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OLG München, Hinweisbeschluss v. 23.12.2021 – 25 U 6830/21
Titel:

Verwirkung des Widerspruchsrechts bei im Policenmodell abgeschlossenem Versicherungsvertrag

Normenketten:
VVG aF § 5a, § 8
BGB § 242
Leitsätze:
1. Die Frage, ob ein Widerspruch gegen den Abschluss eines Versicherungsvertrags wirksam ist, kann nicht Gegenstand einer Zwischenfeststellungsklage sein. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Belehrung, die von der Übersendung der "Verbraucherinformation und der Versicherungsbedingungen" spricht, ist nicht deshalb missverständlich, weil ein Versicherungsnehmer meinen kann, die Versicherungsbedingungen gehörten nicht zur Verbraucherinformation. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Widerspruchsrecht bei einem im Policenmodell abgeschlossenen Versicherungsvertrag ist verwirkt, wenn es 15 Jahr nach Vertragsabschluss ausgeübt wurde und der Versicherungsnehmer während der Vertragslaufzeit Rechte aus dem Vertrag geltend gemacht hat. (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwischenfeststellungsklage, Antragsmodell, Policenmodell, Rücktrittsrecht, Widerspruch, Widerspruchsbelehrung, Verbraucherinformation, Verwirkung
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 10.09.2021 – 1 O 2449/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 42680

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 10.09.2021, Az. 1 O 2449/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

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1. Die Zwischenfeststellungsklage ist unzulässig. Die Frage, ob wirksam widersprochen wurde, ist nur eine Vorfrage der feststellungsfähigen Frage, ob die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge wirksam sind (vgl. BGH, Urteil vom 01.08.2017 - Az. XI ZR 469/16, NJW-RR 2017, 1260 zur Kündigung) und daher kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Eine Auslegung des Antrags gegen seinen Wortlaut ist hier schon deswegen nicht geboten, weil auch ein Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Verträge keinen Erfolg hätte und sich daher im Ergebnis für die Klagepartei als nachteilig erweisen würde (Abweisung ihrer Klage als unbegründet statt als unzulässig, vgl. unten 2).
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2. Zutreffend ist die Auffassung des Landgerichts, dass dem Kläger materiell - rechtlich die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte nicht zustehen.
2.1. Vertrag Nr. ...
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Der Vertrag kam im Antragsmodell zustande (vgl. Antrag vom 27.06.2002, Anlage BLD 2, und Versicherungsschein vom 16.07.2002, Anlage DB 3, DB 9).
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Schon die Auffassung des Klägers in der Berufungsbegründung, die streitgegenständliche Widerspruchsbelehrung habe nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 8 Abs. 5 VVG a.F.entsprochen, ist unzutreffend und verkennt, dass für den streitgegenständlichen Vertrag § 8 VVG in der Fassung vom 21.07.1994 anzuwenden ist, der kein Widerspruchsrecht sondern ein Rücktrittsrecht vorsieht. Aus demselben Grund ist die Meinung des Klägers, eine Widerspruchsfrist habe nicht in Lauf gesetzt werden können und seine Auffassung, er habe dem Vertrag widersprechen können (Schreiben des Klägers vom 28.11.2019, Anlage DB 5, und Schreiben der Klägervertreter vom 18.06.2020, Anlage DB 6), falsch.
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Selbst wenn man die Schreiben - entgegen ihrem Wortlaut - als Rücktrittserklärungen ansehen und auslegen würde, könnte das dem Begehren des Klägers nicht zum Erfolg verhelfen, weil der Rücktritt verspätet - außerhalb der Frist des § 8 VVG in der Fassung vom 21.07.1994 erklärt wäre.
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Die Rücktrittsbelehrung im Antragsformular steht in Einklang mit § 8 VVG in der Fassung vom 21.07.1994 und ist nicht zu beanstanden.
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Der Senat hat überhaupt keine Zweifel, dass vorliegend die Gestaltung der Belehrung geeignet ist, dem Aufklärungsziel Rechnung zu tragen und den Versicherungsnehmer auf sein Rücktrittsrecht aufmerksam zu machen. Das folgt schon daraus, dass die Belehrung vom Kläger gesondert unterschrieben wurde; unabhängig davon ist sie in Fettdruck gehalten und groß mit „Rücktrittsrecht“ überschrieben.
8
Die Belehrung ist auch unmissverständlich, da der Versicherungsnehmer weiß, ob ihm die Verbraucherinformationen bei Antragstellung überlassen wurden. Hier war das offensichtlich und für den Kläger erkennbar der Fall; der Kläger hat den Erhalt sogar gesondert unterschriftlich bestätigt. Die Beklagte musste dem Kläger auch nicht erklären, was die Verbraucherinformationen sind; eine solche Erklärung schreibt das Gesetz nicht vor. Selbst wenn der Kläger wegen der Formulierung „… Verbraucherinformationen und …Versicherungsbedingungen…“ annahm, die Versicherungsbedingungen würden nicht unter den Begriff der Verbraucherinformationen fallen, so wusste er doch, dass er (auch) die Versicherungsbedingungen erhalten hatte, war inhaltlich zutreffend belehrt und konnte die Rücktrittfrist ohne weiteres berechnen.
2.2. Vertrag Nr. ...
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Der Vertrag kam im Policenmodell zustande (vgl. Antrag vom 27.06.2002, Anlage BLD 2 und Versicherungsschein vom 27.10.2004, Anlage DB 4, DB 10).
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Die streitgegenständliche Belehrung auf S. 2 des Versicherungsscheins entspricht zwar nicht § 5a VVG in der Fassung vom 13.7.2001; es fehlt der Hinweis darauf, dass der Widerspruch in Textform erfolgen muss und an der drucktechnischen Hervorhebung bestehen Zweifel. Allerdings beruft sich der Kläger rechtsmissbräuchlich auf ein Widerspruchsrecht. Zwischen Vertragsschluss und Widerspruch liegen ca. 15 Jahre. Wegen gravierender Umstände ist von Rechtsmissbrauch auszugehen. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass dem Kläger - wie das Landgericht richtig erkennt - nicht die Möglichkeit genommen war, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (EuGH, Urteil vom 02. April 2020 - C-20/19, NJW 2020,1499, juris Rn. 26; EuGH,Urteil vom 19.12. 2019 - C-355/18, C- 356/18 und C-357/18, NJW 2020, 667, beckonline Rn. 79 ff). Die Belehrung ist zwar nicht mit Alleinstellungsmerkmalen hervorgehoben aber auch nicht versteckt; in dem nur zwei Seiten umfassenden Versicherungsschein ist sie unmittelbar vor der Datumsangabe und den Unterschriften enthalten und mit der unterstrichenen Überschrift „Widerspruchsbelehrung“ versehen. Der gesamte Versicherungsschein ist sehr übersichtlich gestaltet. Auch dass kein Hinweis auf die Textform erfolgt ist, führt nicht dazu, dass dem Kläger Möglichkeit genommen war, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Er war darauf hingewiesen worden, dass die Absendung genügt, was schon nahelegt, dass eine verkörperte Erklärung erforderlich ist.
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Der Kläger, der einen vergleichbaren Vertrag bereits bei der Beklagten unterhielt, bei dem er sehr deutlich darauf hingewiesen worden war, dass er sich in einer bestimmten Frist vom Vertrag lösen könne (vgl. 2.1.) hat nicht nur diesen Vertrag aus dem Jahr 2002 durchgeführt, sondern 2004 den weiteren Vertrag (Nr. … 66) bei der Beklagten abgeschlossen, was auch zeigt, dass der Kläger mit dem Produkt der Beklagten nicht unzufrieden war; er hat dann, obwohl ihm auch beim 2. Vertrag die gesetzliche Frist von 14 Tagen deutlich bekannt gegeben worden war, 15 Jahre lang nicht mitgeteilt, dass er sich vom Vertrag lösen will. Sinn der gesetzlichen Regelung ist der Schutz vor einem Abschluss ohne ausreichende Information über den Inhalt des Vertrages, insbesondere vor übereilten Abschlüssen.
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Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger Versicherungsschutz (Todesfall und Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit) genossen hat und auch vertragliche Rechte während des Laufs des Vertrages ausgeübt hat (Beitragsfreistellung für 6 Monate und anschließende Fortführung im Jahr 2008, Änderung des Bezugsrechts 2009, Beitragsfreistellung 2019). 25 U 6830/21 - Seite 4 - 3. Ein Auskunftsanspruch steht dem Kläger nicht zu, insbesondere nicht aus § 242 BGB; da weder ein Rückgewährsanspruch noch ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch in Betracht kommt, ist schon deshalb der Beklagten eine mit Verwaltungsaufwand verbundene Auskunftserteilung nicht zumutbar.
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4. Ergänzend wird auf folgendes hingewiesen:
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Beim im Versicherungsschein zum Vertrag Nr. … 32 angegebenen Geburtsdatum des Klägers (… 1970) dürfte es sich um einen Schreibfehler handeln; der Senat geht vorläufig davon aus, dass der Kläger, E. B., geboren …1980, beide streitgegenständliche Verträge abgeschlossen hat (im Versicherungsschein zum Vertrag Nr. … 66 ist als Versicherungsnehmer E. B., geboren … 1980, angegeben).
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5. Der Senat beabsichtigt den Streitwert auf 31.345,59 € festzusetzen.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).