Inhalt

VGH München, Urteil v. 01.03.2021 – 8 B 21.646
Titel:

Straßenrechtliche Sondernutzung durch Aufstellen eines Altkleidersammelcontainers

Normenketten:
VwGO § 74, § 113 Abs. 5 S. 2, § 114 S. 1
BayStrWG Art. 18 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG Art. 40
Leitsätze:
1. Für die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage ist ist es nicht erforderlich, dass ein nach Rechtshängigkeit ergangener Ablehnungsbescheid innerhalb der Frist des § 74 VwGO in das bereits anhängige Klageverfahren einbezogen wird (vgl. BayVGH BeckRS 2008, 36029). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der behördlichen Ermessensausübung über die Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis geht es im Kern um die Frage, ob die straßenfremde Nutzung mit den Belangen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vereinbar und insoweit gemeinverträglich ist (BayVGH BeckRS 2004, 20595 Rn. 6). (Rn. 21 und 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Beim Zusammentreffen gegenläufiger Nutzungsinteressen für dieselbe Straßenfläche ist das Ermessen, welchem Nutzer die Sondernutzung erlaubt wird („Verteilungsermessen“), auf sachgerechte Auswahlkriterien zu stützen, auch wenn Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG keine typische Auswahlnorm darstellt. Das Prioritätsprinzip ist dabei ein legitimes Auswahlkriterium, wenn andere, im konkreten Fall bessere Kriterien nicht zur Verfügung stehen (BayVGH BeckRS 2010, 48420 Rn. 36 u. 39). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Straßennutzung zur Sammlung von Altglas und Altpapier durch einen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger für die in seinem Gebiet anfallenden Abfälle dient dem Allgemeininteresse, so dass insoweit ein zulassungsfreier „Allgemeingebrauch“ der Straßenfläche für die öffentliche Abfallversorgung anzunehmen ist (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 173189). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
straßenrechtliche Sondernutzung, Aufstellen eines Altkleidersammelcontainers, Verteilungsermessen, Verpflichtungsklage, Ablehnungsbescheid nach Rechtshängigkeit, Ermessensausübung, Verkehrsbelange, Auswahlkriterien, Prioritätsprinzip, öffentliche Abfallversorgung, Allgemeingebrauch
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 25.06.2019 – B 1 K 17.229
Fundstelle:
BeckRS 2021, 4350

Tenor

I.    Die Berufung wird zurückgewiesen.     
II.    Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.     
III.    Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.     
IV.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis zum Aufstellen eines Altkleidersammelcontainers.
2
1. Die Klägerin, die Textilrecycling betreibt, beantragte bei der Beklagten mit Schreiben vom 15. Februar 2017 die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis zum Aufstellen von Altkleidersammelcontainern an 18 Standorten im Stadtgebiet der Beklagten, „direkt an den dortigen Altglascontainern“ und für die Dauer von drei Jahren.
3
Unter dem 22. Februar 2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, alle von ihr betriebenen Wertstoffentsorgungsstellen seien größtenteils mit Altkleidersammelcontainern ausgestattet. Sie sehe deshalb keinen Bedarf, weitere Container aufzustellen.
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2. Die am 20. März 2017 erhobene Klage der Klägerin, die Beklagte unter Aufhebung der Ablehnungsverfügung vom 22. Februar 2017 zu verpflichten, ihren Antrag vom 15. Februar 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, hat das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 25. Juni 2019 abgewiesen. Dem Antrag fehle das Sachbescheidungsinteresse, weil sich anhand der dem Gericht vorgelegten Lichtbilder der konkret gewünschte Aufstellungsort nicht ergebe.
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3. Mit Beschluss vom 30. Januar 2020 hat der Senat die Berufung der Klägerin wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils zugelassen. Der Beklagten sei eine Prüfung, ob die Aufstellung der Sammelcontainer mit Belangen des Straßenrechts vereinbar sei, anhand der Antragsunterlagen zumindest teilweise möglich.
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4. Die Beklagte erteilte der Klägerin daraufhin mit Bescheiden vom 20. März 2020 Sondernutzungserlaubnisse für die Standorte Nr. 5, 7, 9, 15, 17 und 18. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Beteiligten ist das Verfahren insoweit eingestellt worden (vgl. Senatsbeschluss vom 1. März 2021, Az. 8 B 20.239).
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Eine Sondernutzungserlaubnis für den einzig streitig gebliebenen Aufstellort Nr. 11 (M* …-Straße) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. März 2020 ab. Bei dem Standort handle es sich um eine eingezäunte Wertstoffhoffläche für Altglas und Altpapier. Innerhalb der eingezäunten Fläche sei kein Platz mehr. Bei einem Aufstellen neben der eingezäunten Wertstofffläche fielen zwei Stellplätze weg, wodurch die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erheblich beeinträchtigt würde.
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5. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Neubescheidungsbegehren hinsichtlich des Aufstellorts Nr. 11 weiter. Die Einwände der Beklagten gegen die Konkretisierung dieses Aufstellorts seien nicht nachvollziehbar. Die vorgelegte Markierung der Lichtbildaufnahme bezeichne eindeutig die Fläche rechts neben dem letzten Glascontainer in der Reihe und vor allem innerhalb der Umzäunung. Die Behauptung, dass innerhalb der Umzäunung kein Raum für den Altkleidersammelcontainer verfügbar sei, werde durch das vorgelegte Lichtbild (Anlage A 10) nicht gestützt.
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Die Klägerin beantragt zuletzt sinngemäß,
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25. Juni 2019 (Az. B 1 K 17.229) die Ablehnungsverfügungen der Beklagten vom 22. Februar 2017 und 20. März 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über ihren Antrag vom 15. Februar 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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6. Die Beklagte beantragt sinngemäß,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil. In der eingezäunten Wertstoffsammelstelle stünden dicht an dicht Altglas- und Altpapiersammelcontainer. Das Lichtbild Anlage A 10 entspreche schon lange nicht mehr den tatsächlichen Standortgegebenheiten; ein am 2. Juni 2020 aufgenommenes Lichtbild (Anlage B 19) wurde vorgelegt.
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7. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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8. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
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Die zulässige Berufung, über die der Senat nach § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
17
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neuverbescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis am Standort M* …-Straße im Stadtgebiet der Beklagten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Die Verpflichtungsklage ist weiter zulässig, auch wenn der Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis vom 15. Februar 2017 nach Rechtshängigkeit mit Bescheid der Beklagten vom 20. März 2020 abgelehnt wurde. Das eigentliche Klageziel hat sich durch die (sinngemäße) Einbeziehung dieses Ablehnungsbescheids (vgl. Schriftsatz vom 27.4 2020, S. 2) nicht geändert, denn bei der Verpflichtungsklage kommt diesem keine eigenständige Bedeutung zu. Im Hinblick darauf ist es für die Zulässigkeit der Klage nicht erforderlich, dass der ablehnende Bescheid innerhalb der Frist des § 74 VwGO in das bereits anhängige Klageverfahren einbezogen wird (vgl. BayVGH, U.v. 22.6.2007 - 4 B 06.1224 - BayVBl 2008, 241 = juris Rn. 36).
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2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neuverbescheidung (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) ihres Antrags auf Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen eines Altkleidersammelcontainers an dem beantragten Standort innerhalb der eingezäunten Wertstofffläche (vgl. Anlage A 10, VG-Akte S. 56).
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2.1 Bei dem beantragten Aufstellen eines Altkleidersammelcontainers handelt es sich um eine Benutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung), die nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG einer Erlaubnis bedarf.
21
Die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis steht im Ermessen der Straßenbaubehörde bzw. - für Ortsdurchfahrten - der Gemeinde. Grundsätzlich besteht kein Rechtsanspruch auf ihre Erteilung, sondern nur ein solcher auf fehlerfreien Ermessensgebrauch (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2012 - 8 ZB 11.2785 - juris Rn. 10; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand März 2020, Art. 18 Rn. 26; vgl. auch § 10 Abs. 1 der aufgrund Art. 22a Satz 1, Art. 56 Abs. 2 BayStrWG erlassenen Satzung der Beklagten über Sondernutzungen an öffentlichen Straßen [Sondernutzungssatzung] vom10.11.2000). Die ermächtigte Behörde muss ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausüben und die gesetzlichen Grenzen einhalten (Art. 40 BayVwVfG). Das Gericht prüft, ob die Ablehnung der Sondernutzungserlaubnis die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 Satz 1 VwGO).
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Im Blickfeld steht die Straße als Verkehrsfläche, die abweichend von dieser Funktion genutzt werden soll, und die Prüfung, ob die straßenfremde Nutzung mit den Belangen des Straßen- und Wegerechts vereinbar ist (BayVGH, B.v. 15.12.2017 - 8 ZB 16.2117 - juris Rn. 11; U.v. 20.1.2004 - 8 N 02.3211 - BayVBl 2004, 336 = juris Rn. 78). Im Kern geht es dabei um die Frage, ob die straßenfremde Nutzung mit den Belangen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vereinbar und insoweit gemeinverträglich ist (BayVGH, B.v. 24.11.2003 - 8 CS 03.2279 - BayVBl 2004, 533 = juris Rn. 6).
23
2.2 Beim Zusammentreffen gegenläufiger Nutzungsinteressen für dieselbe Straßenfläche ist das Ermessen, welchem Nutzer die Sondernutzung erlaubt wird („Verteilungsermessen“), auf sachgerechte Auswahlkriterien zu stützen (vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 408; Edhofer/Willmitzer, BayStrWG, 17. Aufl. 2020, Art. 18 Anm. 3.2), auch wenn Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG keine typische Auswahlnorm darstellt (BayVGH, U.v. 23.7.2009 - 8 B 08.3282 - BayVBl 2010, 306 = juris Rn. 36; nachfolgend BVerwG, B.v. 20.4.2010 - 3 B 80.09 - juris Rn. 8). Das Prioritätsprinzip ist dabei ein legitimes Auswahlkriterium, wenn andere, im konkreten Fall bessere Kriterien nicht zur Verfügung stehen (BayVGH, U.v. 23.7.2009 - 8 B 08.3282 - BayVBl 2010, 306 = juris Rn. 39; OVG NW, U.v. 7.4.2017 - 11 A 2068/14 - NVwZ-RR 2017, 855 = juris Rn. 64; Sauthoff, Öffentliche Straßen, § 8 Rn. 408).
24
Dies hat die Beklagte beachtet. Sie hat die Ablehnung der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für den streitbefangenen Standort innerhalb der eingezäunten Containerinsel (vgl. Anlage A 10, VG-Akte S. 56 und Schriftsatz der Antragstellerin vom 27.4.2020) rechtsfehlerfrei darauf gestützt, dass dort für einen zusätzlichen Altkleidersammelcontainer neben den aufgestellten Sammelbehältern für Altglas und Altpapier kein Platz verfügbar ist. Sie hat diese Tatsache mit Lichtbildern von dem Standort belegt (vgl. Anlage B 19 und Anlage zum Bescheid vom 20.3.2020). Die Klägerin hat dem nichts entgegengesetzt, sondern nur auf das von ihr vorgelegte Foto aus dem Jahr 2018 verwiesen, dem keine Aussagekraft zur aktuellen Situation zukommt.
25
Die Klägerin hat auch kein subjektives Recht, dass die Beklagte die streitbefangene Straßenfläche künftig nicht mehr dem Landkreis, der dort eine Containerinsel zur Sammlung von Altglas und Altpapier betreibt, sondern stattdessen ihr zur gewerblichen Altkleidersammlung überlässt. Die Straßennutzung durch den Landkreis, der als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger für die in seinem Gebiet anfallenden Abfälle entsorgungspflichtig ist (Art. 3 Abs. 1 BayAbfG), dient dem Allgemeininteresse, sodass insoweit ein zulassungsfreier „Allgemeingebrauch“ der Straßenfläche für die öffentliche Abfallversorgung anzunehmen ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.7.1989 - 7 C 65.88 - BVerwGE 82, 266 = juris Rn. 7; Grupp in Marschall, FStrG, 6. Aufl. 2012, § 8 Rn. 11).
26
3. Einen Alternativstandort zum Aufstellen ihres Altkleidersammelcontainers hat die Klägerin nicht benannt (vgl. auch Schriftsatz vom 27.4.2020). Im Übrigen ist weder dargelegt noch sonst erkennbar, inwiefern die vorsorgliche Ermessensausübung der Beklagten, beim Aufstellen eines Altkleidersammelbehälters neben der Containerinsel gingen zwei dringend benötigte Stellplatzflächen in dem stark verdichteten Wohnsiedlungsbereich verloren, wodurch die Leichtigkeit des Verkehrs erheblich beeinträchtigt wäre (vgl. Bescheid vom 20.3.2020 S. 2), fehlerhaft sein sollte (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 1.12.2009 - 8 B 09.1980 - BayVBl 2010, 539 - juris Rn. 26).
B.
27
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO).
28
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
29
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.