Titel:
Auskunftsanspruch nach der Datenschutzgrundverordnung gegenüber dem Finanzamt
Normenketten:
DSGVO Art. 15 Abs. 1
AO § 32b, § 32c
Leitsätze:
1. Die DSGVO ist auf die Datenverarbeitung sämtlicher durch das Finanzamt verwalteten Steuern - auch der direkten - anwendbar.
2. Art. 15 DSGVO gewährt einen nicht in das Ermessen gestellten Auskunftsanspruch über die vom Finanzamt verarbeiteten Daten. Er umfasst das Recht auf Ausdrucke oder online zur Verfügung gestellte Daten aus den Datenbanken des Finanzamts, insbesondere die „Grunddaten“ und die „eDaten“, bei den Festsetzungsdaten die Eingabedaten und Berechnungsergebnisse, die Festsetzungsauskunft, die Erhebungsübersicht und die Datenbank Rechtsbehelfe, sowie das Erhebungskonto.
3. Dagegen gewährt er keine Auskunft über Kontrollmaterial oder Verdachtsspuren, wie etwa BP-Meldungen, BP-Informationen, das Datenblatt Risikomanagementsystem, die „festsetzungsnahen Daten“, sowie Vermerke zur Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsdokumentation.
4. Er umfasst grundsätzlich nicht das Recht auf Einsicht in die Steuerakte oder einzelne Verwaltungsdokumente oder Überlassung einer Kopie hiervon. Der Anspruch ist zeitlich auf die Daten nicht abgeschlossener Besteuerungszeiträume begrenzt.
Schlagwort:
Datenschutz
Rechtsmittelinstanzen:
BFH München vom -- – IX R 34/21
BFH München vom -- – II R 43/21
Fundstellen:
StEd 2022, 93
EFG 2022, 299
ZD 2022, 519
LSK 2021, 41761
BeckRS 2021, 41761
Tatbestand
1
Streitig ist, ob das Finanzamt nach § 15 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verpflichtet ist, dem Kläger Auskunft über die von ihm verarbeiteten personenbezogenen Daten zu geben und ob die gegebenen Auskünfte hinreichend waren, sowie insbesondere die Frage, ob ein solcher Anspruch auch ein Recht auf Akteneinsicht bzw. Überlassung einer Kopie der Steuerakten umfasst.
2
Der Kläger beantragte mit am 29.10.2019 beim Beklagten - dem Finanzamt - eingegangenem Schreiben Akteneinsicht gem. Art. 15 Abs. 1 2. Halbsatz, Abs. 2 DSGVO und die Zurverfügungstellung einer Kopie gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO, sowie möglicherweise vorhandener Hand- und Nebenakten. Daneben beantragte er Übersendung von Kopien der Steuerbescheide seit 2009. Mit Schreiben vom 05.11.2019 übersandte ihm das Finanzamt Zweitschriften dieser Bescheide, soweit sie durch das Finanzamt erlassen worden waren, und nicht durch das für den Betrieb des Klägers zuständige Finanzamt Luckenwalde.
3
Mit einem mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 17.12.2019 gewährte das Finanzamt die beantragte Auskunft, in dem es eine Grunddaten-Übersicht, sowie eine eDaten-Übersicht übersandte. Es verwies auf die Möglichkeit des Belegabrufs über das Elster-Portal. Eine darüber hinaus gehende Akteneinsicht bzw. Überlassung von Kopien der Akte lehnte das Finanzamt mit der Begründung ab, dass Art. 15 DSGVO keine Rechtsgrundlage für ein Akteneinsichtsrecht biete.
4
Mit seiner am 15.01.2020 bei Gericht eingegangenen Klage richtet sich der Kläger gegen das Finanzamt, sowie das bayerische Landesamt für Steuern und das Bayerische Ministerium der Finanzen und für Heimat, mit dem Ziel, die begehrte Akteneinsicht bzw. erweiterte Auskunft zu erreichen.
5
Nach dem Wechsel der Finanzamtszuständigkeit habe der Kläger beim neu zuständig gewordenen Finanzamt Luckenwalde ohne Probleme auf Grundlage der DSGVO Akteneinsicht nehmen können. Dabei habe sich herausgestellt, „dass nicht nur materiell-rechtlich wissentlich falsch veranlagt worden sei, sondern auch Akten dahingehend manipuliert“ worden seien, dass „Anträge aus der Akte genommen worden und als gar nicht gestellt in die Aktennotiz geschrieben“ worden seien. Dies, „obwohl Zugangsnachweise und sogar Antworten des Finanzamts beim Kläger“ vorlägen. Es seien „entgegen vorhandener Aktenlage falsche Tatsachen in die Akten geschrieben“ und „vorgebrachte Beweismittel nicht angelegt“ worden. Unter Unterdrückung von Urkunden - einer gesamten Umsatzsteuer Sonderprüfungsakte, welche diesen Sachverhalt ohne Beanstandungen geprüft gehabt habe - sei willkürlich ein Strafverfahren eingeleitet worden. An das Landesamt für Steuern habe das Finanzamt „entgegen den Tatsachen“ „falsche Behauptungen geschrieben“. Diese Vorhaltungen könnten samt und sonders mittels Urkunden belegt werden. Auch könne das Gericht Akten der Staatsanwaltschaft Memmingen unter dem Aktenzeichen 220 Js 66/19 beiziehen. Sämtlichen Behörden lägen die erweiterten Strafanträge und Dienstaufsichtsbeschwerden vor. Nebenbei mute es seltsam an, dass bei einer Dienstaufsichtsbeschwerde derjenige, gegen den Beschwerde erhoben worden sei, den Untersuchungsbericht gegen sich selbst schreibe und unterzeichne und dabei noch wissentlich falsche Tatsachen behaupte, um sich von strafrechtlichen Vorwürfen zu exkulpieren. Insofern sei „der Anspruch auf Einsicht in personenbezogene Daten und vor allem auch deren Berichtigung oder Löschung der gesetzlich geregelte Anspruch der DSGVO“.
6
Es liege nicht mehr im Ermessen der Behörde, welche Daten und Akten eingesehen werden dürften. Es gehe darum, dass - wie bereits in den Akten des oben genannten Strafverfahrens nachgewiesen sei - wissentlich falsche Tatsachen zu den Akten gelangt und Urkunden unterdrückt worden seien. Ohne auch nachvollziehen zu können, welche dieser Informationen nach wie vor falsch seien oder nicht vorhanden, könne das Recht auf Berichtigung nach Art. 16 DSGVO und unter Umständen auch § 32f Abgabenordnung (AO) nicht wahrgenommen werden. Es gehe nicht darum, eine Erleichterung der Buchführung zu erreichen, wenngleich dieses notwendig wäre, weil aufgrund von ständig falsch erstellten und dann berichtigten Bescheiden niemand mehr letztlich durchblicke, was passiert sei. Die vom Finanzamt zitierte Rechtsprechung spreche - richtig gelesen - letztlich für ihn.
7
Angesichts der bereits belegten, falschen Akteninhalte bestehe die begründete Besorgnis, dass weitere Inhalte falsch dargestellt seien oder aber tendenziöse auch falsche Meinungen der Behörden intern und extern weitergetragen würden, wie auch aus der Akte in Luckenwalde belegt werden könne. Der Auskunftsanspruch solle sicherstellen, dass der Betroffene den Umfang und Inhalt der gespeicherten personenbezogenen Daten beurteilen könne. Dies sei ihm anhand lediglich der Bekanntgabe der Stammdaten jedoch nicht möglich. Insbesondere in diesem Fall, da es offensichtlich interne Abstimmungsschreiben zwischen dem bayerischen Finanzministerium, dem Landesamt für Steuern und dem Finanzamt gegeben habe, um Daten des Klägers einseitig zu bewerten und um Dossiers zu bilden.
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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sehe ebenso wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Begriff der personenbezogenen Daten sehr weit als jede Information, die eine bestimmte oder bestimmbare Person betreffe. Damit stehe fest, dass der Kläger einen gebundenen Rechtsanspruch auf Auskunft nach § 15 DSGVO habe. Auch sei der Betroffene auf Berichtigung und Löschungsansprüche und vor allem auf das Bestehen eines Beschwerderechts bei der Aufsichtsbehörde hinzuweisen, was im Streitfall ebenfalls nicht geschehen sei.
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Der Kläger setzt sich in seiner weiteren Klagebegründung mit der Rechtsprechung etwa des Oberlandesgerichts Köln und des Finanzgerichts des Saarlands auseinander, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird.
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Er unterstreicht, dass es bei der Akteneinsicht im Finanzamt Luckenwalde einige Dokumente gegeben habe, die belegten, dass eine rechtsstaatliche Behandlung der Akten und Informationen eben nicht erfolgt, dass falsche Daten und Begebenheiten gespeichert worden seien.
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Dies habe zu unzähligen Einspruchs- und Finanzgerichtsverfahren geführt, in denen dem Finanzamt zumindest schlampige Aktenführung gerichtlich bestätigt worden sei, „bis hin zu wesentlichen Falschaussagen und Bekundungen in Schriftsätzen, fehlenden Dokumenten in Akten, die dennoch zugegangen gewesen seien“ und zur Akte hätten genommen werden müssen. In diesem Fall bestünden sogar „noch begründete Verdachtsmomente auf falsche Akteneinträge, die teilweise bereits nachgewiesen, vom Betroffenen auch richtiggestellt werden“ wollten. Daneben wolle der Kläger auch „nicht in seinem Recht auf strafrechtliche Privatklage nach der StPO beschränkt werden“, da es die Staatsanwaltschaft nicht für nötig gehalten habe, im Fall nachgewiesener Urkundenstraftaten auch zu ermitteln - wogegen ein Klageerzwingungsverfahren durchgeführt werde. Umso mehr bestehe also „der Rechtsgrund auf nachhaltige Akteneinsicht und nachfolgende Berichtigung“.
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Es gebe kein Auskunftsverweigerungs- und Schweigerecht für eine Behörde bei Verdacht auf Straftaten und ungesetzlichem Vorgehen. Genau dieses wäre aber die Wirkung, wenn entgegen höchstrichterlicher Rechtsprechung und Gesetzeslage diese Einsicht nicht gegeben würde. Im besonderen Fall habe sich ein Beamter des Finanzamts im Rahmen der Aktenübergabe an das Finanzamt Luckenwalde abwertender Begriffe und Ausdrücke für den Steuerpflichtigen befleißigt, darunter Sachen wie „.. erhebt ständig Einsprüche ..“. Da den Einsprüchen bzw. Klagen letztendlich abgeholfen worden sei, seien diese weder unberechtigt noch unnötig gewesen, sondern hätten lediglich das mangelhafte Rechtsverständnis des Finanzamts aufgezeigt.
13
Die Gerichtsverwaltung registrierte die gegen die drei Behörden gerichtete Klage von vorneherein unter drei nach Klagegegner gesonderten Aktenzeichen. Diese Trennung in drei Verfahren hat das Gericht später durch Trennungsbeschluss nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) formell bestätigt.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Finanzamt zur Auskunft zu verpflichten über die von ihm verarbeiteten, den Kläger betreffenden personenbezogenen Daten, sowie darüber hinaus zur Gewährung von Einsicht auch in die jeweils zusammenhängenden Akten und Schriftstücke mit Bezug zu persönlichen Informationen, Notizen, Akteneinträge und Kommunikation mit Bezug zu den personenbezogenen Daten des Klägers.
15
Das Finanzamt beantragt,
16
Es begründet seinen Antrag in der Stellungnahme vom 09.03.2020 damit, dass dem Kläger mit Bescheid vom 17.12.2019 Auskunft erteilt worden sei und dieser keinen Anspruch auf weitergehende Auskunft beanspruchen könne. Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes entfalte nach § 1 Abs. 1 IFG keine Geltung für den Zuständigkeitsbereich der Landesfinanzverwaltung. Den sich aus Art. 15 DSGVO ergebenden Auskunftsanspruch habe das Finanzamt erfüllt. Ein Recht auf Akteneinsicht vermittele diese Vorschrift nicht, wie eine Auslegung der Vorschrift ergebe.
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Sofern die Richtigkeit der steuerlichen Festsetzung geprüft werden solle, könne dies nicht über das Datenschutzrecht erreicht werden, sondern nur über die dafür vorgesehenen Rechtsmittel.
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Dem Kläger sei Auskunft erteilt worden durch Übersendung der „Grunddaten-Übersicht“, der „eDaten-Übersicht“ und Übersendung sämtlicher Einkommensteuerbescheide seit 2009 in Kopie. Auch seien ihm die Metadaten aus Art. 15 Abs. 1 a bis h DSGVO mitgeteilt worden, sowie die Internet-Fundstelle zum „Allgemeinen Informationsschreiben der Finanzverwaltung“, das Angaben zu den Betroffenenrechten und zu den sonstigen in Art. 15 Abs. 1 a bis h DSGVO genannten Informationen enthalte.
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Der Kläger habe keinen darüber hinaus gehenden Anspruch auf Auskunft über den mit diesem in der Vergangenheit gewechselten Schriftverkehr, weil er über diese Daten bereits verfüge. Eine Auskunft über interne Vermerke und Stellungnahmen, wie etwa insbesondere Geschäftsgang und Bearbeitungsvermerke sowie rechtliche Stellungnahmen könne nicht gewährt werden, weil diese unzweifelhaft keinen Bezug zur Person des Klägers hätten und damit keine personenbezogenen Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO darstellten. Dasselbe gelte für rechtliche Analysen.
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Dem Kläger stehe auch sonst aus der AO unter dem Gesichtspunkt eines „Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung“ kein Akteneinsichtsrecht zu. Wegen der in den Steuerakten häufig befindlichen Informationen über die steuerlichen Verhältnisse Dritter, die ihrerseits dem Steuergeheimnis unterlägen, erscheine ein allgemeines Akteneinsichtsrecht in Steuerakten unpraktikabel und unter Berücksichtigung des durch ein solches entstehenden Verwaltungsaufwandes nicht vertretbar. Eine Abwägung der Interessen des Finanzamts auf der einen und des Klägers auf der anderen Seite falle zugunsten des Finanzamts aus, da der Kläger ein berechtigtes Interesse nicht substantiiert dargelegt habe. Er bleibe bei der allgemeinen Anschuldigung, dass das Finanzamt „etwas verbergen“ wolle.
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In seiner Stellungnahme hat das Finanzamt auch die Vorlage der den Streitfall betreffenden Akten verweigert - wobei es ersichtlich davon ausgegangen ist, dass die „den Streitfall betreffenden Akten“ diejenigen seien, in die der Kläger gerade Akteneinsicht begehrt. Zur Begründung hat das Finanzamt auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) verwiesen, wonach das Finanzamt zur Übersendung derjenigen Unterlagen nicht verpflichtet sei, die das eigentliche Ziel der Klage darstellten.
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Wegen der Ausführungen des Finanzamts im Einzelnen wird auf das genannte Stellungnahmeschreiben und das weitere schriftsätzliche Vorbringen verwiesen.
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Nach Hinweis des Gerichts hat der Kläger mit Schreiben vom 30.03.2020 die Durchführung eines Verfahrens nach § 86 Abs. 3 FGO beantragt mit dem Ziel der Feststellung, dass die Verweigerung der Aktenvorlage rechtswidrig sei. Das Gericht hat den Antrag dem BFH vorgelegt und am 25.05.2020 mit Einwilligung der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des BFH in der vergleichbaren Streitsache VII R 12/20 beschlossen. Mit Beschluss vom 09.12.2020 unter dem Aktenzeichen II S 8/20 hat der BFH den Antrag des Klägers nach § 86 Abs. 3 FGO als unzulässig verworfen, weil dieser voraussetze, dass das Finanzgericht die Vorlage der betreffenden Unterlagen oder die Erteilung von Auskünften konkret angeordnet gehabt habe, was im Streitfall nicht der Fall gewesen sei.
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Auf telefonische Anfrage des Berichterstatters hat das Finanzamt im Juli 2021 dem Gericht die Akte bzw. die Aktenteile übersandt, die den Antrag des Klägers auf Akteneinsicht sowie die Reaktion des Finanzamts bzw. gegebenenfalls in diesem Zusammenhang stattgefundene Kommunikation zwischen dem Kläger und dem Finanzamt enthalten. Weitere Akten - insbesondere diejenigen, in die der Kläger mit der vorliegenden Klage Einsicht begehrt - hat das Gericht nicht angefordert.
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Mit Beschluss vom 03.08.2021 hat das Gericht nach § 73 Abs. 1 Satz 2 FGO die getrennte Verhandlung und Entscheidung der drei vom Kläger ursprünglich in der Klageschrift zusammengefassten und von der Geschäftsstelle des Gerichts bereits unter gesonderten Aktenzeichen registrierten Klagen gegen das Finanzamt, das bayerische Landesamt für Steuern, sowie das bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat beschlossen.
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Mit Hinweis/Aufklärungsanordnung vom 19.08.2021 hat das Gericht den Kläger aufgefordert, die Anträge zu präzisieren, und ihm anheimgestellt, die von ihm verfasste wissenschaftliche Arbeit zum Akteneinsichtsrecht in Steuerakten einzureichen. Das Finanzamt hat es aufgefordert, eine Übersicht der in seinen Datenbanken vorgesehenen Feldern/Kennziffern und deren Bedeutung vorzulegen, sowie etwaige der Auskunftserteilung entgegenstehende Interessen darzulegen. Wegen der angeforderten Auskünfte im Einzelnen wird auf die Anordnung verwiesen, wegen der Antworten des Klägers auf dessen Schreiben vom 28.09.2021 und des Finanzamts auf dessen Schreiben vom 12.10.2021.
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Der Kläger hat am 04.11.2021 vor der mündlichen Verhandlung Einsicht in die Gerichtsakte und die dem Gericht vorliegende Akte genommen.
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In der Verhandlung hat das Finanzamt dem Kläger weitere Auskünfte als Ausdrucke überlassen, im Einzelnen:
- Ausdruck der „Auskunft über die elektronischen Erklärungen im Veranlagungsbereich“
- Ausdruck der „Eingangsüberwachung“ der eingegangenen Steuererklärungen
- Ausdruck „elektronische Erklärungen“ sowie exemplarisch ein Detailaufruf eines Eintrags
- Ausdruck der Übersicht „e-Daten“
- Ausdruck „Festsetzungsauskunft ab 2009“
- Ausdruck „Rückständeauskunft in Klartextform“
- Ausdruck der „Datenbank Rechtsbehelfe“ als Übersicht und „Detailauskunft aus der Datenbank Rechtsbehelfe“ für alle Fälle, in denen noch keine Einspruchsentscheidung ergangen ist, sowie das aktuelle Klageverfahren
- Ausdruck eines Auszugs aus den „Festsetzungsnahen Daten“ - über weitere Daten in diesem Bereich werde keine Auskunft gegeben
- Ausdrucke sämtlicher Einkommensteuer- und Verlustfeststellungsbescheide ab 2010 in der Fassung des jeweils letzten Bescheides, sowie die entsprechende Bescheidauskunft - das ist eine Aufstellung der der Steuerberechnung zugrunde gelegten Eingabedaten; letztere könnten Nutzer von Elster mittlerweile selbst abfragen.
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Auf die Frage des Gerichts, welche weiteren Auskünfte der Kläger konkret noch aus den Datenbanken benötige, nannte er:
- Eine Übersicht über die historischen Veränderungen von Bescheid zu Bescheid. Er könne die Änderungen durch die Betriebsprüfungen und in den Einspruchs- bzw. Klageverfahren nicht mehr nachvollziehen;
- Soweit Schätzungsdaten in den Datenbanken erfasst seien, möchte er wissen, wie die Schätzungen zustande gekommen seien.
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Im Übrigen stellte er den schriftsätzlichen Antrag erneut, in dem es ihm vor allem um eine Kopie der Akteninhalte ging.
31
Auf Nachfrage des Gerichts, weshalb der Kläger seit 2012 keine Steuererklärungen abgegeben habe, erklärte dieser, dass er dies unterlasse, solange er keine Auskunft vom Finanzamt erhalten habe. Im Übrigen habe er das Recht auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen nach § 364 AO. Hierauf erwiderte das Finanzamt, dass die Eingabedaten ja nun vorlägen und es sich weitgehend um Schätzungen handele.
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Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 04.11.2021 und das schriftsätzliche Vorbringen wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die Klage ist zulässig.
34
Der Rechtsweg zu den Finanzgerichten ist im Streitfall nach § 32i Abs. 2 AO eröffnet, soweit sich die Klage der betroffenen Person gegen das Finanzamt als Finanzbehörde (§ 6 Abs. 2 Nr. 5 AO) hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten auf Rechte aus der DSGVO (hier: Art. 15 Abs. 1 DSGVO) stützt, im Übrigen nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 FGO.
35
Statthafte Klageart für die gerichtliche Geltendmachung eines gegen eine Behörde gerichteten Auskunftsanspruchs aus Art. 15 Abs. 1 der DSGVO ist die Verpflichtungsklage. Denn bei der Entscheidung über einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch durch eine Behörde handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Der Erteilung der Auskunft geht eine behördliche Entscheidung voraus, die auf der Grundlage eines gesetzlichen Prüfprogramms zu treffen ist und bei der die Behörde besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen wie Begründungs- oder Anhörungspflichten zu beachten hat. Daher geht der Auskunftserteilung durch eine Behörde auf der Grundlage des Art. 15 Abs. 1 DSGVO stets eine Prüfung möglicher Ausschluss- und Beschränkungstatbestände voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.09.2020 - 6 C 10/19 -, Rn. 12, HFR 2021, 419).
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Die Klage richtet sich auch an den richtigen Beklagten. Passivlegitimierter der datenschutzrechtlichen Ansprüche aus der DSGVO ist der Verantwortliche (Art. 15 Abs. 1 DSGVO). Das ist nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Auch § 2a AO knüpft die Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit dem Schutz personenbezogener Daten an die Finanzbehörde bzw. Stelle öffentlicher Verwaltung. Damit ist Zurechnungssubjekt der Rechte und Pflichten im Bereich des Datenschutzes die jeweils im Rahmen ihrer Aufgabenzuständigkeit über diese Verarbeitung entscheidende Behörde. Der Anspruch kann sich daher nur auf die in der Entscheidungskompetenz der jeweiligen Behörde liegende Verarbeitung von Daten und auf diese Daten richten. Das ist im Streitfall - soweit Auskunft über die verarbeiteten Daten begehrt wird - das beklagte Finanzamt.
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2. Die Klage ist entscheidungsreif.
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Die Klage kann auf Grundlage der vorliegenden Akten und Sachverhaltsvorträge entschieden werden. Insbesondere kann auf Vorlage der Steuerakten verzichtet werden, weil deren Inhalt nicht entscheidungserheblich für die vom konkreten Inhalt unabhängige Frage der Auskunftspflicht ist.
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Das Finanzamt hat gem. § 71 Abs. 2 FGO die den Streitfall betreffenden Akten nach Empfang der Klageschrift an das Gericht zu übermitteln. Dies hat das Finanzamt zwar mit Schreiben vom 09.03.2020 zunächst verweigert. Dabei ging es aber ersichtlich davon aus, dass zu diesen zu übermittelnden Akten auch die Steuerakten gehören, in die der Kläger in der Hauptsache Einsicht begehrt.
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Ausgehend von dieser Sichtweise hat der Kläger einen Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO gestellt, den der BFH unter dem Az. II S 8/20 als unzulässig verworfen hat.
41
Ein Antrag nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass das Finanzgericht Vorlage der betreffenden Unterlagen oder die Erteilung von Auskünften konkret angeordnet hat und die ersuchte Behörde sich daraufhin geweigert hat, dieser Aufforderung nachzukommen (BFH, ebenda). Voraussetzung einer Feststellung i.S. von § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO ist daher, dass das Finanzgericht (FG), wenn es im Rahmen eines bei ihm anhängigen Verfahrens Steuerakten vom Finanzamt anfordert und diese nicht vollständig vorgelegt werden, weiterhin, d.h. auch noch zum Zeitpunkt der erstrebten Entscheidung des BFH, auf der lückenlosen Vorlage besteht (BFH, Beschluss vom 25.02.2014 - V B 60/12 -, BStBl II 2014, 478, Rn. 6).
42
Zu den nach § 71 Abs. 2 FGO zu übermittelnden Akten gehört jedes Aktenstück, das für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage erheblich und für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sein kann (BFH, Beschluss vom 12.03.2019 - XI B 9/19 -, Rn. 15, BFH/NV 2019, 837). Es ist Sache des Finanzgerichts zu entscheiden, welche Akten es tatsächlich für entscheidungserheblich hält. In Zweifelsfällen hat das Finanzgericht den konkreten Zusammenhang mit dem Streitfall darzulegen (BFH, Beschluss vom 16.04.2020 - VII S 35/19 -, BFH/NV 2020, 1076, Rz. 20, m.w.N.). Eine Entscheidung des BFH darüber, ob die Verweigerung der Vorlage von Akten rechtmäßig ist, setzt deshalb voraus, dass das Finanzgericht die Entscheidungserheblichkeit der fraglichen Akten geprüft und bejaht hat (BFH, Beschluss vom 9.12.2020 - II S 8/20 -, nicht veröffentlicht, unter Verweis BVerwG, Beschluss vom 31.8.2009 - 20 F 10/08, NZVwR 2010, 194). Diese Voraussetzung sah der BFH im vorliegenden Fall für nicht gegeben an.
43
Dem schließt sich der Senat an. Der Berichterstatter hat daher das Finanzamt aufgefordert, den Vorgang „Anspruch auf datenschutzrechtliche Auskunft bzw. Akteneinsicht“, also nur den Antrag des Klägers auf datenschutzrechtliche Auskunft, den dazu ergangenen Schriftwechsel sowie die Auskunft bzw. Verweigerung der Auskunft“, vorzulegen. Diese so umgrenzten, den Streitfall betreffenden Akten (vgl. BFH, Beschluss vom 03.06.2015 - VII S 11/15 -, Rn. 7, BFH/NV 2015, 1100) hat das Finanzamt vorgelegt. Außerdem hat es auf die weitergehende Aufforderung in der mündlichen Verhandlung weitere Ausdrucke aus den Datenbanken dem Gericht und dem Kläger überlassen.
44
Das Finanzgericht ist zwar im Rahmen der ihm obliegenden Sachverhaltsermittlung (§ 76 Abs. 1 FGO) berechtigt, weitere Behördenakten beizuziehen, und die jeweiligen Behörden sind unter den in § 86 Abs. 1 und 2 FGO genannten Voraussetzungen zu deren Vorlage verpflichtet, allerdings nur, soweit eine Sachaufklärung durch diese Akten erwartet werden kann, was das Finanzgericht erforderlichenfalls darzulegen hat (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 86 Rz 4). Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze erachtet der Senat die Vorlage der Steuerakten für entbehrlich. Die Entscheidung über den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch ist grundsätzlich unabhängig vom konkreten Inhalt der Daten bzw. Akten, über die Auskunft bzw. in die Einsicht begehrt wird.
45
Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen ist das Finanzamt aber auch deshalb nicht zur Übersendung der Steuerakten verpflichtet, weil damit die dem Finanzgericht zur Entscheidung vorliegende Hauptsache vorweggenommen würde. Wäre das Finanzamt zur Übersendung auch der streitgegenständlichen Unterlagen an das Finanzgericht verpflichtet, könnte der Kläger nach § 78 Abs. 1 FGO „die dem Gericht vorgelegten Akten“ - also auch diese Unterlagen - einsehen. Damit hätte sich der Rechtsstreit bereits ohne das Zwischenverfahren des § 86 Abs. 3 FGO erledigt. Das entspräche nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift.
46
Die unter den Voraussetzungen des § 86 FGO dem Finanzgericht vorzulegenden bzw. zu übermittelnden Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente und Auskünfte dienen der dem Finanzgericht nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachverhaltsermittlung, auf deren Grundlage es über die erhobene Klage rechtlich entscheidet. Im Streitfall ist die Offenlegung der Besteuerungsakten jedoch keine der Klärung des Sachverhalts dienende Voraussetzung, sondern das eigentliche Ziel der Klage (BFH, Beschluss vom 03.06.2015 - VII S 11/15 -, Rn. 10 - 11, a.a.O.).
47
3. Zuständigkeit des Senats
48
Der erkennende Senat ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts München zuständig für den „gerichtlichen Rechtsschutz nach § 32i AO“. Im Kontext der erhobenen Klage ist er daher zuständig für Klagen der betroffenen Person hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Finanzbehörden oder gegen deren Auftragsverarbeiter wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person (§ 32i Abs. 1 AO).
49
Danach fällt im Streitfall die Prüfung eines Anspruchs nach Art. 15 DSGVO und dessen Umfang in die Kompetenz des erkennenden Senats.
50
4. Die Klage ist nach Erteilung weiterer Auskünfte unbegründet
51
Der Kläger hat einen Anspruch auf Auskunft nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO, der allerdings mit der Übergabe der weiteren Kopien aus den Datenbanken des Finanzamts in der mündlichen Verhandlung erfüllt wurde. Das Finanzamt ist aus dem Auskunftsanspruch nicht verpflichtet, darüber hinaus Akteneinsicht in die Steuerakten zu gewähren, Kopien der Akte zu überlassen oder Daten aus der Steuerakte herauszusuchen und mitzuteilen.
52
Die DSGVO ist auch im Bereich der direkten Steuern anwendbar (a.).
53
Das Finanzamt ist als Verarbeiter im Sinne der DSGVO auch richtiger Beklagter bzw. Passivlegitimierter des Anspruchs auf Auskunft (b.).
54
Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO ist im Streitfall insoweit eröffnet, als die Verarbeitung personenbezogener Daten zu beurteilen ist (c.), jedoch nur insoweit, als die personenbezogenen Daten durch das Finanzamt zum Teil auch automatisiert oder teilautomatisiert verarbeitet werden (d.).
55
Der bereits dadurch umgrenzte Auskunftsanspruch ist mit Blick auf die Beschränkungen des Auskunftsrechts in der DSGVO selbst, sowie durch die AO und allgemeine Grundsätze entsprechend eingegrenzt (e.).
56
Er gewährt kein Akteneinsichtsrecht und ist - soweit die vorgerichtlich gegebenen Auskünfte unzureichend waren - im Laufe des Verfahrens erfüllt worden (f.).
57
a. Die DSGVO ist auf die Verarbeitung von Daten auch bei der Verwaltung direkter Steuern anwendbar.
58
(1) Als EU-Verordnung gilt die DSGVO gem. Art. 288 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat der Union, ohne dass es einer weiteren Umsetzung durch nationales Recht bedarf (vgl. auch FG Sachsen, Urteil vom 08.05.2019 - 5 K 337/19 -, EFG 2020, 661, Rn. 12).
59
Nach Art. 1 DSGVO schützt die Verordnung die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten. Nach dem Willen des EU-Verordnungsgebers leitet sich der grundsätzlich umfassende Wirkungsbereich der Verordnung direkt aus Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) sowie Art. 16 Abs. 1 AEUV ab (vergleiche Erwägungsgründe zur DSGVO [Erw] 1, 2). Sie soll „zur Vollendung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts … beitragen“ (Erw 2). Damit nimmt der Verordnungsgeber die zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten geteilte Kompetenz des Art. 4 Abs. 2 j AEUV für sich in Anspruch.
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(2) Diesen grundsätzlich umfassend gesehenen Wirkungsbereich schränkt der Verordnungsgeber in Art. 2 Abs. 2 DSGVO u.a. mit Blick auf die Kompetenzen der Mitgliedstaaten ein. Danach findet die Verordnung etwa keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt (Art. 2 Abs. 2 a DSGVO) oder auf die Datenverarbeitung durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit (Art. 2 Absatz 2 d DSGVO).
61
Welche Tätigkeiten aus dem Geltungsbereich der Verordnung ausgenommen sein sollen, weil sie nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen (Art. 2 Abs. 2 a DSGVO), führt der Verordnungsgeber nicht explizit aus. In den Erwägungsgründen nennt er beispielhaft die nationale Sicherheit und Datenverarbeitung im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.
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Die Tätigkeit, die im Streitfall im Raume steht, ist die Datenverarbeitung im Bereich der Verwaltung direkter Steuern. Da die Verwaltungstätigkeit selbst immanent in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten fällt, kann nur darauf abgestellt werden, ob die verwalteten Steuern in die Kompetenz der Union fallen. Das ist im Grunde für die nicht harmonisierten direkten Steuern zu verneinen (Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 166. Lieferung 05.2021, § 2a AO, Rn. 6, m.w.N.). Andererseits beansprucht der EuGH eine Kompetenz für die Prüfung, ob Vorschriften der Mitgliedsstaaten im Bereich der direkten Steuern gegen Unionsrecht oder etwa die Grundfreiheiten verstoßen. Der BFH erkennt diese Kompetenz an (vgl. z.B. BFH, EuGH-Vorlage vom 06.11.2019 - I R 32/18 -, BFHE 269, 205, BStBl II 2021, 68, Rn. 21; Urteil vom 20.04.1988 - I R 219/82 -, BFHE 154, 38, BStBl II 1990, 701, Rn. 21), so dass sich die Frage stellt, ob für die Anwendung des Art. 2 Abs. 2 a DSGVO davon gesprochen werden kann, dass die direkten Steuern nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen. Dies zumal sich die DSGVO auf die geteilte Kompetenz des Art. 4 Abs. 2 j AEUV stützt (vgl. bereits oben und Erw. 2).
63
Demgemäß sind die Antworten auf die Frage der Anwendbarkeit der DSGVO im Bereich der direkten Steuern kontrovers (vgl. zum Streitstand Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 166. Lieferung 05.2021, § 2a AO, Rn. 6).
64
(3) Allerdings kann der Senat die Frage der unmittelbaren Geltung der DSGVO kraft Rechtssetzungsakt der Union im Ergebnis dahingestellt sein lassen, da der Bundesgesetzgeber ihre Geltung zumindest durch Verweisung in § 2a AO angeordnet hat. Durch die Verweisung werden die Texte, auf die Bezug genommen wird (Bezugsnormen und andere Bezugstexte) zu einem Bestandteil der verweisenden Regelung (Ausgangsnorm) (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Handbuch der Rechtsförmlichkeiten, 3. Aufl. 2008, Teil B, 4.1, Rn. 2018, zit. nach http://hdr.bmj.de/page_b.4.html, Aufruf vom 16.07.2021).
65
Der deutsche Gesetzgeber ist bei der Normierung des § 2a AO bzw. der §§ 29b, 29c und 32a ff. AO (eingefügt durch Art. 17 des Gesetzes vom 17.07.2017, BGBl I 2017, 2541) von folgendem Verständnis ausgegangen (BT-Drs. 18/12611, Seite 74):
„Die Regelungen der AO sollen an das Recht der Europäischen Union, im Besonderen der [DSGVO] angepasst werden. Dabei sollen aufgrund der Regelungsaufträge der [DSGVO] die bereits bestehenden Vorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten an die Regelungen und Begriffsbestimmungen dieser Verordnung angepasst bzw. neue bereichsspezifische Regelungen in enger Anlehnung an das neue Bundesdatenschutzgesetz geschaffen werden. Zugleich sollen auf Grundlage des Art. 23 der [DSGVO] bereichsspezifische Einschränkungen der betroffenen Rechte bestimmt werden, damit die Finanzbehörden weiterhin ihrem Verfassungsauftrag nachkommen können, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben und Steuerverkürzungen aufzudecken.“
66
In der Gesetzesbegründung zu § 2a Abs. 3 AO wird weiter ausgeführt:
„Abs. 3 stellt klar, dass die unmittelbar anzuwendenden europarechtlichen Regelungen über den Schutz personenbezogener Daten natürlicher Personen, insbesondere die [DSGVO], den Regelungen der AO und der Steuergesetze vorgehen, soweit diese den Mitgliedstaaten keine Regelungsaufträge erteilen oder Regelungsbefugnisse einräumen und dementsprechende nationale Regelungen getroffen worden sind.“
67
In dieser Begründung drückt sich der unbedingte Wille des Bundesgesetzgebers deutlich aus, dass der bereichsspezifische Datenschutz im Bereich des gesamten Steuerrechts durch die AO und die dieser vorgehende DSGVO geregelt sein soll, im Bereich der Einzelsteuergesetze gegebenenfalls für deren Bereich modifiziert. Es lässt sich nach Ansicht des erkennenden Senats weder aus der Gesetzesbegründung, noch aus dem Gesetzeswortlaut des § 2a AO herauslesen, dass die Regelungen der AO bzw. der DSGVO lediglich im Bereich der harmonisierten Steuern und nicht auch im Bereich der direkten Steuern gelten sollten.
68
Die Gesetzesbegründung zu § 2a Abs. 5 AO bekräftigt das vorstehend gefundene Ergebnis. Der Gesetzgeber ist mit dieser Vorschrift bestrebt, den Anwendungsbereich der DSGVO auch auf Fälle auszuweiten, in denen sie nach Erw. 27 zur DSGVO an sich nicht gilt. Dies entspreche dem allgemeinen Grundsatz der AO, dass verfahrensrechtliche Regelungen - die regelmäßig zugleich Regelungen über die Verarbeitung personenbezogener Daten darstellen - für alle vom Steuer- und Steuerverfahrensrecht Betroffenen ungeachtet ihrer Rechtsform grundsätzlich gleichermaßen gelten.
69
Der unbedingte Wille des Gesetzgebers zur Geltung der Europäischen Datenschutzregeln drückt sich darüber hinaus in der generalklauselartigen Vorschrift des § 1 Abs. 8 Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) aus, wonach die DSGVO und die Teile 1 und 2 BDSG entsprechende Anwendung finden, soweit nicht im BDSG bzw. im bereichsspezifischen Gesetz - hier der AO - Abweichendes geregelt ist.
70
Nach dem Vorstehenden ist also davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber von der unmittelbaren Geltung der DSGVO für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Finanzbehörden ausgeht (§ 2a Abs. 1 AO). Der Verweis auf dieselbe dürfte somit als deklarativer Verweis gedacht gewesen sein. Nach Auffassung des erkennenden Senats schließt dies jedoch nicht eine hilfsweise Auslegung als konstitutiven Verweis aus. Der Gesetzgeber wollte die Geltung der DSGVO - modifiziert durch eigene Regelungen u.a. in der AO - für die gesamte Tätigkeit der Finanzbehörden - ohne eine je nach Steuerart differenzierte Handhabung. Anderenfalls hätte er dies in § 2a Abs. 1 AO anders formuliert.
71
Diese Sicht entspricht auch der Rspr. des BVerwG (EuGH-Vorlage vom 04.07.2019 - 7 C 31/17 -, Rn. 14, juris), folgendes ausführt:
„Mit den Ergänzungen der Abgabenordnung verfolgt der Gesetzgeber - wie sich insbesondere aus § 2a Abs. 3 und 5 AO ergibt - das Ziel, über den unmittelbaren Anwendungsbereich der [DSGVO] hinaus dem allgemeinen Grundsatz der Abgabenordnung entsprechend einheitliche verfahrensrechtliche Regelungen - die regelmäßig zugleich Regelungen über die Verarbeitung personenbezogener Daten darstellen - für alle vom Steuer- und Steuerverfahrensrecht Betroffenen ungeachtet ihrer Rechtsform vorzusehen (vgl. BT-Drs. 18/12611, S. 76). Anhaltspunkte dafür, dass dieses Regelungsziel sich auf unionsrechtlich determinierte Steuern beschränkt, sind nicht ersichtlich. Eine nach Steuerschuldnern und Steuerarten differenzierende Verarbeitung der Daten wäre im Übrigen - wie die Vertreter des für die Novellierung der Abgabenordnung federführend zuständigen Bundesministeriums der Finanzen in der mündlichen Verhandlung erläutert haben - auch technisch nicht zu realisieren. […] Vor diesem Hintergrund kommt eine „gespaltene“ Auslegung der Neuregelungen in der Abgabenordnung für dem Unionsrecht unterfallende Sachverhalte einerseits und diesem nicht unterfallende Sachverhalte andererseits nicht in Betracht.“
72
Nach alledem geht der erkennende Senat von der zumindest inhaltlichen Geltung der DSGVO für die gesamte Daten verarbeitende Tätigkeit der Finanzbehörden aus (wie hier, jedoch nur in summarischer Würdigung FG Saarland, Beschluss vom 03.04.2019 - 2 K 1002/16 -, EFG 2019, 1217; ohne Problemerörterung FG Sachsen, Urteil vom 08.05.2019 - 5 K 337/19 -, EFG 2020, 661; ohne Problemerörterung FG Köln, Urteil vom 18.09.2019 - 2 K 312/19 -, EFG 2020, 413; a.A. unter Verweis auf die Literatur FG Niedersachsen, Urteil vom 28.01.2020 - 12 K 213/19 -, EFG 2020, 665).
73
(4) Die BMF-Schreiben vom 12.01.2018, BStBl I 2018, 185 (ersetzt durch BMF-Schreiben vom 13.01.2020 IV A 3-S 0130/19/10017:004, 2019/1129406) geben die vorstehend begründete Rechtsauffassung wieder, so dass festgehalten werden kann, dass auch die Finanzverwaltung von der Geltung der DSGVO im Bereich der Steuerverwaltung ausgeht.
74
b. Die DSGVO und die im Zusammenhang stehenden Vorschriften der AO finden Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch das Finanzamt.
75
Die Datenschutzvorschriften der AO, der Steuergesetze und der DSGVO gelten nach § 2a Abs. 1 AO für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Finanzbehörden. Beim Finanzamt handelt es sich um eine solche (§ 6 Abs. 2 Nr. 5 AO). Das beklagte Finanzamt ist „Verantwortlicher“ i.S.d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO als die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet und damit Passivlegitimierter des Anspruchs aus Art. 15 DSGVO.
76
c. Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO ist im Streitfall insoweit eröffnet, als die Verarbeitung personenbezogener Daten zu beurteilen ist.
77
Nicht nur die in Datenbankfeldern gespeicherten Einzelangaben mit Bezug auf die Steuernummer bzw. den Namen des Klägers sind personenbezogene Daten. Auch bei den in unstrukturierten Volltexten enthaltenen Angaben mit Bezug zu seiner Person handelt es sich unter den Umständen des Streitfalls um personenbezogene Daten.
78
(1) (1.1) Die DSGVO gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen (Art. 2 Abs. 1 DSGVO).
79
§ 2a Abs. 5 AO ordnet die entsprechende Geltung der DSGVO auf verstorbene natürliche Personen und Körperschaften, rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Personenvereinigungen oder Vermögensmassen an.
80
(1.2) Personenbezogene Daten sind nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Nach der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 oder der Vorgängernorm der DSGVO, der Richtlinie 95/46/EG, sind dies alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person. Aus der unterschiedlichen Begrifflichkeit „beziehen“ statt „über“ ergibt sich kein wesentlich unterschiedlicher Bedeutungsgehalt. Personenbezogene Daten sind demnach Einzelangaben (so ausdrücklich § 3 Abs. 1 BDSG alte Fassung), also nicht etwa Akten oder Aktensammlungen (so Erw. 15 zur DSGVO).
81
(1.3) Der Begriff der „Personenbezogenen Daten“ wird vom zur Auslegung berufenen EuGH (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage 7 C 31/17, a.a.O.) weit ausgelegt, so dass auch etwa die Antworten des Prüfungsteilnehmers auf Prüfungsfragen und die Korrekturanmerkungen des Prüfers (nicht aber die Prüfungsfragen selbst) personenbezogene Daten darstellen können (EuGH, Urteil vom 20.12.2017 - C-434/16 -, Rn. 34, juris; vgl. hierzu auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 27.04.2020 - 20 K 6392/18 -, Rn. 140, juris). In seiner zur Richtlinie 95/46/EG ergangenen Entscheidung leitet er dies aus den zwei Zielrichtungen der Richtlinie ab: Einmal fänden die in ihr vorgesehenen Schutzprinzipien ihren Niederschlag in den Pflichten, die den für die Verarbeitung Verantwortlichen obliegen; diese Pflichten beträfen insbesondere die Datenqualität, die technische Sicherheit, die Meldung bei der Kontrollstelle und die Voraussetzungen, unter denen eine Verarbeitung vorgenommen werden könne. Zum anderen kämen sie zum Ausdruck in den Rechten der Personen, deren Daten Gegenstand von Verarbeitungen sind, über diese informiert zu werden, Zugang zu den Daten zu erhalten, ihre Berichtigung verlangen bzw. unter gewissen Voraussetzungen Widerspruch gegen die Verarbeitung einlegen zu können (ebenda, Rn. 48).
82
(1.4) Der EuGH arbeitet in einer weiteren zur Richtlinie 95/46/EG ergangenen Entscheidung vom 17.07.2014 - C-141/12 und C-372/12 -, CR 2015, 103, den Unterschied zwischen personenbezogenen Daten und den Dokumenten heraus, die u.a. personenbezogene Daten enthalten. In den dem Vorabentscheidungsersuchen zugrundeliegenden Verfahren begehrten die Antragsteller Einsicht in eine sog. „Entwurfsschrift“, die Daten über den Verfahrensbeteiligten, aber auch eine rechtliche Analyse enthielt. Der EuGH hat entschieden, dass auch in dieser Entwurfsschrift enthaltenen Daten, die die Tatsachengrundlage für die in der Entwurfsschrift ebenfalls enthaltene rechtliche Analyse darstellen, personenbezogene Daten des Verfahrensbeteiligten sind. Er bejaht insoweit ein Auskunftsrecht. Dagegen verneint er ein Auskunftsrecht hinsichtlich der rechtlichen Analyse. Diese könne nicht Gegenstand einer Nachprüfung durch den Antragsteller und einer Berichtigung sein. Würde das Auskunftsrecht auf diese rechtliche Analyse ausgedehnt, so würde dies in Wirklichkeit nicht dem Ziel der Richtlinie dienen, den Schutz der Privatsphäre dieses Antragstellers bei der Verarbeitung von ihn betreffenden Daten zu gewährleisten, sondern dem Ziel, ihm ein Recht auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten zu sichern, auf das die Richtlinie 95/46 jedoch nicht gerichtet sei (EuGH, ebenda, Rn. 46).
83
Auch stellt der EuGH klar, dass die Richtlinie es den Mitgliedsstaaten überlasse, festzulegen, in welcher konkreten Form die Auskunft zu erteilen sei, soweit sie der betroffenen Person ermögliche, von den sie betreffenden personenbezogenen Daten Kenntnis zu erlangen und zu prüfen, ob sie richtig seien und der Richtlinie gemäß verarbeitet würden, so dass sie gegebenenfalls die ihr in der Richtlinie verliehenen Rechte ausüben könne (EuGH, ebenda, Rn. 57). Zur Wahrung des Auskunftsrechts genüge es, wenn der Antragsteller eine vollständige Übersicht über die in der Entwurfsschrift wiedergegebenen Daten - also auch solche personenbezogenen Daten, die in der rechtlichen Analyse enthalten sind, in verständlicher Form erhalte (EuGH, ebenda, Rn. 59). Soweit mit dieser Auskunft das mit dem Auskunftsrecht angestrebte Ziel erreicht werden könne, stehe der betroffenen Person weder aus dem Auskunftsrecht noch aus Art. 2 Abs. 2 der Charta das Recht zu, eine Kopie des Dokuments oder der Originaldatei, in der diese Daten enthalten sind, zu erhalten. Damit die betroffene Person keinen Zugang zu anderen Informationen als den sie betreffenden personenbezogenen Daten erhalte, könne sie eine Kopie des Dokuments oder der Originaldatei erhalten, in denen diese anderen Informationen unkenntlich gemacht worden seien (EuGH, ebenda, Rn. 58).
84
(2) Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze sind personenbezogene Daten nicht nur alle Einzelangaben, die - meist unter Kennziffern (deren Bedeutung entspricht in etwa dem Begriff der Kategorie) - in den Datenbanksystemen des Finanzamts mit Bezug auf den Kläger bzw. dessen Steuer- oder Steueridentifikationsnummern gespeichert sind. Personenbezogene Daten liegen auch insoweit vor, als in Steuerakten - gleich ob elektronisch oder auf Papier manifestiert - Dokumente enthalten sind, in deren nicht weiter strukturierten Texten Einzelangaben über die steuerlichen und damit stets auch persönlichen Verhältnisse des Klägers wiedergegeben sind. Den Charakter personenbezogener Daten haben auch unter Kennziffern oder in selbst nicht weiter strukturierenden Texten enthaltene Beurteilungen, Werturteile und Einschätzungen des Klägers bzw. seiner steuerlichen Verhältnisse durch Sachbearbeiter des Finanzamts.
85
(2.1) Zwar können Zweifel bestehen, ob nicht oder wenig strukturierte Texte, die eine Vielzahl von Einzelangaben in freier sprachlicher Beschreibung enthalten, als „Daten“ angesehen werden können, solange sie nicht in Einzelangaben strukturiert wurden, also in entsprechend strukturierte geordnete Paare bestehend aus „Kategorie“ und „Wert“ bzw. Feldbezeichner und Feldinhalt extrahiert worden sind - etwa indem sie in ein Formular strukturiert und separiert übertragen wurden.
86
Nach der weiten Auslegung des Begriffs „Daten“ durch den EuGH ist es jedoch unerheblich, welchen formalen Strukturierungsgrad die in einem Text enthaltenen Einzelangaben haben. Es genügt nach der oben zitierten Rspr. des EuGH für das Vorliegen von „Daten“, dass in einem Text in fortlaufender, nicht weiter strukturierter Sprache Sachverhalte geschildert sind, die dem Kläger zugeordnet - und damit personenbezogen - sind.
87
(2.2) Nach der oben zitierten Entscheidung des EuGH, wonach auch Korrekturanmerkungen der Prüfer personenbezogene Daten des Prüfungsteilnehmers werden, sobald sie - z.B. durch handschriftliches Aufbringen - dessen Prüfungsbogen und damit dessen Person zugeordnet werden, kann nichts anderes für - ggf. auch rein subjektive - Einschätzungen und Bemerkungen in Form von Gesprächsnotizen und Bearbeitungsvermerken von Sachbearbeitern gelten. Lediglich die reine rechtliche Analyse zu einem Besteuerungssachverhalt stellt kein personenbezogenes Datum dar. Freilich kann diese im Text wiederum auf den Kläger bezogene Einzelangaben enthalten, und wird dies auch typischerweise in einem fachgerecht verfassten juristischen Subsumtionsteil.
88
(2.3) Von einer Zuordnung der Daten auf den Kläger ist auszugehen, da die Akte, die die Schriftstücke mit den Sachverhaltsschilderungen enthält, unter dessen Namen bzw. der mit diesem verknüpften Steuernummer geführt wird und somit die enthaltenen Schriftstücke und aufgebrachten Vermerke in Bezug zum Kläger setzen. Einzelangaben in Datenbanken sind durch deren Struktur ohnehin unproblematisch dem jeweiligen Steuerpflichtigen zuzuordnen.
89
d. Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO ist nur insoweit eröffnet, als die personenbezogenen Daten durch das Finanzamt zum Teil auch automatisiert oder teilautomatisiert verarbeitet werden (Art. 2 Abs. 1 Alt. 1 DSGVO).
90
(1) Eine zumindest teilautomatisierte Datenverarbeitung liegt vor, wenn Datenverarbeitungsanlagen zum Einsatz kommen (Kühling/Buchner, Kommentar zur DS-GVO und zum BDSG, Beck, 3. Auflage, DS-GVO Art. 2 Rn. 15 - Kühling -). Eine konkrete Definition der „automatisierten Datenverarbeitung“ findet sich in der DSGVO nicht. Dies entspricht dem Willen des Verordnungsgebers, ein technologieneutrales Schutzsystem zu gestalten, das auch zukünftige technologische Entwicklungen abdeckt (vergleiche Erw. 15). In der Konsequenz ist der Begriff der teilautomatisierten Datenverarbeitung sehr weit auszulegen (Kühling, DSGVO Art. 2 Rn. 15). Hierunter fallen unproblematisch sämtliche Bearbeitungsschritte, die mit Hilfe der Computersysteme der Steuerverwaltung ausgeführt werden.
91
(2) Eine nicht automatisierte Verarbeitung unterliegt dem Anwendungsbereich der DSGVO nur, wenn die personenbezogenen Daten in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen (Art. 2 Abs. 1 Alt. 2 DSGVO).
92
„Nicht automatisiert“ bedeutet „manuelle“ Verarbeitung (Erw. 15). Es darf kein Teilschritt der Verarbeitung automatisiert stattfinden. Soweit die Steuerverwaltung Schriftgut in Papierform in Steuerakten ablegt, ist eine solche manuelle Verarbeitung gegeben.
93
(2.1) Wann eine (vorgesehene) Speicherung in einem Dateisystem (Art. 2 Abs. 1 DSGVO) vorliegt, ist noch nicht hinreichend geklärt. Art. 4 Nr. 6 DSGVO definiert das Dateisystem als „jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geographischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird“. Nach der h.M. ist dieser Begriff im Wesentlichen gleichbedeutend mit dem in der Vorgängervorschrift der DSGVO (der Richtlinie 95/46) verwendeten Begriff der Datei (Kühling, DSGVO Art. 6 Nr. 6 Rn. 1).
94
Eine Sammlung ist nach gängiger Vorstellung eine planmäßige, strukturierte Zusammenstellung einzelner Angaben, die einen inneren Zusammenhang vorweisen, entweder durch Gleichartigkeit der Informationen (z.B. Kundendaten) oder des Zwecks (z.B. Zugangskontrolle) der Sammlung (Kühling, DSGVO Art. 4 Nr. 6 Rn. 3). Nach dem BDSG a.F. war damit ein gleichartiger Aufbau der Zusammenstellung gemeint, eine äußere Form, die eine gewisse Anordnung aufweisen muss. Danach durfte kein zufälliger oder wechselnder Aufbau der Angaben vorliegen. Vielmehr bedurfte es eines formalen Ordnungsschemas (ebenda).
95
(2.2) Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung des Begriffs „Dateisystem“ liegt - soweit ersichtlich - noch nicht vor. Zum in der Vorgängervorschrift der DSGVO verwendeten Begriff der „Datei“ führt der EuGH (EuGH, Urteil vom 10.07.2018 - C-25/17 -, Celex-Nr. 62017CJ0025) folgendes aus:
„Gemäß den Erwägungsgründen 15 und 27 der Richtlinie 95/46 muss der Inhalt einer Datei so strukturiert sein, dass er einen leichten Zugriff auf die personenbezogenen Daten ermöglicht. In Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie ist zwar nicht näher geregelt, nach welchen Kriterien die Datei strukturiert sein muss, aber den genannten Erwägungsgründen zufolge müssen die Kriterien „personenbezogen“ sein. Demnach ist mit dem Erfordernis, dass die Sammlung personenbezogener Daten „nach bestimmten Kriterien strukturiert“ sein muss, nur gemeint, dass die Daten über eine bestimmte Person leicht wiederauffindbar sind.
Abgesehen von diesem Erfordernis regelt Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 95/46 weder die Modalitäten, nach denen eine Datei strukturiert werden muss, noch die Form, die sie aufweisen muss. Insbesondere geht weder aus dieser, noch aus irgendeiner anderen Bestimmung dieser Richtlinie hervor, dass die in Rede stehenden personenbezogenen Daten in spezifischen Kartotheken oder Verzeichnissen oder einem anderen Recherchesystem enthalten sein müssten, damit das Vorliegen einer Datei im Sinne dieser Richtlinie bejaht werden kann. […]
Somit ist auf die zweite [Vorlage-]Frage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 95/46 dahin auszulegen ist, dass der in dieser Bestimmung genannte Begriff „Datei“ eine Sammlung personenbezogener Daten, die im Rahmen einer Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür erhoben wurden und zu denen Namen und Adressen sowie weitere Informationen über die aufgesuchten Personen gehören, umfasst, sofern diese Daten nach bestimmten Kriterien so strukturiert sind, dass sie in der Praxis zur späteren Verwendung leicht wiederauffindbar sind. Um unter diesen Begriff zu fallen, muss eine solche Sammlung nicht aus spezifischen Kartotheken oder Verzeichnissen oder anderen der Recherche dienenden Ordnungssystemen bestehen (EuGH, Urteil vom 10.07.2018 - C-25/17 -, Celex-Nr. 62017CJ0025, Rn. 57 f, 62)“.
96
Zugrunde lag dem Vorabentscheidungsersuchen die Besuchstätigkeit der Zeugen Jehovas, die sich im Rahmen ihrer von Tür zu Tür durchgeführten Verkündigungstätigkeit Notizen über Besuche bei Personen machen, die weder ihnen noch der Gemeinschaft bekannt sind. Zu den erhobenen Daten können u. a. die Namen und Adressen der aufgesuchten Personen, sowie Informationen über ihre religiösen Überzeugungen und Familienverhältnisse gehören. Diese Daten werden als Gedächtnisstütze erhoben, und um für den Fall eines erneuten Besuchs wiederauffindbar zu sein, ohne dass die betroffenen Personen hierin eingewilligt hätten oder darüber informiert worden wären.
97
Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas hat ihren Mitgliedern Anleitungen zur Anfertigung solcher Notizen gegeben, die in mindestens einem ihrer der Verkündigungstätigkeit gewidmeten Mitteilungsblätter abgedruckt sind. Die Gemeinschaft und ihre Gemeinden organisieren und koordinieren die von Tür zu Tür durchgeführte Verkündigungstätigkeit ihrer Mitglieder insbesondere dadurch, dass sie Gebietskarten erstellen, auf deren Grundlage Bezirke unter den Mitgliedern, die sich an der Verkündigungstätigkeit beteiligen, aufgeteilt werden, und indem sie Verzeichnisse über die Verkündiger und die Anzahl der von ihnen verbreiteten Publikationen der Gemeinschaft führen. Außerdem führen die Gemeinden der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas eine Liste der Personen, die darum gebeten haben, nicht mehr von den Verkündigern aufgesucht zu werden. Die in dieser Liste, der sogenannten „Verbotsliste“, enthaltenen personenbezogenen Daten werden von den Mitgliedern der Gemeinschaft verwendet. Früher stellte die Gemeinschaft ihren Mitgliedern für die Erhebung dieser Daten im Rahmen ihrer Verkündigungstätigkeit Formulare zur Verfügung; deren Verwendung wurde aber infolge einer Empfehlung des Datenschutzbeauftragten eingestellt. Die erhobenen Daten waren nicht in Form einer Kartothek strukturiert.
98
(2.3) Wenn nach der Rspr. des EuGH für das Vorliegen einer Datei bzw. eines Dateisystems genügt, dass Daten nach bestimmten Kriterien so strukturiert sind, dass sie in der Praxis zur späteren Verwendung leicht wiederauffindbar sind und eine solche Sammlung nicht aus spezifischen Kartotheken oder Verzeichnissen oder anderen der Recherche dienenden Ordnungssystemen bestehen muss, dann wird der Begriff des Dateisystems auf den ersten Blick konturlos.
99
Um diese scheinbare Konturlosigkeit aufzulösen, lohnt der Blick in die Erw. 15 zur DSGVO, wonach Akten oder Aktensammlungen sowie ihre Deckblätter, die nicht nach bestimmten Kriterien geordnet sind, nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen sollten. Wann Akten oder Aktensammlungen „nicht nach bestimmten Kriterien geordnet sind“, führt die DSGVO nicht näher aus. Allerdings kann damit nicht gemeint sein, dass eine einzelne Akte innerhalb einer Aktensammlung etwa nach dem einem Kriterium „Name“ bzw. „Steuernummer“ aufgefunden werden kann, da sonst jede Aktensammlung „nach bestimmten Kriterien geordnet“ erschiene und deren Ausnahme vom Anwendungsbereich der DSGVO gänzlich leerliefe. Denn eine Aktensammlung ohne wenigstens ein Ordnungskriterium zur Reihung der enthaltenen Akten ist praktisch kaum vorstellbar.
100
Demgemäß fordert die wohl h.M. in der Literatur zur Bejahung einer „Ordnung nach Kriterien“ (Erw. 15), dass die Sammlung nach zumindest zwei Kriterien sortierbar ist (Kühling, DSGVO Art. 2 Rn. 18), was bei der Sammlung der Steuerakten, die lediglich nach Az. bzw. Steuernummer abgelegt sind, nicht der Fall ist.
101
In besonderem Maße gilt dies für die Inhalte jeder einzelnen Steuerakte, in der Dokumente als Volltext ohne weitere „Ordnung nach Kriterien“ in historischer Reihung abgelegt sind.
102
Eine Strukturiertheit im Sinne einer leichten Wiederauffindbarkeit von Daten war in dem Referenzfall des EuGH (C-25/17, Jehovas Zeugen) vor allem auch deshalb gegeben, weil der einzelne Besuchsbericht relativ wenige, überschaubare Daten in strukturierter Form enthielt. Das ist bei einer Akte, die ohne weitere Ordnung eine Vielzahl von nicht einheitlich und weitgehend unstrukturierten Schriftstücken in der Reihenfolge der Veraktung enthält - bei Papiersteuerakten nicht selten hohe zweistellige und auch dreistellige Blattzahlen -, nicht der Fall. Anders als bei einer Sammlung von in sich strukturierten Einzelblättern ist der Aufwand des Heraussuchens von Einzelangaben zu einem bestimmten Kriterium aus einer Akte gerade kein „Leichtes“. Vielmehr benötigte ein menschlicher Bearbeiter, der für eine Auskunft alle Einzelangaben aus den in einer umfangreicheren Steuerakte enthaltenen Schriftstücken heraussuchen wollte, viel Zeit - im Einzelfall wohl Stunden. Im Ergebnis kann daher bei Akten - insbesondere Papierakten -, die umfangreiche, nicht weiter strukturierte Einzeldokumente enthalten, nicht von vorneherein einer „Speicherung in einem Dateisystem“ ausgegangen werden.
103
(3) Soweit ersichtlich, hatte die Rspr. noch keine Gelegenheit, näher zur datenschutzrechtlichen Behandlung derart umfangreicher Aktensammlungen mit einer großen Zahl nicht weiter strukturierter Dokumentbündel, wie sie etwa die Steuerakten darstellen, Stellung zu nehmen. Gleiches gilt für die Frage, ob sich aus der Differenzierung zwischen ganz und teilweise automatisierter Datenverarbeitung und der nichtautomatisierten Datenverarbeitung in Art. 2 DSGVO Folgerungen für den Umfang des Auskunftsrechts nach Art. 15 DSGVO ergeben müssen.
104
Der erkennende Senat hält es für geboten, den Anwendungsbereich der DSGVO und im Wechselspiel die Rechte der DSGVO für große Aktensysteme differenziert zu beantworten, und zwar ausgehend von deren Funktion.
105
(3.1) Zu unterscheiden sind bei solchen Systemen die in Datenbanken gehaltenen Einzelangaben, wie etwa im Streitfall die „eDaten“ und die „Grunddaten“ in den Datenbanken der Finanzämter. Diese unterliegen ohne Zweifel dem Anwendungsbereich der DSGVO, weil sie konkret zur maschinellen Verarbeitung gespeichert werden.
106
(3.2) Gleiches gilt für die im Rahmen der Steuerveranlagung den Steuerbescheiden zugrunde gelegten Einzelangaben, wie etwa die verkennzifferten Besteuerungsgrundlagen, die der Steuerberechnung zugrunde liegen. Sie sind Ausgangspunkt der maschinellen Steuerberechnung.
107
(3.3) Auch das Ergebnis der Steuerberechnung, die in den Bescheiden ausgewiesenen aggregierten Teilergebnisse und Ergebnisse stellen erzeugte personenbezogene Daten dar. Sie werden ebenfalls zur ggf. weiteren Verarbeitung in den Datenbanken gespeichert.
108
(3.4) Grundsätzlich nicht in den Schutzbereich der DSGVO einbezogen ist nach Auffassung des erkennenden Senats die papierene Steuerakte selbst, die in zeitlicher Abfolge sortierte Ablage der schriftlichen Kommunikation der Verwaltung mit dem Betroffenen/Steuerpflichtigen und diverser anderer unstrukturierter Texte. Während die in den Datenbanken abgelegten Einzelangaben strukturiert und Kriterien zugeordnet sind, handelt es sich bei der Schriftgutsammlung um selbst nicht weiter strukturierte, ungleich aufgebaute Texte. Zwar enthalten diese selbst auch solche Einzelangaben, die einen Bezug auf den Betroffenen aufweisen, mithin „personenbezogene Daten“. Über diese hinaus enthalten Sie aber auch eine Vielzahl von Einzelangaben ohne unmittelbaren Bezug auf den Betroffenen - etwa Bearbeitungsvermerke, Bearbeiternamen, rechtliche Analysen und Subsumtionen. Zum - auch - auf den Betroffenen bezogenen „Sammel“-Datum werden letztere Informationen überhaupt erst durch die Aufnahme des Schriftstücks in die Schriftgutsammlung, die ihrerseits unter dem Namen des Betroffenen geführt wird. Die enthaltene Einzelangabe aber „schlummert“ ungehoben in den Volltexten der Schriftgutsammlung. Eine „Strukturierung nach bestimmten Kriterien“ zur „leichten Wiederauffindung“ (vgl. oben 2.3) erkennt der Senat in diesen noch „ungehobenen“ Einzelangaben gerade nicht. Sie unterliegen daher nach Auffassung des erkennenden Senats erst dann dem sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO, wenn sie durch menschliches Handeln der Akte entnommen und in ein Dateisystem überführt werden. Dieser Akt der Extraktion stellt nach Auffassung des erkennenden Senats eine manuelle und somit „nichtautomatisierte“ Verarbeitung dar. Erst das einen intellektuellen menschlichen Akt darstellende „Heben“ der Einzelangabe durch Zuweisung des Inhalts zu einem Kriterium - die vorgesehene Verwendung des Datums für die nachfolgende teilweise automatisierte Verarbeitung für Besteuerungszwecke - führt dazu, dass dieses Datum im Sinne des Art. 2 Abs. 1 DSGVO in einem Dateisystem gespeichert wird/werden soll.
109
(3.5) Soweit elektronische Indizes oder Inhaltsverzeichnisse für die unter 3.4 behandelte Ablage der schriftlichen Kommunikation geführt werden, ermöglichen diese „das leichte Wiederauffinden“ (vgl. oben 2.3) etwa der Erkenntnis, dass ein Schriftwechsel mit einem bestimmten Titel oder Typ an einem bestimmten Tag verzeichnet ist. Auch diese an sich bedeutungslosen Indexdaten werden durch die Zuordnung zur Steuernummer und damit dem Betroffenen zum personenbezogenen Datum. Sie unterliegen damit dem Anwendungsbereich der DSGVO.
110
(3.6) Kontrollmaterial aus anderen Besteuerungsverfahren wird in aller Regel zunächst als mehr oder minder unstrukturierter Volltext - Schriftwechsel vorliegen, so dass die unter 3.4 dargestellten Grundsätze Anwendung finden. Ob besonders hervorgehobene Mitteilungen (zum Beispiel der sogenannte „grüne Bogen“) wegen ihrer Farbe als strukturiert gelten müssen, kann der Senat dahingestellt sein lassen, da solche Inhalte den Beschränkungen des Auskunftsrechts unterfallen (siehe dazu weiter unten).
111
(3.7) Die Inhalte aus von Dritten übermittelten Besteuerungsgrundlagen (z.B. übermittelte Krankenversicherungsbeiträge oder abgeführte Lohnsteuern) sind naturgemäß computerlesbare strukturierte Daten, für die die unter 3.1 genannten Grundsätze gelten.
112
(3.8) Interne Bearbeitungsvermerke können in Datenbankfeldern gespeichert sein (zum Beispiel die Meldung zur Betriebsprüfung) und unterliegen dann den unter 3.1 genannten Grundsätzen. Bearbeitungsvermerke, die mit Schriftstücken verbunden oder auf diesen aufgebracht sind, dürften in aller Regel als unstrukturierter Inhalt den Grundsätzen nach 3.4 unterliegen. Wegen ihrer Doppelnatur als personenbezogene Daten auch des Autors des Vermerks bzw. ihrer entscheidungsvorbereitenden Natur dürften solche internen Vermerke regelmäßig Beschränkungen des Auskunftsanspruchs unterfallen (vergleiche dazu hinten).
113
(4) Die unter (3) für umfangreiche Datensammlungen samt zugehöriger Aktensammlungen vorgenommene Differenzierung zwischen leicht wieder auffindbaren, unter Kriterienbezeichnern strukturiert abgelegten Daten einerseits und in sich selbst nicht weiter strukturierten Volltextdokumenten andererseits spiegelt sich in dem Aufwand, den eine Auskunft nach Art. 15 DSGVO für den Verantwortlichen verursacht. Über leicht auffindbare, strukturiert abgelegte Daten vermag der Verantwortliche mit vertretbarem Aufwand Auskunft zu geben. Dagegen würde eine Pflicht zur Auskunft über die in der unstrukturierten Schriftstücke-Sammlung enthaltenen Einzelangaben bedeuten, dass diese Dokumente durch einen Menschen - und damit manuell - durchgesehen werden müssten, um - ausschließlich für Auskunftszwecke - die darin enthaltenen Einzelangaben erst zu „heben“ und damit in den leicht auffindbaren Datenbereich zu bewegen.
114
Die DSGVO geht selbst nicht von einer derart aufwändigen Auskunftsverpflichtung aus. Zwar normiert sie in Art. 12 Abs. 1 DSGVO eine Obliegenheit des Verantwortlichen, Maßnahmen zu ergreifen, die ihm eine rasche Auskunft erlauben. Damit ist aber nicht gemeint, dass der Verantwortliche etwa den gesamten Schriftwechsel vorsorglich durcharbeiten muss, um darin enthaltene Einzelangaben zu extrahieren und ausschließlich für potentielle Auskunftsanträge vorzuhalten.
115
(5) In nicht weiter strukturierten Volltextdokumenten ungehoben „schlummernde“ Einzelangaben haben eine gänzlich andere Qualität, als Einzelangaben, die unter einem Kriterium mit dem Ziel erfasst werden, darauf eine Entscheidung - eine Datenverarbeitung - zu gründen. Erst diese Bestimmung, „verarbeitet zu werden“ lässt es praktikabel erscheinen, das Einzeldatum als „zutreffend“ oder „falsch“ zu beurteilen und daran Rechte des Betroffenen etwa auf Richtigstellung zu knüpfen. Dagegen enthalten die Dokumente des Schriftwechsels zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigem zwar häufig auch Sachverhaltsangaben. Diese stellen aber meist zunächst einmal nicht weiter verifizierbare Behauptungen des Steuerpflichtigen bzw. vorläufige Annahmen des Finanzamts dar. Auch mag sich eine in einem früheren Dokument enthaltene Annahme des Finanzamts im weiteren Schriftwechsel als falsch herausstellen, gar vom Finanzamt als falsch eingeräumt erweisen. Dann wäre es aber sinnlos, dem Auskunftsberechtigten das frühere, als falsch erkannte, Datum mitzuteilen.
116
Dass der Betroffene wegen der Dokumentationsfunktion der Akte ohnehin wohl keinen Löschungsanspruch hinsichtlich der in einem früheren Schriftwechsel gemachten Angabe haben kann und obendrein jedenfalls die Inhalte seines Schriftwechsels mit dem Finanzamt - bzw. des Finanzamts mit ihm - bereits kennen sollte, sei im Vorgriff zur Diskussion der Beschränkungen des Auskunftsrechts (siehe weiter hinten) an dieser Stelle bereits angemerkt. Die Vorstellung der DSGVO, dass Daten binär als „zutreffend“ oder „falsch“ beurteilbar sind, trifft für die in Volltexten enthaltenen - ungehobenen - Einzelangaben vielfach nicht zu.
117
(6) Nicht nur die Erwägungsgründe zur DSGVO (Erw. 15) nehmen Akten und Aktensammlungen, die nicht nach bestimmten Kriterien geordnet sind, vom Anwendungsbereich der DSGVO aus. Auch der EuGH stellt klar, dass der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO kein Recht auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten sichere (EuGH, C-141/12, a.a.O. zur Vorgängervorschrift). Wenn dies für das einzelne Dokument gilt, so muss dies erst recht für die gesamte Dokumentensammlung gelten. Zutreffend weist das Finanzamt insoweit darauf hin (Schriftsatz vom 09.03.2020, Seite 4), dass bei einer Wortlautauslegung mehrerer Sprachfassungen deutlich werde, dass die DSGVO zwischen „Auskunft“ und „Akteneinsicht“ unterscheide (vgl. dazu auch weiter hinten zu den Begrenzungen des Auskunftsrechts).
118
(7) Auch der BFH und das BVerfG sahen es bislang - vor Inkrafttreten der DSGVO - als gerechtfertigt an, dass die AO im Bereich des Steuerrechts kein generelles Akteneinsichtsrecht gewährleistet (vergleiche auch dazu weiter unten).
119
e. Umfang des Auskunftsanspruchs - Beschränkungen
120
Der Kläger hat demnach gegenüber dem Finanzamt einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO, dessen Umfang nach Maßgabe der vorstehend dargestellten Rechtsgrundsätze zu konturieren und mit Blick auf die Beschränkungen des Auskunftsrechts in der DSGVO selbst, sowie durch die AO und allgemeine Grundsätze entsprechend einzugrenzen ist.
121
Dabei ist von einem gebundenen Anspruch auf Auskunft auszugehen. Zwar geht die Rechtsprechung des BFH davon aus, dass mangels eines normierten Anspruchs Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde zu gewähren sei. Dies lässt sich nicht auf den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO übertragen. Letzterer unterliegt nicht dem Ermessen der Behörde. Lediglich hinsichtlich der Form der Auskunftserteilung räumt § 32d Abs. 1 AO dem Finanzamt in ein Ermessen ein. So ist diesem etwa in diesem Rahmen freigestellt, die Auskunft durch Überlassung eines Datenausdrucks, Einräumung eines Onlinezugriffs oder gar die Gewährung von Akteneinsicht zu erteilen.
122
(1) Beschränkungen der DSGVO und der AO
123
Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat der Betroffene (Art. 4 Nr. 1 DSGVO) gegenüber dem Verantwortlichen (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) ein Recht auf Auskunft über die seine Person betreffenden verarbeiteten personenbezogenen Daten. Diese Auskunft erfolgt, indem der Verantwortliche dem Betroffenen eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung stellt (Art. 15 Abs. 3 DSGVO). Das Recht auf Erhalt einer Kopie nach Art. 15 Abs. 1 b) DSGVO darf die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen (Art. 15 Abs. 4 DSGVO - der Verordnungsgeber denkt hierbei an Geheimnisse oder Rechte des geistigen Eigentums und insbesondere das Urheberrecht an Software, vgl. Erw. 63).
124
(1.1) Die §§ 32a AO ff. beschränken die Betroffenenrechte in Ausübung der durch Art. 23 DSGVO den Mitgliedsstaaten eingeräumten Kompetenz, namentlich der Beschränkungskompetenz des Art. 23 Abs. 1 e) DSGVO. Soweit hier von Bedeutung, normiert die AO folgende Beschränkungen:
125
Nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 32a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AO besteht das Auskunftsrecht der betroffenen Person nicht, wenn die Erteilung der Information die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörden liegenden Aufgaben gefährden würde und die Interessen der Finanzbehörden an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegen. Das ist namentlich dann der Fall, wenn die Auskunftserteilung - die betroffene Person oder Dritte in die Lage versetzen könnte, steuerlich bedeutsame Sachverhalte zu verschleiern (1.a), steuerlich bedeutsame Spuren zu verwischen (1.b) oder Art und Umfang der Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten auf den Kenntnisstand der Finanzbehörden einzustellen (1.c), oder
- Rückschlüsse auf die Ausgestaltung automationsgestützter Risikomanagementsysteme oder geplante Kontroll- oder Prüfungsmaßnahmen zulassen (2.)
- und damit die Aufdeckung steuerlich bedeutsamer Sachverhalte wesentlich erschwert würde.
126
Das Auskunftsrecht besteht nach § 32c Abs. Nr. 1 AO i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 2 AO ferner dann nicht, wenn die Daten, ihre Herkunft, ihre Empfänger oder die Tatsache ihrer Verarbeitung nach § 30 AO oder einer anderen Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen überwiegender berechtigter Interessen eines Dritten im Sinne des Art. 23 Abs. 1i der DSGVO, geheim gehalten werden müssen und deswegen das Interesse der betroffenen Person an der Informationserteilung zurücktreten muss. Letzteres entspricht der bereits in Art. 15 Abs. 4 DSGVO enthaltenen Beschränkung.
127
Das Auskunftsrecht besteht nach § 32c Abs. Nr. 1 AO i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 1a AO nicht, soweit die Erteilung der Information die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörden […] liegenden Aufgaben im Sinne des Art. 23 Abs. 1 d bis h der DSGVO gefährden würde.
128
Ebenfalls kein Auskunftsrecht besteht nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 32a Abs. 1 Nr. 4 AO soweit die Erteilung der Information eine vertrauliche Offenbarung geschützter Daten gegenüber öffentlichen Stellen gefährden würde.
129
Sind die personenbezogenen Daten weder automatisiert noch in nicht automatisierten Dateisystemen gespeichert, wird die Auskunft nur erteilt, soweit die betroffene Person Angaben macht, die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem von der betroffenen Person geltend gemachten Informationsinteresse steht (§ 32c Abs. 3 AO).
130
Die DSGVO selbst schränkt in Artikel 13 Abs. 4 DSGVO die Informationspflicht dahingehend ein, dass dem Betroffenen bekannte Informationen nicht der Informationspflicht und damit auch nicht der Auskunftspflicht (vgl. § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 32a Abs. 1 AO, Art. 13 Abs. 4, Art. 14 Abs. 5 a DSGVO) unterliegen.
131
Das Recht auf Auskunft besteht ferner nicht, wenn die personenbezogenen Daten
- nur deshalb gespeichert sind, weil sie auf Grund gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen, oder
- ausschließlich Zwecken der Datensicherung oder der Datenschutzkontrolle dienen
- und die Auskunftserteilung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde sowie eine Verarbeitung zu anderen Zwecken durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen ausgeschlossen ist (§ 32c Abs. 1 Nr. 3 AO).
132
(1.2) Die vorgenannten Beschränkungen bestanden teilweise wortgleich bereits vor Inkrafttreten der DSGVO bzw. der diese ausfüllenden Vorschriften der AO (vgl. etwa im Anwendungsbereich des bis 24.05.2018 geltenden BDSG alter Fassung: § 19 BDSG). Die zu Auskunftsrechten ergangene Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit und des BVerfG lehnte unter Berufung in diesem Zusammenhang etwa eine Auskunft über bei der Informationszentrale Ausland (IZA) gespeicherten Daten ab, weil dies die ordnungsgemäße Erfüllung der in deren Zuständigkeit bzw. der in den Einzelfällen zuständigen Finanzämter liegenden Aufgaben gefährden würde (BFH, Urteil vom 30.07.2003 - VII R 45/02 -, BStBl II 2004, 387; BVerfG, Beschluss vom 10.03.2008 - 1 BvR 2388/03 -, BStBl II 2009, 23). Die Finanzrechtsprechung geht von der Fortgeltung dieser Beschränkung auch unter der Geltung der DSGVO aus (FG Köln, Urteil vom 18.09.2019 - 2 K 312/19 -, EFG 2020, 413; die hiergegen eingelegte Revision zum BFH trägt das Aktenzeichen II R 43/19).
133
(2) Kein generelles Akteneinsichtsrecht
134
Die Rspr. vor Inkrafttreten der DSGVO unterschied deutlich zwischen Auskunft und Akteneinsicht. Ein genereller Anspruch auf Akteneinsicht gegenüber den Finanzbehörden bestand nach std. Rspr. des BFH nicht (zusammenfassend m.w.N.: BFH, Beschluss vom 03.11.2020 - III R 59/19 -, NJW 2021, 1263, Rn. 7; Urteil vom 23.02.2010 - VII R 19/09 -, BStBl II 2010, 729). Die Ablehnung jedenfalls eines gebundenen Akteneinsichtsanspruchs beruhte auf der Erwägung, dass der Gesetzgeber ein allgemeines Akteneinsichtsrecht im Steuerverwaltungsverfahren für nicht praktikabel gehalten habe, weil diesem Gesichtspunkte des Schutzes Dritter und das Ermittlungsinteresse der Finanzbehörden sowie der Verwaltungsaufwand der Finanzbehörde entgegenstünden, die vor jeder Akteneinsicht zu prüfen hätte, ob ein Geheimhaltungsinteresse Dritter beeinträchtigt sein könnte und dann das gesamte Kontrollmaterial, behördeninterne Vermerke und Anweisungen und Ähnliches aus den Akten zu entfernen hätte (BTDrs 7/4292, S. 24 f.). Daraus hat der BFH abgeleitet, dass die Einsichtnahme in die Akten während des laufenden Verwaltungs- oder Steuerermittlungsverfahrens lediglich eine in Anwendung des § 91 AO oder des § 364 AO aus Gründen der Gewährung des rechtlichen Gehörs zu gewährende Ausnahme sein soll.
135
Im Beschluss vom 26.05.1995 (- VI B 91/94 -, BFH/NV 1995, 1004) nahm der BFH an, dass das Finanzamt nach seinem Ermessen Akteneinsicht gewähren kann, obwohl in der AO ein allgemeines Akteneinsichtsrecht nicht geregelt ist, und dies jedenfalls dann regelmäßig geschehen sollte, wenn Verhältnisse Dritter nicht berührt werden. Im Ergebnis nimmt der BFH einen Anspruch auf eine pflichtgemäße und fehlerfreie Ermessensentscheidung der Behörde an, der gewahrt sei, wenn die Behörde im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen habe (BFH, in III R 59/19, a.a.O.).
136
Ausdrücklich offengelassen hat der BFH in dieser Entscheidung die Frage, ob Art. 15 DSGVO über das Auskunftsrecht hinaus ein Recht auf Einsicht in die Steuerakten begründet (BFH, ebenda, Rn. 16).
137
Den Anspruch des Steuerpflichtigen auf Gewährung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG oder seinen Anspruch auf Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sah der BFH durch die verweigerte Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren nicht als verletzt an (BFH, Beschluss vom 04.06.2003 - VII B 138/01 -, BStBl II 2003, 790, Rn. 15). Art. 19 Abs. 4 GG gewährleiste den Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - Volkszählungsurteil -, BVerfGE 65, 1, 70) und Art. 103 Abs. 1 GG gewährleiste, dass der Steuerpflichtige im gerichtlichen Verfahren Gelegenheit erhält, sich zu dem einer Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor deren Erlass zu äußern. Der Sicherung dieser Ansprüche dienten die in den Prozessordnungen verankerten Akteneinsichtsrechte nach § 147 Strafprozessordnung im (Steuer-) Strafverfahren und § 78 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Steuerstrafverfahren und dem Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren sei nach Auffassung des BVerfG Genüge getan, wenn die Akten und Beweisstücke dem Beschuldigten in einem rechtsstaatlich geordneten Strafverfahren nach Abschluss der Ermittlungen offengelegt würden (BVerfG, Beschlüsse vom 12.01.1983 - 2 BvR 864/81 -, NJW 1983, 1043; vom 10.02.1981 - 7 B 26/81 -, NJW 1981, 2270).
138
Aus Vorgängerregelungen der DSGVO leitete der BFH ebenfalls keinen gebundenen Auskunftsanspruch her. Vielmehr beurteilte er im Licht der im vormaligen BDSG enthaltenen Subsidiaritätsklausel die AO als abschließende bereichsspezifische Datenschutzregelung. Dass der Gesetzgeber dort kein Akteneinsichtsrecht normiert habe, sei als „absichtsvoller Regelungsverzicht“ zu respektieren (BFH, vom 04.06.2003 - VII B 138/01 -, a.a.O.).
139
Die DSGVO räumt dem Betroffenen ebenfalls kein Akteneinsichtsrecht ein, wie oben unter d. mit Blick auf die EuGH-Rspr. zur Vorgängervorschrift (EuGH - C-141/12 -, a.a.O.) ausgeführt worden ist. Art. 15 Abs. 1 DSGVO gewährleistet kein Recht auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten und damit kein Akteneinsichtsrecht.
140
(3) Umfang des Auskunftsanspruchs im Streitfall
141
(3.1) Anwendung der Einschränkungen auf Steuerdaten
142
Sämtliche Einzelangaben in der Steuerakte und der Steuerdatenbanken fallen unter die unter (1) aufgeführten Beschränkungen des Auskunftsanspruchs.
143
Die unter (1) dargestellten Beschränkungen gelten - verkürzt und vorbehaltlich der gebotenen Interessenabwägung - wenn die Auskunft dem Betroffenen ermöglicht, sich auf den Kenntnisstand der Finanzbehörde einzustellen, er in die Lage versetzt würde, zu verschleiern oder Spuren zu verwischen (Beschränkung 1), Rückschlüsse auf das Risikomanagementsystem (Beschränkung 2) oder auf geplante Kontroll- oder Prüfungsmaßnahmen zu ziehen (Beschränkung 3), überwiegende Geheimhaltungsinteressen Dritter entgegenstehen (Beschränkung 4), das Vertrauen in die vertrauliche Offenbarung geschützter Daten gefährden würde (Beschränkung 5), wenn die Informationen dem Betroffenen nicht schon bekannt sind (Beschränkung 6) oder wenn sie im Wesentlichen wegen gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften aufbewahrt werden (Beschränkung 7).
144
Misst man diese Einschränkungen am typischen Inhalt der von der Steuerverwaltung in Datenbanken verkennziffert oder auch in der Papierakte in Volltexten enthaltenen Einzelangaben, so unterfallen diese mit Ausnahme weniger trivialer Angaben den Beschränkungen. Die weitaus meisten Angaben stammen nämlich vom Steuerpflichtigen selbst, die dieser in seinen Steuererklärungen oder in Schreiben dem Finanzamt zuvor mitgeteilt hat, so dass davon ausgegangen werden muss, dass diese Informationen dem Betroffenen bereits bekannt sind (Beschränkung 6). Dasselbe gilt für Angaben in Schreiben des Finanzamts an den Steuerpflichtigen. Diese Angaben, aber auch alle aus Dritter Quelle stammende Angaben dürften regelmäßig die Beschränkung 1 erfüllen, denn nahezu alle Daten die noch aktuell oder künftig für die Besteuerung relevant werden könnten, lassen ein „sich einstellen können“ zu.
145
Ganz besonders trifft dies auf Kontrollmaterial oder etwa Recherchen des Finanzamts bei anderen Behörden zu. Letztere, aber auch etwa Vermerke über die Meldung zur Außenprüfung fallen darüber hinaus unter die Einschränkungen 3 und 5. Alle Daten, die nicht mehr für aktuelle oder künftige Besteuerung relevant sind, dürfen regelmäßig wegen gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen (Beschränkung 7). Bearbeitungsvermerke bestehen regelmäßig aus ggf. verkürzter Darstellung einer rechtlichen Analyse, nehmen Bezug auf anderweitige Einzelangaben und stellen eine Dokumentation der Entscheidung dar, die dem Steuerpflichtigen im Bescheid bekannt gegeben wird; mithin fallen diese regelmäßig unter die Einschränkung 6 oder stellen gar keine eigenständigen personenbezogenen Daten dar. Darüber hinaus besteht bei Bearbeitungsvermerken, entscheidungsvorbereitenden Vermerken und Entwürfen ein dem Auskunftsinteresse des Betroffenen immanent gegenläufiges Interesse des Autors des Vermerks, da dieser insoweit ein eigenes Datenschutzrecht beanspruchen kann, so dass diese Vermerke der Einschränkung 4 unterliegen.
146
(3.2) Interessenabwägung
147
Bei den dem Finanzamt zuzuschreibenden Interessen ist generell der Aufwand einzustellen, den die Auskunftserteilung verursacht. Insbesondere dürfte damit ein generelles Recht des Betroffenen auf - manuelle - Extraktion aller in den Akten enthaltenen Daten ausgeschlossen sein. Soweit Daten in Datenbanken erfasst sind, ist der Aufwand wesentlich geringer, so dass hier den Interessen des Finanzamts ein sehr viel niedrigerer Stellenwert zuzuordnen ist. Insoweit ist auch die Obliegenheit des Betroffenen nach Art. 12 Abs. 1 DSGVO zu berücksichtigen, wonach der Verantwortliche geeignete Maßnahmen zu treffen hat, um dem Auskunftsanspruch nachkommen zu können.
148
Weiter ist auch einer Behörde bzw. deren Mitarbeitern ein Raum informellen Austausches und vor der Beobachtung durch Dritte - auch den Betroffenen - grundsätzlich freier Raum der Meinungsbildung und Entscheidungsvorbereitung zuzubilligen.
149
Dem gegenüber stehen die anzuerkennenden Interessen des Betroffenen, neben seinen herkömmlich bestehenden Verfahrensrechten, die in bestimmten Verfahrensstadien - jedenfalls beim Beschreiten von Rechtsmitteln - ein Akteneinsichtsrecht gewähren, seine Rechte aus der DSGVO effektiv verfolgen zu können. Dabei ist nach Auffassung des Senats allerdings zu berücksichtigen, dass im Falle der Steuerakten die Durchsetzung eines datenschutzrechtlichen Löschungs- oder Berichtigungsanspruchs praktisch kaum vorstellbar ist.
150
Denn der den Verwaltungsakten immanenten Beweisfunktion widerspräche es, wenn der Betroffene etwa einzelne Angaben in beliebigen Verwaltungsdokumenten zu löschen oder durch ihn genehme zu ersetzen vermochte. Soweit der Betroffene aber die Richtigstellung aus seiner Sicht falscher Einzelangaben mit dem Ziel einer Berücksichtigung bei der Besteuerung verlangt, steht ihm neben dem datenschutzrechtlichen Anspruch aber der viel effektivere Rechtsweg im Besteuerungsverfahren zur Verfügung.
151
Wägt man die vorstehenden Interessen gegeneinander ab, so ergibt sich für die einzelnen Datenbereiche folgendes:
152
(3.2.1) Da das Heraussuchen der Einzelangaben in den Volltexten der Akte einen erheblichen manuellen Personalaufwand bedeutet, überwiegt - soweit die Akte überhaupt dem Anwendungsbereich der DSGVO unterliegt (s.o. unter d.) - in aller Regel das Interesse der Verwaltung an dessen Vermeidung das Auskunftsinteresse des Betroffenen. Aufgrund der Dokumentationsfunktion der Akte ist die praktische Umsetzung einer Löschung oder Berichtigung von Einzelangaben in Volltextdokumenten ausgeschlossen und wäre allenfalls durch Kommentierungen des Steuerpflichtigen in den Volltexten theoretisch denkbar, praktisch aber nach Auffassung des Senats nicht umsetzbar. Den Schriftwechsel zwischen Finanzamt und dem Betroffenen kennt der Betroffene, er kann diese Kenntnis durch entsprechende eigene Aufbewahrung des Schriftwechsels auch perpetuieren, so dass ein späteres Auskunftsinteresse insoweit zurücktritt. Das Auskunftsrecht dient nicht dazu, dem Steuerpflichtigen die Führung eigener Akten zu ersparen. Soweit Einzelangaben aus Schriftstücken der Besteuerung zugrunde gelegt werden, werden sie notwendigerweise ihrer Bedeutung und dem Betrag nach in die Steuerdatenbanken bzw. -Berechnungsprogramme übertragen - verkennziffert - und unterliegen den für diese Datenbereiche zutreffenden Grundsätzen zur Auskunft. Auch finden sich diese Einzelangaben - sobald das Finanzamt ihre Verwendung beabsichtigt - in einem pflichtgemäß begründeten Verwaltungsakt (§ 121 AO) oder im Vorfeld hierzu ergangenen Mitteilungsschreiben zur Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 91 AO). Darüber hinaus sind dem Einspruchsführer nach § 364 AO Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen offenzulegen. Angesichts dieser starken verfahrensrechtlichen Situation, die hinsichtlich der tatsächlich verarbeiteten Daten dem Steuerpflichtigen weitaus stärkere Rechte in der „Hauptsache“ einräumt, als sie die DSGVO dem Betroffenen gewährt, muss das Auskunftsinteresse des Betroffenen hinsichtlich „ungehobener“ Einzelangaben hinter dem Interesse der Verwaltung, insoweit Aufwand zu begrenzen, zurückzutreten.
153
Andere Einzelangaben, die nicht für die Besteuerung relevant sind oder werden können, mögen vereinzelt in den Volltexten der Steuerakte vorkommen. Angesichts des rechtlich und in der praktischen Handhabung äußerst starken Geheimnisschutzes der Steuerakte (§ 30 AO) und der faktischen Unmöglichkeit, solche Daten mit vertretbarem Aufwand aus Volltexten herauszusuchen, muss schon aus Praktikabilitätsgründen ein potentielles Auskunftsinteresse über solche ungehobenen Daten, von denen das aktenführende Finanzamt faktisch gar keine aktuelle Kenntnis hat, zurücktreten.
154
(3.2.2) Dagegen muss das Auskunftsinteresse des Betroffenen hinsichtlich der in den Datenbanken kategorisiert erfassten Daten nur hinsichtlich weniger Datenkategorien zurücktreten. Die Auskunft aus Datenbankeinträgen ist grundsätzlich leicht und ohne besonderen Aufwand technisch und organisatorisch realisierbar. Die DSGVO erlegt in Art. 12 Abs. 1 dem Datenverarbeiter die Obliegenheit auf, die Systeme entsprechend anzupassen, um die Auskunft zu ermöglichen.
155
Im Bereich der Festsetzungsdaten richtet sich der Anspruch auf Auskunft über die Einzelangaben, die das Finanzamt für Verarbeitungszwecke im Datenbanksystem gespeichert hat. Das sind neben den ohnehin in den Steuerbescheiden ausgewiesenen, aggregierten Berechnungsgrundlagen auch die unter „Eingabekennziffern“ gespeicherten Quell- oder Ausgangsdaten. Es genügt dem Transparenzgebot der DSGVO nicht, dass der Betroffene nur aus diesen Daten errechnete und aggregierte Daten - wie im Steuerbescheid ausgewiesen - erhält. Dem Betroffenen sind daher für alle noch nicht formell bestandskräftigen oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder Vorläufigkeitsvermerk stehenden Steuerbescheide Kopien auch der Eingabedaten bzw. -Kennziffern zu überlassen.
156
Der Anspruch richtet sich grundsätzlich auf Auskunft über sämtliche Datenfelder die im Fall des Betroffenen konkret Einträge enthalten - und zwar auf den semantischen Bezeichner des Datenfeldes und den Inhalt des Datenfeldes selbst. Soweit Felder mit Blick auf die Beschränkungen (insbesondere etwa § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 32a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AO) aus der Auskunft ausgespart werden, ist dies kenntlich zu machen und über die Tatsache des Vorhandenseins weiterer Felder, sowie den Beschränkungsgrund Auskunft zu erteilen.
157
Für jeden Datenfeldeintrag muss aus der Auskunft hervorgehen, ob das Datum bei der betroffenen Person erhoben wurde oder anderenfalls alle verfügbaren Informationen über die Herkunft des Datums (Art. 15 Abs. 1 g DSGVO).
158
Konkrete Datenübermittlungen an Dritte, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, sind in der Auskunft besonders anzuführen (Art. 15 Abs. 1 c DSGVO).
159
Ausgeschlossen von der Auskunft sind allerdings von vorneherein Angaben, die das Finanzamt zur Überprüfung der Wahrhaftigkeit der (ggf. künftigen) Angaben des Steuerpflichtigen benötigt bzw. hierzu bestimmt sind, wie Kontrollmaterial oder Verdachtsspuren. Hier muss regelmäßig das Interesse des Betroffenen an einer „prophylaktischen“ Kenntnis des Kenntnisstandes des Finanzamts hinter dem Ziel zurücktreten, das Steueraufkommen zu sichern. Verfassungsrechtlich unproblematisch ist dies, weil dem Betroffenen solche Angaben im Zeitpunkt der Verwendung zu Besteuerungszwecken zu offenbaren sind und er dann im „Hauptsacheverfahren“ die bereits angeführten ungleich effektiveren Rechtsschutzmöglichkeiten hat (siehe bereits oben und BVerfG, Beschluss vom 10.03.2008 - 1 BvR 2388/03 -, BStBl II 2009, 23). Gleiches gilt etwa für Vermerke zur Meldung zur Außenprüfung und zur Steuerfahndungsprüfung, sowie zur Prüfung bestimmter Sachverhalte in kommenden Veranlagungen und die Daten des „Risikomanagementsystems“.
160
Bei Daten, die bereits abgeschlossene Besteuerungszeiträume betreffen und lediglich aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen oder etwa bei Daten in Backupdateien tritt dann das Auskunftsinteresse des Betroffenen zurück, wenn diese Daten nicht mehr dem allgemeinen Zugriff der Finanzamtsmitarbeiter unterliegen, also etwa „verdichtet“ oder gesonderte Speicherbereichen außerhalb des allgemeinen Zugriffs verlagert wurden. Darüber hinaus hat aufgrund der starken verfahrensrechtlichen Stellung des Steuerpflichtigen dieser in aller Regel Kenntnis der Besteuerungsdaten vergangener Zeiträume, so dass in der Regel auch ohne besondere Verdichtung diese „Altdaten“ von der Auskunft ausgenommen sind.
161
Das Auskunftsinteresse des Betroffenen hinsichtlich Bearbeitungsvermerken, entscheidungsvorbereitenden Vermerken und Entwürfen, sowie den in Schreiben des Finanzamts enthaltenen Daten - auf diese Auskünfte kommt es dem Kläger besonders an - tritt im Streitfall hinter die Interessen des Finanzamts zurück. Diese Bearbeitungsvermerke unterliegen bereits - soweit sie handschriftlich auf Papierunterlagen aufgebracht sind - der unter (3.2.1) dargestellten Beurteilung des Steuerakteninhalts als unstrukturierte, ungehobene Daten. In aller Regel bereiten diese Bearbeitungsvermerke die Entscheidung des Finanzamts vor und dokumentieren diese. Damit kommt ihnen vielfach der Charakter einer „rechtlichen Analyse“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung zu. Das Bearbeitungsergebnis erhält der Steuerpflichtige im Wege des Steuerbescheides mit den hiergegen eröffneten effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten im Hauptsacheverfahren. Die mit der rechtlichen Analyse und internen Prozesssteuerungsanweisungen vermengten Daten stammen aus anderen Quellen - meist aus Erklärungen des Steuerpflichtigen selbst. Angesichts dessen steht der Aufwand, sämtliche dieser in den Papierakten enthaltenen Vermerke manuell herauszusuchen, die Daten von der rechtlichen Analyse und Prozesssteuerungsanweisungen zu trennen, in keinem Verhältnis zu den Interessen des Steuerpflichtigen, den Inhalt dieser Vermerke zu kennen.
162
Auch gegenläufige Datengeheimnis-Rechte der Bearbeiter sind in die Interessenabwägung einzustellen, ebenso, wie der für eine funktionsfähige Verwaltung erforderliche Freiraum bei der internen Meinungsbildung und Entscheidungsvorbereitung. Eine Verarbeitung zu anderen Zwecken ist durch das Steuergeheimnis und die darauf beruhenden hohen technischen und organisatorischen Maßnahmen der Steuerverwaltung ausgeschlossen.
163
Sobald aus diesen Notizen oder Angaben Folgerungen im Verwaltungshandeln gezogen werden, obliegt es dem zu einer Verwaltungsentscheidung Berufenen, die nunmehr relevanten Daten zu extrahieren (zu „heben“). Diese sodann in den Datenbanken bzw. Steuerberechnungsprogrammen erfassten, zur Verarbeitung bestimmten Daten unterliegen sodann der Auskunft etwa über die Eingabedaten zu den Steuerbescheiden. Da dies mit der Mitteilung an den Betroffenen im Rahmen der Begründung des Steuerbescheides oder der Gewährung eines tatsächlichen und rechtlichen Gehörs verbunden ist, kann der Betroffene seine Rechte nach Auffassung des erkennenden Senats in der Folge hinreichend wahren. Im Falle der behaupteten Verstöße gegen die ordnungsgemäße Aktenführung (Seite 2 der Klageschrift: Herausnehmen von Anträgen aus der Akte, inhaltlich „falsche“ Aktenvermerke, Nichtaufnahme von Beweismitteln) hat der Kläger etwa die Möglichkeit, gegen die unter den behaupteten - dann freilich zu substantiierenden - Verstößen getroffenen Entscheidungen vorzugehen. Die Entscheidung hierüber ist jedoch im jeweiligen „Hauptsacheverfahren“ über den jeweiligen Steuerbescheid zu treffen. Die Entscheidung darüber, welche Besteuerungssachverhalte dort zugrunde zu legen sind, kann nicht im Rahmen der datenschutzrechtlichen Prüfung vorweggenommen werden.
164
f. Anwendung der Rechtsgrundsätze auf den Streitfall
165
Nach Maßgabe der vorstehenden Rechtsgrundsätze steht dem Kläger aus der DSGVO kein Anspruch auf Akteneinsicht zu (1). Den ihm zustehenden Auskunftsanspruch hat das Finanzamt durch Überlassung von Kopien der Daten vorgerichtlich und ergänzend in der mündlichen Verhandlung erfüllt (2).
166
(1) Die Klage hat im inhaltlich umfangreichsten Begehr keinen Erfolg, soweit der Kläger letztlich Akteneinsicht (in Form der Überlassung einer Kopie) oder eine inhaltliche Mitteilung sämtlicher auch im unstrukturierten Schriftwechsel der Akte enthaltenen Einzelangaben begehrt.
167
Wie bereits unter Tz. (4.e.2) ausgeführt gewährt Art. 15 DSGVO kein Akteneinsichtsrecht, sondern lediglich ein Recht aus Auskunft. Die Akteneinsicht kann auch nicht dadurch faktisch erzwungen werden, dass der Kläger Auskunft über eine Vielzahl von Einzelangaben bzw. „alle“ begehrt, die sich auf Schriftstücken in der Akte befinden sollen oder können, und die erst manuell herausgesucht werden müssten.
168
Soweit § 32c Abs. 3 AO auch Auskunft über einzelne Daten innerhalb der Akte ermöglicht, liegen dessen Voraussetzungen nicht vor. Die Vorschrift dient dazu, unter Abwägung des Informationsinteresses des Betroffenen gegen den Aufwand des Heraussuchens Auskunft auch über näher anzugebende Daten in den Akten zu gewähren. Ein derartig konkretisiertes Verlangen ist im Streitfall nicht gegeben, vielmehr verlangt der Kläger vollständige Akteneinsicht, um nach seiner Auffassung bestehende Defizite der Aktenführung zu erforschen. Damit verkennt er den Charakter des datenschutzrechtlichen Auskunftsrechts. Es dient nicht dazu, dass sich der Auskunftsberechtigte zum Aktenrevisor der Verwaltung aufschwingt. Es genügt zur Verschiebung der Gewichte in der Interessenabwägung nicht, dass der Kläger - letztlich unsubstantiiert - die gesamte Aktenführung des Finanzamts angreift.
169
Eine weitere Präzisierung seines Anliegens hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch nach Nachfrage des Gerichts nur insoweit vorgenommen, als er eine Übersicht über die historischen Veränderungen von Bescheid zu Bescheid und das Zustandekommen der Schätzungen genannt hat. Die erstgenannte Übersicht müsste vom Finanzamt erst erstellt werden, ist also nichts, über das einfach so Auskunft erteilt werden könnte. Dem Auskunftsanspruch unterfallen aber nur vorhandene Einzelangaben. Der Verantwortliche ist nicht etwa zur manuellen Erstellung von aufwendigen Übersichten verpflichtet. Die Schätzungen beruhen auf den Angaben des Klägers bzw. seiner Ehefrau und sind in den Begründungen der Bescheide erläutert. Angesichts der massiven Verletzung der Erklärungspflichten durch den Kläger (keine Steuererklärungen seit Jahren) muss sein Interesse an einer anlassfreien datenschutzrechtlichen Auskunft hinter dem Interesse des Finanzamts an der Vermeidung erheblichen Aufwands für zusätzliche - wiederum erst neu zu erstellende Aufstellungen bzw. Erläuterungen - zurücktreten. Dies jedenfalls solange, als dieser die Möglichkeit zur Richtigstellung durch Erklärungsabgabe im Besteuerungsverfahren nicht nutzt.
170
Soweit der Kläger den Vorwurf falscher Verdächtigungen, Aktenfälschungen und Unterschlagungen erhebt, sowie Verstöße gegen Vorschriften über die Aktenführung behauptet, kann dies dem Antrag des Klägers im Auskunftsverfahren nicht zum Erfolg verhelfen. Es ist nicht ersichtlich, was diese Vorwürfe mit einem Antrag auf datenschutzrechtliche Auskunft zu tun haben sollen. Auch hat nach den Angaben des Klägers die Staatsanwaltschaft diese Vorwürfe bereits untersucht, nur eben nicht mit dem vom Kläger gewünschten Ergebnis. Auch dienstrechtlich wurden die Sachverhalte nach Angabe des Klägers im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde untersucht. Es ist nicht ersichtlich, auf welcher rechtlichen Grundlage nun im Rahmen des Auskunftsanspruchs diese Vorwürfe erneut zu prüfen wären. Denn die behaupteten Verstöße gegen Vorschriften zur Aktenführung berührten zunächst nur objektives Verwaltungsrecht. Subjektive Ansprüche der Bürger gewähren die Vorschriften über die Aktenführung dem Grunde nach nicht. Allenfalls könnten sich Reflexe im konkreten Besteuerungsverfahren ergeben, wie etwa die vom Kläger angesprochene Beweislastumkehr im Falle fehlender Beweiseignung der Akte. Die konkreten Besteuerungsverfahren sind aber nicht Gegenstand der hiesigen Auskunftsklage.
171
Soweit der Kläger aus Art. 41 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta (EU-GrCH) in Verbindung mit Art. 15 DSGVO ein von konkreten Verwaltungsvorgängen unabhängiges, allgemeines Akteneinsichtsrecht ableiten möchte, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg. Nach Art. 51 EU-GrCH gilt diese Vorschrift nur für die Durchführung des Rechts der Union, nicht aber des Rechts des Mitgliedsstaates. Im Kontext des Streitfalles gewährleistet die Vorschrift daher allenfalls die Einsicht in die Akte über die Behandlung des Antrags auf datenschutzrechtliche Auskunft, also den Antrag selbst und dessen Ablehnung, sowie den hierzu ergangenen Schriftwechsel. Die Einsicht in diesen Vorgang ist jedoch ersichtlich nicht das Ziel der Klage.
172
Aus Art. 15 DSGVO selbst ist jedoch - wie bereits ausgeführt - kein Anspruch auf Einsicht in Verwaltungsdokumente abzuleiten.
173
Das bedeutet nicht, dass der Kläger rechtlos gestellt würde. Vielmehr steht es ihm frei, seine Vorwürfe gegen die Sachbehandlung des Finanzamts - insbesondere die Aktenführung - im Rahmen der Rechtsbehelfe gegen die Steuerfestsetzungen überprüfen zu lassen, soweit sie sich dort zu seinem Nachteil auswirken sollten. Dies ist ausweislich seines Vortrags auch bereits erfolgt bzw. im Gange. Auch stehen ihm nach Maßgabe der Verfahrensordnungen etwa das Recht nach § 364 AO und vor allem spätestens im Klageverfahren gegen den jeweiligen Steuerbescheid ein Akteneinsichtsrecht in die den konkreten Streitfall betreffenden Akten zu.
174
(2) Der Anspruch des Klägers auf Auskunft wurde vom Finanzamt unter Beachtung der Beschränkungen des Art. 15 DSGVO und der §§ 32a ff. AO mit der Auskunft durch Übergabe der weiteren Kopien von Daten in der mündlichen Verhandlung erfüllt und ist damit erloschen.
175
(2.1) Der Kläger hat vorgerichtlich bereits eine Kopie der Grunddaten durch Übersendung der „Grunddaten-Übersicht“ und eine „eDaten-Übersicht“ erhalten. Hierzu hat das Finanzamt unwidersprochen vorgetragen, dass ihm - wie im Übrigen offenbar jedem Bürger - die Einsichtnahme in die eDaten selbst, also die dem Finanzamt etwa von Krankenversicherungen tatsächlich übermittelten Daten im Portal Elster offensteht. Diese Bestimmung der Form der Einsichtnahme durch Einräumung des Online-Zugriffs genügt den Anforderungen des § 32d Abs. 1 AO. Das Recht auf Kopie der Daten in Art. 15 Abs. 3 DSGVO erfordert nach Auffassung des erkennenden Senats nicht, dass die Kopie in Papier verkörpert ist. Es genügt auch, wenn der Betroffene sich aufgrund des eingeräumten Online-Zugriffs selbst eine Kopie zu erzeugen vermag.
176
Die „Eingangsüberwachung Einzelfall“ hat das Finanzamt im Laufe des Klageverfahrens vorgelegt, ebenso die „Auskunft über elektronische Erklärungen im Veranlagungsbereich“.
177
Die Auskunft aus dem Bereich „Bp-Informationen“ hat das Finanzamt im Laufe des Klageverfahrens dahingehend erteilt, dass der Betrieb des Klägers als „Kleinstbetrieb“ gespeichert sei. Dass es die Auskunft über weitere Datenfelder dieses Bereichs verweigert, ist mit Blick auf die Begrenzung des Auskunftsanspruchs durch § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 32a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AO gerechtfertigt, da diese Angaben typischerweise für künftige Prüfungszwecke gespeichert werden und deren Kenntnis die betroffene Person oder Dritte in die Lage versetzen könnte, steuerlich bedeutsame Sachverhalte zu verschleiern(1.a), steuerlich bedeutsame Spuren zu verwischen (1.b) oder Art und Umfang der Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten auf den Kenntnisstand der Finanzbehörden einzustellen (1.c), oder Rückschlüsse auf die Ausgestaltung automationsgestützter Risikomanagementsysteme oder geplante Kontroll- oder Prüfungsmaßnahmen zulassen (2.) und damit die Aufdeckung steuerlich bedeutsamer Sachverhalte wesentlich erschwert würde. Insoweit ist also ein gewisser Informationsvorsprung für das Finanzamt durch den Zweck der Sicherstellung zutreffender Besteuerung gesetzlich zugelassen. Dasselbe gilt für das Datenblatt zum „Risikomanagementsystem“.
178
Hinsichtlich des Datenfeldes „Auskunft Arbeitgeberkarte“ hat das Finanzamt im Laufe des Klageverfahrens Auskunft dahingehend erteilt, dass das Arbeitgebersignal seit 01.07.2010 gelöscht sei.
179
Eine „Festsetzungsauskunft“ „Bescheidauskunft“) ab 2009 hat das Finanzamt in der mündlichen Verhandlung vorgelegt, ebenso eine aktuelle „Erhebungsübersicht“ („Rückständeauskunft in Klartextform“), sowie Übersichten über die Inhalte der „Datenbank Rechtsbehelfe“.
180
Darüber hinaus hat der Kläger bereits vorgerichtlich Ausdrucke sämtlicher Steuerbescheide seit 2009 erhalten (vgl. Schreiben vom 05.11.2019). Der weitergehend bestehende Anspruch auf Kopie auch sämtlicher für die Steuerberechnung verwendeter Eingabedaten wurde durch die Übergabe der diesbezüglichen Kopien „Bescheiddatenauskunft“) in der mündlichen Verhandlung erfüllt. In zeitlicher Hinsicht ausreichend war die Auskunft über Steuerbescheide, die noch nicht formell bestandskräftig sind, die noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder einem Vorläufigkeitsvermerk stehen, sowie solche Bescheide, hinsichtlich derer der Betroffene beabsichtigte Rechtsmittel darlegt. Ebenfalls ist es mit Blick auf die beiderseitigen Interessen ausreichend, dass lediglich die Daten der jeweils letzten - aktuell der Besteuerung zugrunde liegenden - Änderungsbescheide mitgeteilt worden sind.
181
Mit diesen Auskünften in ihrer Gesamtheit hat das Finanzamt den Auskunftsanspruch des Klägers erfüllt, wobei im Streitfall dahinstehen kann, ob nach dem Vorstehenden jedes einzelne mitgeteilte Datum vom Auskunftsrecht des Klägers umfasst war. Die Auskünfte und auch die Erläuterungen des Finanzamts zur Struktur der Daten entsprachen jedenfalls nach den Ergänzungen in der mündlichen Verhandlung dem Transparenzgebot der DSGVO.
182
(2.2) Hinsichtlich der „festsetzungsnahen Daten“ hat das Finanzamt eine Feldübersicht vorgelegt und damit dem Transparenzgebot genügt. Soweit das Finanzamt die Vorlage einzelner Auskünfte aus diesem Bereich verweigert, ist dies mit Blick auf die Beschränkungen des Auskunftsrechts gerechtfertigt. In die entsprechende Interessenabwägung war ergänzend zu Lasten des Klägers einzustellen, dass dieser seit Jahren keine Steuererklärungen abgegeben hat und daher in besonderem Maße die Gefahr besteht, dass er sein Erklärungsverhalten am Kenntnisstand des Finanzamts ausrichtet.
183
Soweit der Kläger in seinem Auskunftsantrag das Ziel verfolgt, „Unstimmigkeiten in der Finanzkassenführung“ aufzudecken, so steht ihm hierfür die Beantragung eines Abrechnungsbescheides zur Verfügung. Insoweit ist der Kläger im Übrigen nicht beschwert, denn wie das Finanzamt unwidersprochen vorgetragen hat, hat die Finanzkasse auf den entsprechenden Antrag des Klägers nachgefragt und einen Kontoauszug ab 2009 an den Kläger versandt.
184
Nachdem der Kläger auf die Kontaktversuche der Finanzkasse nicht weiter reagiert hatte, durfte diese davon ausgehen, dass das Auskunftsinteresse des Klägers damit erfüllt worden ist. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger insoweit auch keine Defizite mehr beklagt.
185
Soweit der Kläger in seinem letzten Schriftsatz Auskunft über Akten und Daten der Straf- und Bußgeldstelle begehrt, geht der Antrag ins Leere, da das beklagte Finanzamt keine solche Stelle besitzt. Er hat diesen Antrag in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr explizit aufrechterhalten.
186
Soweit das Finanzamt hinsichtlich der Angaben nach Art. 15 Abs. 1 g und c DSGVO keine konkreten Angaben gemacht hat, erachtet das Gericht die abstrakten Angaben im Informationsschreiben der Finanzverwaltung mit dem Titel „Allgemeine Informationen zur Umsetzung der Datenschutzrechtlichen Vorgaben der Art. 12 bis 14 DSGVO in der Steuerverwaltung“ in der Fassung vom 20.10.2020, das dem Kläger überlassen wurde und auf dem Internet-Auftritt des Finanzamts veröffentlicht ist, als ausreichend. Informationen über die Datenherkunft werden in den Datenbanken ausweislich der vorgelegten Ausdrucke nicht systematisch vermerkt, so dass eine konkrete Auskunft hierüber im Einzelfall nicht möglich ist. In diesem Fall muss die abstrakte Auskunft im Informationsschreiben genügen. Offenlegungen an Dritte sind nicht ersichtlich.
187
5. Das Finanzgericht brauchte die entscheidungserheblichen Rechtsfragen nicht dem EuGH vorzulegen (Gräber, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., FGO § 115, Rn. 84). Erstinstanzliche Gerichte sind unionsrechtlich nicht zur Vorlage verpflichtet (BFH, Beschluss vom 14.01.2014 - III B 89/13 -, BFH/NV 2014, 521).
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 137 Sätze 1 und 2, 135 Abs. 1 FGO. Da das Finanzamt einen gebotenen Teil der Auskunft erst in der mündlichen Verhandlung erteilt hat, trägt es insoweit die Kosten. Den auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Anteil schätzt das Gericht mit 10%.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
190
7. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen, da der Frage nach dem Umfang des Auskunftsrechts im Bereich der Steuerverwaltung nach der Einführung der DSGVO im Jahr 2018 grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist. Darüber hinaus erscheint angesichts der oben zitierten widerstreitenden Entscheidungen der Finanzgerichte zum Anwendungsbereich der DSGVO im Bereich der direkten Steuern die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.