Titel:
zum Erfordernis einer gesplitteten Abwassergebühr
Normenketten:
BayKAG Art. 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 4
kommunale GSEWS § 2 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Bei der Wahl des Gebührenmaßstabs hat die Gemeinde unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes, des Äquivalenzprinzips und des Grundsatzes des sachgerechten Vorteilsausgleichs einen weiten Ermessensspielraum; dabei muss sie sich nicht für den zweckmäßigsten, vernünftigsten, wahrscheinlichsten oder gerechtesten Maßstab entscheiden. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
2. Besteht keine homogene Siedlungsstruktur im Entsorgungsgebiet oder wird der Grundsatz der Typengerechtigkeit ansonsten verletzt und sieht die Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung für die Einleitung des Niederschlagswassers im Entsorgungsgebiet dennoch keine gesplittete Abwassergebühr vor, so ist dies nur dann unbedenklich, wenn die durch Gebühren zu deckenden Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung geringfügig, dh unter einem 12%-igen Anteil an den der Gebührenkalkulation zugrunde gelegten Gesamtkosten der Entwässerungseinrichtung (Erheblichkeitsgrenze) liegen. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Benutzungsgebühren für öff. Entwässerungseinrichtung, Frischwassermaßstab, Erforderlichkeit einer gesonderten Niederschlagswassergebühr (verneint), Erheblichkeitsgrenze von 12%, Abwassergebühren, Niederschlagswasserbeseitigung, Schmutzwasserbeseitigung, gesplittete Abwassergebühr, Mischwassersystem, kommunale Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (GSEWS)
Fundstelle:
BeckRS 2021, 41686
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen den Abwassergebührenbescheid für sein Wohngrundstück.
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Die Beklagte betreibt die Entwässerungsanlage als öffentliche Einrichtung gemäß ihrer Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung vom 12.12.2016, die zum 01.01.2017 in Kraft trat. Für die Benutzung ihrer Einrichtung erhebt sie Grund- und Einleitungsgebühren auf der Grundlage ihrer Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 27.06.2017 (GSEWS).
3
Mit Gebührenbescheid für Abwasser vom 11.01.2018 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger für dessen Anwesen …, K., für den Zeitraum vom 01.12.2016 bis 30.11.2017 Abwassergebühren in Höhe von 619,67 EUR fest.
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Mit Schreiben vom 18.01.2018 erhob der Bevollmächtigte des Klägers gegen den Gebührenbescheid Widerspruch. Mit Schreiben vom 09.04.2018 wurde zur Begründung vorgetragen, dass die Erhebung einer Abwassergebühr nach dem Frischwasserverbrauch nicht mehr zeitgemäß sei. Es müsse neben der Gebühr für das eingeleitete Schmutzwasser auch eine Gebühr für das Regenwasser erhoben werden.
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Die Beklagte half dem Widerspruch nicht ab und legte ihn dem Landratsamt K. zur Entscheidung vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2018 wies das Landratsamt …den Widerspruch ab. Es wies darauf hin, dass es von der Gültigkeit der städtischen Gebührensatzung auszugehen habe.
6
Mit Telefax vom 20.07.2018 erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth und beantragte zuletzt,
Der Gebührenbescheid der Stadtwerke … vom 11.01.2018 für das Anwesen … in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 21.06.2018 wird aufgehoben.
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Unter dem 31.07.2018 legte die Beklagte die Originalakte vor. Darin befindet sich eine Berechnung des (fiktiven) Kostenanteils der Niederschlagswasserbeseitigung an den Gesamtkosten der Entwässerungseinrichtung. Dieser Anteil betrage 11,02% und liege unter der Erheblichkeitsschwelle der obergerichtlichen Rechtsprechung.
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Mit Schriftsatz vom 08.11.2018 führte die Klägerseite zur Klagebegründung aus, dem Gebührenbescheid fehle eine Rechtsgrundlage, da die GSEWS im Hinblick auf Artikel 8 KAG nichtig sei. Die Anwendung des Frischwassermaßstabs durch die Beklagte sei rechtswidrig. Werde nach dem Frischwassermaßstab abgerechnet, müssten insbesondere Privathaushalte und solche, die ihr Niederschlagswasser ortsnah versickern ließen, auch für die Abwassereinleitung von Gewerbe- und Industriebetrieben aufkommen. Dem Äquivalenzprinzip sei nach der Rechtsprechung nur dann genüge getan, wenn der Anteil der Kosten für die Beseitigung des Niederschlagswassers 12% der Kosten für die gesamte Entwässerungsanlage nicht übersteige. Dafür sei der Träger der Entwässerungseinrichtung beweispflichtig. Die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen seien insgesamt zur Herleitung des behaupteten Ergebnisses nicht geeignet. Die Ermittlung des prozentualen Kostenanteils für die Oberflächenentwässerung privater Grundstücke auf der Basis der Kosten des Jahres 2016 sei nicht nachvollziehbar.
- Den Kosten der Schmutzwasserableitung sei die Abwasserabgabe hinzugerechnet worden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum diese Kosten alleine dem Schmutzwasser zugerechnet würden. 25% davon seien der Niederschlagswasserbeseitigung zuzurechnen.
- Die Beklagte habe von den Sach-, Personal- und Verwaltungskosten nur 12,7% der Niederschlagswasserableitung zugerechnet. Es sei nicht ersichtlich, wie sich dieser Wert rechtfertige.
- Soweit die Beklagte Straßenflächen von den Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung in Abzug bringe, sei nicht nachvollziehbar, woher sie den „unterstellten Anteil von 36% entnehme“.
- Die zugrunde gelegten kalkulatorischen Kosten habe die Beklagte nach dem „Aufteilungsschlüssel für die kalkulatorischen Kosten und die Betriebskosten“ verteilt. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte zu diesen Werten gekommen sei.
- Unklar sei, warum von den Kosten der Mischwasserkanäle nur 22% der Niederschlagswasserbeseitigung zuzurechnen sein sollten. Bei der Bildung fiktiver Kosten sei die Hälfte der Betriebskosten der Niederschlagswasserbeseitigung zuzurechnen und diese wiederum hälftig auf die Beseitigung des Niederschlagswassers von privaten Grundstücken und öffentlichen Straßen zu verteilen.
- Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb bei der Kläranlage die Kosten für die biologische Reinigung und Denitrifikation sowie Fällmittel im Verhältnis von 97% zu 3% aufgeteilt worden seien. Zwar diene die Kläranlage ausschließlich der Reinigung des anfallenden Schmutzwassers. Da aber ein Mischsystem betrieben werde, gelange in einem gewissen Umfang auch Niederschlagswasser in die Kläranlage.
- Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte zu Gesamtkosten von 375.693 EUR für die mechanische Klärung und Nachklärbecken komme. Die Gesamtkosten für „biologische Reinigung und Denitrifikation sowie Fällmittel“ dürften anhand der Abschreibungen für die Anschaffungs- und Herstellungskosten der biologischen Reinigung und der Schlammbehandlung/Beseitigung sowie aus den Zinsen für die Jahre 2015 und 2016 zu bilden sein und nicht mehr als 1.160.294 EUR betragen.
- Der in der „Zusammenstellung des Anlagevermögens“ angegebene kalkulatorische Zins von 5,5% sei nicht nachvollziehbar. Der dort eingesetzte Wert ergebe nur einen Zinssatz von ungefähr 3,7%.
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Eigene Berechnungen des Klägers ergäben einen Anteil der Kosten für die Niederschlagswasserbeseitigung von rund 18%. Anhand der „Aufteilung der kalkulatorischen Kosten für Schmutz- und Niederschlagswasser im Jahr 2016“ gelange der Kläger zu kalkulatorischen Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung in Höhe von 862.858 EUR.
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Dieser Summe seien die Sach-, Personal- und Verwaltungskosten hinzuzurechnen. Mangels anderer Anhaltspunkte müssten die Kosten der Kanäle und Sonderbauwerke zumindest zu einem Viertel auf die Niederschlagswasserbeseitigung umzulegen sein. Die Kosten der Sonderbauwerke, insbesondere der Regenüberlaufbecken, entstünden nur dadurch, dass die Beklagte ein Mischsystem betreibe. Bei den Betriebskosten der Kläranlage seien dem Niederschlagswasser 8% zugewiesen worden. Nehme man davon die Hälfte, weil die andere Hälfte für die Straßenentwässerung verbleibe, würden also 4% der Betriebskosten der Kläranlage der Niederschlagswasserbeseitigung zuzurechnen sein.
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Die Stadt … sei seit alters her ein Industriestandort für eine Vielzahl überregional bedeutender Betriebe. Deshalb fänden sich eine Vielzahl gewerblich genutzter Flächen mit entsprechend großflächiger Oberflächenversiegelung. Unter diesem Gesichtspunkt erscheine es fernliegend, dass der Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung 12% nicht überschreiten solle. Die Stadt verfüge auch nicht über eine homogene Siedlungsstruktur.
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Mit Schriftsatz vom 30.01.2019 hat die Beklagte beantragt,
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Zur Erwiderung wird ausgeführt, dass aufgrund der Klagebegründung eine erneute Kalkulation auf der Grundlage der für das Jahr 2016 gebuchten Kosten und maßgeblichen Fakten erstellt worden sei (Anlagen 1 bis 10). In dieser Berechnung seien einige Ansätze und Ermittlungswege gegenüber der früheren Kalkulation noch genauer berechnet und untersucht worden. Nach dieser neuen Berechnung betrage der Anteil der dem Niederschlagswasser zuzuordnenden Kosten nunmehr 9,51% und bleibe damit deutlich unter der Erheblichkeitsschwelle von 12%. Im Jahr 2016 seien Niederschlagswassermengen von rund 3.500.000 m³ und Schmutzwassermengen von rund 6.900.000 m³ der Entwässerungseinrichtung zugeleitet worden. Aus dem Verhältnis dieser Mengen zueinander könne nicht gefolgert werden, dass ein entsprechend hoher Niederschlagswasserkostenanteil zugrunde liege. Das Abwassersystem habe den Zweck, die Abwässer zu sammeln und die Schmutzfracht der Kläranlage zum dortigen Abbau der groben Verunreinigungen, der Kohlenstoffimmission, der Phosphatfällung und der Denitrifikation zuzuführen. Dabei entstünden seit Jahren steigende Kosten für die Schlammbehandlung und -beseitigung. Das Niederschlagswasser sei nicht so behandlungsbedürftig und dessen Sammlung und Reinigung nicht annähernd so kostenintensiv. Die Einleitungsverhältnisse der Stadt fielen weit aus dem Rahmen für bayerische Kommunen ähnlicher Einwohnerzahlen. Die Einleitung der Abwässer von Brauereien und weiterer großer abwasser- und schmutzfrachtintensiver Industriebetriebe mache eine zweifach höhere Betriebsgröße erforderlich. Aus diesem Grund sei der Kostenanteil für die Behandlung des Schmutzwassers der Beklagten höher als in Städten mit ähnlicher Einwohnerzahl aber geringerer Industrialisierung. Die Entwässerungseinrichtung der Stadt bestehe weit überwiegend aus einem Mischwasserkanalsystem. Die für die Ableitung und Behandlung der Niederschlagswasser entstehenden Kosten könnten daher nicht gesondert erfasst und auf getrennten Kostenstellen gebucht werden. Zur sachgerechten Kostenaufteilung müssten Hilfsmaßstäbe und Erfahrungswerte herangezogen werden. Die nicht konkret messbaren Kostenanteile müssten plausibel ermittelt und notfalls auch geschätzt werden. Dem Einrichtungsträger stehe insoweit ein Ermessensspielraum zu. Ausgehend von den Betriebsergebnissen des Jahres 2016 seien in Zusammenarbeit mit dem technischen Personal, externen Beratern und zwei auf die Abwasserentsorgung spezialisierten Ingenieurbüros die auf die gebührenrelevanten Bereiche Schmutzwasserbeseitigung und Niederschlagswasserbeseitigung entfallenden Kosten ermittelt und aufgeteilt worden. Wo eine unmittelbare Kostenaufteilung nicht möglich gewesen sei, seien die Kosten über Kostenverteilungsschlüssel auf die Kostenträger Schmutz- und Niederschlagswasser verteilt worden. Von den Kosten für die Grundstücksentwässerung seien die Kosten auszuklammern, die auf die Beseitigung von Niederschlagswasser der öffentlichen Straßen entfielen. Zu den nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten gehörten die Betriebskosten im engeren Sinn (Personal- und Sachkosten), die Kosten der Verwaltung und der Unterhaltung der Anlagen sowie angemessene Abschreibungen und kalkulatorische Zinsen für das Anlagekapital.
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Die kalkulatorischen Abschreibungen seien nach der linearen Methode auf der Basis der Herstellung von Anschaffungskosten ermittelt worden. Die Stadt erhebe keine Herstellungsbeiträge. Die erhaltenen Staatszuschüsse seien mit dem gleichen Abschreibungssatz aufgelöst worden. Zu den ansatzfähigen Kosten gehöre auch eine angemessene Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals. Die kalkulatorischen Zinsen seien nach der sogenannten Halbwertsmethode aus den vollen Anschaffungswerten unter Anwendung des halben Zinssatzes ermittelt worden. In der Gebührenkalkulation für 2016 sei der zutreffende kalkulatorische Zinssatz von 3,5% zugrunde gelegt worden. Zuvor sei versehentlich ein Zinssatz von 5,5% genannt gewesen, habe aber keine Auswirkungen auf die Kostenvergleichsverhältnisse gehabt.
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Es ergäben sich kalkulatorische Kosten insgesamt in Höhe von 3.909.387 EUR. Davon seien durch Auflösung der staatlichen Zuwendungen 576.108 EUR abzuziehen.
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Bei der Aufteilung der Kosten auf die Schmutzwasser- und die Niederschlagswasserbeseitigung sei grundsätzlich zwischen den Kosten für die Investitionen (kalkulatorische Kosten) und den Betriebskosten zu unterscheiden.
Investitionen und kalkulatorische Kosten des Kanalsystems:
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Die kalkulatorischen Kosten für die Mischwasserkanäle würden von den erforderlichen Rohrdurchmessern und der Tiefenlage der Kanäle bestimmt. Aus wasserwirtschaftlichen Gründen und zur Größenbegrenzung würden im Mischwasserkanalsystem auch die notwendigen Regenwasserbehandlungsanlagen, zum Beispiel Regenüberlaufbecken, angeordnet. Die Mischwasserkanäle würden nach dem sich bei Regenwetter ergebenden Spitzenabfluss und dem zur Verfügung stehenden Gefälle bemessen. Die Kosten einer sowohl der Straßenentwässerung als auch der Grundstücksentwässerung dienenden Mischkanalisation seien in der Weise aufzuteilen, dass die Investitionskosten für fiktive Schmutz- und Niederschlagswasserkanalisationen einander gegenübergestellt werden. Nach der Berechnung der Beklagten errechne sich ein Schmutzwasseranteil von 60% und ein Niederschlagswasseranteil von 40%. Diese Grundlagen seien vom Ingenieurbüro …, …, ermittelt worden.
Investitionen und kalkulatorische Kosten der Kläranlage:
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Nach den Erfahrungen der Beklagten und der Bestätigung des eingeschalteten Ingenieurbüros …, …, seien die Investitionen im Bereich der Kläranlage weitestgehend schmutzfrachtorientiert. Den Schätzungen und Zuordnungen des Ingenieurbüros sei die Beklagte gefolgt. Zu berücksichtigen sei, dass die Kläranlage einen Fremdwasserzufluss von rund 30% zu verkraften habe. Dieser von Niederschlägen unabhängige Zulauf aus Grundwasser, undichten Grundstücksentwässerungsanlagen sei nicht dem Niederschlagswasser gleichzusetzen.
Betriebskosten der Mischwasser- und Trennkanalsysteme:
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Die Beklagte erfasse die Kosten für Betrieb und Unterhalt des Kanalnetzes nicht nach einzelnen Streckenbereichen, sondern für das gesamte Netz. In entsprechender Anwendung des Berechnungsmodells der VEDEWA seien für die Kostenaufteilung zunächst die Abwassermengenverhältnisse berechnet worden. Die Berechnungsgrundlagen seien vom Deutschen Wetterdienst und vom Ingenieurbüro … …, das die befestigten Straßen- und Grundstücksflächen ermittelt habe, übernommen worden. Gemäß der Veröffentlichung der VEDEWA sei das Volumenverhältnis der von der Kanalisation zu transportierenden jährlichen Schmutzwassermenge zu den jährlichen Niederschlagswassermengen mit einem Verhältnis von 50% zu 50% auszugehen. Dieses Verhältnis sei übernommen worden, soweit es um die Volumenverhältnisse an Regentagen gehe. An Tagen ohne Niederschläge seien grundsätzlich nur die gemessenen Schmutzwassermengen anzusetzen, da nur diese zu Kosten führten. Die relevanten Mengen seien ermittelt und gewichtet worden. Aus dieser reinen Mengenbetrachtung ergebe sich ein Verhältnis von rund 73% für Schmutzwasser und 27% für Niederschlagswasser. Dieses Verhältnis entspreche aber nicht dem Verhältnis der angefallenen Kosten. Viele Kosten des Kanalnetzes, z.B. Kosten für die Dichtigkeitsprüfungen, TV-Untersuchungen, Kanalspülungen und Reparaturarbeiten, die im Rahmen des Baustellenunterhalts durchgeführt würden, seien überwiegend der Schmutzwasserbeseitigung zuzuordnen. In den Bereichen der reinen Regenwasserkanäle könne konkret nachgewiesen werden, dass diese nicht annähernd die gleiche Belastung wie Schmutzwasserkanäle erfahren. In den vergangenen Jahren seien durchschnittlich 3 Mio. Euro pro Jahr allein für Kanalreparaturen bzw. -austausch erforderlich gewesen.
Betriebskosten der Kläranlage:
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Die Betriebskosten der Kläranlage seien naturgemäß zum größten Teil schmutzwasserbedingt. Um die Kostenanteile zu ermitteln, habe die Betriebsleitung detaillierte Aufzeichnungen in Abstimmung mit der Wasserwirtschaftsbehörde ermittelt. Im Jahr 2016 seien 96,18% dem Schmutzwasser und 3,82% dem Niederschlagswasser zuzuordnen.
Sonderfall Schlammbeseitigung:
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Im Klärschlamm seien nur noch Komponenten des Schmutzwassers enthalten, da vom Niederschlagswasser mitgeführte Schmutzfrachten bereits in der Vorklärung entfernt würden.
Sonderfall Verwaltungskosten:
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Die Verwaltungskosten für das Jahr 2016 in Höhe von rund 255.000 EUR seien überwiegend für Wasserzähler, Zählerablesung und Einhebung entstanden. Da keine Gebühr für Niederschlagswasser von befestigten Grundstücksflächen erhoben werde, entfielen insofern keine Kosten auf den Hebedienst. Dennoch seien Kosten der allgemeinen Verwaltung in Höhe von 15% dem Bereich Niederschlagswasser zugeteilt worden.
Berücksichtigung des Straßenentwässerungsanteils:
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Kalkulatorische Kosten der Straßenentwässerung: Die Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung seien auf die Grundstücks- und auf die Straßenentwässerung aufzuteilen. Seit der Übertragung der Abwassereinrichtung auf die Stadtwerke (01.01.1995) würden für die Straßenentwässerung anfallenden Anteile vom Haushalt der Stadt getragen. Der Investitionsanteil für das Mischwassersystem, der von einem Mischwasseranteil von 50% und einem Niederschlagswasseranteil von 50% (wovon der Straßenentwässerung wiederum die Hälfte des Niederschlagswasseranteils zugeordnet wurde) ausgehe, sei in Anlehnung an die zum Erschließungsbeitragsrecht ergangene Rechtsprechung festgelegt worden. Die von der Stadt erstatteten Straßenentwässerungsanteile beträfen nicht nur die in der Straßenbaulast der Stadt befindlichen Verkehrsflächen, sondern auch die des Bundes und des Landes.
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Betriebskosten der Straßenentwässerung: Das Ingenieurbüro … habe in umfangreichen digitalen Messungen und Berechnungen die befestigten Grundstücksflächen mit 880 ha und die befestigten Straßenflächen mit 200 ha ermittelt. Davon entwässern 295 ha bzw. 180 ha in die Kanalisation. Da das Verhältnis der relevanten Grundstücksflächen zu den öffentlichen Verkehrsflächen auch dem Kostenaufteilungsverhältnis entsprechen dürfte, seien die von den Betriebskosten abzusetzenden Straßenentwässerungsanteile mit einem Anteil von 38% abgesetzt worden. Das Ergebnis der neuen Kalkulation mit dem Anteil der dem Niederschlagswasser zuzuordnenden Kosten von 9,51% bleibe deutlich unter der Schwelle von 12%. Künftig werde der Kostenanteil für Schmutzwasserentsorgung noch erheblich ansteigen, da mit höheren Kosten der Klärschlammentsorgung und mit der Steigerung der kalkulatorischen Kosten aufgrund der Generalsanierung der Kläranlage zu rechnen sei.
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Mit Schriftsatz vom 29.04.2019 erwiderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf die Ausführungen der Beklagten und rügte insbesondere die Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflicht. Die Beklagte treffe die materielle Beweislast für die Unerweislichkeit der Unterschreitung der 12%-Grenze. Die Beklagte habe den alleinigen Zugriff auf die notwendigen Beweismittel. Die neue Kalkulation der Beklagten enthalte eine Vielzahl von Behauptungen, deren Wahrheitsgehalt der Kläger nicht sinnvoll überprüfen könne. Ohne Angabe einer Quelle oder eines Vergleichsmaßstabs behaupte die Beklagte, dass die Dimensionierung der Kläranlage mit anderen bayerischen Kläranlagen nicht vergleichbar sei. Die Beklagte habe die von den externen Beratern bzw. Ingenieurbüros erstellten Unterlagen und Informationen dem Gericht nicht vorgelegt. Damit könne nicht nachvollzogen werden, ob die genannten Ingenieurbüros wirklich für die Beklagte tätig waren, ob es die genannten Berechnungsgrundlagen ermittelt habe und ob die Beklagte lediglich die ermittelten Berechnungsgrundlagen in ihre eigenen Berechnungen eingestellt habe. Gleiches gelte für die erwähnte Berechnung bezüglich der befestigten Straßen und Grundstücksflächen. Bei den beigefügten Anlagen handle es sich um von der Beklagten selbst erstellte Tabellen. Ob die eingesetzten Werte zutreffend seien, könne durch den Kläger nicht nachvollzogen werden. Nach Ansicht der Klägerseite habe die Beklagte keinen Ermessensspielraum hinsichtlich der Aufteilung der Abwasserbeseitigungskosten. Die Einhaltung der 12%-Grenze müsse vollständig justiziabel sei. Die Beklagte müsse die möglichen Anstrengungen unternehmen, um ein realitätsgetreues Bild ihrer Kostenstruktur abzubilden. Sie müsse nicht nur ihren Rechenweg, sondern auch die Herkunft der eingestellten Zahlen offenlegen.
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Dem Kläger sei bekannt, dass verschiedene größere Industriebetriebe in … selbst Anlagen zur Schlammbeseitigung eingerichtet hätten, um der Starkverschmutzungsgebühr zu entgehen. Dadurch werde der Gebührenanteil für die Schmutzwasserbehandlung reduziert. Die Behauptung der Beklagten, in … werde das Zweifache an Abwasser eingeleitet, als in vergleichbaren Städten, sei nicht nachvollziehbar. Wenn die Beklagte über eine überdimensionierte Kläranlage verfüge, wovon wegen des hohen Fremdwasseranteils auszugehen sei, sei die Frage, wie die bewusste Überdimensionierung auf die Umlagefähigkeit der Kosten sich auswirke.
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Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte auch die Regenüberlaufbecken mit 60% dem Schmutzwasser zuordnen wolle. Die hierfür angefallenen Kosten seien alleine durch das Niederschlagswasser verursacht.
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Die Beklagte habe mitzuteilen, ob sie die Kosten der Behandlung der erheblichen Mengen Fremdwasser (rund 30%) den Schmutzwasserkosten oder den Niederschlagswasserkosten zugeordnet habe. Es sei zu differenzieren, ob dies aus undichten öffentlichen Kanalisationen oder undichten Haus- und Grundstücksanschlüssen stamme oder ob es sich um Grundwasser handle. Man werde wohl 50% des Fremdwassers dem Niederschlagswasser zuordnen müssen. Bei einem Fremdwasseranteil von 30% sei von einer unwirtschaftlichen Betriebsführung der Beklagten auszugehen.
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Für die Betriebskosten der Abwasserbeseitigungsanlage gehe das Berechnungsmodell der VEDEWA von einer Schätzung aus, welche auch in der Rechtsprechung Anerkennung gefunden habe. Die Beklagte könne diese Schätzung nicht dahingehend korrigieren, dass sie sich nur auf Regentage beziehen solle. Selbst wenn die Beklagte die Anzahl der Regenmengen und der Regentage zutreffend ermittelt habe, gehe es nicht an, das von der VEDEWA vorgestellte Schätzungsmodell um weitere der Beklagten günstige Schätzungen zu ergänzen. Entweder bediene sich die Beklagte des vorgenannten Modells oder sie müsse eigene Berechnungen anstellen und nachvollziehbar machen. Die Kosten der Kanalisation würden nicht davon abhängen, ob es regne oder nicht. Wenn der Kläger sein Abwasser im Mischsystem entsorge und dieses für den ersten Spülstoß entsprechend dimensionieren müsse, seien die Kosten durch das Niederschlagswasser verursacht, unabhängig davon, ob Niederschlagswasser täglich abgeleitet werden müsse oder nicht. Auch der Ansatz der Beklagten hinsichtlich der Betriebskosten der Kläranlage sei zu gering gewählt. Wenn die Beklagte ein Mischsystem betreibe, müssten auch die für die Kläranlage entstehenden Kosten dem Niederschlagswasser zugeordnet werden. Im Hinblick auf den hohen Fremdwassereintrag sei es nicht nachvollziehbar, warum die Kosten für Dichtigkeitsprüfungen, TV-Untersuchungen oder Kanalspülungen und Reparaturarbeiten der Schmutzwasserbeseitigung zuzuordnen sein sollen. Letztlich seien die Kosten derartiger Maßnahmen allenfalls pauschal der Verursachung durch die verschiedenen Arten der Abwasserbeseitigung zuzuordnen.
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Die für die Beklagte günstige Aufteilung der Verwaltungskosten sei nicht berechtigt. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum der Verwaltungsaufwand für Anlagen der Niederschlagswasserbeseitigung geringer sein solle, als für Anlagen der Schmutzwasserbeseitigung. Es müssten auch die Kosten des Hebedienstes dem Niederschlagswasser anteilig, also hälftig, zugeordnet werden.
31
Ein Teil der Abwasserabgabe entfalle auch auf Niederschlagswasser, das auch mit Stickstoff belastet sein könne.
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Wenn die Beklagte eigene Berechnungen angestellt habe, um die befestigten Flächen für die Kosten der Straßenentwässerung zu ermitteln, möge sie hierzu Unterlagen vorlegen. Die Beklagte könne nicht anerkannte typisierende Betrachtungen punktuell in ihrem Sinne modifizieren. Die Behauptung wonach die Betriebskosten der Kläranlage zum größten Teil schmutzwasserbedingt seien, sei nicht haltbar. Die Kosten der Kläranlage müssten mindestens mit 20% dem Niederschlagswasser zugeordnet werden. Eine Schlammbehandlung und eine Schmutzwasserbehandlung seien auch für das aus Straßenbereichen ablaufende Niederschlagswasser erforderlich.
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Mit Schriftsatz vom 11.07.2019 führte die Beklagte ergänzend aus, eine Vorlage aller in die Berechnung einbezogenen Unterlagen sei bisher nicht erfolgt, da es sich um eine Vielzahl von unterschiedlichsten Unterlagen handle, beispielsweise die Unterlagen zur kaufmännischen Buchführung mit allen Belegen und Verteilungsberechnungen, Kreditverträgen, Bauabrechnungen und Bescheiden sowie Ermittlungsgrundlagen jeglicher Art. Die Beklagte sei gerne bereit, bei entsprechender Anforderung die gewünschten Unterlagen der Klägerseite zur Verfügung zu stellen und zu erläutern. Vorgelegt werde eine Aufstellung des Bayerischen Landesamts für Statistik vom Mai 2015 zu den Abwasserbehandlungsanlagen in Bayern, aus der die unterschiedlichen Ausbaugrößen ersichtlich seien. Da ein Mischkanalsystem nicht aus zwei Kanalsystemen für Schmutz- bzw. Niederschlagswasser bestehe, könnten die Kosten nicht direkt für die Bereiche erfasst und zugeordnet werden, sondern müssten mit einem Schlüssel verteilt werden. Diese Auffassung werde auch vom Bayer. Kommunalen Prüfungsverband - BKPV - (Schreiben vom 09.07.2019) geteilt. Die Beklagte habe daher nach vollziehbaren Maßstäben, die allesamt von der Rechtsprechung anerkannt worden seien, die entsprechenden Kostenanteile ermittelt und bei der Berechnung berücksichtigt. Die beiden beteiligten Ingenieurbüros verfügten über eine ausgezeichnete Expertise für Abwasserentsorgungsanlagen. Beiden seien die Abwassersituation im Entsorgungsgebiet aber auch im überregionalen Bereich bekannt. Die Beklagte habe ihre Berechnung eigenständig nach einem Muster des BKPV erstellt.
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Da bei der Berechnung nur der Kostenanteil der Niederschlagswasserbeseitigung der definierten Grundstücke maßgeblich sei, genüge es nicht, nur die Niederschlagswassermenge zu erfassen. Vielmehr müssten die dem Kanalsystem aus Straßen und Grundstücken zugeleiteten Wassermengen wirklichkeitsnah ermittelt werden. Betriebskosten für Niederschlagswasser entstünden nicht, wenn es nicht regne. Der größte Teil des Regenwassers werde über Regenüberlaufbecken in die Vorfluter abgeschlagen, so dass selbst im Regenfall maximal 5% der durch das Kanalsystem geleiteten Menge Niederschlagswasser sein könne. Die Kosten, die der Überprüfung und Erhaltung der Dichtigkeit des Systems und damit dem Schutz von Umwelt und Trinkwasser dienten, würden weit mehr von den Anforderungen der Ableitung des Schmutzwassers beeinflusst als vom Niederschlagswasser. Laut Stellungnahme des BKPV habe der zuständige Senat des BayVGH bisher keine konkreten Festlegungen getroffen, wie die Kosten einer Entwässerungseinrichtung auf die einzelnen Bereiche Schmutzwasserentwässerung, Grundstücksoberflächenentwässerung und Straßenentwässerung zu verteilen seien. Er habe es bisher der Entscheidung des Anlagenbetreibers überlassen, wie eine solche Aufteilung, auch unter pauschalierenden Gesichtspunkten vorzunehmen sei. Demgemäß bleibe dem Einrichtungsträger bei der Aufteilung der Kosten ein relativ weiter Beurteilungsspielraum.
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Die Ausführungen des Klägers zu den Vorreinigungsanlagen einiger örtlicher Industriebetriebe seien nicht relevant. Die mit den Vorklärungsanlagen verbundenen Effekte seien in den aktuellen Werten bereits berücksichtigt. Die Dimensionierung einer Kläranlage erfolge zum weitaus größten Teil nach der zu behandelnden Schmutzfracht. Diese werde laufend gemessen und von den Wasseraufsichtsbehörden überwacht. Die Auslastung der Kläranlage zeige, dass diese notwendig sei. Die Regenüberlaufbecken seien untrennbarer Teil des Mischwasserkanalsystems. Die hierfür anfallenden Kosten müssten bei der Kostenaufteilung entsprechend behandelt werden. Die für das Fremdwasser entstehenden Kosten seien in den Gesamtkosten enthalten und würden nach den ermittelten Kostenanteilen auf die Schmutz- und Niederschlagswasser verteilt. Eine Differenzierung des Fremdwassers danach, ob dies aus undichten öffentlichen Kanalisationen oder undichten Haus- und Grundstücksanschlüssen oder aus Grundwasser stamme, sei nicht möglich.
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Nach Mitteilung des BKPV sei es bisher von der Rechtsprechung akzeptiert worden, wenn auf die Musterberechnung z.B. der VEDEWA zurückgegriffen werde, sofern die örtlichen Verhältnisse nicht erkennbar vom Muster abweichen. Wenn zumindest die Berechnungsweise des Musters beibehalten werde, könnten sachgerechte Ergebnisse durch Modifikation der Parameter erzielt werden, die nicht mit den örtlichen Gegebenheiten übereinstimmten. Die VEDEWA-Berechnung unterstelle eine täglich gleichmäßige Nutzung der Mischwasserkanäle. Dies treffe aber nur an Regentagen zu. In Zeiten ohne Niederschlag fließe kein Niederschlagswasser. Nachdem vom Wetteramt bestätigt worden sei, dass im mehrjährigen Durchschnitt an 169 Tagen keine Niederschläge verzeichnet würden, habe die Beklagte die tatsächlichen Nutzungsverhältnisse bei der Berechnung berücksichtigt. Bei dem pauschalen Ansatz der VEDEWA würde auch die erhebliche Zahl der Industrieunternehmen in … unberücksichtigt bleiben. Deshalb habe die Beklagte die tatsächliche Schmutzwassermenge in … berücksichtigt. Die Beklagte habe die tatsächlich versiegelten Flächen durch ein Ingenieurbüro ermitteln lassen und in der modifizierten Berechnung berücksichtigt. Somit sei es möglich gewesen, die vorliegenden Flächenanteile von Privatgrundstücken und öffentlichen Straßenflächen durch die genaueren Werte zu ersetzen. Durch die von den Inhaltsstoffen des Schmutzwassers ausgehenden Gefahren würden höhere Anforderungen an das Kanalsystem gestellt, als für das Niederschlagswasser. Dies gelte gerade für die industriegeprägten Abwässer in der Stadt. Das unterschiedliche Gefahrenpotential verursache auch unterschiedliche Kosten, was mit einem Zuschlag zum Schmutzwasser bei der verursachungsgerechten Ermittlung der Kostenanteile zu berücksichtigen gewesen sei. Bei den Betriebskosten der Kläranlage sei der durch das Niederschlagswasser verursachte Kostenanteil nahezu zu vernachlässigen.
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Der angesetzte Anteil von 15% der Verwaltungskosten für die Niederschlagswasserbeseitigung sei höher als der tatsächliche Kostenanteil. Der größte Teil der Verwaltungskosten seien die Kosten des sogenannten Hebedienstes, die dem Schmutzwasser zuzuordnen seien.
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Mit Schriftsatz vom 29.06.2020 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers ergänzend aus, es bedürfe der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dem Kläger sei es nicht möglich, im Detail zu den von der Beklagten vorgetragenen Kostenpositionen ohne Hinzuziehung eines Privatgutachters Stellung zu nehmen. Für die Zuordnung der Betriebskosten sei eine grobe Schätzung der Beklagten nicht ausreichend. Vielmehr sei durch eine eindeutige Ermittlung des Kostenaufwandes zu belegen, dass die 12%-Grenze unterschritten werde. Aus Sicht des Klägers seien die Kosten der Kläranlage zu 50% auf die Niederschlagswasserbeseitigung und zu weiteren 50% auf die Schmutzwasserbeseitigung zu verteilen. Dies gelte auch für die Unterhaltungskosten der Mischwasserkanäle.
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Am 14.10.2020 führte das Gericht einen Erörterungstermin durch. Auf das hierzu gefertigte Protokoll wird verwiesen. Der Beklagten wurde eine Neuberechnung aufgegeben, bei der die Betriebskosten für die Kanäle mit einer Aufteilung von 75% für Schmutzwasser und 25% für Niederschlagswasser anzusetzen und die erstatteten Abwasserabgaben herauszurechnen seien. Außerdem solle der Straßenentwässerungsanteil auf der Basis von 38% zu 62% sowohl bei den kalkulatorischen als auch bei den Betriebskosten zugrunde gelegt werden.
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Mit Schriftsatz vom 06.11.2020 legte die Beklagte die geforderte Berechnung sowie zwei Alternativberechnungen vor:
- Ermittlung des prozentualen Kostenanteils für die Oberflächenentwässerung privater Grundstücke 2016 - Festlegung im Erörterungstermin am 14.10.2020
- 1. Alternativberechnung mit Ansatz des tatsächlich geleisteten Straßenentwässerungsanteils 2016
- 2. Alternativberechnung des fiktiven Straßenentwässerungsanteils bei Verwendung des angepassten Kostenanteils für die kalkulatorischen Kosten (50%).
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Den Berechnungen waren folgende Unterlagen beigefügt:
- Zusammenstellung des Anlagevermögens und Berechnung der kalkulatorischen Kosten (Abschreibungen und Zinsen) der Abwasserentsorgung (Anlage 1)
- Zusammenstellung der erhaltenen Zuschüsse und Ermittlung der Auflösungsbeträge aus Beiträgen und Zuwendungen (Anlage 2)
- Zusammenstellung der Aufteilungsschlüssel für die kalkulatorischen Kosten und die Betriebskosten sowie Angabe der Grundlagen (Anlage 3; identisch mit Anlage 7)
- Ermittlung des Aufteilungsschlüssels für die kalkulatorischen Kosten des Mischkanalsystems (MW-Kanäle und Sonderbauwerke) auf Schmutzwasser und Niederschlagswasser (Anlage 4)
- Aufteilung der kalkulatorischen Kosten auf Schmutz- und Niederschlagswasser (Anlage 5)
- Zusammenstellung der Betriebskosten (ohne Abwasserabgabe) (Anlage 6)
- Aufteilung der Betriebskosten der Kläranlage auf Schmutz- und Niederschlagswasser (Anlage 8)
- Ermittlung der Aufteilungsschlüssel für die Betriebskosten der Kanäle auf Schmutz- und Niederschlagswasser (Anlage 9)
- Berechnung der gebührenrechtlich relevanten Zuordnung der Unterhaltskosten des Kanalsystems (Anlage 10)
- Aufteilung der anteiligen Kosten für die Straßenentwässerung auf Schmutz- und Niederschlagswasser (Anlage 11).
42
Für die kalkulatorischen Kosten und die Betriebskosten der Abwasserbeseitigungseinrichtung legte die Beklagte folgende prozentuale Aufteilung zwischen Schmutzwasser- und Niederschlagswasserbeseitigung zugrunde (Anlage 3):
Schmutzwasser Niederschlagswasser
Kalkulatorische Kosten: Grundstücke + Straßen
Biolog. Reinigung und Denitrifizierung 98% 2%
Schlammbehandlung/-beseitigung 100%
Mechan. Klärung und Nachklärbecken 79% 21%
Kanalsystem Mischwassersystem 60% 40%
Kläranlage (ohne Abwasserabgabe) 96,18% 3,82%
Abwasserabgabe (Schmutzwasser) 100% Abwasserabgabe (Niederschlagswasser) 100%
Verwaltungskosten 85% 15%
43
Die Beklagte trägt ergänzend vor, nach den Vorgaben des Gerichts würde sich ein Kostenanteil der Grundstücksentwässerung von 12,91% ergeben. Dagegen sei aber einzuwenden, dass damit der von der Stadt … für 2016 für die Straßenentwässerung erstattete Kostenanteil nicht in der tatsächlichen Höhe berücksichtigt würde. Dies wäre aber erforderlich, weil in dieser Höhe die Gebührenzahler entlastet worden seien. Es sei daher eine 1. Alternativberechnung vorgenommen worden unter Ansatz des tatsächlich geleisteten Straßenentwässerungsanteils. Der Kostenanteil der Oberflächenentwässerung der privaten Grundstücke an den Gesamtkosten betrage dann 10,89%. Außerdem sei eine 2. Alternativberechnung des fiktiven Straßenentwässerungsanteils unter Verwendung des Kostenanteils für die kalkulatorischen Kosten von 50% gefertigt worden. Danach ergebe sich ein Kostenanteil der Oberflächenentwässerung der privaten Grundstücke an den Gesamtkosten von 11,48%.
44
Es genüge nicht, wenn der Klägerbevollmächtigte die Überprüfung der ausgewiesenen Ergebnisse durch einen Gutachter fordere, weil er die Berechnung für kompliziert und schwer zu durchschauen halte. Alle notwendigen Unterlagen könnten bei der Beklagten jederzeit eingesehen werden. Zur Beantwortung von Fragen sei man gerne bereit. Auch ein Gutachter müsste bei der Beurteilung der Verhältnisse vor Ort auf die Zuarbeit der Planer und Mitarbeiter zurückgreifen.
45
Das Gericht hat die Klägerseite mit Schreiben vom 18.11.2020 darauf hingewiesen, dass die Neuberechnung mit einem Kostenanteil von 12,91% (Bl. 258 Gerichtsakte) nicht zur Grundlage einer Entscheidung gemacht werden könne, da der tatsächlich von der Stadt … für die Straßenentwässerung erstattete Betrag anzusetzen sei, weil er die Gebührenzahler entsprechend entlastet habe. Maßgeblich sei daher die 1. Alternativberechnung, die den tatsächlich geleisteten Straßenentwässerungsanteil berücksichtige (Bl. 280 Gerichtsakte). Es obliege dem Kläger, die aktuellen Berechnungen mit substantiierten Rügen anzugreifen und darzulegen, an welcher Stelle die Beklagte ihren Kalkulationsspielraum überschritten habe. Nur dann könnten konkrete Beweisfragen an einen Gutachter gestellt werden.
46
Mit Schriftsatz vom 23.12.2020 wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf die Amtsermittlungspflicht des Gerichts hin. Der Kläger sei seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen und habe mehrfach zur Fehlerhaftigkeit der Gebührenkalkulation vorgetragen. Es könne nicht zulasten des Klägers gehen, dass er mangels Sachkunde nicht im Detail zur Unrichtigkeit jeder einzelnen Position der Kalkulation vortragen könne. Sollte das Gericht kein Gutachten einholen, würde dies einen Verfahrensfehler darstellen.
47
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
48
1. Die Klage ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Der Gebührenbescheid der Beklagten vom 11.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 21.06.2018, mit dem gegenüber dem Kläger für den Abrechnungszeitraum 01.12.2016 bis 30.11.2017 Abwassergebühren in Höhe von 619,67 EUR festgesetzt wurden, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
49
Soweit der Kläger letztlich die Einführung einer gesonderten Niederschlagswassergebühr anstrebt, hat er darauf keinen Anspruch.
50
1.1 Der Bescheid der Beklagten ist formell rechtmäßig, da die Stadtwerke als Eigenbetrieb der Stadt … gemäß Art. 88 Abs. 1 GO eine eigene Behörde darstellen, der gemäß § 2 Abs. 5 der Betriebssatzung vom 09.12.2010 in der ab 01.01.2016 geltenden Fassung der Erlass von kommunalabgabenrechtlichen Bescheiden übertragen wurde.
51
1.2 Der Gebührenbescheid ist auch in materieller Hinsicht rechtmäßig.
52
1.2.1 Nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben. Zu diesen Einrichtungen gehören auch öffentlich betriebene Entwässerungsanlagen. Von dieser Ermächtigung hat die Stadt … durch den Erlass ihrer Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 27.06.2017 (GSEWS) Gebrauch gemacht.
53
Gegen das wirksame Zustandekommen der Satzung wurden keine Einwände erhoben. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht hält die Gebührensatzung einer gerichtlichen Überprüfung stand. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf ihre Regelungen zum Gebührenmaßstab und zur Gebührenhöhe in §§ 1 a und 2 GSEWS.
54
1.2.2 Nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KAG soll das Gebührenaufkommen die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten einschließlich der Kosten für die Ermittlung und Anforderung von einrichtungsbezogenen Abgaben decken. Gemäß Art. 8 Abs. 4 KAG sind die Gebühren nach dem Ausmaß zu bemessen, in dem die Gebührenschuldner die öffentliche Einrichtung benutzen; sonstige Merkmale können zusätzlich berücksichtigt werden, wenn öffentliche Belange dies rechtfertigen.
55
Um diesen Vorgaben Rechnung zu tragen hat die Beklagte in § 2 Abs. 1 Satz 1 GSEWS bestimmt, dass sich die Einleitungsgebühr nach der Menge der Abwässer berechnet, die der Entwässerungseinrichtung von den angeschlossenen Grundstücken zugeführt werden. Als Abwassermenge gelten gemäß § 2 Abs. 2 GSEWS die dem Grundstück aus der Wasserversorgungsanlage und aus der Eigengewinnungsanlage zugeführten Wassermengen abzüglich der nachweislich auf dem Grundstück verbrauchten oder zurückgehaltenen Wassermengen, soweit der Abzug nicht ausgeschlossen ist (sog. Frischwassermaßstab).
56
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs eignet sich der Frischwassermaßstab grundsätzlich uneingeschränkt für die Gebührenbemessung des Abwassers. Solange keine genaue oder annähernd genaue Erfassung der von den angeschlossenen Grundstücken abfließenden Abwassermenge möglich oder zumutbar ist, stellt der Frischwassermaßstab für die Berechnung der Einleitungsgebühr im Mischsystem einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab dar. Hierbei steht die Überlegung im Vordergrund, dass, wer eine bestimmte Menge Frischwasser bezieht, auch einen bestimmten Anteil davon der Entwässerungseinrichtung wieder zuführen wird, wobei unter Zugrundelegung vergleichbarer Verhältnisse die endgültig auf dem Grundstück verbrauchten Wassermengen nicht in nennenswertem Maße voneinander abweichen, dass also umso mehr Schmutzwasser der Entwässerungseinrichtung zugeführt wird, je mehr Frischwasser bezogen wird (vgl. BayVGH vom 31.03.2003, Az. 23 B 02.1936 m.w.N., juris, Rn. 31).
57
Die bezogene Frischwassermenge ist auch bei zusätzlicher Einleitung von Niederschlagswasser ein grundsätzlich geeigneter Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte bei der Wahl des Gebührenmaßstabs unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes, des Äquivalenzprinzips und des Grundsatzes des sachgerechten Vorteilsausgleichs (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 BV) einen weiten Ermessensspielraum hat und sich nicht für den zweckmäßigsten, vernünftigsten, wahrscheinlichsten oder gerechtesten Maßstab entscheiden muss. Eine getrennte Gebühr für die Niederschlagswasserbeseitigung und die Schmutzwasserbeseitigung (gesplittete Abwassergebühr) muss in der Regel aber dann eingeführt werden, wenn eine homogene Siedlungsstruktur im Entsorgungsgebiet nicht besteht oder der Grundsatz der Typengerechtigkeit verletzt wird (BayVGH vom 17.02.2005, Az. 23 BV 04.1732, juris). Wenn eine Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung für die Einleitung des Niederschlagswassers im Entsorgungsgebiet - wie hier - trotzdem keine gesonderte Erhebung von Gebühren vorsieht, so ist dies nur dann unbedenklich, wenn die durch Gebühren zu deckenden Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung geringfügig sind, wobei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs die Erheblichkeitsgrenze bei einem 12%-igen Anteil an den der Gebührenkalkulation zugrunde gelegten Gesamtkosten der Entwässerungseinrichtung liegt (BayVGH vom 31.03.2003, a.a.O., Rn. 32 mit Hinweis auf BVerwG vom 27.10.1998, Az. 8 B 137/98, BayVGH vom 16.12.1998, Az. 23 N 94.3201, juris; zuletzt BayVGH vom 27.09.2018, Az. 20 N 16.1422, 20 N 18.1975, juris Rn. 30).
58
1.2.3 Um diese Erheblichkeitsschwelle von 12% streiten die Beteiligten. Da die Beklagte ein Mischwassersystem betreibt, ist eine exakte Zuordnung der Kosten der Abwasserbeseitigung auf Schmutzwasserbeseitigung und Niederschlagswasserbeseitigung nicht möglich. Es ist im Einzelfall den Anlagenbetreibern überlassen, selbst zu entscheiden (auch unter pauschalierenden Gesichtspunkten), wie eine solche Aufteilung sachgerecht vorzunehmen ist. Die Geringfügigkeitsgrenze hat also die Gemeinde selbst durch eine geeignete Berechnung zu bestimmen, um den Kostenanteil an den jährlichen Gesamtkosten der Entwässerungsanlage für die Ableitung des Oberflächenwassers im Gemeindegebiet zu ermitteln (VG Regensburg vom 18.06.2012 - RN 8 K 12.410, juris, Rn.21 m.w.N.).
59
Die Kammer legt ihrer Entscheidung die Berechnungen der Beklagten zugrunde, die im Anschluss an den Erörterungstermin vom 14.10.2020 mit Schriftsatz vom 06.11.2020 vorgelegt wurden (Bl. 256 ff. Gerichtsakte) und stellt maßgeblich auf die 1. Alternativberechnung mit dem Ansatz des tatsächlich geleisteten Straßenentwässerungsanteils 2016 ab. Die in den Berechnungen enthaltenen Zahlen (kalkulatorische Kosten und Betriebskosten) sind identisch mit denen, die bereits mit Schriftsatz vom 30.01.2019 (Bl. 90 ff. Gerichtsakte) vorgelegt wurden, mit Ausnahme der Betriebskosten für Kanäle und Sonderbauwerke. Hier hat sich eine Berichtigung von 713.261 EUR auf 824.261 EUR ergeben, weil die Beklagte die Abwasserabgabe für Niederschlagswasser in Höhe von 111.000 EUR irrtümlich ein weiteres Mal abgezogen hat (Schriftsatz vom 06.11.2020, S. 2). Ansonsten haben sich nur Modifikationen hinsichtlich einzelner Aufteilungsschlüssel ergeben.
60
Nicht mehr relevant sind die Berechnungen, die im Widerspruchsverfahren dem Landratsamt … vorgelegt wurden (Beiakte I), und die die Klägerseite in ihren Einwendungen im Rahmen der Klagebegründung zugrunde gelegt hat. Die Beklagte hat nach Vorlage der Klagebegründung eine Nachkalkulation auf der Grundlage der für das Jahr 2016 gebuchten Kosten und maßgeblichen Fakten erstellt, in der sie einige Ansätze und Ermittlungswege gegenüber der früheren Kalkulation noch genauer berechnet und untersucht hat. Eine Nachkalkulation begegnet keinen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des BayVGH ist sie sogar zulässig, wenn zuvor nur eine überschlägige Kalkulation mit gegriffenen Werten vorlag (BayVGH vom 16.12.1998 - 23 N 94.3201, juris, Rn. 31; VG München vom 25.07.2012 - M 10 K 11.984, juris, Rn. 63 ff.). Damit liegt im gerichtlichen Verfahren eine neue Datenlage vor.
61
1.2.4 Anhand der dargestellten Unterlagen ist für die Kammer eine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle von 12% für den hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht festzustellen.
62
Die in der Klagebegründung vom 08.11.2018 erhobenen Einwände und die eigenen Berechnungen des Klägers zu einem Kostenanteil von mindestens 18% sind - ungeachtet deren Schlüssigkeit - hinsichtlich der angesetzten Zahlen durch die aktuelle Neuberechnung der Beklagten überholt. Im gerichtlichen Verfahren hat sich der Kläger im Wesentlichen darauf berufen, dass die angesetzten Werte nicht nachvollziehbar seien und der Kläger nicht über die Sachkunde verfüge, im Detail zur Unrichtigkeit der einzelnen Posten der Kalkulation vorzutragen. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wäre es aber Sache des Klägers, die Richtigkeit der von der Beklagten gewählten Kostenaufteilung substantiiert in Frage zu stellen und hierzu konkret darzulegen wie viele befestigte Grundstückflächen im Gemeindegebiet vorhanden sind, wie hoch der Regenwasseranfall auf diesen Flächen ist, der in die Entwässerungsanlage der Beklagten gelangt und welchen Kostenanteil die Beseitigung dieses Regenwassers gemessen an den Gesamtkosten der Entwässerungsanlage in Anspruch nimmt. Hierzu müsste sich der Kläger ggf. der Hilfe eines Sachverständigen bedienen (BayVGH vom 17.06.1998 - 23 B 95.4088, juris, Rn. 45t; VG Ansbach vom 01.03.2011 - AN 1 K 09.00002, juris, Rn. 180).
63
Bei der Prüfung, ob die Erheblichkeitsschwelle von 12% eingehalten ist, sind sowohl der Investitionsaufwand (kalkulatorische Kosten), als auch die Betriebs- und Unterhaltungskosten für die Abwassereinrichtung in den Blick zu nehmen.
Investitionskosten (kalkulatorische Kosten):
64
Die kalkulatorischen Kosten, bestehend aus den angemessenen Abschreibungen und kalkulatorischen Zinsen (Art. 8 Abs. 3 Satz 1 KAG) hat die Beklagte in Anlage 1 (Gerichtsakte Bl. 259) zusammengestellt. Bei der maßgeblichen Neuberechnung beträgt der Zinssatz für die kalkulatorischen Zinsen 3,5% (nicht 5,5%). Abzüglich der erhaltenen staatlichen Zuwendungen nach Anlage 2 (Art. 8 Abs. 3 Satz 2 KAG) ergeben sich kalkulatorische Gesamtkosten von 3.333.280 EUR. Diese Zusammenstellung des Anlagevermögens und die Berechnung der Abschreibungen und Zinsen für die einzelnen Anlagenteile der Abwassereinrichtung hat der Kläger nicht substantiiert in Frage gestellt. Wenn er einzelne Ansätze bezweifelt, hätte er Einsicht in die Unterlagen der Beklagten nehmen müssen, wie ihm das immer wieder angeboten wurde. Da sowohl der Kläger als auch sein Prozessbevollmächtigter in … ansässig sind, wäre es am Einfachsten gewesen, vor Ort bei den Stadtwerken Einsicht in die Unterlagen zu nehmen und ggf. einzelne Berechnungen substantiiert in Frage zu stellen. Das Rechenwerk ist in sich stimmig. Für das Gericht bestand kein Anlass zu weiteren Nachforschungen.
65
Für die Aufteilung der Kosten der Abwasserbeseitigung auf Schmutzwasser (SW) und Niederschlagswasser (NW) hat die Beklagte externe Beratung durch ein sachverständiges Ingenieurbüro in Anspruch genommen. Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 29.04.2019 rügt, mangels Vorlage der von den externen Beratern bzw. Ingenieurbüros erstellten Unterlagen und Informationen könne nicht nachvollzogen werden, ob die genannten Ingenieurbüros wirklich für die Beklagte tätig gewesen seien und ob sie die genannten Berechnungsgrundlagen ermittelt hätten, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Beklagte immer wieder eine umfassende Akteneinsicht angeboten hat. Das Gericht hatte von sich aus keinen Anlass, an der Einschaltung des Ingenieurbüros und dessen Berechnungen bzw. Einschätzungen zu zweifeln.
66
Die Ermittlung der Aufteilungsschlüssel der kalkulatorischen Kosten der Kläranlage zwischen SW und NW (siehe Anlage 3, Bl. 261 Gerichtsakte) hat nach Angaben der Beklagten das Ingenieurbüro … vorgenommen. Die Bewertungen des anerkannt sachkundigen Ingenieurbüros sind nachvollziehbar.
67
Der Kläger rügt, dass die Kosten der Schlammbehandlung zu 100% dem SW zugeordnet wurden. Diese Einschätzung hat das von der Beklagten beauftragte Ing.-Büro vorgenommen. Es leuchtet ein, dass der Klärschlamm keinen Niederschlagswasseranteil mehr enthält und daher keine Kostenanteile (weder kalkulatorische noch Betriebskosten) auf NW entfallen. Ob einzelne Industriebetriebe eigene Schlammbehandlungsanlagen betreiben, um einer Starkverschmutzungsgebühr zu entgehen, spielt keine Rolle, weil dies schon im Vorfeld der Einleitung geschieht und keine Auswirkungen auf die Kosten der allgemeinen Abwasserbeseitigung hat, die von den Gebührenzahlern zu leisten sind.
68
Eine gesonderte Ausweisung und Aufteilung der Kosten für die Beseitigung des Fremdwassers, also des in die Kanalisation eindringenden Grundwassers, unerlaubt eingeleiteten Drainagewassers sowie einem Schmutzwasserkanal zufließendes Oberflächenwasser, wird in Bayern kostenmäßig nicht gesondert berücksichtigt, ein Fremdwassereintrag ist bei den allgemeinen Betriebskosten der Entwässerungseinrichtung zu erfassen (BayVGH vom 31.03.2003 a.a.O., juris, Rn. 41; VG München vom 25.07.2012 - M 10 K 11.984, juris, Rn. 88). Der von der Beklagten geschätzte Fremdwasseranteil von 30% bewegt sich im durchschnittlichen Bereich. Von einer unwirtschaftlichen Betriebsführung zulasten der Gebührenzahler ist daher nicht auszugehen.
69
Den Aufteilungsschlüssel für die Investitionskosten der Mischwasserkanäle von 60% für SW und 40% für NW hat die Beklagte ermittelt, in dem sie die Herstellungskosten für einen Mischwasserkanal den Herstellungskosten für ein getrenntes System aus Schmutzwasserkanal und Niederschlagswasserkanal gegenübergestellt und die Kostenersparnis für das Mischsystem rechnerisch auf SW und NW aufgeteilt hat (Anlage 4, Bl. 262 Gerichtakte). Gegen diese Berechnung bestehen keine Bedenken.
70
Die Investitionskosten für Regenüberlaufbecken (RÜB) sind in der Zusammenstellung der kalkulatorischen Kosten (Anlage 1) enthalten. Sie sind Teil des Kanalsystems, weshalb die Aufteilung der Investitionskosten für die RÜB zu 60% auf SW und 40% auf NW nach der Berechnung in Anlage 4 erfolgte, in der ein Zuschlag für Sonderbauwerke enthalten ist. Soweit der Kläger eine pauschale Aufteilung der Investitionskosten für die Kanäle auf je 50% für SW und NW für richtig hält, kann er damit die nachvollziehbare Berechnung der Beklagten nicht erschüttern.
Betriebs- und Unterhaltungskosten:
71
Die Betriebskosten der Abwassereinrichtung in Höhe von 2.409.420 EUR umfassen die Betriebskosten für die Kläranlage, für die Kanäle einschließlich Sonderbauwerke und für die Verwaltungskosten (Anlage 6, Bl. 264 Gerichtsakte). Konkrete Festlegungen pauschalierender Art, wie die Betriebskosten einer Entwässerungsanlage auf die einzelnen Bereiche zu verteilen sind, wurden in der Rechtsprechung bislang nicht getroffen, sondern es in jedem Einzelfall dem Anlagenbetreiber überlassen, selbst zu entscheiden, auch unter pauschalierenden Gesichtspunkten, wie eine solche Aufteilung sachgerecht vorzunehmen ist.
72
Den Aufteilungsschlüssel für die Betriebskosten der Kläranlage in Höhe von 1.329.206 EUR zwischen SW und NW (siehe Tabelle Anlage 8, Bl. 266 Gerichtsakte) hat wiederum das Ingenieurbüro … vorgenommen. Es hat alle maßgeblichen Ausgaben prozentual auf SW und NW aufgeteilt und dabei nach den verschiedenen Anlagenteilen und Ausgabenstellen differenziert. Beispielsweise wurden die Kosten der Klärschlammbehandlung und -entsorgung zu 100% dem SW zugeordnet, die Betriebskosten für das Einlaufhebewerk zu je 50% aufgeteilt. Der gewichtete Durchschnittswert aller Kosten beträgt 96,18% für SW und 3,82% für NW. Das Ergebnis ist aufgrund der differenzierten Aufstellung durch ein sachkundiges Ingenieurbüro nachvollziehbar. Der Einwand der Klägerseite, dass die Betriebskostenaufteilung der Kläranlage mit nur 3,82% auf NW zu gering sei, ist ohne nähere Darlegung nicht geeignet, die detaillierte Einschätzung des Ingenieurbüros, das über den nötigen Sachverstand verfügt, in Frage zu stellen.
73
Den Aufteilungsschlüssel für die Betriebskosten der Mischwasserkanäle in Höhe von 824.261 EUR hat die Beklagte mit 75% für SW und 25% für NW angesetzt (Anlage 3). Sie ist von ihrer vorigen Aufteilung von 92% zu 8% (Schriftsatz vom 30.01.2019, S. 8) abgerückt. Der Berechnung legt die Beklagte die Abwassermengenverhältnisse in Relation zu den Niederschlagsmengen (Deutscher Wetterdienst) zugrunde, wobei sie davon ausgeht, dass die Betriebskosten der Kanäle, insbesondere Reparaturkosten, Kosten für die Dichtigkeitsprüfungen, TV-Untersuchungen, und Kanalspülungen weit überwiegend durch die Schmutzwasserbeseitigung verursacht werden. Soweit die Beklagte damit das VEDEWA-Berechnungsmodell, das pauschal von einer Aufteilung der jährlichen Abwassermengen von 50% SW und 50% NW ausgeht, durch Berücksichtigung konkret festgestellter Niederschlagsmengen pro Regentag modifiziert und mit nachvollziehbarer Begründung die hohen Unterhaltungskosten überwiegend dem SW zuordnet, ist dies nicht zu beanstanden, da die umfangreichen Detailberechnungen (Anlage 9, Bl. 267 ff. Gerichtsakte) der tatsächlichen Gegebenheiten den realen Verhältnissen näherkommt, als eine pauschale Annahme.
74
Dem Einwand des Klägers, dass die Kosten der Kanäle nicht von der Anzahl der Regentage abhängen, ist hinsichtlich der Investitionskosten zuzustimmen. Bei diesen wurde die Aufteilung - wie bereits ausgeführt - nach dem Verhältnis der Herstellungskosten vorgenommen (Anlage 4: 60% zu 40%).
75
Die Aufwendungen für Abwasserabgaben (sowohl für SW als auch für NW) spielen keine Rolle mehr. Sie sind in den Betriebskosten nicht mehr enthalten, da sie nach Angaben der Beklagten nachträglich erstattet bzw. verrechnet wurden.
76
Die Verwaltungskosten in Höhe von 255.953 EUR hat die Beklagte zu 85% dem SW und zu 15% dem NW zugeordnet. Da Verwaltungskosten für die Berechnung und Erhebung von Niederschlagswassergebühren (insb. Aufwand für die Aktualisierung der abflussrelevanten Grundstücksflächen und Bescheiderteilungen) nicht anfallen, ist es nachvollziehbar, dass nur ein geringer Anteil der allgemeinen Verwaltungskosten dem NW zugeschlagen wird.
Straßenentwässerungsanteil:
77
Die Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung sind auf die Grundstücks- und auf die Straßenentwässerung aufzuteilen, wobei auch hier die kalkulatorischen Kosten und die Betriebskosten gesondert zu betrachten sind.
78
Die Investitionskosten für den Straßenentwässerungsanteil bemisst die Beklagte grundsätzlich nach der Hälfte der auf den Niederschlagswasseranteil entfallenden kalkulatorischen Kosten, d. h. auf 20%. Im streitgegenständlichen Jahr hat die Beklagte die kalkulatorischen Kosten der Straßenentwässerung mit 597.455 EUR angesetzt. Dieser Betrag entspricht einem Anteil von 25% (vgl. Anlage 11 der 1. Berechnungsalternative Bl. 277 Gerichtsakte) In dieser Höhe hat die Stadt … als Trägerin der Straßenbaulast der Beklagten die errechneten Straßenentwässerungskosten erstattet. Richtig wäre wohl nur ein Betrag von 489.031 EUR gewesen (Anlage 11 der Berechnungsalternative „Kostenanteil für die kalkulatorischen Kosten 50%“, Bl. 282 Gerichtsakte). Da der tatsächlich geleistete höhere Betrag die Gebührenzahler im maßgeblichen Zeitraum entlastet hat, ist er der Berechnung auch zugrunde zu legen.
79
Bei den Betriebskosten der Straßenentwässerung ist die Beklagte von der weitgehend üblichen pauschalen Aufteilung der Kosten von 50% für die Beseitigung von Niederschlagswasser von Grundstücken und 50% für die Straßenentwässerung nach dem VEDEWA-Modell abgewichen und hat eine gesonderte Berechnung nach den tatsächlichen Verhältnissen vorgenommen. Durch das Ingenieurbüro … wurden die befestigten Grundstücksflächen, die in den Kanal entwässern mit 295 ha und die an den Kanal angeschlossenen Straßenflächen mit 180 ha ermittelt. Es ergibt sich ein Verhältnis von 62,11% Grundstücke zu 37,89% Straßen. Der Straßenentwässerungsanteil an den Betriebskosten der Kläranlage, der Kanäle und an den Verwaltungskosten ist demnach jeweils mit 37,89% abgezogen worden. Die Höhe der Kosten und den Umfang der jeweiligen Flächen hat der Kläger nicht substantiiert in Frage gestellt.
80
Als Ergebnis errechnet sich nach alledem der prozentuale Kostenanteil der Oberflächenentwässerung privater Grundstücke an den Gesamtkosten der Abwasserbeseitigung von 10,89% (Aufstellung der 1. Alternativberechnung, Bl. 275 Gerichtsakte).
81
1.2.5 In der mündlichen Verhandlung vom 24.03.2021 hat die Klägerseite daran festgehalten, dass die Erheblichkeitsschwelle von 12% überschritten sei, und ein Sachverständigengutachten beantragt. Dies hat die Kammer abgelehnt, weil sie die beigebrachten Berechnungen der Beklagten als tragfähig für die Unterschreitung der 12%-Schwelle erachtet. Aus den Unterlagen und dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich, dass sie sich bewusst an den rechtlichen Vorgaben zur gesplitteten Abwassergebühr orientiert und hierzu ergebnisoffen fachkundige Unterstützung eingeholt hat. Demgegenüber ist der Kläger der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht, sich mit Kalkulationen, für die ein umfangreiches Akteneinsichtsrecht besteht, konkret selbst auseinanderzusetzen, nicht nachgekommen. Infolgedessen brauchte das Gericht eine weitere Sachaufklärung durch Sachverständigenbeweis nicht vorzunehmen.
82
Die Beklagte überprüft nach eigenen Angaben regelmäßig die Einhaltung der 12% Grenze. Da die Beklagte keine Herstellungsbeiträge erhebt, sondern alle Investitionen über Gebühren abrechnet, erwartet sie für die folgenden Jahre aufgrund umfangreicher Sanierungsmaßnahmen an der Kläranlage, dass der rechnerische Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung erheblich sinken wird (Schriftsatz vom 06.11.2020).
83
Der Klägerseite kommt es im Ergebnis auf die Einführung einer gesplitteten Abwassergebühr aus ökologischen Gründen an, damit der weiteren übermäßigen Versiegelung der Grundstücke entgegengewirkt wird. Streitgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist jedoch ausschließlich die Rechtmäßigkeit der beim Kläger erhobenen Abwassergebühr. Solange die Rechtsprechung die Erheblichkeitsgrenze bei einem 12%-igen Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung an den Gesamtkosten der Entwässerungseinrichtung akzeptiert (zuletzt BayVGH vom 27.09.2018, Az. 20 N 16.1422, 20 N 18.1975, juris Rn. 30), hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass im Entsorgungsgebiet der Beklagten eine gesplittete Abwassergebühr eingeführt wird.
84
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.11.2019 (9 CN 1/18, juris), in der eine Fehlertoleranzschwelle von 12% bei Gebührenkalkulationen zulasten der Gebührenschuldner als nicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar gehalten wird, betrifft nicht unmittelbar einen vergleichbaren Fall. Vorliegend geht es nicht um eine Kostenüberdeckung bei der Gebührenkalkulation und eine entsprechend überhöhte satzungsmäßig festgesetzte Gebühr. Die Beteiligten haben in ihren Stellungnahmen vom 09.03. und 10.03.2021 die Entscheidung übereinstimmend nicht für einschlägig erachtet. Allenfalls der Gesetzgeber könnte die generelle satzungsrechtliche Einführung gesplitteter Abwassergebühren verlangen.
85
Gegen die Höhe der im Bescheid vom 11.01.2018 festgesetzten Gebühr von 619,67 EUR wurde nichts eingewandt. Sie entspricht der satzungsmäßigen Höhe (§§ 1a, 2 Abs. 1 GEWS).
86
Die Klage war daher abzuweisen.
87
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.