Inhalt

AG München, Beschluss v. 11.11.2021 – 542 F 6701/21
Titel:

Verfassungskonforme Auslegung, Abstammungsrecht, Eltern-Kind-Verhältnis, Ungleichbehandlung, Gesetzgebungsverfahren, Sukzessivadoption, Künstliche Befruchtung, Beschlüsse, Allgemeiner Gleichheitssatz, Verfahrensaussetzung, Verfassungsrechtliche Anforderungen, Mutter des Antragstellers, Gleichgeschlechtlicher Lebenspartner, Rechtliche Vaterschaft, OLG Celle, Eingetragene Lebenspartner, Bundesverfassungsgericht, Mutterschaft, Sorgeberechtigter Elternteil, Persönliche Anhörung

Normenketten:
BGB § 1591
BGB § 1592
BGB § 1600
BGB § 1629
BGB § 1687
Schlagwort:
Mutterschaft
Fundstellen:
FamRZ 2022, 122
BeckRS 2021, 41962
LSK 2021, 41962

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage eingeholt, ob §§ 1591, 1592 Nr. 1, 1600 d Abs. 4 BGB mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller zu 1) ist das leibliche Kind der Antragstellerin zu 3), die Antragstellerin zu 2) ist deren Ehefrau. Sie schlossen am ... die Ehe miteinander (Eheurkunde des Standesamtes K. (Allgäu) vom ..., Heiratsregister Nr. ...). Am ... wurde der Antragsteller zu 1) geboren. Die Schwangerschaft beruht auf heterologer Insemination mittels einer Samenspende an eine Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 SaRegG. Im ... also während der Schwangerschaft der Antragstellerin zu 3), schlossen die Eheleute einen notariellen Vertrag, in dem sie sich verpflichteten, ihr Familienleben so zu gestalten, wie es gemeinsamer Elternschaft und gemeinsamer elterlicher Sorge entspricht. Die Antragstellerin zu 2) verpflichtete sich insbesondere auch, für den Antragsteller zu 1) Unterhalt zu bezahlen.
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Ein von ihnen eingeleitetes Adoptionsverfahren brachen die Antragstellerinnen zu 2) und 3) durch Antragsrücknahme ab, nachdem die zuständige Behörde von ihnen zahlreiche Unterlagen und Auskünfte gefordert hatte. Insbesondere wurde in den Anschreiben die Antragstellerin zu 3) nicht wie die leibliche und rechtliche Mutter des Antragstellers zu 1) behandelt, sondern wie ein weiterer Adoptivelternteil. Die Behörde bat insbesondere um einen ausführlichen Lebensbericht unter Schilderung ihrer Lebensgeschichte, der Entwicklung der Paarbeziehung, der Motivation zur Adoption, der Entwicklung der Beziehung zum Kind, der Erziehungsvorstellungen und der Entscheidungsfindung zur Samenspende.
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Die Antragstellerinnen und der Antragsteller beantragen,
festzustellen, dass zwischen dem Antragsteller zu 1) und der Antragstellerin zu 2) ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht.
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Das Gericht hat die Antragstellerinnen persönlich angehört und sich einen persönlichen Eindruck vom Antragsteller verschafft. Das vom Termin benachrichtigte Jugendamt gab keine Stellungnahme ab und nahm am Anhörungstermin nicht teil. Auf den Vermerk über die persönliche Anhörung vom 05.10.2021 wird Bezug genommen. Insbesondere bestätigten die Antragstellerinnen glaubhaft die Schilderungen des Sachverhalts aus der Antragsschrift. Das Gericht konnte sich zudem davon überzeugen, dass das Kind beiden Antragstellerinnen gleichermaßen vertraut und zugewandt ist. Beide Antragstellerinnen gehen mit ihm liebevoll um. Neben der persönlichen Situation der Familie wurde auch die Rechtslage eingehend erörtert.
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Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerinnen und des Antragstellers nahm mit Schriftsatz vom 08.10.2021, auf den Bezug genommen wird, noch ergänzend zur Rechtslage Stellung. Sie ist der Meinung, dass dem Antrag in verfassungskonform geschlechtsneutraler Auslegung von § 1592 Nr. 1 BGB entsprochen werden muss. Hilfsweise sei das Verfahren auszusetzen und die Verfassungswidrigkeit von § 1592 Nr. 1 BGB dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
II.
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Das Verfahren muss nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingeholt werden.
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Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG). Sind diese Voraussetzungen gegeben, holen die Gerichte unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein (§ 80 Abs. 1 BVerfGG). Das vorlegende Gericht darf das für verfassungswidrig gehaltene Gesetz nicht selbst verwerfen, muss aber, damit die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zulässig ist, selbst von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt sein; auch eine verfassungskonforme Auslegung muss es für sich ausschließen (BVerfG, Beschluss von 18.12.1984 – 2 BvL 22/82, BVerfGE 68, 337 = BeckRS 1984, 5459, Rn. 47). Hat sich das Bundesverfassungsgericht bereits mit der Verfassungsmäßigkeit einer Norm befasst, sind weitere Vorlagen grundsätzlich ausgeschlossen; eine erneute Vorlage kommt aber in Betracht, wenn tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, die eine Grundlage der früheren Entscheidungen berühren und deren Überprüfung nahelegen (BVerfG, Beschluss vom 13.05.1996 – 2 BvL 33/93, BVerfGE 94, 315 = NJW 1996, 2717, beck-online).
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Diese Voraussetzungen liegen vor. Dem Antrag kann nach derzeitiger Rechtslage nicht entsprochen werden. Die Regelung der Abstammung von im Wege der „qualifizierten“ anonymen Samenspende im Sinne von § 1600 d Abs. 4 BGB gezeugten Kindern – also Kindern, die durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung in einer Einrichtung der medizinischen Versorgung im Sinne von § 1a Nr. 9 TPG unter heterologer Verwendung von Samen gezeugt worden, der vom Spender einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SaRegG zur Verfügung gestellt wurde – von der mit der Geburtsmutter zum Zeitpunkt der Geburt verheirateten Person nach §§ 1591, 1592 Nr. 1 BGB verstößt aber zur Überzeugung des Gerichts gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie benachteiligt eine mit der Geburtsmutter verheiratete Frau (hier die Antragstellerin zu 2)) aufgrund ihres Geschlechts gegenüber einem Mann in entsprechender Position. Sie benachteiligt auch ein so gezeugtes Kind, das in eine gleichgeschlechtliche Ehe zweier Frauen hineingeboren wird (hier den Antragsteller zu 1)) gegenüber einem so gezeugten Kind, das in eine verschiedengeschlechtliche Ehe hinein geboren wird. Für diese Ungleichbehandlungen gibt es, anders als noch zum Zeitpunkt der letzten Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit § 1592 Nr. 1 BGB, keinen rechtfertigenden Grund. Es sind aber weder eine analoge Anwendung von § 1592 Nr. 1 BGB noch eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift möglich. Bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften durch das Bundesverfassungsgericht besteht die Chance, eine für die Antragstellenden günstigere Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen, so dass über den Antrag anders als nach derzeitiger Rechtslage entschieden werden müsste.
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1. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung von §§ 1591, 1592 Nr. 1, 1600 d Abs. 4 BGB ist nicht bereits mit Bindung für das vorliegende Verfahren durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, 2. Kammer des Ersten Senats, vom 02.07.2010 – 1 BvR 666/10 (NJW 2011, 988) festgestellt. Damals nahm das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde zweier eingetragener Lebenspartner nicht zur Entscheidung an, weil weder Art. 6 GG noch Art. 3 GG verletzt seien. Insbesondere liege keine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 GG vor, denn die Vermutung, der Ehemann der Mutter sei der andere Elternteil des Kindes beruhe auf der biologischen Herkunft des Kindes und sei bei Lebenspartnern nicht begründet (ebd., Rn. 30). Seit dieser Entscheidung hat sich die Rechtslage entscheidend verändert. Bei Kindern, die durch qualifizierte Samenspende im Sinne von § 1600 d Abs. 4 BGB in der hier anwendbaren, seit 01.07.2018 gültigen Fassung, also durch ärztlich unterstütze künstliche Befruchtung im heterologen System mit anonymer Samenspende, gezeugt werden, greift eine auf die biologische Herkunft des Kindes gestützte Vermutung nicht mehr. Mit den Folgen der Gesetzesänderung zum 01.07.2018 konnte sich das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 naturgemäß nicht befassen.
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2. Der Antrag auf Feststellung des Eltern-Kind-Verhältnisses ist zulässig.
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2.1 Die Antragstellerinnen begehren die Feststellung eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen der Antragstellerin zu 2) und dem Antragsteller zu 1). Für diesen Antrag ist das Verfahren in Abstammungssachen nach § 169 Nr. 1 FamFG statthaft.
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2.2 Das Amtsgericht München, Familiengericht, ist ausschließlich örtlich zuständig gemäß § 170 Abs. 1 FamFG.
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2.3 Die Antragstellerinnen zu 2) und 3) sind ohne Weiteres gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 FamFG verfahrensfähig. Der Antragsteller zu 1) wird gemäß §§ 9 Abs. 2 FamFG, 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB von der Antragstellerin zu 3) als seiner allein sorgeberechtigten Mutter vertreten. Sie ist weder gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 BGB von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen, noch ist ihr diese gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB zu entziehen (so für die angestrebte Feststellung der Mit-Mutterschaft auch: KG; Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 17, beck-online).
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a) Es besteht kein abstrakter Interessengegensatz zwischen der als Mutter festzustellenden Antragstellerin zu 2) und dem Antragsteller zu 1), der die Antragstellerin zu 3) kraft Gesetzes an seiner Vertretung hindern würde. Ein Abstammungsverfahren ist nicht grundsätzlich ein kontradiktorisches Verfahren im engeren, materiell-rechtlichen Sinn von § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Eine materielle Gegnerstellung gibt es nur im Verfahren über die Anfechtung der Vaterschaft zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind, nicht aber im Verfahren zur Feststellung des Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen dem Kind und der mit der Mutter verheirateten Person, die als Elternteil festgestellt werden soll.
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Will der rechtliche Vater seine rechtliche Vaterschaft beseitigen, besteht ein abstrakter Interessengegensatz zwischen ihm und dem Kind, das die Grundlage für elementare subjektive Rechte wie Unterhalt und Erbrecht verlieren wird (BGH, Beschluss vom 21.03.2012 – XII ZB 510/10, NJW 2012, 1731 Rn. 12, beck-online). Der abstrakte Interessengegensatz nach materiellem Recht besteht in allen Fällen der Vaterschaftsanfechtung, egal wer das Anfechtungsverfahren betreibt (ebd., Rn. 17). Die allein sorgeberechtigte Mutter ist wegen dieser Gegnerstellung zwischen Vater und Kind von der Vertretung des Kindes im Vaterschaftsanfechtungsverfahren ausgeschlossen, wenn sie mit dem rechtlichen Vater verheiratet ist, nicht aber schon aufgrund ihrer eigenen Beteiligung am Verfahren (BGH, Beschluss vom 02.11.2016 – XII ZB 583/15, NJW 2017, 561 Rn. 13, beck-online).
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Wenn aber kein bestehendes Statusverhältnis beseitigt, sondern nur ein zusätzliches festgestellt werden soll, besteht kein vergleichbarer abstrakter Interessengegensatz. Das unterstreicht § 1629 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 BGB, wonach im Vaterschaftsfeststellungsverfahren nach § 1600 d BGB sogar die Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1796 BGB bei konkretem Interessengegensatz ausscheidet; erst wenn das Kind durch das Jugendamt als Beistand vertreten wird, ist die Vertretung durch den sorgeberechtigten Elternteil in dem Verfahren ausgeschlossen (§ 173 FamFG). Die Regelung ist allerdings nicht auf den hier zu entscheidenden Fall zugeschnitten, dass die Elternschaft einer mit der Mutter verheirateten Person gerichtlich festgestellt werden soll, weil die Vaterschaft im Sinne des § 1600 d BGB in diesem Fall kraft Gesetzes besteht (§ 1592 Nr. 1 BGB). Die Interessen des Kindes am Erhalt eines weiteren Elternteils sind aber gleich, egal ob die Elternschaft eines mit der Mutter verheirateten Mannes ohne Weiteres kraft Gesetzes eintritt, ob ohne Anfechtung einer bestehenden rechtlichen Vaterschaft die Elternstellung des nicht mit der Mutter verheirateten leiblichen Vaters gerichtlich festgestellt werden soll, oder ob wie hier die Elternschaft einer mit der Mutter verheirateten Frau gerichtlich festgestellt werden soll. Das Kind erhält in jedem Fall einen weiteren Elternteil, ein bestehendes Statusverhältnis wird nicht beseitigt.
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b) Es kann dahinstehen, ob überhaupt die Möglichkeit besteht, der Antragstellerin zu 3) nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB die Vertretung zu entziehen. Ausdrücklich ausgeschlossen ist die Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis nach § 1629 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 BGB nur für Verfahren der Feststellung der Vaterschaft, nicht der hier angestrebten Feststellung der „Mit-Mutterschaft“. Jedenfalls besteht aber kein konkreter Interessengegensatz. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte für eine solche Annahme. Im Gegenteil ist nach dem schriftsätzlichen Vorbringen der Beteiligten und ihrer persönlichen Anhörung davon auszugehen, dass zwischen dem Kind und beiden Antragstellerinnen, der Mutter und der mit ihr verheirateten Frau, ein tatsächlich familiäres Verhältnis doppelter Elternschaft herrscht, das nur durch die Feststellung als Statusverhältnis auch zur Antragstellerin zu 2) auch rechtlich anerkannt werden soll; die Antragstellerin zu 2) hat bereits freiwillig weitgehend Pflichten eines Elternteils übernommen. Die rechtliche Anerkennung der doppelten Elternschaft liegt im Interesse aller drei Antragstellenden.
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3. Der Antrag ist derzeit unbegründet. Es besteht kein feststellbares Eltern-Kind-Verhältnis zwischen der Antragstellerin zu 2) und dem Kind ihrer Ehefrau, dem Antragsteller zu 1). Sie ist weder Mutter, Vater noch „Mit-Mutter“ des Antragstellers zu 1).
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3.1 Der Antragsteller zu 1) hat mit der Antragsstellerin zu 3) bereits eine Mutter im Sinne des § 1591 BGB. Die Feststellung der Antragstellerin zu 2) als einerweiteren Mutter neben der Frau, die das Kind geboren hat, lässt der klare Wortlaut der Vorschritt nicht zu; für eine irgendwie geartete analoge Anwendung besteht kein Raum (BGH, Beschluss vom 10.10.2018 – XII ZB 231/18, NJW 2019, 153 Rn. 10, beck-online; KG, Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 26–30, beck-online; OLG Celle, Beschluss vom 24.03.2021 – 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 = BeckRS 2021, 5223 Rn. 30–35, beck-online). Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die ausführliche Begründung der veröffentlichten höchstrichterlichen Entscheidung (zu diesen Anforderungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit der Bezugnahme auf Entscheidungen anderer Gerichte nach den strengen Vorgaben des Bundesgerichtshofs für die Begründung eines Vorlagebeschlusses: BeckOK GG/Morgenthaler, 48. Ed. 15.08.2021, GG Art. 100 Rn. 20 unter Verweis auf BVerfGE 93, 121).
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3.2 Die Antragstellerin zu 2) ist nicht der Mann, der mit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt verheiratet war und somit auch nicht der Vater des Antragstellers zu 1) gemäß § 1592 Nr. 1 BGB. Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift lässt eine geschlechtsunabhängige Auslegung nicht zu (BGH, Beschluss vom 10.10.2018 – XII ZB 231/18, NJW 2019, 153 Rn. 12, beck-online; KG, Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 33, beck-online; OLG Celle, Beschluss vom 24.03.2021 – 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 = BeckRS 2021, 5223 Rn. 39, beck-online).
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3.3 Eine Elternstellung der „Mit-Mutterschaft“ lässt das geltende Abstammungsrecht auch in analoger Anwendung von §§ 1591, 1592 Nr. 1 BGB nicht zu. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, die Voraussetzung für eine Analogie wäre. Der Gesetzgeber hat sich mit einer Reform des Abstammungsrechts bei gleichgeschlechtlicher Elternschaft befasst, sie aber nicht beschlossen (BGH, Beschluss vom 10.10.2018 – XII ZB 231/18, NJW 2019, 153 Rn. 16–20, beck-online, mit umfangreichen Nachweisen; KG, Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 37–50, beck-online; OLG Celle, Beschluss vom 24.03.2021 – 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 = BeckRS 2021, 5223 Rn. 43–53, beck-online). Auch insoweit schließt sich das Gericht der ausführlich begründeten und veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs an und nimmt darauf Bezug.
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Die von den Antragstellenden dagegen unter Berufung auf eine im Schrifttum vertretene Auffassung vorgebrachten Argumente überzeugen nicht. Zwar trifft es zu, dass der Gesetzgeber des KindRG 1998, durch das §§ 1591, 1592 Nr. 1 BGB in ihrer heutigen Form geschaffen wurden, die „Ehe für Alle“ nicht vorhersehen und dementsprechend auch nicht regeln konnte. Dadurch wird das Gesetz aber nicht auf ewig planwidrig lückenhaft (wohl a.A., weil „nachträgliche Ereignisse“ nicht berücksichtigungsfähig seien: Kaulbach/Pickenhahn/von Scheliha, FamRZ 2019, 768, 770). Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber sich nach Einführung der „Ehe für Alle“ mehrfach, zuletzt und eindeutig am 13.02.2020, gegen eine Erweiterung der §§ 1591, 1592 BGB um die Möglichkeit der „Mit-Mutterschaft“ entschieden hat.
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Der Gesetzgeber hätte schon mit dem Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 27.07.2017 (Eheöffnungsgesetz) das Abstammungsrecht angleichen können, davon aber bewusst abgesehen hat (ausführlich OLG Celle, Beschluss vom 24.03.2021 – 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 = BeckRS 2021, 5223 Rn. 46–53, beck-online). Spätestens mit dem am 22.12.2018 in Kraft getretenen Anpassungsgesetz (BGBl. 2018 I 2639) hätte der Gesetzgeber die abstammungsrechtlichen Folgen der „Ehe für Alle“ regeln können, tat dies aber nicht (BGH, Beschluss vom 10.10.2018 – XII ZB 231/18, NJW 2019, 153 Rn. 20, beck-online). Dieses Unterlassen war weder unbewusst, noch sollte die Anpassung des Abstammungsrechts ausdrücklich oder in Ermangelung einer politischen Lösung der Praxis überlassen werden (a.A. wohl Kaulbach/Pickenhahn/von Scheliha, FamRZ 2019, 768, 770). Daran lassen die zeitlichen Abläufe im Zusammenhang mit anderen Gesetzgebungsverfahren keinen Zweifel zu.
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Schon im Verfahren zur Verabschiedung des Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen vom 18.05.2017 hatte der Gesetzgeber erkannt, dass sich aus § 1600 d Abs. 4 BGB abstammungsrechtlicher Anpassungsbedarf ergeben könnte, der aber zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert werden sollte. Es sollten die Ergebnisse eines Arbeitskreises „Abstammungsrecht“ abgewartet werden (KG, Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 50, beck-online, unter Bezugnahme auf PlenProt. 18/234, 23825 [A] und Hammer, FamRZ 2017, 1234,1236). Wörtlich führte die Abgeordnete Mechthild Rawert (SPD) in ihrer zu Protokoll gegebenen Rede aus: „Wir müssen auch über die abstammungsrechtlichen Fragen diskutieren, die durch die beiden Studien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgeworfen werden: „Geschlechtervielfalt im Recht“ und „Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen“. All diese Fragen werden wir intensiv diskutieren, wenn die Ergebnisse des Arbeitskreises Abstammung im Sommer 2017 vorliegen.“ (PlenProt. 18/234, 23824 [D] und 23825 [A]). Der Arbeitskreis „Abstammungsrecht“ legte seinen Abschlussbericht am 04.07.2017 vor und empfahl, dass zweiter Elternteil neben der Geburtsmutter eine Frau, die sog. Mit-Mutter, können sein soll und die Mit-Mutterschaft auch in § 1592 Nr. 2 und 3 BGB der Vaterschaft gleichgestellt werden soll (KG, Beschluss vom 09.02.2018 – 3 UF 146/17, BeckRS 2018, 20226 Rn. 62, beck-online, m.w.N.). Diesem Vorschlag ist der Gesetzgeber aber weder im EheÖffnungsgesetz noch im Anpassungsgesetz gefolgt.
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Der Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der abstammungsrechtlichen Regelungen an das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts der Abgeordneten ... und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 12.06.2018, BT-Drs. 19/2665, hätte dem Begehren der Antragstellenden Rechnung getragen. Es sollte ein neuer § 1591 Nr. 2 BGB geschaffen werden, wonach Mutter eines Kindes auch die Frau sein sollte, die zum Zeitpunkt der Geburt mit der Frau, die das Kind gebiert, verheiratet oder durch Lebenspartnerschaft verbunden ist (BT-Drs. 19/2665, S. 3). Der Gesetzesentwurf wurde in der 39. Sitzung der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages am 14.06.2018 in Erster Beratung diskutiert und an die Ausschüsse überwiesen. In dem tatsächlich beschlossenen und am 22.12.2018 in Kraft getretenen Anpassungsgesetz finden sich keine entsprechenden Regelungen (zur zwischenzeitlichen teilweisen Aufnahme in Ausschussempfehlungen ausführlicher OLG Celle, Beschluss vom 24.03.2021 – 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 = BeckRS 2021, 5223 Rn. 50, beck-online).
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Letztlich wurde der Gesetzesentwurf, der die Mit-Mutterschaft hätte ermöglichen sollen, in der 146. Sitzung der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages am 13.02.2020 mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU, FDP und AfD gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke abgelehnt. Von einer planwidrigen Regelungslücke kann spätestens seitdem keine Rede mehr sein. Das Abstammungsrecht ist nicht lückenhaft, sondern in sich geschlossen. Es sieht die Möglichkeit der Mit-Mutterschaft nicht vor, weil der Gesetzgeber es ausdrücklich abgelehnt hat, sie zu schaffen.
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4. §§ 1591, 1592 Nr. 1, 1600 d Abs. 4 BGB verletzen aber die Antragsteilerin zu 2) und den Antragsteller zu 1) jeweils in ihren Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz, indem sie ein durch qualifizierte anonyme Samenspende im Sinne von § 1600 d Abs. 4 BGB gezeugtes Kind der mit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt verheirateten und mit ihm nicht biologisch verwandten Person rechtlich als Kind zuordnen, wenn diese Person ein Mann ist, nicht aber, wenn sie eine Frau ist.
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4.1 Das Recht der Antragstellerin zu 2) auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG ist verletzt. Sie wird als die Frau, die mit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt des im Wege der qualifizierten Samenspende im Sinne von § 1600 d Abs. 4 BGB gezeugten Kindes verheiratet ist, ohne rechtfertigenden Grund aufgrund ihres Geschlechts gegenüber einem Mann in einer entsprechenden Situation benachteiligt. Wäre die Antragstellerin zu 2) ein Mann, wäre sie automatisch der rechtliche Vater des Antragstellers zu 1). Nur aufgrund ihres Geschlechts muss sie den Weg der Adoption beschreiten, wenn sie Elternteil des Antragstellers zu 1) werden will. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen rechtfertigenden Grund.
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a) Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980 – 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, NJW 1981, 271, 272 m.w.N., st.Rspr.).
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Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfG, Beschluss vom 26.3.2019 – 1 BvR 673/17, BVerfGE 151, 101 = NZFam 2019, 473 Rn. 64, beck-online).
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b) Hier gilt der strenge Rechtfertigungsmaßstab für unmittelbare Diskriminierungen wegen des Geschlechts. Das Geschlecht ist nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG grundsätzlich kein geeigneter Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung (BeckOK GG/Kischel, 48. Ed. 15.08. 2021, GG Art. 3 Rn. 184 m.w.N.). An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen sind mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind. Fehlt es an zwingenden Gründen für eine Ungleichbehandlung, lässt sich diese nur noch im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005, 2 BvR 524/01, BVerfGE 114, 357 = NVwZ 2006, 324, beck-online). Seit die Ehe als Institut auch Personen gleichen Geschlechts offensteht, knüpft das Abstammungsrecht die Frage, wer zweiter Elternteil eines in der Ehe geborenen Kindes wird, unmittelbar am Geschlecht des Ehepartners der Mutter an. Es verwendet geschlechtsbezogene Begriffe als Tatbestandsmerkmale (insbesondere „Mann“ und „Vater“). Eine mit der Mutter des Kindes verheiratete Frau ist von den einem Mann eröffneten Möglichkeiten, ohne Adoption Elternteil des Kindes zu werden, allein aufgrund ihres Geschlechtes ausgeschlossen.
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c) Diese Ungleichbehandlung ist nicht zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur bei Männern und Frauen auftreten können, zwingend erforderlich. Zwar versteht es sich von selbst, dass nur ein Mann der Vater eines Kindes sein kann und zumindest nach dem derzeitigen und absehbaren Stand der Reproduktionsmedizin ein Kind nur von einer Frau und einem Mann, nicht aber von zwei Frauen oder zwei Männern genetisch abstammen kann. Rechtliche Elternschaft ist aber in unserer Rechtsordnung nicht kategorisch auf eine Frau als Mutter und einen Mann als Vater begrenzt, denn Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG spricht nicht von Mutter und Vater, sondern geschlechtlich nicht spezifizierten Eltern (BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, BVerfGE 133, 59 = NJW 2013, 847, Rn. 50–52). Ausgehend von den biologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau darf der Gesetzgeber im Abstammungsrecht allerdings verallgemeinern und typisieren; er ist gehalten, die Zuweisung der elterlichen Rechtsposition an der Abstammung des Kindes auszurichten, aber nicht verpflichtet, dies stets von einer Einzelfallprüfung abhängig zu machen; er kann Elternschaft aufgrund von bestimmten tatsächlichen Umständen und sozialen Situationen vermuten, wenn dies in aller Regel zu einem Zusammentreffen von leiblicher und rechtlicher Elternschaft führt, wie dies seit jeher in unserer Rechtskultur aufgrund der mit der Ehe eingegangenen Beziehung des Ehemannes und der Mutter und auch bei Geburt eines nichtehelichen Kindes bei Anerkenntnis der Vaterschaft durch einen Mann in erklärter Übereinstimmung mit der Mutter der Fall ist (BVerfG, Beschluss vom 09.04.2003 – 1 BvR 1493/96 u.a., BVerfGE 108, 82 = NJW 2003, 2151, 2152, beck-online). Es ist dem Gesetzgeber deshalb nach der Öffnung der Ehe auch für Personen gleichen Geschlechts nicht grundsätzlich verwehrt, Mann und Frau wegen ihrer biologischen Unterschiede im Abstammungsrecht auch unterschiedlich zu behandeln (BGH, Beschluss vom 10.10.2018 – XII ZB 231/18, NJW 2019, 153 Rn. 28, beck-online, m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 02.07.2010 – 1 BvR 666/10, NJW 2011, 988, Rn. 30, beck-online). Der Gesetzgeber kann also typisierend den mit der Mutter verheirateten Mann grundsätzlich und auch dann, wenn es nach den tatsächlichen Umständen des konkreten Einzelfalles tatsächlich völlig ausgeschlossen ist, dass das Kind von ihm abstammt, als Vater des Kindes vermuten. Es müssen nur die abstrakt-generell gefassten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale Fallkonstellationen beschreiben, in denen regelmäßig die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Mann, auf den sie zutreffen, der Vater des Kindes ist.
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Weicht der Gesetzgeber aber von der allgemeinen Typisierung in bestimmten Fällen ab, muss dies konsequent und widerspruchsfrei geschehen. Daran fehlt es in einer einzigen besonderen, hier aber einschlägigen Fallkonstellation der qualifizierten Samenspende im Sinne von § 1600 d Abs. 4 BGB in der seit 01.07.2018 gültigen Fassung. Seit 01.07.2018 hat der Gesetzgeber für Kinder, die durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung in einer Einrichtung der medizinischen Versorgung im Sinne von § 1a Nr. 9 TPG unter heterologer Verwendung von Samen gezeugt wurden, der vom Spender einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SaRegG zur Verfügung gestellt wurde, rechtliche Vaterschaft von der leiblichen Vaterschaft vollständig entkoppelt. Die leibliche Vaterschaft ist in diesen Fällen weder Bedingung noch Anknüpfungspunkt für die rechtliche Vaterschaft, sondern im Gegenteil ein unüberwindliches Hindernis: Der leibliche Vater eines so gezeugten Kindes kann nicht als rechtlicher Vater festgestellt werden.
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Im Zusammenspiel bedeuten §§ 1591, 1592 Nr. 2, 1600 d Abs. 4 BGB, dass der mit der Mutter verheiratete Mann anstelle des Mannes, von dem das Kind abstammt, Vater eines durch qualifizierte Samenspende im Sinne von § 1600 d Abs. 4 BGB gezeugten Kindes wird. Anders als in den übrigen von § 1592 Nr. 2 BGB erfassten Fällen lässt sich diese Zuordnung eines Kindes zu einem Vater nicht auf eine regelmäßig zutreffende Vermutung biologischer Abstammung stützen. Sie ist stattdessen durch die positive Prognose einer sozialen Elternschaft des Ehemannes der Mutter begründbar (so auch KG, Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 73, beck-online, unter Verweis auf Gössl, ZRP 2018, 174, 176; noch weitergehend, ein Elternrecht der Ehegattinnen im Sinne von Art. 6 Abs. 2 GG annehmend: OLG Celle, Beschluss vom 24.03.2021 – 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 = BeckRS 2021, 5223 Rn. 74 ff., beck-online). Diese Prognose ist aber nicht vom Geschlecht des zweiten Elternteils abhängig. Für die Schutzbedürftigkeit des zum Wohle des Kindes gewährten Elternrechts gegenüber dem Staat macht es keinen Unterschied, ob die Eltern gleichen oder verschiedenen Geschlechts sind (BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, BVerfGE 133, 59 = NJW 2013, 847 Rn. 49). Die mit der Geburtsmutter verheiratete Frau eines durch qualifizierte Samenspende nach § 1600 d Abs. 4 BGB gezeugten Kindes kann ebenso für das Kind ihrer Ehepartnerin Verantwortung übernehmen, wie ein Mann es könnte.
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d) Andere Gründe, die eine Anknüpfung am Geschlecht der mit der Mutter verheirateten Person rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich. Weder das Kindeswohl, noch Rechte Dritter sind unterschiedlich davon betroffen, ob das Kind einem Mann oder einer Frau als Elternteil zugeordnet wird. Es dient dem Kindeswohl am besten, wenn ihm von Anfang an zwei Elternfeile zugeordnet werden, weil sich seine Rechtsstellung dadurch erheblich verbessert (KG, Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 78; insoweit zutreffend auch, allerdings für eine analoge Anwendung von § 1592 Nr. 1 BGB: Löhnig, NJW 2019, 122, 124). Weder die Rechtsposition des biologischen Vaters, der nach § 1600 d Abs. 4 BGB von der rechtlichen Vaterschaft ausgeschlossen ist, noch sonstige schützenswerten Interessen Dritter werden durch die automatische Elternschaft der mit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt verheirateten Frau beeinträchtigt – jedenfalls nicht stärker, als wenn sie ein Mann ist, der nach § 1592 Nr. 2 BGB ohne Weiteres Vater wird. Kollidierendes Verfassungsrecht, das eine Benachteiligung der Frau erfordern würde, ist nicht ersichtlich.
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e) Ob das Abstammungsrecht darüber hinaus möglicherweise auch gleichgeschlechtliche männliche Eltern ungerechtfertigt benachteiligt, mag einer gesetzgeberischen Klärung bedürfen (so BGH, Beschluss vom 10.10.2018 — XII ZB 231/18, NJW 2019, 153 Rn. 23, beck-online), kann aber die hierzu beurteilende Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.
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4.2 Verletzt ist ebenfalls das Recht des Antragstellers zu 1) aus Art. 3 Abs. 1 GG auf Gleichbehandlung mit durch qualifizierte Samenspende im Sinne von § 1600 d Abs. 4 BGB gezeugten Kindern, deren Mutter im Zeitpunkt der Geburt nicht mit einer Frau, sondern mit einem Mann verheiratet ist. Hierin liegt zwar keine unmittelbare Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts, weil das Geschlecht des betroffenen Kindes für die Zuordnung des Elternteils irrelevant ist. Es gilt dennoch ein strenger Prüfungsmaßstab, weil der Verweis auf das Adoptionsverfahrenan Stelle der automatischen Zuordnung der rechtlichen Elternschaft für die Persönlichkeitsentfaltung wesentliche Grundrechte des Kindes berührt, nämlich das Recht auf Gewährleistung elterlicher Pflege (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und auf geschütztes Zusammenleben des Kindes mit seiner Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und deren Stabilisierungsfunktion für das Kind (KG, Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 61; weitergehend noch OLG Celle, Beschluss vom 24.03.2021 – 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 = BeckRS 2021, 5223 Rn. 74 ff., beck-online). Zumindest bis zum erfolgreichen Abschluss eines möglicherweise zeitaufwendigen, als belastend und bedrängend empfundenen Adoptionsverfahrens hat die mit der Mutter des Kindes verheiratete Frau sorgerechtliche Befugnisse nur nach § 1687b BGB.und nicht die rechtliche Stellung eines Elternteils. Dagegen wird der mit der Mutter verheiratete Mann Vater des Kindes nach § 1592 Nr. 1 BGB und erhält mit der Mutter gleichberechtigt die gemeinsame elterliche Sorge, die er im Einvernehmen mit ihr zum Wohl des Kindes auszuüben hat. Nicht nur kann durch die Beschränkung der elterlichen Verantwortung auf einen Elternteil ungeachtet aller Bemühungen des Ehepaares, die rechtlichen Rahmenbedingungen gemeinsamer Elternschaft soweit wie möglich nachzubilden, das Zusammenleben des Kindes mit seiner Familie beeinträchtigt werden. Verstirbt die Mutter noch vor erfolgreichem Abschluss eines Adoptionsverfahrens, ist das Kind einer mit einer Frau verheirateten Geburtsmutter sogar ganz ohne rechtlichen Elternteil. Das Kind kann zudem schon allein aufgrund der rechtlichen Umstände den Eindruck gewinnen, dass seine Familie weniger wertvoll sei als die Familie verschiedengeschlechtlicher Ehepaare, so dass deren stabilisierende Wirkung für ihn beeinträchtigt wird (KG, a.a.O., unter Bezug auf BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, BVerfGE 133, 59 = NJW 2013, 847 zur Sukzessivadoption eingetragener Lebenspartner).
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4.3 Unmittelbar verletzt sind das Recht des Antragstellers zu 1) auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und auf geschütztes Zusammenleben mit seiner Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG dagegen nicht (a.A. OLG Celle, Beschluss vom 24.03.2021 – 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 = BeckRS 2021, 5223 Rn. 74 ff., beck-online, mit zustimmender Anmerkung Löhnig, NZFam 2021, 352, 370). Sie sind zwar berührt und bewirken strenge Anforderungen an den Gesetzgeber bei Ausübung seines Gestaltungsspielraums (s.o. 4.1). Der Gesetzgeber ist aber nicht verpflichtet, allen Personen, die in sozial-familiärer Beziehung mit dem Kind leben, unabhängig von der Einordnung der Beziehung durch das einfache Recht als dessen Eltern im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG anzusehen und anzuerkennen, er hat einen weiten Gestaltungsspielraum (BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, BVerfGE 133, 59 = NJW 2013, 847, Rn. 45–70 zur unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz, nicht aber Art. 2, 6 GG verwehrten Möglichkeit der Sukzessivadoption eingetragener Lebenspartner; BVerfG, Beschluss vom 26.3.2019 – 1 BvR 673/17, BVerfGE 151, 101 = NZFam 2019, 473, Rn. 49 ff. zur ebenfalls unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz, nicht aber Art. 2, 6 GG verwehrten Möglichkeit der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien). Dieser Gestaltungsspielraum, der es dem Gesetzgeber grundsätzlich gestattet, gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern die Sukzessivadoption zu verwehren (BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvU 1/11, 1 BvR 3247/09, BVerfGE 133, 59 = NJW 2013, 847, Rn. 45–46) ist hier, wo immerhin die Möglichkeit der Adoption besteht, nicht überschritten. Der gemeinsame Entschluss der Wunscheltern zur künstlichen Befruchtung und die von der Antragstellerin zu 2) als Garantieperson abgegebenen Verpflichtungserklärungen zwingen den Gesetzgeber nicht, ihr eine Elternstellung zu gewähren (a.A. OLG Celle, a.a.O.). Die soziale, aber nicht rechtlich anerkannte Elternschaft erhält dadurch keine grundlegend andere Qualität als die sozial-familiäre Beziehung in den bereits vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen. Es ist insbesondere nicht pauschal zu erwarten, dass gleichgeschlechtliche Lebenspartner bei Sukzessivadoption weniger ernsthaft oder verlässlich elterliche Verantwortung wahrnehmen werden als gleichgeschlechtliche Ehegatten, die eine künstliche Befruchtung mit heterologer Insemination durchführen.
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5. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz kann nicht durch verfassungskonforme Auslegung von §§ 1591, 1592 Nr. 2 BGB behoben werden. Dies scheitert schon daran, dass es – anders als nach der Auffassung der Antragstellenden und insbesondere des OLG Celle, das sich allerdings im Ergebnis ebenfalls nicht zu einer verfassungskonformen Auslegung des geltenden Abstammungsrechts in der Lage sieht (Beschluss vom 24.03.2021 – 21 UF 146/20, NZFam 2021, 352 = BeckRS 2021, 5223, Rn. 66–71) – mehr als einen denkbaren Weg gibt, einen verfassungskonformen Zustand herzustellen. Die Ungleichbehandlung kann nicht nur durch eine Erweiterung von §§ 1591, 1592 Nr. 2 BGB zugunsten der Ehefrau der Mutter, sondern insbesondere auch durch eine Einschränkung von § 1592 Nr. 2 BGB zulasten des Ehemannes der Mutter in Fällen der heterologen Insemination nach § 1600 d Abs. 4 BGB beseitigt werden. Auch Zwischenlösungen etwa durch eine fakultative Annahmeerklärung, die unterschiedslos Ehegatten beiden Geschlechts offensteht, sind denkbar. Welchen Weg der demokratisch legitimierte Gesetzgeber im Einzelnen geht, um die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung abzustellen und einen verfassungskonformen Zustand herzustellen, bleibt ihm überlassen.
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6. Eine günstigere Entscheidung durch den Gesetzgeber im Sinne der Antragsteilenden ist möglich. Eine entsprechende Regelung wurde bereits von dem Arbeitskreis Abstammungsrecht 2017 vorgeschlagen (s.o.), auch ein Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 13.03.2019 würde die Mit-Mutterschaft der Antragstellerin zu 2) vorsehen (vgl. KG, Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 14, beck-online; so auch OLG Celle, a.a.O.). Die Ablehnung des ebenfalls in diese Richtung gehenden Gesetzesentwurfs der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einzelner Abgeordneter in der 19. Wahlperiode (s.o.) schließt nicht aus, dass der Deutsche Bundestag bei erneuter Befassung in der 20. Wahlperiode, zu einer gegenteiligen oder anderweitig für die Antragstellenden gegenüber der derzeitigen Rechtslage günstigeren Entscheidung gelangt – erst recht nach einer für die Zwecke dieser Prognose zu unterstellenden, die Verfassungswidrigkeit des geltenden Rechts feststeilenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.