Titel:
Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes für in Griechenland anerkannte, international schutzberechtigte nigerianische Familie mit Kleinkindern
Normenketten:
AsylG § 29
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Nach der Rechtsprechung des EGMR können sich auch die – staatlich verantworteten – allgemeinen Lebensverhältnisse als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSv Art. 3 EMRK darstellen. Solche Bedingungen können vorliegen, wenn der Betroffene völlig auf sich allein gestellt ist und über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (EGMR BeckRS 2011, 3848 - M.S.S.). (Rn. 29) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Es ist obergerichtlich geklärt, dass anerkannt schutzberechtigte Personen in Griechenland nicht generell mit einer konventionswidrigen Behandlung rechnen müssen, weil sie sich in so ernsthafter Armut, Bedürftigkeit und extremer materieller Not wiederfänden, dass dies mit der Menschenwürde nicht mehr vereinbar wäre (vgl. OVG Schleswig BeckRS 2021, 1977). (Rn. 32) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Für vulnerable Personengruppen sind im Vergleich zum Durchschnitt erhöhte Anforderungen an das Vorhandensein einer Unterkunft inklusive Verpflegung sowie medizinischer und gesundheitlicher Versorgung zu stellen. Nötigenfalls bedarf es in derartigen Fällen der Einholung einer individuellen Zusicherung des zuständigen Mitgliedstaats, dass diesen erhöhten Anforderungen iRd Überstellung sowie in der Folgezeit Rechnung getragen wird. (Rn. 42) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. International Schutzberechtigte, die vulnerabel und daher besonders schutzbedürftig und auf staatliche Hilfe angewiesen sind, sind derzeit in Griechenland einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSv Art. 3 EMRK ausgesetzt, wenn eine konkret-individuelle Zusicherung der griechischen Behörden, dass ohne Zeitverzug eine kind- und familiengerechte Unterbringung erfolgen werde, nicht vorliegt. (Rn. 43) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Die allgemeine Zusicherung des griechischen Migrationsministeriums vom 8.1.2018, die lediglich die Aussage enthält, Griechenland werde die Regelungen nach der Qualifikationsrichtlinie einhalten, begründet keine spezifische Zusicherung einer alsbaldigen kind- und familiengerechten Unterbringung. Insoweit liegt eine offensichtlich nicht ausreichende, bloße Absichtserklärung vor (VG Regensburg BeckRS 2019, 131). (Rn. 48) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Nigeria, Ablehnung der Asylanträge als unzulässig bestandskräftig geworden, Gewährung internationalen Schutzes in Griechenland, Maßstab für die Feststellung der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland, Unzumutbare Lebensbedingungen bejaht aufgrund Zugehörigkeit zu einer vulnerablen Gruppe, da besondere Schutzbedürftigkeit von Familie mit zwei Kleinkindern, Erfordernis einer konkret-individuellen Zusicherung Griechenlands zur Unterbringung für Vulnerable, Fehlende Zusicherung im konkreten Fall, nigerianische Asylybewerber, Sekundärmigration, international Schutzberechtigte, unzulässiger Asylantrag, Abschiebungsandrohung, Überstellung, Griechenland, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, Lebensverhältnisse, humanitäre Situation, Vulnerable, Kleinkind, konkret-individuelle Zusicherung, Absichtserklärung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 43173
Tenor
I. Die Beklagte wird verpflichtet, für die Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz hinsichtlich Griechenlands festzustellen. Der Bescheid vom 19. September 2019 wird aufgehoben, soweit er dieser Entscheidung entgegensteht.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen eine Abschiebungsandrohung nach Griechenland.
2
1. Der am ... 1969 in Lagos (Nigeria) geborene Kläger zu 1, die am ... 1979 in Lagos (Nigeria) geborene Klägerin zu 2 und die am ... 2017 in Thessaloniki (Griechenland) geborene Klägerin zu 3 sind nigerianische Staatsangehörige mit Volkszugehörigkeit der Yoruba und muslimischen Glaubens.
3
Die Kläger reisten nach ihren eigenen Angaben am 31. Dezember 2018 von Thessaloniki (Griechenland) auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie unter dem 11. Januar 2019 Asylerstanträge stellten. Eine Beschränkung der Asylanträge gemäß § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) erfolgte im Verfahren nicht. Die Kläger haben nach ihrem eigenen Vorbringen bereits in Griechenland Asylanträge gestellt. Am 2. Dezember 2016 wurde den Klägern in Griechenland internationaler Schutz gewährt.
4
Die persönliche Anhörung der Kläger zu 1 und 2 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 24. und 25. Januar 2019. Für das Vorbringen der Kläger zu 1 und 2 wird über die bei der Anhörung gefertigte Niederschrift des Bundesamtes Bezug genommen.
5
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19. Februar 2019, den Klägern durch Übergabe am 25. Februar 2019 bekanntgegeben, wurden die Anträge der Kläger als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheides). Nr. 2 des Bescheides bestimmte, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen. In Nr. 3 des Bescheides wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde den Klägern die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Weiter wurde bestimmt, dass die Kläger auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könnten, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Eine Abschiebung nach Nigeria wurde ausgeschlossen. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4 des Bescheides).
6
Die Kläger erhoben mit Schriftsatz vom 27. Februar 2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 1. März 2019, Klage und beantragten, den Bescheid des Bundesamtes vom 19. Februar 2019 in den Ziffern 2, 3 Sätze 1 bis 3 und Ziffer 4 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass bei den Klägern Abschiebungsverbote hinsichtlich Griechenlands vorlägen (Az. ...). Ebenfalls mit Schriftsatz vom 27. Februar 2019 haben die Kläger im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheides anzuordnen.
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Klage- und Eilverfahren wurden mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 8. April 2019 an das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg verwiesen.
8
Der Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Az.: Au 9 S 19.30567) wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. Mai 2019 abgelehnt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
9
Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2019 beantragten die Kläger gemäß § 80 Abs. 7 Verwaltungsgerichtsordnung, den im Verfahren Au 9 S 19.30567 ergangenen Beschluss des Gerichts vom 7. Mai 2019 abzuändern und auf Antrag der Kläger die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (Az.: Au 9 K 19.30566) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2019 anzuordnen.
10
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass den Klägern im Falle der Rückführung nach Griechenland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK drohe. Bei den Klägerinnen zu 2 und zu 3 handle es sich um vulnerable Personen. Die Klägerinnen befänden sich in ärztlicher Behandlung. Insbesondere sei die Klägerin und Antragstellerin zu 3 in kinderärztlicher Behandlung. Wegen der in der Neugeborenenzeit bestehenden Sepsis mit Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung) müsse die Niere regelmäßig nachuntersucht werden. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung sei anzuordnen. Die Kläger hätten in Griechenland lediglich 140,00 EUR und eine Bleibe in einem Iglu-Zelt bei unhygienischen sanitären Bedingungen und konkreter Gewalt im Flüchtlingslager erhalten. Die versuchte Ausweichbleibe in der Obdachlosigkeit sei ebenfalls unzumutbar. Die bereits erlebten systemischen Mängel stellten insbesondere im Hinblick auf die vulnerablen Klägerinnen zu 2 und zu 3 eine konkrete drohende Gefahr dar. Eine konkrete Zusage Griechenlands zur Unterbringung der Kläger liege nicht vor.
11
Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. Juli 2019 wurde daraufhin unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. Mai 2019 (Az.: Au 9 S 19.30567) die aufschiebende Wirkung der unter dem Az. Au 9 K 19.30566 geführten Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Februar 2019 enthaltene Abschiebungsandrohung angeordnet. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
12
Mit Beschluss vom 12. August 2019 wurde das Klageverfahren (Az. Au 9 K 19.30566) aufgrund beiderseitiger Erledigterklärung eingestellt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
13
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19. September 2019, laut Aktenvermerk am 24. September 2019 zur Post gegeben, wurden die Anträge der Kläger als unzulässig abgelehnt (Nr. 1 des Bescheides). Nr. 2 des Bescheides bestimmte, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen. In Nr. 3 des Bescheides wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde den Klägern die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Weiter wurde bestimmt, dass die Kläger auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könnten, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Eine Abschiebung nach Nigeria wurde ausgeschlossen. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4 des Bescheides). Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung wurde ausgesetzt (Nr. 5 des Bescheides).
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass die Asylanträge unzulässig seien. Ein Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Ausländern bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt habe. Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes sei den Klägern in Griechenland am 2. Dezember 2016 internationaler Schutz gewährt worden. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Eine Abschiebung sei gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergebe. Den Klägern werde die Abschiebung nach Griechenland angedroht, also in einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Griechenland führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Griechenland gewähre schutzberechtigten Migranten prinzipiell Zugang zu Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung und stelle sie damit der einheimischen Bevölkerung gleich. Schutzberechtigte in Griechenland hätten Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten unter den gleichen Voraussetzungen wie legal sich aufhaltende Drittstaatsangehörige. Darüber hinaus gebe es ein von der EU finanziertes Leistungsangebot. Schutzberechtigte hätten seit Januar 2017 unter den gleichen Voraussetzungen wie griechische Staatsbürger Zugang zum neu eingeführten System der Sozialhilfe. Daneben gebe es einen gesetzlich verankerten unmittelbaren Zugang zum Arbeitsmarkt. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Griechenland bestehe allerdings allgemein eine hohe Arbeitslosigkeit. Es habe nicht die Überzeugungsgewissheit gewonnen werden können, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Griechenland einer extremen Allgemeingefahr ausgesetzt seien. Die von den Klägern vorgetragenen Beschwerden ihrer Tochter, der Klägerin zu 3, lägen alle in der Vergangenheit und seien bereits in Griechenland erfolgreich operativ behandelt worden. Aktuell sei keiner der Kläger in ärztlicher Behandlung. Die Abschiebungsandrohung sei nach §§ 35, 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Diese Fristfestsetzung sei vorliegend angemessen. Die Kläger verfügten im Bundesgebiet über keine Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen seien.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheides des Bundesamtes vom 19. September 2019 wird ergänzend Bezug genommen.
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2. Hiergegen ließen die Kläger am 4. Oktober 2019 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben mit den Anträgen,
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1. den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Az. ...) vom 19.09.2019 in den Ziffern 2.), 3.) Sätze 1 bis 3 und in Ziff. 4.) aufzuheben und
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2. die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass bei den Klägern Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich Griechenlands vorliegen.
19
Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 9. November 2021 begründet. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
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3. Das Bundesamt legte die Behördenakten in elektronischer Form vor, äußerte sich ansonsten aber nicht.
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4. Mit Beschluss vom 19. Oktober 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.
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5. Am 6. Dezember 2021 wurde die Verwaltungsstreitsache mündlich verhandelt. Die Beklagte, die am 21. Oktober 2021 geladen wurde, ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen. Die Kläger wurden informatorisch angehört. Der Klägerbevollmächtigte stellte den Klageantrag aus der Klageschrift vom 2. Oktober 2019. Auf die telefonische Anfrage des Gerichts vom 6. Dezember 2021 half die Beklagte dem Bescheid nicht ab.
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6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den gesamten Inhalt der Gerichts- und Behördenakten, insbesondere auf das Sitzungsprotokoll vom 6. Dezember 2021, und auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
24
I. Das Gericht kann durch die Einzelrichterin entscheiden, da ihr der Rechtsstreit durch Beschluss vom 19. Oktober 2021 zur Entscheidung übertragen wurde (§ 76 Abs. 1 Asylgesetz - AsylG).
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II. Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2021 entschieden werden, da die Beteiligten mit der Ladung darauf hingewiesen wurden, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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III. Die zulässige Klage ist auch begründet. Der in seinen Nummern 2 bis 4 angegriffene Bescheid vom 19. September 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Den Klägern steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ein Anspruch auf Aufhebung des Bescheides im streitgegenständlichen Umfang (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Griechenlands nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Die Ablehnung der Anträge als unzulässig in der Nummer 1 des Bescheides nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist bestandskräftig geworden, da sie vom Klageantrag ausdrücklich nicht umfasst ist, sodass diese Entscheidung nicht zu prüfen ist.
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2. Soweit in Nummer 2 des angefochtenen Bescheides für die Kläger das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint worden ist, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Den Klägern steht ein Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Griechenlands nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Insbesondere droht ihnen in Griechenland aufgrund der dortigen Bedingungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind vorliegend gegeben.
29
a) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) können sich auch die - staatlich verantworteten - allgemeinen Lebensverhältnisse als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Solche Bedingungen können vorliegen, wenn der Betroffene völlig auf sich allein gestellt ist und über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 - 30696/09 - M.S.S. gegen Griechenland und Belgien, Rn. 273 f. und 365 ff.). Art. 3 EMRK verpflichtet jedoch nicht, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen oder sie finanziell zu unterstützen, um ihr einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 - 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande - ZAR 2013, 336; U.v. 21.1.2011 - 30696.09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413). Auch gewährt Art. 3 EMRK den von einer Überstellung betroffenen Ausländern grundsätzlich keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedsstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bei einer Überstellung bedeutend geschmälert würden, begründet grundsätzlich noch keinen Verstoß gegen die Vorschrift (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 - 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande - ZAR 2013, 336/337). Die Verantwortlichkeit eines Staates ist jedoch dann begründet, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und - trotz ausdrücklich im nationalen Recht verankerter Rechte - behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (EGMR, U.v. 21.1.2011 - 30696.09, M.S.S./Belgien und Griechenland - juris Rn. 250; EGMR, U.v. 4.11.2014 - Tarakhel/Schweiz, Nr. 29217/12- juris Rn. 98; siehe auch EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - juris Rn. 88 ff. und EuGH, U.v. 19.3.2019 - C-163/17 - juris Rn. 91). Bei der Prüfung einer Überstellung bzw. Abschiebung kommt es nicht nur auf die generellen Verhältnisse im Zielstaat an, sondern auch auf die individuellen Umstände des konkret Betroffenen. Wenn etwa mit Blick auf bestimmte Erkrankungen ernstliche Zweifel über die Folgen einer Abschiebung bestehen, müssen individuelle und ausreichende Zusicherungen des Zielstaates eingeholt werden (vgl. auch OVG NW, B.v. 8.12.2017 - 11 A 585/17.A - juris Rn. 15). Jedenfalls ist es erforderlich, dass die dort gewährleisteten Rechte praktisch sowie effektiv und nicht nur theoretisch und illusorisch zur Verfügung stehen (hierzu: EGMR, U.v. 13.12.2016 - 41738/10, Paposhvili/Belgien -juris Rn. 182, 187, 191 m.w.N.). Die spezifischen Hilfsbedürfnisse international Schutzberechtigter verlangen, dass ihnen zumindest in einer ersten Übergangsphase ein Mindestmaß an Fürsorge und Unterstützung bei der Integration zukommt. Die - möglicherweise garantierte - Inländergleichbehandlung muss auch faktisch und nicht nur formalrechtlich gewährleistet sein (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2017 - 2 BvR 157/17 - juris Rn. 21 unter Verweis auf HessVGH, U.v. 4.11.2016 - 3 A 1322/16.A - juris Rn. 25). Anerkannte Schutzberechtigte können nicht ohne weiteres die Rechtspositionen, die die Rechtsordnung des Zielstaates formal gewährt, effektiv einfordern. Sie müssen erst in eine der einheimischen Bevölkerung vergleichbare tatsächliche Position einrücken, die ihnen die Teilhabe an den gewährten Rechten ermöglicht (vgl. VGH BW, B.v. 15.3.2017 - A 11 S 2151/16 - juris Rn. 25).
30
Ob die in dem Zielstaat herrschenden Aufnahmebedingungen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK einzustufen sind, hat das Gericht dabei anhand einer aktuellen Gesamtwürdigung der zu der jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen in Bezug auf die hiervon konkret betroffenen Kläger zu beurteilen (vgl. VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 - RN 11 K 18.31292 - juris Rn. 15). Dabei kommt regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund sind gerade Berichte, die eine schon zuvor dargestellte Lage fortschreiben, für die Feststellung solcher Mängel besonders relevant. Dabei ist zu beachten, dass die zu beantwortende Frage Höchstgüter des deutschen und europäischen Verfassungsrechts betrifft, sodass es besonders sorgfältiger Prüfung bedarf, ob neue Stellungnahmen tatsächlich ohne Relevanz bleiben (BVerfG, B.v. 21.4.2016 - 2 BvR 273/16 - NVwZ 2016, 1242; B.v. 31.7.2018 - 2 BvR 714/18 - juris). Die Bewertung, ob die einem Ausländer im Abschiebezielstaat drohenden Gefahren ein „Mindestmaß an Schwere“ erreichen, ist von einer Vielzahl einzelner Umstände und Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Volkszugehörigkeit, Ausbildung, Vermögen, familiäre oder freundschaftliche Verbindung) abhängig (OVG Saarland, B.v. 15.4.2019 - 2 A 80/18 - juris Rn. 10).
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b) Nach diesen Maßstäben ist bei Gesamtwürdigung der zu Griechenland vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (vgl. dazu ausführlich zuletzt BayVGH B.v. 17.3.2020 - 23 ZB 18.33356) aufgrund der dortigen Aufnahmebedingungen anzunehmen, dass den Klägern im Falle einer Rückkehr nach Griechenland eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK aktuell droht. Jedenfalls für die Kläger besteht die hinreichend wahrscheinliche Gefahr, über einen längeren Zeitraum nicht hinreichend mit Nahrungsmitteln versorgt zu werden, obdachlos zu werden und keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen zu haben („Brot, Bett und Seife“).
32
Die Kläger haben in Griechenland den internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuerkannt bekommen (aa). Auch wenn die Lage in Griechenland schwierig ist (bb), schließt sich das Gericht hierzu der grundsätzlichen Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes zur allgemeinen Lage in Griechenland (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2021 - 13a ZB 20.30880) an. Danach ist obergerichtlich geklärt, dass anerkannt schutzberechtigte Personen in Griechenland nicht generell mit einer konventionswidrigen Behandlung rechnen müssen, weil sie sich in so ernsthafter Armut, Bedürftigkeit und extremer materieller Not wiederfänden, dass dies mit der Menschenwürde nicht mehr vereinbar wäre (BayVGH, B.v. 8.3.2021 - 13a ZB 20.30880 - Rn. 11; OVG Schleswig-Holstein, B.v. 16.2.2021 - 4 LA 259/19 - juris Rn. 4 ff.). Die Kläger sind allerdings einer vulnerablen Personengruppe zugehörig (cc), sodass die hohe Schwelle der Erheblichkeit jedenfalls im Falle der Kläger erreicht ist (dd).
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aa) Die Kläger haben in der Hellenischen Republik den internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuerkannt bekommen. Dies ergibt sich aus den Asylakten und den bisherigen Gerichtsverfahren, auf die im Einzelnen verwiesen wird. Es widerspräche dem in der RL 2011/95/EU niedergelegten Grundsatz eines gemeinsamen europäischen Asylsystems (Erwägungsgrund 2 der Richtlinie), wenn ein objektiv bereits geschützter Asylbewerber in mehr als einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union geschützt werden müsste. Vielmehr wird der unionsrechtliche Schutzauftrag der Richtlinie durch die erste Anerkennung erfüllt.
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bb) Die allgemeine Lage in Griechenland insbesondere für anerkannte Flüchtlinge und Schutzberechtigte stellt sich in verschiedenen Bereichen als herausfordernd dar.
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Die Unterkunftslage stellt sich als sehr herausfordernd dar. Zwar haben anerkannt Schutzberechtigte denselben Zugang zu Wohnraum wie andere sich legal im Land aufhaltende Personen, dieser Wohnraum ist faktisch jedoch stark begrenzt. International anerkannte Schutzberechtigte werden vom griechischen Staat nicht mit einer Unterkunft unterstützt (Pro Asyl/RSA, Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland; Bericht vom 23. Juni 2017). Sie sind insoweit der einheimischen Bevölkerung gleichgestellt, der ebenfalls keine Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt werden. Die Situation für rückkehrende Schutzberechtigte ist aber unter dem Gesichtspunkt schwieriger, da sie nicht über Kontakte und Beziehungen verfügen, die ihnen das private Anmieten von Wohnungen ermöglichen. Wohnungsfürsorge besteht durch ein Wohngeld erst nach einem fünfjährigen Daueraufenthalt in der hellenischen Republik, eine staatliche Beratung findet generell nicht statt. Wohnraum ist somit lediglich auf dem freien Wohnungsmarkt verfügbar, welcher im Regelfall durch das traditionelle Bevorzugen von Familien bzw. Bekannten für Schutzberechtigte nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Ob bzw. inwieweit Personen, welche ausgereist sind und anschließend wieder zurückkehren, in durch die Europäische Union co-finanzierten Unterkünften einen Platz erhalten, ist unklar. Staatliche oder privat organisierte Obdachlosenunterkünfte stehen diesem Personenkreis zwar grundsätzlich ebenfalls offen, sind jedoch überwiegend überfüllt oder hinsichtlich ihrer Bedingungen so ausgestaltet, dass anerkannt Schutzberechtigte faktisch keinen Zugang erhalten. Einige Nichtregierungsorganisationen bieten punktuell Wohnraum an, auch die Kirche ist in diesem Bereich engagiert. In Athen ist die Anzahl der so angebotenen Unterbringungsmöglichkeiten jedoch nicht ausreichend. Anerkannt Schutzberechtigte leben daher oft in verlassenen Häusern bzw. überfüllten Wohnungen. Insbesondere in Großstädten gibt es informelle Wohnprojekte. Angesichts des Umstands, dass über Obdachlosigkeit in Griechenland keine Daten erhoben werden, ist über das tatsächliche Ausmaß des Problems nur wenig bekannt (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 6.9.2019 - 4 LB 17/18 - juris Rn. 106 ff. m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland vom 19.3.2020, S. 30 f.).
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Dies gilt auch für die Sozialhilfe. Zwar besteht inzwischen ein System der sozialen Sicherung aus mehreren Säulen, von welchem auch Schutzberechtigte nicht ausgenommen sind. In der Praxis ist der Zugang zu diesem jedoch nur sehr eingeschränkt gegeben, da die Schutzberechtigten die hierfür nötigen Nachweise wie Steuernummer bzw. Sozialversicherungsnummer ohne festen Wohnsitz nicht bzw. nur sehr schwer beschaffen können. Lediglich eine Arbeitslosenkarte, welche man auch ohne festen Wohnsitz bekommt, bietet verschiedene Vergünstigungen wie etwa die kostenfreie Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. Es besteht zudem eine Behörde, welche an 57 Standorten in ganz Griechenland die Ausgabe von Lebensmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln organsiert und verwaltet. Das sogenannte Cash-Card-Programm steht Rückkehrern voraussichtlich nicht zur Verfügung. Letztlich bilden auch in diesem Bereich Nichtregierungsorganisationen und Kirchen ein elementares Auffangnetz bei der Bereitstellung von Lebensmitteln und Sachleistungen (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 125 ff. m.w.N.; Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, a.a.O., S. 28 f.).
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Für anerkannt Schutzberechtigte steht der griechische Arbeitsmarkt offen, sodass grundsätzlich Erwerbsmöglichkeiten bestehen. Eine spezielle Förderung durch den griechischen Staat besteht grundsätzlich nicht und wird allenfalls punktuell von Nichtregierungsorganisationen angeboten. Aufgrund hoher Arbeitslosigkeit (ca. 18%) sowie fehlender Sprachkenntnisse sind die Chancen für Schutzberechtigte auf einen Arbeitsplatz jedoch sehr gering. Arbeitsplätze werden überwiegend an Griechen und andere EU-Bürger vergeben. Selbst wenn eine Arbeit gefunden wird, kann eine Anstellung mangels Bankkonto bzw. steuerlicher Anmeldung oftmals nicht erfolgen, da hierfür erneut ein fester Wohnsitz erforderlich wäre (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 143 ff. m.w.N.; Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, a.a.O., S. 31).
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Die medizinische Versorgung steht Schutzberechtigten ebenso frei wie anderen griechischen Staatsbürgern auch. Aufgrund der schlechten Haushaltslage des griechischen Staates ist das Gesundheitssystem jedoch starken Budgetierungen und restriktiven Medikamentenausgaben unterworfen. Teilweise gibt es Sozialkliniken, welche hier unterstützend tätig sind. Die Notfallbehandlung ist gewährleistet (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 155 ff. m.w.N.; Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, a.a.O., S. 29).
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Gerichtlicher Rechtsschutz ist für anerkannt Schutzberechtigte entweder nicht zugänglich oder nur mit erheblicher Verzögerung erreichbar (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 87 m.w.N.). Konkrete Hilfsangebote für Rückkehrer sind nicht vorhanden, zudem lediglich wenige Hilfsangebote aus Integrationsmaßnahmen, welche sich im Regelfall an alle Drittstaatsangehörigen wenden. Vereinzelt wird von kostenlosen Sprach- und Kultur- bzw. Geschichtskursen berichtet (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 91 ff.).
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In Griechenland sind dagegen eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen tätig, welche zahlreiche Sozialdienstleistungen wie psychologische bzw. ärztliche Versorgung, Mahlzeiten und Kleidung, Wohnungen, Sprachkurse und rechtlichen Beistand vermitteln bzw. anbieten. Sie konzentrieren sich auf Ballungszentren (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., juris Rn. 100 ff., 111 f.; Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, S. 32 f.).
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Soweit nach der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits geklärt ist, dass sich unter Berücksichtigung der offenbar vorliegenden Missstände in Griechenland nicht ergibt, dass hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass anerkannt schutzberechtigte Personen in Griechenland mit einer EMRKwidrigen Behandlung rechnen müssen oder von systemischen Schwachstellen ausgegangen werden müsste, und schließlich auch die hohe Schwelle der Erheblichkeit für eine menschenunwürdige Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GR-Charta nicht erreicht ist (vgl. zum Ganzen: OVG Schleswig-Holstein, U.v. 6.9.2019 - juris Rn. 160 ff.), so bezieht sich diese Einschätzung jedenfalls ausdrücklich nur auf alleinstehende arbeitsfähige Männer wie dem dortigen Rechtsmittelführer (BayVGH, B.v. 17.3.2020 - 23 ZB 18.33356 - juris Rn. 27).
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cc) Die Kläger gehören aber gerade einer vulnerablen Personengruppe an. In Art. 2 lit. k) i.V.m. Art. 21 der RL 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, werden als schutzbedürftige Personen Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z. B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien, aufgezählt. Für diese vulnerablen Personengruppen sind im Vergleich zum Durchschnitt erhöhte Anforderungen an das Vorhandensein einer Unterkunft inklusive Verpflegung sowie medizinischer und gesundheitlicher Versorgung zu stellen. Nötigenfalls bedarf es in derartigen Fällen der Einholung einer individuellen Zusicherung des zuständigen Mitgliedsstaats, dass diesen erhöhten Anforderungen im Rahmen der Überstellung sowie in der Folgezeit Rechnung getragen wird.
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(1) Das Gericht geht davon aus, dass international Schutzberechtigte, die vulnerabel und daher besonders schutzbedürftig und auf staatliche Hilfe angewiesen sind, derzeit in Griechenland einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK ausgesetzt sind, wenn - wie vorliegend - eine konkret-individuelle Zusicherung der griechischen Behörden, dass ohne Zeitverzug eine kind- und familiengerechte Unterbringung erfolgen werde, nicht vorliegt.
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Das Bundesverfassungsgericht (B.v. 31.7.2018 - 2 BvR 714/18 - juris Rn. 24 f.) fordert Feststellungen darüber, ob und wie für nach Griechenland zurückgeführte anerkannte Schutzberechtigte zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird. Die erforderlichen Erkenntnisse hierzu enthalte jedenfalls nicht die im zugrundeliegenden Rechtsstreit vom Verwaltungsgericht benannte Empfehlung der Kommission vom 8. Dezember 2016. Denn diese lege nur Verbesserungen - auch der humanitären Standards -für die Dauer des griechischen Asylverfahrens dar, beziehe sich also nicht auf die hier relevante Problematik der anerkannt Schutzberechtigten. Insbesondere sei nicht die Rede davon, dass erweiterte - nach wie vor nicht ausreichende - Unterbringungskapazitäten für Asylbewerber auch rückgeführten anerkannt Schutzberechtigten zur Verfügung stünden. Im Übrigen empfehle die Kommission Rückführungen zur Durchführung von Asylverfahren ohnehin nur für den Fall, dass jeweils im Einzelfall aufgrund einer Zusicherung der griechischen Behörde feststeht, dass der Zurückzuführende in einer Flüchtlingsunterkunft unterkommen kann (vgl. Ziff. 10 der empfohlenen Maßnahmen zur Verbesserung des griechischen Asylsystems). Eine solche Zusicherung seitens der griechischen Behörde, den Beschwerdeführer zumindest für eine Übergangszeit unterzubringen, sei im vorliegenden Verfahren jedoch nicht abgegeben und von Bundesamt oder Bundesregierung - soweit ersichtlich - auch nicht angefordert worden. Vielmehr habe das Bundesamt in seinem Bescheid lediglich ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass Griechenland die einschlägigen Regelungen des EU-Rechts einhalte. Auf welcher Grundlage diese Annahme beruhe, werde nicht offengelegt. Sie sei auch angesichts der seit sieben Jahren bejahten systemischen Mängel im griechischen Asylsystem nicht nachvollziehbar (BVerfG, B.v. 31.7.2018 - 2 BvR 714/18 - juris Rn. 24 f.).
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Aus diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wird teilweise ein Erfordernis des Einholens einer konkreten Zusicherung der griechischen Behörden gefolgert (so z.B. VG Bayreuth, U.v. 8.10.2018 - B 3 K 18.31172), teilweise aber auch abgelehnt (so z.B. OVG Schleswig-Holstein, U.v. 6.9.2019 - 4 LB 17/18 - juris Rn. 181). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat diese Frage bislang offen gelassen (BayVGH, B.v. 17.3.2020 - 23 ZB 18.33356 - juris Rn. 40).
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Die ein Zusicherungserfordernis ablehnende Rechtsauffassung geht davon aus, dass sich ein allgemeines Erfordernis einer individuellen Zusicherung der griechischen Behörden der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (unabhängig von der Frage nach ihrer hinreichenden Aktualität) nicht entnehmen lasse. Der erkennende Senat hielt in der zugrundeliegenden Entscheidung eine solche angesichts der dargestellten Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in der Situation des dortigen Klägers auch nicht für erforderlich (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 6.9.2019 - 4 LB 17/18 - juris Rn. 181). In dem zitierten Urteil selbst wird diese Einschätzung aber ausdrücklich wiederum wie folgt eingeschränkt: „Dies gilt zumindest für arbeitsfähige alleinstehende gesunde Männer wie den Kläger, dem im Gegensatz zu vulnerableren Gruppen (z. B. Familien mit kleinen Kindern) ein hohes Maß an Eigeninitiative zugemutet werden kann“ (OVG Schleswig-Holstein, U.v. 6.9.2019 - 4 LB 17/18 - juris Rn. 162). Dies lässt nicht nur anklingen, sondern klar und deutlich werden, dass ein Fall von vulnerablen Klägern - wie der vorliegende - anders zu handhaben ist.
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(2) Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich hier um eine Familie mit zwei Klein- bzw. Kleinstkindern - die im Jahr 2017 geborene Klägerin zu 3 sowie das im Jahr 2021 neugeborene Kind der Kläger zu 1 und 2 - handelt, sind die Kläger besonders schutzbedürftige Personen. Jedenfalls die Klägerin zu 3 fällt als Kleinkind (genau wie das 2021 neugeborene Kleinstkind der Kläger zu 1 und 2) unter die oben genannten besonders schutzbedürftigen Personengruppen. Da eine Familie mit kleinen Kindern nur zusammen abgeschoben werden könnte, geht das Gericht daher davon aus, dass die Klägerin zu 3 und damit durchschlagend auf die Familie auch diese insgesamt zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) als vulnerabel im Sinne der RL 2013/33/EU einzustufen sind. Insbesondere bei Kindern stellen sich besondere Herausforderungen und Schwierigkeiten bei der Befriedigung der existenziellen Grundbedürfnisse. Diese Einschätzung deckt sich im Übrigen mit dem persönlich gewonnenen Eindruck und den Ausführungen der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie den von den Klägern erstmalig im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO vorgelegten Lichtbilddokumentationen zur Unterbringungssituation in Griechenland. Diese Lichtbilder sind zu berücksichtigen, da im Rahmen der Feststellung der den Klägern in Griechenland bei einer Rückkehr drohenden Gefahren auch diejenigen besonderen Umstände zu berücksichtigen sind, die sich aus dem Voraufenthalt der Kläger in Griechenland ergeben (vgl. VG Gelsenkirchen, B.v. 21.5.2019 - 5a L 790/19.A - juris Rn. 24).
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(3) Unter Berücksichtigung der im Verfahren dokumentierten bisherigen Unterbringungssituation der Kläger in Griechenland verstieße die von der Beklagten beabsichtigte Abschiebung nach Griechenland nach Auffassung des Gerichts nur dann nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn die griechischen Behörden für die - wie aufgezeigt vulnerablen - Kläger eine konkret-individuelle Garantieerklärung abgeben, wonach die Kläger bei Rückkehr eine staatlich zur Verfügung gestellte Unterkunft erhalten und ihre elementaren Bedürfnisse abgedeckt sind. Eine solche individuelle Zusicherung Griechenlands, den Klägern zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Rückkehr eine Unterkunft zu gewähren, ist für die Kläger aber bisher nicht erteilt bzw. eingeholt worden. Entgegen der Ansicht des Bundesamts genügt diesem Erfordernis auch keinesfalls die allgemeine Zusicherung des griechischen Migrationsministeriums vom 8. Januar 2018, welche letztlich lediglich die allgemeine Aussage enthält, Griechenland würde die Regelungen nach der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) einhalten. Dies begründet gerade keine spezifische Zusicherung für die Kläger. Als bloße Absichtserklärung genügt die bislang vorliegende Erklärung, dass Griechenland die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU in das nationale Recht umgesetzt habe, offensichtlich nicht (vgl. VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 - RN 11 K 18.31292 - juris Rn. 27; VG Gießen, B.v. 15.5.2019 - 7 L 1713/19.Gl.A - n.v.).
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dd) Im Fall der Kläger ergibt sich somit unter Berücksichtigung der vorliegenden Missstände in Griechenland und aller Umstände des Einzelfalls, dass hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie als anerkannt schutzberechtigte Personen in Griechenland mit einer EMRKwidrigen Behandlung rechnen müssten und schließlich auch die hohe Schwelle der Erheblichkeit für eine menschenunwürdige Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK erreicht ist. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich bei vulnerablen Personen die Verweigerung staatlicher Hilfeleistungen zu einer existenzbedrohenden Gefahr verdichten kann. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hängt das Ausmaß, in dem der Einzelne von den zweifelsohne harten Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland getroffen wird, von den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Einzelnen ab (vgl. VG Saarl, B.v. 27.12.2016 - 3 L 2691/16 - juris). Insoweit ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass anerkannt Schutzberechtigte, anders als die griechische Bevölkerung, nicht über ein familiäres Netzwerk verfügen, welches in Griechenland bei der sozialen Absicherung eine besondere Rolle spielt. Nichts Anderes folgt im Übrigen aus dem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Berücksichtigungsfähigkeit bzw. -pflicht nichtstaatlicher Hilfs- oder Unterstützungsleistungen bei der Bewertung einer drohenden Verletzung von Art. 4 Grundrechtecharta in dem Erst-Mitgliedstaat aufgrund der Subsidiarität (mitglieds-) staatlicher Erfüllungs- und Unterstützungsverantwortung (BVerwG, U.v. 7.9.2021 - 1 C 3.21 - juris), da dieses Urteil zur Behandlung von vulnerablen Personen keine Aussage trifft.
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c) Da zu Gunsten der Kläger derzeit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegen, kann offenbleiben, ob der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegensteht. Denn die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bilden einen einheitlichen, unteilbaren Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 11).
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3. Die Abschiebungsandrohung hinsichtlich Griechenlands in Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheides sowie das auf 30 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot in Nummer 4 des streitgegenständlichen Bescheides sind damit ebenfalls rechtswidrig und aufzuheben. Die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung gemäß Nummer 5 des Bescheides ist nach dem Klageantrag schon nicht angegriffen und aufgrund dieser Entscheidung ohnehin hinfällig.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).