Titel:
Nachbarklage auf bauaufsichtliches Einschreiten
Normenkette:
BayBO Art. 6, Art. 76 S. 1
Leitsätze:
1. Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Nachbar lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie die Art und Weise des Einschreitens. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Nachbarn ist ein Rechtsanspruch auf Einschreiten nur bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung zuzubilligen. Das ist der Fall, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt, insbesondere wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, Verstoß gegen Abstandsflächenrecht, Beseitigungsanordnung, Ermessensreduzierung auf Null, unmittelbare Gefahr für hochrangige Rechtsgüter, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Abwägung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 43175
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt im Rahmen des bauaufsichtlichen Einschreitens den Erlass einer Beseitigungsanordnung bzw. eine erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung des Beklagten mit Blick auf ein nahe der Grundstücksgrenze errichtetes Wohnhaus nebst grenzständiger Garage auf dem Nachbargrundstück.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, R., T.-straße …, das nördlich an das Grundstück des Beigeladenen zu 1 mit der FlNr. …, R. grenzt.
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Der Beigeladene zu 1 hatte im Januar 2016 die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung R. … beantragt und eine Genehmigung mit Bescheid vom 16. März 2016 hierfür erhalten. Mit den Maßnahmen war ausweislich der Baubeginnsanzeige am 2. Mai 2016 begonnen worden. Noch während der Bauphase stellte der Beigeladene zu 1 am 12. Oktober 2016 einen Antrag auf Nutzungsänderung des Einfamilienhauses zu einem Mehrfamilienhaus mit drei Wohneinheiten. Die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung wurde mit Bescheid vom 13. April 2017 erteilt. Der Kläger erhielt eine Ausfertigung der Baugenehmigung.
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Bereits am 26./27. Juni 2017 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass das in den Planunterlagen dargestellte Urgelände nicht dem tatsächlichen Geländeverlauf entspreche und die Wandhöhen dadurch die zulässigen Maße überschreiten würde. Bei einer seitens des Beklagten durchgeführten Überprüfung wurde festgestellt, dass das genehmigte Gebäude gemäß den genehmigten Planunterlagen die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhielt. Die Abstandsflächen waren zum Genehmigungszeitpunkt nicht im bauaufsichtlichen Prüfungsumfang enthalten gewesen. Eine Abweichung von den Abstandsflächen wurde nicht beantragt. Der ursprüngliche Geländeverlauf war bei einer durch den Beklagten durchgeführten Ortseinsicht aufgrund der fortgeschrittenen Bauarbeiten nicht mehr rekonstruierbar.
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Eine Ortseinsicht erfolgte durch den Beklagten am 21. November 2017. Seitens des Beklagten wurde dem Beigeladenen zu 1 geraten auf den Kläger zuzugehen und eine Abstandsflächenübernahme anzustreben. Mit Schreiben vom 15. Februar 2018 teilten die Klägervertreter ihre Bevollmächtigung gegenüber dem Beklagten mit und forderten mit Schreiben vom 17. Mai 2018 den Erlass einer Rückbauanordnung auf das zulässige Maß. Mit weiterem Schreiben wurde mitgeteilt, dass eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten nicht in Betracht komme. Mit Schreiben vom 13. Februar 2019 teilte der Beklagten dem Klägerbevollmächtigten mit, dass er sich unter Ausübung des ihm zustehenden Ermessens dazu entschieden habe, keine Rückbauanordnung zu erlassen. Die genehmigten Geländeverhältnisse seien wiederhergestellt worden. Zwar seien die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO nicht eingehalten. Eine Rückbauanordnung sei jedoch nicht verhältnismäßig. Die komplette Dachkonstruktion sowie die Betondecke über dem Obergeschoss müsste bei einem Rückbau u.a. entfernt werden. Es sei auch zu berücksichtigen, dass trotz des Abstandsflächenverstoßes eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Wohnbebauung sichergestellt sei. Der Abstand zwischen dem Gebäude des Klägers zur gemeinsamen Grundstücksgrenze betrage 10 Meter. Der brandschutzrechtliche Abstand sei auf dem eigenen Grundstück eingehalten.
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Mit Schreiben vom 4. Dezember 2019, eingegangen am 6. Dezember 2019, reichte der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München ein und beantragt zuletzt und nach Auslegung,
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der Beklagte wird verpflichtet, bezüglich der Höhe des Wohngebäudes auf dem Grundstück mit der FlNr. … (R.) insoweit eine Teilbaubeseitigung zu erlassen, dass die gesetzlichen Abstandsflächen auf dem Baugrundstück eingehalten sind und bezüglich der Höhe der Grenzgarage derart bauaufsichtlich tätig zu werden, dass eine mittlere Wandhöhe von 3 m, bezogen auf den im Bauantrag angegebenen Höhenbezugspunkt eingehalten wird.
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Der Beklagte wird verurteilt, über den Antrag des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten, zuletzt gestellt mit Schreiben vom 15.05.2019, ermessenfehlerfrei unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
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Der Klägerbevollmächtigte führte im Wesentlichen aus, dass der Beigeladene zu 1 bereits seit Beginn seines Bauvorhabens im Jahr 2016 die Rechte des nördlich angrenzenden Nachbarn massiv verletzt habe und in dessen Eigentum eingegriffen habe. Im Juni 2017 habe der Kläger festgestellt, dass der Bau massiv zu hoch sei und die Abstandsflächenrechte des Klägers massiv verletzt würden. Dies habe der Kläger auch bei dem Beklagten angezeigt. Im Übrigen habe der Kläger aufgrund eigener Vermessungen festgestellt, dass zum einen das Urgelände im Eingabeplan falsch eingezeichnet gewesen sei, zum anderen die errichteten Gebäude auch bei Unterstellung der Richtigkeit des Eingabeplans massiv zu hoch seien und die Abstandsflächen damit nicht eingehalten würden. Betreffend das Urgelände sei ein entsprechendes Gutachten eines Vermessungsingenieurs beim Beklagten vorgelegt worden, woraus sich ergebe, dass bezogen auf das Urgelände die Garage an der nordöstlichen Ecke um 0,43 m, an der nordwestlichen Ecke um 0,86 m zu hoch errichtet worden sei. Mit Blick auf das Wohnhaus könne festgestellt werden, dass dieses an der östlichen Ecke um 1,26 m, an der westlichen Ecke um 1,54 m zu hoch errichtet worden sei. Auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Rechtsänderung ab 1.Februar 2021 verbleibe eine Abstandsflächenüberschreitung an der Nordostecke von 0,27 m und an der Nordwestecke von 0,38 m. Die Geländehöhen der genehmigten Planung zugrunde gelegt ergebe sich an der Nordostecke eine minimale Überschreitung von 2 cm und an der Nordwestecke um 0,52 m. Das Gebäude sei massiv zu hoch. Das Ermessen für das bauaufsichtliche Einschreiten sei bei entsprechenden Abstandsflächenverstößen regelmäßig und aufgrund des massiven Verstoßes gegen Abstandsflächenrechts im vorliegenden Fall auf Null reduziert. Die Beseitigung und der Rückbau von widerrechtlich errichteten Gebäuden stehe im besonderen Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten und baulichen Entwicklung. Die seitens des Beklagten angesprochenen Punkte betreffend Kosten und Unannehmlichkeiten würden nicht verfangen. Die Klage sei begründet, weil der Beklagte verpflichtet sei, eine Rückbauanordnung zu erlassen, hilfsweise eine ermessenfehlerfreie Entscheidung zu treffen. Eine solche liege noch gar nicht vor. Der Umstand, dass die Bebauung des Klägers auf seinem Grundstück 10 m von der Grundstücksgrenze entfernt sei, sei mit Blick auf den Verstoß gegen Abstandsflächenrecht irrelevant. Auf die Entscheidung BayVGH, Az. 1 B 09.1911 vom 28.6.2010, VGH Baden-Württemberg, U.v. 24.3.2014 - 8 S 1938/12 oder VG Berlin, U.v. 15.3.2016, Az. 13 K 255.15 werde Bezug genommen. Das Gebäude sei zu hoch und so wie errichtet nicht genehmigt worden. Bei der Garage handle es sich nicht um eine Grenzgarage im Sinne von Art. 6 Abs. 9 BayBO. Auf andere Weise als durch teilweise Beseitigung und Reduzierung der Wandhöhen seien rechtmäßige Zustände nicht herzustellen. Auf die Entscheidung VG München, 9. Kammer vom 25.3.2015, M 9 K 14.3343 werde Bezug genommen. Der Kläger verlange nur eine teilweise Beseitigung. Eine vollständige Beseitigung wolle er nicht. Die Grundsätze von Treu und Glauben stünden dem Begehren des Klägers nicht entgegen, denn auf den ursprünglichen Plänen sei weder der tatsächliche Geländeverlauf noch das folgende planabweichende Bauen ersichtlich gewesen. Auf die Schriftsätze vom 4. Dezember 2019 und 23. April 2021 wird im Übrigen Bezug genommen.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 1 BayBO für eine Rückbauanordnung zwar erfüllt seien. Denn das Wohnhaus sei entgegen den genehmigten Eingabeplänen mit einer Wandhöhe von ca. 6,40 m bezogen auf OK Gehweg errichtet worden. Die genehmigte Wandhöhe betrage aber 5,965 m. Im Übrigen halte das Bauvorhaben weder in der genehmigten noch in der ausgeführten Planung die erforderlichen Abstandsflächen ein. Dabei können es dahinstehen, ob das Gelände in der Eingabeplanung den tatsächlichen, vormals vorhandenen Geländeverlauf darstelle oder ob der vom Kläger vorgelegte Geländeverlauf den ursprünglichen Geländeverlauf widerspiegelt. Unter Zugrundelegung des in der Eingabeplanung dargestellten Geländeverlaufs und unter Anwendung des 16m-Privilegs würde die erforderliche Abstandsfläche an der Nordostecke des Gebäudes ca. 3,20 m betragen und an der Nordwestecke des Gebäudes ca. 3,875 m. Da der Abstand des Gebäudes zur Grundstücksgrenze an beiden Gebäudeecken lediglich 3,0 m betrage, seien die erforderlichen Abstandsflächen deutlich nicht eingehalten. Würde man die seitens des Klägers vorgelegten Geländehöhen annehmen, würden die erforderlichen Abstandsflächen an der Nordostecke ca. 3,36m und da der Nordwestecke 3,74 m betragen. Zudem wäre dann auch die mittlere Wandhöhe der Garage an der Grundstücksgrenze höher als die zulässigen 3,0m. In jedem Fall sei festzustellen, dass die erforderlichen Abstandsflächen überschritten seien und das Vorhaben formell und materiell illegal sei. Dies sei auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Rechtsänderung der Fall, wenngleich der Abstandsflächenverstoß danach erheblich reduziert werde. An der Nordostecke ergebe sich danach eine Abstandsfläche von 2,92m, was bedeute, dass bei einem Abstand von 3 m also ein Verstoß nicht mehr gegeben sei. An der Nordwestecke liege die Abstandsfläche bei 3,46m, also eine Überschreitung von 0,46 m. Berechne man die Abstandsfläche als Fläche würden lediglich ca. 3,5 m 2 der Abstandsfläche auf dem Grundstück des Klägers zu liegen kommen. Der Erlass der beantragten Beseitigungsanordnung liege im Ermessen des Beklagten. Der Kläger habe nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Ein Anspruch auf Einschreiten stehe dem Nachbarn selbst dann nicht zu, wenn eine Verletzung von nachschützenden Vorschriften gegeben sei. Etwas anderes gelte nur dann, wenn jede andere Entscheidung mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Nachbarn ermessensfehlerhaft wäre, das Ermessen also aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls auf Null reduziert wäre. Auf BayVGH vom 21.1.2002, Az. 2 ZB 00.780 werde verwiesen. Der Beklagte habe bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass eine Verletzung der Rechte des Klägers mit Blick auf die Abstandsflächen gegeben sei. Zu berücksichtigen seien aber auch Sinn und Zweck des Abstandsflächenrechts (Belichtung, Besonnung, Belüftung, Brandschutz, sozialer Frieden) und der Umstand, dass die maßgeblichen Gebäude (Gebäude des Beigeladenen zu 1 und des Klägers) insgesamt ca. 13 m voneinander entfernt seien. Es bestünden keine Bedenken mit Blick auf Belichtung, Belüftung, Besonnung, Schattenwurf und Sozialabstand mit Blick auf die Belange des Klägers. Auch eine mögliche Neubebauung des Klägers sei in den Blick genommen worden. Sollte eine solche erfolgen, müsste diese ebenfalls einen Mindestabstand von 3 m einhalten, sodass zwischen den Gebäuden ein Mindestabstand von 6 m gewahrt bliebe. Auch in diesem Fall seien Bedenken hinsichtlich Brandschutz, Belichtung, Besonnung, Belüftung und Sozialabstand nicht zu befürchten. Die derzeit vorhandene Gartennutzung würde durch die zu erwartende längere Beschattung des Grundstücks - wenn überhaupt - nur sehr gering beeinträchtigt. Eine abschirmende oder gar einmauernde Wirkung entstehe durch die Bebauung nicht. Die beiden Grundstücke seien sehr groß und würden im straßenabgewandten Bereich sehr große Gärten aufweisen. Der Rückbau des Gebäudes des Beigeladenen zu 1 auf ein Maß, das die erforderlichen Abstandsflächen einhalte würde bedeuten, dass die Mieter des Obergeschosses ausziehen müssten. Anschließend müsste nicht nur das Dach, sondern auch die Betondecke über dem 1. OG entfernt werden. Fenster, Fensterstürze bzw. Rollkästen müssten zurückgebaut werden. Das Obergeschoss müsste größtenteils zerstört werden. Insgesamt sei eine Rückbauanordnung unter Berücksichtigung der konkreten Nachbarrechtsverletzung und der dargelegten Umstände nicht verhältnismäßig. Die Schutzgüter der Abstandsflächen seine, wie dargestellt, nicht in einem Maße verletzt, die keine andere Entscheidung mehr zulassen würde als den Rückbau. Zudem sei zwischenzeitlich das Gelände des Baugrundstücks an das Geländeniveau des Grundstücks des Klägers angepasst worden. Die nun sichtbare Wandhöhe des Gebäudes betrage ca. 6,80m. Das geschaffene Gelände des Beigeladenen zu 1 dürfte um etwa 0,20m über dem des Klägers liegen. Die sichtbare und damit wahrnehmbare Wandhöhe würde damit nochmal deutlich reduziert. Eine Rückbauanordnung würde zudem gegen Treu und Glauben verstoßen. Dem Kläger seien die Geländeverhältnisse und die Planungen bereits seit Anfang 2016 bekannt gewesen. Erst ein Jahr später und etwa fünf Monate vor Baufertigstellung habe er sich an die Bauaufsichtsbehörde gewandt. Auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 13. Februar 2020 wird im Übrigen Bezug genommen.
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Der Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 1 führte aus, dass das Bauvorhaben jedenfalls die Abstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 5 BayBO in der seit 01.02.2021 geltenden Fassung einhalte. Die Klage sei daher unabhängig davon, ob sie jemals begründet gewesen sei, jedenfalls sei dem 01.02.2021 unbegründet. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Eingabeplanung vom 3. November 2015 vom Kläger als Nachbar am 6. Dezember 2015 nach ausführlicher Prüfung unterschrieben wurde. Die Gebäudehöhen der damaligen Planung seien viel höher gewesen als das nun ausgeführte Bauvorhaben. Auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 1. April und 24. August 2021 wird im Übrigen Bezug genommen.
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Das Gericht hat am 25. September 2021 Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins auf dem streitgegenständlichen Grundstück und der näheren Umgebung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- bzw. die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die Entscheidung des Landratsamtes vom 13. Februar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; er hat keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten durch Erlass einer Beseitigungsanordnung kann sich aus Art. 76 Satz 1 BayBO ergeben. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten erfordert dabei zum einen, dass er durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist. Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie auf Art und Weise des Einschreitens (BayVGH, B.v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11; B.v. 07.09.2018 - 9 ZB 16.1890 - juris Rn. 6). Dabei gelten für die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde die allgemeinen Grundsätze (BayVGH, U.v. 4.12.2014 - 15 B 12.1450 - juris Rn. 21).
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a. Die streitgegenständlichen Gebäude verstoßen im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 113 Abs. 5 VwGO) gegen die drittschützenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts, da sie nicht die nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO erforderlichen Abstandsflächen zur Grundstücksgrenze des Klägers einhalten. Der Abstandsflächenverstoß ist auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten und allein maßgeblichen Rechtsänderung (Art. 6 Abs. 5 BayBO in der seit 1. Februar 2021 geltenden Fassung) nach Auffassung aller Beteiligten sowie Prüfung durch das Gericht gegeben und damit unstrittig. Die formelle Illegalität des Vorhabens liegt insofern ebenfalls unabhängig von der planabweichenden Bauausführung vor, da die Abstandsflächen zum Zeitpunkt der Baugenehmigung nicht Teil des Prüfumfangs waren, mithin eine Legalisierungswirkung durch die Baugenehmigung nicht eintreten konnte.
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b. Eine Ermessensreduzierung auf Null und ein daran anknüpfender Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten in Form eines Rückbaus liegt jedoch unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Augenscheins und der vorgelegten Unterlagen nicht vor. Die seitens des Landratsamtes angestrengten Erwägungen, weshalb von einem bauaufsichtlichen Einschreiten als einzig richtige Maßnahme abgesehen wurde, haben sich im Rahmen des am 15. September 2021 durchgeführten Augenscheins bestätigt.
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In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass allein eine Verletzung des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO oder einer sonstigen nachbarschützenden Vorschrift durch den benachbarten Bauherrn nicht genügt, um eine Reduzierung des von Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens auf eine strikte Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörden zum Einschreiten zu begründen. Eine solche Ermessensreduzierung ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (BayVGH, B.v. 15.01.2019 - 15 ZB 17.317 - juris Rn. 4 m.w.N.).
23
Die Frage einer Ermessensreduktion zugunsten eines bauaufsichtlichen Einschreitens ist damit auch bei einer Verletzung nachbarschützender Normen des Abstandsflächenrechts von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig (BayVGH, B.v. 07.09.2018 - 9 ZB 16.1890 - juris Rn. 6). Dem Nachbarn ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Rechtsanspruch auf Einschreiten nur bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung des Nachbarn zuzubilligen. Das ist der Fall, wenn - wie oben bereits beschrieben - die von der (potenziell) rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt, insbesondere wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind. Der Vortrag, das streitgegenständliche Gebäude sei formell und materiell illegal und verletze den Nachbarn in seinen Rechten, genügt mithin nicht, um einen strikten Anspruch wegen Ermessensreduzierung zu begründen (BayVGH, B.v. 10.04.2018 - 15 ZB 17.45 - juris Rn. 19 m.w.N.).
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Gemessen an diesen Grundsätzen liegt eine Ermessensreduzierung auf Null und ein Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten in Form einer (Teil-) Baubeseitigungsanordnung nicht vor. Trotz unstrittigen Abstandsflächenverstoßes ist eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für wesentliche Rechtsgüter des Klägers nicht ersichtlich. Der Kläger erfährt durch die streitgegenständlichen Gebäude und die hierdurch erfolgende Abstandsflächenüberschreitung keine nennenswerte Beeinträchtigung im Sinne der dargestellten, durch die Rechtsprechung für einen Anspruch aufgestellten Anforderungen. Dabei kann offenbleiben, ob bei der Berechnung der konkreten Abstandsflächenüberschreitung die genehmigten Geländeverhältnisse, oder, wie der Kläger meint, die vorgetragenen ursprünglichen Geländeverhältnisse zugrundzulegen sind. Denn nach beiden Berechnungen ist eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für wesentliche Rechtsgüter des Klägers, zur Überzeugung des Gerichts nicht gegeben. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass, wie die Ortseinsicht bestätigt hat, trotz bestehender Abstandsflächenüberschreitung die Belichtung und Belüftung der Wohngebäude sichergestellt ist sowie der soziale Wohnfrieden im Übrigen aufgrund der örtlichen Verhältnisse und des Abstands der Gebäude zueinander sichergestellt sind. Selbst bei einer Unterstellung der Abstandsflächenüberschreitung in dem seitens des Klägers dargestellten Umfang (Hauptgebäude: Nordostecke: 27 cm, Nordwestecke: 38 cm), kann darin eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für wesentliche Rechtsgüter des Klägers unter Berücksichtigung der seitens der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen nicht ansatzweise gesehen werden. Die Wohngebäude des Beigeladenen zu 1 und des Klägers haben einen Abstand von ca. 13 Meter zueinander. Die gesamte Umgebungsbebauung ist von lockere Bebauung geprägt. Mit Blick auf die streitgegenständliche Garage verkennt das Gericht nicht, dass insofern eine konkrete, erneute Vermassung seitens des Beklagten notwendig ist und auch erfolgen wird. Nach dem Ergebnis des Augenscheins und unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen steht jedoch fest, dass selbst für den Fall, dass die mittlere Wandhöhe der Grenzgarage nicht 3 m beträgt, die ausgelöste Abstandsfläche, welche auf dem Grundstück des Klägers zum Liegen kommt, 3 m nicht überschreitet (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO). Selbst wenn man eine Überschreitung der Abstandsfläche um 3 m annimmt, ergibt sich auch hieraus kein Anspruch des Klägers bzw. eine Ermessensreduzierung auf Null mit Blick auf die geforderte Rückbauanordnung. Auch insofern sind die mit Blick auf das Hauptgebäude erwähnten Umstände zu berücksichtigen. Eine Verletzung wesentlicher Rechtsgüter des Klägers und ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist damit - auch unter Berücksichtigung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots - nicht gegeben. Für eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung der Gebäude ist schon vor dem Hintergrund des tatsächlichen Abstands zwischen den Gebäuden nicht ansatzweise etwas ersichtlich. Da bereits eine Nachbarrechtsverletzung von erheblichem Gewicht im oben beschriebenen Sinne nicht gegeben ist, kommt es auf eine Abwägung mit dem seitens des Bauherrn zu befürchtenden Schaden im Rahmen der Anspruchsprüfung nicht mehr an. Die seitens des Klägerbevollmächtigten angeführten Rechtsprechungsnachweise führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Gegenstand der angeführten (ober-)gerichtlichen Entscheidungen waren teilweise Anfechtungsklagen gegen bauaufsichtliche Maßnahmen und die Frage, ob bauaufsichtliches Einschreiten ermessensfehlerfrei erfolgt ist. Hiervon zu unterscheiden ist der vorliegende Fall, in welchem es um einen Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten geht. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung in diesem Fall aufstellt, um einen Anspruch eines Dritten auf den Vollzug der Leistungsverwaltung zu begründen, sind, wie oben dargestellt, erheblich enger gefasst und im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Soweit der Bevollmächtigte das Urteil des VGH Baden-Württemberg anführt wird zum einen darauf verweisen, dass die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der die Kammer folgt, insofern enger gefasst ist, zum anderen lag der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg ein Einzelfall zugrunde, welcher sich mit Blick auf den vorliegenden Fall schon dahingehend unterscheidet, dass die Abstände zwischen den streitgegenständlichen Gebäuden zu den Nachbargebäuden in dem entschiedenen Fall sehr gering die Belange Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie Brandschutz unzumutbar berührt waren. Eine unzumutbare Beeinträchtigung liegt im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Augenscheins, der örtlichen Verhältnisse und der vorgefundenen lockeren Bebauung mit den dargestellten Abständen gerade nicht vor. Auch die seitens des Klägervertreters angeführt Kammerrechtsprechung ändert an dem gefundenen Ergebnis nichts. Auch in diesem Fall wurden die Grundsätze der obergerichtlichen (bayerischen) Rechtsprechung, wie vorliegend, angeführt. Anders als vorliegend waren die nachbarlichen Belange u.a. mit Blick auf die Verschattung des klägerischen Grundstücks in erheblicherem Umfang berührt. Die Entscheidung erging, wie vorliegend, unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse vor Ort, welche sich vom vorliegenden Fall in relevanten Umfang unterscheiden. Nach alledem liegt eine erhebliche Beeinträchtigung von Nachbarrechten nicht vor. Die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ergibt kein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen. Der Hauptantrag ist daher insgesamt unbegründet.
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2. Der gestellte Hilfsantrag ist teilweise unzulässig, soweit sich das Begehren des Klägers, eine Verpflichtung des Beklagte auf bauaufsichtliches Einschreiten zu erreichen, auf die streitgegenständliche Garage bezieht. Denn bezüglich dieses Teils der begehrten Amtshandlung fehlt bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung am 15. September 2021 zu Protokoll des Gerichts erklärt, dass, sollte eine Einigung zwischen den Beteiligten nicht zustande kommen, eine erneute Vermessung und Prüfung der konkreten Höhenverhältnisse der Grenzgarage durch das Landratsamt erfolgen werde. Daran anknüpfend werde eine erneute Entscheidung getroffen. Es besteht daher keine weitere Veranlassung eine entsprechende Verpflichtung des Beklagten zur Neuverbescheidung auszusprechen. Lediglich ergänzend wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Gerichts auch insoweit keine grundsätzlichen Bedenken bestehen, wenn seitens des Beklagten im Rahmen einer Neuvermessung und Überprüfung einer mittleren Wandhöhe von 3 m (Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO) nach entsprechender Ermessensausübung und unter Berücksichtigung der Nachbarbelange der aktuelle und den Plänen zu entnehmende Geländeverlauf für die Beurteilung der abstandsflächenrechtlichen Situation zugrunde gelegt wird. Denn zum einen wird unter Berücksichtigung der Aktenlage sowie den Verhältnissen vor Ort ein exakter Verlauf des seitens des Klägers vorgetragenen, früheren natürlichen Geländes mit vertretbarem Aufwand zentimetergenau nicht mehr rekonstruierbar sein. Zum anderen würden die seitens des Klägers vorgetragenen Geländeunterschiede im Bereich der Garage (Höhendifferenz zwischen 30 und 50 cm) nicht von vornherein eine zwingend andere Ermessenentscheidung des Beklagten erfordern.
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Der gestellte Hilfsantrag ist im Übrigen unbegründet, soweit er sich auf das Hauptgebäude bezieht. Denn das Landratsamt hat am 13. Februar 2019 insoweit eine ermessenfehlerfreie Entscheidung getroffen. Der Anspruch des Klägers auf ermessenfehlerfreie Entscheidung ist daher bereits erloschen. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ist durch das Schreiben des Beklagten eine ordnungsgemäße Verbescheidung des Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten erfolgt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass das Schreiben nicht mit „Bescheid“ betitelt war und im Übrigen keine Rechtsbehelfsbelehrungenthalten war. Die seitens des Beklagten getroffenen Entscheidung begegnet keinen grundsätzlichen rechtlichen Bedenken. Der Beklagte hat die berührten Belange des Klägers und die Intensität der Beeinträchtigung umfassend abgewogen und mit den seitens des Beigeladenen zu 1 und dem öffentlichen Interesse an rechtmäßigen Zuständen in Beziehung zueinander gesetzt. Dabei durfte der Beklagte insbesondere auch berücksichtigen, dass der dem Abstandsflächenrecht zugrundeliegende Sinn und Zweck, die Belange der Belichtung, Belüftung, Besonnung, Brandschutz und sozialer Wohnfrieden nicht bzw. in nur geringem Umfang berührt sind und der tatsächlichen Abstand der Gebäude zueinander ca. 13 Meter beträgt. Der Beklagte hat zudem mögliche bauliche Erweiterungswünsche des Klägers in den Blick genommen und darüber hinaus die seitens des Klägers angestellten Berechnungen unter Berücksichtigung des vorgebrachten natürlichen Geländeverlaufs in die Entscheidung mit einbezogen. Der Beklagte hat zutreffend darauf abgestellt, dass eine besonders qualifizierte Nachbarrechtsbeeinträchtigung nicht vorliegt (vgl. oben b.).
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3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit nicht dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.