Inhalt

LG München I, Endurteil v. 02.08.2021 – 27 O 9330/21
Titel:

Ein Arrestgrund kann fehlen, wenn sich der Arrestschuldner bereits geraume Zeit in Untersuchungshaft befindet. 

Normenketten:
ZPO § 917, § 929 Abs. 2
StPO § 111h Abs. 2
Leitsätze:
1. § 917 ZPO verlangt die Besorgnis der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Vollstreckung eines Titels ohne die Verhängung des Arrestes. Ein solcher Zugriff kommt aber nur in Betracht, wenn das der Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehende Schuldnervermögen durch Abflüsse - und nicht nur durch Umschichtungen, etwa zur Tilgung von Verbindlichkeiten des Schuldners - verringert zu werden droht; dass solche Veränderungen unmittelbar bevorstehen oder jedenfalls noch nicht abgeschlossen sind, muss durch konkrete Tatsachen vorgetragen werden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Arrestgrund besteht regelmäßig dann, wenn das dem Arrestanspruch zugrunde liegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellt, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet. In einem solchen Fall ist die Annahme gerechtfertigt, der Täter werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder wesentlich erschweren. Anders kann der Fall liegen, wenn sich der Arrestschuldner bereits geraume Zeit in Untersuchungshaft befindet. Dann bedarf es substantiierter Darlegung, dass und wie Vermögen verschoben wird.  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arrest, Arrestgrund, Straftat, Vermögensverschiebung, Pressemitteilung, Glaubhaftmachung, Pfändungsbeschluss, Untersuchungshaft
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 25.11.2021 – 8 U 6389/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 41913

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass eines Arrest- und Arrestpfändungsbeschlusses wird zurückgewiesen.
2. Der Arrestkläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Arrestkläger kann die Vollstreckung des Arrestbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Arrestbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um einen Arrest wegen Schadensersatzansprüchen aufgrund von Aktienkäufen.
2
Der Arrestbeklagte war bis Mitte 2020 Vorstand der … Mitte des Jahres 2020 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der …röffnet. Das Amtsgericht München hat gegen den Arrestbeklagten Haftbefehl erlassen. Mit Pressemitteilung vom 20.07.2020 teilte die Staatsanwaltschaft M.I mit, dass sie gegen den Arrestbeklagten Ermittlungen wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs, der Untreue, der unrichtigen Darstellung und der Marktmanipulation in mehreren Fällen führt. Hinsichtlich des Inhalts der Pressemitteilung wird auf die vorgelegte Anlagen verwiesen. Am 22.07.2020 wurde der Arrestbeklagte wegen des Verdachts auf bandenmäßigen Betrug und Fälschung der Geschäftsbilanzen seit mindestens 2015 sowie Marktmanipulation aufgrund eines Haftbefehls das Amtsgericht Münchens festgenommen. Seit diesem Zeitpunkt sitzt der Arrestbeklagte in Untersuchungshaft.
3
Die Staatsanwaltschaft M.I hat beim Amtsgericht München im Rahmen des Ermittlungsverfahrens strafrechtliche Arreste zum Zwecke der Rückgewinnungshilfe erwirkt.
4
Der Arrestkläger begehrt Sicherung in Form des Arrests sowie Erlass eines Arrestpfändungsbeschlusses.
5
Der Arrestkläger trägt vor, er habe in der Zeit vom 23.10.2019 bis 18.6.2020 einen Betrag in Höhe von 246.290,67 Euro in die … Aktie investiert.
6
Der Arrestkläger trägt vor, der Arrestbeklagte sei im Jahr 2015 mit weiteren Mittätern übereingekommen, die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen der … durch das Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sogenannten Third-Party-Acquirern aufzublasen. Das Unternehmen sollte finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden. Entsprechend dem gemeinsamen Plan und in dem Wissen, dass angeblich vorhandene Vermögenswerte in Höhe von zuletzt 1,9 Milliarden Euro nicht existiert hätten, habe der Arrestgegner die Verhandlung verschiedener Kredite und ähnliche Geschäfte mit Investoren veranlasst.
7
Der Arrestkläger trägt vor, dass wenn er von dem Verhalten des Arrestbeklagten gewusst hätte, er keine Aktien erworben hätte.
8
Der Arrestkläger trägt vor, dass der Arrestbeklagte weiterhin in massiver Weise und trotz Untersuchungshaft Vermögen verschiebe.
9
Der Arrestkläger meint, ein Arrestgrund sei gegeben, da der Arrestbeklagte österreichischer Staatsbürger sei und zahlreiche Immobilien im Ausland besitze. Es würden in einer Vielzahl von Parallelverfahren erfolgreich Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt. So sei zum Beispiel ein Steuerguthaben beim Finanzamt München erfolgreich gepfändet worden und Zwangssicherungshypotheken in die Immobilien des Arrestbeklagten in Osterreich für die Arrestgläubiger eingetragen worden.
10
Im Rahmen der Würdigung des Rechtsstreits seien Presseberichte zu verwerten. Der Arrestbeklagte hafte als Vorstandsvorsitzender der … vollumfänglich für die fehlenden 1,9 Milliarden Euro und die Schäden der Anleger.
11
Die Vorschrift des § 111 h Abs. 2 StPO greife nicht ein, da insoweit nur Zwangsvollstreckungen, nicht jedoch vorläufige Sicherungen im Rahmen des Arrests unzulässig seien. Zudem finde § 111 h StPO in Österreich keine Anwendung.
12
Die Arrestklagepartei beantragt:
1. Wegen einer Schadensersatzforderung des Antragstellers i.H.v. 246.290,67 EUR gegen den Antragsgegner wird der dingliche Arrest in das gesamte persönliche Vermögen des Antragsgegners angeordnet.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Arrestverfahrens zu tragen.
3. Die Vollziehung des Arrests wird durch Hinterlegung durch den Antragsgegner i.H.v. 246.290,67 EUR gehemmt.
4. In Vollziehung des Arrestes werden die Ansprüche der Antragsgegnerin gegen die … aus sämtlichen Kontenverbindungen, bis zum Höchstbetrag von 246.290,67 EUR gepfändet.
13
Die Beklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass eines Arrest- und Arrestpfändungsbeschlusses zurückzuweisen.
14
Der Arrestbeklagte trägt vor, infolge der strafrechtlichen Arreste sei das Vermögen des Arrestschuldners umfassend gepfändet. Die staatsanwaltschaftlichen Vollziehungsmaßnahmen würden gemäß § 111 h Abs. 2 StPO ein gesetzliches Vollstreckungsverbot entfalten. Entgegenstehende Pfändungsbeschlüsse und Maßnahmen seien nichtig. Etwaige Arrestbeschlüsse könnten daher nicht vollzogen werden. Es bestünde daher kein Rechtsschutzbedürfnis für die Erwirkung zusätzliche Arreste. Ein Arrest „auf Vorrat“ für den Fall der Aufhebung staatsanwaltschaftlichen Arreste sei wegen der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO nicht zulässig.
15
Der Arrestbeklagte habe zudem von einer angeblichen unrichtigen Darstellung der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage keine Kenntnis gehabt. Insbesondere sei es der Arrestbeklagte gewesen, der im Oktober 2019 eine Sonderuntersuchung der … eingeleitet habe. Für das von den Betrugsvorwürfen betroffene Geschäftsfeld sei nicht der Antragsgegner, sondern das Vorstandsmitglied … zuständig gewesen.
16
Der Sachvortrag des Arrestklägers sei nicht ausreichend. Es fehlten insbesondere der Vortrag eigener Tatsachen zur Tatbegehung durch den Beklagten. Ein Arrestanspruch werde nicht durch die Wiedergabe von Beschuldigungen der Staatsanwaltschaft glaubhaft gemacht.
17
Nachdem der Arrestbeklagte sich in Untersuchungshaft befinde, könne er auch kein Vermögen verschieben.
18
Mit Beschluss vom 22.7.2021 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
19
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Schriftsätze der Arrestklägers vom 8.7.2021 und 26.7.2021, die Schriftsätze des Arrestbeklagten vom 24.3.2021 und 20.7.2021 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.7.2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

20
Der Antrag auf Erlass eines Arrestes und eines Pfändungsbeschlusses war zurückzuweisen.
A.
21
Der Arrestantrag war zurückzuweisen, da ein Arrestgrund nicht gegeben ist.
22
Nach § 917 ZPO ist der Erlass eines Arrestes möglich, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.
23
Die Vorschrift verlangt die Besorgnis der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Vollstreckung eines Titels ohne die Verhängung des Arrestes. Ein solcher Zugriff kommt aber nur in Betracht, wenn das der Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehende Schuldnervermögen durch Abflüsse - und nicht nur durch Umschichtungen, etwa zur Tilgung von Verbindlichkeiten des Schuldners - verringert zu werden droht; dass solche Veränderungen unmittelbar bevorstehen oder jedenfalls noch nicht abgeschlossen sind, muss durch konkrete Tatsachen vorgetragen werden (vgl. Musielak/Voit/Huber, 18. Aufl. 2021, ZPO § 917 Rn. 2).
24
Dies ist vorliegend weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht. Zwar ist zutreffend, dass regelmäßig ein Arrestgrund besteht, wenn das dem Arrestanspruch zugrunde liegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellt, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet. In einem solchen Fall ist die Annahme gerechtfertigt, der Täter werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder wesentlich erschweren (vgl. OLG München Beschl. v. 13.10.2016 - 15 W 1709/16, BeckRS 2016, 20492, beck-online).
25
Vorliegend ist indes zu beachten, dass sich der Arrestbeklagte seit einem Jahr in Untersuchungshaft befindet. Es ist insofern weder dargelegt, noch glaubhaft gemacht, dass der Arrestbeklagte auch noch nach einem Jahr Untersuchungshaft weiterhin Vermögen verschiebt. Auch ist nicht dargelegt, wie er dies aus der Untersuchungshaft heraus bewerkstelligen soll.
26
Nachdem ein Arrestgrund nicht vorliegt, muss das Gericht nicht entscheiden, ob die bloße Vorlage einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft als Glaubhaftmachung für eine vorsätzliche rechtswidrige Tag ausreichend ist, auch wenn der Arrestbeklagte die Tatbegehung bestreitet.
27
Auch kann dahingestellt bleiben, ob die eidesstattliche Versicherung des Arrestklägers (Anlage K10) ein taugliches Mittel der Glaubhaftmachung darstellt, nachdem die Versicherung sich auf den Arrestantrag bezieht, indes der Arrestantrag auf den 8.7.2021, die eidesstattliche Versicherung jedoch auf den 26.3.2021 datiert.
28
Nachdem dem Arrestantrag nicht stattzugeben war, war der Pfändungsbeschluss nicht zu erlassen. Es muss daher auch nicht geklärt werden, ob der Erlass des Pfändungsbeschlusses zulässig wäre, auch wenn der Arrestbeklagte eine Auskunft der Staatsanwaltschaft M.I vorliegt, wonach gerade dieses Vermögen bereits gepfändet wurde. Die insoweit vom Arrestkläger zitierte Rechtsprechung bezieht sich auf eine veraltete Rechtslage.
B.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
C.
30
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.