komplexe Rechtsmaterie, bei der von juristischen Laien schon die Prüfung der Gültigkeit und Anwendbarkeit der einschlägigen Satzungen nicht erwartet werden kann. Es entspricht daher gängiger Rechtsprechung - auch des erkennenden Gerichts - in verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren des Beitrags- und Gebührenrechts die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren regelmäßig für notwendig zu erklären.
36
Soweit die Beklagte gegen die Notwendigkeit einwendet, der Kläger sei selbst in der Lage gewesen, den Widerspruch einzulegen, betrifft dies nur das Verfassen des förmlichen Widerspruchsschreibens. Dass er sich für einen Rechtsbehelf entschieden hat, beruht auf der rechtlichen Beratung und Empfehlung des Rechtsanwalts (s.o.). Ebensowenig leuchtet der Vortrag ein, es sei auch für einen Laien unschwer zu erkennen, dass ein unbebautes Grundstück nicht zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen werden könne, sowie dass eine erst nachträglich in Kraft getretene Beitragssatzung nicht anwendbar sei. Dass es sich hier nicht um „offenkundige Versehen“ des Beklagten handelte, zeigt sich schon daran, dass dem Kläger in der E-Mail des Sachbearbeiters vom 07.12.2018 ausdrücklich erklärt wurde, sein Grundstück sei bebaubar und beitragspflichtig. Außerdem hätte es der im Gespräch vom 19.12.2018 zugesicherten nochmaligen Überprüfung der Satzungslage nicht bedurft, wenn sie aus Sicht des Beklagten eindeutig gewesen wäre. Auch das Argument, ein Anwalt wäre nicht notwendig gewesen, weil dem Kläger bereits in dem Gespräch vom 19.12.2018 zugesagt worden sei, dass das Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 als nicht bebaubares Grundstück gewertet und der Beitragsbescheid vom 21.11.2018 im neuen Jahr aufgehoben werde, greift nicht durch. Denn dies lässt sich aus dem Gesprächsvermerk (Bl. 31 Gerichtsakte) nicht entnehmen. Darin ist die vielmehr Rede davon, dass das Grundstück bbb/2 wegen seiner grundsätzlichen Bebaubarkeit herangezogen worden sei. Eine umfangreiche Prüfung werde zugesichert. Ein Neuerlass werde sich bis Anfang 2019 hinziehen. Der Kläger konnte demnach nicht mit Gewissheit davon ausgehen, dass der Beitrag für das Grundstück entfallen würde. Dies entspricht auch der Darstellung des Klägers in seinem E-Mail-Schreiben vom 14.12.2020, vorgelegt mit Schriftsatz vom 21.12.2020 (Bl. 41f. Gerichtsakte). Danach soll noch am 30.01.2019 ein Telefonat mit dem Sachbearbeiter der Beklagten stattgefunden haben, in dem es um die Beitragspflicht des unbebauten Grundstücks gegangen sei. Dieser Darstellung ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Auch hinsichtlich des bebauten Grundstücks Fl.-Nr. 634 hat der Kläger nach Beratung durch den Rechtsanwalt (E-Mail vom 11.12.2018) gegen den Bescheid vom 21.11.2018 Widerspruch eingelegt, der insofern erfolgreich war, als das Grundstück im Änderungsbescheid vom 05.02.2019 nach dem Beitragssatz für Altanschließer veranlagt und der Beitrag um 986,44 EUR reduziert wurde (1.016,67 EUR statt 2.003,11 EUR). Von einem rechtlichen Laien kann die Durchdringung der komplexen Rechtslage nicht erwartet werden.
37
Der Kläger hat am 15.01.2019 - vor Erlass des Abhilfebescheids von 05.02.2019 - beim Beklagten beantragt, die Beiziehung eines Anwalts für notwendig zu erklären. Es wäre hilfreich gewesen, wenn er dabei gleich unter Vorlage einer Vollmacht die Inanspruchnahme der anwaltlichen Beratung offengelegt hätte. Der Beklagte hat aber aufgrund seiner im Begleitschreiben vom 05.02.2019 (Nr. 5) vertretenen (irrigen) Rechtsmeinung, dass Anwaltskosten allenfalls von der Widerspruchsbehörde anerkannt werden könnten und er darüber keine Entscheidung treffen könne, keine weiteren Nachfragen an den Kläger gerichtet und keine Belege gefordert.
38
Nachdem mit Anwaltsschreiben vom 24.06.2019, 03.07.2019 und 09.07.2019 unter Vorlage der Vollmacht und der Nachweise für die anwaltliche Tätigkeit der Antrag auf Ergänzung des Abhilfebescheids um den Ausspruch über die Kostentragung und die Notwendigkeit der Beiziehung eines Bevollmächtigten gestellt war, hätte der für die Entscheidung zuständige Beklagte diesem Antrag entsprechen müssen. Denn erst dieser Ausspruch ist Grundlage für den Kostenerstattungsanspruch des Klägers.
39
2. Hinsichtlich des Erstattungsbegehrens im Klageantrag zu 2 wird die Klage abgewiesen. Der Kläger muss sich wegen der Festsetzung der zu erstattenden Rechtsanwaltskosten an den Beklagten wenden. Der durch die Kostenlastentscheidung begründete Kostenerstattungsanspruch kann nicht unmittelbar, sondern nur aufgrund eines Kostenfestsetzungsbescheids, in dem über die Höhe der zu erstattenden Kosten entschieden wird, geltend gemacht werden. Diese werden durch die Behörde in einem selbständigen Verwaltungsverfahren nach Art. 80 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG festgesetzt (Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, 19. Aufl., Rn. 8 zu § 80).
40
3. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 155 Abs. 1 VwGO nach dem Verhältnis des gegenseitigen Obsiegens bzw. Unterliegens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.