Titel:
Erlöschen einer Niederlassungserlaubnis
Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3, S. 4, Abs. 3 S. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 53, § 54 Abs. 1 Nr. 1
StaatenlosenÜ Art. 28
AufenthV § 1 Abs. 4, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Unter den Begriff der Ausreise fällt die freiwillige Ausreise, nicht aber eine staatlich veranlasste oder erzwungene Ausreise (BVerwG BeckRS 2012, 48824). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Aufenthaltstitel erlischt, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Auslandsaufenthalt auf unbestimmte Zeit angelegt ist bzw. der Betreffende seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert hat. Unschädlich im Hinblick auf § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG sind lediglich Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen (so BVerwG BeckRS 2013, 46725; VGH München BeckRS 2017, 102520). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG bezweckt, Ausländern, die durch einen langen rechtmäßigen Aufenthalt sozial und wirtschaftlich integriert sind, das Daueraufenthaltsrecht trotz eines längeren Auslandsaufenthalts zu erhalten, weil ihre Rückkehr im Regelfall keine Reintegrationsprobleme aufwirft (vgl. VGH Kassel BeckRS 2016, 44401). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erlöschen der Niederlassungserlaubnis, Ausweisung, Reiseausweis für Staatenlose, Aufenthaltstitel, Auslandsaufenthalte, Wiederholungsgefahr, Ausweisungsinteresse, Generalprävention, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Gefahrenprognose, eheliche Lebensgemeinschaft, Staatenlosenübereinkommen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.12.2021 – 19 ZB 21.2450
Fundstelle:
BeckRS 2021, 43059
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer sowie die Aufhebung einer Verfügung der Beklagten, mit der u.a. ein Erlöschen seiner Niederlassungserlaubnis festgestellt wurde und mit der der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde.
2
Der am … 1955 in … (…, Rumänien) geborene Kläger reiste am 20. Januar 1983 in das Bundesgebiet ein. Er ist gelernter Krankenpfleger. Zwei 1979 und 1981 geborene Söhne des Klägers leben nach dessen Angaben in Deutschland, ein weiteres vor seiner Einreise geborenes Kind nicht. Am 14. Juli 1993 heiratete er eine deutsche Staatsangehörige. Am 23. August 1996 wurde in dieser Ehe ein weiterer Sohn des Klägers geboren. Am 8. Februar 2011 wurde die Ehe geschieden. In einer Hauptverhandlung des Amtsgerichts … am 19. Mai 2011 gab der Kläger an, ein Grundstück und ein Haus in Rumänien zu haben (S. 6 der Begründung des Strafurteils des Amtsgerichts … vom 19. Mai 2011). Ende 2014 erklärte der Kläger gegenüber seiner Bewährungshelferin, sich viel in Rumänien aufzuhalten, um sich um das Erbe seiner Mutter zu kümmern. In einem Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers vom 5. Oktober 2015 an das Amtsgericht … gab dieser an, der Kläger habe in Rumänien 800 Hektar Ackerland geerbt.
3
Am 19. November 1998 wurde dem Kläger, der sich nach eigenen Angaben freiwillig aus der rumänischen Staatsangehörigkeit entlassen lassen hatte, ein bis 18. November 2008 gültiger und am 27. Dezember 2007 ein bis 26. Dezember 2017 gültiger Reiseausweis für Staatenlose ausgestellt. Laut Ausländerzentralregister wurde dem Kläger am 17. Februar 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die am 28. Januar 2008 in eine Niederlassungserlaubnis als Familienangehöriger von Deutschen nach § 28 Abs. 2 AufenthG übertragen wurde.
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Bis 2009 war der Kläger bereits mehrfach in Strafhaft. Er stand seit einer Haftentlassung am 17. August 2006 unter Führungsaufsicht, die sich insbesondere durch die Verbüßung weiterer Haftstrafen verlängerte und die bis heute andauert. Anfang 2009 verzog der Kläger unbekannt. Seine Ehefrau teilte gegenüber seiner Bewährungshelferin mit, dass er seit Januar 2009 nicht mehr bei ihr wohne. Gegenüber seiner Bewährungshelferin gab der Kläger zunächst telefonisch an, sich aufgrund einer selbständigen Tätigkeit abwechselnd in Rumänien und in Deutschland aufzuhalten. Später erklärte er, auf einer Ölbohrinsel zu leben und zu arbeiten. Nach eigener Einlassung in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht … am 19. Mai 2011 arbeitete der Kläger von Juni 2009 bis November 2010 in der Schweiz als Krankenpfleger. Er wurde am 18. November 2010 in Österreich als Fahrer eines Fahrzeugs mit einem amtlichem Schweizer Kennzeichen durch die österreichische Polizei kontrolliert und zur Grenze zur Bundesrepublik Deutschland begleitet. Laut Polizeibericht vom 25. November 2010 sei eine Einreise nach Deutschland aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht erfolgt. Ab dem 17. Dezember 2010 war der Kläger in einem Gasthof in … eingemietet. Am 16. Februar 2011 wurde der Kläger in einem Gasthof in … angetroffen und verhaftet. Vom 17. Februar 2011 bis zum 12. November 2012 befand sich der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland in Strafhaft. Ab dem 20. November 2012 befand sich der Kläger in Auslieferungshaft. Er wurde am 21. Januar 2013 an die Schweizer Behörden ausgeliefert und in der Schweiz inhaftiert, wo er wegen gewerbsmäßigen Betruges verurteilt wurde. Am 21. November 2013 wurde der Kläger durch die Schweizer Behörden wieder nach Deutschland überstellt. Danach wohnte er an unterschiedlichen Adressen, u.a. in Obdachlosenunterkünften, und wurde am 10. Februar 2015 von der Staatsanwaltschaft … zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Vom 16. Juni 2015 bis 25. Juli 2017 befand sich der Kläger erneut in der Bundesrepublik in Haft.
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Ein Rentenversicherungsverlauf vom 27. Juni 2018 weist für das Jahr 1982 zwei Monate, für das Jahr 1994 einen Monat, und vom 8. August 2007 bis 31. August 2008, mit gleichzeitigem Bezug von Arbeitslosengeld II, 13 Monate Pflichtbeitragszeiten aus. Der Kläger bezog darüber hinaus vom 26. November 2013 bis 31. Mai 2014 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Mit Schreiben vom 27. Juni 2018 teilte die Deutsche Rentenversicherung Bund mit, dass die Wartezeit für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw. für eine Regelaltersrente nicht erfüllt sei. Es seien 16 Monate zurückgelegt worden, daher fehlten noch 44 Monate. Seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am 25. Juli 2017 lebt der Kläger in einer Unterkunft der Wohnungslosenhilfe … Ausweislich einer Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 14. Dezember 2017 ist der Kläger im Bundesgebiet wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
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1. Amtsgericht …, Urteil vom 21.09.1989, Az. …, Betrug in Tatmehrheit mit Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen in Tatmehrheit mit Unterschlagung, 9 Monate Freiheitsstrafe (Bewährungszeit 3 Jahre)
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2. Amtsgericht …, Urteil vom 15.03.1993, Az. …, Betrug in drei Fällen, 3 Jahre Freiheitsstrafe
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3. Amtsgericht …, Urteil vom 20.01.2003, Az. …, Betrug in einem besonders schweren Fall in 2 Fällen und Betrug in 6 Fällen, nach Berufung durch das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Urteil vom 25.03.2003: 2 Jahre Gesamtfreiheitsstrafe, zur Bewährung ausgesetzt; Führungsaufsicht nach vollständiger Verbüßung der Strafe
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4. Amtsgericht …, Urteil vom 21.03.2005, Az. …, Betrug, 4 Monate Freiheitsstrafe
10
5. Amtsgericht …, Urteil vom 19.05.2011, Az. …, Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und Betrug in drei Fällen, 1 Jahr und 9 Monate Freiheitsstrafe
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6. Amtsgericht Nürnberg, Urteil vom 02.12.2015, Az. …, Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und Betrug in 3 Fällen, 2 Jahre Freiheitsstrafe Dem Urteil vom 2. Dezember 2015 lagen verschiedene Sachverhalte zu Grunde: Entgegen eines Beschlusses des Landgerichts … vom 31. August 2006 hatte sich der Kläger nicht monatlich bei seiner Bewährungshelferin gemeldet, sondern seinen Wohnsitz aufgegeben und den Kontakt abgebrochen. Ein Fahrzeug im Wert von 3.500 € sowie darlehensweise überlassenes Bargeld in Höhe von 700 € hatte der Kläger nicht zurückgegeben. Der Kläger hatte das Fahrzeug einer weiteren Person angeboten, die einen Kaufpreis von 900 € zahlte, ohne den Pkw zu bekommen. Der Kläger hatte sich von einem weiteren Geschädigten ein Mobiltelefon unter der Bedingung geliehen, die Telefongebühren zu zahlen. Die Kosten i.H.v. 500 € hatte der Kläger ebensowenig beglichen, wie er darlehensweise von der gleichen Person überlassenes Bargeld in Höhe von 720 € zurückgezahlt hatte. Das Strafgericht stellte für einen Teil der Taten fest, dass sich der Kläger durch die wiederholte Begehung von Straftaten eine Einkommensquelle von nicht nur untergeordneter Bedeutung verschaffen wollte.
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Mit Schreiben vom 13. Dezember 2017 hörte die Beklagte den Kläger zum beabsichtigten Erlass des streitgegenständlichen Bescheides an. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2017 erklärte der Bevollmächtigte des Klägers hierzu, der Kläger lebe seit 1993 rechtmäßig in Deutschland. Der Kläger sei zwischen 1989 und 2011 verheiratet gewesen. Seine drei Kinder lebten in Deutschland. Der Kläger werde im Falle der Ausweisung einer Ausreiseaufforderung aus gesundheitlichen Gründen nicht nachkommen. Die Ausstellung eines neuen Reiseausweises für Staatenlose sei für den Kläger unerlässlich. Mit Schreiben vom 4. Januar 2018 ergänzte er, der Kläger lebe seit mehr als 15 Jahren rechtmäßig in der Bundesrepublik, weswegen gemäß § 51 Abs. 2 AufenthG die Niederlassungserlaubnis nicht erloschen sei. Aufgrund erheblicher körperlicher Beeinträchtigungen sei er nicht mehr in der Lage, umfassend am Erwerbsleben teilzunehmen, weswegen die Beantragung einer Erwerbsminderungsrente beabsichtigt sei. Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen des § 53 AufenthG nicht vor. Der Kläger sei wegen keines Kapitaldelikts verurteilt. Sämtliche Familienmitglieder seien in Deutschland wohnhaft. Der Kläger befinde sich seit 35 Jahren und damit mehr als die Hälfte seines Lebens im Bundesgebiet. Seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seien geordnet. Ein Bezug zu anderen Staaten bestehe schon aufgrund der Staatenlosigkeit nicht. Deswegen liege auch ein tatsächliches Abschiebehindernis vor. Seine Niederlassungserlaubnis stelle ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 AufenthG dar. Ferner könne der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Er leide unter Diabetes mellitus Typ 2 und einer Herzerkrankung, aufgrund derer mehrere Herzoperationen durchgeführt worden seien. Im Februar 2018 werde ein neuerlicher Stent gesetzt und eine Leisten-OP durchgeführt. Seine Bleibeinteressen seien wesentlich überwiegend. Mit Schreiben vom 27. Februar 2018, 29. März 2018 und 28. Juni 2018 forderte der Bevollmächtigte des Klägers unter Wiederholung seiner Argumente die Beklagte erneut auf, einen Reiseausweis auszustellen. Der Kläger könne nirgendwohin abgeschoben werden. Die Verweigerung eines neuen Reisepasses bedeute für ihn erhebliche Schwierigkeiten, wie beim Eröffnen eines Kontos oder beim Abschluss eines Mietvertrags sowie bei der Beantragung von Rehaleistungen. Der Kläger habe aufgrund fehlender Personalpapiere Probleme bei Polizeikontrollen bekommen. Das Verhalten der Beklagten sei rechtsmissbräuchlich und könne Amtshaftungsansprüche nach sich ziehen.
13
Mit Bescheid vom 6. Juli 2018 stellte die Beklagte fest, dass die dem Kläger am 28. Januar 2008 erteilte Niederlassungserlaubnis spätestens zum 21. Juli 2013 erloschen ist (Ziffer I), wies den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer II), befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von 5 Jahren ab Abschiebung bzw. Ausreise (Ziffer III), und lehnte die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ab (Ziffer IV).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Niederlassungserlaubnis des Klägers sei nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG spätestens zum 21. Juli 2013 erloschen. Der Kläger habe sich von Februar 2009 bis November 2010 und von 21. Januar 2013 bis 20. November 2013 jeweils länger als sechs Monate in der Schweiz aufgehalten. Eine Ausnahme nach § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG sei nicht gegeben. Die Prognoseentscheidung zur Lebensunterhaltssicherung für die Zeit nach der Wiedereinreise falle negativ aus, da der Kläger vom 26. November 2013 bis 31. Mai 2014 Leistungen nach dem SGB II erhalten habe und der Versicherungsverlauf nur geringe zu berücksichtigende Zeiten aufweise.
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Zur Ausweisung führte die Beklagte aus, der Kläger habe erheblich gegen die hier geltende Rechtsordnung verstoßen. Er gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erheblichem Maße. Mit der Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 2. Dezember 2015 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren liege beim Kläger ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Der Kläger werde aus generalpräventiven Gründen zur Abschreckung anderer Ausländer von der Begehung von Straftaten ausgewiesen. Die Ausweisung werde aber auch auf spezialpräventive Gesichtspunkte gestützt. Der Kläger sei seit 1988 regelmäßig wiederholt und einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten und er sei Bewährungsversager mit Hafterfahrung. Das Verhalten des Klägers lasse darauf schließen, dass bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet weitere Straftaten drohen würden. Der Kläger sei kaum einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, sondern habe zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes Straftaten mit teils erschreckend hohen Schadenssummen begangen. Ein Bleibeinteresse könne der Kläger nicht geltend machen. Es werde gesehen, dass sich der Kläger seit 1983 überwiegend im Bundesgebiet aufhalte und seine Kinder hier lebten. Diese seien jedoch volljährig und führten ein eigenes Leben. Die Ausweisungsentscheidung verstoße auch nicht gegen Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK. Über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sei nach Ermessen entschieden worden. Aufgrund der Verurteilung wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren könne eine Ausweisungsfrist von über 5 Jahren festgesetzt werden. Das strafrechtlich geahndete persönliche Verhalten des Klägers begründe eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft. Unter Abwägung aller für und gegen den Kläger sprechenden Umstände werde die Wirkung der Ausweisung auf die Dauer von 5 Jahren befristet.
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Ein Reiseausweis für Staatenlose könne nicht ausgestellt werden, da sich der Kläger nicht rechtmäßig i.S.d. Art. 28 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen in der Bundesrepublik aufhalte. Seine Niederlassungserlaubnis sei erloschen. Der Ausstellung eines Reiseausweises stünden auch zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung entgegen, da ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliege. Es laufe öffentlichen Interessen zuwider, wenn einem ausgewiesenen Ausländer ein Reiseausweis für Staatenlose ausgestellt werde, der sowohl die Ausreise als auch die Rückkehr ermögliche. Das mit der Ausweisung verfolgte Ziel, nämlich die Fernhaltung des Klägers aus dem Bundesgebiet für einen gewissen Zeitraum, werde mit der Ausstellung eines Reiseausweises an ihn unterlaufen. Der Tatsache, dass der Kläger staatenlos sei, werde mit der Ausstellung einer Duldung begegnet.
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Mit Schriftsatz vom 10. August 2018 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erhoben und beantragt,
Der Bescheid vom 06.07.2018, zugegangen am 10.07.2018, durch die Beklagte wird aufgehoben.
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Außerdem hat er beantragt,
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger einen Reiseausweis für Ausländer zu erteilen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bescheid sei wegen evidenter Widersprüchlichkeit rechtswidrig. Der Kläger sei aus der Bundesrepublik ausgewiesen, gleichwohl sei ihm eine Duldung erteilt worden. Ihm sei der Aufenthalt in der Bundesrepublik untersagt, jedoch sein Aufenthalt auf den Freistaat Bayern beschränkt worden. Die rechtswidrige Aufhebung seiner Niederlassungserlaubnis begründe den Anspruch auf Erteilung eines Reisepasses.
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Mit Schriftsatz vom 17. August 2018 ist die Beklagte der Klage entgegengetreten und hat beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen.
21
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
22
Mit Schriftsatz vom 22. August 2018 erklärte die Regierung von Mittelfranken, dass sie sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren beteilige. Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2020 trat sie der Auffassung der Beklagten bei. Die Niederlassungserlaubnis sei bereits 2009, spätestens jedenfalls 2013 gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG seien nicht erfüllt. Der Kläger habe nach seiner Wiedereinreise in die Bundesrepublik Leistungen nach dem SGB II bezogen und sei bis zum 25. Juli 2017 wieder in Haft gewesen. Ein gesicherter Lebensunterhalt sei somit nicht gegeben. Die für eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG erforderliche Gefährdungslage sei gegeben. Nach der letzten Verurteilung vom 2. Dezember 2015 durch das Amtsgericht … sei von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen. Ein Blick auf die Biographie des Klägers zeige, dass er seit 1989 mehrfach massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Diese Verurteilungen habe er sich nicht als Warnung dienen lassen. Die Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Es liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor. Ein besonders schwerwiegendes bzw. schwerwiegendes Bleibeinteresse liege dagegen nicht vor. Dem Kläger sei es trotz seiner langen Aufenthaltsdauer in Deutschland nicht gelungen, sich umfassend wirtschaftlich und beruflich zu integrieren. Der Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung vom 27. Juni 2018 weise für den Kläger für die gesamte Dauer seines Aufenthalts lediglich eine Versicherungszeit von 23 Monaten auf, wobei ein Großteil der anzurechnenden Zeit auf den Bezug von Arbeitslosengeld II entfalle. Auch die mehrfachen Aufenthalte des Klägers in der Schweiz zeigten, dass der Kläger keine enge Bindung zu Deutschland habe, sondern seinen Aufenthaltsort nach sich ihm bietenden Gelegenheiten auswähle. Die Ausweisung greife nicht in unverhältnismäßiger Weise in den Schutzbereich von Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK ein. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose erfülle der Kläger nicht. Da seine Niederlassungserlaubnis erloschen sei, halte er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Eine Erteilung einer neuen Aufenthaltserlaubnis sei gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ausgeschlossen.
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Mit Schreiben vom 24. März 2021 erklärte die … …, in deren Einrichtung der Kläger lebt, dass der Kläger ohne gültiges Ausweisdokument nicht in der Lage sei, seine Rechte vollumfänglich wahrzunehmen. Er könne nicht aus der Einrichtung ausziehen, weil er ohne ein Dokument keine Sozialleistungen beantragen könne. Der Bezirk Mittelfranken, der derzeit Sozialleistungen gewähre, wolle dies nicht auf Dauer tun.
24
Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2021 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten beantragen. Im selben Schriftsatz führte der Bevollmächtigte aus, der Kläger sei seit drei Jahren in einer Beziehung und unterhalte regelmäßige Kontakte zu seinen drei Kindern und zwei Enkelkindern. Der Kläger sei über weite Strecken seines Aufenthaltes in Deutschland im Bereich der Altenpflege selbständig gewesen. Hierzu habe er ein Unternehmen mit seiner damaligen Ehefrau unterhalten. Mit Unterbrechungen habe der Kläger im Bereich der Altenpflege in der Schweiz gearbeitet, ohne hierbei jedoch seinen Wohnsitz zu verlegen. Während seiner Arbeitstätigkeit in der Schweiz sei er alle vierzehn Tage zurück nach Deutschland gereist und habe sich jeweils bei einem Sohn, seiner Ehefrau oder einem Bekannten aufgehalten. Der Kläger leide unter verschiedenen Krankheiten (Diabetes Typ 2, arthritische Hüfteinschränkungen, operationsbedürftige Lymphknoten im Bauchraum, anstehende weitere Stentoperation, vergangene Herzinfarkte und zwei Schlaganfälle). Der Kläger sei derzeit bei … untergekommen, wo er sich im Rahmen seiner gesundheitlichen Möglichkeiten engagiere und Fahrdienst- und Dolmetschertätigkeiten u.a. für Rumänisch erledige. Er halte sich an alle Bewährungsauflagen. Der Erlöschenstatbestand nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG liege nicht vor. Der Kläger habe sich entgegen der Darstellung der Beklagten von Februar 2009 bis November 2010 nicht in der Schweiz aufgehalten, sondern sei dort nur einer Arbeitstätigkeit nachgegangen, wobei er regelmäßig nach Deutschland zurückgekehrt sei. Mit Hinweis auf § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG sei darzustellen, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert gewesen sei. Er sei größtenteils selbständig, aber auch zeitweilig in Anstellung tätig gewesen. Er sei durchgängig krankenversichert gewesen und habe für seinen Lebensunterhalt aufkommen können. Die Darstellung, dass der Kläger von Dezember 2013 bis Mai 2014 Leistungen nach SGB II erhalten habe, sei nicht gleichbedeutend mit einer Prognose der fehlenden Lebensunterhaltssicherung. Ein Ausweisungsgrund gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG liege nicht vor. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung fehle es dem Vortrag der Beklagten an Substanz. Die Voraussetzungen nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG seien nicht gegeben. Aus der Formulierung „mindestens“ in dieser Vorschrift sei zu entnehmen, dass die Verwirklichung von Vergehenstatbeständen nicht automatisch ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründe. Der Kläger habe ein zu berücksichtigendes Interesse gemäß § 55 AufenthG, da seine Niederlassungserlaubnis nicht erloschen sei und hilfsweise, da er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG habe, da der Kläger staatenlos und nicht vollziehbar ausreisepflichtig sei. Der Kläger habe eine starke persönliche und wirtschaftliche Bindung zu Deutschland. Ein großer Teil der Familie lebe in Deutschland, ebenso wie seine Lebensgefährtin. Es sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger seit 2015 vorbildlich führe und keine Straftaten mehr begangen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass eine 2015 begangene Straftat erst fast drei Jahre später zu einer Reaktion der Beklagten geführt habe. Bei der Interessenabwägung sei die erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers zu berücksichtigen. Eine generalpräventive Argumentation sei prinzipiell abzulehnen. Aufgrund der niederschwelligen Art der Vergehen des Klägers könne kein potentieller Straftäter eine Warnung in ausländerrechtlichen Maßnahmen gegen den Kläger erkennen. Die dem Kläger zur Last gelegten Straftaten basierten auf Tauschgeschäften. Ein potentieller Straftäter könne nicht erkennen, dass ein strafrechtlich relevantes Verhalten durch Geschäftstätigkeit vorliegen könne. Eine Wiederholungsgefahr liege nicht vor. Diesbezüglich werde auf die Einschätzung der Bewährungshilfe verwiesen, die ein niedriges Rückfallrisiko annehme. Nur die Tatsache, dass es gelegentlich Bezug von Sozialleistungen gab, sei kein Beleg dafür, dass der Kläger keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Die Beklagte habe die momentane Straflosigkeit des Klägers nicht berücksichtigt. Da auch eine Gefährdung höchster Rechtsgüter nicht gegeben sei, erscheine die Maßnahme als überzogen und unverhältnismäßig. Eine Vereinbarkeit mit Art. 31 StlÜbk liege nicht vor. Der Kläger habe einen Anspruch auf die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose. Der Kläger habe eine Niederlassungserlaubnis, hilfsweise einen Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung stünden der Ausstellung nicht entgegen. Dem Beklagten werde die Möglichkeit zum Nachweis seiner eigenen Identität genommen. Dem Kläger seien bislang weder eine Duldung ausgestellt noch etwaige Dokumente übermittelt worden.
25
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Behörden- und auf die Gerichtsakte sowie auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
26
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Feststellung, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers erloschen ist, die Ausweisung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot sind nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 S. 1 AufenthG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose (§ 113 Abs. 5 VwGO).
27
Die in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Feststellung des Erlöschens der dem Kläger am 17. Februar 2000 unbefristet erteilten und später als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden (§ 101 Abs. 1 S. 1 AufenthG) Aufenthaltserlaubnis ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Niederlassungserlaubnis ist mit der Übersiedelung des Klägers in die Schweiz spätestens im Juni 2009 jedenfalls gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen.
28
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausreist. Unter den Begriff der Ausreise fällt die freiwillige Ausreise, nicht aber eine staatlich veranlasste oder erzwungene Ausreise (BVerwG, U.v. 17.1.2012 - 1 C 1/11 - juris Rn. 6; Hailbronner/Hailbronner, Stand Mai 2021, § 51 AufenthG Rn. 22). Zweck der Erlöschenstatbestände in § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG ist es, die Aufenthaltstitel in den Fällen zum Erlöschen zu bringen, in denen das Verhalten des Ausländers typischerweise den Schluss rechtfertigt, dass er von seinem Aufenthaltsrecht keinen Gebrauch mehr machen will; es soll Rechtsklarheit geschaffen werden, ob ein Ausländer, der für längere Zeit ausreist, seinen Aufenthaltstitel weiter besitzt, und im Sinne einer effektiven Steuerung der Migration einer zeitlich unbegrenzten Möglichkeit der Abwesenheit und Wiedereinreise entgegen gewirkt werden (BVerwG, U.v. 17.1.2012 - 1 C 1/11 - juris Rn. 9).
29
Ob ein Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausreist, bestimmt sich nicht nach dem inneren Willen des Ausländers, sondern nach den Gesamtumständen des Einzelfalles, zu denen u.a. auch die Dauer der Abwesenheit gehört (Hailbronner/Hailbronner, Stand Mai 2021, § 51 AufenthG Rn. 23). Der Aufenthaltstitel erlischt, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Auslandsaufenthalt auf unbestimmte Zeit angelegt ist bzw. der Betreffende seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert hat (Hailbronner/Hailbronner, Stand Mai 2021, § 51 AufenthG Rn. 23 m.N.). Unschädlich im Hinblick auf § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG sind lediglich Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen (BVerwG, U.v. 11.12.2012 - 1 C 15/11 - juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 17.1 .2017 - 10 ZB 15.1706 - juris Rn. 6).
30
Der Kläger begann nach eigenen - insbesondere in Bezug auf die Erwerbstätigkeit unbelegten - Angaben im Juni 2009 damit, in der Schweiz als Krankenpfleger zu arbeiten. Damit hat er seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlagert, ohne dass eine zeitliche Begrenzung dieser Verlagerung nach den objektiven Umständen des Einzelfalles erkennbar gewesen wäre. Für die Verlagerung des Lebensmittelpunktes spricht nicht nur die Aufnahme der Erwerbstätigkeit an einem mehrere hundert Kilometer entfernten Ort. Sie ergibt sich im vorliegenden Fall insbesondere auch daraus, dass der Kläger zwischen Januar 2009 und April 2009 fast alle Bezüge zur Bundesrepublik aufgab. So wohnte er ab Januar 2009 nicht mehr bei seiner Ehefrau, verlor auch seine Nebenwohnung und hatte bis April 2009 nur noch telefonisch und danach gar keinen Kontakt mehr mit seiner Bewährungshelferin (vgl. Führungsaufsichtsbericht der Bewährungshelferin vom 17. April 2009). Der Abbruch des Kontaktes zur Bewährungshelferin spricht auch deswegen für eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes, da der Kläger aufgrund der Missachtung der strafrechtlichen Weisungen bei einer von den Behörden bemerkten Rückkehr in die Bundesrepublik negative Konsequenzen zu erwarten gehabt hätte (was sich rückblickend aufgrund der baldigen Verhaftung nach Rückkehr und der Verurteilung vom 19.05.2011 u.a. wegen Verstoß gegen Weisungen als zutreffend erweist). Im Übrigen sprich auch der - nicht belegte - Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 27. Juli 2021, er habe vierzehntägig einen Sohn, seine Ehefrau oder einen Bekannten im Bundesgebiet besucht, nicht gegen die Annahme einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes. Denn anders als ein Wochenpendler, der nur zur Arbeit in ein anderes Land fährt und dort u.U. eine Zweitwohnung unterhält, hat der Kläger jedenfalls auch nach diesem Vortrag nicht etwa eine Wohnung im Bundesgebiet beibehalten, sondern sich wechselnd an unterschiedlichen Orten höchstens besuchsweise im Bundesgebiet aufgehalten. Auch in zeitlicher Hinsicht kann bei einem Besuch aller 14 Tage bei ansonsten gegebener Erwerbstätigkeit in der Schweiz nicht von der Beibehaltung des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet die Rede sein. Darüber hinaus spricht bei der Aufnahme einer Berufstätigkeit als Krankenpfleger nichts dafür, dass der Zweck des Aufenthaltes in der Schweiz nur vorübergehender Natur war. Im Gegenteil spricht einiges dafür, dass der Kläger die Schweiz nur deswegen nach ca. einem halben Jahr wieder verlassen hat, weil er sich einer im Laufe des Aufenthaltes in der Schweiz entstandenen Gefahr strafrechtlicher Verfolgung entziehen wollte, und den Entschluss zur Rückkehr damit nachträglich gefasst hat. Dies lässt sich jedenfalls aus der Tatsache schließen, dass der Kläger sehr bald nach seiner Rückkehr nach Deutschland von hier in die Schweiz ausgeliefert wurde, wo er sofort inhaftiert und wegen gewerbsmäßigen Betruges verurteilt wurde.
31
Der Kläger kann sich auch nicht auf § 51 Abs. 2 AufenthG berufen.
32
Nach § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 oder nach § 54 Abs. 2 Nr. 5 bis 7 AufenthG besteht. Die Vorschrift bezweckt, Ausländern, die durch einen langen rechtmäßigen Aufenthalt sozial und wirtschaftlich integriert sind, das Daueraufenthaltsrecht trotz eines längeren Auslandsaufenthalts zu erhalten, weil ihre Rückkehr im Regelfall keine Reintegrationsprobleme aufwirft (HessVGH, B.v. 2.3.2016 - 9 B 1756/15 - juris Rn. 7). Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 S. 1 AufenthG sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar hielt sich der Kläger bis zur Ausreise im Jahr 2009 mehr als 15 Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger auch vor der Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Jahr 2000, mindestens nach der Hochzeit mit einer deutschen Staatsangehörigen im Jahr 1993, befristete Aufenthaltserlaubnisse innegehabt hat. Allerdings war sein Lebensunterhalt nicht gesichert. Maßgeblich für die Prognoseentscheidung, ob der Lebensunterhalt eines Ausländers im Fall seiner Wiedereinreise gesichert ist, ist der Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen, hier also der Ausreise i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, und nicht der der Wiedereinreise; Zweifel gehen dabei zu Lasten des Ausländers (BayVGH, B.v. 25.7.2019 - 19 ZB 17.1149 - juris Rn. 13; Hailbronner/Hailbronner, Stand Mai 2021, § 51 AufenthG Rn. 47). Schon der Rentenversicherungsverlauf des Klägers zeigt, dass eine Lebensunterhaltssicherung bei Ausreise im Jahr 2009 nicht gegeben war. Denn seit 31. August 2008 ist der Kläger keiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Aber auch der - unbelegte - Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers, er sei über weite Strecken seines Aufenthaltes in Deutschland selbständig tätig gewesen und habe hierzu ein Unternehmen mit seiner damaligen Ehefrau unterhalten, ist nicht geeignet, die Annahme der Sicherung des Lebensunterhaltes für den Fall der Wiedereinreise zu stützen. Unabhängig davon, ob die Ehefrau des Klägers überhaupt bereit gewesen wäre, die Unternehmensführung mit ihm gemeinsam fortzusetzen, nachdem er im Januar 2009 bei ihr ausgezogen war und das Ehepaar am 8. Februar 2011 geschieden wurde, stand jedenfalls die Tatsache, dass der Wegzug in die Schweiz einen Verstoß gegen die Führungsaufsicht darstellte und für den Fall der Rückkehr in die Bundesrepublik eine erneute Inhaftierung drohte (die im Februar 2011 bald nach der Rückkehr auch erfolgte) und dass damit der Wegfall der Möglichkeit der Aufnahme irgendeiner Erwerbstätigkeit schon bei der Ausreise absehbar war, der Prognose einer Lebensunterhaltssicherung entgegen. Der Einwand des Bevollmächtigten des Klägers, der Kläger sei durchgängig krankenversichert gewesen und habe keine Sozialleistungen in Anspruch genommen, greift ebenfalls nicht durch, da allein das Bestehens eines Sozialleistungsanspruchs den Lebensunterhalt als nicht gesichert erscheinen lässt und es unerheblich ist, ob Sozialleistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden (BVerwG, U.v. 26.8.2008 - 1 C 32/07 - juris Rn. 21).
33
Eine Ausnahme nach § 51 Abs. 2 S. 2 AufenthG ist nicht gegeben, da die eheliche Lebensgemeinschaft mit Auszug aus der gemeinsamen Wohnung im Januar 2009 aufgehoben wurde. Die eheliche Lebensgemeinschaft wurde auch nicht wiederhergestellt, da der Kläger nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik zunächst in zwei verschiedenen Hotels wohnte und dann inhaftiert wurde. Die Ehe wurde am 8. Februar 2011 auch geschieden.
34
Auch die in Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Juli 2018 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 16; U.v. 30.7.2013 - 1 C 9.12 - juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 25.8.2014 - 10 B 13.715 - juris Rn. 37). Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
35
Die Beklagte ist im Fall des Klägers aufgrund der Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 19. Mai 2015 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und Betrugs in 3 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zutreffend von einem vertypten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ausgegangen. Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers kommt es schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht auf das Mindestmaß der angewandten Strafvorschriften, sondern auf das tatsächlich verhängte Strafmaß an. Auch ist die Art des Delikts im Rahmen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kein im Gesetz vorzufindendes Differenzierungskriterium (anders als bei Nr. 1a, 1b), sondern die Vorschrift erfasst auch reine Vermögensstraftaten. Die vom Bevollmächtigten des Klägers angesprochene Zeitspanne zwischen der Verurteilung und dem Erlass des Ausweisungsbescheides von knapp drei Jahren ist unschädlich. Ein Ausweisungsinteresse kann grundsätzlich nur als verbraucht angesehen werden, wenn die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 39). Allein ein Zeitablauf, wie vorliegend, begründet kein entsprechendes berechtigtes Vertrauen.
36
Die Kammer geht mit der Beklagten davon aus, dass der weitere Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG gefährdet. Die Beklagte hat die Ausweisung zutreffend spezialpräventiv und generalpräventiv begründet.
37
Die spezialpräventiven Überlegungen der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris, Rn. 18; vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 16. März 2016 - 10 ZB 15.2109 -, juris Rn. 18). Dabei sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Es gibt daher auch die vom Bevollmächtigten des Klägers behauptete Einschätzungsprärogative der Bewährungshilfe nicht. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris, Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 31).
38
Gemessen an diesen Grundsätzen geht die Kammer mit der Beklagten davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Gefahrenprognose wird konkret durch das Verhalten des Klägers im Bundesgebiet getragen. Anlass für die Ausweisung ist die Verurteilung des Klägers wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und Betrugs in drei Fällen vom 2. Dezember 2015 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Dem Urteil lag zu Grunde, dass der Kläger entgegen einer Weisung im Beschluss des Landgerichts … vom 31. August 2006, sich monatlich bei der Bewährungshelferin zu melden und Wohnsitzwechsel anzuzeigen, von Oktober 2014 bis Dezember 2014 Termine bei seiner Bewährungshelferin nicht wahrnahm und seinen Wohnsitz ohne Meldung aufgab. Außerdem gab der Kläger zwischen dem 26. Januar und 16. April 2015 darlehensweise überlassenes Bargeld in Höhe von 700 € und einen leihweise überlassenen Pkw im Wert von 3.500 € nicht zurück. Den Pkw bot er am 12. Februar 2015 einer weiteren Geschädigten an, die 900 € zahlte, aber den Pkw nicht erhielt. Ein weiterer Geschädigter überließ dem Kläger darlehensweise insgesamt 720 € Bargeld und leihweise ein Mobiltelefon mit der Vereinbarung, dass der Kläger die Telefongebühren zahlen sollte. Der Kläger verursachte Kosten in Höhe von 500 €, die er ebensowenig beglich wie er das Bargeld zurückzahlte. Das Strafgericht wertete insbesondere die Vorstrafen des Klägers und die Tatsache, dass er „das Vertrauen der Geschädigten schamlos ausgenutzt hat“, zu seinen Lasten. Zwar handelt es sich bei den vom Kläger bisher begangenen Delikten überwiegend um reine Vermögensdelikte. Allerdings spricht insbesondere die wiederholte Straffälligkeit über einen langen Zeitraum ab 1989, trotz zwischenzeitlicher mehrjähriger Pausen zwischen den strafgerichtlichen Verurteilungen, für eine hohe Wiederholungsgefahr auch in Zukunft. Selbst eine Verurteilung des Klägers am 19.05.2011 wegen sehr ähnlicher Taten, seine vielfache Hafterfahrung und sogar die Führungsaufsicht haben den Kläger nicht davon abhalten können, die Straftaten zu begehen. Hinzu kommt im Übrigen, dass der Kläger versucht, seine Straftaten herunterzuspielen, indem er im Schriftsatz vom 27. Juli 2021 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2021 durch seinen Bevollmächtigten vortragen ließ, er sei lediglich wirtschaftlich tätig gewesen, in gewissen Konstellationen sei jedoch der erwünschte Erfolg ausgeblieben und er habe daher die nachher Geschädigten nicht ausbezahlen können, was ihm strafrechtlich als Betrug ausgelegt worden sei. Diese Äußerungen sprechen gegen eine Schuldeinsicht und sind ein weiterer Anhaltspunkt für die Prognose einer Wiederholungsgefahr. Auch wenn der Kläger nach der Verurteilung im Jahr 2015, soweit ersichtlich, keine Straftaten mehr begangen hat, ist bei der Prognose ist bei der Prognose insoweit zu berücksichtigen, dass der Kläger die Zeit bis Juli 2017 in Haft verbracht hat. Zudem steht der Kläger bis heute unter Führungsaufsicht und damit unter einem gewissen Legalbewährungsdruck. Zu diesem trägt zusätzlich bei, dass dem Kläger mit der Anhörung zur streitgegenständlichen Ausweisung mit Schreiben vom 13. Dezember 2017 vor Augen geführt wurde, dass strafrechtlich relevantes Verhalten weitere, ausländerrechtliche Konsequenzen haben kann (vgl. zum Legalbewährungsdruck durch ein laufendes Ausweisungsverfahren BayVGH, B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 - Rn. 37). Die Straffreiheit nach der Verurteilung im Jahr 2015 hat daher nur geringe Aussagekraft und ist angesichts der übrigen Umstände nicht geeignet, die Prognose der Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen. Ebensowenig hat die Einschätzung der Bewährungshelferin in ihrem Bericht vom 9. Juni 2020 (Anlage K3 zum klägerischen Schriftsatz vom 27. Juli 2021) angesichts der vorstehenden Ausführungen ausschlaggebendes Gewicht, zumal sie über ein Jahr alt ist und keine aktuelle Gefährdungseinschätzung darstellt. Auch der Bericht vom 26. Juli 2021 (Anlage K4 zum klägerischen Schriftsatz vom 27. Juli 2021) enthält lediglich die Aussage, dass keine Straftaten bekannt wurden und dass die Führungsaufsicht regulär (d.h. durch Zeitablauf) beendet werde.
39
Darüber hinaus hat die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise auch eine generalpräventive Funktion der Ausweisung des Klägers bejaht. Der Einwand des Bevollmächtigten des Klägers, generalpräventive Erwägungen seien dem deutschen Strafrecht aus gutem Grund fremd, trägt schon allein aufgrund der grundlegenden Unterschiede zwischen ausländerrechtlichem Verwaltungsverfahren und Strafverfahren nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat zuletzt in den Urteilen vom 12. Juli 2018 und 9. Mai 2019 entschieden, dass sich auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht mit generalpräventiven Gründen ein Ausweisungsinteresse begründen lässt (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 1 C 21.18 - juris Rn. 17). Zudem gehört der Kläger nicht zu den durch § 53 Abs. 3, Abs. 3a oder Abs. 3b AufenthG privilegierten Personengruppen, so dass auch insoweit das Abstellen auf generalpräventive Gründe nicht ausgeschlossen ist. Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass - über eine ggf. erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus - ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten, im öffentlichen Interesse liegende Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (BVerfG, B.v. 21.3.1985 - 2 BvR 1642/83 - juris Rn. 24).
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Auch die konkreten generalpräventiven Erwägungen der Beklagten sind vorliegend nicht zu beanstanden. Es ist zu erwarten, dass es nicht ohne Wirkung auf andere Ausländer bliebe, wenn eine Person, die wie der Kläger immer wieder eine Vielzahl von Straftaten begangen hat, seit August 2006 sogar wiederholt unter laufender Führungsaufsicht, und dafür vielfach Haftstrafen verbüßt hat, nicht auch mit ausländerrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätte. Es muss auch anderen Ausländern deutlich vor Augen geführt werden, dass ein Verhalten, wie vom Kläger gezeigt, nicht hingenommen werden kann und auch ausländerrechtliche Konsequenzen hat. Daran ändert entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers weder die Art der Taten noch der Charakter ihrer Begehungsweise etwas. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob einzelne Tathandlungen für einen unbeteiligten Dritten möglicherweise nicht unmittelbar als strafbare Handlungen erkennbar sind. Entscheidend ist, dass der Aufenthalt eines mehrfach verurteilten Straftäters auch aus generalpräventiven Gründen i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Es besteht ein besonderes Bedürfnis, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art abzuhalten.
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Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG, des Art. 8 EMRK und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegt. Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.
42
Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht im vorliegenden Fall ein vertyptes (besonders) schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG nicht entgegen. Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers besitzt dieser weder einen Aufenthaltstitel (die Niederlassungserlaubnis ist erloschen, s.o.), noch kann er sich - entgegen dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten - wegen eines vermeintlichen Anspruches auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG auf eine der Nummern des § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG berufen. Es kann dahinstehen, ob ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis oder die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege nach § 25 Abs. 5 AufenthG überhaupt geeignet ist, ein Bleibeinteresse i.S.d. § 55 AufenthG zu begründen. Einer Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht jedenfalls das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG entgegen. Der Lebensunterhalt des Klägers ist nicht gesichert, es liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor (s.o.) und der Kläger erfüllt auch die Passpflicht nach § 3 AufenthG nicht.
43
Die Beklagte hat in die Abwägung zudem nach § 53 Abs. 2 AufenthG zutreffend eingestellt, dass sich der Kläger seit 1983 überwiegend im Bundesgebiet aufhält und dass erwachsene Kinder des Klägers im Bundesgebiet leben. Auch dass die Lebensgefährtin des Klägers in Deutschland lebt, ist grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn auch am Gewicht der Bindung einige Zweifel bestehen, da der Kläger in … in einer Obdachlosenunterkunft und die Lebensgefährtin, wie u.a. vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, in … lebt. Die Beklagte hat aber auch zu Recht gewürdigt, dass der Kläger in einer Obdachlosenunterkunft lebt und eine wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik offensichtlich nicht erkennbar ist. Daran ändert auch das Engagement des Klägers in Form von Fahr- und Übersetzerdiensten nichts, das im Übrigen laut des Berichts der Bewährungshelferin vom 9. Juni 2020 zwischenzeitlich aufgrund gesundheitlicher Probleme aufgegeben wurde (Anlage K3 zum klägerischen Schriftsatz vom 27. Juli 2021). Hinzu kommt, dass die Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund des autonomen Entschlusses des Klägers im Jahre 2009, seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz zu verlagern, abgeschwächt erscheinen. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten führt auch die Unmöglichkeit der Abschiebung des Klägers aufgrund seiner Staaten- und Passlosigkeit nicht zu einem Überwiegen der Bleibeinteressen im Rahmen der vorzunehmenden Abwägungsentscheidung. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Kläger zwar nicht im Besitz eines Reisedokuments ist; insbesondere nachdem der Kläger sich freiwillig aus der rumänischen Staatsbürgerschaft entlassen lassen hat, kommt diesem Aspekt jedenfalls kein überwiegendes Gewicht zu. Im Rahmen einer Gesamtabwägung kommt die Kammer damit unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu dem Ergebnis, dass vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
44
Im Übrigen ist die Ausweisung auch nicht, wie durch den Bevollmächtigten bereits im Klageschriftsatz vom 10. August 2018 geltend gemacht, in sich widersprüchlich oder durch den Kläger nicht umsetzbar. Eine Ausweisung hat insbesondere zu Folge, dass eventuell vorhandene Aufenthaltstitel erlöschen (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und der Ausländer ggf. ausreisepflichtig wird (§ 50 Abs. 1 AufenthG) und ist mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot zu verbinden (§ 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AufenthG), was zusätzlich insbesondere eine Titelerteilungssperre nach sich zieht (§ 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG). Eine Duldung (die von Amts wegen zu erteilen ist, BVerwG, U.v. 21.3.2000 - 1 C 23/99 - juris Rn. 17; U.v. 18.12.2019 - 1 C 34/18 - juris Rn. 24) bzw. das Vorliegen von Duldungsgründen hindert lediglich die Abschiebung als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung, lässt aber die Ausreisepflicht und deren Vollziehbarkeit unberührt (§ 60a Abs. 3 AufenthG). Daher ist die Erteilung einer Duldung kein Widerspruch zu einer Ausweisung (vgl. zu zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen BayVGH, B.v. 16.4.2020 - 10 ZB 20.536 - juris Rn. 11). Ebenso steht ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht im Widerspruch zu einer Duldung, da das Einreise- und Aufenthaltsverbot seine Wirkungen grundsätzlich erst ab einer Ausreise oder Abschiebung entfaltet.
45
Das von der Beklagten in Ziffer III auf die Dauer von 5 Jahren ab Verlassen des Bundesgebiets befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begegnet auch unter allen sonstigen denkbaren Gesichtspunkten keinen Bedenken. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot hat nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass der Kläger nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Ihm darf selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AufenthG von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist mit der Ausreise zu laufen beginnt. Über die Länge der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten darf, wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrwirkung muss sich dabei an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 - 10 B 13.715 - juris Rn. 56). Gemessen an diesen Vorgaben sind Ermessensfehler insoweit nicht ersichtlich. Die Beklagte hat das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck herausgearbeitet und ist beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Befristung von 5 Jahren angemessen ist. Dass nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG das Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 6. Juli 2018 nicht fehlerhaft, jedenfalls da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage in der behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verlängerung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer enthalten war (BVerwG, U.v. 25.7.2017 - 1 C 13.17 - juris Rn. 23).
46
Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose i.S.d. § 1 Abs. 4, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthV.
47
Ein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose ergibt sich nicht aus Art. 28 S. 1 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (StlÜbk). Nach dieser Vorschrift stellen die Vertragsstaaten Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen außerhalb dieses Hoheitsgebiets gestatten, es sei denn, daß zwingende Gründe der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.
48
Zu Recht hat die Beklagte die Ausstellung des Reiseausweises mit der Begründung versagt, dass der Aufenthalt des Klägers nicht rechtmäßig ist. Seine Niederlassungserlaubnis ist erloschen (s.o.). Eine Duldung begründet keinen rechtmäßigen Aufenthalt, da sie die Ausreisepflicht nicht entfallen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 16.10.1990 - 1 C 15/88 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 2.4.2007 - 19 ZB 06.2317 - juris Rn. 10 f.). Unerheblich ist auch, ob ein anderer Staat bereit wäre, den Ausländer aufzunehmen (BVerwG, U.v. 16.10.1990 - 1 C 15/88 - juris Rn. 24). Die bloße faktische Anwesenheit eines Ausländers genügt auch dann nicht, wenn sie vom Vertragsstaat hingenommen wird, sondern ein rechtmäßiger Aufenthalt liegt nur dann vor, wenn eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde oder eine solche aufgrund von Ausnahmevorschriften entbehrlich ist (BVerwG, U.v. 17.3.2004 - 1 C 1/03 - juris Rn. 19 f.). Eine Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes ergibt sich auch nicht, wie vom Bevollmächtigten des Klägers vorgetragen, aus einem vermeintlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Ein solcher Anspruch besteht, wie oben ausgeführt, nicht. Darüber hinaus begründet zumindest ein bloßer Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung keinen rechtmäßigen Aufenthalt i.S.d. Art. 28 S. 1 StlÜbk (BVerwG, U.v. 16.10.1990 - 1 C 15/88 - juris Rn. 26).
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Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 S. 2 StlÜbk aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null. Nach Art. 28 S. 2 StlÜbk können die Vertragsstaaten auch jedem anderen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen einen Reiseausweis für Ausländer ausstellen; sie werden insbesondere wohlwollend die Möglichkeit prüfen, solche Reiseausweise denjenigen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen auszustellen, die von dem Land, in dem sie ihren rechtmäßigen Aufenthalt haben, keinen Reiseausweis erhalten können.
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Zwar ist der Vortrag des Klägers, dass er sich ohne ein Identitätsdokument erheblichen Problemen bei seiner Lebensführung ausgesetzt sieht (Abschluss von Miet- und Arbeitsverträgen, Bankgeschäfte, Beantragung von Sozialleistungen, Polizeikontrollen etc.), plausibel. Die Vermeidung solcher Schwierigkeiten für Staatenlose ist auch gerade der Sinn und Zweck des Art. 28 StlÜbk. Auf der anderen Seite steht jedoch schon allein die Tatsache, dass der Kläger aufgrund von Straftaten ausgewiesen wurde, einer Ermessensreduzierung auf Null entgegen (BayVGH, B.v. 2.4.2007 - 19 ZB 06.2317 - juris Rn. 14). Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Staatsbürgerschaft freiwillig aufgegeben, also die Ursache für seine Staatenlosigkeit selbst gesetzt hat (zur Vorwerfbarkeit der Aufgabe einer Staatsbürgerschaft vor Erwerb einer anderen vgl. BVerwG, U.v. 24.11.1998 - 1 C 8/98 - juris Rn. 20; HessVGH, U.v. 28.5.2001 - 12 UE 363/01 - juris Rn. 22). Außerdem hat die Beklagte im Rahmen der Ablehnung der Ausstellung eines Reiseausweises zutreffend in ihre Überlegungen eingestellt, dass die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose eine den Aufenthalt legalisierende Wirkung hat (BayVGH, B.v. 11.5.2006 - 24 C 06.489 - juris Rn. 14; B.v. 2.4.2007 - 19 ZB 06.2317 - juris Rn. 14) und die Wiedereinreise des Ausländers in die Bundesrepublik ermöglicht. Daher liefe die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose der verfügten, rechtmäßigen (s.o.) Ausweisung mit Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie den darin zum Ausdruck kommenden Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwider. Das in Art. 28 S. 1 StlÜbk als Tatbestandsvoraussetzung normierte Entgegenstehen zwingender Gründe der öffentlichen Ordnung ist im Rahmen des Art. 28 S. 2 StlÜbk zumindest im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2006 - 24 C 06.489 - juris Rn. 14 a.E.), wodurch auch die oben dargelegte Gefahr der Begehung weiterer Straftaten durch den Kläger gegen die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose spricht. Aufgrund der dargelegten Gesichtspunkte, insbesondere der Legalisierung des Aufenthaltes durch einen Reiseausweis für Staatenlose, kann demnach eine Ermessensreduzierung auf Null entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers auch nicht aus der Wohlwollensklausel des Art. 28 S. 2 Hs. 2 StlÜbk abgeleitet werden (BayVGH, B.v. 11.5.2006 - 24 C 06.489 - juris Rn. 14), selbst wenn man diese in Fällen wie dem vorliegenden für anwendbar hält (skeptisch insofern aufgrund des Fehlens eines rechtmäßigen Aufenthaltes in einem anderen Staat VGH BW, U.v. 31.3.1993 - 11 S 2146/92 - juris Rn. 22).
51
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 S. 2 StlÜbk. Die Ermessenserwägungen der Beklagten, die nach § 114 Satz 1 VwGO nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliegen, sind nicht zu beanstanden. Insbesondere liegt ein vom Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung geltend gemachter Ermessensausfall nicht vor, nachdem die Beklagte die Ausstellung des Reiseausweises unter Ziffer II. 4. ihrer Verfügung gemäß Art. 28 StlÜbk auch im Ermessenswege abgelehnt hat. Dabei hat sie über den Aspekt der (fehlenden) Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes hinaus, der Tatbestandsvoraussetzung der Anspruchsnorm des Art. 28 S. 1 StlÜbk ist und aufgrund dessen dieser Anspruch bereits eindeutig zu verneinen ist (s.o.), zutreffend in die Entscheidung eingestellt, dass jedenfalls zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung der Erteilung nicht entgegenstehen dürfen. Bei einem Antrag eines Staatenlosen, der keinen rechtmäßigen Aufenthalt i.S.d. Art. 28 S. 1 StlÜbk hat, kann dieser Aspekt im Rahmen einer Entscheidung nach Art. 28 S. 2 StlÜbk einen wesentlichen ermessensleitenden Gesichtspunkt darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2006 - 24 C 06.489 - juris Rn. 14 a.E.). Darüber hinaus hat die Beklagte dargelegt, dass es diesen öffentlichen Interessen zuwiderlaufen würde, wenn ein ausgewiesener Ausländer durch einen Reiseausweis für Staatenlose die Möglichkeit bekäme, wieder in das Bundesgebiet einreisen zu dürfen. Dabei kann der Aspekt, dass eine Ausweisung der Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose entgegenstehen würde, bereits für sich gesehen die entscheidende, tragende Ermessenserwägung gegen die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2007 - 19 ZB 06.2317 - juris Rn. 14). Ermessensfehler i.S.d. § 114 S. 1 VwGO sind daher nicht ersichtlich und (über einen Ermessensausfall hinausgehend) durch den Kläger auch nicht vorgetragen.
52
Im Übrigen folgt die Kammer gemäß § 117 Abs. 5 VwGO den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheids und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
53
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.