Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 05.07.2021 – AU 9 K 20.914
Titel:

Unterhaltungslast für ein Gewässer

Normenkette:
BayWG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 22 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein früherer kurviger Verlauf eines Gewässers spricht dafür, dass es sich um ein natürlich entstandenes Seitengewässer handelt, das lediglich im Lauf der Zeit den jeweiligen Bedürfnissen der Anlieger angepasst wurde. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Tatsache, dass der heutige Verlauf eines Gewässers maßgeblich durch die Wasserkraftnutzung beeinflusst wurde, rechtfertigt nicht den Rückschluss darauf, dass es sich um einen vollständig künstlich geschaffenen Seitenkanal handelt. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewässer, Seitengewässer, Seitenkanal, Gewässerunterhaltung, Unterhaltungslast, Sonderunterhaltung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 42216

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2020 wird in Ziffer I.2.3.1 und Ziffer I.3 aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Neuregelung des Gewässerunterhalts der ...
2
Die Klägerin ist Eigentümerin einer von vier an der ... gelegenen Triebwerksanlagen.
3
Am 3. Juli 2009 beantragte der Ehemann der Klägerin die Neuregelung des Gewässerunterhalts der, da es aufgrund einer bis dahin nur lückenhaften Regelung des Gewässerunterhalts immer wieder zu Unstimmigkeiten gekommen war.
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Am 20. Juli 2009 forderte das Landratsamt das zuständige Wasserwirtschaftsamt zur Stellungnahme und Unterbreitung eines Vorschlags für die Neuregelung der Unterhaltungspflichten an der ... auf. Das Wasserwirtschaftsamt äußerte sich mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 zur Neuregelung des Gewässerunterhalts und legte der Stellungnahme die Einschätzung zugrunde, dass es sich bei der ... um ein Gewässer 3. Ordnung handelt.
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Die Klägerin äußerte sich zum Vorschlag des Wasserwirtschaftsamts mit Schreiben vom 23. Februar 2015 und führte insbesondere aus, dass der Vorschlag nicht akzeptiert werde, da dieser eine vollständige Verdrängung der Regelunterhaltungslast durch die Sonderunterhaltslast vorsehe. Die öffentliche Hand müsse in angemessenem Umfang an der Unterhaltungslast beteiligt werden. Dabei müsse insbesondere die Klärung der Kernfrage der allgemeinen Unterhaltungslast auf Basis einer juristisch tragbaren Argumentationskette die Grundlage für eine neue Unterhaltungsregelung sein.
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Am 15. September 2015 fand ein gemeinsamer Besprechungstermin zur geplanten Neuregelung der Unterhaltung der ... statt. In der Folge konnte zwischen den Triebwerksbetreibern, der Stadt ... und den Stadtwerken ... ein einvernehmlicher Kompromiss erzielt werden. Abweichend vom Vorschlag des WWA wurde die ... als Gewässer 1. Ordnung eingestuft, sodass auch eine Unterhaltungspflicht des Freistaat Bayerns vorgesehen war.
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Mit Schreiben vom 4. Januar 2016 wandte sich das Landratsamt deshalb an die Regierung von ... und bat um Zustimmung zur beabsichtigten Übertragung der Unterhaltungslast auf den Freistaat Bayern. Am 7. Januar 2016 teilte die Regierung von ... mit, dass an der Einordnung der ... als Gewässer 1. Ordnung erhebliche fachliche Bedenken bestünden. Es sei vielmehr von einem Gewässer 3. Ordnung auszugehen. Eine Zustimmung zur vorgesehenen Neuregelung der Unterhaltung der ... unter Einbeziehung des Freistaats Bayerns sei daher nicht möglich.
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Mit Schreiben vom 11. Januar 2016 wandte sich das Landratsamt deshalb an die Stadt ... und bat um Übernahme der bislang für den Freistaat Bayern vorgesehenen Regelunterhaltungslast. Mit Schreiben vom 18. Januar 2016 stimmte die Stadt ... der Übernahme der Regelunterhaltungslast für die ... als Gewässer 3. Ordnung zu.
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Mit E-Mail vom 3. Februar 2016 äußerte der Eigentümer einer weiteren Triebwerksanlage unter Verweis auf einen Ausschnitt aus der Rauch´schen Karte aus dem Jahr 1613 Bedenken an der Einstufung der ... als Gewässer 3. Ordnung. Daraufhin bat das Landratsamt mit E-Mail vom 15. März 2016 die Regierung von ... erneut um Prüfung der Einordnung der ...
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Das von der Regierung von ... erneut zur Stellungnahme aufgeforderte Wasserwirtschaftsamt teilte mit E-Mail vom 28. November 2016 mit, dass es sich ausweislich der vorgelegten Karten im Ergebnis um ein Gewässer 3. Ordnung handle. Dieser Einschätzung schloss sich die Regierung von ... mit E-Mail vom 17. Januar 2017 an. Daraufhin bat das Landratsamt die Stadt ... erneut um Zustimmung zur Übernahme der Regelunterhaltungslast.
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Mit E-Mail vom 11. Mai 2018 legte der Ehemann der Klägerin dem Landratsamt weitere Schriftstücke vor, die die Einstufung der ... als Gewässer 1. Ordnung bestätigen sollten. Hierauf bezugnehmend wandte sich das Landratsamt mit Schreiben vom 22. Mai 2018 erneut an die Regierung von ... und bat um nochmalige Prüfung unter Einbeziehung der nunmehr vorliegenden Schriftstücke. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2018 teilte die Regierung von ... mit, dass an der ursprünglichen rechtlichen Beurteilung, d.h. an der Einordnung der ... als Gewässer 3. Ordnung, festgehalten werde. Eine Regelunterhaltungslast des Freistaats Bayern komme deshalb nicht in Betracht.
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Am 6. Dezember 2018 teilte die Stadt ... dem Landratsamt mit, dass unter Berücksichtigung der von den Triebwerkseigentümern vorgelegten weiteren Unterlagen entgegen der Erklärung vom 18. Januar 2016 das Einverständnis zur Übernahme der Regelunterhaltungspflicht nicht (mehr) erteilt werde. Das ursprünglich erklärte Einverständnis mit der beabsichtigten Neuregelung habe auf der irrtümlichen Auffassung beruht, dass es sich bei der ... um ein Gewässer 3. Ordnung handle. Nach den seither vorgelegten Unterlagen könne hieran nicht festgehalten werden. Die ... sei vielmehr ein Gewässer 1. Ordnung, sodass der Freistaat Bayern die Regelunterhaltungspflicht zu tragen habe.
13
Das Landratsamt erarbeitete daraufhin ausgehend von dem ursprünglichen Vorschlag des WWA, dem bisher erzielten Kompromiss und dem Ergebnis der Prüfung der Regierung von ... einen neuen Vorschlag für die Neuregelung des Gewässerunterhalts der und übersandte den Entwurf am 8. Januar 2019 den Beteiligten zur Stellungnahme.
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Die Stadt ... beauftragte daraufhin im Februar 2019 eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Prüfung der Gewässerordnung der ... Die Kanzlei kommt in ihrem Gutachten vom 13. Februar 2019 zu dem Ergebnis, dass die Einordnung der ... als Gewässer 3. Ordnung rechtsfehlerhaft ist und rät von der Übernahme einer Verantwortlichkeit durch die Stadt ... ab.
15
Aufgrund der seitens der Klägerin vorgebrachten Bedenken gegen den Bescheidsentwurf erfolgte Anfang des Jahres 2020 eine erneute Abstimmung mit dem Wasserwirtschaftsamt und der Regierung von, die jedoch erfolglos verlief.
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Mit Bescheid vom 11. Mai 2020 legte der Beklagte die Unterhaltung der ... neu fest. Dabei wird in Ziffer I davon ausgegangen, dass es sich bei der ... um ein Gewässer 3. Ordnung handelt. In Ziffer I.2.3.1 wurde der Klägerin die Unterhaltungslast für die Gewässerstrecke vom „...“ bis zum Unterwasser des Wasserkraftwerks „...“ mit Ausnahme des linken Ufers der ... im Bereich der Grundstücke Fl.-Nrn. ... der Gemarkung ... und ... der Gemarkung ... übertragen. In Ziffer 3.1 wurden Kostenerstattungsansprüche der Unterhaltungspflichtigen gegenüber den Triebwerksbetreibern für Entlandungen entsprechend der Rohleistung jedes einzelnen Triebwerks anteilig festgelegt. Auf das Triebwerk der Klägerin fällt danach ein Anteil von 23,0%.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Frage der Gewässerordnung der ... sei vorliegend umstritten. Es sei jedoch entsprechend der rechtlichen Würdigung durch die Regierung von ... von einem Gewässer 3. Ordnung auszugehen. Der Umstand, dass die ... nicht in der Anlage zum BayWG aufgeführt sei, spreche dafür, dass von einem Seitenkanal im Sinne von Art. 2 Abs. 2 BayWG auszugehen sei. Auch die Tatsache, dass zwischen der ... und der ... ein erheblicher Höhenunterschied bestehe, spreche für die Einstufung der ... als eigenständigen Seitenkanal. Ein weiteres Indiz für die Einstufung der ... als Seitenkanal und damit als Gewässer 3. Ordnung finde sich in der historischen Uraufnahme von Bayern (1808-1864). Hier sei die ... als Mühlbach bezeichnet und der Wasserlauf der ... als „Fluß ...“. Die ... sei zwar ursprünglich ein Gerinne der ... gewesen. Der heutige Verlauf der ... habe sich jedoch durch Hochwasserereignisse als eigener Hauptstrom etabliert. Dies deute darauf hin, dass der alte Gewässerarm von den Triebwerksbetreibern zu einem Mühlbach umfunktioniert wurde, um die Wasserkraft unbeschadet von Hochwassereinwirkungen nutzen zu können. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die ... ohne die Errichtung der Mühlen anders verlaufen, wenn nicht sogar mit der Zeit verlandet wäre. Der heutige Bestand der ... sei durch die Triebwerksnutzung zumindest erheblich beeinflusst und geprägt worden. Entsprechend dem Vorschlag des Wasserwirtschaftsamts vom 3. Dezember 2014 sei den betroffenen Triebwerkbetreibern die Unterhaltung übertragen worden, soweit in den Stau- und Unterwasserbereichen der Triebwerke die Unterhaltung weitestgehend deren Interessen diene und auch der Aufwand der Unterhaltung z.B. durch vermehrte Ablagerungen infolge der Stauhaltung durch sie verursacht werde. Es sei auch berücksichtigt worden, dass die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt habe, dass zum Schutz der nahen Bebauung vor Vernässungen erhöhte Unterhaltungsaufwendungen nötig seien. Es erscheine deshalb unbillig, ausschließlich den Triebwerksbetreiber zur direkten Unterhaltungsarbeiten zu verpflichten. Aus diesem Grund sei die Unterhaltungslast für diesen Gewässerabschnitt der Stadt ... als öffentlichen Träger auferlegt und deren eigener Kostenanteil höher bemessen worden.
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Die Klägerin hat gegen den Bescheid mit Schriftsatz vom 2. Juni 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt zuletzt, den Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2020 (Az. ...) in Ziff. I.2.3.1 und I.3 aufzuheben.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die ... sei ein Nebengewässer der ... im Sinne von Art. 2 Abs. 2 BayWG und damit ein Gewässer 1. Ordnung. Sie sei kein künstlich angelegtes Gewässer in Gestalt eines Kanals, sondern natürlich entstanden. Hierfür sprächen auch der kurvige Verlauf und die Eigentumsverhältnisse. Wäre die ... für die Wasserkraftnutzung künstlich angelegt worden, so wäre der vermeintliche Kanal im Privateigentum verblieben. Es sei aber auch nicht erforderlich, dass ein Nebengewässer ausschließlich von natürlichen Vorgängen abhängig sei. Da sich vorliegend nicht beweisen lasse, dass es sich bei der ... um die gesetzliche Ausnahme eines Seitenkanals der ... handle, müsse die gesetzliche Regel gelten, so dass die ... als Nebengewässer einzuordnen sei. Ein Gewässer sei nur dann ein Seitenkanal, wenn es im Gegensatz zum Fluss oder Bach vollständig künstlich hergestellt worden sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Dabei sei auch dem Höhenunterschied zwischen der ... und der ... kein ausschlaggebendes Gewicht beizumessen. Auch dieser müsse historisch natürlich gewachsen sein. Die obere Mühle bestehe urkundlich mindestens seit dem Jahr 1591. Zu diesem Zeitpunkt sei es aber mangels entsprechender Gerätschaften (z.B. Bagger) in technischer Hinsicht nicht möglich gewesen, derartige Höhenunterschiede künstlich herzustellen. Nach Art. 22 Abs. 1 BayWG greife, unabhängig von der Einordnung des Gewässers, die primäre Unterhaltungslast des Beklagten bzw. der Stadt ... Diese könne allenfalls durch eine untergeordnete, räumlich und inhaltlich begrenzte Sonderunterhaltungslast der Triebwerksbesitzer ergänzt werden. Die Regelungen im angefochtenen Bescheid zur Unterhaltungslast der Triebwerksbesitzer gingen jedoch weiter über dieses Maß hinaus. Dies belege der Vergleich mit der an der ... gelegenen Wasserkraftanlage ... Den Betreibern dieser Anlage sei bezüglich der ... ein Abschnitt von 180 m im Oberwasser und ein Abschnitt von 200 m im Unterwasser zur Unterhaltung zugeschrieben. Die Anlage sei gegenüber der Anlage der Klägerin deutlich leistungsfähiger. Dennoch werde die Klägerin ohne rechtfertigenden Grund in erheblich größerem Umfang zur Unterhaltung der ... herangezogen. Zudem werde die Klägerin mit dem ihr im Bescheid zugeteilten Anteil von 23,0% an 70% der Entlandungskosten der Stadt ... übermäßig und unangemessen belastet. Aufgrund der primären Unterhaltungslast des Regelunterhaltsverpflichteten habe dieser die Kosten für die Entlandung allein zu tragen. Es bedeute für die Klägerin auch eine erhebliche Verteuerung der Unterhaltskosten, wenn die erforderlichen Maßnahmen nicht selbst durchgeführt bzw. vergeben werden könnten, sondern die Vergabe durch die öffentliche Hand und nach deren Regeln zu erfolgen habe.
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Das Landratsamt ist der Klage für den Beklagten mit Schriftsatz vom 9. Februar 2021 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
22
Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
23
Am 5. Juli 2021 fand die mündliche Verhandlung statt.
24
Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
25
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

26
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin im angefochtenen Umfang in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Regelung des Unterhalts der ... mit Bescheid vom 11. Mai 2020 ist rechtswidrig,
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weil sie auf der rechtsfehlerhaften Annahme beruht, dass es sich bei der ... um einen künstlich geschaffenen Seitenkanal und damit um ein Gewässer 3. Ordnung handelt, für das die Stadt ... den Regelunterhalt zu tragen hat. Zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist die ... als natürliches Seitengewässer der ... jedoch als Gewässer 1. Ordnung einzustufen, mit der Folge, dass der Freistaat Bayern Träger des Regelunterhalts ist. Bei der Neureglung des Gewässerunterhalts der ... ist der Beklagte daher bereits im Ausgangspunkt von einer unzutreffenden Annahme bezüglich der Gewässerklassifizierung ausgegangen. Da die Verteilung der Sonderunterhaltungslasten aber untrennbar mit der Festlegung des Regelunterhaltsverpflichteten verknüpft ist, basieren damit auch die die Klägerin betreffenden Regelungen in Ziffer I.2.3.1 und I. 3 des Bescheids auf der falschen Tatsachengrundlage und können daher keinen rechtlichen Bestand haben. 2. Die ... ist als ein Gewässer 1. Ordnung anzusehen, für das der Freistaat Bayern die Regelunterhaltslast trägt.
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Gemäß Art. 22 Abs. 1 des Bayerischen Wassergesetzes (BayWG) vom 25. Februar 2010 (GVBl. S. 66, 130) zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2019 (GVBl. S. 737) obliegt die Unterhaltung der Gewässer 1. Ordnung dem Freistaat Bayern, den Unterhalt der Gewässer 3. Ordnung tragen hingegen die Gemeinden als eigene Aufgabe.
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a) Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 BayWG sind Gewässer der 1. Ordnung die Bun deswasserstraßen und die in der Anlage 1 zum BayWG aufgeführten Gewässer. Bei den Gewässern, die in das nach Art. 3 BayWG aufzustellende Verzeichnis eingetragen sind, handelt es sich nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 BayWG um Gewässer der 2. Ordnung. Alle anderen Gewässer werden nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 BayWG als Gewässer 3. Ordnung qualifiziert. Für Seitengewässer wie Altarme, Nebenarme, Flutmulden, Hafengewässer und ähnliche Verzweigungen eines Gewässers legt Art. 2 Abs. 2 BayWG fest, dass diese zu der Ordnung des Hauptgewässers gehören, von dem das Seitengewässer abzweigt. Ausgenommen hiervon sind lediglich Seitenkanäle, die im Hinblick auf die Einteilung in die Gewässerordnung rechtlich selbständig zu beurteilen sind. Es ist damit begrifflich zwischen den Seitenkanälen und den übrigen Seitengewässern zu unterscheiden.
31
Bei der Einordnung eines Gewässers ist zu berücksichtigen, dass die Annahme eines Seitenkanals die gesetzliche Ausnahme darstellt, sodass die Vermutung für das Nicht-Vorliegen eines Seitenkanals gilt, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist (vgl. hierzu Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Art. 2 Rn. 12, Stand: September 2014). Bei einem Seitenkanal im Sinn des Art. 2 Abs. 2 BayWG handelt es sich um ein künstlich hergestelltes Gewässer (§ 3 Nr. 4 WHG). Abzustellen ist damit allein darauf, ob ein völlig neues Gewässer entstanden ist und selbständig für sich besteht (vgl. hierzu Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Art. 2 Rn. 12, Stand: September 2014). Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei den anderen Seiten- oder Nebengewässern um Gewässerbestandteile, die von Natur aus bestehen. Dabei ist jedoch nicht erforderlich, dass sie auch in ihrem derzeitigen Bestand ausschließlich von natürlichen Vorgängen abhängig sind (vgl. Knopp in Siedler/Zeitler, Bayerisches Wassergesetz, Band I, Stand Februar 2019, Art. 2 Rn. 21).
32
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die ... nach Ansicht der Kammer als Gewässer 1. Ordnung einzustufen, mit der Folge, dass nicht die Stadt, sondern der Freistaat Bayern Träger der Regelunterhaltslast ist.
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(1) Vorliegend greift die gesetzliche Regel des Art. 2 Abs. 2 BayWG, wonach Sei tengewässer grundsätzlich zu der Ordnung des Hauptgewässers gehören. Diese konnte vom Beklagten nicht widerlegt werden. Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei der ... um einen künstlich geschaffenen Seitenkanal der ... handelt, der im Hinblick auf die Gewässerordnung rechtlich selbständig zu bewerten wäre. Weder das im Verfahren vorgelegte Kartenmaterial, noch die weiteren vom Beklagten im Verfahren vorgebrachten Argumente sind in der Lage, das Vorliegen eines künstlich geschaffenen Seitenkanals zu belegen.
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(aa) Den vorgelegten historischen Karten (Bl. 101, 185, 186, 234 der Akte) kann nicht entnommen werden, dass die ... ursprünglich künstlich geschaffen wurde. Die verschiedenen Darstellungen lassen vielmehr auf eine natürliche Entstehung der ... schließen. Den Karten ist zu entnehmen, dass der ursprünglich kurvige Verlauf der ... - wohl insbesondere zum Zweck der Wasserkraftnutzung - im Laufe der Zeit stellenweise begradigt wurde. Die nachträglich vorgenommenen Begradigungen der ... sprechen jedoch gegen ihre künstliche Entstehung. Wenn die ... tatsächlich zum Zweck der Wasserkraftnutzung künstlich hergestellt worden wäre, so wäre damit zu rechnen gewesen, dass sie bereits in ihrem ursprünglichen Verlauf so gerade wie möglich festgelegt worden wäre und spätere Begradigungen nicht erforderlich geworden wären. Der frühere kurvige Verlauf der, spricht deshalb vielmehr dafür, dass es sich um ein natürlich entstandenes Seitengewässer handelt, das lediglich im Lauf der Zeit den jeweiligen Bedürfnissen der Anlieger angepasst wurde.
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(bb) Dieser Einschätzung steht auch nicht entgegen, dass die ... in der histori schen Karte der Uraufnahme von Bayern der Jahre 1808-1864 (Bl. 234 d. Akte) als „Mühlbach“ und in Altbescheiden des Landratsamts (Bl. 144 ff. d. Akte) und des ehemaligen Straßen- und Flussbauamts (Bl. 159 d. Akte) als „Werkkanal“ bzw. „...“ bezeichnet wird. Die Bezeichnung legt zwar nahe, dass die ... in besonderem Maße der Wasserkraftnutzung diente, beweist aber nicht deren künstliche Entstehung. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass dem Kartenmaterial ebenfalls entnommen werden kann, dass die ... als westlicher Arm der ... - jedenfalls zeitweise - auch selbst als „(die) ...“ bezeichnet wurde (vgl. bspw. Bl. 186 d. Akte).
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Die unbestrittene Tatsache, dass der heutige Verlauf der ... maßgeblich durch die Wasserkraftnutzung beeinflusst wurde, rechtfertigt nicht den Rückschluss darauf, dass es sich bei der ... um einen vollständig künstlich geschaffenen Seitenkanal handelt. Die an der ... im Lauf der Zeit zum Zweck der Wasserkraftnutzung vorgenommenen Ausbau- und Umgestaltungsmaßnahmen stehen der Einordnung als natürliches Seitengewässer der ... nicht entgegen. Denn auch natürliche Seitengewässer müssen nicht ausschließlich von natürlichen Vorgängen abhängig sein. Soweit eine technische Aus- oder Umgestaltung erfolgte, müssen die Seitengewässer lediglich noch in einem natürlichen Zusammenhang verbleiben (Knopp in Sieder/Zeitler, BayWG, Art. 2 Rn. 21). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Trotz der in der Vergangenheit an der ... zum Zweck der Wasserkraftnutzung vorgenommenen Veränderungen ist sie im natürlichen Zusammenhang zum Hauptgewässer verblieben. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich insoweit auch nicht durch die aktuell zwischen ... und ... bestehenden Höhenunterschiede. Zwar kann die ... aufgrund der heutigen Höhenverhältnisse nur mit Hilfe eines Wasserkraftwerks Wasser führen, doch lässt dies letztendlich keinen Rückschluss auf die ursprünglichen Gegebenheiten im Zeitpunkt der Entstehung der zu. Vielmehr sind bei der Beurteilung der Situation auch die über Jahrhunderte erfolgenden natürlichen Veränderungen eines Flusslaufs in den Blick zu nehmen.
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Der Umstand, dass die ... nicht selbst in der Anlage 1 zum BayWG aufgeführt ist, schließt die Einordnung als Gewässer 1. Ordnung ebenfalls nicht aus. Natürliche Seitengewässer gehören nach der gesetzlichen Regelung des Art. 2 Abs. 2 BayWG kraft Gesetzes zur Gewässerordnung des jeweiligen Hauptgewässers, sodass es einer selbständigen Nennung der Seitengewässer in den Gewässerverzeichnissen darüber hinaus nicht bedarf. Es genügt vielmehr, dass das Hauptgewässer - hier die ... - in das Verzeichnis der Gewässer 1. Ordnung aufgenommen ist.
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(2) Nach alledem ist das Vorliegen eines künstlich geschaffenen Seitenkanals nicht belegt. Nach der gesetzlichen Regel des Art. 2 Abs. 2 BayWG gehört die ... damit als natürliches Seitengewässer zur Gewässerordnung der des Hauptgewässers. Nachdem die ... in Anlage 1 lfd. Nr. 13 zum BayWG (Verzeichnis der Gewässer erster Ordnung) als Gewässer 1. Ordnung aufgeführt ist, gehört auch die ... als Seitengewässer der ... zu den Gewässern 1. Ordnung.
39
Damit ist aber nicht die Stadt, sondern der Freistaat Bayern der Regelunterhaltsverpflichtete, sodass die Neuregelung des Gewässerunterhalts der ... mit Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2020 bereits im Ausgangspunkt auf falsche Tatsachen gestützt wurde. Da die Übertragung von Regel- und Sonderunterhaltungslasten in Wechselwirkung zueinanderstehen, beruht letztlich die gesamte Verteilung der Verantwortlichkeiten für den Gewässerunterhalt auf einer falschen Tatsachengrundlage. Nachdem der Beklagte unzutreffend davon ausgegangen ist, dass die Stadt ... zum Regelunterhalt verpflichtet ist, dieser jedoch dem Freistaat Bayern obliegt, können auch die weiteren, hierauf fußenden Zuweisungen von Sonderunterhaltspflichten keinen rechtlichen Bestand haben. Diese sind inhaltlich - insbesondere auch im Hinblick auf die geregelten wechselseitigen Kostenerstattungsansprüche - an die Regelunterhaltspflicht geknüpft und können damit nicht isoliert fortbestehen. Aufgrund der untrennbaren inhaltlichen Verknüpfung von Regel- und Sonderunterhaltungslast bedarf es für die ... als Gewässer 1. Ordnung ausgehend von der Regelunterhaltspflicht des Freistaats Bayern vielmehr einer einheitlichen Neubewertung der Verantwortlichkeiten und einer dementsprechenden Neuregelung des Gewässerunterhalts der ...
40
(3) Die Frage, ob die konkrete Festlegung der Reichweite der Sonderunterhal tungslast der Klägerin im streitgegenständlichen Bescheid in angemessener Weise erfolgt ist, bedarf bei dieser Sachlage keiner weiteren Erörterung mehr.
41
Im Hinblick auf die von der Klägerin insoweit im Verfahren geäußerten Bedenken weist das Gericht allerdings darauf hin, dass die Festlegung einer alleinigen Sonderunterhaltungsplicht des Betreibers einer Wasserbenutzungsanlage und ein damit einhergehendes vollständiges Zurücktreten der Regelunterhaltspflicht für eine gewisse Gewässerstrecke nicht von vorn herein ausgeschlossen ist (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 16.5.1978 - 22 VIII 75 - juris). Nach Art. 22 Abs. 3 BayWG obliegt die Unterhaltung eines Gewässers den Unternehmern von Wasserbenutzungsanlagen insoweit, als sie durch die Anlage bedingt ist. Die Sonderunterhaltungslast nach Art. 22 Abs. 3 BayWG geht insoweit der Regelunterhaltungslast nach Art. 22 Abs. 1 BayWG als lex specialis vor. Die Festlegung der konkreten Reichweite der Sonderunterhaltungslast erfolgt auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung des kausalen Wirkungszusammenhangs zwischen der Wasserbenutzungsanlage und den erforderlichen Unterhaltsmaßnahmen. Insoweit ist nicht generell ausgeschlossen, dass die Regelunterhaltungslast nach Art. 22 Abs. 1 BayWG aufgrund eines adäquatkausalen Verknüpfungszusammenhangs zwischen der Anlage und dem Gewässerzustand vollständig von der Sonderunterhaltungslast verdrängt wird.
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Die zuständige Behörde hat die konkrete Reichweite der Sonderunterhaltungslast entsprechend des festgestellten Kausalzusammenhangs festzulegen. Dabei kann nach Auffassung der Kammer (unter anderem) auch auf die räumliche Ausdehnung der Stauwurzel einer Triebwerksanlage als insoweit sachgerechtes Kriterium abgestellt werden. Letztlich bedarf es einer individuellen Beurteilung anhand der Umstände des Einzelfalles, sodass eine pauschale Übertragung der für andere Anlagen festgelegten Reichweite der Sonderunterhaltungslast nicht in Betracht kommt und hieraus insbesondere keine eigenen individuellen Rechte abgeleitet werden können.
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3. Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
44
Als im Verfahren Unterlegener hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).