Inhalt

VGH München, Urteil v. 25.11.2021 – 19 B 21.1789
Titel:

Reiseausweis für eritreischen Staatsangehörigen 

Normenketten:
AufenthV § 4 Abs. 6 S. 1, § 5 Abs. 1
AsylG § 72 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Im Ausland lebende eritreische Staatsangehörige erhalten im Ausland in der Regel auf Antrag bei der zuständigen eritreischen Auslandsvertretung problemlos eritreische Pässe, sofern sie u.a. ihre Staatsangehörigkeit nachweisen. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Zumutbarkeit der Passbeantragung bei der eritreischen Auslandsvertretung steht nicht entgegen, dass das Bundesamt einem eritreischen Staatsangehörigen den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat. (Rn. 68 – 79) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reiseausweis für Ausländer, Eritrea, Berufung, Reiseausweis, Ausstellung eines Nationalpasses, Zumutbarkeit, subsidiärer Schutz, Reueerklärung, Aufbausteuer
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 01.07.2019 – W 7 K 18.1021
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 04.05.2022 – 1 B 17.22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 43861

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 1. Juli 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer.
2
Der Kläger, festgesetztes Geburtsdatum 1. Januar 1997, nach Behauptung eritreischer Staatsangehöriger mit dem Geburtsdatum 28. Februar 1997, wurde am 18. Mai 2014 im Bundesgebiet (nach einer Einschleusung aus Österreich/Italien) ohne Ausweispapiere aufgegriffen. Gegenüber der Bundespolizei gab er am 18. Mai 2014 u.a. an, er sei am 20. November 2013 aus Eritrea ausgereist. Für die Schleusung nach Italien habe er insgesamt ca. 4.650 US-Dollar bezahlt. In Italien sei er am 7. Mai 2014 angekommen und in ein Kinderheim gebracht worden. Er habe nach Deutschland kommen wollen, am 17. Mai 2014 sei er mit einem Mann aus Italien abgereist. Er besitze keinen Reisepass. Auf Frage, warum er nach Deutschland reisen wolle: Er sei in der 11. Klasse in Eritrea gewesen. Das Regime habe ihn als Soldat rekrutieren wollen, das möchte er aber nicht. Er habe gehört, dass es hier in Deutschland sehr gut sei, deshalb möchte er hierher. Auf Frage, was mit ihm passieren würde, wenn er nach Eritrea zurückgehen würde: Er möchte kein Soldat werden. Er habe Angst, dort ins Gefängnis gehen zu müssen. Auf Frage, wo sich seine Eltern befinden: Seine Eltern befänden sich noch in der Heimatstadt in Eritrea. Auf Bitte um Schilderung der familiären Verhältnisse: Die Eltern seien geschieden. Sein Vater lebe in der Hauptstadt und seine Mutter lebe noch in seinem Geburtsort. Er habe sieben Geschwister. Diese würden noch immer da leben. Er sei der Einzige, der weggegangen sei.
3
Nach Asylantragstellung am 28. Juli 2014 erklärte er im Rahmen der Vorprüfung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) am 23. September 2016 u.a.: Auf Frage, ob er über Personalpapiere, wie z.B. einen Pass, Passersatz oder einen Personalausweis oder andere Urkunden und Papiere, die seine Herkunft aus Eritrea oder ihm persönlich dort drohende Gefahren belegen würden: Er habe einen Schülerausweis gehabt. Der Schülerausweis sei ihm in Äthiopien abgenommen worden. Einen Personalausweis habe er nicht gehabt, da er noch minderjährig gewesen sei. Bis zur Ausreise habe er in S. gelebt. Das Heimatland verlassen habe er im November 2013. Die Reisekosten nach Deutschland hätten 5.000,00 - 6.000,00 Dollar betragen. Der Vater heiße T. H. (wohnhaft in A.), die Mutter B. A. (wohnhaft in S.). Auf Frage, ob noch weitere Verwandte im Heimatland leben: „Fünf Brüder und zwei Schwestern sowie meine Großfamilie“. Er sei in Eritrea Schüler gewesen. Auf Frage, was ihm persönlich vor der Ausreise aus Eritrea passiert sei: Er habe Angst gehabt, zum Militär zu müssen. Er habe die 11. Klasse abgebrochen. Er habe nicht lebenslang Soldat sein wollen. Er habe keine Einberufung bekommen, aber mit der 12. Klasse hätte er nach Sa. und damit zum Nationaldienst gemusst. Auf Frage, ob bei seiner Ausreise an der Grenze etwas passiert sei: „Nein“. Die Reisekosten habe ein Onkel, der in Israel lebe, finanziert. Auf Aufforderung, Tatsachen vorzutragen, die bei einer eventuellen Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot als schutzwürdige Belange zu berücksichtigen wären: „Mein Bruder A. ist hier in Deutschland“. Sodann erklärte der Kläger, dass er ausreichend Gelegenheit gehabt habe, die Gründe für seinen Asylantrag zu schildern und auch alle sonstigen Hindernisse darzulegen, die einer Rückkehr in sein Heimatland oder in einen anderen Staat entgegenstehen. Der Kläger bestätigte abschließend, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe.
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Mit Bescheid vom 26. Oktober 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Nr. 1). Im Übrigen wurde der Asylantrag abgelehnt (Nr. 2). Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Der Kläger gelte nicht als Wehrflüchtiger, da er sich nicht dem aktiven Wehrdienst bzw. der allgemeinen Dienstpflicht entzogen habe, vielmehr das Heimatland verlassen habe, bevor er von den Behörden aufgefordert worden sei, sich wegen der Registrierung zum Nationaldienst bei den entsprechenden Behörden zu melden bzw. er keinen Einberufungsbefehl erhalten habe. Weder sei eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch sei ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Asylgesetz (im Folgenden AsylG) sei damit abzulehnen.
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Die Klage des Klägers auf Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 26. Oktober 2016 in Ziff. 2 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wies das Verwaltungsgericht M. mit Urteil vom 11. April 2017 (Az. M 12 K 16.34201) ab. Den Entscheidungsgründen des Urteils des ist u.a. zu entnehmen, dass eine drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung bzw. Kriegsdienstverweigerung aufgrund illegaler Ausreise vorliegend nur dann flüchtlingsschutzrechtlich relevant wäre, wenn sie im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, in welchem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fielen. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Eine Strafverfolgung würde auch nicht zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen in Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal eingesetzt. Es sei auch nicht ersichtlich, dass allein aus dem Umstand der illegalen Ausreise zum Zweck der Wehrdienstentziehung auf eine politische Gegnerschaft geschlossen werde, die zu einer verschärften strafrechtlichen Ahndung führe, sodass der Bestrafung ein politischer Sanktionscharakter zukäme. Gerade die große Bandbreite möglicher Folgen bei der Rückkehr von Personen, die illegal ausgereist seien, um sich dem Nationaldienst zu entziehen, zeige, dass diese Personen nicht automatisch als Regimegegner eingestuft würden und damit generell einer politischen Verfolgung unterlägen. Ebenso spreche gegen eine generelle politische Verfolgung aller Personen, die sich dem Nationaldienst entzögen, der derzeitige Umgang der eritreischen Regierung mit freiwilligen - zumindest vorübergehenden - Rückkehrern. Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage würden die gesetzlichen Bestimmungen für Desertion, Dienstverweigerung und illegale Ausreise derzeit für diese Personen nicht angewandt. Sofern sie sich mindestens drei Jahre im Ausland aufgehalten hätten, bestehe für die Rückkehrer die Möglichkeit, einen sogenannten „Diaspora-Status“ zu erhalten. Dieser setze voraus, dass eine Diaspora- oder Aufbausteuer bezahlt worden sei und, sofern die nationale Dienstpflicht noch nicht erfüllt worden sei, ein sogenanntes „Reueformular“ unterzeichnet worden sei. Dieses umfasse auch ein Schuldeingeständnis mit der Erklärung, die dafür vorgesehene Bestrafung anzunehmen. Zumindest in der Mehrheit komme es nach den Erkenntnisquellen des Gerichts zu keiner tatsächlichen Bestrafung. Mit diesem „Diaspora-Status“ sei es möglich, drei Jahre in Eritrea zu bleiben, ohne den Nationaldienst ableisten zu müssen. Auch eine Ausreise sei mit diesem Status möglich, sodass es temporäre Reisen zu Urlaubs- und Besuchszwecken gebe. Diese Optionen, die gerade auch für Personen gelten würden, die sich dem Nationaldienst durch die illegale Ausreise entzogen hätten, sprächen deutlich gegen eine generelle Einstufung als politischer Gegner.
6
Nachdem der Kläger gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel erhoben hatte, ließ er unter dem 4. Juli 2017 beim Landratsamt T. die Ausstellung eines Reiseausweises/Konventionspasses nach § 5 i.V. m. § 6 Aufenthaltsverordnung (im Folgenden AufenthV) beantragen. Er besitze keine Reisedokumente. Es sei ihm auch nicht gelungen, derartige Reisedokumente über den Unterfertigten im Staat Eritrea zu besorgen. Der Unterfertigte habe auch versucht beim Konsulat des Staates Eritrea einen Pass zu beantragen „mit dem Ergebnis keinerlei Reaktion“.
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Unter dem 7. August 2017 erklärte daraufhin das Landratsamt T. gegenüber dem Kläger u.a., die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer setze nach dem Tatbestand des § 5 Abs. 1 AufenthV u.a. voraus, dass der Ausländer einen Pass nicht auf zumutbare Weise erlangen könne. Dabei sei es im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat verweise und die Erteilung eines Reiseausweises erst dann in Betracht ziehe, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben seien. Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, komme nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände seien vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Nach den vorliegenden Informationen könnten eritreische Staatsangehörige bei der eritreischen Botschaft in Frankfurt am Main (für Bayern zuständig) oder beim eritreischen Generalkonsulat in Berlin grundsätzlich formlos persönlich einen Reisepass beantragen. Die persönliche Vorsprache sei in allen Fällen erforderlich. Die Bearbeitungsdauer solle bei nachgewiesener Identität ca. drei Monate dauern. Grundsätzlich sei es eritreischen Staatsangehörigen nicht unzumutbar, einen eritreischen Pass zu beschaffen. Auf das Zeugenverfahren, wenn ein Eritreer keinen Identitätsnachweis besitze, werde hingewiesen.
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Unter dem 5. Oktober 2017 ließ der Kläger gegenüber der Beklagten u.a. ausführen, er und sein Rechtsanwalt hätten am 4. Oktober 2017 das eritreische Konsulat in Frankfurt am Main aufgesucht. Der Kläger habe dabei vorgesprochen und um Erteilung eines Passes gebeten. Die eritreische Botschaft habe ihm dabei zwei Formschreiben ausgehändigt und mitgeteilt, dass er den Antrag nur stellen könne, wenn er die darin geforderten Unterlagen „benötigt“ (gemeint: besitzt). Die Mutter des Klägers lebe in S. (Eritrea), der leibliche Vater sei unbekannten Aufenthaltsortes. Vor diesem Hintergrund könne der Kläger eine Kopie der Ausweise der Eltern nicht vorlegen. Des Weiteren sei gefordert worden, eine Geburtsurkunde vorzulegen sowie einen alten Reisepass/Personalausweis. Der Kläger könne aus Eritrea keine Geburtsurkunde besorgen. Einen Reisepass bekomme in Eritrea nur jemand, der volljährig sei. Der als Minderjähriger in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Kläger habe nie einen Reisepass besessen.
9
Der Kläger legte dem Schreiben „Kopien der angeforderten Unterlagen der eritreischen Botschaft“ bei. Ersichtlich ergibt sich daraus das Erfordernis der Vorlage von u.a. „Kopie des Eritreischen Ausweises von Eltern“, „Geburtsurkunde“ und „Reisepass bzw. Personalausweis“.
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Auf Rückfrage der Beklagten erklärte die Regierung von Oberbayern sodann telefonisch unter dem 23. Oktober 2017, für die Passausstellung müsse der Kläger im Besitz einer Geburtsurkunde sein. Über den „First Secretary“ könne bei entsprechenden Angaben zur Person über das entsprechende Rathaus in Eritrea die Identität ermittelt werden. Sollten „die Stricke reißen“, bleibe zudem noch das „Zeugenverfahren“.
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Unter dem 20. November 2017 erklärte sodann die Beklagte gegenüber dem Klägervertreter, für die Ausstellung eines Reisepasses seien grundsätzlich zunächst alle persönlichen Angaben (Name, Geburtsdatum, Geburtsort, letzte bekannte Anschrift in Eritrea) zur eigenen Person sowie auch zu den Eltern anzugeben. Sollte der Kläger andere als die zunächst geforderten Identitätsnachweise besitzen, sollten diese ebenfalls vorgelegt werden. Grundsätzlich erfolge für eritreische Staatsangehörige auch vor Vollendung des 18. Lebensjahres im Regelfall eine Eintragung im Geburtenregister und es werde eine Geburtsurkunde ausgestellt. Dies sei insbesondere bei Geburten nach 1991 der Fall. Sofern der Kläger in dieser Weise registriert worden sei, sei ihm eine eigenständige Beschaffung von Dokumenten möglich. Nicht registrierten Personen bleibe auch das Zeugenverfahren. Hierbei werde durch mindestens drei Zeugen die eritreische Staatsangehörigkeit des Klägers bestätigt. Es seien mindestens drei Zeugen notwendig, welche nachweislich Eritreer seien und das 40. Lebensjahr vollendet hätten. Diese drei Zeugen könnten ihre Erklärung persönlich bei den zuständigen Behörden in Eritrea oder einer eritreischen Auslandvertretung weltweit abgeben. Anschließend werde für den Kläger die Ausstellung eines eritreischen Reisepasses möglich. Grundsätzlich würden die eritreischen Konsulate ebenfalls eine Bestätigung ausstellen, sofern kein Pass ausgestellt werden könne und gäben hierbei eine entsprechende Begründung an. In Anbetracht der Möglichkeit des Zeugenverfahrens sollte dem Kläger eine Passbeschaffung möglich sein. Andernfalls werde jedoch um Vorlage einer Negativbestätigung des Konsulats gebeten. Ohne eine Bestätigung der Unmöglichkeit der Passbeschaffung komme die Ausstellung eines Reiseausweises für den Kläger nicht in Betracht.
12
Der Kläger ließ unter dem 15. Dezember 2017 antworten, er sei staatlicherseits in Eritrea als Minderjähriger nicht registriert worden. Im Hinblick auf das Zeugenverfahren sei mitzuteilen, dass er in Europa keine drei 40-jährigen Eritreer kenne, die wiederum ihn kennen würden. Ganz abgesehen davon kenne er überhaupt keine Personen über 40 Jahre, die aus Eritrea stammen würden. Es sei auch nicht vorstellbar, dass drei Personen in Eritrea bestätigen, dass der Kläger, der sich in Würzburg aufhalte, Eritreer sei. Die Botschaft von Eritrea in Frankfurt am Main sei sowohl persönlich als auch zweimal per Einschreiben mit dem Ergebnis keiner Rückmeldung kontaktiert worden. Auch das Konsulat in Frankfurt am Main habe auf ein Schreiben vom 27. November 2017 nicht reagiert (Vorlage dieses Schreibens mit der Bitte um nähere Auskünfte zum Zeugenverfahren).
13
Unter dem 9. Februar 2018 antwortete die Beklagte dem Klägervertreter u.a., es sei nicht bekannt, wie genau das Zeugenverfahren von Seiten der Auslandsvertretungen Eritreas durchgeführt werde. Bekannt sei durch Mitteilung der zentralen Passbeschaffung lediglich, dass die Erklärung durch die drei eritreischen Zeugen persönlich bei der zuständigen Behörde in Eritrea oder einer eritreischen Auslandsvertretung weltweit abgegeben werden könne. Weitere Informationen könnten durch das eritreische Konsulat erhalten werden. Der Kläger habe den Großteil seines Lebens in Eritrea verbracht. Entsprechend müsste er in seiner Wohngegend mehrere Leute kennen, die mittlerweile das 40. Lebensjahr vollendet hätten. Hierzu könnten insbesondere auch Nachbarn oder Lehrkräfte zählen. Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Kläger Kontakt zu seiner weiterhin in Eritrea lebenden Mutter habe oder ob anderweitig mit einer Person im Heimatland Kontakt bestehe.
14
Unter dem 21. Februar 2018 ließ der Kläger gegenüber der Beklagten u.a. antworten, zur Frage, ob er Kontakt zu seiner in Eritrea lebenden Mutter habe, könne mitgeteilt werden, dass die Stromversorgung in der Ortschaft äußerst schlecht sei und somit telefonischer Kontakt äußerst eingeschränkt möglich sei. Darüber hinaus werde mitgeteilt, dass Telefonate regelmäßig abgehört würden und die Mutter Repressalien erwarte, weil der Kläger ja illegal das Land verlassen habe.
15
Unter dem 15. März 2018 erwiderte die Beklagte u.a., nach ihr vorliegenden Informationen ließen die Auslandsvertretungen des Staates Eritrea bei Passversagung dem Antragsteller ein entsprechendes Schreiben unter Angabe der Gründe für die Passversagung zukommen. Es sei dem Kläger daher insbesondere zumutbar eine Reaktion des Staates Eritrea abzuwarten. Zudem sei der Antrag vom Kläger persönlich beim Konsulat auszufüllen. Bei Antragstellung seien vom Kläger die im Formschreiben geforderten Angaben zu seiner Person zu machen. Bisher seien keine hinreichenden Nachweise zur Erfolglosigkeit der Passbeschaffung vorgelegt worden. Von einer Unzumutbarkeit der Passbeschaffung könne nicht ausgegangen werden.
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Unter dem 19. März 2018 ließ der Kläger entgegnen, bei der Vorsprache im Konsulat sei mitgeteilt worden, dass das Formschreiben nur mit vollständigen Unterlagen abgegeben werden könne, um es dann weiter zu prüfen. Bevor diese Unterlagen nicht dem Formschreiben beilägen, werde der Staat Eritrea nicht tätig. Insoweit bekomme der Kläger auch keine Negativbescheinigung.
17
Unter dem 5. April 2018 wandte sich daraufhin die Beklagte an das Generalkonsulat des Staates Eritrea mit den Fragen, ob ein Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises auch ohne vollständige Vorlage der geforderten Dokumente gestellt werden könne, ob jedem Antragsteller das Betreiben eines Zeugenverfahrens offenstehe, sofern entsprechende Identitätsdokumente nicht vorgelegt werden könnten, wenn ja, welche Schritte der Antragsteller für das Zeugenverfahren unternehmen müsse bzw. wie dessen Ablauf sei, ob eine Negativbescheinigung in allen Fällen ausgestellt werde (z.B. auch bei mangelndem Nachweis der eritreischen Staatsangehörigkeit), in welchen eine Passausstellung nicht möglich sei oder ob dies auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkt sei.
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Unter dem 4. Juni 2014 erklärte die Beklagte gegenüber dem Vertreter des Klägers, sie habe keine Rückmeldung durch das Generalkonsulat Eritreas erhalten.
19
Mit Bescheid vom 30. Juli 2018 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 4. Juli 2017 auf Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer ab. Zur Begründung führte die Beklagte u.a. aus, das Asylverfahren des Klägers sei seit dem 1. Juli 2017 unanfechtbar abgeschlossen. Der Kläger habe den Nachweis für den Nichtbesitz eines eritreischen Passes nicht geführt. Die Beklagte gehe jedoch zu seinen Gunsten davon aus, dass er tatsächlich keinen Pass besitze. Es sei ihm aber nicht per se unzumutbar, einen Pass zu beschaffen. Es sei ihm durchaus zuzumuten, persönlich beim eritreischen Generalkonsulat vorzusprechen und einen Reisepass zu beantragen. Ebenso sei es zumutbar, die für die Passausstellung benötigten Urkunden zu beschaffen, anfallende Gebühren zu bezahlen etc. Personen, die (wie der Kläger) nach 1991 geboren worden seien, würden in das eritreische Geburtenregister eingetragen, es sei eine Geburtsurkunde ausgestellt worden. In den Städten geschehe dies auch flächendeckend. Bei der Geburtsstadt des Klägers (S.) handle es sich um eine nicht unbedeutende Stadt. Es sei davon auszugehen, dass es dem Kläger möglich sei, in Eritrea eine Geburtsurkunde zu beschaffen. Die Mutter lebe immer noch in Eritrea. Auch wenn es aufgrund des schlechten Telefonnetzes schwierig sein sollte, mit ihr in Kontakt zu treten, so sei dies jedenfalls möglich. Auch könnte sich der Kläger mit Briefen an die Mutter wenden. Weiterhin bestehe die Möglichkeit, eine andere Person (z.B. einen Rechtsanwalt) zu beauftragen, im Namen des Klägers eine Geburtsurkunde zu beschaffen. Für die Beschaffung von Identitätsnachweisen im Wege des Zeugenverfahrens könnte die Mutter weitere Personen benennen, die den Kläger vor der Ausreise aus Eritrea gekannt hätten und dies bezeugen könnten. Bisher habe der Kläger noch keine hinreichenden Nachweise erbracht, dass es ihm nicht möglich sein sollte, auf zumutbare Weise einen eritreischen Pass zu erlangen. Deshalb sei der Anwendungsbereich der §§ 5, 6 AufenthV nicht eröffnet. Sollte der Kläger darlegen können, dass er alles in seiner Macht Stehende getan habe, um einen eritreischen Pass zu beschaffen, seine Bemühungen aber letztendlich erfolglos gewesen seien, könne die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer erneut geprüft werden.
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Der Kläger ließ mit Schriftsatz vom 2. August 2018, eingegangen beim Verwaltungsgericht W. am 6. August 2018, Klage erheben. Zur Begründung trug er vor, er habe versucht, persönlich beim Konsulat einen Pass zu beantragen. Das Konsulat habe ihm am 4. Oktober 2017 (bei der Vorsprache) mitgeteilt, er müsse diverse Unterlagen von den Eltern besorgen. Das Konsulat habe dementsprechend dem Kläger ein Formular ausgehändigt. Dieses Formular möge er ausfüllen, die Dokumente beibringen und außerdem eine Entschuldigungserklärung gegenüber dem Staat Eritrea unterschreiben, dass er diesen illegal verlassen habe. Daraufhin habe der Kläger gegenüber der Beklagten erklärt, er könne von seinem Vater (unbekannter Aufenthaltsort) keine Kopie des eritreischen Ausweises der Eltern beschaffen. Er habe keine Geburtsurkunde, habe auch nie einen Reisepass oder Personalausweis besessen. Sein Schulausweis sei gestohlen worden. Er sei sodann von der Beklagten auf das Zeugenverfahren verwiesen worden. Der Kläger habe daraufhin mitgeteilt, dass es nicht vorstellbar sei, wie dieser Zeugenbeweis ablaufen solle. Das Konsulat habe schriftliche Anfragen der Klägerseite nicht beantwortet. Der Kläger habe trotz vieler Anstrengungen kein weiteres nationales Dokument erhalten. Er habe alles ihm Zumutbare getan, um einen Pass zu erhalten.
21
Der Kläger hat beantragt,
22
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 30. Juli 2018 zu verpflichten, ihm einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen.
23
Die Beklagte hat beantragt,
24
die Klage abzuweisen.
25
Zur Begründung führte sie u.a. aus, der Kläger habe bisher noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die für die Ausstellung eines eritreischen Passes notwendig seien. Deshalb komme die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer nicht in Betracht. Eine Identitätsklärung im Wege des Zeugenverfahrens sei bisher nicht betrieben worden. Die Identität des Klägers sei nicht geklärt.
26
Unter dem 5. Oktober 2018 ließ der Kläger gegenüber dem Verwaltungsgericht erklären, sein hier lebender Bruder könne bestätigen, dass er Biniam Tesfay heiße, am 28. Februar 1997 geboren sei und seine Nationalität eritreisch sei (Beweis A. M., … Straße … in S.).
27
Die Beklagte erklärte unter dem 22. Oktober 2018 gegenüber dem Verwaltungsgericht, die Mutter des Klägers lebe noch in seinem Dorf in Eritrea. Es sei davon auszugehen, dass sie mindestens zwei weitere Personen aus dem Dorf benennen könne, die älter als 40 Jahre seien, den Kläger vor seiner Ausreise gekannt hätten und dies bezeugen könnten (Nachbarn, ehemalige Lehrkräfte oder sonstige Verwandte und Bekannte). Das Vorbringen, der Kläger könne keine Verbindung mit der Mutter aufnehmen, weil die Telefonverbindung zu schlecht sei, vermöge nicht zu überzeugen. Die Angaben zum vermeintlichen Bruder hätten u.a. auch aufgrund der unterschiedlichen Namensführung keinen Beweiswert bei der Identitätsklärung. Inwieweit die Identitätsklärung zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers selbst oder von Verwandten führen sollte, sei weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich.
28
Unter dem 9. November 2018 ließ der Kläger u.a. vortragen, es lägen nachweislich erfolglose Bemühungen zur Erlangung eines Nationalpasses vor. Einen konkreten Gefährdungstatbestand seiner Mutter könne er nicht vorweisen, weil allein der Versuch zu gefährlich sei und für die Mutter weitreichende Konsequenzen bis zur Haft haben könne. Zudem wolle der Kläger (mit seinem Rechtsanwalt und dessen Sohn) nach Israel reisen, um dort einen Verwandten aufzusuchen. Gerade die aktuelle Abschiebepraxis Israels und die Tatsache, dass der Kläger mit einem eritreischen Pass schon nicht nach Israel einreisen könne, zeige, dass er ein hiesiges Reisedokument benötige. Mit einem eritreischen Pass, den der Kläger nicht erhalte, würde ihm die Abschiebung drohen. Es dürfte auch bekannt sein, dass Eritreer je nach Entscheider beim Bundesamt einmal subsidiären Schutz erhalten und einmal die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen würden.
29
Unter dem 18. Dezember 2018 ließ der Kläger sodann erklären, seine Mutter habe versucht, vor Ort Dokumente bei einer Kirche zu bekommen. Dies sei aber nicht möglich, da der Vater des Klägers nicht mit der Mutter verheiratet sei und unbekannten Aufenthalts sei. Im Übrigen habe der Kläger nicht nur eine Aufbausteuer zu entrichten, sondern auch ein Entschuldigungsschreiben abzugeben. Von einem Geflüchteten könne nicht verlangt werden, dass er sich bei dem Land entschuldige, aus dem er geflohen sei aufgrund der dortigen katastrophalen Verhältnisse.
30
Gemäß Protokoll des Verwaltungsgerichts über die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2019 erklärte der Kläger auf Frage, bei seinem Besuch im eritreischen Generalkonsulat sei von ihm verlangt worden, dass er sich beim eritreischen Staat und dem Präsidenten schriftlich entschuldigen und den Präsidenten positiv darstellen solle. Ferner sei von ihm verlangt worden, dass er jeden Monat zwei Prozent seines Verdienstes an Eritrea zahle. Außerdem sei von ihm die Vorlage von Urkunden verlangt worden, die er sich aber nicht aus Eritrea schicken lassen könne. Seine Mutter könne ihm keine Dokumente schicken, sie habe kein Internet. Sie würden ab und zu telefonieren. Zu seinem Vater habe er keinen Kontakt.
31
Mit Urteil vom 1. Juli 2019 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 30. Juli 2018 verpflichtet, dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthV seien erfüllt. Der Kläger verfüge nicht über einen gültigen Pass oder Passersatz. Es sei ihm nicht zumutbar, sich (weiter) um einen Nationalpass zu bemühen. Zunächst spreche die individuelle Verfolgungssituation des Klägers, die der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter zugrunde liege, für eine Unzumutbarkeit. Nach dem Bescheid des Bundesamtes drohe dem Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und zwar ausgehend von staatlicher Seite im Zusammenhang mit der Verweigerung des Nationaldienstes. Seine verfolgungsrechtliche Situation erscheine daher bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar. Zudem sei die Passbeschaffung mit der Entrichtung einer „Aufbausteuer“ verbunden. Diese betrage zwei Prozent des Jahreseinkommens. Der Kläger habe auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt, bei seinem Besuch im eritreischen Generalkonsulat sei neben einer schriftlichen Entschuldigung beim eritreischen Staat und Präsidenten von ihm verlangt worden, dass er jeden Monat zwei Prozent seines Verdienstes an Eritrea zahle. Von einer erneuten Unterschutzstellung im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichthofs (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris) könne ausgegangen werden, da der Erlöschenstatbestand des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG auf subsidiär Schutzberechtigte nicht anwendbar sei. Der Kläger besitze auch eine Aufenthaltserlaubnis. Das pflichtgemäße Ermessen der Beklagten gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV sei auf Null reduziert. § 5 Abs. 1 AufenthV sei richtlinienkonform auszulegen. Nach Art. 25 Abs. 2 der RL 2011/95/EU stellen Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist und die keinen nationalen Pass erhalten können, Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Die Richtlinie sehe damit einen Anspruch des Ausländers auf Ausstellung von Reisedokumenten vor, der an keine weiteren Voraussetzungen anknüpfe. Der Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer stehe schließlich nicht entgegen, dass die Identität des Klägers, der nach eigenen Angaben Eritrea als Minderjähriger verlassen habe, möglicherweise - wegen der bisher fehlenden Nachweise - nicht hinreichend geklärt sei und nur auf dessen eigenen Angaben beruhe. Denn diesem Umstand könne dadurch Rechnung getragen werden, dass gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 AufenthV der Reiseausweis mit dem Hinweis ausgestellt werde, dass die Personendaten auf den eigenen Angaben des Ausländers beruhten (Hinweis auf BayVGH, B.v. 10.2.2016 - 19 ZB 14.2708 - juris Rn. 8).
32
Am 4. September 2019 beantragte die Beklagte gegen das ihr am 8. August 2019 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts W. die Zulassung der Berufung.
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Im Zulassungsantragsverfahren haben die Beteiligten u. a. Folgendes ausgeführt:
34
Der Kläger ließ mit Schriftsatz vom 16. September 2019 erklären, sein Bruder, der der gleichen Familie entstamme, lediglich einen anderen Vater habe, besitze die Anerkennung als Flüchtling. Er habe einen Konventionspass. Postalisch könne aus Eritrea nichts versendet werden. Der Kläger sehe sich außerstande sich dem Regime Eritrea schriftlich zu unterwerfen und sich zu entschuldigen für die Gräueltaten, die der Staat der Bevölkerung antue.
35
Die Beklagte erklärte unter dem 16. September 2019 u.a., der Kläger zeige keine Bereitschaft, ihm zumutbare Handlungen zur Passbeschaffung vorzunehmen. Seine Mutter lebe noch im Heimatort in Eritrea, wo sich gewiss noch weitere Personen befinden dürften, die den Kläger von früher kennen und als Zeugen für seine Identität dienen könnten. Das Zeugenverfahren sei eine offizielle Möglichkeit, die Identität und Staatsangehörigkeit gegenüber der eritreischen Botschaft zu belegen. Es liege im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, dass die Identität von Personen, die sich hier aufhalten wollen, geklärt sei. Nicht im öffentlichen Interesse liege es, Reisedokumente an Personen mit ungeklärter Identität und Staatsangehörigkeit auszustellen, solange die Möglichkeiten einer Identitätsklärung und Passbeschaffung nicht ausgeschöpft seien. Gegen eine allzu großzügige Erteilung von deutschen Reisedokumenten an Personen, die grundsätzlich Nationalpässe beschaffen müssten und bei denen dies nicht nachweislich unzumutbar oder unmöglich sei, bestünden Sicherheitsbedenken.
36
Der Kläger ließ unter dem 2. Oktober 2019 erwidern, die drei berufsmäßigen Richter am Verwaltungsgericht W. hätten in der mündlichen Verhandlung ihre Rechtsauffassung gegenüber der Beklagten ausführlich begründet und die Beklagte zur Abhilfe aufgefordert. Gebetsmühlenartig habe die Beklagte die Auffassung vertreten, dass der Kläger zunächst seine Identität zu klären habe. Die Beklagte verkenne dabei, was ihr auch deutlich gesagt worden sei, dass dies mit der Passerteilung hier in Deutschland nichts zu tun habe. Der Klägervertreter könne sich des Eindrucks nicht verwehren, dass die Beklagte hier allgemein mit dem Verwaltungsgericht W. und deren Entscheidungen öfter nicht einverstanden sei.
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Die Landesanwaltschaft Bayern erklärte unter dem 17. Oktober 2019 als Vertreter des öffentlichen Interesses u.a., sie teile die Auffassung der Beklagten, wonach der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer habe. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die individuelle Verfolgungssituation des Klägers für eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung spreche, da ihm der subsidiäre Schutzstatus gewährt worden sei, weil er sein Heimatland aufgrund der allgemeinen Gefährdung durch die drohende Einberufung zum Nationaldienst verlassen habe und ihm daher von staatlicher Seite ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Zusammenhang mit der Verweigerung des Nationaldienstes drohe, begegne ernstlichen Zweifeln. Die in diesem Zusammenhang in der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Oktober 2018 angestellte Erwägung, dass im Hinblick auf die Zumutbarkeit im Einzelfall zu prüfen sei, ob die verfolgungsrechtliche Situation bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar sei, stamme aus dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Januar 2011 (19 B 10.2157 - juris Rn. 31). Dort sei die Unzumutbarkeit einer Mitwirkungshandlung bei der Passbeschaffung der dortigen Klägerin angenommen worden, weil dieser zwar die Flüchtlingseigenschaft wegen der Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht zuerkannt worden sei, die Klägerin jedoch im Falle einer Rückkehr wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeiten von politischer Verfolgung bedroht gewesen wäre und ihr deshalb (zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des AsylG mit der Einführung des auf der Qualifikationsrichtlinie beruhenden subsidiären Schutzes) Abschiebungsschutz nach dem AufenthG zuerkannt wurde. Diese Fallkonstellation sei mit der vorliegenden insoweit jedoch nicht vergleichbar, da der Kläger unverfolgt aus Eritrea ausgereist sei und auch im Falle der Rückkehr nicht mit staatlicher Verfolgung zu rechnen habe. Im Hinblick auf Rn. 12 der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Oktober 2018 habe der im Zeitpunkt der Ausreise 17 Jahre alte und damit noch nicht zur Ableistung des Nationaldienstes verpflichtete Kläger in seinem Asylverfahren keine gezielte, gegen seine Person gerichtete Bedrohung geltend gemacht. Der Kläger habe zwar behauptet, aber in keiner Weise substantiiert dargelegt, dass und warum er eine Gefährdung seiner im Heimatland lebenden Verwandten befürchte. Wie sich aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ergebe, sei bislang noch in keinem solchen Verfahren berichtet worden, dass es im Zuge der Beschaffung von Personenstandsurkunden durch dritte Personen in Eritrea (häufig Familienangehörige) zu Repressalien gegenüber die mit der Beschaffung beauftragten Personen oder anderer Angehörige gekommen sei. Entsprechende Feststellungen zu dieser Frage seien im Klageverfahren nicht getroffen worden. Nachdem insofern die konkreten Umstände des Einzelfalls nicht ermittelt worden seien, erweise sich die Feststellung der Unzumutbarkeit der Passbeschaffung auf dieser Grundlage aus Sicht der Landesanwaltschaft als unrichtig. Abgesehen davon habe der Kläger zunächst im Behördenverfahren vorgetragen, er habe alles Zumutbare getan, um einen Pass zu erhalten. Er habe das eritreische Generalkonsulat in Frankfurt am Main aufgesucht und um die Erteilung eines Passes gebeten, könne aber die von dort geforderten Nachweise zu Identität und Staatsangehörigkeit nicht vorlegen. Erst im Klageverfahren sei ergänzend vorgebracht worden, man habe von ihm die Entrichtung einer Aufbausteuer verlangt. Dieses Verhalten des Klägers spreche durchaus dafür, dass ihm die Passbeantragung grundsätzlich auch in Anbetracht seiner „Vorgeschichte“ zumutbar sei. Er habe schließlich das eritreische Generalkonsulat bereits und auch mehrfach die Beklagte ausdrücklich autorisiert, sich an die eritreische Auslandsbehörde zu wenden und er sei lediglich nicht bereit, die ihm zumutbaren Handlungen zur Klärung seiner Identität vorzunehmen, obwohl seine Mutter noch in Eritrea lebe und es in seinem Heimatort sicher noch weitere Personen gebe, die ihn kennen und im Zeugenverfahren zur Klärung seiner Identität und Beschaffung einer Geburtsurkunde als Voraussetzung für die Passausstellung beitragen könnten. Nicht nachvollziehbar sei auch die nicht weiter begründete Annahme des Verwaltungsgerichts, wonach der Kläger bei Annahme eines Nationalpasses im Falle einer Reise ins Ausland mit einer Abschiebung in das Land, in dem ihm ernsthafter Schaden drohe, rechnen müsse. Dieses Argument für eine Unzumutbarkeit entstamme ebenfalls dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Januar 2011 (Rn. 32 a.E.) und habe damals der Untermauerung der Auffassung gedient, wonach die dortige Klägerin den Schutz des Heimatstaates durch Entgegennahme eines Passes nicht in Anspruch nehmen könne, sei aber in keiner Weise näher ausgeführt. Durch die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer erhielte der Kläger nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, sondern bliebe eritreischer Staatsangehöriger und die eritreische Staatsangehörigkeit wäre gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 9 AufenthV auch in dem begehrten Reiseausweis einzutragen, sodass diese für ausländische Behörden ebenso erkennbar wäre, wie wenn er einen Nationalpass oder Passersatzpapier seines Heimatlandes besäße. Es spreche nichts dafür, dass die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer für ihn günstige Auswirkungen auf die diplomatischen bzw. konsularischen Zuständigkeiten im Fall eines Auslandsaufenthalts hätte (vgl. OVG Hamburg, U.v. 28.2.2012 - 4 Bf 207/11 - juris Rn. 23). Durch die Annahme eines eritreischen Reisepasses falle die subsidiäre Schutzberechtigung nicht weg, sodass die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG dadurch nicht in Frage gestellt werde. Darüber hinaus sei der Argumentation, die Passbeschaffung sei unzumutbar, weil der Kläger bei Auslandsausreisen mit einer Abschiebung in sein Heimatland rechnen müsse, wenn er einen Nationalpass besitze, auch aus einem weiteren Grund nicht zu folgen (Hinweis auf BayVGH, B.v. 17.10.2018 Rn. 4 ff.). Des Weiteren sei die Annahme eines Nationalpasses als solche nicht zwingend als Fall der freiwilligen Unterschutzstellung anzusehen, auch wenn sie als Alternative der freiwilligen Unterschutzstellung in § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ausdrücklich genannt werde. Verlangt werde außerdem ein Wille zur erneuten Inanspruchnahme staatlichen Schutzes auf Dauer und nicht nur staatlicher Hilfe oder allgemeiner Dienste (keine Indizwirkung für eine erneute Unterschutzstellung). Ebenso wenig ergebe sich eine Unzumutbarkeit, sich um die Ausstellung eines eritreischen Nationalpasses zu bemühen, aus der Erhebung der sogenannten „Aufbausteuer“. Eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung könne auch nicht aus der angeblich geforderten Entschuldigungserklärung geschlossen werden.
38
Der Kläger ließ unter dem 24. Oktober 2019 u.a. erklären, im Hinblick auf die Befürchtung des Klägers betreffend schwerste Repressalien gegen seine Mutter, sei der Landesanwaltschaft zuzustimmen, dass substantiiert hierzu kein Vortrag erfolgen könne, weil nicht abzusehen sei, welche Konsequenzen die Mutter zu befürchten habe. Es könne dem Kläger nicht zugemutet werden hier seine Mutter in eine unberechenbare Gefahr zu begeben, zu riskieren, dass sie Monate lang eingesperrt werde, nur um hier im Verfahren dies dann vortragen zu können. Es entspreche den Tatsachen, was offenbar weder die Beklagte noch die Landesanwaltschaft wüssten oder zumindest nicht zugestehen würden, dass es keine Möglichkeit gebe, Post direkt aus Eritrea zu versenden. Personen, die versucht hätten, Originaldokumente mit dem Flugzeug aus Eritrea zu schaffen, unterlägen strengen Kontrollen und würden an der Ausreise gehindert, so sie überprüft würden. Genauso gefährlich sei es Post nach Eritrea zu senden. Der Kläger habe an seine Mutter ein Päckchen versandt und habe sehr behutsam überlegen müssen, was er als Inhalt hineinlege. Die eritreischen Behörden würden nämlich die Empfänger, hier die Mutter anrufen, diese müsse das Päckchen im Beisein von Polizei öffnen. Diese überprüfe den Inhalt und je nachdem müsse sie damit rechnen, verhaftet zu werden.
39
Unter dem 22. März 2021 wies die Landesanwaltschaft darauf hin, dass sich aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Dezember 2020 (10 ZB 20.2157 - juris) ergebe, dass es den Angehörigen des dortigen Klägers möglich gewesen sei, für diesen in Eritrea eine Geburtsurkunde zu beschaffen. Aus der Entscheidung ergebe sich weiter, dass die Befürchtungen des Klägers, seine Mutter werde im Falle der Kontaktaufnahme zwecks Beschaffung einer Geburtsurkunde Repressalien erleiden, unbegründet seien. Offensichtlich seien Mutter oder weitere Familienangehörige des Klägers bislang keinen Repressalien ausgesetzt gewesen. Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. Februar 2020 ergebe sich zudem, dass Familienangehörige, die für einen Geflüchteten Personenstandsurkunden beantragen, allein aufgrund dieser Tatsache nicht mit Repressalien zu rechnen haben.
40
Unter dem 10. Mai 2021 führte die Landesanwaltschaft aus, dass das vom Klägervertreter zitierte Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 20. Mai 2021 (Az. 12 A 5005/18 - juris) im Wesentlichen inhaltsgleich sei mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom selben Tag, das auf die Berufung des dortigen Beklagten hin mit Urteil des OVG Lüneburg vom 18. März 2021 (Az. 8 LB 97/20 - juris) geändert worden sei (Abweisung der Klage eines Eritreers auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer).
41
Mit der durch Senatsbeschluss vom 24. Juni 2021 zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, es treffe nicht zu, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtsauffassung vertrete, es sei dem Kläger aufgrund seines Status als subsidiär Schutzberechtigter nicht zumutbar, erneut bei der Vertretung des eritreischen Staates vorzusprechen und einen Pass zu beantragen. Ebenso wenig treffe es zu, wenn das Verwaltungsgericht davon ausgehe, dass das der Ausländerbehörde in § 5 Abs. 1 AufenthV eingeräumte Ermessen, subsidiär Schutzberechtigten Reiseausweise für Ausländer auszustellen, im vorliegenden Einzelfall auf Null reduziert sei. Die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer komme erst dann in Betracht, wenn es im konkreten Fall trotz nachweislicher und ernsthafter Bemühungen nicht möglich sei, einen Pass zu erlangen oder wenn es aus nachvollziehbaren und substantiierten Gründen nicht zumutbar sein sollte, sich um einen Nationalpass zu bemühen bzw. einzelne Mitwirkungshandlungen zu erbringen. Im vorliegenden Fall seien keine ernsthaften Bemühungen erkennbar, sich - als Voraussetzung für die Ausstellung eines Passes - um die Klärung der Identität zu bemühen und dadurch einen Pass zu erlangen. Die bisherigen Bemühungen des Klägers hätten sich mit zwei Schreiben an das eritreische Generalkonsulat in Frankfurt/Main sowie einer persönlichen Vorsprache erschöpft. Wenn ein Ausländer lediglich auf Drängen der Ausländerbehörde bei seiner Auslandsvertretung vorspreche und einen Nationalpass beantrage, führe dies bereits bei Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen nicht zum Erlöschen der Rechtsstellung. Erstrecht sei dies bei subsidiär Schutzberechtigten nicht der Fall. Durch die Annahme eines eritreischen Reisepasses entfalle somit keinesfalls die subsidiäre Schutzberechtigung. Des Weiteren treffe die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die individuelle Verfolgungssituation des Klägers für eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung spreche, da ihm der subsidiäre Schutzstatus gewährt worden sei, nicht zu. Er habe sein Heimatland aufgrund der allgemeinen Gefährdung durch die drohende Einberufung zum Nationaldienst verlassen. Die Unzumutbarkeit, sich um die Ausstellung eines eritreischen Nationalpasses zu bemühen, ergebe sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht aus der Erhebung der sogenannten „Aufbausteuer“ in Höhe von zwei Prozent des Jahreseinkommens. Nachdem und solange sich der Kläger auf ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland berufen könne, sei zudem nicht ersichtlich, warum er im Ausland vor einer Abschiebung nach Eritrea eher bedroht wäre, wenn er einen eritreischen Nationalpass besäße. Der Argumentation, die Passbeschaffung sei unzumutbar, weil der Kläger bei Auslandsreisen mit einer Abschiebung in sein Heimatland rechnen müsse, wenn er einen Nationalpass besitze, sei auch aus einem weiteren Grund nicht zu folgen. Wollte man die Unzumutbarkeit der Passbeantragung und -entgegennahme damit begründen, dass im Fall einer Reise die Abschiebung in das Herkunftsland und damit die Verwirklichung des ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG drohe, würde dies im Ergebnis bedeuten, dass letztlich doch die Stellung als subsidiär Schutzberechtigter per se eine Unzumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses im Sinne von § 5 Abs. 1 AufenthV begründe. Dass dies nicht der Fall sei, sei jedoch mittlerweile obergerichtlich geklärt (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 4 ff.). Dem pauschalen Vorbringen, durch die Beantragung im sogenannten „Zeugenverfahren“ würden die eritreischen Verwandten Probleme bekommen, könne nicht gefolgt werden. Es sei nicht vorgetragen, es seien auch keine Nachweise vorgelegt worden, dass die weiterhin in Eritrea lebenden Verwandten, darunter die Mutter des Klägers, bislang Repressionen unterworfen gewesen seien, obwohl der Kläger sich seiner Einberufung durch seine Ausreise entzogen habe. Es handle sich daher um eine reine Schutzbehauptung. Die Identität des Klägers sei zudem nicht geklärt. Zwar wäre es möglich, einen Reiseausweis mit dem Zusatz „Personalien beruhen auf eigenen Angaben“ auszustellen. Solange jedoch eine Passbeschaffung und als deren Voraussetzung eine Identitätsklärung möglich und zumutbar sei, komme die Erteilung eines deutschen Passersatzpapieres nicht in Betracht. Keinesfalls liege eine Ermessensreduzierung auf Null und somit eine Verpflichtung zur voraussetzungslosen Ausstellung des begehrten Dokuments vor. Eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung könne auch nicht aus der angeblich geforderten Abgabe eines genannten „Letter of Regret“ als Entschuldigungsschreiben geschlossen werden. So werde beispielsweise von iranischen Staatsangehörigen zur Erlangung eines Passes ebenfalls gefordert und als zumutbar erachtet, eine sogenannte Freiwilligkeitserklärung gegenüber den iranischen Behörden abzugeben. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben.
42
Es wurden Erkenntnisquellen zum Gegenstand des Verfahrens und der mündlichen Verhandlung gemacht.
43
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht den Kläger informatorisch angehört.
44
Die Beklagte beantragt nunmehr (schriftsätzlich),
45
„das Urteil des Verwaltungsgerichts W. vom 1. Juli 2019 abzuändern.“
46
Der Kläger beantragt nunmehr,
47
die Berufung zurückzuweisen.
48
Die Landesanwaltschaft B. beantragt als Vertreterin des öffentlichen Interesses,
49
das Urteil des Verwaltungsgerichts W. vom 1. Juli 2019 abzuändern und die Klage abzuweisen.
50
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, die vorgelegten Behördenakten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

51
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer zu erteilen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
52
Die von der Beklagten erhobene Berufung ist zulässig. Zwar hat es die Beklagte unterlassen, sich in der mündlichen Verhandlung von einer gemäß § 67 Abs. 4 VwGO postulationsfähigen Person vertreten zu lassen. Sie konnte daher in der mündlichen Verhandlung keinen wirksamen Berufungsantrag stellen (zum Antragserfordernis §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 103 Abs. 3 VwGO). Allerdings ist eine mündliche Antragstellung nicht zwingend. Es genügt, wenn sich das Begehren aus einem schriftsätzlich angekündigten Antrag oder aus dem sonstigen Vorbringen mit hinreichender Klarheit ergibt (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 103 Rn. 15 m.w.N.). Mithin war der Senat berechtigt und verpflichtet, den durch die Beklagte unter dem 29. Juli 2021 schriftsätzlich angekündigten Berufungsantrag heranzuziehen. Dort beantragte die Beklagte durch den unterzeichnenden „rechtsk. berufsm. Stadtrat“ K. „das Urteil des Verwaltungsgerichts W. vom 1. Juli 2019 aufzuheben“. Diesen Antrag (dem der Zusatz „und die Klage abzuweisen“ fehlt), konnte und musste der Senat - auch unter Berücksichtigung des sonstigen Vorbringens in dem genannten Schriftsatz - als sachdienlich auslegen. Denn das Berufungsziel der Beklagten ist eindeutig erkennbar. Auch haben sich Zweifel an der Postulationsfähigkeit des Unterzeichnenden (sog. Behördenprivileg gem. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO) nicht ergeben. Soweit der Klägervertreter (erstmals) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Postulationsfähigkeit des Herrn K. in Frage stellte, sind durchgreifende Zweifel (es handelt sich um einen gewählten Referenten der Stadt W.) weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit der Klägervertreter im Übrigen in der mündlichen Verhandlung auf einen Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Juli 2021 (20 N 21.66 - juris) hingewiesen hat, betrifft diese Entscheidung eine andere Konstellation, da der dortige Antragsteller - wie hier nicht - einen Normenkontrollantrag ohne postulationsfähigen Prozessvertreter vor dem Verwaltungsgerichtshof gestellt hat.
53
Die Berufung ist begründet:
54
Gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV kann einem Ausländer, der keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, ein Reiseausweis ausgestellt werden.
55
Dabei ist im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat verweist und die Erteilung eines Reiseausweises erst dann in Betracht zieht, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben sind (OVG NRW, B.v. 17.5.2016 - 18 A 951/15 - NVwZ - RR 2016, 678; B.v. 17.5.2016 - 8 A 91/15 - juris Rn. 3 m.w.N.; für den Status nach § 60 Abs. 7 AufenthG vgl. BayVGH, B.v. 13.6.2016 - 10 C 16.773 - juris). Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Es beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls, welche konkreten Anforderungen an das Vorliegen einer Unzumutbarkeit zu stellen sind und ob Bemühungen zur Erlangung eines Nationalpasses im Einzelfall sich als unzumutbar darstellen (BVerwG, B. v. 15.6.2006 - 1 B 54/06 - juris Rn. 4 zu § 30 Abs. 4 AuslG; BayVGH, B.v. 13.6.2016 - 10 C 16.773 - juris Rn.17).
56
Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände sind grundsätzlich vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen (BayVGH, B.v. 28.12.2020 - 10 ZB 20.2157 - juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 17.5.2016 - 18 A 951/15 - juris Rn. 3; HessVGH B.v. 1.8.2016 - 3 A 959/16.Z - juris Rn. 6; NdsOVG, U.v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 29). Je gewichtiger die vom Ausländer plausibel vorgebrachten Umstände sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Vorliegen einer daraus resultierenden Unzumutbarkeit (VGH BW, U.v. 29.2.1996 - 11 S 2744/95 - juris Rn. 24; OVG NRW, B.v. 17.5.2016 - 18 A 951/15 - juris Rn. 3; NdsOVG, U.v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 29). Trägt der Ausländer substantiiert Umstände vor, aus denen sich ergibt, dass er sich oder seine Familie durch das Bemühen um Ausstellung eines Nationalpasses seines Heimatstaates unmittelbar in Gefahr bringen könnte, so genügt es, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine solche Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann. In diesen Fällen muss sich der Ausländer insbesondere nicht darauf verweisen lassen, sich zunächst mit der Auslandsvertretung seines Heimatstaates in Verbindung zu setzen, um durch deren Reaktion die behauptete Gefährdung nachzuweisen (VGH BW, U.v. 29.2.1996 - 11 S 2744/95 - juris Rn. 24).
57
Bei dem Terminus Zumutbarkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt und hinsichtlich dessen Anwendung die Behörde keinen Ermessungsspielraum besitzt (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 9).
58
Der Kläger kann zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 24 m.w.N.) einen eritreischen Pass auf zumutbare Weise erlangen:
59
1. Der Kläger hat es bislang unterlassen, in ausreichender Weise zumutbare Bemühungen zur Erlangung eines eritreischen Nationalpasses zu entfalten:
60
a) Im Ausland lebende eritreische Staatsangehörige erhalten im Ausland in der Regel auf Antrag bei der zuständigen eritreischen Auslandsvertretung problemlos eritreische Pässe, sofern sie (in einem ersten Schritt) ihre Staatsangehörigkeit nachweisen (Hinweise des Auswärtigen Amtes zur Beschaffung und Überprüfung von eritreischen Dokumenten, Stand 11.2.2021). Für die Beantragung eines Reisepasses sind der Auslandsvertretung Unterlagen vorzulegen. Diese sind im Schreiben des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen vom 5. Januar 2021 im Einzelnen benannt.
61
b) Davon ausgehend hat der Kläger (insbesondere in Anbetracht seiner Ausführungen im Rahmen der informatorischen Anhörung vor dem Senat) keine ausreichenden Bemühungen zur Erlangung eines eritreischen Reisepasses entfaltet:
62
Der Kläger ließ schriftsätzlich erklären bzw. führte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat u.a. aus, er habe „ziemlich oft“ telefonischen Kontakt mit seiner Mutter (wobei sie über sich, über das Leben sprächen). Seine Eltern hätten Personalausweise gehabt, ob sie jetzt noch welche hätten, das wisse er nicht, „weil er ja hier sei“. Er wisse nicht, ob er in Eritrea bei seiner Geburt in ein Geburtsregister eingetragen worden sei. Seine Mutter (so der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat) habe „bei der Kirche“ eine Taufurkunde eingeholt und diese in eingescannter Form über Facebook an ihn nach Deutschland geschickt. An der Schule, die er zuletzt besucht habe, seien 20 bis 30 bzw. 15 bis 20 Lehrer gewesen. Die Telefonnummer seines Vaters habe er, er habe mit ihm „ganz selten“ bzw. „selten“ telefonischen Kontakt. In Eritrea befänden sich weiter der neue Lebensgefährte/Ehemann der Mutter, weitere vier Kinder (Eltern: seine Mutter und der neue Lebensgefährte/Ehemann), die Großeltern des Klägers (Eltern der Mutter), die „Großfamilie“ (laut Aussage in der mündlichen Verhandlung seien eine Tante und ein Onkel in Eritrea), des Weiteren der Sohn des Bruders des aktuellen Lebensgefährten/Ehemanns der Mutter (dieser habe Internet und die Taufurkunde per Facebook geschickt).
63
c) Davon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bislang ausreichende Bemühungen entfaltet hat, im Hinblick auf den erforderlichen Nachweis seiner Staatsangehörigkeit und die insoweit von der Auslandsvertretung geforderten Unterlagen ausreichende Bemühungen zu deren Erlangung entfaltet hat. Seinem Vortrag (insbesondere auch seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat) ist lediglich zu entnehmen, dass seine Mutter „bei der Kirche“ eine Taufurkunde erhielt. Erstmals wurde dem Senat in der mündlichen Verhandlung bekannt, dass diese Taufurkunde per Facebook an den Kläger übermittelt wurde. Nach Feststellungen des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen (Stand 28.6.2021) können auch Taufurkunden ausnahmsweise Aussagekraft entfalten, wenn sie durch das für den Kläger zuständige Rathaus auf Richtigkeit bestätigt werden. Hierzu werde ein entsprechender Stempel angebracht. Hinzu kommt: nach den Feststellungen des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen (Stand 28.6.2021) ist davon auszugehen, dass die Geburt des Klägers in einem Geburtsregister (mit der Folge der Möglichkeit der Ausstellung einer Geburtsurkunde) registriert wurde. Soweit dies hier ausnahmsweise nicht der Fall gewesen sein sollte (in ländlichen Regionen werden nicht alle Personen in das Geburtsregister eingetragen), käme eine Nachfrage beim für den Kläger (damals) zuständigen Rathaus in Betracht. Über konkrete Gespräche (und nachfolgende Initiativen) im Rahmen ihm zumutbarer Bemühungen - insbesondere mit seiner Mutter, aber auch mit anderen ihm nahestehenden Personen in Eritrea -, die die Beschaffung von Unterlagen zur Erlangung eines Nationalpasses zum Inhalt haben, hat der Kläger nichts berichtet. Auch seine Antwort, die Eltern hätten Personalausweise gehabt, ob sie jetzt noch welche hätten, das wisse er nicht, „weil er ja hier sei“, überzeugt nicht. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Kläger insoweit nicht nachgefragt hat und ggf. Unterlagen „per Facebook“ übermittelt bekommt. Wenig Engagement zeigt auch sein Vorbringen zur Frage der Erlangung eines Identitätsnachweises/Schülerausweises durch die zuletzt besuchte Schule (Schülerausweis gemäß Aussage des Klägers vor dem Bundesamt in Äthiopien abgenommen, gemäß schriftsätzlicher Aussage im Schreiben vom 2. August 2018 in Äthiopien gestohlen, gemäß Aussage in der mündlichen Verhandlung in Äthiopien weggenommen). Soweit er vorträgt, er habe keine Telefonnummer der Schule, auch keine Email-Adresse, liegt es nahe, dass er sich erforderliche Informationen über seine zahlreichen Kontaktpersonen in Eritrea besorgen könnte. Im Übrigen hat der Kläger von (weiteren) Verwandten und Bekannten mit Smartphones in Eritrea berichtet, auch diese könnten für etwaige Hilfeleistungen zur Verfügung stehen.
64
d) Es kann dahinstehen, ob der Kläger am 4. Oktober 2017 lediglich „pro forma“ (um dem Argument entgegen zu treten, ihm sei zunächst grundsätzlich eine Kontaktaufnahme mit der Auslandsvertretung zumutbar, vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2020 - 10 ZB 20.2157 - juris) die eritreische Auslandsvertretung aufsuchte (und von dort Formblätter mitbrachte, die er dann der Ausländerbehörde vorlegte) oder ob er dort „formell“ die Ausstellung eines eritreischen Nationalpasses beantragte. Nach der Auskunft des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführung bestätigt die Auslandsvertretung eine Antragstellung und händigt dem Vorsprechenden eine Liste über die erforderlichen Unterlagen aus. Der Kläger hat hingegen erklärt, er habe eine derartige Bestätigung nicht bekommen. Ins Auge fällt zudem, dass der Kläger in seinem anwaltlichen Schriftsatz vom 5. Oktober 2017 an die Ausländerbehörde, mit dem er über die Vorsprache vor dem Generalkonsulat berichtete, nichts von der Erforderlichkeit der Abgabe einer sogenannten Reueerklärung oder der Erforderlichkeit der Zahlung einer sogenannten Aufbausteuer erwähnte. Auch den gleichzeitig der Ausländerbehörde übergebenen Formblättern (S. 245 ff. der Behördenakte) ist dazu nichts zu entnehmen. Eine vom Konsulat bei der Vorsprache geforderte Abgabe einer Reueerklärung erwähnte der Vertreter des Klägers erstmals unter dem 2. August 2018, der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sowie nunmehr in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Ein Verlangen der Auslandsvertretung bei der Vorsprache am 4. Oktober 2017 nach der Zahlung einer Aufbausteuer erwähnte der Kläger (ebenfalls) erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sowie nunmehr in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.
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e) Soweit der Kläger (nicht nachvollziehbar) dartut, er habe sich bei seinen Bekannten und Verwandten im Rahmen des ihm Zumutbaren erfolglos um den Nachweis seiner Staatsangehörigkeit (bzw. die Vorlage der von der Auslandsvertretung geforderten Unterlagen) bemüht, fehlt es (unabhängig davon und darüber hinaus) jedenfalls an Bemühungen des Klägers zur Einleitung eines sogenannten Zeugenverfahrens (vgl. auch Auskünfte/Informationen des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen vom 5.1.2021 und Stand 28.6.2021). Ersichtlich ist dem Kläger der Kontakt zu einer Vielzahl von Personen, die insoweit die erforderlichen Bedingungen erfüllen, in Eritrea möglich. Hinzukommen (nach den Aussagen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat) eine Tante in Deutschland, ein Onkel in Schweden, zwei Onkel in Äthiopien sowie die „Bekannte“ die nach dem klägerischen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bei einem Eritreabesuch mit der Mutter des Klägers in Kontakt war. Zudem drängt sich die Heranziehung des Onkels in Israel auf, der über Schleuserorganisationen in verschiedenen Ländern von Israel aus die Reise des Klägers nach Deutschland finanziell organisierte, ebenso die Ausreise des Halbbruders des Klägers A.M., über deren Verlauf der Kläger schwerlich nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführte, er sei an seiner Ausreise nicht beteiligt gewesen, er habe zwar mit A.M. (von Deutschland aus) in Eritrea telefoniert, keiner rufe seinen Bruder an und sage, komm nach Europa, er habe damit nichts zu tun gehabt, er wisse nicht genau was die Ausreise gekostet habe, bezahlt habe es der Onkel aus Israel.
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f) Im Übrigen hat der Kläger nicht darüber berichtet, dass er sich für die Beschaffung benötigter Urkunden an sogenannte Vertrauensanwälte gewandt habe. Nach den bereits genannten Hinweisen des Auswärtigen Amtes zur Beschaffung und Überprüfung von eritreischen Dokumenten (Stand 11.2.2021) können im Ausland lebende eritreische Staatsangehörige Dritte (z.B. Familienangehörige, Bekannte, Rechtsanwälte) schriftlich für die Beschaffung von benötigten Personenstandsurkunden und auch für die Registrierung von Geburten und Eheschließungen bevollmächtigen. Die zuständigen eritreischen Standesämter würden dafür meist eine Beglaubigung der Vollmacht durch eine eritreische Auslandsvertretung verlangen. Diesbezügliche Aktivitäten hat der Kläger nicht vorgetragen.
67
2. Bemühungen des Klägers zur Erlangung eines Nationalpasses sind im vorliegendem Einzelfall nicht schon deshalb unzumutbar, weil die verfolgungsrechtliche Situation des Klägers bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar ist (vgl. BayVGH, U.v. 18.1.2011 - 19 B 10.2157 - juris Rn. 31; B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 12). Eine Unzumutbarkeit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Schutzstatus aufgrund drohender staatlicher Verfolgung zugesprochen wurde und die Inbesitznahme eines Nationalpasses wie eine erneute Unterschutzstellung zu werten wäre (HessVGH, B.v. 20.9.2019 - 3 D 2520/18 - juris Rn. 8 m.w.N.; BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 juris Rn. 12).
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Davon ausgehend steht bei wertender Betrachtung der Zumutbarkeit der Passbeantragung nicht entgegen, dass das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat:
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a) Gemäß Art. 25 Abs. 1 RL 2011/95/EU (EU-Qualifikations-Richtlinie) stellen die Mitgliedsstaaten Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, Reiseausweise - wie im Anhang zur Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen - für Reisen außerhalb ihres Gebiets aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Gemäß Art. 25 Abs. 2 RL 2011/95/EU stellen die Mitgliedsstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist und die keinen nationalen Pass erhalten können, Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets aus, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Schon dem unterschiedlichen Wortlaut der beiden genannten Absätze ist zu entnehmen, dass es subsidiär Schutzberechtigten grundsätzlich zumutbar ist, sich bei den Auslandsvertretungen des Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen (ebenso BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 6 ff; BayVGH, B.v. 13.6.2016 - 10 C 16.773 - juris Rn. 17, OVG NRW, B.v. 17.5.2016 - 18 A 951/15 - juris Rn. 3, 5; ausführlich OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 30 ff., unter Hinweis auf den unterschiedlichen Ansatz beider Schutzregime).
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b) Auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles kann nicht angenommen werden, dass der Kläger gemäß Art. 25 Abs. 2 RL 2011/95/EU „keinen nationalen Pass erhalten kann“, weil er mit einer Person, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, gleichzustellen wäre. Bezug genommen wird auf den Bescheid des Bundesamtes vom 26. Oktober 2016 und das Urteil des Verwaltungsgerichts M. vom 11. April 2017. Auch ist dem Vortrag des Klägers, der nicht aus dem Nationaldienst desertiert ist, nicht zu entnehmen, dass er sich einer unmittelbar bevorstehenden Einberufung in den Nationaldienst entzogen hätte. Er ist vielmehr ohne eine Vorverfolgung ausgereist. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte er insoweit, er sei in der zehnten Klasse weggegangen, die Schule dauere zwölf Jahre, das zwölfte Jahr sei aber schon ein Jahr, in dem man auf den Soldatenberuf vorbereitet werde, deswegen sei es nur noch ein richtiges Schuljahr gewesen. Er habe selbst die Idee zur Ausreise nach Europa bzw. nach Deutschland gehabt. Selbst wenn aber davon auszugehen wäre, dass der vom Bundesamt in seiner Entscheidung zu § 4 AsylG angenommene ernsthafte Schaden wegen einer drohenden staatlichen Verfolgung (im Hinblick auf die aus damaliger Sicht in der Zukunft liegende Verweigerung des Nationaldienstes und sich daraus ergebende Konsequenzen) zugesprochen wurde, ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass dem Kläger die Beantragung eines Nationalpasses bei einer eritreischen Auslandsvertretung (verbunden mit Bemühungen um den Nachweis der eritreischen Staatsangehörigkeit und die Vorlage von Unterlagen im Heimatland) aufgrund einer drohenden staatlichen Verfolgung unzumutbar wäre. Insoweit ist auch in den Blick zu nehmen, dass der Kläger (nach eigenem Vortrag) bereits am 4. Oktober 2017 das eritreische Generalkonsulat aufsuchte, mithin (nach eigenem Vortag) in Kontakt mit dieser Behörde des Heimatstaates trat. Über negative Folgen dieser Kontaktaufnahme hat er nichts berichtet. Auch hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt, er wisse von keinen Problemen für seine Angehörigen in Eritrea aus dem Grund, dass er Eritrea verlassen habe. Diese in Anbetracht der bestehenden Kontakte des Klägers nach Eritrea getätigte Aussage stimmt mit den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 9.12.2020 i.d.F. vom 25.1.2021, S. 21 ff.) überein, nach denen eine allgemeine staatliche Verfolgung allein aufgrund der unerlaubten Ausreise nicht festgestellt werden könne und dem Auswärtigen Amt kein Fall aus neuerer Zeit bekannt sei, in dem es zu Sanktionen gegen in Eritrea verbliebene Familienangehörige nur wegen einer unerlaubten Ausreise gekommen wäre. Das Auswärtige Amt führt weiter aus, Erfahrungen deutscher Behörden mit anerkannten Asylbewerbern aus Eritrea, die trotz ihrer behaupteten politischen Verfolgung besuchsweise nach Eritrea gereist seien, ohne dort von den Behörden behelligt worden zu sein, deuteten darauf hin, dass die bloße Stellung eines Asylantrags im Ausland und die Anerkennung als Flüchtling keine Bestrafungen nach sich zögen. Auch seien die eritreischen Behörden (im Hinblick auf in Eritrea verbliebene Familienangehörige) angesichts der großen Zahl der Ausgereisten nicht in der Lage, eine Verfolgung zu organisieren. Die Regierung könne kein Interesse daran haben, den größten Teil der Bevölkerung zu verfolgen, da inzwischen praktisch jede eritreische Familie Verwandte im Ausland habe. Der eritreische Staat habe jedoch großes Interesse daran, die Auslandseritreer an sich zu binden und unternehme dazu erhebliche Anstrengungen. Dahinter stehe der Wunsch, sich das Knowhow und die Investitionskraft der Auslandseritreer für den Fall ihrer Rückkehr zu sichern, aber auch durch regelmäßige Devisentransfers an ihre in Eritrea verbliebenen Familien (allerdings verneint der Kläger Geldüberweisungen nach Eritrea an Nahestehende) die Wirtschaft des Landes zu stützen… Ausgereiste erhielten nach in der Regel drei Jahren Auslandsaufenthalt die Möglichkeit, unbehelligt wieder nach Eritrea zu reisen und dort den sogenannten Diaspora-Status zu beantragen. Sie würden dazu eine sieben, manchmal auch zehn Jahre lang gültige Karte, die ihnen freie Ein- und Ausreise gestatte und auch verlängert werden könne, erhalten. Diese ersetze die ansonsten erforderlichen Ein- und Ausreisevisa…Es gebe daher eine relativ große Gruppe von Menschen, die zwischen Eritrea und anderen Ländern hin und her pendeln und dabei Geld und Konsumgüter ins Land bringen… Dabei würden zur Einreise nicht nur eritreische und ausländische Pässe, sondern auch im Ausland ausgestellte Flüchtlingsausweise genutzt. Dies wäre nicht denkbar, wenn die Reisenden hier befürchten müssten, von den Behörden verfolgt zu werden oder ihre Familie in einer solchen Gefahr auszusetzen…Soweit - und zwar unabhängig von der Stellung eines Asylantrags oder einer Bestätigung für eine Oppositionsorganisation im Ausland (der Kläger hat keine Oppositionstätigkeit geltend gemacht) - einem Rückkehrer neben der illegalen Ausreise das Umgehen der nationalen Dienstpflicht oder sogar Fahnenflucht vorgeworfen werden könne, könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Betroffenen bei einer Rückkehr nach Eritrea wegen dieser Delikte zu verantworten hätten. Die Bestrafung könne von einer bloßen Belehrung bis zu einer Haftstrafe reichen. Im Regelfall könne man sich nach dreijährigem Auslandsaufenthalt als Mitglied der Diaspora registrieren lassen und frühere Verfehlungen würden nicht verfolgt… Ebenso führt das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen in seiner Stellungnahme vom 5. Januar 2021 aus, auf Nachfrage bei der Deutschen Botschaft Asmara habe diese am 12. Oktober 2020 mitgeteilt, dass dem Auswärtigen Amt kein Fall bekannt sei, in dem einem Erklärenden oder seinen Angehörigen (bezogen auf die sog. Reueerklärung, dazu im Einzelnen sogleich) hierdurch ein Nachteil entstanden wäre.
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c) Dem Kläger ist es auch nicht unzumutbar im Hinblick auf § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bei der eritreischen Auslandsvertretung einen Nationalpass zu beantragen. Nach dieser Vorschrift erlöschen die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn der Ausländer sich freiwillig durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt. Davon ausgehend, dass seit Ablauf der Umsetzungsfrist der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie - für diesen Fall die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vom Bundesamt widerrufen werden (Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13 Aufl. 2020, § 72 AsylG Rn. 1) ist § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG hier weder direkt noch entsprechend anwendbar. Denn der Kläger ist weder als Asylberechtigter noch als Flüchtling anerkannt. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 72 Abs. 2 Nr. 1 AsylG ist für eine analoge Anwendung der Vorschrift kein Raum (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 10; OVG NRW, B.v. 17.5.2016 - 18 A 951/15 - juris Rn. 6; VG Gießen, U.v. 28.7.2016 - 6 K 3108/15 - juris Rn. 18; VG Hannover, U.v. 20.5.2020 - 12 A 2452/19 - juris Rn. 28; VG Wiesbaden, U.v. 8.6.2020 - 4 K 2002/19. WI - juris Rn. 19 ff; Schleswig-Holsteinisches VG, U.v. 25.6.2021 - 11 A 270/20 - juris Rn. 21). Verbleibt es mithin bei subsidiär Schutzberechtigten bei einer Einzelfallprüfung, ob die Beschaffung eines Nationalpasses zumutbar ist, ist (wie dargelegt) nicht ersichtlich, warum dem Kläger, der vor mittlerweile sieben Jahren Eritrea verlassen hat und bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt zur Begründung seines Asylantrages (im Wesentlichen) vorgetragen hat, er habe Angst gehabt, zum Militär zu müssen, er habe nicht lebenslang Soldat sein wollen, in Anbetracht der benannten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes (Lagebericht i.d.F. vom 25.1.2021, S. 27: in der Regel keine Ahndung der Dienstflucht nach drei Jahren mehr) eine Passerlangung bei der Auslandsvertretung seines Herkunftslandes aufgrund seines subsidiären Schutzstatus nicht zumutbar sein sollte.
72
3. Unabhängig davon, ob die Auslandsvertretung vom Kläger bereits als Voraussetzung für die Erlangung eines Nationalpasses die Errichtung einer Aufbausteuer in Höhe von 2% verlangt hat, folgt aus einem derartigen Erfordernis für den Kläger keine Unzumutbarkeit, sich um die Ausstellung eines eritreischen Nationalpasses zu bemühen. Der Kläger hat nichts über die Einzelheiten einer derartigen Forderung vorgetragen, insbesondere nichts dazu, ob die Steuer von ihm auch rückwirkend verlangt wird, ob sie netto oder brutto erzielte Einkünfte betreffen soll, ob sie auch auf (etwaige) Sozialleistungsbezüge des Klägers erhoben wird. Solange der Kläger sich nicht kundig macht, welche konkreten Forderungen insoweit die eritreische Auslandsvertretung ihm gegenüber erhebt, scheidet schon deshalb die Annahme einer Unzumutbarkeit i.S.d. § 5 Abs. 1 AufenthV aus. Unabhängig davon, ist (grundsätzlich) festzuhalten, dass nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Lagebericht Stand 25.1.2021) die Aufbausteuer in Höhe von 2% nach dem Wortlaut der entsprechenden Proklamation nur auf Erwerbseinkommen sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erhoben wird. Nach Auskunft der eritreischen Botschaft in Berlin werde die Aufbausteuer von allen im Ausland lebenden, volljährigen, eritreischen Staatsangehörigen erhoben; Rentnerinnen und Rentner, Studierende ohne Einkommen und stark erkrankte Personen seien hiervon ausgenommen. Es seien aber Fälle bekannt, in denen ein „Minimalbetrag“ auch von Studenten und Empfängern von Sozialleistungen verlangt werde. Die Entrichtung der Aufbausteuer werde bei Auslandseritreern und bei Eritreern mit „Diaspora-Status“ im Inland zur Voraussetzung für staatliche Leistungen gemacht, hinzu komme der soziale Druck innerhalb der eritreischen Gemeinschaft, seinen Solidaritätsbeitrag zu leisten. Eritreische Staatsangehörige in Deutschland errichten die Steuer, wenn sie Dienstleistungen des eritreischen Staates in Anspruch nehmen wollen, etwa die Ausstellung von Pässen oder Personalausweisen oder Amtshandlungen im Zusammenhang mit Erbschaften oder Haus- und Grundbesitz in Eritrea. Das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen führt in seiner Stellungnahme gegenüber dem Amtsgericht R. vom 5. Januar 2021 u.a. aus, die Aufbausteuer werde von allen im Ausland lebenden Eritreern erhoben. Sie betrage zwei Prozent des Einkommens der Betroffenen. Hierzu würden auch Sozialleistungen zählen. Inwieweit Personen davon ausgenommen werden können, sei von den Betroffenen mit der zuständigen eritreischen Auslandsvertretung abzuklären.
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Davon ausgehend handelt es sich bei dieser Steuer um eine Steuer, deren Zahlung der Erfüllung zumutbarer staatsbürgerlicher Pflichten gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 AufenthV dient und die weder gegen völkerrechtliche Regeln noch gegen deutsches Recht verstoßen würde (vgl. bereits VG Gießen, U.v. 28.7.2015 - 6 K 3108/15. GI - juris Rn. 23 ff, ebenso OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 37 ff.; VG Wiesbaden, U.v. 8.6.2020 - 4 K 2002/19.WI - juris Rn. 22 ff.; Schleswig-Holsteinisches VerwG, U.v. 25.6.2021 - 11 A 270/20 - juris Rn. 30 ff.).
74
Der Kläger hat nichts darüber berichtet, dass er sich (insbesondere bei dem Besuch im eritreischen Generalkonsulat am 4.10.2017) über die Einzelheiten der von ihm zu entrichtenden Aufbausteuer (als Voraussetzung für die Erteilung eines Nationalpasses) erkundigt hätte. Kann er sich schon (wie ausgeführt) deshalb aufgrund der Umstände des Einzelfalles nicht auf eine Unzumutbarkeit der Entrichtung dieser Steuer berufen, ist zusätzlich nicht erkennbar, dass sich für den Kläger im Einzelfall eine Unzumutbarkeit aus der Höhe der zu zahlenden Steuer ergeben könnte. Dazu hat er nichts dargetan. Er hätte sich (um sich auf eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung aufgrund der Steuer zu berufen) zumindest von der Botschaft bzw. dem Konsulat bescheinigen lassen müssen, wie hoch der von ihm zu zahlende Betrag wäre. Die Erkundigung über die Voraussetzungen der Passausstellung bei der Auslandsvertretung des Heimatstaates (auch die Klärung der Frage, in welcher Höhe und welche Einkünfte betreffend die Steuer von ihm verlangt wird) ist ihm grundsätzlich zumutbar. Gesichtspunkte, die dagegensprechen könnten, hat der Kläger weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich. Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf Fragen des Gerichts (selbstständig hat er im gesamten Verfahren dazu nichts vorgetragen) erklärt, er habe, als er im Jahr 2014 nach Deutschland gekommen sei, erstmal zwei, drei Monate nichts gemacht, dann ein Jahr Deutschkurs, dann Schule (Berufsvorbereitungsjahr), dann ab 2016 eine Ausbildung zum Elektriker, fertig sei er seit Februar 2021, seit März 2021 sei er Geselle, er verdiene jetzt 1.724,00 € netto. Der Klägervertreter ergänzte, dass der Kläger, sobald er seine Ausbildung zum Meister abgeschlossen habe, vielleicht 4.500,00 € verdienen werde. Die Aufbausteuer werde rückwirkend verlangt, wenn man etwas vom Staat in Eritrea wolle, es sei eine zusätzliche Steuer zur z.B. Einkommenssteuer, die der Kläger in Deutschland zu zahlen habe, ein Doppelbesteuerungseinkommen existiere nicht. Davon ausgehend ist zum hier maßgeblichen Zeitpunkt nichts dafür ersichtlich, dass - unabhängig von der Frage, in wie weit die Steuer rückwirkend verlangt wird, ob auch der Bezug von Sozialleistungen berücksichtigt wird und ob die Steuer anhand des Bruttoeinkommens oder des Nettoeinkommens zu berechnen ist (vgl. im Hinblick auf insoweit zum Teil widersprüchliche Angaben OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021, a.a.O. - juris Rn. 39 ff.) - selbst unter Annahme aller für den Kläger meist belastenden Umstände dieser unzumutbar getroffen würde. Die Einnahmen des Klägers waren bis Februar 2021 relativ gering, erst seit März 2021 bekommt er ein Gehalt als Geselle des Elektrohandwerks. In Anbetracht dessen und im Hinblick auf den relativ geringen Steuersatz spricht nichts für eine Unzumutbarkeit, die sich aus der Höhe der zu zahlenden Steuer im Einzelfall ergeben könnte. Davon ist auch dann auszugehen, wenn der Kläger in Zukunft höhere Einkünfte erzielen würde.
75
4. Unabhängig von dem Umstand, ob das eritreische Generalkonsulat am 4. Oktober 2017 vom Kläger die Abgabe einer sogenannten Reueerklärung („letter of regret“) forderte, führt dieses Erfordernis nicht zur Unzumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses:
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Als Reueformular bzw. Reueerklärung („letter of regret“) wird das von den eritreischen Auslandsvertretungen vorgehaltene Formular „4/4.2“ („Immigration and Citizenship Services Request Form“) bezeichnet. Mit seiner Unterschrift hat der Erklärende neben der Richtigkeit seiner Angaben abschließend zu bestätigen, dass er bereue, einen Gesetzverstoß begangen zu haben, indem er seine nationalen Verpflichtungen nicht erfüllt habe, und dass er bereit sei, die dafür ggf. verhängten angemessenen Maßnahmen zu akzeptieren (vgl. Anlage zu der Studie der Universität Tilburg, „Tilburg University, The 2% Tax for Eritreans in the Diaspora, Juni 2017; VG Hannover, U.v. 20.5.2020 - 12 A 2452/19 - juris Rn. 34; Schleswig-Holsteinisches VG, U.v. 25.6.2021 - 11 A 270/20 - juris Rn. 35).
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Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht (Stand 25.1.2021, S. 26) insoweit aus, zur Beantragung konsularischer Dienstleistungen sei ggf. die Unterzeichnung einer „Immigration and Citizenship Services Request Form“ erforderlich, die u.a. einen Passus des Bedauerns der Flucht (sog. „Reueerklärung“) beinhalte. Bei der dem Auswärtigen Amt bekannten Fassung der sog. „Reueerklärung“ handle es sich um einen Passus (zwei Sätze), indem der Erklärende bedauere, seiner nationalen Pflicht nicht nachgekommen zu sein und erkläre, eine eventuell dafür verhängte Strafe zu akzeptieren. Der Text sei nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes als Mahnung zu verstehen. Dem Auswärtigen Amt sei kein Fall bekannt, in dem die Unterzeichnung der sog. „Reueerklärung“ die rechtliche Position der Unterzeichnenden verschlechtern würde oder Angehörige der Unterzeichnenden in Eritrea Repressalien ausgesetzt wären. Durch die Unterzeichnung erhalte der Erklärende Zugang zu konsularischen Dienstleistungen, während eventuelle Sanktionen nicht von seiner Einwilligung in Form der „Reueerklärung“ abhängig seien. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes werde Dienstflucht nach drei Jahren nicht mehr geahndet, Ausnahmen seien jedoch möglich.
78
Davon ausgehend, dass alle illegal ausgereisten eritreischen Staatsangehörigen im dienstfähigem Alter (wobei faktisch jeder illegal ausgereiste Eritreer im dienstfähigem Alter seinen Nationaldienst nicht (vollständig) erfüllt hat) Dienstleistungen wie die Ausstellung eines Reisepasses nur gegen Abgabe der Reueerklärung in Anspruch nehmen können (so OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021, a.a.O. - juris Rn. 45 ff. unter Heranziehung einer dort eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14.12.2020) macht die zu unterzeichnende Reueerklärung die Passerlangung für den Kläger nicht unzumutbar:
79
Weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass die Abgabe einer Reueerklärung in jedem Falle „per se“ unzumutbar sei. Wie ausgeführt, können Auslandseritreer i. d. R. nach drei Jahren Auslandsaufenthalt den sogenannten Diaspora-Status grundsätzlich unabhängig davon beantragen, ob sie legal oder illegal ausgereist sind und ob sie ihren Nationaldienst beendet haben oder nicht. Der sogenannte Diaspora-Status ist von der Nationalpflicht ausgenommen und es können Eritreer nach einem Aufenthalt, der i.d.R. nicht länger als sechs Monate im Jahr andauern sollte, das Land ohne Ausreisevisum wieder verlassen. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile erklären sich eritreische Staatsangehörige nicht selten freiwillig dazu bereit, die Reueerklärung zu unterschreiben, um so von den Privilegien des Diaspora-Status zu profitieren. So reisen nach offiziellen Angaben jährlich durchschnittlich 95.000 im Ausland wohnhafte Eritreer, die üblicherweise die genannten Bedingungen der Behörden erfüllen, nach Eritrea ein (vgl. Tilburg University, a.a.O. S. 84 - 96, EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, September 2019, S. 63 ff., Lagebericht des Auswärtigen Amtes Eritrea in der Fassung vom 25.1.2021, S. 22; OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021, a.a.O. Rn. 53; VG Hannover, U.v. 20.5.2020 - juris Rn. 38). Davon ausgehend erkennt der Senat nicht, dass die Abgabe einer Reueerklärung in jedem Falle wegen der mit ihr verbundenen Konsequenzen unzumutbar wäre (so aber VG Wiesbaden, U.v. 8.6.2020 - 4 K 2002/19. W I - juris Rn. 26: „… nicht absehbar, welche konkreten Strafen … für die illegale Ausreise drohen“.).
80
Bezogen auf den konkreten Fall des Klägers ist festzuhalten:
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Nachdem der Kläger nach seinen Behauptungen bereits am 4. Oktober 2017 im eritreischen Generalkonsulat aufgefordert worden war, eine Reueerklärung abzugeben, ließ er erstmals unter dem 18. Dezember 2018 vortragen, von einem Geflüchteten könne nicht verlangt werden, dass er sich bei dem Land entschuldige, aus dem er geflohen sei, aufgrund der dortigen katastrophalen Verhältnisse. Sodann erklärte er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 1. Juli 2019, es sei von ihm bei dem Besuch im eritreischen Generalkonsulat verlangt worden, dass er sich beim eritreischen Staat und dem Präsidenten schriftlich entschuldigen und den Präsidenten positiv darstellen solle. Unter dem 24.Oktober 2019 ließ er ausführen, das Verlangen einer Aufbausteuer sowie eine Entschuldigung bei dem eritreischen Regime entsprächen einer Erpressung und zwangsweisen Unterschutzstellung. Die Beklagte und die Landesanwaltschaft würden verlangen, dass sich der Kläger dieser Erpressung unterwerfe. Sie würden die Aufrechterhaltung des Geldflusses aus westlichen Ländern fordern und die Freiheit des Klägers ignorieren, sie würden durch die Versagung der Passerteilung vom Kläger verlangen, sich dem Druck zu beugen und sich schließlich dem Unwesen des eritreischen Staates zu unterwerfen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärte er auf Frage des Gerichts, wofür er sich entschuldigen solle: „Dafür, dass der Diktator gut ist zum Beispiel. Es wäre eine Lüge, wenn ich mich entschuldigen würde. Warum soll ich mich entschuldigen. Ich hätte mich entschuldigt, wenn ich ihn gewählt hätte, aber ich habe ihn nicht gewählt, für mich ist er ein Diktator. Es gibt keine Wahlen in Eritrea, ich habe ihn nie wählen oder nicht wählen können.“
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Davon ausgehend macht die unterzeichnende Reueerklärung die Passerlangung für den Kläger in seinem Einzelfall nicht unzumutbar:
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Eine Unzumutbarkeit des Verlangens nach Abgabe einer Reueerklärung könnte sich im Einzelfall daraus ergeben, dass der Betroffene glaubhaft und nachvollziehbar vorträgt, die Erklärung entspreche nicht seinem inneren Willen und er sehe sich an deren Unterzeichnung aufgrund seiner entgegenstehenden inneren Überzeugung gehindert. Für diesen Fall könnte das Verlangen nach einer derartigen Erklärung einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) darstellen (so VG Hannover, U.v. 20.5.2020 - 12 A 2452/19 - juris Rn. 39 ff; aufgehoben durch OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 54 ff.). Der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) könnte insbesondere darin liegen, dass das Verlangen nach Abgabe der Reueerklärung die Selbstbezichtigung einer Straftat beinhaltet (so Schleswig-Holsteinisches VG U.v. 25.6.2021 - 11 A 270/20 - juris Rn. 43 ff.).
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a) Die grundsätzliche Möglichkeit der Unzumutbarkeit der Abgabe einer Reueerklärung (wegen eines nicht gerechtfertigten Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht) unterstellend, erweist sich das Verlangen nach Abgabe der Reueerklärung im vorliegenden Einzelfall jedenfalls für den Kläger als zumutbar. Denn er hat nicht glaubhaft und nachvollziehbar vorgetragen, dass eine derartige Erklärung nicht seinem inneren Willen entspreche und er sich an deren Abgabe aufgrund seiner entgegenstehenden inneren Überzeugung gehindert sehe (vgl. VG Hannover, U.v. 20.5.2020, a.a.O. Rn. 40 ff.), dass er sich aus Gründen der Wahrung seiner persönlichen Integrität und Werte weigere, die Reueerklärung zu unterzeichnen (vgl. Schleswig-Holsteinisches VG, U.v. 25.6.2021, a.a.O. Rn. 45), dass er eine Gewissensentscheidung, die den Charakter eines unabweisbaren, den Ernst eines die ganze Persönlichkeit ergreifenden sittlichen Gebots, einer inneren Warnung vor dem Bösen und eines unmittelbaren Anrufs zum Guten trage, getroffen habe (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 48 ff. m.w.N. insbesondere zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
85
b) Bei Wahrunterstellung, dass dem Kläger bereits am 4. Oktober 2017 bei seinem Besuch in der eritreischen Auslandsvertretung mitgeteilt wurde, dass er eine Reueerklärung abzugeben habe (ohne dass es darauf ankommt, drängt sich zudem der Gedanke auf, dass dem seit dem Jahr 2014 in Deutschland befindlichen Kläger und seinem Vertreter diese Problematik bereits vorher bekannt war, jedenfalls bekannt sein musste), hat der Kläger diesen Umstand der zuständigen Behörde erst knapp ein Jahr später mitgeteilt. Ebenso hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht darauf hingewiesen. Zur Begründung seiner insoweit ablehnenden Haltung hat er lediglich mit Schriftsatz seines Klägervertreters vom 18. Dezember 2018 Stellung genommen. Die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er nicht dazu genutzt, individuell darzulegen, warum er sich außer Stande sehe, eine Reueerklärung abzugeben. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 1. Juli 2019 (dementsprechend) die sich aus dem Verlangen der Abgabe einer Reueerklärung ergebende Problematik nicht behandelt. Erst im Zulassungsantragsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof hat sich der Kläger insoweit weiter geäußert. Zudem tätigte er die (dargestellten) Ausführungen auf Fragen des Senats in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof.
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c) In Würdigung der Umstände des Einzelfalles hat der Kläger zunächst nicht dargetan, dass das Verlangen nach Abgabe einer Reueerklärung für ihn problematisch, gar unzumutbar sein könnte. Ersichtlich hat sich das Verwaltungsgericht auch deshalb mit dieser Frage gar nicht befasst. Aber auch die späteren Ausführungen des Klägers lassen nicht erkennen, dass sich der Kläger durch den Zwang zur Abgabe einer Reueerklärung in eine seiner inneren Überzeugung entgegenstehende Konfliktlage begeben würde mit der Folge, dass der Unterzeichnung des Schriftstücks einer von ihm (ernsthaft) getroffenen Gewissensentscheidung entgegenstehen würde. Den insoweit zu stellenden Anforderungen genügen die vom Kläger getätigten, eher allgemein gehaltenen Angaben (es handle sich um Erpressung, um zwangsweise Unterschutzstellung unter den eritreischen Staat; von einem Geflüchteten könne nicht verlangt werden, dass er sich bei dem Land entschuldige, aus dem er geflohen sei aufgrund der dortigen katastrophalen Verhältnisse; Weigerung den vom Kläger nicht gewählten und nicht wählbaren Diktator zu unterstützen, Weigerung ein verbrecherisches System zu unterstützen) nicht. Seine Aussagen beziehen sich zudem (jedenfalls im Hinblick auf die Aussagen seines Vertreters im Schriftsatz vom 24.10.2019 sowie im Hinblick auf die konkrete Frage im Rahmen der informatorischen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, warum er sich weigere, eine Reueerklärung abzugeben) weniger auf die Abgabe der Reueerklärung, sondern eher auf die Entrichtung der Aufbausteuer. Mithin ist nicht dargelegt, dass die Abgabe der Reueerklärung den Kläger „in echte Gewissensnöte“ (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021 - a.a.O. - juris Rn. 56) bringen könnte. Der Kläger hat lediglich seine ablehnende Haltung gegenüber der eritreischen Staatsführung dargelegt sowie (schriftsätzlich) seinen fehlenden Willen aufgezeigt, sich bei dem „verbrecherischen Regime“ zu entschuldigen. Im Übrigen ist auch aus den Gesamtumständen nicht ersichtlich, dass der Kläger in einer Oppositionsstellung zur Führung Eritreas stehen würde und sich daraus (ggf. zusätzliche) Anhaltspunkte für die Unzumutbarkeit der Abgabe einer Reueerklärung ergeben könnten.
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d) Auch handelt es sich bei der Abgabe der Reueerklärung nicht um eine Selbstbezichtigung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen, unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar ist, da der Kläger anders als den in vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen zu Selbstbezichtigungen selbst entscheidet, ob er die Reueerklärung gegenüber der eritreischen Auslandsvertretung abgibt, um so einen Nationalpass zu erlangen, oder ob er hierauf verzichtet; eine imperative Verpflichtung zur Unterzeichnung der Reueerklärung existiert gerade nicht (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 18.3.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 64 m.w.N.).
88
e) In Anbetracht des Umstandes, dass der Kläger nicht dargetan hat, durch die Abgabe einer Reueerklärung in eine für ihn nicht hinnehmbare Konfliktlage aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung zu gelangen, kann dahinstehen, dass nach Auffassung des OVG Lüneburg (U.v. 18.3.2021, a.a.O. Rn. 58 ff.) die Abgabe und Entgegennahme der Erklärung mit einer geringen Ernsthaftigkeitserwartung einhergehen und dass die tatsächlichen Folgen dem Erklärungsinhalt widersprechen. Das OVG Lüneburg führt aus, die Erklärung, es zu bereuen, den nationalen Pflichten nicht nachgekommen zu sein, sei unter Berücksichtigung der Gesamtumstände bei wertender Betrachtung nicht etwa so zu verstehen, dass hiermit eine echte Reue des Unterzeichnenden bekundet werde, wofür zum einen spreche, dass eine Vielzahl von Auslandseritreern diese Erklärung freiwillig unterzeichne, um die mit dem Diaspora-Status verbundenen Vorteile zu erlangen, aber nicht anzunehmen sei, dass diese Personen ihre Flucht und die damit verbundene Entziehung von der schwer belastenden Dienstpflicht ernsthaft bereuten, dagegen spreche auch, dass die Situation, in der die Erklärung abgegeben werde, gar keinen Anlass biete, in eine ernsthafte Reflektion über eigene Schuld oder Verantwortlichkeit für ein vermeintliches Fehlverhalten einzutreten, die Erklärung diene der Erlangung des Diaspora-Status und sei Vorbedingung für konsularische Dienstleistungen, es handle sich um eine bloße Formalie, mit der der Unterzeichnende zu erkennen geben solle, dass er den eritreischen Staat akzeptiere, auch erfahre der eritreische Staat durch die Reueerklärung nichts, was er aufgrund der schlichten Vorsprache bei dem Konsulat nicht schon wüsste, die Abgabe der Reueerklärung erhöhe das Risiko einer Strafverfolgung gegenüber dem in Eritrea allgemein bestehenden Risiko der willkürlichen Inhaftierung nicht, vielmehr reduziere die Abgabe der Reueerklärung die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung, zumal kurzzeitige Eritrea-Gesuche von Diaspora-Angehörigen normalerweise problemlos verlaufen würden. Soweit einige Quellen gegenüber EASO von vereinzelten Vorfällen berichtet hätten, bei denen Besucher verhaftet oder in den Nationaldienst berufen worden seien, seien diese allerdings entweder wegen oppositioneller Aktivtäten im Ausland als regierungskritisch angesehen worden (dies trifft für den Kläger nicht zu) oder hätten die Reueerklärung gerade nicht unterzeichnet (vgl. EASO, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, September 2019, S. 64 ff;).
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5. Eine Unzumutbarkeit der Passerlangung ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil - wie der Kläger meint - er bei einer Reise ins Ausland (konkret nach Israel) mit einem eritreischen Nationalpass eher von einer Abschiebung nach Eritrea bedroht wäre, als wenn er in Besitz eines deutschen Reiseausweises wäre. Der Senat vermag eine vom Kläger behauptete höhere Bedrohungslage bei einer Auslandsreise mit eritreischem Nationalpass nicht zu erkennen. Durch die Erteilung eines deutschen Reiseausweises für Ausländer behielte der Kläger die eritreische Staatsangehörigkeit, die auch in den Reiseausweis für Ausländer einzutragen wäre (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 9 AufenthV). Sie wäre damit für ausländische Behörden ebenso, wie wenn er einen Pass oder ein Passersatzpapier seines Heimatstaates besäße, erkennbar (vgl. OVG Hamburg, B.v. 28.2.2012 - 4 Bf 207/11.Z - juris Rn. 23; im Hinblick auf BayVGH B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 12 insoweit klarstellend).
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6. Eine Unzumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses folgt auch nicht aus § 4 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 AufenthV, wonach Passersatzpapiere mit dem einschränkenden Nachweis ausgestellt werden können, dass die Personendaten auf den eigenen Angaben des Antragstellers beruhen (vgl. dazu BayVGH B.v. 10.2.2016 - 19 ZB 14.2708 - juris Rn. 8). Diese Ermessensvorschrift kommt nur dann zum Tragen, wenn ein Ausländer in Anbetracht der hier behandelten Problemstellungen auf zumutbare Weise keinen Pass erlangen kann (§ 5 Abs. 1 AufenthV). Dies ist wie dargelegt nicht der Fall. Im Übrigen ist es schwerlich denkbar, dass der Kläger im Rahmen ausreichender zumutbarer Bemühungen zur Beschaffung erforderlicher Unterlagen für die Erlangung eines Nationalpasses (bzw. im Rahmen des „Zeugenbeweises“) nicht auch seine Personendaten, mithin seine Identität nachvollziehbar dartun könnte.
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7. Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthV nicht vorliegen, kommt es nicht mehr darauf an, dass es sich bei § 5 Abs. 1 AufenthV auf der Rechtsfolgenseite um eine Ermessensvorschrift handelt. Dahinstehen kann, ob für den Fall, dass bei einem subsidiär Schutzberechtigten die Tatbestandsvoraussetzungen für die Ausstellung eines Reiseausweises vorliegen und zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung der Erteilung eines Reiseausweises nicht entgegenstehen, Art. 25 Abs. 2 der RL 2011/95/EU eine Ermessensreduzierung auf Null bewirkt mit der Folge, dass die Ausländerbehörden zur Ausstellung eines Reiseausweises verpflichtet sind (vgl. VG Hannover, U.v. 20.5.2020; 12 A 2452/19; juris Rn. 48 m.w.N.).
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Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO und § 711 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.