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OLG München, Endurteil v. 28.07.2021 – 15 U 2984/19
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW T6 Multivan Comfortline)

Normenketten:
BGB § 323, § 434, § 437 Nr. 2, § 438 Abs. 3 S. 1, § 440, § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1
EG-FGV § 6, § 27
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch OLG Koblenz BeckRS 2020, 6348; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 10519; BeckRS 2020, 41726; OLG München BeckRS 2020, 1062; BeckRS 2020, 49213; BeckRS 2020, 51829; OLG Frankfurt BeckRS 2020, 2626; BeckRS 2020, 46880; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 47034; OLG Köln BeckRS 2019, 50034; OLG Bamberg BeckRS 2020, 51271; BeckRS 2021, 19821; BeckRS 2021, 18115; BeckRS 2021, 18113; BeckRS 2021, 28926; OLG Stuttgart BeckRS 2021, 3447; BeckRS 2020, 51258; OLG Dresden BeckRS 2020, 51343; OLG Celle BeckRS 2020, 44504; OLG Schleswig BeckRS 2020, 43698; BeckRS 2020, 44782; LG Saarbrücken BeckRS 2021, 8349; LG Düsseldorf BeckRS 2020, 37645; aA: OLG Celle BeckRS 2020, 19389; OLG Naumburg BeckRS 2021, 880; OLG Köln BeckRS 2021, 2388; LG München I BeckRS 2020, 19602; BeckRS 2020, 28259; BeckRS 2021, 42025; LG Offenburg BeckRS 2021, 187; LG Aachen BeckRS 2021, 3360; BeckRS 2021, 10842; LG Traunstein BeckRS 2021, 18986; LG Dortmund BeckRS 2021, 7892; LG Darmstadt BeckRS 2020, 39387; LG Karlsruhe BeckRS 2020, 42138. (redaktioneller Leitsatz)
2. Presseartikel oder Meldungen zum Abgasverhalten verschiedener Motorenreihen der VW AG im realen Fahrbetrieb lassen keine belastbaren Rückschlüsse darauf zu, dass auch im EA 288-Motor, eine dem EA 189-Motor vergleichbare unzulässige Umschaltlogik verbaut wäre. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen EU 5 und EU 6 im Jahre 2013 die Messung allein im Prüfstandsbetrieb festgelegt hatte und erst zwischenzeitlich für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb vorschreibt, kommt es nicht darauf an, ob ein Fahrzeug im Normalbetrieb die der Zulassung zugrundeliegenden Werte im NEFZ nicht einhält. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
4. Selbst wenn das Thermofenster in der konkreten Ausgestaltung dem KBA bei Beantragung der Typgenehmigung nicht offengelegt wurde, bildet dies kein Indiz dafür, dass die für die Herstellerin handelnden Personen im Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelten. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidriges Verhalten, Täuschung des KBA, Thermofenster, Umschaltlogik, Applikationsrichtlinien, Vortrag „ins Blaue hinein“, NEFZ
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 08.05.2019 – 11 O 14519/18
Fundstelle:
BeckRS 2021, 42727

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 08.05.2019, Az.: 11 O 14519/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 60.900,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger macht Ansprüche im Zusammenhang mit einem - seiner Auffassung nach - vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeug geltend. Die Beklagte zu 1 ist Verkäuferin, die Beklagte zu 2 Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
2
Mit Bestellbestätigung vom 03.07.2015 (Anlage K 1) bestellte der Kläger bei der Beklagten zu 1 den streitgegenständlichen neuen VW T6 Multivan Comfortline zum Kaufpreis von 56.900 €. Der Pkw wurde am 29.09.2015 an den Kläger ausgeliefert. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotortyp EA 288 mit 150 KW (204 PS) ausgestattet und der Schadstoffklasse „Euro 6“ zugeordnet.
3
Das Kraftfahrtbundesamt ordnet mit Schreiben vom 15.10.2015 den Rückruf von 2,4 Millionen von der Beklagten zu 2 hergestellter Fahrzeuge an. Betroffen waren Fahrzeuge mit Euro 5 Dieselmotoren der Größe 2 l, 1,6 l und 1,2 l Hubraum (vergleiche Anlage K 3). Am streitgegenständlichen Fahrzeug wurde am 30.09.2016 die Aktion „24 CP“ und am 26.05.2017 die Maßnahme „23 U8“ durchgeführt. Mit dem Codenummern „24 CP“ und „23 U8“ werden eigene Rückrufe der Beklagten zu 2 bezeichnet (vergleiche Anlage K 5).
4
Für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp liegt seit 28.08.2018 ein verbindlicher Rückruf des KBA vor.
5
Mit Schreiben vom 03.09.2018 (Anlage K 9) erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1 den Rücktritt vom Kaufvertrag, forderte die Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs bis zum 17.09.2018 und bot die Abholung des Fahrzeugs bei ihm an.
6
Mit weiterem Schreiben vom 03.09.2018 (Anlage K 10) forderte der Kläger die Beklagte zu 2 auf, den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Pkw bis zum 17.09.2018 zurückzuzahlen und bot diesen zur Abholung bei der Klägerseite an.
7
Die Beklagte zu 1 hat die Einrede der Verjährung erhoben.
8
Der Kläger hat behauptet, dass in seinem Pkw eine Software zur Steuerung der Abgase verbaut sei. Das streitgegenständliche Fahrzeug falle unter den Rückruf des KBA vom 15.10.2015. Bei der verwendeten Software handele es sich um eine sogenannte Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007.
9
Der Kläger ist der Ansicht, Gewährleistungsansprüche gegen die Beklagte zu 1 zu haben. Wegen der verbauten Manipulationssoftware sei das Fahrzeug mangelhaft.
10
Der Kaufvertrag mit der Beklagten zu 1 sei darüber hinaus gemäß § 134 BGB nichtig, weil er gegen EU-Recht verstoße und sei damit gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB rückabzuwickeln. Eine 2-jährige Verjährung greife hier nicht, weil die Täuschungshandlung der Beklagten zu 2 der Beklagten zu 1 zuzurechnen sei.
11
Die Beklagte zu 2 hafte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB bzw. § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB.
12
Der Schaden des Klägers bestehe in einem wirtschaftlich nachteiligen Vertrag.
13
Darüber hinaus hafte die Beklagte zu 2 auch aus § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 31 bzw. § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 263 StGB bzw. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 der EG Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV).
14
Die Beklagten haben behauptet, dass bei dem streitgegenständlichen Motor keine Umschaltung zwischen dem Prüfstand und dem realen Fahrbetrieb hinsichtlich der Abgasrückführung stattfinde. Gegenstand des Bescheids des KBA vom 15.10.2015 seien nur Motoren des Typs EA 189 (EU 5) gewesen.
15
Das Kraftfahrtbundesamt gehe bei dem streitgegenständlichen Motor nicht von einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus. Die Beklagte zu 2 werde aber auf Anordnung ein Software-Update anbieten, mit dem sogenannte Konformitätsabweichungen im Hinblick auf die Einhaltung von NOx-Grenzwerten beseitigt würden.
16
Gewährleistungsansprüche gegen die Beklagte zu 1, insbesondere auch ein Rücktritt, scheiterten schon daran, dass der Kläger der Beklagten zu 1 keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt habe. Im Übrigen seien Ansprüche gegen die Beklagte zu 1 mit Ablauf 2017 verjährt. Die Beklagte zu 1 beruft sich auf § 438 Abs. 2 BGB.
17
Das Landgericht, auf dessen Feststellungen ergänzend gemäß § 540 Abs. 1 BGB hingewiesen wird, hat die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
18
Ansprüche gegen die Beklagte zu 1 aus §§ 434, 437 Nr. 2, 440, 323 BGB bestünden nicht, weil Gewährleistungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte zu 1 als Verkäuferin verjährt seien und die Beklagte zu 1 deshalb die Leistung verweigern könne, § 214 Abs. 1 BGB. Der erklärte Rücktritt sei unwirksam, § 218 BGB. Die Verjährung richte sich nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB, nicht aber nach § 438 Abs. 3 Satz 1 BGB. Dass die Beklagte zu 1 den behaupteten Mangel gekannt, aber arglistig verschwiegen habe, behaupte der Kläger nicht. Auch müsse die Beklagte zu 1 sich die klägerseits behauptete Täuschungshandlung der Beklagten zu 2 nicht zurechnen lassen (EU Seite 6/7).
19
Der Kläger habe gegen die Beklagte zu 1 auch keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 134 BGB. Zwar behaupte der Kläger, dass die Übereinstimmungsbescheinigung ungültig sei und das Fahrzeug tatsächlich nicht dem genehmigten Typ entspreche. Unterstelle man das als zutreffend, würde das aufgrund des Abstraktionsprinzips dennoch nicht zur Nichtigkeit des Kaufvertrages nach § 134 BGB führen.
20
Der Kläger habe auch keine Ansprüche gegen die Beklagte zu 2.
21
Ansprüche gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB seien nicht gegeben; ebenso wenig hafte die Beklagte zu 2 aus Prospekthaftung.
22
Gegen die Beklagte zu 2 habe die Klagepartei auch keinen deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 3 Abs. 3, 9 Abs. 1 EG-Typ VO sowie Art. 12, 18 der Richtlinie Nr. 2007/46/EG und §§ 4, 6, 25, 27 Abs. 1 EG-FGV. Die als verletzt in Betracht kommenden Vorschriften seien jedenfalls nicht drittschützend.
23
Auch habe die Klagepartei keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB. Es fehle bereits an der sogenannten Stoffgleichheit, die im Rahmen der Absicht der rechtswidrigen Bereicherung erforderlich sei. Bereicherungsabsicht setze voraus, dass die Tat subjektiv auf die Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils für den Täuschenden oder einen Dritten gerichtet sei. Dabei müsse der Vorteil die Kehrseite des Schadens und „stoffgleich“ sein. Der Vorteil müsse somit unmittelbare Folge der täuschungsbedingten Verfügung sein, die den Schaden des Opfers herbeiführe. An der hier erforderlichen Unmittelbarkeit der Vermögensverschiebung fehle es aber. Die Beklagte zu 2 habe keinen korrespondierenden Vorteil dadurch erlangt, dass der Kläger das Fahrzeug bei der Beklagten zu 1 gekauft habe. Die Beklagte zu 2 habe durch die Manipulation nicht einen Vorteil zulasten eventueller Erwerber/Kunden erzielen wollen. Allenfalls könne es ihr darum gegangen sein, die Neufahrzeuge möglichst kostengünstig im Wettbewerb zu platzieren, ohne Investitionen in Forschung und Entwicklung vornehmen zu müssen.
24
Schließlich habe der Kläger auch keinen Anspruch gegen die Beklagte zu 2 gemäß § 826 BGB, auch wenn das streitgegenständliche Fahrzeug die Umschaltlogik hätte, wie vom Kläger behauptet. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liege nicht vor. Es fehle schon an einem Vorsatz der Beklagten zu 2, den Kläger in seinem Vermögen zu schädigen. Denn die Beklagte zu 2 habe nicht gewollt, dass die in der Steuerungssoftware (unterstellt) enthaltene Abschalteinrichtung aufgedeckt werde.
25
Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Klägerseite, die auf folgendes hinweist: Die Beklagte zu 1 müsse sich die von der Beklagten zu 2 vorgenommene Täuschung über die verbaute Abschalteinrichtung zurechnen lassen, sodass auch von einem arglistigen Verschweigen des Mangels durch die Beklagte zu 1 auszugehen sei. Zu Unrecht habe das Landgericht § 278 BGB bzw. § 166 BGB nicht angewendet. Die Ansicht, dass die Beklagte zu 2 nicht Vertreterin der Beklagten zu 1 sei, sei angreifbar, da es sich bei der Beklagten zu 1 offensichtlich um einen Vertragshändler der Beklagten zu 2 handele.
26
Zu Unrecht verneine das Landgericht einen Anspruch gemäß § 812 BGB, weil es an der Nichtigkeit des Kaufvertrages fehle. § 27 EG-FGV stelle ein Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB dar. Zu Unrecht habe das Landgericht weiter Ansprüche gemäß § 823 BGB in Verbindung mit EG-Recht verneint, ebenso Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB bzw. Ansprüche gemäß § 826 BGB.
27
In Ziffer 1 des Berufungsantrages beantragte der Kläger zunächst (Blatt 141/142 der Akte):
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 56.900 € nebst Zinsen in Höhe von 4% vom 03.07.2015 bis zum 17.09.2018 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.09.2018 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW T6 Multivan Comfortline mit der Fahrgestellnummer …596, amtliches Kennzeichen …, zu zahlen.
28
Der Kläger beantragt zuletzt (Blatt 208 der Akte):
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 45.438,21 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.09.2018 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW T6 Multivan Comfortline mit der Fahrgestellnummer …596, amtliches Kennzeichen …, zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten mit der Rücknahme des unter Ziffer 1) näher beschriebenen Fahrzeugs im Annahmeverzug befinden.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten dem Kläger gesamtschuldnerisch alle zukünftigen Schäden und Aufwendungen zu ersetzen haben, die aus der Dieselabgasmanipulation des unter Ziffer 1) näher beschriebenen Fahrzeugs resultieren.
4. Die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 2.697,02 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.09.2018 zu zahlen.
29
Die Beklagten zu 1 und zu 2 beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
30
Die Beklagte zu 1 verteidigt das Urteil des Landgerichts und weist darauf hin, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem Motor des Typs EA 288 ausgestattet sei, in dem die aus der EA 189-Thematik bekannte prüfstandsoptimierende Umschaltlogik nicht verbaut sei. Es unterfalle daher nicht dem vom Kraftfahrtbundesamt im Jahr 2015 angeordneten Rückruf zur Beseitigung der Umschaltlogik. Das Fahrzeug sei lediglich von einem vom Kraftfahrtbundesamt überwachten Rückruf der Beklagten zu 2 wegen einer Konformitätsabweichung erfasst gewesen. Das zur Beseitigung der Konformitätsabweichung von der Beklagten zu 2 entwickelte und vom Kraftfahrtbundesamt geprüfte und freigegebene Software-Update (Aktion 23 Z7) sei beim streitgegenständlichen Fahrzeug bereits am 17.06.2019 aufgespielt worden, sodass die ursprüngliche Konformitätsabweichung nicht mehr vorliege.
31
Insbesondere sei das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass vermeintliche Gewährleistungsansprüche verjährt seien, da es zu Recht von einer 2-jährigen Verjährungsfrist gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB ausgegangen sei. Richtigerweise habe das Landgericht zunächst darauf hingewiesen, dass ein arglistiges Verschweigen eines unterstellten Sachmangels durch die Beklagte zu 1 von der Klagepartei schon nicht behauptet worden sei. Vielmehr ergebe sich eine 3-jährige Verjährungsfrist nach der unrichtigen Auffassung der Klagepartei daraus, dass sich die Beklagte zu 1 eine vermeintliche Täuschungshandlung der Beklagten zu 2 als deren Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 Abs. 1 BGB zurechnen lassen müsse (so die Klägerseite). Dieser Argumentation des Klägers sei das Landgericht zu Recht nicht gefolgt, denn die Beklagte zu 1 schuldete die Übereignung des Fahrzeugs, nicht jedoch dessen Herstellung. Mit der Herstellung des Fahrzeugs sei die Beklagte zu 2 deshalb nicht im Pflichtenkreis der Beklagten zu 1 tätig gewesen. Zutreffend sei auch die Ablehnung einer Zurechnung nach § 166 Abs. 1 BGB, weil die Beklagte zu 2 nicht Vertreterin der Beklagten zu 1 sei.
32
Den Anspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 134 BGB habe das Landgericht ebenfalls zutreffend abgelehnt.
33
Im Übrigen würde der Klägerseite selbst dann kein Rücktrittsrecht zustehen, wenn von einer Anwendbarkeit des § 438 Abs. 3 Satz 1 BGB ausgegangen werden müsste. Denn das Fahrzeug könne erfolgreich im Hinblick auf die Konformitätsabweichung überarbeitet werden und sei daher nicht mangelhaft. Auch vor der Überarbeitung habe das Fahrzeug keinen erheblichen Mangel gehabt. Die Klagepartei habe der Beklagten darüber hinaus keine angemessene Nachfrist zur Nacherfüllung gesetzt.
34
Die Beklagte zu 2 führt ebenfalls aus, dass bei Fahrzeugen des Typs Volkswagen T6 keine prüfstandsoptimierende Umschaltlogik zum Einsatz komme. Das streitgegenständliche Fahrzeug unterliege auch sonst keinem Rückruf des KBA im Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Das Fahrzeug sei lediglich von einem vom KBA überwachten Rückruf wegen einer Konformitätsabweichung erfasst gewesen. Das vom KBA freigegebene Software-Update zur Beseitigung der Konformitätsabweichung habe der Kläger am 17.06.2019 durchführen lassen. Auch sei die Nutzbarkeit des Fahrzeugs vor der Durchführung des Software-Updates und auch danach uneingeschränkt gegeben gewesen.
35
Im Übrigen sei der klägerische Vortrag dazu, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut gewesen sei, unsubstantiiert gewesen; der BGH-Beschluss vom 28.01.2020 (Az.: VIII ZR 57/19) sei nicht übertragbar. Den Anspruch aus § 826, § 31 BGB habe das Landgericht zutreffend zurückgewiesen, da seitens der Beklagten zu 2 keine Täuschung vorgelegen habe und es auch an der Verwerflichkeit fehle. Auch sei kein Vorsatz und kein Schaden dargelegt.
36
Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2, § 31 BGB in Verbindung mit § 263 StGB sei zutreffend abgelehnt worden ebenso wie der Anspruch aus § 823 Abs. 2, § 31 BGB in Verbindung mit §§ 4, 6, 25, 27 EG-FGV. Auch ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB scheide aus.
37
Der Senat hat mit Beschluss vom 16.10.2020 eine amtliche Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes eingeholt, die das Kraftfahrtbundesamt mit Schreiben vom 09.03.2021 erteilt hat.
38
Der Senat hat mit Verfügungen vom 31.03.2020 und vom 08.04.2021 Hinweise erteilt.
39
Wegen der Einzelheiten des Vortrags im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen. Ergänzend wird Bezug genommen auf das Protokoll der Sitzung vom 09.06.2021 (Blatt 265/267 der Akte).
II.
40
Die Berufung ist zurückzuweisen, da das landgerichtliche Urteil sowohl bezüglich der Beklagten zu 1 als auch der Beklagten zu 2 zutreffend ist.
1. Klage gegen die Beklagte zu 1:
41
Die Klage ist unbegründet, da der Anspruch gemäß §§ 434, 437 Nr. 2, 440, 323 BGB verjährt ist, nachdem die maßgebliche Verjährungsfrist nur 2 Jahre beträgt. § 438 Abs. 3 Satz 1 BGB, wonach Mängelansprüche erst nach 3 Jahren verjähren, gelangt nicht zur Anwendung.
42
Die Ausführungen des Landgerichts, wonach weder § 278 BGB noch § 166 BGB eine Zurechnung des (unterstellten) arglistigen Verhaltens der Beklagten zu 2 ermöglichen, ist zutreffend (vergleiche hierzu weiter den Beschluss des BGH vom 09.06.2020 - VIII ZR 315/19, Rn. 12 ff bei juris). Die Berufungsbegründung trägt hierzu auch wenig Relevantes in rechtlicher Hinsicht vor.
43
Ein Verstoß gegen § 27 EG-FGV würde nicht zur Nichtigkeit des Kaufvertrages führen (vgl. hierzu OLG Hamm, Urteil vom 01.04.2020 - I-30 U 33/19, bei Juris Rn 60 ff). Zutreffend hat das Landgericht auch auf das Abstraktionsprinzip hingewiesen (EU Seite 7). Im Übrigen vertritt der Senat zu §§ 6, 27 EG-FGV die Rechtsansicht, dass es sich nicht um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, Rn 72 ff bei Juris).
2. Klage gegen die Beklagte zu 2:
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Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht auch Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 zurückgewiesen.
45
1. Die Klagepartei hat die Voraussetzungen für einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht nachgewiesen.
46
1.1. Soweit der Kläger das Vorliegen einer der im EA 189-Motor verbauten vergleichbaren Abschalteinrichtung behauptet hat, ist der Vortrag nicht geeignet, um einen Vorwurf gemäß § 826 BGB ansatzweise zu begründen; insbesondere war kein Sachverständigengutachten zu erholen, da der Vortrag der Klägerseite ins Blaue hinein erfolgte. Eine Beweisaufnahme war auch nicht im Hinblick auf die von der Klägerseite zitierte Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 28.01.2020 - VIII ZR 57/19) erforderlich.
47
1.2. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. In bestimmten Fällen ist es aber Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner - hier die Klagepartei - vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist. Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 35 ff. m.w.N., zitiert nach Juris). Voraussetzung ist stets ein schlüssiger und erheblicher Sachvortrag der zunächst darlegungs- und beweisbelasteten Klagepartei. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten. Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -nachbehandlung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann. Eine Behauptung ist aber dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Entscheidend ist, ob die Klagepartei ausreichend greifbare Anhaltspunkte zur Begründung ihres Vorwurfs, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug komme eine unzulässige Abschalttechnik zum Einsatz, vorbringt (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19, Rdnr. 7 ff. m.w.N., zitiert nach Juris). Daran fehlt es hier.
48
Die Ansicht des Klägers, das Landgericht habe die Anforderungen an eine Substantiierung des Vortrags überspannt, teilt der Senat nicht. Die Tatsache, dass die Klagepartei keinen Einblick in die Geschehensabläufe der Gegenseite habe und die Beweisführung deshalb erschwert sei, führt für sich allein genommen nicht dazu, dass die Klägerseite auch nur vermutete Tatsachen unter Beweis stellen dürfte.
49
Auch lassen die von der Klagepartei in Bezug genommenen Presseartikel oder Meldungen (vgl. etwa K 16 - Pressemitteilung aus der „Wirtschaftswoche“; K 17 - Bericht aus der „Auto Motor und Sport“) zum Abgasverhalten verschiedener Motorenreihen der Beklagten im realen Fahrbetrieb keine belastbaren Rückschlüsse darauf zu, dass auch im Nachfolgemodell zum EA 189, dem hier streitgegenständlichen EA 288-Motor, eine vergleichbare - unzulässige - Umschaltlogik verbaut wäre.
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1.3. Dass die Untersuchungen des KBA keine unzulässigen Abschaltvorrichtungen zu Tage gefördert haben (vgl. die eingeholte amtliche Auskunft vom 9.3.2021, Bl. 218/219 d.A.), mag kein hinreichender Beweis gegen das tatsächliche Vorliegen solcher Manipulationen sein. Umgekehrt kann der Kläger sich aber - anders als in den Fällen anderer, von einem Rückruf betroffener Motoren - nicht auf einen solchen Rückruf als Anhaltspunkt für die Richtigkeit der von ihm aufgestellten Behauptungen stützen.
51
1.4. Auch der Verweis auf die „Applikationsrichtlinie“ der Beklagten ergibt nichts anderes. Aus der von dem Kläger auszugsweise wiedergegebenen Unterlage lassen sich bereits keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung und arglistige Täuschung des KBA, insbesondere auch nicht für eine Übertragung der sog. Akustikfunktion der mit dem Motor des Typs EA 189 ausgestatteten Fahrzeuge auf Fahrzeuge mit dem Motor des Typs EA 288 entnehmen.
52
1.5. Daraus, dass das Fahrzeug, wie der Kläger unter Vorlage von Messergebnissen behauptet, bei normalem Betrieb auf der Straße die gesetzlichen Grenzwerte überschreitet, lässt sich ebenfalls keine unzulässige Abschaltvorrichtung ableiten. Denn selbst wenn man unterstellt, dass die tatsächlichen Werte von den der Zulassung zugrunde gelegten Emissionswerten abweichen, ergibt sich hieraus nicht zwingend, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vergleichbar der in den EA 189-Motoren vorhanden sein muss. Vielmehr liegt auf der Hand, dass die Überschreitung der Werte im Straßenverkehr darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus auf dem Prüfstand. Dergleichen ist auch bei Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch allgemein bekannt.
53
Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen EU 5 und EU 6 im Jahre 2013 die Messung allein im Prüfstandsbetrieb festgelegt hatte und erst zwischenzeitlich für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb vorschreibt, kommt es gerade nicht darauf an, dass das streitgegenständliche Fahrzeug im Normalbetrieb die der Zulassung zugrundeliegenden Werte im NEFZ nicht einhält. Die Umschaltvorrichtung in der Software bei Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns mit Motor EA 189 ist vom Kraftfahrbundesamt auch nicht wegen der generellen Abweichung der Emissionswerte im Normalbetrieb als unzulässig beanstandet worden, sondern ausschließlich deshalb, weil sie bei erkannter Abweichung der Fahrt vom NEFZ die Abgasreinigung zugunsten erhöhter Stickoxidwerte veränderte.
54
1.6. Die von der Klägerseite im Schriftsatz vom 29.03.2021 in Bezug genommenen Schreiben verschiedener Landratsämter (vergleiche Anlagen BK 2 und BK 3) belegen eine dem EA 189-Motor vergleichbare Umschaltlogik nicht.
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1.7. Selbst wenn man zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt, dass es sich bei dem hier verbauten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG handelt (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG nunmehr EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18), lässt sich eine Haftung gemäß § 826 BGB nicht begründen.
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Bei dem Thermofenster handelt es sich gerade nicht um eine - evident unzulässige, von vornherein durch Arglist geprägte - Abschalteinrichtung wie sie in Form der sogenannten „Umschaltlogik“ beim Motor EA 189 der V.-AG zum Einsatz kam, weshalb die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19) nicht ohne weiteres übertragbar ist. Anders als die „Umschaltlogik“ unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise, ohne dass es sich bei den durch das Temperaturfenster gezogenen Rahmenbedingungen um eine solch eng definierte Ausnahmesituation handelt, dass diese tatsächlich nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand eintreten kann (siehe BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 16 ff., und vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 27, zitiert nach Juris). Unter diesen Umständen wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten aber nur gerechtfertigt, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchstellerin. Sie kann sich daher insofern nicht auf ein Bestreiten mit Nichtwissen zurückziehen. Entscheidend ist das Vorstellungsbild der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung - spätestens dem Eintritt des behaupteten Schadens in Form des Vertragsschlusses - hier am 03.07.2015 (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19 ff., zitiert nach Juris). Konkrete Anhaltspunkte, die dafürsprechen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertrags in Bezug auf das Thermofenster in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelte, hat die Klagepartei indes nicht dargetan und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die klägerische Behauptung, die streitgegenständliche Motorsoftware enthalte eine Abschalteinrichtung (in Form eines Thermofensters), reicht hierfür als Nachweis nicht aus. Die Gesetzeslage zum Thermofenster war gerade nicht unzweifelhaft und eindeutig. Dies belegt die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG. Denn noch im Jahr 2016 - also zu einem Zeitpunkt, in dem der Volkswagenkonzern bereits massiv in der Kritik stand wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen - wurde in dem in Bezug genommenen Bericht der vom Bundesinnenministerium eingesetzten „Untersuchungskommission Volkswagen“, Stand April 2016, ausgeführt, dass die Berufung auf den Motorschutz auch im Hinblick auf das sog. „Ausrampen“ im Rahmen von Thermofenstern die Verwendung von Abschalteinrichtungen rechtfertigen könne, wenn von Seiten der Hersteller nachvollziehbar dargestellt werde, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden drohe, sei dieser auch noch so gering. Die Interpretation der Beklagten und anderer Automobilhersteller zur Zulässigkeit von Thermofenstern unter dem Aspekt des Motorschutzes wurde damit von offizieller Seite gebilligt und war damit zu jener Zeit jedenfalls nicht unvertretbar. Die Beklagte war damit auch nicht gehalten, eine andere Technologie zu verwenden, weshalb die Nichtverwendung anderer Technologien nicht geeignet ist zur Begründung eines Rechtswidrigkeitsbewusstseins. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-693/18 mag dies anders sein. Geklärt wäre damit indes allein die europarechtliche Auslegung des Art. 5 der VO EG 715/2007 und frühestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung am 17.12.2020 in die Zukunft.
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Die Klagepartei hat weiter behauptet, das Thermofenster sei in der konkreten Ausgestaltung dem KBA bei Beantragung der Typgenehmigung nicht offengelegt worden. Dies bildet aber kein Indiz dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen im Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelten. Denn nach der Behauptung der Beklagten handelte es sich gerade um eine zulässige Technologie, weshalb aus ihrer - damals jedenfalls vertretbaren - Sicht kein Anlass zur Offenlegung bestanden hätte. Anhaltspunkte, dass die Beklagte gegenüber dem KBA unzutreffende Angaben gemacht hätte, um die Typengenehmigung zu erschwindeln, sind nicht vorhanden.
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1.8. Im Übrigen liegt auch kein Schaden vor.
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Diesen hat der BGH in den EA 189-Verfahren maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des KBA-Rückrufbescheids gestützt. Abgestellt wurde darauf, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar gewesen sei, weil es einen verdeckten Sachmangel aufgewiesen habe, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können. Für einen solchen Sachmangel gibt es vorliegend jedoch gerade keine Anhaltspunkte. Wenn der Kläger behauptet, im Motor EA 288 sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, welche die erteilte Genehmigung in Frage stelle (und welche offensichtlich nach der Vorstellung des Klägers vom KBA im Rahmen der Untersuchungen stets übersehen wurde), und hierzu Sachverständigenbeweis anbietet, übersieht er, dass das KBA die für einen eventuellen Rückruf des Fahrzeugs oder Widerruf der Typengenehmigung maßgebliche Behörde ist. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermag (vgl. wiederum das Schreiben des KBA vom 9.3.2021, Bl. 218/219 d.A.).
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1.9. Soweit bezüglich des streitgegenständlichen PKW ein Rückruf des KBA bestanden hat, hatte dieser keine Relevanz für die streitgegenständliche Thematik, was sich ebenfalls aus dem Schreiben des KBA vom 09.03.2021 ergibt (siehe im Übrigen bereits das Schreiben des KBA vom 19.11.2018, nach Bl. 61 d.A.). Das KBA führt aus, dass die bei den Fahrzeugen VW T6, 2.0 l Diesel vom Hersteller festgestellte Konformitätsabweichung sich auf die Ermittlung des KI-Faktors zur Berücksichtigung des Regenerationsverhaltens des Dieselpartikelfilters beziehe. Zur Einhaltung der Grenzwerte werde die Emissionsstrategie während der periodischen Regeneration angepasst. Eine als unzulässig einzustufende Abschalteinrichtung liege auch insoweit nicht vor.
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2. Die Klägerseite hat auch keinen Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB, §§ 6, 27 EG-FGV, da diese Vorschriften kein Schutzgesetz vor ungewollten Verbindlichkeiten sind. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19) an (bei Juris Rn. 72 ff; vgl. weiter BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, bei Juris ab Rn. 10 ff).
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3. Ebenso wenig steht der Klägerseite ein Anspruch gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB zu. Dazu müssen erstrebter Vermögensvorteil und eingetretener Vermögensnachteil durch dieselbe Vermögensverfügung vermittelt sein. Daran fehlt es bei einem Gebrauchtwagenkauf (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, bei Juris ab Rn. 17 ff).
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4. Der von der Berufung als übergangen gerügte Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB scheidet schon deshalb aus, weil der Kaufvertrag nicht mit der Beklagten abgeschlossen wurde. Dass die Beklagte - wie für eine Haftung erforderlich (vgl. Palandt, BGB, § 311 Rn. 63 mwN) - in irgendeiner Weise an dieser Transaktion beteiligt gewesen wäre und besonderes Vertrauen in Anspruch nehmen hätte können, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
III.
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Der Schriftsatz vom 07.07.2021 gab keine Veranlassung zu einer Wiedereröffnung der Verhandlung gemäß § 156 ZPO.
IV.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.
67
3. Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 63 II 1, 39 I, 43 I, 47 I, 48 I 1 GKG, 3 ZPO.
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4. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung liegen nicht vor, da keiner der gesetzlichen Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) gegeben ist.