Inhalt

LG München I, Urteil v. 10.06.2021 – 2 Ks 128 Js 129099/20
Titel:

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt – Hang

Normenkette:
StGB § 64
Leitsatz:
Ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, liegt vor, wenn der Täter in einem Umfang (Maß und Häufigkeit) Rauschmittel konsumiert, durch welche seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden (Bestätigung von BGH BeckRS 2011, 9175). (Rn. 165) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rauschmittel, Übermaß, Umfang, konsumieren
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 18.11.2021 – 1 StR 397/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 41666

Tenor

I. Der Angeklagte H…, David, geboren am … in …, ist schuldig des Mordes.
II. Der Angeklagte wird deswegen zu
lebenslanger Freiheitsstrafe
verurteilt.
III. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird angeordnet.
IV. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens, seine eigenen notwendigen Auslagen sowie die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.
Angewendete Vorschriften:
§§ 211 Abs. 1 und Abs. 2, Var. 5, 64 StGB.

Entscheidungsgründe

1
Nach den im Rahmen der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen stellte sich das Tatgeschehen im Wesentlichen wie folgt dar:
2
Den Angeklagten und D… S… verband seit dem Jahr 2019 eine Bekanntschaft. Der Angeklagte bezog seit dieser Zeit sein Betäubungsmittel von D… S…. Mit der Zeit entwickelte sich hieraus ein engerer Kontakt und die beiden gingen auch gelegentlich gemeinsam zum Feiern oder zum Essen. Bis wenige Wochen vor der Tat erwarb der Angeklagte monatlich ca. 10 Gramm Kokain bei D… S…, die er binnen eines Monats auch konsumierte. Kurze Zeit vor der Tat hatte sich der Angeklagte von D… S… zurückgezogen und auch sein Betäubungsmittel nicht mehr von D… S… bezogen, da dieser von dem Angeklagten aufgrund von aus seiner Sicht verzögerten Zahlungen der Betäubungsmittellieferungen eine Art Strafzinsen forderte. In der Vergangenheit war es deshalb auch verschiedentlich zu Drohungen und körperlichen Übergriffen seitens des D… S… gegenüber dem Angeklagten gekommen. Am Tag vor der Tat kam es zu einem erneuten Treffen, bei dem D… S… einen Betrag von 8.000 Euro oder 9.000 Euro von dem Angeklagten einforderte. Dieser gab wahrheitswidrig vor, dass seine Mutter einen Kredit aufgenommen habe und D… S… das Geld am folgenden Tag bekommen werde. Am 17.03.2020 rief der Angeklagte seinerseits bei D… S… an und vereinbarte mit diesem ein Treffen für den Nachmittag. D… S… holte den Angeklagten in der Nähe der Wohnung von dessen Freundin A… D… am …platz ab und die beiden fuhren zusammen zur Wohnung der Familie des Angeklagten in der … Straße … in M.. Dort gab der Angeklagte vor, dass er nachsehe, ob seine Mutter schon da sei und ging in die Wohnung. D… S… wartete vor der Wohnung auf ihn. Als der Angeklagte wieder zu ihm hinunter ging, forderte D… S… ihn auf, wieder einzusteigen und sie fuhren gemeinsam weiter. Einerseits wurde D… S… im Laufe des Tages aggressiver, weil er sein Geld nicht erhalten hatte, andererseits gingen die beider aber auch zusammen zum Essen und sie fuhren zu einem gemeinsamen Bekannten, um diesen zu besuchen. Gegen 17.30/17.45 Uhr fuhren der Angeklagte und D… S… nochmals zu dem Angeklagten nach Hause. Im Hausflur schlug D… S… ihm mit voller Wucht in den Bauch und sagte, dass er noch etwas zu erledigen habe, dann aber wiederkommen würde. Der Angeklagte schnupfte ein oder zwei Lines Kokain. Danach schrieb er D… S… eine Mail und fragte diesen, wann er wiederkommen werde. Sie telefonierten daraufhin kurz. Bei diesem Telefonat drohte D… S… damit, dass er nach oben kommen werde und alles auseinandernehmen würde, wenn sich herausstellen würde, dass das Geld nicht da sei. Der Angeklagte schnupfte nochmals Kokain und holte sich eine Waffe, die er auf dem Dachboden versteckt hatte, eine bislang unbekannte Selbstladepistole, Kaliber 6,35 mm Browning. Diese steckte er in seine Jackentasche, verließ die Wohnung und ging zur Evangelisch-Lutherischen Versöhnungskirche an der … Straße …. Gegen 18.40 Uhr kam D… S… zurück und stellte sein Fahrzeug entgegen der Fahrtrichtung vor der Kirche ab. Der Angeklagte umrundete das Fahrzeug und setzte sich hinter dem Beifahrersitz auf die Rücksitzbank. D… S… drehte sich zu dem Angeklagten um und fragte, wo das Geld sei. Der Angeklagte antwortete, dass seine Mutter noch nicht da sei. Dann zog er die Waffe und sagte, dass er für die Beschaffung des Geldes mehr Zeit benötige und D… S… nicht mit in die Wohnung kommen dürfe. D… S… lachte ihn aber nur aus, fragte, was er mit dem Spielzeug wolle und sagte: „Schieß doch, Du Hurensohn, ich lasse Dich nicht so einfach in Ruhe“. D… S… war von der Waffe unbeeindruckt und machte mit seiner Hand eine Bewegung in Richtung das Angeklagten. Der Angeklagte schoss D… S… aus kurzer Distanz drei Mal kurz hintereinander in den Kopf, wodurch D… S… verstarb. Der Angeklagte stieg aus dem Fahrzeug aus, zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und entfernte sich vom Tatort. D… S… hatte sich keines Angriffs auf seinen Leib oder sein Leben versehen. Genau diesen Umstand hatte der Angeklagte bewusst zu seiner Tatbegehung ausgenutzt. D… S… konnte sich deshalb nicht effektiv gegen den Angriff des Angeklagten wehren.
3
Der Angeklagte war durch den vorangegangenen Konsum von Kokain bei der Tat drogenbedingt enthemmt, jedoch voll schuldfähig.
4
Die von der Kammer getroffenen Feststellungen beruhen auf den Einlassungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung, soweit ihnen gefolgt werden konnte. Der Angeklagte hat im Rahmen des Ermittlungsverfahrens die Tat noch vehement abgestritten, aber am ersten Tag der Hauptverhandlung die Tötung des D… S… mit drei Kopfschüssen eingeräumt. Im Übrigen stützen sich die Feststellungen auf die weiteren, in Abschnitt C. genannten Beweismittel, Umstände und Erwägungen.
5
Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung haben nicht stattgefunden.
6
Im Einzelnen hat das Schwurgericht Folgendes festgestellt:
A.
Feststellungen zur Person
I. Familiäre Verhältnisse und Werdegang
1. Familiäre Verhältnisse
… 2. Werdegang
… II. Gesundheitliche Situation
… …
III. Intelligenz und Persönlichkeit
… IV. Auszug aus dem Bundeszentralregister
… V. Haftdaten
… B.
Feststellungen zum Tatgeschehen
I. Vorgeschichte
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Der Angeklagte und der spätere Geschädigte D… S… kannten sich seit Beginn des Jahres 2019 aufgrund des Umstands, dass D… S… mit Kokain handelte und der Angeklagte seit seinem 18. Lebensjahr nahezu täglich Kokain konsumierte. Der Angeklagte kaufte ab diesem Zeitpunkt sein Kokain bei D… S…, dieser war sein Dealer.
8
In der Zeit um den Monat August 2019 wurde zwischen den beiden vereinbart, dass der Angeklagte von D… S… Kokain erhalte, wobei er monatlich ca. 10 Gramm zu einem vergleichsweise günstigen Preis von 70 € pro Gramm abnahm, und er dieses Betäubungsmittel bis zum Ende des Monats bezahlte. Mit der Zeit entwickelte sich ein engerer Kontakt zwischen den beiden und D… S… rief den Angeklagten gelegentlich an und bat ihn um Gefallen, wie beispielsweise Fahrdienste. Im Gegenzug überließ er dem Angeklagten gelegentlich ein Gramm Kokain ohne Bezahlung. Ab und zu gingen die beiden auch gemeinsam zum Feiern oder zum Essen.
9
Mitte November forderte D… S… den ganzen zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden Betrag in Höhe von 700 Euro von dem Angeklagten zurück. Dieser konnte den Betrag jedoch nicht sofort bezahlen, sondern erst bei einem erneuten Treffen Anfang Dezember 2019, bei dem D… S… nunmehr jedoch weitere 300 Euro „Zinsen“ forderte. Als der Angeklagte ihn darauf hinwies, dass es für die Zinsen keinen Grund gebe, verpasste ihm D… S… mit voller Wucht eine Ohrfeige. Bei einem erneuten Treffen einige Tage später schlug D… S… dem Angeklagten vor, dass der Angeklagte ihm statt der üblichen 10 Gramm nunmehr 20 Gramm Kokain zum Preis von 70 Euro pro Gramm abnehmen solle und die Hälfte davon zum Preis von 100 Euro pro Gramm weiterzuverkaufen. Von dem Erlös solle er dann die 300 Euro „Zinsen“ an ihn zahlen. Der Angeklagte ließ sich auf dieses Geschäft ein. Es wurde vereinbart, dass D… S… am Ende des Monats 1.000 Euro erhalten sollte, die restlichen 400 Euro und die 300 Euro „Zinsen“ am Ende des darauffolgenden Monats.
10
Kurz vor Weihnachten rief D… S… den Angeklagten an und verlangte das ganze Geld. Der Angeklagte entgegnete, dass dies anders vereinbart gewesen sei und er das Geld nicht zahlen könne. Es kam zu einem Treffen an der „…“ Bar. Vor der Bar fragte der Angeklagte den D… S…, warum er die Vereinbarung nicht einhalte, worauf D… S… ihm einen Faustschlag mitten ins Gesicht versetzte. D… S… war dabei betrunken und stand deutlich unter dem Einfluss von Kokain. Er verlangte nun 1.000 Euro mehr, also insgesamt 2.700 Euro. Bei einem Treffen am nächsten Tag, bei dem der Angeklagte D… S… erklärte, dass er die 2.700 Euro weder zahlen könne noch zahlen wolle, drohte ihm dieser, „ihm die Fresse zu zerschlagen, sodass ihn seine eigene Mutter nicht mehr“ wiedererkenne.
11
Ende des Monats zahlte der Angeklagte an D… S… bei einem vereinbarten Treffen 1.100 Euro. Dieser war damit zufrieden, forderte aber weitere 1.600 Euro. Mitte Januar zahlte der Angeklagte weitere 200 Euro an D… S…. Ende Januar rief D… S… bei dem Angeklagten an, forderte den restlichen Betrag von 1.400 Euro und setzte den Angeklagten mit den Worten „Du wirst sehen, was ich mit Dir mache“ unter Druck.
12
Anfang Februar kam es zu einem weiteren Treffen, bei dem der Angeklagte dem D… S… in dessen Fahrzeug weitere 400 Euro übergab, die sich aus einem Betrag von 100 Euro für von dem Angeklagten als berechtigt angesehene Schulden und weiteren 300 Euro „Zinsen“ zusammensetzte. Im Anschluss fuhr D… S… mit dem Angeklagten ziellos umher. In der Nähe der sogenannten „Panzerwiese“ fuhr D… S… in einen Wald. Dort forderte er den Angeklagten auf, aus dem Wagen auszusteigen Der Angeklagte folgte der Aufforderung. D… S… nahm aus dem Fahrzeug eine Pistole, wobei nicht geklärt werden konnte, ob es sich um eine scharfe Waffe, um eine Gaspistole oder eine Spielzeugwaffe handelte. D… S… richtete die Waffe auf den Angeklagten und forderte ihn auf, den Waldweg entlangzugehen. Dieser Aufforderung kam der Angeklagte nach und ging mit erhobenen Händen rückwärts. Dann forderte ihn D… S… auf, stehen zu bleiben und sagte: „Du kleiner Hurensohn, Du bringst mir bis zum Ende der Woche 2.000 Euro!“ Weiter forderte ihn D… S… auf, sich auszuziehen und seine Sachen auf den Boden zu legen, worauf der Angeklagte erwiderte, dass das doch nicht notwendig sei und D… S… bekomme, was er wolle. Der Angeklagte durfte seine Kleidung dann anbehalten. D… S… kündigte an, dass der Angeklagte für jede weitere Woche 1.000 Euro zahlen müsse, wenn er den Betrag nicht bis Ende der Woche zahle, und drohte ihm mit den Worten „Und wenn Du nicht zahlst, dann wird es nichts mehr für Dich geben in diesem Leben, Du weißt jetzt, was dann passieren wird. Ich werde Dich mit ein paar Jungs ficken, ich werde Dich platt machen.“ Im Anschluss fuhren sie schweigend zurück.
13
Da der Angeklagte das Geld in den folgenden Tagen nicht auftreiben konnte, forderte D… S… nun einen Betrag von 3.000 Euro.
14
Kurz nach einem Urlaub des Angeklagten mit seiner Freundin A… D… in Ägypten kam es zu einem zufälligen Aufeinandertreffen zwischen dem Angeklagten und D… S… bei einer Filiale des Schnellrestaurants McDonalds, bei dem D… S… auf ihn zu kam, ihn begrüßte und ihm dann ohne Ankündigung ins Gesicht schlug.
15
Am 16. März 2020 rief D… S… mehrfach bei dem Angeklagten an. Er beschimpfte diesen als Hurensohn und forderte nunmehr eine Summe in Höhe von 8.000 Euro oder 9.000 Euro. Der Angeklagte erwiderte, dass er heute sein Geld bekommen werde und seine Mutter das Geld von der Bank hole, wobei es sich um eine Lüge handelte. D… S… bestand auf ein Treffen noch am selben Tag. Gegen 21.00 Uhr holte dieser den Angeklagten am …platz ab. In dem Fahrzeug saß bereits P… N… auf dem Beifahrersitz. Bei dem folgenden Gespräch gab der Angeklagte wahrheitswidrig an, dass seine Mutter einen Kredit aufgenommen habe und D… S… das Geld am folgenden Tag bekommen werde.
16
Am 17. März 2020 schrieb der Angeklagte seinerseits dem D… S… und vereinbarte mit diesem ein Treffen für den Nachmittag. D… S… holte der Angeklagten vereinbarungsgemäß in der Nähe des … platzes ab. Er fuhr mit diesem nach Hause in die … Straße … in M…, wo der Angeklagte nachsehen sollte, ob seine Mutter schon da sei. Der Angeklagte wusste, dass dies nicht der Fall war, ging jedoch trotzdem in die Wohnung, wo sich sein kleiner Bruder und dessen Freund aufhielten. Als er wieder herunterkam, wartete D… S… noch auf ihn und forderte ihn auf, wieder einzusteigen. D… S… fuhr ein kurzes Stück weiter und geriet dann völlig außer sich. Je später es wurde, desto aggressiver wurde die Stimmung des D… S…, der an dem Tag viel Kokain konsumierte. Später gingen der Angeklagte und D… S… noch gemeinsam zum Essen und suchten einen gemeinsamen Bekannten namens „Nano“ auf, der allerdings nicht zu Hause anzutreffen war.
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Gegen 17.30/17.45 Uhr fuhren der Angeklagte und D… S… wieder zu dem Angeklagten nach Hause. D… S… bestand darauf, mit nach oben zu kommen. Im Hausflur schlug D… S… dem Angeklagten mit voller Wucht in den Bauch und sagte, dass er noch etwas zu erledigen hätte, dann aber wiederkommen würde. Der Angeklagte schnupfte ein oder zwei Lines Kokain. Danach schrieb er D… S… eine Nachricht und fragte diesen, wann er wiederkommen werde. In der Folge telefonierten sie dann kurz. Bei diesem Telefonat drohte D… S… damit, dass er nach oben kommen werde und alles auseinandernehmen würde, wenn sich herausstellen würde, dass das Geld nicht da sei.
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In diesem Moment entschloss sich der Angeklagte, eine Waffe, die er auf dem Dachboden aufbewahrte, zu holen. Er schnupfte nochmals zwei Lines mit jeweils ca. 0,1 Gramm Kokain und holte die Waffe, eine bislang unbekannte Selbstladepistole, Kaliber 6,35 mm Browning, vom Dachboden, steckte diese in seine Jackentasche, verließ die Wohnung und ging zur Evangelisch-Lutherischen Versöhnungskirche in der … Straße …, wo er sich schon befand, als D… S… wieder mit seinem Fahrzeug, einem schwarzen Porsche Panamera, amtliches Kennzeichen …, gegen 18.40 Uhr angefahren kam und dieses an der östlichen Straßenseite der … Straße, direkt vor der Kirche, entgegen der Fahrtrichtung abstellte.
II. Das Tatgeschehen
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Der Angeklagte umrundete das Fahrzeug und setzte sich gegen 18.44 Uhr ganz gezielt hinter dem Beifahrersitz auf die Rückbank, um D… S… auf Abstand zu halten und um damit zu verhindern, dass dieser ihm die Waffe aus den Händen reißen konnte oder ihn schlagen werde. D… S… drehte sich um und fragte, wo das Geld sei. Der Angeklagte antwortete, dass seine Mutter noch nicht da sei. Dann zog er die Waffe und sagte, dass er für die Beschaffung des Geldes mehr Zeit benötige und D… S… nicht mit in die Wohnung kommen dürfe. D… S… lachte ihn aber nur aus, fragte, was er mit dem Spielzeug wolle und sagte: „Schieß doch, Du Hurensohn, ich lasse Dich nicht so einfach in Ruhe“. D… S… war von der Waffe unbeeindruckt und machte mit seiner Hand eine Bewegung in Richtung des Angeklagten. Der Angeklagte schoss D… S… mit der zuvor entsicherten Waffe drei Mal mit ausgestrecktem Arm, ganz schnell und kurz hintereinander aus kurzer Entfernung in den Kopf.
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Der erste Schuss aus einer Entfernung von 10 bis 20 cm drang in die rechte Wange ein, durchsprengte den harten Gaumen rechts neben der Zahnreihe, zersplitterte einen Zahn und blieb im rechten Zungenrand stecken. Der zweite Schuss, der aus einer Entfernung von 2 bis 5 Zentimetern nahezu aufgesetzt abgefeuert wurde, traf D… S… in den Hinterkopf oberhalb des rechten Ohres. Das Projektil durchschlug den Schädelknochen sowie die linke Kleinhirnhalbkugel und blieb in der linken hinteren Schläfengrube stecken. Das dritte Projektil traf D… S… aus einer Entfernung von 10 bis 20 Zentimetern mittig im Nacken, D… S… sackte nach vorne zusammen.
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Der Angeklagte stieg aus dem Fahrzeug aus, wobei ihm ein Geräusch auffiel, das aus seiner Sicht vom Motor herrührte. Deshalb machte er die Fahrertür auf und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und entfernte sich vom Tatort.
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D… S… versah sich keines Angriffs, als der Angeklagte in den Porsche einstieg, sondern ging davon aus, dass der Angeklagte die gegen ihn gerichtete Forderung begleichen werde. Als der Angeklagte die Waffe auf ihn richtete, ging er weiter davon aus, dass es sich lediglich um eine Spielzeugpistole handelte und versah sich daher bis zur ersten Schussabgabe keines Angriffs auf seinen Leib oder sein Leben. Genau diesen Umstand hatte der Angeklagte bewusst zu seiner Tatbegehung ausgenutzt. D… S… konnte sich deshalb nicht effektiv gegen den Angriff des Angeklagten wehren.
III. Die Tatfolgen
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D… S… verstarb binnen weniger Minuten - wie von dem Angeklagten beabsichtigt - infolge der drei Steckschüsse im Kopfbereich, entweder durch die Aspiration von Blut in die Lungen infolge des Schusses in die rechte Wangenregion mit einer tiefgreifenden Zerstörung der Zunge oder infolge der durch einen der Schüsse in den Hinterkopf verursachten Einblutung in das Hirnkammersystem.
III. Nachtatverhalten
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Der Angeklagte begab sich zurück in die Wohnung, wobei er die Waffe und den Autoschlüssel in seine Jackentasche steckte. Als er aus der Wohnung die Alarmanlage eines Autos hörte, ging er wieder nach unten und sah, dass es die Alarmanlage des Porsche des D… S… war. Mit dem Schlüssel schaltete er den Alarm aus, ging weiter zur U-Bahn und fuhr direkt zu seiner Freundin. Er stieg am …platz aus und fuhr von dort mit dem Bus oder der Tram weiter in Richtung …platz. Er stieg eine Station früher aus, lief ziellos umher und entsorgte die Waffe und den Schlüssel in einer Mülltonne, bevor er zu seiner Freundin A… D… ging. Am nächsten Tag meldete er sich bei der Polizei, um herauszufinden, ob er verdächtigt wurde, da er bemerkt hatte, dass ihm beim Einsteigen in das Fahrzeug eine Person entgegengekommen war. Seine Tatbeteiligung räumte er bei der Vernehmung nicht ein. Die rote Schachtel auf dem Dachboden, in der sich zuvor die Waffe befunden hatte, warf er in den Tagen nach der Tat weg.
IV. Schuldfähigkeit
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Der Angeklagte hatte am Tattag fünf Lines Kokain, insgesamt 0,5 Gramm, konsumiert. Zwei Lines davon hatte ar unmittelbar vor der Tat nasal zu sich genommen. Die Drogenintoxikation führte zu einer drogenbedingten Enthemmung, jedoch nicht zu einer Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten.
C.
Beweiswürdigung
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I. Die unter lit. A. getroffenen Feststellungen zu den familiären Verhältnissen, dem Werdegang und der gesundheitlichen Situation des Angeklagten beruhen im Wesentlichen auf seinen Angaben in der verlesenen Verteidigererklärung und seinen eigenen ergänzenden Angaben in der Hauptverhandlung, sowie den Angaben der psychiatrischen Sachverständigen Dr. L…. Die Feststellungen zu den Schulden des Angeklagten beruhen auf dessen eigenen Angaben und den Angaben der Zeugin A… D…, die allerdings angab, dass der Angeklagte S. in einer Größen ordnung von vielleicht 20.000 Euro gehabt habe. Im Wesentlichen beruhen die Feststellungen hierzu auf den detaillierten Ausführungen des Polizeibeamten KK W…. Dieser führte aus, dass bei der Durchsuchung des zur Wohnung in der D. Straße gehörenden Dachbodens drei Ordner mit Finanzunterlagen aufgefunden worden seien. Die Auswertung habe ergeben, dass die Forderungen der Gläubiger aus den Jahren 2019 und 2020 addiert eine Summe von 43.699,71 Euro betragen hätten. Eine Schuldenaufstellung der Caritas aus dem Monat August 2019 weise einen Betrag von ca. 34.000 Euro auf, beinhalte aber nur die Forderungen von 15 Gläubigern. Eine bei den Unterlagen befindliche Schuldenaufstellung vom 05.08.2019, die von einer unbekannten Person gefertigt worden sei, habe einen Gesamtbetrag von 38.487,50 Euro aufgewiesen.
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II. Die unter lit. B. getroffenen Feststellungen zur Vorgeschichte der Tat und zum eigentlichen Tatgeschehen beruhen im Wesentlichen auf den eigenen Angaben des Angeklagten in der Verteidigererklärung, soweit diesen gefolgt werden konnte. Der Angeklagte hat die Tötung des D… S… in der Hauptverhandlung eingeräumt, weitere unmittelbare Tatzeugen gibt es nicht, lediglich der Zeuge M… hat im Vorbeigehen drei dumpfe Geräusche wahrgenommen, bei denen es sich zur Überzeugung der Kammer um die drei Schüsse gehandelt hat.
1. Angaben des Angeklagten
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a) Der Angeklagte ließ sich im Rahmen einer abschließenden Verteidigererklärung, die von ihm bestätigt wurde, zur Sache ein, wobei Nachfragen nicht zugelassen wurden. Er gab im Wesentlichen an, dass er D… S… seit Anfang des Jahres 2019 kenne. Er habe ihn kennengelernt, da er seit seinem 18. Lebensjahr nahezu täglich Kokain konsumiert habe. D… S… sei in seinem Viertel als Dealer bekannt gewesen. Bereits kurz nachdem sie sich kennengelernt hätten, habe der Angeklagte sein Kokain bei ihm gekauft. Angefangen habe es mit ein paar Gramm, die er in unregelmäßigen Abständen bei ihm gekauft habe. Zu dieser Zeit habe er sein Kokain auch noch bei anderen Personen gekauft. Bezahlt habe er das Kokain bei Übergabe. Pro Gramm habe er anfänglich 90 Euro bezahlen müssen.
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Irgendwann habe er sein Kokain nur noch bei D… S… gekauft. Hintergrund sei gewesen, dass er ab etwa August 2019 mit diesem vereinbart habe, dass er über den Monat verteilt von ihm Kokain bekomme und erst am Monatsende bezahlen müsse, wenn er seinen Lohn bekomme. In der Regel habe es sich um 10 Gramm pro Monat gehandelt, für das Gramm habe er 70 Euro bezahlen sollen. Die Absprache, am Ende des Monats alles zu bezahlen, habe er stets erfüllt.
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Mit der Zeit habe D… S… ihn angerufen und um Gefallen, wie beispielsweise Fahrdienste, gebeten. Dafür habe er ihm gelegentlich ein Gramm Kokain umsonst überlassen. Hieraus habe sich ein engerer Kontakt entwickelt und man sei auch ab und zu gemeinsam zum Feiern oder zum Essen gegangen. Es habe sich ein Abhängigkeitsverhältnis insoweit ergeben, dass er D… S… gebraucht habe, da er sonst kein Kokain gehabt habe. Diese Abhängigkeit habe dieser ihn spüren lassen und habe immer öfter Gefallen eingefordert. Da ihm diese Abhängigkeit im November 2019 zu viel geworden sei, habe er versucht, für D… S… seltener erreichbar zu sein und ihn seltener zu treffen.
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Als sie sich Mitte November getroffen hätten, habe D… S… sofort das ganze ausstehende Geld, es seien 700 Euro gewesen, haben wollen. Das Geld habe der Angeklagte aber nicht auf einmal zahlen können. Er habe D… S… an die Abmachung erinnert, dass er erst zum Monatsende zahlen solle. Dies habe D… S… widerwillig hingenommen. Einige Tage später, als er erneut ein Gramm Kokain gewollt habe, habe D… S… gefordert, dass er das ganze Geld gleich bekomme. Auf den Einwand, dass dies zwischen ihnen anders besprochen worden sei, habe D… S… erwidert, dass er am Monatsende 1.000 Euro von ihm fordere, wenn er nicht gleich zahle. Bei einem Treffen Anfang Dezember habe er D… S… die ausstehenden 700 Euro gegeben. D… S… sei damit nicht zufrieden gewesen und habe 300 Euro „Zinsen“ gefordert. Er habe entgegnet, dass es für diese sogenannten „Zinsen“ keinen Grund gebe. Daraufhin habe ihm D… S… mit voller Wucht eine Ohrfeige gegeben.
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Nach einigen Tagen sei es zu einem erneuten Treffen zwischen den beiden gekommen. Auch das Thema Schulden sei erörtert worden. D… S… habe den Vorschlag gemacht, dass er anstatt der sonst üblichen 10 Gramm mindestens 20 Gramm Kokain abnehme, wovon er 10 Gramm für 100 Euro pro Gramm weiterverkaufen sollte und von dem Gewinn die 300 Euro „Zinsen“ zurückbezahlen solle. Auf diesen Vorschlag habe er sich in den darauffolgenden Tagen eingelassen. Zum einen habe er seinen Dealer nicht verlieren wollen, zum anderen habe er an eine Geschichte mit E… D… und dessen Bekannten gedacht, mit der sich D… S… gebrüstet habe. Den Bekannten des E… D… habe D… S… in einen Verschlag gezogen und ein Messer in den Oberschenkel gerammt, weil dieser ihn bei einem Drogendeal abgezogen habe. Auch den E… D… habe D… S… heftig verprügelt. Daher habe er sich entschlossen, auf das Angebot von D… S… einzugehen. Sie hätten sich noch am selben Tag getroffen. Er habe 20 Gramm Kokain zum Preis von 70 Euro pro Gramm bekommen. Es sei vereinbart worden, dass D… S… am Ende des Monats 1.000 Euro erhalten solle, die restlichen 400 Euro aus diesem Geschäft und die 300 Euro „Zinsen“ am Ende des darauffolgenden Monats.
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Kurz vor Weihnachten habe D… S… angerufen und habe das ganze Geld haben wollen. Er habe diesem entgegnet, dass dies anders vereinbart gewesen sei. Dennoch habe dieser darauf bestanden, wenigstens 500 Euro zu bekommen. Er habe D… S… gesagt, dass er das nicht zahlen könne, weil er noch kaum etwas von dem erhaltenen Betäubungsmittel verkauft habe. D… S… habe ihn daraufhin zur „R… Z…“ Bar in der Nähe der Wohnung seiner Mutter am … bestellt. Vor der Bar habe er D… S… gefragt, warum er die Vereinbarung nicht einhalte, worauf D… S… ihm einen Faustschlag mitten ins Gesicht versetzt habe. D… S… sei dabei sichtbar betrunken und auf Kokain gewesen. Er habe gesagt, dass er ihm nun 1.000 Euro mehr schulde und habe 2.700 Euro gefordert. Bei einem Treffen am nächsten Tag habe er D… S… erklärt, dass er die 2.700 Euro weder zahlen könne noch zahlen wolle. D… S… habe daraufhin gedroht, „ihm die Fresse zu zerschlagen, sodass ihn seine eigene Mutter nicht mehr“ wiedererkenne.
34
Ende des Monats habe er sein Gehalt erhalten und bei einem vereinbarten Treffen 1.100 Euro an D… S… übergeben. Damit sei dieser zufrieden gewesen, habe aber deutlich gemacht, dass er ihm noch 1.600 Euro schulde. Mitte Januar habe er weitere 200 Euro an D… S… gezahlt, um seinen guten Willen zu zeigen. Ende Januar habe D… S… bei ihm angerufen und ihm gesagt, dass er sofort den restlichen Betrag von 1.400 Euro haben wolle. Sie hätten gestritten und D… S… habe gesagt: „Du wirst sehen, was ich mit Dir mache.“
35
Anfang Februar habe er erneut bei D… S… angerufen, da er diesem tatsächlich noch 100 Euro geschuldet habe und zumindest weitere 300 Euro als „Zinsen“ habe zahlen wollen. Die 400 Euro habe er bei einem vereinbarten Treffen im Fahrzeug des D… S… übergeben. D… S… sei dann ziellos mit ihm umhergefahren und sei dann in der Nähe der Panzerwiese in einen Wald hineingefahren. Dort habe er ihn aufgefordert, aus dem Wagen auszusteigen. Als er schon ausgestiegen gewesen sei, habe D… S… aus dem Fahrzeug eine Pistole genommen, wobei er nicht erkannt habe, ob es sich um eine scharfe Waffe, um eine Gaspistole oder eine Spielzeugwaffe gehandelt habe. D… S… habe die Waffe auf ihn gerichtet und ihn aufgefordert, den Waldweg entlangzugehen. Er sei dieser Aufforderung nachgekommen und sei mit erhobenen Händen rückwärtsgegangen. Dann habe ihn D… S… aufgefordert, stehen zu bleiben und gesagt: „Du kleiner hurensohn, Du bringst mir bis zum Ende der Woche 2.000 Euro!“ Er sei erleichtert gewesen, da er nun gewusst habe, dass ihn D… S… nicht umbringe und habe ihm zugesichert, dass er bekomme was er wolle, er ihn nur nach Hause fahren solle. D… S… habe ihn aufgefordert, sich auszuziehen und seine Sachen auf den Boden zu legen, worauf er erwidert habe, dass das doch nicht notwendig sei und er bekomme, was er wolle. Er habe seine Kleidung dann anbehalten dürfen. Allerdings habe D… S… gefordert, dass er ihm bis Ende der Woche 2.000 Euro zahlen müsse - wenn er nicht zahle, müsse er für jede weitere Woche 1.000 Euro zahlen. Außerdem habe er ihn mit den Worten „Und wenn Du nicht zahlst, dann wird es nichts mehr für Dich geben in diesem Leben, Du weißt jetzt, was dann passieren wird. Ich werde Dich mit ein paar Jungs ficken, ich werde Dich platt machen“ bedroht. Danach seien sie schweigend zurückgefahren. In den folgenden Tagen habe er versucht, sich bei Bekannten Geld zu leihen, allerdings habe er bis zum Ende der Woche die 2.000 Euro nicht auftreiben können. D… S… habe ihm geschrieben, dass er ihm nun 3.000 Euro schulden würde. Ihm sei klar geworden, dass - obwohl er seine tatsächlichen Schulden schon bezahlt habe - er nur dann aus der Situation herauskomme, wenn er die volle Summe bezahlen würde. Er sei verzweifelt gewesen und habe deshalb noch mehr Kokain konsumiert als sonst. Bei D… S… habe er nichts mehr gekauft und er habe sich von ihm ferngehalten.
36
Kurz nach einem Urlaub in Ägypten habe er D… S… zufällig beim McDonalds getroffen. D… S… sei zu ihm gekommen, habe ihn begrüßt und ihm dann ohne Ankündigung ins Gesicht geschlagen.
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Am 16. März 2020 habe D… S… mehrfach bei ihm angerufen. Er habe ihn wieder als Hurensohn beschimpft und gefragt, ob er wisse, bei welcher Summe sie mittlerweile seien. Es sei ein Betrag von 8.000 oder 9.000 Euro genannt worden. D… S… habe auch Mails geschrieben, in denen er gefragt habe, ob er ihn „verarschen“ wolle. Er habe diesem gesagt, dass er heute sein Geld bekommen werde und seine Mutter das Geld von der Bank hole. Das sei eine Lüge gewesen. D… S… habe auf das Treffen bestanden, obwohl er ihm gesagt habe, dass seine Mutter das Geld heute nicht mehr habe organisieren können.
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Gegen 21.00 Uhr habe D… S… ihn am …platz abgeholt. Er sei in dessen Auto eingestiegen, P… [N…] sei auf dem Beifahrersitz gesessen. Um sich Zeit zu verschaffen, habe er gelogen und erzählt, dass seine Mutter einen Kredit aufgenommen habe und er das Geld morgen bekommen werde. Ihm sei bewusst geworden, dass D… S… keine weiteren Ausreden mehr dulden werde.
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Am 17. März habe er die Initiative ergriffen und habe D… S… geschrieben. Sie hätten sich für den Nachmittag verabredet und D… S… habe ihn am …platz abgeholt. D… S… habe ihn nach Hause gefahren, wo er habe nachsehen sollen, ob seine Mutter schon da sei. Obwohl er gewusst habe, dass diese in der Arbeit gewesen sei, sei er nach oben gegangen. In der Wohnung sei nur sein kleiner Bruder und dessen Freund gewesen. Als er wieder heruntergekommen sei, habe D… S… noch auf ihn gewartet. Dieser habe ihn aufgefordert, wieder einzusteigen. D… S… habe ihn nicht mehr aus den Augen lassen wollen, bis er das Geld vollständig habe. D… S… sei dann ein kurzes Stück weitergefahren, habe dann plötzlich angehalten und sei völlig ausgeflippt. Je später es geworden sei, desto aggressiver sei die Stimmung des D… S… geworden. Dieser habe viel Kokain konsumiert. An dem Tag seien er und D… S… auch gemeinsam beim Essen gewesen und bei einem gemeinsamen Bekannten namens „Nano“, der allerdings nicht zu Hause gewesen sei.
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Gegen 17.30/17.45 Uhr seien sie wieder zu ihm nach Hause gefahren. D… S… habe darauf bestanden, mit nach oben zu kommen. Oben habe er diesen überredet, nicht mit ihm in die Wohnung zu kommen. Im Hausflur habe D… S… ihm mit voller Wucht in den Bauch geschlagen und gesagt, dass er noch etwas zu erledigen hätte, dann aber wiederkommen würde. Er habe nicht gewusst, wo D… S… hingefahren sei, habe sich aber alle möglichen Szenarien ausgemalt, was dieser mit ihm machen würde, wenn er ihm das Geld nicht geben würde. Er habe gedacht, dass dieser ihn vielleicht wieder mit der Pistole bedroht hätte und vielleicht abgedrückt hätte oder etwas mit dem Messer gemacht hätte, wie bei dem Bekannten von E… D…, wenn er eingeräumt hätte, dass er D… S… angelogen hätte. Er sei in Panik gewesen. Um sich zu beruhigen, habe er ein oder zwei Lines Kokain geschnupft. Danach habe er sich stärker gefühlt. Er habe dann dem D… S… eine Mail geschrieben und ihn gefragt, wann er wiederkommen werde. Sie hätten kurz telefoniert und D… S… habe gesagt, dass er nach oben kommen werde und alles auseinandernehmen würde, wenn sich herausstellen würde, dass das Geld nicht da sei. Ihm sei klar gewesen, dass diese Drohung ernst gemeint gewesen sei und er aus der Situation so nicht mehr herauskommen würde.
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In diesem Moment habe er sich entschlossen, eine Waffe, die er auf dem Dachboden aufbewahrt habe, zu holen, um D… S… damit Angst zu machen. Er habe ihm zeigen wollen, dass er ihn mit seinen unberechtigten Forderungen in Ruhe lassen solle. Er habe den Rest Kokain geschnupft, den er noch bei sich im Zimmer gehabt habe und habe sich fest vorgenommen, dass er sich nicht mehr von D… S… einschüchtern lassen werde. Mit der Waffe in der Tasche habe er sich nach dem Konsum des Kokains dem D… S… ebenbürtig gefühlt.
42
Die Waffe sei relativ klein gewesen und sei seit Jahren in einer roten Box auf dem Dachboden gelegen. Er habe sie von einem Familienmitglied erhalten. Munition sei auch in der Schachtel gewesen. Er habe die Waffe damals nur angeschaut und ein bisschen herumgespielt, d.h. den Lauf vor- und zurückgezogen und Munition eingelegt. Er sei auf den Dachboden gegangen, habe die Waffe aus der Box genommen und sei hinuntergegangen. Die Waffe habe er in seine Jackentasche gesteckt. Er habe nicht gewusst, ob die Waffe funktioniere oder wieviel Munition darin gewesen sei. Dies sei für ihn auch nicht wichtig gewesen, da er D… S… damit nur beeindrucken und bedrohen habe wollen. Er sei sich sicher gewesen, dass D… S… von ihm ablassen werde, wenn er ihm die Waffe vor die Nase halten würde.
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Er sei schon unten vor der Kirche gewesen, als D… S… angekommen sei. Er sei um das Auto herumgegangen und habe sich ganz gezielt hinten auf die Rückbank gesetzt. Er habe D… S… auf Abstand halten wollen, da er befürchtet habe, dass er ihm sonst die Waffe aus den Händen reißen werde oder ihn wieder schlagen werde. D… S… habe sich sofort umgedreht und gefragt, wo das Geld sei. Er habe ihm gesagt, dass seine Mutter noch nicht da sei. Dann habe er die Waffe gezogen und gesagt, dass er für die Beschaffung des Geldes mehr Zeit benötige und D… S… nicht mit in die Wohnung kommen dürfe. D… S… habe ihn aber nur ausgelacht und gefragt, was er mit dem Spielzeug wolle. Dieser habe gesagt: „Schieß doch, Du Hurensohn, ich lasse Dich nicht so einfach in Ruhe“. Er habe feststellen müssen, dass D… S… von der Waffe unbeeindruckt gewesen sei. Es sei dann alles sehr schnell gegangen. D… S… habe mit seiner Hand eine Bewegung in seine Richtung gemacht. Er sei davon ausgegangen, dass es jetzt entweder mit den Schlägen, dem Messer oder noch schlimmer losgehen würde. Er habe seine Augen zu gemacht und habe einfach abgedrückt, drei Mal mit ausgestrecktem Arm, ganz schnell und kurz hintereinander. Er habe nicht sehen können, wo er getroffen habe. D… S… sei nach vorne zusammengesackt. Er selbst sei aus dem Fahrzeug ausgestiegen, wobei ihn ein Geräusch aufgefallen sei, das vom Motor gekommen sei. Dieser habe aufgeheult, vermutlich, weil der Fuß von D… S… auf das Gaspedal gedrückt habe. Er habe deshalb die Fahrertür aufgemacht und habe den Schlüssel abgezogen. Sein ganzer Körper habe gezittert. Er habe nicht begreifen können, was gerade passiert sei. Was er danach getan habe, könne er nicht genau sagen, da er daran nur noch eine verwaschene Erinnerung habe. Er sei nochmal oben in der Wohnung gewesen, die Waffe und den Autoschlüssel habe er da in seiner Jackentasche gehabt. Irgendwann habe er dann die Alarmanlage eines Autos gehört. Er sei nach unten gegangen und habe gesehen, dass es der Porsche des D… S… gewesen sei. Mit dem Schlüssel habe er den Alarm ausgeschaltet, sei zur U-Bahn gegangen und sei direkt zu seiner Verlobten gefahren. Er sei am Hohenzollernplatz ausgestieger und von dort mit dem Bus oder der Tram weiter Richtung L…platz gefahren. Er sei eine Station früher ausgestiegen, sei ziellos herumgelaufen und habe die Waffe und den Schlüssel in eine Mülltonne geworfen. Er sei dann zu seiner Verlobten gegangen. Die rote Schachtel auf dem Dachboden habe er in den nächsten Tagen auch weggeworfen. Er habe sich am nächsten Tag bei der Polizei gemeldet, um herauszufinden, ob er verdächtigt werde. Insbesondere habe er wissen wollen, ob ihn die Person, die ihm beim Einsteigen in das Auto entgegengekommen sei, habe beschreiben können. Seine Aussagen bei der Polizei seien zum Teil gelogen gewesen. Er könne bis heute nicht begreifen, was er getan habe und bereue dies zutiefst.
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b) Die Verteidigererklärung ergänzte der Angeklagte dahingehend, dass er angab, am Tattag im Laufe des Tages ca. 0,5 Gramm Kokain, verteilt auf 5 Lines, konsumiert zu haben. Er habe gegen 14.00 Uhr oder 14.30 Uhr mit dem Konsum begonnen, wobei er zu Hause unmittelbar vor der Tat zwei Lines nasal konsumiert habe, um das notwendige Selbstbewusstsein zu haben. Die Qualität des Betäubungsmittels sei gut gewesen. Seine psychische Verfassung an dem Tag sei nicht gut gewesen. Durch den Konsum sei er nicht empathisch gewesen, er habe negative Gefühle bzw. eine negative Stimmungslage gehabt.
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Insgesamt beschrieb der Angeklagte seine Verfassung ohne den Konsum von Kokain so, dass er sich unruhig gefühlt habe, er habe keine Alltagsmotivation gehabt, habe sich träge und schlapp gefühlt, sei aber auch hippelig gewesen und habe nicht gut schlafen können. Nach dem Rausch habe er sich träge und schlapp gefühlt. Mit Kokain habe er bis zu 3,5 Tage lange Wachphasen gehabt. Unter dem Einfluss von Kokain habe er ein extremes Verlangen verspürt, dem Glücksspiel nachzugehen. Wenn er unterwegs gewesen sei, sei er allerdings so abgelenkt gewesen, dass er wiederum kein Verlangen nach Glücksspiel verspürt habe. Daheim habe er dann aber Online-Casinospiele gespielt. Ohne Kokain habe er keine Lust zu spielen gehabt. Nach Gewinnen habe er seine Einsätze erhöht. Er habe sein Trinkgeld zum Spielen verwendet. Wenn das Geld aufgebraucht gewesen sei, habe er sich auch kein Kokain mehr kaufen können und habe in der Konsequenz ohne den Konsum auch kein Verlangen mehr gehabt zu spielen. Aus seiner Sicht habe sich durch den Konsum des Kokains sein Charakter verändert. So habe er gelogen und das Vertrauen nahestehender Personer missbraucht. Aufgrund seines Drogenkonsums habe er einmal eine anonyme Beratungsstelle aufgesucht. Nach der Festnahme sei es ihm nicht gut gegangen, allerdings habe er nicht unterscheiden können, ob dies auf den mangelnden Konsum oder die Inhaftierung zurückzuführen sei. Er habe selbst nie mit Drogen gehandelt. Während seiner Anstellungen in der Gastronomie sei es aber dazu gekommen, dass er gelegentlich für Bekannte etwas mitgekauft habe.
2. Zur Beweisführung im Einzelnen:
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a) Die Feststellungen zur Vorgeschichte der Tat beruhen weit überwiegend auf den Angaben des Angeklagten im Rahmen seiner Verteidigererklärung hierzu. Der Angeklagte schilderte die Beziehung zwischen ihm und D… S…. Auch wenn der Angeklagte nicht dazu bereit war, Nachfragen zu der Verteidigererklärung zu beantworten und die Erklärung daher einer Überprüfung durch die Kammer entzogen war, legt die Kammer die Einlassung des Angeklagten zur Vorgeschichte in objektiver Hinsicht der Entscheidung zugrunde.
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aa) Die Kammer geht davon aus, dass die von dem Angeklagten beschriebenen Drohungen und Einschüchterungsversuche durch D… S… tatsächlich stattgefunden haben, zumal es zu dem Charakter des D… S…, wie er von verschiedenen Zeugen beschrieben wurde, von denen viele mit ihm befreundet waren, passt. Auch aus verlesenen WhatsApp-Chatverläufen ergeben sich entsprechende Anhaltspunkte.
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(1) Der Zeuge M… schilderte, dass er D… S… seit vielen Jahren kenne. Früher seien sie besser befreundet gewesen, in den letzten 5, 6 Jahren weniger. Er beschrieb D… S… als einen „groben Kerl“, mit dem man keinen Spaß machen brauchte. Er hätte sich nicht mit diesem anlegen wollen und er wisse, dass dieser den David H… „sauber traktiert“ habe. Er wisse auch, dass das über einen längeren Zeitraum gegangen sei. Es sei um Geld und Zinsen gegangen. Er wisse, dass D… S… den David H… ausgezogen haben und gesagt haben soll, dass er „seine Alte auf den Strich schickt“. Der Zeuge M… konnte auch Angaben zu dem Vorfall auf dem Parkplatz des McDonalds vier bis sechs Wochen vor der Tat machen. Er sei zwar erst dort angekommen, als sich die Situation schon aufgelöst habe, er war aber der Auffassung, dass D… S… den Angeklagten dort angegangen sein müsse und ihn bedroht oder „gewatscht“ habe.
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(2) Der Zeuge F…, der D… S… als seinen besten Freund bezeichnete, schilderte, dass D… S… Leuten, bei denen er gewusst habe, er habe eine Chance dazu, Angst gemacht habe.
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(3) Der Zeuge E… schilderte, dass D… S… zu seinen Freunden freundlich gewesen sei. Bei Problemen sei er aber aggressiv und auch handgreiflich geworden.
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(4) Auch der Zeuge D…, der D… S… seit ca. 17 Jahren kannte, schilderte, dass dieser zwar nicht hoch aggressiv, aber auch kein „Chorknabe“ gewesen sei. Wenn jemand Schulden bei ihm gehabt habe, sei sein Verhalten zwischen aggressiv und genervt gewesen. Er wisse nicht, ob D… S… auch Gewalt angewendet hätte, aber er traue ihm durchaus einen rauen Ton oder Beschimpfungen zu.
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(5) Der Zeuge B… schilderte, dass D… S… „nicht der Netteste“ gewesen sei, wenn man sich nicht an abgemachte Sachen gehalten habe. Wenn etwas nicht so gelaufen sei, habe er auch mal „gewatscht“.
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(6) Weitere Rückschlüsse auf das Verhalten des D… S… gegenüber seinen Abnehmern bei ausstehenden Zahlungen ergeben sich aus der verlesenen WhatsApp-Kommunikation zwischen D… S… und dem Zeugen M…. Hierbei schrieb D… S… am 19.04.2019 unter anderem „Ich habs dir gesagt wenn Du heute nicht kommst das du sie kriegst du Fotze“ und am 24.04.2019 „Junge Willst du nich veraschen“. In der Folge antwortete der Zeuge M… „100 € habe ich da kannst du holen wenn du willst“. Aus der folgenden Kommunikation könnte man schließen, dass Treffen nicht zustande kamen. Am 04.05.2019 schrieb M… schließlich an D… S… „Circa 21:00 Uhr Bin ich zu Hause 150 € kannst du holen“ und S… antwortet: „Muss ich dich heute bewusstlos Hauen?“
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(7) Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Einlassung des Angeklagten auch plausibel ist, soweit er angegeben hat, dass sich D… S… damit gebrüstet habe, einem Bekannten eines E… D… ein Messer in den Oberschenkel gerammt habe, da dieser ihn bei einem Drogendeal abgezogen habe. Von diesem Vorfall hatten auch verschiedene Zeugen gehört. So gab der Zeuge F… (der sich im Vergleich zu seiner Aussage bei Polizei auf erhebliche Erinnerungslücken berief) an, dass D… S… „gelinkt“ worden sei und er sich daraufhin mit dem anderen gehauen habe. D… S… habe erzählt, er habe dem anderen Angst gemacht bzw. zugestochen. Er habe das dem D… S… aber nicht geglaubt. Der Zeuge D… gab zu diesem Vorfall an, dass D… S… Geld von Albanern gestohlen worden sein soll und es daraufhin zu einer Messerstecherei gekommen sein soll. Dies habe ihm D… S… so erzählt. Allerdings glaube er nicht, dass das so passiert sei. Als D… S… ihm das erzählt habe, seien sie beide betrunken gewesen. Auch der Zeuge E… gab an, dass er von einem Zwischenfall zwischen D… S… und einen E… D… gehört habe. Es habe angeblich eine Rauferei oder Schlägerei gegeben, er wisse davon aber nur vom Hörensagen. D… S… habe den E… dabei so geschlagen, dass sich dieser habe ins Krankenhaus begeben müssen. Der Zeuge O… gab an, dass er bei dem Vorfall selbst dabei gewesen sei. Es habe Probleme mit einem Familienmitglied des E… D… gegeben, der dem D… S… Geld gestohlen habe. D… S… sei zu D… gegangen und habe gesagt, er solle ihm diesen Menschen bringen. Dann habe D… S… den gepackt, von dem er dachte, er habe Geld und habe ein Messer an der Spitze genommen und ins Bein gestochen.
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Insgesamt stellt sich das Bild von D… S… jedenfalls so dar, dass er durchaus dazu in der Lage war, andere einzuschüchtern, ihnen zu drohen und auch nicht davor zurückschreckte, Gewalt anzuwenden.
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bb) Für den von dem Angeklagten geschilderten Vorfall an der Panzerwiese gibt es zwar keine unmittelbaren Zeugen, jedoch haben auch hier verschiedene Zeugen jedenfalls von dem Vorfall gehört und bei D… S… wurde bei einer Wohnungsdurchsuchung ein Gasrevolver aufgefunden.
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(1) So gab der - nicht sonderlich glaubhafte - Zeuge F… an, dass er einmal von der Geschichte gehört habe, dies sei aber schon lange her.
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(2) Dass D… S… jedenfalls der Gedanke nicht fremd war, ergibt sich auch aus der Aussage des Zeugen N…. Dieser bestätigte seine polizeiliche Aussage, wonach er den D… S… gefragt habe, was er mache, wenn David ihm am nächsten Tag das Geld nicht gebe und dieser ihm geantwortet habe, dass er ihn an der I. Straße nackt ausziehen werde und ihn von da nach Hause laufen lassen werde. Er habe aber nicht einschätzen können, ob D… S… das ernst gemeint habe. Ein solcher Vorfall solle sich auch vorher schon einmal ereignet haben, wobei der Zeuge N… nicht wisse, woher er dies gehört habe. D… S… habe ihm das jedenfalls nicht erzählt.
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(3) Die Zeugen D… und E… hatten von der Geschichte mittelbar über den Zeugen O… gehört. Dieser selbst schilderte im Rahmen der Hauptverhandlung, dass D… S… mit David H… in den Wald gefahren sei. Er habe ihm mit Worten Angst machen wollen, habe ihm aber sonst nichts gemacht. D… S… habe David H… zu Hause „gewatscht“, ob er dies auch im Wald gemacht habe, wisse er nicht.
60
(4) Die Spurensicherungsbeamtin KHKin E… schilderte, dass bei der Durchsuchung der auch von D… S… bewohnten Wohnung in der …straße … im Schlafzimmer des D… S… in einem TV-Board ein Gasrevolver mit Kartuschenmunition in einer Aufbewahrungsbox aufgefunden wurde. Insofern erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass - wie von dem Angeklagten geschildert - D… S… bei dem Zwischenfall eine Pistole aus dem Fahrzeug genommen habe.
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cc) Auch der von dem Angeklagten geschilderte Umstand, dass sich D… S… plötzlich nicht mehr an die vereinbarten Zahlungsmodalitäten habe halten wollen, erscheint vor dem Hintergrund des sonstigen Verhaltens des D… S… als plausibel. Die Kammer legt daher auch die Einlassung des Angeklagten zugrunde, soweit dieser angegeben hat, dass er bereits verschiedene Zahlungen an den Angeklagten geleistet hatte und damit die tatsächlich für die Drogen vereinbarten Zahlungen vollständig beglichen hatte. Rechnerisch verblieb es nach diesen Angaben des Angeklagten bei keiner Restforderung aus den eigentlichen Drogengeschäften. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Forderung, die D… S… an den Angeklagten gerichtet hatte, in ihrer vollen Höhe von 8.000 oder 9.000 Euro allein auf von diesem geforderten „Zinsen“ beruhte.
62
Aus den Angaben der Zeugen aus dem Umfeld des D… S… ergibt sich nicht zwingend ein anderes Bild. Zwar schilderte eine Reihe von Zeugen, dass der Angeklagte S. bei D… S… gehabt habe. Sie konnten jedoch keine genaueren Angaben zu den Gründen hierfür machen, insbesondere konnte keiner der Zeugen aus eigenem Wissen bekunden, dass im Raum stehende „Schulden“ nicht ausschließlich auf sogenannten „Zinsen“ beruhten, die D… S… von dem Angeklagten einforderte.
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(1) Der Zeuge N…, der noch am Tag vor der Tat bei einem Treffen des D… S… mit David H… dabei gewesen war, gab an, dass David H… bei D… S… noch Schulden gehabt habe und sie das persönlich hätten klären wollen. Es habe sich „wohl“ um einen Betrag von 8.000 Euro gehandelt. Dies habe er irgendwann von D… S… erfahren, er habe aber nicht gewusst, woher genau die Schulden gestammt hätten, sie sollen aber aus Drogengeschäften gekommen sein.
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(2) Der Zeuge O… gab an, dass er wisse, dass David H… bei D… S… Schulden gehabt habe. Das habe ihm der D… S… erzählt. Er wisse aber nicht, ob es sich um einen geliehenen Betrag oder um Drogenschulden gehandelt habe. Es sei um 3.000 oder 4.000 Euro gegangen. Es könne aber auch sein, dass er bei der Polizei 2.900 Euro gesagt habe. Er wisse nicht, wieviel D… S… später gefordert habe. Er glaube, dass D… S… aus 2.900 Euro eine Gesamtforderung von 5.000 Euro gemacht habe. Es könne aber auch stimmen, dass es sich um 2.900 Euro Schulden und 5.000 Euro Zinsen gehandelt habe, wie er bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben habe. D… S… habe mehrfach von Schulden erzählt, die der Angeklagte bei ihm gehabt habe. Der Zeuge O… berichtete weiter, dass D… S… dem David H… eine Frist bis zum 15. oder 16.03. gegeben habe. Ob David H… das Geld zusammenbekommen habe, wisse er aber nicht. Bei der Polizei hatte der Zeuge O… - wie KHK M… in der Hauptverhandlung wiedergab - geschildert, dass er wisse, dass der Angeklagte bei D… S… Schulden in Höhe von 2.900 Euro habe, außerdem seien 5.000 Euro Zinsen fällig.
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(3) Der Zeuge B…, der nach seinen eigenen Angaben den D… S… seit 20 Jahren kenne, gab an, dass ihm D… S… ca. einen Monat vor der Tat in einem Café erzählt habe, dass David H… 8.000 Euro Schulden bei ihm habe. Er wisse aber nicht, woraus diese Schulden resultiert hätten und in welcher Höhe sie noch bestanden hätten, bzw. ob D… S… in der Folgezeit sein Geld erhalten habe.
66
(4) Der Zeuge F…, der sich bei seinen Angaben auf erhebliche Erinnerungslücken berief, schilderte, dass der Angeklagte dem D… S… Geld geschuldet habe. Er wisse aber nicht wieviel und ob es sich um einen Betrag von 1.000 € oder 8.000 € gehandelt habe. Auch kenne er den Grund für die Schulden nicht. Er schilderte weiter, dass D… S… dem David H… „etwas“ gegeben habe, damit er seine Schulden abbezahle.
67
(5) Der Zeuge M… schilderte, dass er erst nach der Tat erfahren habe, dass der Angeklagte bei dem Geschädigten S. in Höhe von 4.000 Euro gehabt haben soll. Er selbst habe davon aber nichts gewusst.
68
(6) Der Zeuge D…, der den Angeklagten seit 2 Jahren kannte, den Geschädigten seit 17 Jahren, schilderte, dass er erst nach der Tat davon erfahren habe, dass der Angeklagte dem D… S… Geld aus Drogengeschäften geschuldet habe. Es solle sich um 2.000 Euro gehandelt haben, aber 8.000 Euro sollen gefordert worden sein.
69
(7) Der Zeuge M… gab zu den Schulden an, dass er „von den Jungs aus dem Viertel“ gehört habe, dass es dabei um einen Betrag von ca. 10.000 Euro aus Drogengeschäften gegangen sei. Er habe auch etwas von einer Zinsforderung in Höhe von 1.000 Euro pro Woche gehört. Auch der Zeuge E… gab an, dass er vom Hörensagen von den Schulden wisse. Vom Zeugen O… habe er einen Tag nach der Tat erfahren, dass es um eine Summe von 8.000 Euro gegangen sein soll, die aus Betäubungsmittelgeschäften bzw. Zinsen resultiert hätte, wobei er nicht wisse in welchem Verhältnis.
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Insgesamt ist festzustellen, dass viele der Zeugen keine unmittelbare Kenntnis von den Schulden hatte, sondern nur von Dritten davon gehört hatten, jedenfalls konnte keiner der Zeugen sicher sagen, dass neben den von D… S… eingeforderten Zinsen auch noch Beträge aus den Drogengeschäften zum Tatzeitpunkt offen gewesen wären.
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dd) Dass der Angeklagte von D… S… um Gefälligkeiten wie Fahrdienste gebeten wurde, wird durch die Aussage des Zeugen F… bestätigt. Dieser schilderte, dass D… S… den David H… angerufen habe, wenn er selbst für D… S… nicht dagewesen sei und dieser einen Fahrer gebraucht habe.
72
ee) Das Treffen zwischen D… S… und David H… am Vortag der Tat wurde durch den Zeugen P… N… bestätigt, der ebenfalls im Fahrzeug zugegen war. Dieser schilderte, dass er mit D… S… unterwegs gewesen sei und sie den Angeklagten abgeholt hätten. David H… habe bei D… S… noch Schulden gehabt und sie hätten das persönlich klären wollen. Es habe sich „wohl“ um einen Betrag von 8.000 Euro gehandelt. Dies habe er irgendwann von D… S… erfahren. Er habe nicht gewusst, woher genau die Schulden gestammt hätten, sie sollen aber aus Drogengeschäften gekommen sein. Die Stimmung zwischen beiden sei normal gewesen und sie hätten sich ganz normal miteinander unterhalten. Als sie David H… abgeholt hätten, habe dieser vielleicht aufgedreht, nicht aber eingeschüchtert gewirkt. Auch allgemein habe er nicht mitbekommen, dass es zwischen D… S… und David H… Stress gegeben hätte. Sie hätten sich darauf verständigt, dass sie sich am nächsten Tag treffen und David H… zahle.
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ff) Dass D… S… am 17.03.2020 am Nachmittag erstmals bei dem Angeklagten war, aber kein Geld bekommen hat, wird bestätigt durch den verlesenen WhatsApp Chatverlauf zwischen D… S… und P… N…. Am 17.03.2020 um 15.54.34 Uhr schrieb S… an N… „Bin bei ihn warte gerade auf deine Hunde Mutter“ „Seine“ und um 15.56.49: „Hab nix bekommen“.
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gg) Die Feststellungen zu dem erheblichen Kokainkonsum des D… S… am Tattag beruhen zunächst auf den Angaben des Angeklagten. Gestützt werden diese durch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. P…. Danach ergab sich aus der chemisch-toxikologischen Untersuchung des dem D… S… bei der Obduktion entnommenen Oberschenkelvenenblutes, dass dieser zur Tatzeit unter dem Einfluss von Kokain stand. Der Sachverständige führte aus, dass in der Blutprobe 64 µg/L Cocain, 1.300 µg/L Benzoylecgonin und 420 µg/L Ecgoninmethylester nachgewiesen worden seien. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ließen sich derartige Werte mit einer Kokainaufnahme erklären, die in etwa der entspreche, die der Angeklagte für sich angegeben habe.
75
hh) Die Angaben des Angeklagten, wonach D… S… dann am Abend zunächst mit zu ihm gefahren sei, er dann aber nochmal weggefahren sei, lässt sich mit der Angaben des Zeugen M… in Einklang bringen. Dieser schilderte, dass er den D… S… noch am Tattag gesehen habe. Nach einem Anruf um 18.15 Uhr habe man sich kurz danach in der …straße getroffen. D… S… sei an diesem Tag wie immer gewesen. Er habe diesem 150 Euro oder 270 Euro zurückgezahlt. Es habe sich um Schulden gehandelt, jedoch habe D… S… nicht besonders Druck gemacht, dass er die Schulden zurückbezahle. Nach dem Treffen seien beide mit ihren Fahrzeugen weggefahren. Er selbst sei zu sich nach Hause gefahren, D… S… sei in die … Straße abgebogen.
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ii) Auch die Angaben des Zeugen N… lassen sich mit dem vom Angeklagten geschilderten Ablauf in Einklang bringen. Dieser hat angegeben, dass er ein Telefonat mit D… S… geführt habe, bei dem dieser ihm erzählt habe, dass er schon bei David H… und seiner Freundin sei. Sie würden auf die Mutter von David H… warten, diese bringe das Geld vorbei. Die beiden seien dann zu der Wohnung von David H… gefahren. D… S… habe ihn dann erneut angerufen und gesagt, dass sie das Geld nicht finden würden. Später habe D… S… nochmals angerufen und gesagt, dass David H… angerufen habe und gesagt habe, dass er das Geld gefunden habe. D… S… habe gesagt, dass er nun hinfahre und das Geld abhole. Danach hätten sich die beiden dann treffen wollen. Zu diesem Treffen sei es dann aber nicht mehr gekommen. Er habe mehrfach versucht, S… zu erreichen, was ihm aber nicht mehr gelungen sei.
77
jj) Hinsichtlich der bei der Tat verwendeten Waffe führte der Sachverständige M… aus, dass es sich bei den drei am Tatort gesicherten Patronen um solche des Typs 6,35 Browning gehandelt habe. Der Bodenstempel der Patronen „PDM 34“ weise auf das Fertigungsjahr 1934 hin. Das Spurenbild, das drei gräuliche Verfärbungen am Fahrzeughimmel aufgewiesen habe, die Blei und Kupferspuren enthalten hätten und bei denen es sich daher aus seiner Sicht um Hülsenaufprallstellen handelt, spreche dafür, dass es sich bei der verwendeten Waffe um eine Selbstladewaffe, also eine Pistole gehandelt habe.
78
kk) Die Parksituation des Porsche des D… S… ergibt sich aus den in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbildern von der Auffindesituation.
79
b) Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen in objektiver Hinsicht ebenfalls weit überwiegend auf den eigenen Angaben des Angeklagten.
80
aa) Dieser hat eingeräumt, dass er vor dem Einsteigen um das Auto herumgegangen sei und dass er sich gezielt auf den Rücksitz auf der Beifahrerseite gesetzt habe. Das objektive Geschehen vor dem Einsteigen wurde von dem Zeugen M… bestätigt, der angegeben hat, dass er eine Person beobachtet habe, die auf dem Gehweg gewartet habe, als er gesehen habe, dass ein Porsche Panamera vorfährt, der sich gegen die Fahrtrichtung in eine Einfahrt gestellt habe. Der Motor sei nach dem Anhalten nicht abgestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei er geschätzt 30 Meter von dem Fahrzeug entfernt gewesen und sei zügigen Schrittes in Richtung des Fahrzeugs gegangen. Gleichzeitig habe er sein Handy bedient. Er habe weiter beobachtet, dass ein Mann hinten um das Auto herumgegangen sei und sich auf den hinteren rechten Sitz gesetzt habe. Außer dem Fahrer habe sich sonst keine Person in dem Fahrzeug befunden. In diesem Moment sei er nicht weit (von ihm geschätzt ca. 1,5 Autolängen) von dem Fahrzeug weg gewesen. Es habe sich um einen ca. 180 cm großen Mann gehandelt, der etwa 28 Jahre alt gewesen sei und der ihm nervös vorgekommen sei. Er sei auf der Stelle getreten, als ob er auf jemanden gewartet habe. Als er etwa 10 Meter vorbei gewesen sei, habe er drei schnell aufeinanderfolgende dumpfe Geräusche gehört, wobei er in der Hauptverhandlung Geräusche im Abstand von ca. einer Sekunde demonstrierte. Außerdem habe er ein Surren bemerkt, das er nicht habe zuordnen können. Den Zeitraum zwischen dem Einsteigen der Person und den Geräuschen schätzte der Zeuge zunächst auf 10 bis 15 Sekunden, auf Vorhalt seiner polizeilichen Aussage gab er an, dass es auch 10 bis 20 Sekunden gewesen sein könnten. Aus Sicht der Kammer steht fest, dass nach dem Einsteigen lediglich wenige Sekunden vergangen waren, bis der Angeklagte die Schüsse abgefeuert hat. In diesem Zusammenhang kommt es aus Sicht der Kammer nicht entscheidend darauf an, ob zwischen dem Einsteigen und den Schüssen 10, 20 oder etwas mehr als 20 Sekunden vergangen waren, weshalb auch dem Hilfsbeweisantrag der Verteidigung nicht nachzugehen war, der unter der Bedingung gestellt worden war, dass die Kammer davon ausgeht, zwischen dem Einsteigen des Angeklagten in den Porsche und dem ersten Schuss seien weniger als 20 Sekunden vergangen.
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bb) An der Täterschaft des Angeklagten bestehen keinerlei Zweifel. Der Angeklagte hat selbst eingeräumt, dass er dreimal auf D… S… geschossen hat. Eines Geständnisses des Angeklagten bedurfte es allerdings nicht, um ihn der Tat zu überführen, da der Angeklagte aufgrund der Spurenlage zur Überzeugung der Kammer eindeutig der Tat überführt ist.
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(1) Im Fahrzeug des D… S… und an der zur Tatzeit getragenen Kleidung des Angeklagten wurden verschiedene Spuren gesichert, die im Zusammenhang mit der Tat gesetzt worden sein müssen.
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(1.1) Der Sachverständige KHK B… erläuterte sein Gutachten zu den im Fahrzeug aufgefundenen Finger- und Handflächenspuren dahingehend, dass 26 gesicherte Spuren an ihn übersandt worden seien, wobei 20 Fingerspuren und fünf Handflächenspuren auswertbar gewesen seien. Über einen Abgleich mit der Datenbank habe es zunächst Treffer mit drei in der Datenbank erfassten Personen gegeben. Daneben hätten neun Spuren eindeutig dem Angeklagten zugeordnet werden können. Hierbei habe es sich bei den an der Mittelkonsole im Bereich der Rücksitze gesicherten Spuren 2.2.0.08, 2.2.0.09.1 und 2.2.0.11 jeweils um den Abdruck des linken Mittelfingers des Angeklagten gehandelt. Bei der unter der Spurennummer 2.2.0.17 auf der Beifahrerseite an der Tür hinten am Türöffner innen gesicherten Spur habe es sich um den rechten Ringfinger des Angeklagten gehandelt. Bei Spur 2.2.0.22.1, gesichert an der Beifahrerseite hinten am Griff außen rechts, habe es sich um den rechten Daumen des Angeklagten gehandelt. Die vier Spuren 2.2.0.23.1 bis 2.2.0.23.4 seien alle auf der Beifahrerseite an der B-Säule gesichert worden und seien alle eindeutig mit der linken Handfläche des Angeklagten verursacht worden. Ergänzend führte der Sachverständige aus, dass aus seiner Sicht keine Spuren des Angeklagten mehr hätten gesichert werden können, wenn nach dem Angeklagten eine dritte Person die gleiche Stelle berührt hätte. Der Sachverständige KHK Marxreiter schilderte, dass nach den Grundsätzen der Daktyloskopie feststehe, dass die Handflächenspur 2.2.0.01, gesichert an der Tür auf der Beifahrerseite hinten (außen), von dem Angeklagten verursacht worden sei.
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(1.2) Der Sachverständige M… führte aus, dass Abtastungen zur Untersuchung auf Schmauchspuren vorgenommen worden seien und insgesamt 28 Stiftprobenteller auf Schmauchrückstände untersucht worden seien. Davon seien acht an Hand und Kopf des Geschädigten abgenommen worden, vier an der Hand einer als „Zeuge N.“ benannten Person, sechs im Handbereich einer als „Zeuge H.“ bezeichneten Person, einer am Fahrersitz und drei am Fahrzeughimmel, darüber hinaus einer an einer Patronenhülse und einer an der Aufbewahrungstüte. Außerdem seien 30 Stiftprobenteller untersucht worden, die von verschiedenen Bekleidungsstücken abgenommen worden seien, unter anderem der Jacke mit der Spurnummer 6.2.02 (die im linken Kleiderschrank bei der Freundin des Angeklagten im Zimmer sichergestellt wurde) und der Jacke mit der Spurnummer 6.2.01 (einer schwarz/weißen Jacke mit Reißverschluss, die in der Wohnung in der D. Straße im Bad sichergestellt wurde). Zur Auswertung der Proben führte der Sachverständige aus, dass an den Proben, die an den Händen des „Zeugen H.“ gesichert worden seien, keine Schmauchspuren hätten gefunden werden können. An beiden Jacken konnten nach den Ausführungen des Sachverständigen P. festgestellt werden, die typisch für Schussrückstände sind. In ihrer Charakteristik (Material und Zusammensetzung) hätten diese mit den Referenzproben übereingestimmt. An der schwarzen Jacke (6.2.0.1) habe sich die Mehrzahl der Partikel am Ärmelbund links befunden, bei der weiß/schwarzen Jacke (6.2.02) sei die überwiegende Anzahl der Partikel an den beiden Känguru-Taschen aufgefunden worden.
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(1.3) Der DNA-Sachverständige Dr. G… führte aus, dass an der bei dem Angeklagten sichergestellten weiß-schwarzen Jacke mit Reißverschluss mit der Asservatennummer 6.2.02 Proben an einer langgestreckten rotbraunen Anhaftung an der Vorderseite der linken Hüfte untersucht worden sei. Dabei habe bei der Untersuchung der Probennummer 004-001 ein Blutvortest positiv reagiert. Es habe sich um eine Mischspur von mindestens drei Verursachern gehandelt, wobei die Hauptkomponente vollständig mit der Vergleichsprobe S. 1994. D… übereingestimmt habe, die von dem Geschädigten stamme. Die statistische Häufigkeit einer übereinstimmenden Genotypenkombination bei der nichtverwandten europäischen Bevölkerung liege bei weniger als 1: 35 Trilliarden. Außerdem seien an der gleichen Jacke (Asservatennummer 6.2.02) eine Probe von einem rot-braunen Partikel aus der linken Tasche (Probennummer 0004-006) und eines Ausschnitts einer sehr winzigen rotbraunen Anhaftung im Eingriffsbereich an der linken Tasche innen (Probennummer 0004-012) untersucht worden. Auch hier sei der Geschädigte mit höchster Wahrscheinlichkeit Hauptverursacher der Spur.
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(1.4) Die DNA-Sachverständige Prof. Dr. A… war mit der Auswertung der im Porsche des Geschädigten sichergestellten DNA-Spuren befasst. Diese führte aus, dass es sich bei der an der am Rücksitz hinten rechts am Gurtschnapper gesicherten Spur 2.2.0.70 um eine Mischspur von mindestens vier Verursachern handele, bei der die Merkmale des Angeklagten vollständig enthalten waren, sodass dieser als Mitverursacher nicht auszuschließen sei. Bei der im Bereich des Rücksitzes gesicherten Spur 2.2.0.77 handele es sich ebenfalls um eine Mischspur, bei der in einem System ein Merkmal des Angeklagten nicht reproduzierbar gewesen sei, ansonsten jedoch alle Merkmale vorhanden gewesen seien, sodass auch hier der Angeklagte als Verursacher nicht auszuschließen sei. Weiter führte sie aus, dass der rechte Rücksitz in verschiedene Bereiche unterteilt worden sei und dort jeweils Spuren mittels einer Neschenfolie gesichert worden seien und hiervon Einzelpartikel untersucht worden seien. So sei von der Folie mit der Spurnummer 2.2.0.84 (gesichert am Rücksitz hinten rechts im Bereich OA) der Partikel 1 untersucht worden, von der Folie mit der Spurnummer 2.2.0.87 (gesichert am Rücksitz hinten rechts im Bereich 3A) der Partikel 3 und der Partikel 28 und von der Folie mit der Spurnummer 2.2.0.91 (gesichert am Rücksitz hinten rechts im Bereich 7A) der Partikel 9. In diesen drei Partikeln sei die DNA des Angeklagten vollständig darstellbar gewesen, sodass die jeweilige Spur mit einer biostatistischen Wahrscheinlichkeit von 1 zu über 30 Milliarden von dem Angeklagten verursacht worden ist. Außerdem weise der Partikel 4 in einer am Beifahrersitz im Bereich 4A unter der Spurnummer 2.2.0.252 abgenommenen Neschenfolie vollständig die Merkmale des Angeklagten auf und stamme daher mit einer Wahrscheinlichkeit von über 1: 30 Milliarden von dem Angeklagten.
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(2) Darüber hinaus sprachen verschiedene weitere Indizien für eine Täterschaft des Angeklagten.
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(2.1) So berichtete der Zeuge KHK M… zur Sicherstellung der Kleidung des Angeklagten, dass dieser bei seiner ersten Vernehmung als Zeuge am 18.03.2020 angegeben habe, dass er am Tag zuvor eine Bluejeans, eine dunkelblau/schwarze Polyesterjacke mit einem Reißverschluss und einer Kapuze getragen habe. Übergeben habe er jedoch zunächst eine Bluejeans und eine Strickjacke, die jedoch nicht mit der Beschreibung seiner Kleidung in seiner Einvernahme als Zeuge übereingestimmt habe. KHK K… führte aus, dass am 20.03.2020 mehrfach darauf insistiert worden sei, die am Tattag getragene Jacke herauszugeben, nachdem der Polizei durch die Sichtung der Videoaufzeichnungen der U-Bahn-Station „Am Harthof“ bekannt geworden sei, dass die zuvor von dem Angeklagten als angeblich am Tattag getragene Kleidung übergeben worden war nicht derjenigen entsprochen habe, die auf dem Video ersichtlich gewesen sei, das den Angeklagten gezeigt habe. Erst nachdem die Zeugin A… D… gefragt habe, ob sie alleine mit dem Angeklagten sprechen dürfe, habe diese schließlich eine Jacke aus dem Bad geholt und der Polizei überreicht. Auf die Nachfrage des Polizeibeamten, was passiert sei, habe er die Antwort bekommen, dass der Angeklagte ihr gesagt habe, dass er sich vertan habe und deshalb bei der Polizei eine andere Jacke abgegeben habe. Er habe befürchtet, sich durch eine Änderung seiner Aussage verdächtig zu machen. Die Jacke habe er wegwerfen wollen und sie habe sich bereits in einem Müllsack befunden. KHK M… berichtete, dass die Jacke, die der Angeklagte am Tattag getragen habe, letztlich habe sichergestellt werden können.
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(2.2) Die Zeugin A… D… bestätigte, dass durch die Polizei immer wieder nachgefragt worden sei, ob der Angeklagte die richtige Jacke übergeben habe. Die richtige Jacke habe zu Hause im Flur gehangen. Der Angeklagte habe diese wegwerfen wollen und dies damit begründet, dass er seine bei der Polizei gemachte Aussage nicht nochmals revidierten wolle, da er sich sonst verdächtig mache. Die Jacke habe sich schon in einer Mülltüte befunden. Davon hätten aber sie und ihre Mutter ihm abgeraten. Er habe dann der Polizei gegenüber eingeräumt, dass er die falsche Jacke übergeben habe und diese sei schließlich an die Polizei übergeben worden.
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(2.3) Darüber hinaus hatte der Angeklagte am Tag nach der Tat sein Handy zurückgesetzt.
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Hierzu gab die Zeugin A… an, dass der Angeklagte an dem Tag, als sie von der Tat erfahren habe, also am 18.03.2020, sein Handy habe zurücksetzen wollen. Sie sei davon ausgegangen, dass dies wegen einem Drogengeschäft erfolgen sollte. Sie seien in der Vergangenheit einige Male getrennt gewesen. In dieser Zeit habe es andere Frauen gegeben, sodass sie es gut gefunden habe, dass durch die Löschung auch die Bilder weg gewesen seien. Allerdings habe David H… ihr gegenüber keinen Grund dafür angegeben, warum er sein Handy habe zurücksetzen wollen. Bereits vor dem Zurücksetzen des Handys hätte er den Chat mit D… S… gelöscht gehabt.
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(2.4) Aus der in der Hauptverhandlung verlesenen WhatsApp-Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten zwischen dem 16.03.2020, 13.36 Uhr und dem 17.03.2020, 18.36 Uhr ergab sich, dass ein Problem zwischen dem Angeklagten und D… S… bestanden hatte. So fragte D… S… den Angeklagten, was er denke wer er sei und bezeichnete ihn als Hundesohn, worauf dieser Antwortete „Heute 17.30 Uhr hast Du alles;) Ist da. Spätestens 18 Uhr aller aller spätestens“ Später folgen Nachrichten des D… S… mit dem Inhalt „Wenn Du mich anlügst“ „David ich schwör“ „Ich Steck den nieder man“. In der Folge dreht es sich in der Kommunikation weiter um eine Abhebung der Mutter des Angeklagten.
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(2.5) Zuletzt wurde der Angeklagte am Abend des 17.03.2020 um 19.48 Uhr von einer MVG-Kamera an der U-Bahn-Haltestelle „Am Harthof“ aufgezeichnet. Er war also in zeitlichem Zusammenhang zur Tat im Bereich des Tatortes.
94
Insgesamt bestehen in der Gesamtschau der ausgewerteten Spuren und der Indizien keine Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten.
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cc) Die Kammer ist de: Überzeugung, dass der Angeklagte die Waffe in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Tat entsichert hat, nachdem er sie aus der Jacke genommen hatte.
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(1) Der Angeklagte machte in seiner Einlassung weder Angaben zum Laden, noch zum Durchladen oder Entsichern der Waffe im Zusammenhang mit der Tat. Er schilderte lediglich, dass er die Waffe von einem Familienmitglied erhalten habe. Munition sei auch in der Schachtel gewesen. Er habe die Waffe damals nur angeschaut und ein bisschen herumgespielt, d.h. den Lauf vor- und zurückgezogen und Munition eingelegt. Nachfragen durch die Kammer waren nicht zugelassen.
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(2) Die Kammer hält es allerdings für ausgeschlossen, dass der Angeklagte eine geladene, durchgeladene und entsicherte Waffe auf dem Dachboden aufbewahrt hat und die Waffe in genau diesem Zustand in seine Jackentasche eingesteckt hätte. Insofern ist die Kammer nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Angeklagte über genügend waffentechnische Kenntnisse verfügt hat, um nicht eine geladene scharfe Waffe ungesichert in seine Jackentasche zu stecken. Insoweit hat der Polizeibeamte KHK Z… angegeben, dass der Angeklagte in seiner zweiten Zeugenvernehmung vom 19.03.2020 eingeräumt habe, dass er jedenfalls zu Silvester 2019/2020 eine Pistole abgefeuert habe. Auch der Angeklagte selbst hat eingeräumt, jedenfalls bei Erhalt der Waffe an dieser hantiert zu haben, den Lauf vor und zurück geschoben zu haben und Munition eingelegt zu haben. Dem Angeklagten war demnach die Handhabung einer Pistole nicht fremd. Auch zeigt sich an dem Umstand, dass der Angeklagte in der Lage war, die Waffe in der konkreten Tatsituation ohne weiteres Hantieren sofort abzufeuern, als D… S… zu ihm nach hinten griff, dass der Angeklagte im Umgang mit einer Waffe nicht gänzlich ungeübt war. In diesem Zusammenhang bleibt anzumerken, dass der Kammer die Einlassung des Angeklagten, wonach er nicht gewusst habe, ob die Waffe funktioniere oder wieviel Munition darin gewesen sei, vollkommen lebensfremd erscheint und sie insoweit dem Angeklagten nicht folgt. Insofern wäre es im Übrigen absolut fernliegend, an einer Waffe, deren Ladungs- und Sicherungszustand man nicht kennt, den Abzug zu betätigen, zumal der Angeklagte nach eigenen Angaben die Waffe nur deshalb mitgenommen haben will, um D… S… Angst zu machen. Die Einlassung des Angeklagten bietet hierzu keine Erklärung und ist im Übrigen nicht stringent, soweit er angegeben hat, dass er D… S… nur habe Angst machen wollen, damit dieser von seinen unberechtigten Forderungen abrückt, dann aber beim Vorziegen der Waffe gesagt haben will, dass er für die Beschaffung des Geldes mehr Zeit benötige. Im Zusammenhang mit einer solchen Aussage macht das Vorzeigen der Waffe außerdem überhaupt keinen Sinn, da der Angeklagte - für den Fall, dass er nur vorgehabt hätte, dem D… S… zu drohen bzw. mit der Zahlung zu vertrösten - bei jedem weiteren Treffen hätte damit rechnen müssen, dass dieser sich seinerseits - entsprechend seines bisherigen Verhaltens - für die Bedrohung mit der Waffe revanchiert hätte. Insofern geht die Kammer auch nicht von einem spontanen Tatentschluss des Angeklagten sus, sondern von einem geplanten Vorgehen des Angeklagten.
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dd) Der Sachverständige M… führte zur Position der Waffe aus, dass aufgrund des Spurenbildes, namentlich den Verfärbungen am Fahrzeughimmel und dem Umstand, dass am Fahrersitz auf der Seite Spuren von Blei (wie er im Anzündsatz von Geschossen vorkommt) gefunden worden seien, davon auszugehen sei, dass sich die Waffe bei der Schussabgabe zwischen beiden Vordersitzen bzw. leicht dahinter befunder haben müsse. Außerdem schilderte der Sachverständige, dass er Versuche mit zwei Vergleichswaffen und handelsüblichen Patronen auf ein Simulanzmedium durchgeführt habe. Die Schmauchbelegung, wie sie bei der vom Geschädigten getragenen Jacke um die Stoffdefekte festgestellt worden sei, entspreche danach einer Schussentfernung von 10 bis 20 cm, wobei es bei den verwendeten Waffen mit unterschiedlich langen Läufen keine signifikanten Abweichungen gegeben habe. Zwar handele es sich hierbei um eine grob orientierende Angabe, da das Ergebnis auch von der verwendeten Munition abhänge, allerdings bleibe das Ergebnis in diesem Bereich. Die Schussentfernung zur Wange gab der Sachverständige aufgrund des Spurenbildes mit der gleichen Distanz an. Der Schuss in den Hinterkopf rechts sei hingegen fast aufgesetzt bzw. aus nur wenigen Zentimetern Entfernung abgefeuert worden, wobei der Sachverständige diese Entfernung mit unter 10 Zentimetern angab. Aufgesetzt sei dieser Schuss aber jedenfalls nicht gewesen, da keine Schmauchhöhle vorgefunden worden sei, die in einem solchen Fall zwingend zu erwarten gewesen wäre.
99
ee) Die durch die Projektile verursachten Verletzungen und Schussreihenfolge ergeben sich aus den Ausführungen des gerichtsbekannt sehr erfahrenen rechtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. P…. Dieser führte aus, dass bei der Obduktion an dem Leichnam drei Schussverletzungen festgestellt worden seien.
100
(1) Ein Schuss, bei dem es sich sicher um den ersten Einschuss gehandelt habe, habe sich über dem rechten Jochbeinkörper befunden, 7 cm rechts der Mittellinie, 4 cm unterhalb des äußeren Augenwinkels. Um den Einschuss hätten sich in einem Durchmesser von ca. 7 cm Pulverplättcheneinsprengungen befunden, jedoch habe die Wunde keinen Schmauchhof aufgewiesen. Es läge damit ein weiterer relativer Nahschuss vor. Es sei davon auszugehen, dass die Waffe bei diesem Schuss schräg gehalten worden sei (von oben nach unten gekippt), da im oberen Bereich der Wunde mehr Einsprengungen vorgelegen hätten, als im unteren Bereich. Die Zunge habe rechts etwa 5 cm hinter der Zungenspitze eine lochartige Aufreißung von 1,5 × 1,5 cm aufgewiesen. Deutlich unterhalb hätten zwei Teile eines Projektils und ein Zahnfragment aus dem Oberkiefer aufgefunden werden können. Die Verletzung der Zunge habe zu einer starken Blutung geführt.
101
(2) Über dem rechten Hinterhauptshöcker 13,5 cm höher als der Einschuss im Nacken, 6,5 cm rechts der Mittellinie mit dem Zentrum habe sich ein näherer relativer Nahschuss mit einem Schmauchhof mit einem Durchmesser von 1,3 cm befunden. Die Ränder seien nicht adaptierbar gewesen. Bei der inneren Besichtigung habe eine etwa 8 cm im Durchmesser messende Einblutung festgestellt werden können. Der Schuss müsse noch wenige Minuten überlebt worden sein.
102
(3) Ein offensichtlicher Einschuss habe sich 155 cm hoch (bei einer Schulterhöhe von 152 cm) befunden in der unteren Nackenregion, fast exakt in der Mittellinie. Der Schusskanal sei durch die Schädelkapsel durch das Großhirn steil nach rechts oben verlaufen und habe das Kleinhirn quer durchschossen.
103
Es könne aufgrund der Spurenlage sicher gesagt werden, dass es sich bei dem Einschuss in das Jochbein um den ersten Schuss gehandelt haben muss. Der Sachverständige führte aus, dass D… S… nach diesem Schuss zwar sicher Schmerzen verspürt habe, aber nur nach diesem Schuss noch selbst handlungsfähig gewesen sein könne. Da sich die weiteren Schussverletzungen bei einem auf dem hinteren rechten Rücksitz befindlichen Schützen nur so erklären ließen, dass D… S… noch selbst seinen Kopf nach vorne gedreht haben muss, aber jeder der beiden anderen Schüsse unmittelbar zur Bewusstlosigkeit geführt hätten, seien diese als erster Schuss auszuschließen. Der zweite Schuss in den Hinterhauptsbereich sei aus einer Entfernung von 2 bis 5 cm abgefeuert worden, was nur mit einem Nachführen der Schusshand erklärbar sei. Die Einschussstelle lasse sich mit der Vorwärtsdrehung des Kopfes in Einklang bringen. Folge des Schusses sei eine Bewusstlosigkeit gewesen, wobei der Kopf nach vorne übergekippt sei. Der Schuss in den Nacken lasse sich mit einem nach vorne, leicht nach links geneigten Kopf gut erklären. Allerdings führte der Sachverständige aus, dass auch hier die Schusshand wieder habe nachgeführt werden müssen, weil es sich auch hier um einen sehr nahen Schuss gehandelt habe, sich der Kopf nach dem zweiten Schuss jedoch relativ weit nach vorne weggeneigt habe. Insofern folgt die Kammer der Einlassung des Angeklagten nicht, soweit er angegeben hat, dass er mit geschlossenen Augen geschossen habe.
104
(4) Ergänzend führte der Sachverständige Prof. Dr. P… aus, dass es D… S… aufgrund der räumlichen Gegebenheiten in dem Fahrzeug und seines kräftigen Körperbaus nicht möglich gewesen sei, sich vollständig zu dem Angeklagten umzudrehen.
105
ff) D… S… wurde erst an dem auf die Tat folgenden Tag leblos in dem Fahrzeug aufgefunden. Die Tatzeit konnte eingegrenzt werden durch die Angaben des Zeugen M… und die Auswertung der Handydaten des D… S…. Wie der Polizeibeamte KHK S…, der mit der Auswertung des iPhones des D… S… betraut war, im Rahmen seiner Vernehmung schilderte, war auf dem Gerät am 17.03.2020 ab 18.39 Uhr keinerlei ausgehende Kommunikation mehr festzustellen. Zu diesem Zeitpunkt habe ein letztes Telefonat mit P… N… festgestellt werden können. Zuvor sei um 18.34 Uhr 54 Sekunden lang mit dem Angeklagten telefoniert worden.
106
gg) Dass D… S…, wie vom Angeklagten geschildert, noch nach hinten gegriffen hat, lässt sich mit der Spurenlage in Einklang bringen. Der Sachverständige M… gab an, dass auf den Stiftprobentellern, die an der rechten und der linken Hand des Geschädigten abgenommen worden seien, jeweils Schmauchspuren mit mehr als 100 Partikeln pro Stiftprobenteller nachgewiesen worden seien.
107
c) Die Feststellungen zu den Tatfolgen ergeben sich aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. P…. Dieser führte zur Todesursache aus, dass die beiden Schüsse in das Hirn nicht unmittelbar zum Todeseintritt geführt hätten. Es seien in den unteren Lungenteilen Zeichen einer erheblichen Blutaspiration gefunden worden. Dies spreche dafür, dass D… S… in bewusstlosem Zustand noch Blut eingeatmet habe und nach wenigen Minuten an der Blutaspiration verstorben sei. Eventuell könne auch die Blutung im Hirnkammersystem zum Tod geführt haben, wobei dieser jedenfalls binnen Minuten eingetreten sein müsse.
108
d) Die Feststellungen zum Nachtatverhalten beruhen auf den eigenen Angaben des Angeklagten, die die Kammer de: Entscheidung zugrunde gelegt hat. Diese werden gestützt durch die Ausführungen von KHK Z…, der berichtete, dass der Porsche des Geschädigten um 19.43 Uhr letztmals verriegelt worden sei. Da der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war und der Angeklagte die Autoschlüssel an sich genommen hatte, musste dies durch den Angeklagten erfolgt sein.
109
e) Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhen auf den eigenen Angaben des Angeklagten, der Beschreibung des Zustandsbildes des Angeklagten durch verschiedene Zeugen, den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. P… und Dr. L… und einer in Augenschein genommenen Videoaufnahme, die in zeitlichem Nachgang zur Tat aufgezeichnet wurde und die den Angeklagten beim Aufsuchen der U-Bahn zeigt.
110
(1) Der Angeklagte hat zu seinem Alkohol- und Drogenkonsum am Tattag angegeben, dass er keinen Alkohol getrunken habe. Am Tattag habe er im Laufe des Tages ca. 0,5 Gramm Kokain, verteilt auf 5 Lines, konsumiert. Gegen 14.00 Uhr oder 14.30 Uhr habe er mit dem Konsum begonnen, wobei er zu Hause unmittelbar vor der Tat zwei Lines nasal konsumiert habe, um das notwendige Selbstbewusstsein zu haben. Die Qualität des Betäubungsmittels sei gut gewesen. Seine psychische Verfassung an dem Tag sei nicht gut gewesen. Durch den Konsum sei er nicht empathisch gewesen, er habe negative Gefühle bzw. eine negative Stimmungslage gehabt.
111
(2) Da sich der Angeklagte einem Zugriff der Ermittler unmittelbar nach der Tat durch Flucht entzogen hatte, konnte ihm in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zur Tat keine Blutprobe entnommen werden, die Grundlage für eine Analyse auf vorangegangenen Drogenkonsum hätte sein können und es damit ermöglicht hätte, die Angaben des Angeklagten objektivierbar zu überprüfen. Eine Blutabnahme erfolgte erst am 27.03.2020 um 8.17 Uhr. Dem festgestellten Promillewert von 0,0 Promille kommt daher kein weitergehender Aussagewert zu. Wie der Sachverständige Prof. Dr. P… ausführte, habe bei der chemisch-toxikologischen Untersuchung ein Wert für die THC-Carbonsäure ermittelt werden können, der auf einem sehr niedrigen Niveau gelegen habe und der für einen Cannabiskonsum spreche, der Tage, möglicherweise aber auch Wochen zurückliege. Da die Blutabnahme jedoch erst am 27.03.2020 erfolgte, komme auch diesem Wert keine Aussagekraft im Hinblick auf eine Drogenintoxikation zur Tatzeit zu.
112
(3) Der Sachverständige Prof. Dr. P… führte weiter aus, dass der Angeklagte nach seinen eigenen Angaben zum Tatzeitpunkt ab 14.00 Uhr ca. 0,5 Gramm Kokain konsumiert habe, davon zuletzt gegen 18.30 Uhr ein bis zwei Lines á 0,1 Gramm. Zu berücksichtigen sei, dass der Angeklagte in seiner Zeugenvernehmung bei der Polizei zunächst angegeben habe, dass er kein Kokain konsumiert habe und aus dieser Aussage keine Berechnung möglich sei. Aus der Literatur ergebe sich bei der Aufnahme von 2 Gramm Kokain täglich nach 2 Wochen ein Wert von 4.900 µg/l Benzoylecogonin und 1.260 µg/l Kokain. Nach der Summenregel ergäbe sich nach den eigenen Angaben des Angeklagten grob geschätzt ein Wert von ca. 1.500-2.000 zum Tatzeitpunkt, der Wert an sich sei jedoch ohne eine Aussagekraft.
113
(4) Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit maßgeblich ist eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen.
114
(4.1) Der Angeklagte selbst machte keine drogenbedingten Ausfallerscheinungen oder drogenbedingte Erinnerungslücken geltend. Zwar gab er an, dass seine psychische Verfassung an dem Tag nicht gut gewesen sei. Durch den Konsum sei er nicht empathisch gewesen, er habe negative Gefühle bzw. eine negative Stimmungslage gehabt. Allerdings ergibt sich aus seinen eigenen Schilderungen, dass er eine durchgängige Erinnerung an das Geschehen am Tattag hat und er bei der Tat und auch bei seinem Verhalten nach der Tat äußerst zielgerichtet und überlegt handelte. So ging er vor der Tat auf den Dachboden, wo er eine dort aufbewahrte Waffe holte, und handelte auch nach der Tat durchweg zielgerichtet. So nahm er beispielsweise den Fahrzeugschlüssel aus dem Fahrzeug an sich, kehrte später zum Fahrzeug zurück, als die Alarmanlage anging und schaltete diese wieder aus, entsorgte die Tatwaffe und fuhr mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück zu seiner Freundin.
115
(4.2) Die Zeugen, die den Angeklagten in zeitlichem Zusammenhang zur Tat gesehen haben, haben ebenfalls keine gravierenderen drogenbedingten Auffälligkeiten beim Angeklagten am Tatabend wahrgenommen.
116
(4.2.1) Der Zeuge K…, bei dem es sich um einen Freund des Stiefbruders des Angeklagten handelt, der sich am Tattag in der Wohnung in der … Straße 23 aufhielt, hat den Angeklagten in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zur Tat gesehen. Der Angeklagte sei nach Hause gekommen und habe ihn begrüßt, als er ihn gesehen habe. Er sei dann wieder gegangen. Später sei er nochmal gekommen und dann wieder gegangen. Dies sei zwischen 17.00 Uhr und 19.00 Uhr gewesen. Der Angeklagte habe sich jeweils ca. 10 Minuten in der Wohnung aufgehalten und habe sich nicht anders verhalten als sonst.
117
(4.2.2) Der Zeuge M… gab zwar an, dass ihm die Person, die später in den Porsche eingestiegen sei, nervös vorgekommen sei, da dieser auf der Stelle getreten sei, ansonsten machte der Zeuge aber keine Beobachtungen eines Verhaltens, das auf den Konsum von Alkohol oder Drogen hingewiesen hätte.
118
(4.2.3) Die Zeugin A… D…, die mit dem Angeklagten seit ca. fünf Jahren (mit kurzen Unterbrechungen) in einer Beziehung lebte, schilderte, dass der Angeklagte am 17.03.2020 gegen 20.30 Uhr zu ihr nach Hause gekommen sei. An ihm sei nichts auffällig gewesen. Er habe keine Fahne gehabt, sei nicht nervös oder zittrig gewesen. Sie hätten noch zusammen zu Abend gegessen und hätten danach zusammen einen Film angeschaut.
119
(4.2.4) Die Mutter der A… D…, die Zeugin M… D…, schilderte, dass der Angeklagte auch an dem Tatabend bei ihnen in der Wohnung gewesen sei. Er habe sich ganz normal verhalten und sie hätten zusammen gegessen. Erst am nächsten Tag habe sie eine Veränderung bemerkt, da sei er ängstlich gewesen und habe sich wie ein kleines Kind benommen.
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(5) Auch auf dem in Augenschein genommenen Film der Überwachungskamera waren keinerlei Anhaltspunkte für ein überdrehtes Verhalten des Angeklagten ersichtlich. Auf den Aufzeichnungen der Überwachungskamera der MW im Zwischengeschoss und am Bahnsteig der U-Bahnstation „Am Harthof“ ist der Angeklagte am 17.03.2020 um 19.48 Uhr zu sehen, wie er zunächst die Treppe zum Bahnsteig hinunterrennt und dann am Bahnsteig entlang geht. Selbst nachdem der Angeklagte die U-Bahn knapp verpasst hatte, hat er keine der nach einem Konsum von Kokain beispielhaft erwartbaren Reaktionen gezeigt, wie gegen die U-Bahn oder einen Papierkorb zu treten. Vielmehr setzte er sich hin und blieb ruhig sitzen, wobei er teilweise den vorbeigehenden Leuten nachschaute. Sonst war lediglich zu erkennen, dass der Angeklagte seinen Fuß zweimal vor und zurückstellte. Somit war ein gesteigerter Bewegungsdrang bei dem Angeklagten nicht erkennbar. Ein weiteres Video zeigt den Angeklagten um 20.08 Uhr an der U-Bahnstation „Hohenzollernplatz“. Hier läuft der Angeklagte ohne erkennbare Auffälligkeiten zügigen Schrittes von der U-Bahn zur Treppe.
121
(6) Der Sachverständige Prof. Dr. P… führte aus, dass aus sachverständiger Sicht keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, die dafürsprechen würden, dass zum Tatzeitpunkt die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt gewesen sein könnte. So seien weder - bei einem vorausgegangenen Kokainkonsum zu erwartende - Auffälligkeiten wie ein nervöser, reizbarer Bewegungsdrang ersichtlich. Ein Kokainrausch dauere ca. 2 Stunden und ein Ernüchterungseffekt durch den Vorfall sei nicht zu erwarten, im Gegenteil sei zu erwarten, dass der Effekt des Kokainkonsums durch den Vorfall verstärkt worden wäre. Allerdings ergebe sich aus den in der Haaranalyse festgestellten Wirkstoffkonzentrationen (hierzu näher unter lit. F. II. 1. b)) eine statistisch sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte auch am Tattag Kokain konsumiert haben könnte.
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(7) Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. L…, die ihr Gutachten aufgrund der im Rahmen der Hauptverhandlung erlangten Erkenntnisse zur Person des Angeklagten stützte, da der Angeklagte an einer Exploration nicht mitwirkte, ergaben sich auch unter Berücksichtigung des psychischen Zustands keinerlei Anhaltspunkte für in der Persönlichkeit des Angeklagten liegende Auffälligkeiten, die zu einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit führen könnten.
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Wie die Sachverständige Dr. L… ausführte, ergaben sich für die Begutachtung im Rahmen der Hauptverhandlung keine Hinweise auf das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung oder einer psychischen Erkrankung. Auch weise die Persönlichkeit des Angeklagten keine Anzeichen für eine andere schwere seelische Abartigkeit auf. Sie führte aus, dass sich aus den Angaben des Angeklagten keine Anhaltspunkte ergeben hätten, die für eine schwere Erkrankung sprechen würden. Der Angeklagte sei ein junger, gesunder Mann. Der psychiatrische Befund biete keine Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete Impulskontrollstörung oder irgendwie geartete kognitive Einschränkungen. Die Persönlichkeit sei unauffällig, notwendige Anpassungsleistungen in Schule, Berufsausbildung und den täglichen Tätigkeiten seien geleistet worden. Es liege keine Störung in der Persönlichkeitsentwicklung oder eine Persönlichkeitsakzentuierung vor.
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Die Sachverständige führte weiter aus, dass auch aus psychiatrischer Sicht keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass bei der Tatbegehung eine drogenbedingte Veränderung im Sinne einer vorübergehenden krankhaften seelischen Störung infolge der Intoxikation mit Kokain oder einer Entzugssymptomatik vorgelegen hätte. Kokain führe zu einer Steigerung des Antriebs und damit zu Heiterkeit, Kontaktfreudigkeit, einen Abbau von Hemmungen im sexuellen Bereich, einer Steigerung der subjektiven Leistungsfähigkeit und einem eher risikofreudigen Verhalten. Körperliche Auffälligkeiten seien Herzklopfen, eine Weitstellung der Pupillen und eine Beschleunigung der Herzfrequenz. Bei einer Überdosierung könne es auch zu Angstzuständen kommen. Der Kokainrausch setze sich aus verschiedenen Stadien zusammen. Er beginne mit einem euphorisierenden Stadium, in dem man risikofreudiger, distanzloser sei und das Urteilsvermögen eingeschränkt sei. Im akuten Rauschstadium würden negative Gefühle überwiegen und es komme zu Trugwahrnehmungen. Im Abklingen komme es dann zu depressiven Zuständen. Die Sachverständige führte aus, dass zur Beurteilung das Verhalten des zu Beurteilenden vor, während und nach der Tat bewertet werden müsse. Allgemein seien auf der einen Seite motorische und koordinatorische Fähigkeiten, eine Einengung des Wahrnehmungsfeldes, schablonenhaftes Verhalten, Missverhältnis zwischen Anlass und Handlung, ein abrupter Tatablauf, auf der anderen Seite ein planvolles, logisches und schlüssiges Verhalten, die Beherrschung des Tatgeschehens, die Fähigkeit, auf Umwelteinwirkungen zu reagieren und ein planvolles Nachtatverhalten zu werten. Die Sachverständige führte hierzu aus, dass nach der Aussage der M… D… der Angeklagte beim Abendessen keine Auffälligkeiten gezeigt habe. Auf dem Video am U-Bahnhof seien keine motorischen Auffälligkeiten wie z.B. Erregungszustände zu erkennen. Nach der Tat seien Anzeichen für eine erhaltene kognitive Wahrnehmungsfähigkeit und Informationsverarbeitung gegeben. So habe der Angeklagte, als er aus der Wohnung die Alarmanlage gehört habe, sich nach seiner Einlassung zum Auto begeben und dort nachgesehen. Insgesamt führte die Sachverständige aus, dass die Steuerungsfähigkeit bzw. das Hemmungsvermögen nicht in erheblichem Ausmaß beeinträchtigt gewesen sei. Auch hätten bei dem Angeklagten keine affektive Beeinträchtigung i.S. einer Angststörung aufgrund der Einschüchterungen und Bedrohungen durch D… S… vorgelegen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte nicht überrascht oder unvorbereitet gewesen war. Zu den aggressiven Handlungen ihm gegenüber war es bereits im Vorfeld gekommen. Das Wahrnehmungsfeld des Angeklagten sei nicht eingeengt gewesen. Er habe vielmehr in seiner Einlassung detailliert seine Gefühlslage beschrieben und damit ein detailreiches Erinnerungsvermögen gezeigt. Soweit der Angeklagte in seiner Einlassung Schock- oder Angstzustände bzw. ein verlorenes Zeitgefühl beschrieben habe, sei zwar eine affektive Einbettung mit Angstbeteiligung gegeben, jedoch kein Zustand einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung.
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(8) Zusammengefasst geht die Kammer aufgrund der Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Angeklagten vor, während und nach der Tat beziehen - in Übereinstimmung mit den sachverständigen Ausführungen des gerichtsbekannt sehr erfahrenen Rechtsmediziners Prof. Dr. P… und der psychiatrischen Sachverständigen Dr. L… - aufgrund der eigenen Leistungsbeschreibung des Angeklagten und der hierzu vernommenen Zeugen sowie der Inaugenscheinnahme des Videos, das einige Zeit nach der Tat in der U-Bahnstation aufgezeichnet wurde und das nicht die geringsten Ausfallerscheinungen bei dem Angeklagten erkennen lässt, sondern vielmehr ein gut koordiniertes und zielgerichtetes Handeln des Angeklagten ohne irgendwelche motorischen Auffälligkeiten dokumentiert, davon aus, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht durch eine Alkoholisierung oder den Konsum von Drogen in strafrechtlich relevanter Weise beeinträchtigt war.
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Zur Überzeugung der Kammer sind damit die Voraussetzungen der §§ 21 und 20 StGB nicht gegeben. Allerdings geht die Kammer zugunsten des Angeklagten aufgrund seines angegebenen Kokainkonsums von einer hieraus resultierenden Enthemmung aus.
D.
Rechtliche Würdigung
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Die Tat des Angeklagten stellt sich rechtlich als ein Verbrechen des Mordes dar, § 211 Abs. 2, Variante 5 StGB. Der Angeklagte tötete einen Menschen und handelte dabei heimtückisch.
128
I. Der Angeklagte tötete den D… S…, indem er ihm unvermittelt dreimal gezielt in den Kopf schoss.
129
II. Der Angeklagte wollte, dass D… S… durch die Schüsse stirbt. Er handelte mit direktem Tötungsvorsatz. Die Art der Tatbegehung, nämlich die Tötung des D… S… mit drei gezielten Schüssen in den Kopf als zentrale Körperregion, lässt keine andere Wertung zu.
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1. Der Täter handelt mit dolus directus 1. Grades, wenn er die Tatbestandsverwirklichung anstrebt und sein Wille auf diesen Erfolg gerichtet ist. In diesen Fällen kommt es ihm somit gerade auf diesen Erfolg an; dass dem Täter der Erfolg erwünscht oder wichtig ist, reicht allein nicht aus. Kommt es ihm auf den Erfolg an, so handelt er auch absichtlich, wenn er die nach seiner Vorstellung dahin führende Verwirklichung des Tatbestands für möglich hält. Die Absicht ist vom Motiv, d.h. dem Beweggrund der Tat, zu unterscheiden (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 15 Rn. 6).
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2. Die konkrete Tatausführung, nämlich das Abfeuern von drei gezielten Schüssen in den Kopf als zentrale Körperregion lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der Angeklagte wollte, dass D… S… stirbt.
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3. Der vorangegangene Kokainkonsum führte - auch in einer Zusammenschau mit der sonstigen psychischen Verfassung des Angeklagten - nicht dazu, dass der Angeklagte hierdurch gehindert gewesen wäre, die Tragweite seines Tuns zu erfassen. Der Angeklagte ging noch kurz vor der Tat äußerst planvoll vor, indem er die Waffe vom Dachboden holte, sie in die Jackentasche steckte, um das Fahrzeug herumging und sich hinten hinter den Beifahrersitz setzte, um sich Einwirkungen durch D… S… zu entziehen. Dies spricht im Übrigen gegen einen spontanen Impulsdurchbruch und für ein planvolles Vorgehen. Auch das Nachtatverhalten des Angeklagten stellt sich als planvoll dar, indem er beispielsweise direkt nach der Tat den Fahrzeugschlüssels abgezogen hat oder später die Alarmanlage des Fahrzeugs ausschaltete. Das Tatgeschehen war außerdem derart einfach gelagert, dass der Angeklagte im Hinblick auf die Verwirklichung der nach § 211 StGB tatbestandlich relevanten, rein deskriptiven Umstände bewusst und willentlich handelte.
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III. Das Verhalten des Angeklagten erfüllt das Mordmerkmal der Heimtücke; dass der Angeklagte durch seine Tat auch das Mordmerkmal der Habgier erfüllt hätte, hat die Hauptverhandlung hingegen nicht zweifelsfrei ergeben.
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1. Der Angeklagte verwirklichte das Mordmerkmal der Heimtücke, § 211 Abs. 2 Variante 5 StGB.
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a) Heimtückisch handelt, wer eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg- und darauf beruhende Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung bewusst zur Tat ausnutzt.
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aa) Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat eines Angriffs nicht versieht, also die Vorstellung hat, vor einem Angriff sicher zu sein (StV 98, 944 f.), wer bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einer lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (vgl. BGH 20, 301, 302; 32, 382, 384 f.; 39, 353, 368; 41, 79; 48, 207, 210; NStZ 02, 368; 09, 29 f.; NStZ 12, 35; NStZ-RR 07, 175; 12, 245). Das „Tückische“ liegt darin, dass der Täter sein Opfer in hilfloser Lage überrascht, sodass es dem Angriff auf sein Leben nicht begegnen kann (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 211 Rn. 34). Es kommt grundsätzlich auf die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (vgl. Fischer a.a.O., Rn. 35a m.w.N.).
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Arglosigkeit kann auch vorliegen, wenn der Täter dem Opfer zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass das Opfer die drohende Gefahr erst im letzten Augenblick erkennt, sodass ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff wirkungsvoll zu begegnen (vgl. Münchener Kommentar-Schneider, 4. Auflage, § 211 Rn. 156 m.z.w.N.; Fischer a.a.O., Rn. 35c). Abwehrversuche, die das durch einen überraschenden Angriff in seinen Verteidigungsmöglichkeiten behinderte Opfer im letzten Moment unternimmt oder die Möglichkeit solcher Abwehrhandlungen stehen der Annahme von Heimtücke nicht entgegen (vgl. Fischer a.a.O. Rn. 36).
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bb) Wehrlosigkeit ist gegeben, wenn dem Opfer die natürliche Abwehrbereitschaft und -fähigkeit fehlt oder stark eingeschränkt ist, wenn dem Opfer eine Erfolg versprechende Möglichkeit abwehrender Einwirkung auf den Täter fehlt, wenn die Möglichkeit der Mobilisierung fremder Hilfe oder der Flucht genommen oder gravierend eingeschränkt ist (NStZ 89, 365). Die Wehrlosigkeit muss Folge der Arglosigkeit sein (NStZ 97, 491; 1 StR 273/07). Ob der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit herbeigeführt hat oder ob sie sonst seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen ist, ist grundsätzlich unerheblich. Allerdings kann in diesem Fall die i.d.R. erforderliche enge situative Verknüpfung aufgelockert sein: nach ständiger Rechtsprechung kann heimtückisch auch handeln, wer dem Opfer feindselig gegenübertritt, nachdem er es („tückisch“) in einen Hinterhalt gelockt hat (BGH 22, 77; 27, 324; NStZ 89, 365, Fischer, StGB, 68. Aufl., § 211 Rn. 41) oder ihm eine Falle gestellt hat, welche die Chancen zur Abwehr wesentlich reduziert.
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cc) Außerdem muss der Täter die Arglosigkeit bewusst ausnutzen (BGH 6, 121; 11, 144; NStZ 84, 21; 97, 491; 03, 535; 06, 272, 273; 09, 30). Hierzu genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die Lage der angegriffenen Person erkennt, sodass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. Fischer a.a.O. Rn. 44 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH NStZ 2008, 510, 511 f.; Beschluss vom 24.11.2009 - 1 StR 520/09 und Urteil vom 31.07.2014 - 4 StR 147/14, jeweils zitiert nach juris). Anderseits können psychische Ausnahmezustände insbesondere bei Spontantaten - auch solche unterhalb der Schwelle des § 21 StGB - der Annahme eines Ausnutzungsbewusstseins entgegenstehen (NStZ 12, 270, 271; StV 12, 84). Es kann z.B. fehlen, wenn der Täter in plötzlich aufsteigender Verbitterung und Wut (NStZ 87, 555; StV 90, 545; 1 StR 406/00) oder in einer verzweifelten und affektiv angespannten Lage gehandelt hat. Insoweit gibt es jedoch keine regelhaften Beweislagen; es kommt stets auf die Betrachtung des Einzelfalls an (NStZ 12, 232; Fischer a.a.O., Rn. 81), also ob und gegebenenfalls welche tatsächlichen Auswirkungen eine affektive Erregung auf die Erkenntnisfähigkeit des Täters in der Tatsituation und auf sein Bewusstsein hatte (BGH NStZ 2014, 639). Nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung, selbst wenn sie zu erheblicher Einschränkung der Steuerungsfähigkeit führt, hindern einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen (BGH NStZ 1984, 20, 21, NStZ 2014, 639 und NStZ 2014, 574 jeweils m.w.N., BGH GrSen 11, 139; NStZ 03, 535; 08, 510, 511; NStZ-RR 10, 144; Fischer a.a.O., Rn. 80).
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b) Gemessen an diesen Voraussetzungen handelte der Angeklagte heimtückisch.
141
aa) D… S… war zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs arglos. Er versah sich zum Zeitpunkt des ersten Schusses mit Tötungsvorsatz keines Angriffs. Maßgeblich kommt es hierbei auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an.
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(1) Zunächst sprechen bereits die objektiven Begleitumstände der Tat für die bestehende Arglosigkeit. So hatte sich der Angeklagte in den bisherigen Auseinandersetzungen mit D… S… nicht mit Gewalt gewehrt und er war am Tatabend zuvor noch mit D… S… beim Essen gewesen. Der Angeklagte war vor dem Einsteigen um das Fahrzeug herumgegangen und hatte sich nicht - wie es eigentlich naheliegend gewesen wäre - auf den Beifahrersitz, sondern ganz gezielt auf den Rücksitz und damit schräg hinter den Geschädigten gesetzt. Zur Überzeugung der Kammer spricht dieses Vortatverhalten dafür, dass der Angeklagte sich zunächst bewusst außerhalb des Sichtfeldes von D… S… platzierte und damit gezielt verhindern wollte, dass D… S… sehen konnte, dass er die Waffe zog. Weiter spricht dieses Vortatverhalten dafür, dass der Angeklagte den D… S… mit dem Einsatz der Waffe überraschen wollte, was ihm auch gelungen ist.
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(2) Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass es nach dem Einsteigen des Angeklagten in das Fahrzeug vor der Schussabgabe noch zu einem kurzen Wortwechsel zwischen dem Angeklagten und D… S… gekommen ist. Auch die Einlassung des Angeklagten zugrunde gelegt war D… S… zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs noch arglos. Denn nach der Schilderung des Angeklagten will dieser die Waffe gezogen haben und gesagt haben, dass er für die Beschaffung des Geldes mehr Zeit brauche. D… S… habe ihn nur ausgelacht und ihn gefragt, was er mit dem „Spielzeug“ wolle. Er habe gesagt, „schieß doch, Du Hurensohn, ich lasse Dich nicht so einfach in Ruhe“ und er habe festgestellt, dass D… S… überhaupt nicht von ihm und der Waffe beeindruckt gewesen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt ging D… S… nach den eigenen Angaben des Angeklagten also nicht von einem erheblichen Angriff des Angeklagten aus. Die Äußerungen des D… S… zeigen vielmehr, dass er davon ausgegangen ist, dass es sich um eine Spielzeugpistole und nicht um eine scharfe Waffe handelt. Nur ergänzend ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass man für die Beurteilung der Arglosigkeit durch D… S… nicht wird erwarten können, dass dieser einen erheblichen Angriff des Angeklagten vorhersieht, den dieser selbst nach seiner eigenen Einlassung bis dahin noch gar nicht beabsichtigt hatte, sondern angibt, ihm in diesem Moment nur habe Angst machen wollen. Nach den Ausführungen des Angeklagten sei nach einer Handbewegung des D… S… in seine Richtung alles sehr schnell gegangen und er habe abgedrückt. Auch aus diesem Verhalten des D… S… zeigt sich, dass er die Waffe für nicht echt hielt und er nicht von einem ernst gemeinten Angriff bzw. gravierenden Angriff des Angeklagten ausging, denn einen Versuch zu starten in den beengten Verhältnissen eines Fahrzeugs und damit der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und Reichweite der Arme in eine scharfe Waffe hineinzugreifen hält die Kammer für lebensfremd.
144
(3) Selbst wenn man demgegenüber davon ausgehen wollte, dass der Geschädigte beim Vorzeigen der Waffe von einem bevorstehenden lebensgefährlicher Angriff ausgegangen wäre, läge aufgrund der zeitlichen und situativen Umstände dennoch eine Arglosigkeit bei dem Geschädigten vor. So zeigt der vom Angeklagten geschilderte Geschehensablauf, dass die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz war, dass D… S… gerade keine Möglichkeit der Abwehr blieb. So vergingen zwischen dem Einsteigen und den Schüssen nur mindestens 20 Sekunden. Dabei ist noch ein Zeitraum in Abzug zu bringen, der vergangen ist, bis der Angeklagte nach einer vorausgegangenen kurzen Kommunikation die Waffe gezogen hat. Der Angeklagte schilderte selbst, dass der Geschädigte nach der Frage, was er mit dem Spielzeug wolle und der Äußerung „schieß doch, Du Hurensohn, ich lasse Dich nicht so einfach in Ruhe“ gerade noch mit der Hand eine Bewegung in die Richtung des Angeklagten machen konnte, bevor dieser abdrückte. Die Kammer hält es daher für ausgeschlossen, dass D… S… irgendeine Möglichkeit hatte, auf den für ihn völlig überrascherden Angriff des Angeklagten zu reagieren und er so die Möglichkeit gehabt hätte, sich gegen den Angriff in irgendeiner Weise zu verteidigen oder wenigstens einen Fluchtversuch zu unternehmen. Vielmehr traf der erste Schuss den noch auf dem Fahrersitz sitzenden D… S… vollkommen unvorhergesehen in den Kopf.
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(4) Die konkrete Situation bei der ersten Schussabgabe lässt ohne weiteres den Schluss darauf zu, dass sich der Angeklagte darüber bewusst war, dass er einen durch seine Ahnungslosigkeit schutzlosen Menschen überraschte, um seine Arglosigkeit bewusst auszunutzen. Der Angeklagte hatte sich bewusst auf den Rücksitz gesetzt, um dem D… eine Gegenwehr unmöglich zu machen. Auch nachdem er platzgenommen hatte und selbst noch, nachdem er die Waffe vorzeigte, war dem Angeklagten die Arglosigkeit durch die Frage des D… S…, was er mit dem „Spielzeug“ wolle und den Umstand, dass D… S… sich vollkommen unbeeindruckt zeigte, bewusst.
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Der Angeklagte handelte weder in einer psychischen Ausnahmesituation noch im Zustand einer starken affektiven Erregung, die für ein Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins sprechen könnten. Der eigentliche Anlass für die Tat, nämlich der Konflikt um die Zahlung von aus Sicht des Angeklagten unberechtigten „Zinsen“, schwelte schon seit Monaten. Das konkrete Treffen am Tattag wurde auf Initiative des Angeklagten hin vereinbart. Auch handelte es sich nicht um eine Spontantat. Vielmehr ging der Angeklagte äußerst geplant vor: er holte sich auf dem Dachboden die Waffe und der Angeklagte handelte in der konkreten Situation auch äußerst zielgerichtet, was bereits der Umstand zeigt, dass er vor dem Einsteigen um das Auto herumging und sich gezielt auf den Rücksitz setzte und er handelte so abgeklärt, dass es ihm gelang, drei gezielte Schüsse in den Kopf des D… S… abzugeben, die einer Hinrichtung gleichkommen.
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2. Der Angeklagte verwirklichte nicht das Mordmerkmal der Habgier.
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a) Habgier liegt nach der Rechtsprechung vor, „wenn sich die Tat als Folge eines noch über bloße Gewinnsucht hinaus gesteigerten Gewinnstrebens darstellt“. Das Gewinnstreben braucht nicht das einzige Motiv zu sein, es muss aber tatbeherrschend und „bewusstseinsdominant“ sein. In Fällen eines „Motivbündels“ muss das Motiv der Gewinnerzielung im Vordergrund stehen (vgl. Fischer a.a.O. Rn. 10). Grundsätzlich genügt es, sich von Zahlungsverpflichtungen befreien zu wollen, wenn hierbei nicht die „Lästigkeit“ des Gläubigers, sondern die eigene Vermögensmehrung im Vordergrund steht (vgl. Fischer, 68. Auflage, § 211 Rn. 11).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Mordmerkmal der Habgier vorliegend nicht erfüllt. Die Hauptverhandlung hat nicht ergeben, dass der Angeklagte gehandelt hätte, um sich einen finanziellen Vorteil zu verschaffen oder zu sichern. Insoweit hat sich nämlich nicht zweifelsfrei ergeben, dass der Angeklagte bei D… S… noch Schulden gleich welcher Höhe gehabt hätte. Der Angeklagte selbst hat sich dahingehend eingelassen, dass er zwar ursprünglich noch Schulden bei D… S… aus vorausgegangenen Drogengeschäften gehabt habe, diese will er aber vor der Tat bereits beglichen haben und D… S… soll zu diesem Zeitpunkt nur noch auf der Zahlung der von ihm geforderten „Strafzinsen“ bestanden haben. Nach der durchgeführten Hauptverhandlung sieht es die Kammer nicht als erwiesen an, dass über die von D… S… beanspruchten „Strafzinsen“ hinaus noch weitere Forderungen offen gewesen sind. Damit stand aus Sicht der Kammer jedenfalls keine eigene Vermögensmehrung im Vordergrund, sondern allenfalls der Wille, sich des immer wieder auf die Zahlung der „Strafzinsen“ insistierenden und damit für ihn lästigen D… S… zu entledigen. Aus Sicht der Kammer erfüllt dies nicht das Tatbestandsmerkmal des Gewinnstrebens um jeden Preis.
150
II. Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor. Insbesondere war keine Notwehrlage gegeben.
151
Es lag bereits kein gegenwärtiger Angriff vor. Körperliche Übergriffe seitens des D… S… gab es zu diesem Zeitpunkt nicht, sodass allenfalls Drohungen des D… S… noch im Raum standen, der nach wie vor auf die Zahlung der behaupteter Geldforderung bestand. Kein gegenwärtiger Angriff ist gegeben, wenn nur eine latente Bedrohung zwischen zwei Angriffen vorliegt (BGH NStZ 1984, 21; BeckOK StGB/Momsen/Savic, 50. Ed. 1.5.2021, StGB § 32 Rn. 21).
152
Jedenfalls war die Tötung des D… S… durch drei Schüsse in den Kopf aus kurzer Entfernung aber nicht erforderlich, um sich gegen diese Drohungen zu verteidigen. In diesem Zusammenhang ist die vom Angeklagten erkannte erhebliche Kokainintoxikation des D… S… zum Tatzeitpunkt ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass der Angeklagte eine scharfe Schusswaffe gegen einen Unbewaffneten einsetzte. Im Übrigen trägt der Angeklagte aber auch selbst nicht vor, dass er die Waffe dabeigehabt hätte, um sich gegen einen Angriff des D… S… zu wehren. Nach seiner Einlassung sei Grund für das Mitsichführen der Waffe gewesen, dass er D… S… habe Angst machen wollen und ihm habe klarmachen wollen, dass er ihn mit seinen unberechtigten Forderungen in Ruhe lassen solle. Somit hatte der Angeklagte selbst nach seiner eigenen Einlassung die Waffe nicht mitgeführt, um sich gegen einen Angriff des Angeklagten zu verteidigen, sondern um seinerseits diesen einzuschüchtern. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Angeklagte sich nunmehr dahingehend eingelassen hat, dass er geschossen habe, als D… S… mit seiner Hand eine Bewegung in seine Richtung gemacht habe, da dies in dar konkreten Situation, als D… S… sich seinerseits einer Waffe gegenüber sah, keinen Angriff von diesem darstellt. Aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse und aufgrund des Umstands, dass der erste Schuss den D… S… in die Wange getroffen hatte, geht die Kammer überdies davon aus, dass D… S… dem Angeklagten nicht frontal zugewandt war, sondern dass D… S… allenfalls gerade im Begriff war, sich zu diesem umzudrehen, soweit es die beengten Verhältnisse in dem Porsche und die körperliche Konstitution des D… S… zugelassen haben. Damit mag die Hand des D… S… zwar in die Richtung des Angeklagten gegangen sein, aufgrund der räumlichen Gegebenheiten schließt die Kammer eine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf den Angeklagten allerdings aus. Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass der Angeklagte in dieser Situation mit einem Angriff des D… S… rechnete, da sich der Angeklagte gezielt auf die Rückbank rechts gesetzt hatte, um sich dem Einwirkungsbereich des D… S… zu entziehen. Damit scheidet auch Putativnotwehr oder ein Notwehrexzess aus.
E.
Strafzumessung
153
I. Gemäß § 211 Abs. 1 StGB war der Angeklagte für das Verbrechen des Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen.
154
1. Die Strafandrohung des § 211 Abs. 1 StGB ist absolut. Nach dem Gesetz war keine Möglichkeit gegeben, diese Strafe zu mildern.
155
2. Auch außergewöhnliche Umstände, aufgrund derer die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausnahmsweise als unverhältnismäßig erschiene, liegen nicht vor.
156
a) Die vom Großen Senat des BGH (vgl. BGHSt 30, 105) entwickelte Rechtsfolgenlösung trägt dem Umstand Rechnung, dass das Mordmerkmal der Heimtücke auch in Fällen erfüllt sein kann, bei denen die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen des sonstigen Gepräges der Tat das aus den Grundgesetz abzuleitende Verbot unverhältnismäßigen staatlichen Strafens verletzen würde. Allerdings reicht nicht jeder Entlastungsfaktor, der nach § 213 StGB Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Auf die vom Großen Senat für Strafsachen im Wege verfassungskonformer Rechtsanwendung eröffnete Möglichkeit, anstatt der an sich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe eine Strafe aus dem in analoger Anwendung des § 49 Absatz 1 Nr. 1 StGB bestimmten Strafrahmen zuzumessen, darf nicht voreilig ausgewichen werden (vgl. BGH NStZ 2003, 482). Vielmehr kann das Gewicht des Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden, dass jener Grenzfall eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich gemilderter Schuld unverhältnismäßig wäre (vgl. BGH NStZ 1982, 69). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter auf Grund einer umfassenden Würdigung der Tat sowie der zu ihr hinführenden Umstände zu prüfen (BGH NStZ 2005, 154, 155 m.w.N.).
157
b) Im vorliegenden Fall liegen derartige außergewöhnliche Umstände nicht vor. Der Angeklagte und D… S… kannten sich bereits seit langem, der Angeklagte hatte vor der Tat über einen langen Zeitraum hinweg die von ihm benötigten Drogen zu einem vergleichsweise günstigen Preis erworben und die beiden trafen sich auch darüber hinaus zu gemeinsamen Unternehmungen. Auch noch am Tattag waren der Angeklagte und D… S… gemeinsam beim Essen. Hierbei ist zwar einerseits zu berücksichtigen, dass der Angeklagte von D… S… im Zeitraum vor der Tat immer wieder sowohl psychisch als auch physisch unter Druck gesetzt worden war, damit er vermeintlich ausstehende Geldforderungen begleicht. Allerdings schaffte es der Angeklagte nach eigenem Bekunden durchaus, sich etwas von D… S… zurückzuziehen. Trotz des ihm bekannten Verhaltens des D… S… hatte er außerdem auch in der Folgezeit bis Februar 2020 seine Drogen weiter bei diesem gekauft. Der Angeklagte tötete D… S… mit drei Schüssen in den Kopf aus wenigen Zentimetern Entfernung. Der Angeklagte hatte außerdem von vornherein die Herrschaft über das Treffen am Tattag. So ging dieses auf seine Initiative zurück, er begab sich am Abend bewaffnet zu dem Fahrzeug des D… S…, wobei er zuvor die Tatwaffe vom Speicher holte, setzte sich geplant auf den Rücksitz, wodurch er sich dem Zugriff des D… S… entzog und tötete diesen mit drei gezielten Schüssen in den Kopf aus kurzer Entfernung. Es handelt es sich somit nicht um eine Tat, die der Angeklagte in großer Verzweiflung oder aus gerechtem Zorn aufgrund einer schweren Provokation begangen hat. Beides hat der Angeklagte, der sich geplant in die Tatsituation begeben hat, selbst nicht vorgebracht. Dass D… S… zu dem Angeklagten „schieß doch, Du Hurensohn“ sagte, stellt in einer Gesamtschau der Tatsituation keine schwere Provokation dar, zumal in dieser Situation der Angeklagte bereits die Waffe auf D… S… gerichtet hatte. Anhaltspunkte dafür, dass eine im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs außergewöhnlich schwere Kränkung des Angeklagten aktuell vorgelegen hätte oder Entlastungsfaktoren vorliegen würden, die so schwer wiegen, dass die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe unangemessen wäre, liegen nach alledem nicht vor.
158
Bei Würdigung aller Umstände bestand daher kein Anlass, von der absoluten Strafandrohung des § 211 Abs. 1 StGB abzuweichen.
159
III. Die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten im Sinne des § 57 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB war nach Gesamtwürdigung des Tatgeschehens und der Täterpersönlichkeit nicht festzustellen.
160
1. Die Entscheidung über die Frage, ob die besondere Schuldschwere gemäß § 57 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB zu bejahen ist, hat der Tatrichter ohne Bindung an begriffliche Vorgaben im Wege einer zusammenfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit zu treffen. Ein Bejahen ist dabei nur möglich, wenn Umstände von besonderem Gewicht vorliegen (BGHSt 40, 360, 370; 41, 57, 32; BGH NStZ 2006, 505, 506; NStZ-RR 2006, 236, 237).
161
2. Gemessen an diesen Voraussetzungen lagen nach einer Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit keine Umstände von besonderem Gewicht vor, nach denen die besondere Schuldschwere zu bejahen wäre. Vielmehr überwiegen die zugunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte.
162
a) Zu Lasten des Angeklagten war das Gesamtgepräge der Tatsituation zu berücksichtigen. Der Angeklagte ging äußerst zielgerichtet vor, holte sich die scharfe Waffe vom Dachgeschoss und schoss dem D… S… mit drei gezielten Schüssen aus nächster Nähe in den Kopf. Insofern handelt es sich um eine Tötung, die einer Hinrichtung gleichkommt.
163
b) Wesentlich zugunsten des Angeklagten berücksichtigte die Kammer, dass er sich bereits von Beginn der Hauptverhandlung an geständig gezeigt hat und dass er bislang nicht wegen Gewaltdelikten vorbestraft ist, sondern lediglich wegen eines Verkehrsdeliktes. Zudem ist zu berücksichtigen, dass er bei der Tatbegehung nicht ausschließbar deutlich unter dem Einfluss des vorherigen massiven Kokaingenusses stand und damit deutlich enthemmt war. Weiter - und als gewichtigstes Kriterium in der Gesamtwürdigung - ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte vorher massiv von D… S… unter Druck gesetzt worden ist.
F.
Maßregeln der Besserung und Sicherung
164
Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB war anzuordnen.
I. Voraussetzungen
165
1. Voraussetzung für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ist zunächst ein Hang, Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren, d.h. in einem Umfang (Maß und Häufigkeit), durch welche Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden (st. Rspr. vgl. BGH 3, 340; NStZ-RR 2003, 106 f.; 2004, 39, 40; 2011, 42; NStZ 2004, 494; NStZ-RR 2006, 103; 2008, 198 f.; 2 StR 416/97; 1 StR 406/03; 1 StR 451/03; 2 StR 205/04; 1 StR 332/07; 1 StR 167/08; 1 StR 109/11; Fischer, 68. Auflage, § 64 Rn. 7).
166
2. Darüber hinaus muss ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat vorliegen. Hierzu muss eine rechtswidrige Tat beliebiger Art vorliegen. Die Tat muss entweder im Rausch begangen worden sein oder auf den Hang des Täters zurückgehen (vgl. Fischer, a.a.O. Rn. 13).
167
3. Weiter muss im Rahmen der zu stellenden Gefahrenprognose die Gefahr bestehen, dass der Täter zumindest auch infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (vgl. Fischer, a.a.O. Rn. 15).
168
4. Zuletzt muss eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht bestehen, den Betroffenen zu heilen oder über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den Rauschmittelkonsum zu bewahren. Erforderlich ist die Prognose, dass bei erfolgreichem Verlauf die Gefährlichkeit aufgehoben oder deutlich herabgesetzt wird (vgl. NStZ 2003, 86; 2014, 203, 204; Fischer a.a.O. Rn. 19).
169
II. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt liegen aus Sicht der Kammer, sachverständig beraten durch den toxikologischen Sachverständigen Prof. Dr. M… und die psychiatrische Sachverständige Dr. L…, vor. Bei dem Angeklagten liegt nach seinen eigenen Angaben ein Hang vor, berauschende Mittel im Übermaß zu konsumieren. Auch spielte bei der Tat nicht ausschließbar der vorausgegangene Kokainkonsum eine Rolle, sodass vom Vorliegen einer Hangtat auszugehen ist. Demnach war die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen, da die Voraussetzungen hierfür vorliegen und auch kein Ausnahmefall vorliegt, der dazu führen könnte, von dieser Soll-Vorschrift abzuweichen.
170
1. Der Angeklagte hat einen Hang, Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren.
171
a) Der Angeklagte schilderte im Rahmen seiner Angaben zu seinem Konsumverhalter eine bereits länger andauernde Drogenproblematik. So schilderte er zunächst, dass er im Jahr 2009 mit dem Konsum von Marihuana begonnen habe, im Jahr 2013 dann den sich steigernden Konsum von Ecstasy, MDMA und Amphetamin. Im Jahr 2014 kam der Angeklagte dann erstmals mit Kokain in Berührung. Er begann schnell, jedes Wochenende beim Feiern zu konsumieren, wobei er in den Jahren 2014 und 2015 an jedem Wochenende ca. 1 Gramm Kokain zu sich nahm. Er schilderte dann, dass er den Konsum ab September 2016 erheblich reduziert habe, dann aber ab Oktober 2017 Kokain im Wert von ca. 1.000 Euro monatlich konsumiert habe und er auch während seiner Tätigkeit als Kellner ab Juli 2019 täglich Kokain zu sich genommen habe. Seit der Tat bis zu seiner Inhaftierung habe er dann kein Kokain mehr konsumiert.
172
b) Diese Angaben des Angeklagten zu seinem Drogenkonsum finden ihre objektive Bestätigung in der Analyse der dem Angeklagten entnommenen Haarprobe. Der toxikologische Sachverständige Prof. Dr. M… erläuterte in der Hauptverhandlung vom 20.05.2021 die Befunde, welche sich aus der Untersuchung der dem Angeklagten H… am 27.03.2020 entnommenen Haarprobe ergeben haben. Diese hätten eine Länge von 12 cm aufgewiesen. Damit habe ein Zeitraum von etwa 12 Monaten vor der Entnahme der Haarprobe überblickt werden können. Die Haarprobe sei auf Stoffe aus der Cocain-Gruppe, der Opiat-Gruppe, der Opioide, der Amphetamine, der Benzodiazepine und Hypnotika, der Cannabinoide, der Halluzinogene und weitere Substanzen wie Gabapentin, Ketamin, Norketamin, Levetiracetam, Methylphenidat, Ritalinsäure und Pregabalin untersucht worden, wobei die Probe in drei Segmente unterteilt worden sei. Abschnitt a habe von der hautnahen Schnittstelle an gemessen den Bereich 0 bis 3 cm erfasst, Abschnitt b den Bereich 3 bis 6 cm und Abschnitt c den Bereich 6 cm bis zum Ende.
173
aa) Cocain habe in Abschnitt a in einer Konzentration von 2,5 ng/mg nachgewiesen können, in Abschnitt b in einer Konzentration von 4,3 ng/mg und in Abschnitt c in einer Konzentration von ca. 13 ng/mg.
174
Nor-Cocain habe in Abschnitt a in einer Konzentration von 0,14 ng/mg, in Abschnitt b in einer Konzentration von 0,17 ng/mg und in Abschnitt c in einer Konzentration von 0,33 ng/mg nachgewiesen werden können.
175
Cocaethylen habe in Abschnitt a in einer Konzentration von 0,14 ng/mg, in Abschnitt b in einer Konzentration von 0,066 ng/mg und in Abschnitt c in einer Konzentration von 0,034 ng/mg nachgewiesen werden können.
176
Benzoylecgonin habe in Abschnitt a in einer Konzentration von 0,53 ng/mg, in Abschnitt b in einer Konzentration von 1,4 ng/mg und in Abschnitt c in einer Konzentration von 9 ng/mg nachgewiesen werden können.
177
Anhydroecgoninmethylesther habe in Abschnitt a in einer Konzentration von 0,11 ng/mg, in Abschnitt b in einer Konzentration von 0,22 ng/mg und in Abschnitt c in einer Konzentration von 0,74 ng/mg nachgewiesen werden können.
178
Die Untersuchung auf Hydroxy-Metaboliten sei in sämtlichen Bereichen positiv verlaufen.
179
Die Konzentrationen lägen im überdurchschnittlichen Bereich und die Werte seien typisch für eine häufigere Aufnahme.
180
bb) Aus der Gruppe der Opiate hätten keine Substanzen nachgewiesen werden können.
181
cc) Aus der Gruppe der Amphetamine sei MDMA in Abschnitt a nicht nachweisbar gewesen, in Abschnitt b habe es in einer Konzentration von <0,01 ng/mg und in Abschnitt c in einer Konzentration von 0,11 ng/mg nachgewiesen werden können.
182
MDA sei in Abschnitt a und b nicht nachweisbar gewesen, in Abschnitt c habe es in einer Konzentration von <0,01 ng/mg nachgewiesen werden können. Es handele sich hierbei um ein Stoffwechselprodukt von MDMA. Die Konzentration liege im unteren 25 %-Bereich und sei mit einer gelegentlichen, unter Umständen auch einmaligen Aufnahme vor mehreren Monaten vereinbar.
183
dd) Aus der Gruppe der Cannabinoide habe Tetrahydrocannabinol (THC) in Abschnitt a in einer Konzentration von <0,01 ng/mg, in Abschnitt b in einer Konzentration von 0,014 ng/mg und in Abschnitt c in einer Konzentration von 0,086 ng/mg nachgewiesen werden können, was im Vergleich zu anderen positiven Fällen in Abschnitt a und b im niedrigen, in Abschnitt c einer Konzentration im mittleren Bereich entspreche. Der Abschnitt 0 bis 6 cm von der Kopfhaut an gemessen wurde ergänzend auf THC-COOH, ein Abbauprodukt von THC, untersucht. THC-Carbonsäure sei in einer Konzentration von 0,33 pg/mg festgestellt worden. Der Sachverständige führte hierzu aus, dass mit der Analyse ein Zeitraum von ca. 6 Monaten vor der Haarprobenentnahme überprüft worden sei. Die Konzentrationen der THC-COOH hätten im unteren Bereich, verglichen mit den Haaren von anderen Cannabiskonsumenten gelegen und seien damit mit einer mehrmaligen Aufnahme von Haschisch und/oder Marihuana zu vereinbaren.
184
ee) Außerdem erläuterte der Sachverständige sein Gutachten über die Untersuchung von Haaren auf Ethylglucuronid und Fettäureethylester (Ethylpalmitat). Die Konzentration von Ethylglucuronid habe bei einem Wert von 6 pg/mg gelegen, wobei die Grenze zu einem chronisch exzessiven Konsumverhalten bei 30 pg/mg liege. Die Konzentration von Ethylpalmitat habe bei einem Wert von 214 pg/mg gelegen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen zeigen die Untersuchungen insgesamt Werte, die typisch für einen moderaten Alkoholkonsum wären. Dies deckt sich mit der Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, Alkohol nur in einem sozial üblichen Maße getrunken zu haben.
185
c) Auch im ärztlichen Untersuchungsbericht, der anlässlich der Abnahme der Blut- und Urinproben am 27.03.2020 um 8.17 (also 10 Tage nach der Tat) gefertigt worden ist, durch den untersuchenden Arzt keinerlei Auffälligkeiten dokumentiert worden sind, die auf die Aufnahme von Alkohol oder Drogen hingewiesen hätten, ergab sich ein regelmäßiger Drogenkonsum des Angeklagten auch aus den Angaben verschiedener Zeugen, die den Angeklagten bereits seit längerem kannten.
186
aa) Die Lebensgefährtin des Angeklagten, die Zeugin A… D…, gab an, dass der Angeklagte sehr oft Kokain konsumiert habe. Er habe zwar oft gelogen und gesagt, dass er nichts genommen hätte, es habe aber einen Zeitpunkt gegeben, wo er eingeräumt habe, dass er jeden Tag konsumiere. Auf Partys habe er auch in ihrer Gegenwart konsumiert. Er habe schon zu Beginn ihrer Beziehung vor etwa fünf Jahren konsumiert. Der Konsum habe sich mit der Zeit gesteigert. Unter dem Einfluss von Kokain sei er fokussierter, beredter und ruhig gewesen und habe keine besonderen Ausfallerscheinungen gezeigt. Er habe viel konsumiert, vielleicht 1 bis 2 Gramm, und habe teilweise nicht mehr mit dem Konsumieren aufhören können.
187
bb) Der Zeuge F… gab etwas undifferenzierter an, dass David H… „ein massives Kokain-Problem“ gehabt habe.
188
cc) Der Zeuge N… schilderte, dass er öfter mitbekommen habe, dass David H… Kokain konsumiert habe. Dies sei in der Zeit gewesen, als er noch mit ihm unterwegs gewesen sei. Früher habe er mit diesem am Wochenende und manchmal auch unter der Woche Kontakt gehabt. Seit 2019 hätten sie sich unter der Woche nicht mehr gesehen. Er wisse nicht, wieviel David H… konsumiert habe, schätze aber, dass es sich jedes Wochenende um 1 bis 2 Gramm gehandelt habe.
189
dd) Der Zeuge E… schilderte, dass er sowohl mit dem Angeklagten als auch mit D… S… befreundet gewesen sei. David H… sei süchtig gewesen. Sobald er etwas genommen habe, habe sich dieser verändert. Er sei dann sehr lustig und redselig gewesen. Er habe dann auch immer „zocken“ wollen und Online-Casino gespielt, jedoch nur, wenn er vorher Kokain konsumiert hebe. Er habe am Wochenende Kokain konsumiert, bis er kein Geld mehr gehabt habe. Wahrscheinlich habe er 0,5 bis 1 Gramm pro Wochenende konsumiert.
190
d) Die Sachverständige Dr. L… führte aus, dass nach den Angaben des Angeklagten ein regelmäßiger Gebrauch von Kokain vorliege und damit ein Missbrauch im Sinne von ICD 10 F14.1 zu bejahen sei. In einer Gesamtschau aller Merkmale liege aus psychiatrischer Sicht aber keine Abhängigkeitsproblematik vor. Der Angeklagte sei in der Lege gewesen, seinen Konsum zurückzustellen, wenn die Situation es erfordert habe. Er habe nach eigenen Angaben seinen Konsum nach der Tat bis zur Festnahme einstellen können, was im Übrigen dagegenspreche, dass er seinen Suchtmittelkonsum in einer emotionalen Belastungssituation erhöhe. Bei dem Angeklagten sei auch kein klassischer Kontrollverlust erkennbar. Die Haaranalyse lasse eher darauf schließen, dass der Konsum mit der Zeit eher zurückgegangen sei. Der Angeklagte habe selbst angegeben, dass er sein Konsumverhalten nicht verändert habe und er habe seine Aktivitäten nicht eingestellt und sei weiter in die Arbeit gegangen und habe eine Beziehung geführt. Bei dem Angeklagten sei keine dauerhafte Abkehr von ethischen und moralischen Wertvorstellungen zu beobachten. Es liege alles in allem keine schwerwiegende Suchtmittelerkrankung vor. Damit sei ein Missbrauch zwar zu bejahen, eine Abhängigkeitsproblematik liege jedoch nicht vor.
191
e) Insgesamt hat die Kammer aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M… zur Analyse der dem Angeklagten entnommenen Haarprobe keine Zweifel an dem von dem Angeklagten geschilderten erheblichen und regelmäßigen Kokainkonsum und geht daher vom Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 63 StGB aus, Kokain im Übermaß zu sich zu nehmen.
192
2. Nach den Angaben des Angeklagten zu seinem Drogenkonsum am Taltag ist nicht auszuschließen, dass der am Tattag vorausgegangene intensive Konsum von Kokain die Tatbegehung jedenfalls begünstigte, wobei er dieses gezielt vor dem erneuten Treffen mit D… S… eingenommen hatte. Die Kammer geht von einem symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und der Tat aus, auch wenn die psychiatrische Sachverständige einen Zusammenhang zwischen dem Hang und der Tat in Frage stellte. Aus ihrer Sicht beruht die Tat auf einem Motivbündel, das nicht im Zusammenhang mit der Tat, sondern in der persönlichen Beziehung zwischen dem Angeklagten und D… S… zu sehen sei, namentlich in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis des Angeklagten von S… und der Subordination des Angeklagten unter die Dominanz und die Massivität des D… S… mit Aspekten einer Demütigung oder Herabsetzung. Aus Sicht der Sachverständigen sei das Motiv nicht in einem Hang, sondern in einer gefühlten Ausweglosigkeit des Angeklagten zu suchen, der in einem erheblichen emotionalen Druck gestanden habe. Ein unmittelbarer Zusammenhang zum Drogenkonsum bestehe nicht, allenfalls ein mittelbarer Zusammenhang aufgrund des Settings im Drogenmilieu.
193
3. Auch die erforderliche Gefahrenprognose ist zu stellen. Die Kammer ist, der Einschätzung der Sachverständigen Dr. L… folgend, der Auffassung, dass der Angeklagte auch in Zukunft unter dem Einfluss von Kokain vergleichbare Delikte begehen wird, auch wenn er bislang noch nicht wegen Gewaltdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.
194
4. Die Erfolgsaussicht der Maßregel kann vorliegend bejaht werden. Die Sachverständige Dr. L… hat die voraussichtliche Therapiedauer mit zwei Jahren veranschlagt. Der Angeklagte zeigt sich derzeit behandlungsbereit. Insoweit ist von einer ausreichend konkreten Behandlungsmotivation und damit einer Erfolgsaussicht der Maßregel auszugehen.
195
5. Die Kammer hat von der Anordnung eines Vorwegvollzugs gemäß § 67 Abs. 2 S. 2 StGB abgesehen. Zum einen ist § 67 Abs. 2 S. 2 StGB nur bei zeitigen Freiheitsstrafen und somit nicht bei der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe anwendbar. Zudem muss es im Hinblick auf die voraussichtliche Dauer des Strafvollzugs vorliegend darum gehen, den Angeklagten schon frühzeitig von seinem Hang zu befreien, damit er in der Strafanstalt an der Verwirklichung des Vollzugsziels der Strafe arbeiten kann.
196
6. Die Verhängung der Maßregel steht angesichts der Erheblichkeit der Anlasstat und der zu erwartenden Taten auch nicht außer Verhältnis, § 62 StGB.