Titel:
Unzulässigkeit einer Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen den Nachbarn mangels Rechtsschutzbedürfnis – Beiderseitige Nichteinhaltung von Abstandsflächen
Normenketten:
BayBO Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 1, Art. 75, Art. 76
BauGB § 34
BauNVO § 12
Leitsatz:
Die Klage eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten (hier gegen die Errichtung eines verfahrensfreien Carports an der Grundstücksgrenze) ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, wenn der klagende Nachbar seinerseits keine Abstandsflächen einhält und deshalb nach dem Grundsatz von Treu und Glaube darin gehindert ist, von seinem Nachbarn die Einhaltung eventueller Abstandsflächen zu verlangen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsschutzbedürfnis, Carport, Gartenhaus, Abstandsflächen, Rücksichtnahmegebot, Nachbarschutz
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 15.07.2021 – 2 B 21.1494
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 07.10.2021 – 4 B 23.21
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 08.12.2021 – 4 B 30.21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 43963
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selber.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Beseitigung eines Carports sowie einen Baustopp bezüglich des Anbaus eines Gartenhauses auf dem Nachbargrundstück.
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Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit einem Reihenhaus bebauten Grundstücks FlNr. 1017/21 (…). Die Hauswand im Nordosten grenzt an die gemeinsame Grundstücksgrenze zu den Beigeladenen an und hat keine Fenster (Blatt 9 ff. Bauakt). Die Beigeladenen sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. 1017/78, bebaut mit einem Einfamilienhaus, das im Bestand renoviert wurde. Das Grundstück grenzt südwestlich an das Grundstück der Klägerin an. An dieser gemeinsamen Grenze haben die Beigeladenen in einem Abstand von wenigen Zentimetern zur Hauswand der Klägerin auf dem eigenen Grundstück einen Carport errichtet. Der Carport hat ausweislich der Planskizze und einer Baukontrolle vom 30. Oktober 2020 eine Länge von ca. 6,12 m, eine Breite von 3,50 m und eine Höhe von 2,40 m bis 2,50 m (Flachdach, leicht geneigt). Der Stauraum/Abstand zur Straße beträgt mehr als drei Meter. Der Carport ist fertiggestellt, auf die vorgelegten Bilder in der Gerichtsakte wird verwiesen.
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Nachdem das Landratsamt mit Schreiben vom 13. November 2020 einen Antrag der Klägerin vom 27. Oktober 2020 auf bauaufsichtliches Einschreiten abgelehnt hatte, erhob die Bevollmächtigte der Klägerin Klage und beantragte,
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1. Der Beklagte wird verurteilt, den Nachbarn, der den Carport auf seinem Grundstück auf das Grundstück der Klägerin übergebaut hat, anzuweisen, diesen Carport abzureissen und die Platten unter dem Haus der Klägerin sachgerecht zu entfernen.
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2. Der Beklagte hat den der Klägerin entstandenen Schaden für die Wertminderung des Hauseigentums in Höhe von 200.000,00 Euro sowie den Aufwand für die Sanierung des Hauses unter dem Unterbau in Höhe von 20.000,00 Euro zu ersetzen.
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3. Der Beklagte wird verurteilt, dem Nachbarn zu untersagen, auf seinem Grundstück weitere Gebäude wie etwa ein Gartenhaus an das Grundstück der Klägerin anzubauen oder unterzubauen.
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Der Carport sei mit nur acht Zentimetern an die Hauswand der Klägerin angebaut worden. Es sei eine Minderung des Hauswertes eingetreten und die Abgasbeeinträchtigung sei erheblich störend. Während der Bauarbeiten sei unter das Grundstücks- und Hauseigentum der Klägerin gegraben und Steinplatten eingelegt worden, so dass unklar sei, welche Art von Schäden nun an der Immobilie etwa durch Feuchtigkeit zu erwarten seien. Bei Schneeschmelze werde das Schmelzwasser auf die Hauswand der Klägerin fließen. Der Carport halte die Abstandsflächen nicht ein. Die Klägerin verlange Schadensersatz wegen der Wertminderung des Hauses in Höhe von 200.000,00 Euro sowie 20.000,00 Euro für die Sanierung des Hausuntergrunds nach Herausnahme der Platten vom Nachbarn. Die Bauaufsichtsbehörde sei mit Schreiben vom 27. Oktober 2020 zum Erlass der Abrissverfügung aufgefordert worden und habe sich nicht geäußert. Ein Herr vom Landratsamt habe die Hauswand der Klägerin weiter vermessen und habe vor, ein Gartenhaus an das Hauseigentum der Klägerin zu errichten. Mit weiterem Schreiben vom 3. Februar 2021 ergänzte die Bevollmächtigte, dass die drei Meter Abstand zum öffentlichrechtlichen Fahrweg nicht eingehalten seien. Der Wertverlust der Immobilie betrage nunmehr 60 Prozent, d.h. 360.000,00 Euro Schadensersatz für die Wertminderung und 20.000,00 Euro für die Sanierung des Hausuntergrundes, zahlbar durch den Nachbarn. Es liege ein Verstoß gegen das nachbarschaftliche Rücksichtnahmegebot vor.
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Der Beklagte beantragte,
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Die Klage sei abzuweisen. Der Carport sei errichtet und verfahrensfrei. Abstandsflächen seien nicht einzuhalten. Das Gartenhaus werde nach Angaben der beigeladenen Bauherren vorerst nicht errichtet und der vorgesehene Standort sei nicht an der Grundstücksgrenze. Deshalb bestehe kein Beseitigungsanspruch.
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Der Bevollmächtigte der Beigeladenen hat im Klageverfahren keinen Antrag gestellt und im Eilverfahren Stellung genommen. Der Carport sei fachmännisch und durch Architekten überwacht errichtet worden.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen sowie auf den Beschluss und die Akten im Verfahren der Kammer M 9 E 20.6293.
Entscheidungsgründe
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Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach Anhörung zugestimmt.
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Im vorliegenden Fall ist die Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten bereits unzulässig, da das Rechtsschutzbedürfnis für ein Tätigwerden des Gerichts fehlt. Das Wohnhaus der Klägerin steht unmittelbar an der gemeinsamen Grenze. Wer selber keine Abstandsflächen einhält, ist nach dem Grundsatz von Treu und Glaube regelmäßig gehindert, von seinem Nachbarn die Einhaltung eventueller Abstandsflächen zu verlangen.
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Im Übrigen ist die Klage auch unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gemäß Art. 76 BayBO oder einen Anspruch auf einen Baustopp nach Art. 75 BayBO hat. Der Carport ist verfahrensfrei. Das Wohnhaus der Beigeladenen steht dort schon seit vielen Jahren, sodass kein einheitliches Bauvorhaben vorliegt. Der Carport ist mit einer Länge von 6,12 m, einer Höhe von 2,40 m bis 2,50 m und einer Breite von 3,50 m (Ca.-Maße, Protokoll der Baukontrolle vom 30. Oktober 2020, Blatt 43 BA) und mit einem Abstand von mehr als drei Metern zur Straße gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO zulässigerweise in den Abstandsflächen errichtet worden und damit im Einklang mit der Bayerischen Bauordnung. Die Ablehnung des bauaufsichtlichen Einschreitens durch das Landratsamt mit Schreiben vom 13. November 2020 erfolgte deshalb zu Recht. Sonstige Gründe, warum der Carport gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot verstoßen könnte, sind nicht erkennbar. Beide Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich, § 34 BauGB. Die Hauswand der Klägerin an der gemeinsamen Grenze ist fensterlos und die Glasbausteine werden nicht verdeckt. Emissionen durch ein Fahrzeug auf einem in allen Baugebieten zulässigen Stellplatz, § 12 BauNVO, sind nicht nur gering, sondern auch sozial üblich und hinzunehmen, zumal die Hauswand dort keine Fenster oder Türen hat.
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Soweit die Klägerin sich gegen das Gartenhaus wendet, fehlt es ebenfalls an einem Beseitigungsanspruch bzw. Unterlassungsanspruch, da dieses nach Aktenlage in einem Abstand von drei Metern zur Grundstücksgrenze aufgestellt werden soll. Gartenhäuser sind als Nebengebäude baurechtlich zulässig und betreffen nicht ansatzweise Nachbarrechte, wenn sie außerhalb der Abstandsflächen errichtet werden.
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Soweit die Klägerin Schadensersatz in Höhe von zuletzt fast 400.000,00 Euro von den Beigeladenen verlangt, ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht gegeben, § 40 VwGO. Ungeachtet dessen ist nicht ansatzweise erkennbar, auf was sich ein solcher Anspruch stützen könnte.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzulehnen. Die beigeladenen Bauherren tragen ihre außergerichtlichen Kosten selber, da sie keinen Antrag gestellt haben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbakeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 ff. ZPO.