Titel:
Unzulässige Klage gegen eine durch eine Tekturgenehmigung abgelöste Baugenehmigung
Normenketten:
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2
VwGO § 6, § 74 Abs. 1
Leitsatz:
Mit dem gestellten Tekturantrag im Zusammenhang mit den zur damaligen Baueinstellung führende Abweichungen in den Planvorlagen ist ein Verzicht auf die ursprüngliche Baugenehmigung zu sehen. Die ursprüngliche Baugenehmigung ist nicht mehr Klagegegenstand, sondern nur noch in der Gestalt, die sie mit der Tekturgenehmigung erhalten hat, da vorliegend davon auszugehen ist, dass eine Verwirklichung des Bauvorhabens nach der Erstgenehmigung nicht mehr in Betracht kommt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung, Zulässigkeit, Einzelrichterübertragung, Tekturgenehmigung, Unzulässigkeit, fehlendes Rechtsschutzinteresse, Erledigung der Erstgenehmigung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 42913
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Verfahrenskosten einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
1
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … welches mit einem Wohnhaus bebaut ist und in Grenznähe zum Beigeladenengrundstück FlNr. …, welches südöstlich des Klägergrundstücks liegt, mit einem Nebengebäude bebaut ist, wie das Beigeladenengrundstück im Bereich des Bebauungsplanes Nr. … „…“ befindet.
2
Den Beigeladenen wurde mit Bescheid des Landratsamtes …vom 13. Juli 2020 die beantragte Genehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. …der Gemarkung …erteilt unter Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplanes bezüglich der nordwestlichen und südöstlichen Baugrenzen.
3
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 17. August 2020 ließen die Kläger Klage erheben, welche mit Schriftsatz der Kläger vom 5. November 2020 unter anderem damit begründet wurde, dass die Baugenehmigung formell rechtswidrig sei, da keine angemessene Beteiligung der Nachbarn nach Art. 66 BayBO stattgefunden habe. Ferner liege ein Verstoß gegen Art. 6 BayBO vor, da der in den Bauantragsunterlagen angegebenen Gelände- und Stützmauerverlauf nicht den tatsächlich vor Ort vorliegenden Verhältnissen entspreche. Auch sei ein Verstoß gegen Art. 12 BayBO gegeben, in dem keine ausreichenden Feuerwehrzugänge und -durchgänge zur Hausrückseite bestünden. Darüber hinaus sei der Baugenehmigungsbescheid nach § 44 VwVfG nichtig durch die fehlerhafte Einteilung des Bauvorhabens in die Gebäudeklasse 3 statt 4, durch Abweichungen vom Bebauungsplan sowie vermutlich nicht genehmigungsfähige Planunterlagen.
4
Sinngemäß wird die Aufhebung der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung des Landratsamtes … vom 13. Juli 2020 beantragt.
5
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen
6
Anlässlich auf dem Baugrundstück durchgeführter Kontrollen seitens des Landratsamtes … wurden Abweichungen des in den ursprünglichen Planunterlagen angegebenen Geländeverlaufs und der Höhenangaben von den tatsächlichen Gegebenheiten festgestellt sowie nicht den Eingabeplänen entsprechende Werbepläne, so dass die Bauarbeiten mit Bescheid des Landratsamtes* …vom 22. Oktober 2020 eingestellt wurden.
7
Der in Folge davon nach erfolgter Umplanung sowie Einreichung geänderter Planunterlagen gestellte, am 19. November 2020 beim Markt …eingereichte Bauantrag wurde mit Bescheid des Landratsamtes … vom 21. Januar 2021 genehmigt und den Klägern mit am 21. Januar 2021 zur Post gegebenen Einschreiben zugestellt.
8
Nach dieser Genehmigung wird nunmehr die Oberkante der Tiefgaragendecke bündig zum Bestandsgelände ausgeführt, die in der ursprünglichen Genehmigung vorgesehene Einhausung der entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze zum klägerischen Grundstück hin verlaufenden Zufahrt wird nicht mehr ausgeführt. Anlässlich einer Baukontrolle des Landratsamtes am 19. Januar 2021 wurde festgestellt, dass, wie vom Planer der Beigeladenen per E-Mail mitgeteilt, die Oberkante des Grünbelages der Tiefgarage unterhalb des natürlichen Geländes bleibt.
9
Mit Schreiben vom 25. Februar 2021 zeigte sich für die Kläger ein Prozessbevollmächtigter an, welcher Akteneinsicht beantragte.
10
Mit Schreiben der Kläger vom 1. März 2021, bei Gericht eingegangen am 3. März 2021 erklärten die Kläger, dass sie von jenem Rechtsanwalt nicht mehr anwaltlich vertreten werden.
11
Mit bei Gericht am 9. Mär 2021 eingegangenem Schriftsatz ließen die Kläger „Eilantrag auf sofortige Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung nach den § 80, 80 a VwGO im Zusammenhang mit der Klage AN 3 K 20.01591“ stellen.
12
Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, nach Einsicht des Tekturplanes vom 3. März 2021 hätten die Kläger feststellen müssen, dass dem Beigeladenen eine rechtswidrige Baugenehmigung erteilt worden sei. Wie den Tekturplänen zu entnehmen gewesen sei, überschreite das Bauvorhaben in zum Teil erheblichen Umfange die Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. … „… Vorliegend sei das Bauvorhaben der Beigeladenen mit dem Bebauungsplan nicht vereinbar, da es insbesondere die festgesetzte Geschossflächenzahl um ca. 779 qm (GFZ=2,08), die zulässige Zahl der Vollgeschosse um ein weiteres Vollgeschoss durch fehlerhafte Angaben in den Tekturplänen (berechnet nach den Angaben im Plan ergebe sich eine tatsächliche Fläche von 173,184 qm; stelle man diesen Wert in Bezug zur Grundfläche des Dachgeschosses von 259,47 qm, dann liege die 2/3-Grenze bei 172,98 qm und damit sei das Dachgeschoss mit tatsächlich 173,184 qm höher 2,3 m und damit als Vollgeschoss anzurechnen), die zulässige Grundflächenzahl werde um ca. 260 qm erheblich (GFZ bei ca. 0,69) sowie die Baugrenzen hinsichtlich der tatsächlich nicht komplett unterirdisch verlaufenden Tiefgarage überschritten. Die BNZ liege bei ca. 5,3. Den Festsetzungen eines Bebauungsplanes komme eine nachbarschützende Festsetzung zu. Befreiungen bezüglich dieser Abweichungen vom Bebauungsplan lägen nicht vor. Aufgrund der zum Teil massiven Überschreitungen in Bezug zu den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. …hätte es der Genehmigungsbehörde auffallen können/müssen, dass die Maßgaben des Bebauungsplans nicht eingehalten würden. Somit liege nach § 44 VwVfG i.V.m. § 30 BauGB eine rechtswidrig erteilte Baugenehmigung vor.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten, wegen der mündlichen Verhandlung auf deren Niederschrift Bezug genommen.
Gründe
14
Vorab ist festzustellen, dass die entscheidende Einzelrichterin trotz der unterbliebenen Anhörung zur beabsichtigten Einzelrichterübertragung für vorliegende Entscheidung zuständig ist.
15
Klägerseits wurde auf die entsprechende Frage des Gerichtes, worin sie eine durch die unterbliebene Anhörung gegebenen Verletzung sähen, kein im Rahmen des § 6 VwGO relevanter Grund geltend gemacht; vielmehr wurde klägerseits nur ausgeführt, es hätte statt der Einzelrichterin die Kammer entscheiden sollen. Zwar ist die Anhörung der Beteiligten vor Übertragung auf den Einzelrichter im Hinblick auf das Recht auf den gesetzlichen Richter grundsätzlich geboten. Ein Verstoß dagegen stellt jedoch für sich gesehen noch keinen relevanten Gehörsverstoß dar. Vielmehr ist (u.a.) darzulegen, was bei ordnungsgemäßer Anhörung zu § 6 VwGO vorgetragen worden wäre (vgl. z. B. BVerfG v. 4.5.2017, 1 BvR 783.17 - juris) was vorliegend, wie oben ausgeführt, nicht erfolgt ist.
16
Überdies wäre wohl in der durchgeführten mündlichen Verhandlung - die Rüge der nicht stattgefundenen Anhörung zur Einzelrichterübertragung erfolgte nach nahezu zweistündiger mündlicher Verhandlung kurz vor der Stellung des Klageantrages - ohnehin eine Heilung dieses Anhörungsmangels zu sehen (vgl. im Übrigen BVerwG v. 10.11.1999, 6 C 30.98 - juris).
17
Die Klage erweist sich bereits als unzulässig.
18
Unter Berücksichtigung der mit Bescheid des Landratsamtes …vom 21. Januar 2021 zur Baugenehmigung vom 13. Juli 2020 erteilten Tekturgenehmigung ist vorliegende Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden, worauf die Kläger durch die Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung mehrfach hingewiesen worden sind.
19
Die klägerseits mit Schriftsatz vom 17. August 2020 angefochtene Baugenehmigung vom 13. Juli 2020 existiert nicht mehr in der Gestalt, in welcher sie den Gegenstand vorliegender Anfechtungsklage bildet, sondern nur noch in der Fassung, die sie durch die Tekturgenehmigung vom 21. Januar 2021 erfahren hat.
20
Da die Beigeladene das geänderte Vorhaben nicht alternativ zum ursprünglichen Vorhaben zur Genehmigung gestellt hat, sondern um die letztlich zur Baueinstellung führenden Planabweichungen etc. auszuräumen (vgl. insoweit auch die Äußerung der Beigeladenen im Schriftsatz vom 2. März 2021, wonach das Bauvorhaben nicht auf der Grundlage der ursprünglichen Baugenehmigung vom 13. Juli 2020 realisiert wird), ist die Baugenehmigung in ihrer ursprünglichen Fassung vom 13. Juli 2020 durch Baugenehmigung in der Fassung der (bestandskräftigen) Tektur vom 21. Januar 2021 abgelöst worden und hat sich dadurch „auf andere Weise erledigt“ im Sinne des Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG (vgl. z. B. BayVGH v. 28.6.2010, 1 ZB 08.2292 - juris). Mit dem gestellten Tekturantrag im Zusammenhang mit den zur damaligen Baueinstellung führende Abweichungen in den Planvorlagen ist ein Verzicht auf die ursprüngliche Baugenehmigung zu sehen (vgl. z.B. BayVGH v. 11.4.2006, 15 ZB 06.424 - juris). Die Baugenehmigung vom 13. Juli 2020 ist nicht mehr Klagegegenstand, sondern nur noch in der Gestalt, die sie mit der Tekturgenehmigung erhalten hat, da vorliegend davon auszugehen ist, dass eine Verwirklichung des Bauvorhabens nach der Erstgenehmigung vom 13. Juli 2020 nicht mehr in Betracht kommt.
21
Für eine Klage gegen einen nach Art. 43 Abs. 2 Alternative 5 BayVwVfG erledigten Verwaltungsakt besteht kein Rechtsschutzinteresse.
22
Auch die erstmals in der mündlichen Verhandlung beantragte Aufhebung der Baugenehmigung vom 13. Juli 2020 „im Zusammenhang mit der Tekturgenehmigung vom 21. Januar 2021“ vermag nicht zur Klagezulässigkeit zu führen. Die Tekturgenehmigung wurde den Klägern ausweislich der Verfahrensakten am 27. Januar 2021 zugestellt, so dass eine in jenem Antrag in der mündlichen Verhandlung insoweit zu sehende erstmalige Klageerhebung bezüglich des Streitgegenstandes „Baugenehmigung vom 13. Juli 2020 in der Fassung der Tekturgenehmigung vom 21. Januar 2021“ eine verfristete (Wiedereinsetzungsgründe wurden weder geltend gemacht noch sind solche sonst zu erkennen) und damit unzulässige Klage darstellt.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.