Titel:
Widerruf des subsidiären Schutzes einer eritreischen Staatsangehörigen tigrinischer Volkzugehörigkeit
Normenketten:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, § 73b Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Eritreischen Staatsangehörigen ist es grundsätzlich möglich und zumutbar, den sog. „Diaspora-Status“ zu beantragen. (Rn. 26 – 27)
2. Auslandseritreer, die mit „Diaspora-Status“ in ihr Herkunftsland zurückkehren, droht in der Regel für einen ausreichend langen Zeitraum keine Verfolgungsgefahr i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. (Rn. 28)
Schlagworte:
Eritrea, Widerruf des subsidiären Schutzes, „Diaspora-Status“, Nationaldienst, Illegale Ausreise und Asylantragstellung in Deutschland, Mutter, Diaspora-Status, Reueerklärung, Diaspora-Steuer, illegale Ausreise und Asylantragstellung, humanitäre Bedingungen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 41376
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin ist eritreische Staatsangehörige mit tigrinischer Volks- und christlich-orthodoxer Religionszugehörigkeit. Ihr wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 13.07.2017 (Gz.: …) der subsidiäre Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zuerkannt. Eine konkrete Begründung hierfür findet sich im Bescheid nicht. Nach einem Aktenvermerk (Bl. 83 der Behördenakte im Verfahren Gz. …) wurde der subsidiäre Schutz zuerkannt, da der Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea der Einzug zum dortigen Nationaldienst drohe und sie damit dem Risiko unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt sei.
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Mit Schriftsatz vom 04.11.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass bezüglich des zuerkannten subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ein Widerrufsverfahren gem. § 73b AsylG eingeleitet worden sei. Seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes habe sich eine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage in der Person der Klägerin ergeben. Durch den Umstand, dass diese zwischenzeitlich ein Kind zur Welt gebracht habe, unterliege sie nicht mehr der Dienstpflicht. Nach der Erkenntnislage würden Frauen in aller Regel bei Heirat oder Schwangerschaft vom Nationaldienst freigestellt bzw. aus dem Nationaldienst entlassen werden. Dies gelte auch für Mütter. Daher sei beabsichtigt, den subsidiären Schutz zu widerrufen und im Übrigen festzustellen, dass kein sonstiger subsidiärer Schutz zuerkannt werde und auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorlägen.
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Mit Schriftsatz vom 11.12.2020 teilte der Bevollmächtigte der Klägerin der Beklagten mit, es treffe nicht zu, dass für die Klägerin bei einer Rückführung nach Eritrea keine Verfolgungsgefahr mehr bestünde. Der Klägerin drohe eine Verfolgung wegen illegaler Ausreise. Bereits die illegale Ausreise allein - selbst ohne das Hinzutreten weiterer Straftaten wie Desertion oder Dienstverweigerung - werde außergerichtlich und willkürlich mit Haftstrafen von einigen Monaten bis zu zwei Jahren bestraft. Insgesamt sei das Strafmaß unklar und das Vorgehen intransparent und willkürlich. Zudem verhänge man alle Strafen für illegale Ausreisen außergerichtlich. Auch die Zahlung der Diaspora-Steuer und das Unterschreiben des Reueformulars garantiere Rückkehrern keine Rechtssicherheit. Der Diaspora-Status gelte nur drei Jahre. Danach lebten die allgemeinen Pflichten wieder auf. Das Asylgutachten von Amnesty International zu Eritrea vom Juli 2018 stelle zudem klar, dass die Asylantragstellung im Ausland als Kritik am eritreischen Regime betrachtet werde und einem Rückkehrer bereits deswegen Verfolgung drohe. Es entspreche ferner nicht den Tatsachen, dass der Klägerin keine Verfolgung mehr wegen der Einziehung vor ihrer Dienstpflicht drohe. Aus dem Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 30.07.2017 mit dem Titel „Eritrea: Nationaldienst“ ergebe sich, dass eine Zurückstellung vom Nationaldienst von Müttern willkürlich stattfinde und dies auch eine nur ausgeübte ungeschriebene Praxis darstelle, so dass insoweit keinerlei Rechtssicherheit bestehe. Es sei vielmehr so, dass auch Mütter den Nationaldienst weiterhin ableisten müssten bzw. jederzeit in den zivilen Teil des Nationaldienstes einberufen werden könnten. Wegen der Gefahr einer Verfolgung wegen illegaler Ausreise und der damit verbundenen Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus bei einer Mutter von zwei minderjährigen Kindern werde exemplarisch auf das Urteil des VG Augsburg vom 30.03.2020 (Au 1 K 18.30497) Bezug genommen und verwiesen. Es werde insbesondere auch auf die dort benannten Auskünfte Bezug genommen und verwiesen. Ergänzend sei noch auf den aktuellen Konflikt in der Region Tigray in Äthiopien hinzuweisen. In Eritrea berufe man immer wieder Reservisten zum Dienst ein, um diese in diesem Krieg einzusetzen. Dies stelle nochmals eine Eskalation der gesamten Situation in Eritrea dar.
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Höchst vorsorglich sei darauf hinzuweisen, dass bei der Klägerin als Mutter eines Kleinkindes die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben sein. Die Klägerin verfüge über keine belastbaren und erreichbaren familiären Verhältnisse in Eritrea. Insbesondere sei ihre Herkunftsregion inzwischen Kriegsgebiet. Bereits aus diesem Grund sei offensichtlich, dass eine alleinerziehende Mutter mit einem Kleinkind in Eritrea keine wirtschaftliche Existenzmöglichkeit habe. Dies gelte selbstverständlich umso mehr aufgrund der derzeitigen katastrophalen Bedingungen wegen der Heuschreckenplage und der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auch in Eritrea.
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Mit Bescheid vom 26.08.2021, als Einschreiben zur Post gegeben am 30.08.2021, wurde der mit Bescheid vom 13.07.2017 zuerkannte subsidiäre Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG widerrufen (Ziff. 1). Der subsidiäre Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 AsylG wurde nicht zuerkannt (Ziff. 2). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 3).
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Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gem. § 4 Abs. 1 AsylG sei gem. § 73b Abs. 1 AsylG zu widerrufen, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes führten, nicht mehr bestünden oder sich in einem Maße verändert hätten, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich sei. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG lägen im Falle der Klägerin nicht mehr vor. Die Klägerin sei zwischenzeitlich Mutter geworden. Damit sei eine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage gegeben. Eine Einberufung in den Nationaldienst sei nun nicht mehr beachtlich wahrscheinlich. In Eritrea herrsche die - wenn auch nur ungeschriebene - Praxis, verheiratete und schwangere Frauen sowie Mütter von der Dienstpflicht zu befreien. Rechtssicherheit bestehe insoweit zwar nicht, da die Anwendung der Regelung willkürlich erfolge und Berichte vorlägen, dass Mütter jedenfalls in den zivilen Sektor des Nationaldienstes eingesetzt worden sein sollen. Insofern sei die Argumentation der anwaltlichen Vertretung zutreffend, jedoch beschränke sich diese Erkenntnis auf wenige regionale Einzelfälle, so dass die Einberufung der Klägerin als Mutter in den Nationaldienst nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Belastbare Erkenntnisse dahingehend, dass es im Rahmen des Konfliktes in der Region Tigray nunmehr zu einem Abweichen vom bisherigen Regelvorgehen komme und nunmehr explizit auch Mütter in einem beachtlichen Ausmaß zum Nationaldienst herangezogen würden, seien dem Bundesamt nicht bekannt und seien durch die anwaltliche Vertretung nicht vorgelegt worden. Soweit auf einen Artikel der „taz“ vom 09.12.2020 („Krieg in Äthiopien: Heimliche Kriegspartei Eritrea“) Bezug genommen werde ist hierin ausdrücklich eine Dienstverpflichtung von Frauen lediglich bis zu deren Mutterschaft benannt. Daneben hätten sich die eritreischen Truppen inzwischen auch wieder auf ihre Seite der Grenze zurückgezogen. Verbliebene Unwägbarkeiten und bloße Möglichkeiten hinsichtlich eines weiteren Konflikts unter eritreischer Beteiligung könnten jedenfalls keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für eine Schutzgewährung begründen. Auch allein die illegale Ausreise führe nicht zu einer beachtlich wahrscheinlichen unmenschlichen Behandlung durch eine Bestrafung bei einer Rückkehr. Hierzu bedürfe es vielmehr weiterer Begleitumstände, die vorliegend nicht gegeben seien. Zwar habe die Klägerin in ihrer damaligen Anhörung am 10.07.2017 vorgetragen, das Land verlassen zu haben, da es aufgrund der Grenznähe ihres Wohnorts häufiger - zuletzt in 2014 - zu Kontrollen und Befragungen mehrerer Dorfbewohner und auch ihrer Person gekommen sei. Vorfälle mit flüchtlingsrechtlicher Relevanz und/oder stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ganz gezielt und primär von den Sicherheitsbehörden überwacht worden sei, seien dem damaligen Sachvortrag nicht zu entnehmen. Diese Beurteilung stehe auch in Übereinstimmung mit der damaligen Entscheidung, den subsidiären Schutz gerade nicht aufgrund des eigentlichen Sachvortrags der Klägerin zu gewähren, sondern aufgrund der damals bestehenden Nationaldienstpflicht für die Klägerin. Im Zeitpunkt der Ausreise sei die Klägerin noch keine 18 Jahre alt gewesen und sei damit zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Wehrpflicht unterfallen. Konkrete Versuche, sie vorzeitig zu rekrutieren, seien ebenfalls nicht vorgetragen worden. Sie habe sich deshalb auch nicht nach dem eritreischen Strafgesetzbuch strafbar gemacht und müsse bei ihrer Rückkehr wegen der illegalen Ausreise keinesfalls mit sofortiger Inhaftierung rechnen. Darüber hinaus liegen keine substantiellen Anhaltspunkte dafür vor, dass die eritreische Regierung auch Personen verfolge, die sich dem Nationaldienst lediglich dadurch entzogen haben, dass sie sich im wehrpflichtigen Alter nicht in Eritrea befunden hätten. Allein die nicht auszuschließende Möglichkeit einer Bestrafung führe nicht zur Tatbestandserfüllung des § 4 AsylG. Dies verkenne das Verwaltungsgericht Augsburg, wenn es ausführe, dass nach seiner Überzeugung vorkommende willkürliche Repressionen unter menschenwürdigen Bedingungen zur Gewährung subsidiären Schutzes führen müsse. Auch das dort zitierte Auswärtige Amt nenne lediglich zwei Fälle der Inhaftierung von Rückkehrern nach zuvor erfolgter illegaler Ausreise. Zu einem der Fälle werde berichtet, dass die entsprechende Person in der Haft korrekt behandelt worden sei. Im anderen Fall seien bereits die konkreten Vorwürfe unbekannt.
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Ungeachtet all dessen sei es der Klägerin zusätzlich möglich und zumutbar, sich als sogenannte „Diaspora-Eritreerin“ zu registrieren. Zwar werde von der anwaltlichen Vertretung der Klägerin zutreffend erläutert, dass es für die Anwendung der „Diaspora-Richtlinien“ keinen Rechtsanspruch gebe. Es sei aufgrund der aktuellen Auskunftslage jedoch davon auszugehen, dass diese offensichtlich angewandt würden und somit Personen, die freiwillig und mit „Diaspora-Status“ nach Eritrea zurückkehrten in großer Mehrheit nicht verfolgt würden. Auch die durch die Diaspora-Steuer entstehende finanzielle Belastung sei der Klägerin, spätestens durch den Verweis auf die verschiedenen Möglichkeiten der Rückkehrer- und Starthilfen, zuzumuten.
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Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 AsylG lägen nicht vor. Der Sachvortrag der Klägerin gebe keinen Hinweis darauf, dass ihr die Gefahr einer Verurteilung zur Todesstrafe drohen könne. Eine beachtlich wahrscheinliche Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlich bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG sei ebenfalls nicht ersichtlich. Obwohl ein solcher Konflikt im benachbarten Äthiopien in der an Eritrea angrenzenden Region Tigray vorherrsche, sei bislang nicht erkennbar, dass sich dieser mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in einem relevanten Ausmaß auch auf eritreisches Territorium ausweiten werde. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin aufgrund einer etwaigen individuellen Gefahrerhöhung bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG befürchten müsse.
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Abschiebungsverbote seien ebenfalls nicht gegeben. Zwar komme eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht, wenn die Klägerin im Falle ihrer Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe im Herkunftsland auf so schlechte humanitäre Bedingungen (allgemeine Gefahren) zu treffen, dass eine Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstelle. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne demnach aber nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bewertet werden. Selbst unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Klägerin sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Die Klägerin sei jung, gesund und erwerbsfähig. Sie verfüge über eine achtjährige Schulbildung. Im Heimatland seien neben ihren Eltern, welche eine eigene Landwirtschaft hätten, noch über zwei Tanten und ein Halbbruder. Darüber hinaus stehe der Klägerin bei freiwilliger Ausreise eine Reihe von finanziellen Unterstützungsmaßnahmen offen. Dabei werde nicht verkannt, dass sich der Heimatort der Klägerin in unmittelbarer Nähe, aber gerade nicht genau im Konfliktgebiet des Tigray-Konfliktes befinde. Weshalb die Klägerin behaupte, in Eritrea über keine „belastbaren erreichbaren“ familiären Verhältnisse zu verfügen, sei nicht nachvollziehbar. Ungeachtet dieser Frage sei vor dem Hintergrund der geschilderten Rahmenbedingungen jedenfalls festzustellen, dass keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände für die Klägerin und ihrer Tochter vorliegen. Es sei nicht ersichtlich, dass sie in Umstände gerate, die über das Maß dessen hinausgingen, was alle Bewohner hinzunehmen hätten.
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Der Klägerin drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führe (wird weiter ausgeführt).
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Mit Schriftsatz vom 08.09.2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht am 09.09.2021, erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage und beantragt,
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26.08.2021 wird aufgehoben.
Hilfsweise: Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 26.08.2021 verpflichtet, der Klägerin den subsidiären Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
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Mit Schriftsatz vom 14.09.2021 beantragt die Beklagte,
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Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
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Mit Schriftsatz vom 08.11.2021 führte der Klägerbevollmächtigte zur Begründung der Klage aus, es gebe keine Verbesserung hinsichtlich der Lage in Eritrea zur Lage im Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes. Allenfalls seien Verschlechterungen eingetreten. Die einzige Veränderung sei, dass die Klägerin inzwischen Mutter eines Kindes geworden sei. Dies führe aber gerade nicht zum dauerhaften Wegfall der Umstände, die früher zur Anerkennung geführt hätten. Die Mutterschaft alleine führe nicht zum Wegfall der Dienstverpflichtung. Eine solche Befreiung erfolge - wenn überhaupt - nur willkürlich und ohne gesetzliche Grundlage. Zudem betreffe die Befreiung nur die militärische Komponente des Nationaldienstes und nicht die Weiterarbeit im zivilen Bereich. Der Zwangsdienst sei bei weiblichen Rekruten häufig mit sexueller Nötigung und Gewalt bis hin zu Vergewaltigung verbunden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 09.10.2020). Entsprechendes gelte für die Verfolgung wegen illegaler Ausreise. Dass die daran anknüpfende Gefahr einer Bestrafung an einen Verfolgungsgrund anknüpfe oder nicht, sei aktuell in der Rechtsprechung umstritten bzw. werde von der fast einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung verneint. Dies sei aber eine Änderung der rechtlichen Wertung und stelle keinen Wegfall der Umstände dar. Der Klägerin drohe weiterhin eine Bestrafung wegen illegaler Ausreise, sodass insoweit keine Änderung gegeben sei. Die Voraussetzungen für den Widerruf seien damit schlichtweg nicht gegeben. Hinsichtlich der Möglichkeit des Diaspora-Status sei noch auszuführen, dass dieser überhaupt nur behalten werden könne, wenn mindestens einmal jährlich ausgereist werde (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 09.12.2020). Dies sei aber der Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea gerade nicht mehr möglich, sodass der Erwerb des Diaspora-Status allenfalls nur eine sehr kurzzeitige Verhinderung einer Bestrafung ermögliche. Zudem komme es nach wie vor trotz Diaspora-Status zu Verhaftungen bei der Einreise nach Eritrea. All dies zeige auf, dass zur früheren Schutzgewährung keine relevanten Änderungen eingetreten seien, die einen Widerruf des subsidiären Schutzes rechtfertigen könnten. Höchst vorsorglich seien bei der Klägerin aber zumindest die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben.
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Mit Beschluss der Kammer vom 14.10.2021 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 22.11.2021 wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen. Die Bundesamtsakte des „Erstverfahrens“ (Gz* …*) wurde beigezogen.
Entscheidungsgründe
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I. Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 22.11.2021 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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II. Der in zulässiger Weise erhobene Hauptantrag auf Aufhebung des Widerrufs des subsidiären Schutzstatus ist unbegründet. Der Widerruf des subsidiären Schutzes ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach § 73b Abs. 1 Satz 1 AsylG ist die Gewährung des subsidiären Schutzes zu widerrufen, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maß verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Der Klägerin wurde mit Bescheid vom 13.07.2017 der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt, da aufgrund der damaligen Sach- und Rechtslage davon ausgegangen wurde, dass der Klägerin in Eritrea die Einberufung zum Nationaldienst, und damit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, drohe. Da die Klägerin inzwischen ein Kind geboren hat und Mutter geworden ist, geht die Beklagte zutreffend davon aus, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG für die seinerzeitige Zuerkennung des subsidiären Schutzes inzwischen nicht mehr vorliegen und dementsprechend der gewährte Schutz zu widerrufen ist.
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1. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht bezüglich der geltend gemachten Gefahr hinsichtlich der Einberufung zum Nationaldienst trotz Geburt eines Kindes zunächst vollumfänglich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend ist lediglich noch Folgendes auszuführen:
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Auch nach den klägerischen Einlassungen im gerichtlichen Verfahren vermag das Gericht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit bzw. kein sog. „real risk“ zu erkennen, dass der hiesigen Klägerin - trotz der Geburt eines Kindes und der nunmehr bestehenden Mutterschaft - eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG im Zusammenhang mit dem eritreischen Nationaldienst droht. Eine Einziehung von Müttern mit einem kleinen Kind widerspricht der überwiegenden Auskunftslage (vgl. EASO, Eritrea: National service, exit and return, September 2019 S. 32; Danish Refugee Council, Eritrea, National service, exit und entry, January 2020, S. 47; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea vom 09.12.2020, VS-NfD* [Stand: November 2019] in der Fassung vom 25.01.2021, S. 15; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 13.06.2019, GZ 508-516.80; Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, Gesamtaktualisierung am 20.02.2017, Seite 18; Amnesty International, „Just deserters“, Dezember 2015, S. 28; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: Oktober 2019, 27.01.2020 Seite 15; Schweizerische Eidgenossenschaft, Focus Eritrea - Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22.06.2016, S. 49 f.; UN Commission of Inquiry (UNCOI), Report 5.06.2015, Nrn. 395 ff., 1201; UK Home Office, Country Policy and Information Note Eritrea: National service and illegal exit, October 2016, S. 18 (Nr. 7.3.7) m.w.N.; landinfo, Report „Eritrea: National Service“ vom 20.05.2016, S. 18; UK Upper Tribunal, Urteil vom 7.10.2016 (UKUT 443), Nrn. 253, 292; OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris; OVG Hamburg, U.v. 1.12.2020 - 4 Bf 205.18.A - juris; VG Trier, U.v. 10.3.2020 - 1 K 3603/18.TR - juris; VG Bayreuth, U.v. 22.3.2021 - B 8 K 18.31050). Danach werden Mütter regelmäßig von der Dienstpflicht im Nationaldienst befreit. Die Auskunftsmittel geben auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Befreiung für Frauen, die im Ausland Mutter geworden sind, nicht erteilt wird. Im Gegenteil, Hintergrund der Regelung scheint zu sein, dass die Kinder betreut werden müssen. Ein solches Erfordernis ergibt sich unabhängig vom Geburtsort des Kindes (VG Bayreuth, U.v. 15.3.2021 - B 8 K 18.31541). Zwar besteht hinsichtlich der Anwendung der o.g. Befreiung durch die eritreischen Behörden keine Rechtssicherheit, da die Anwendung willkürlich erfolgt. Das Gericht verkennt auch nicht, dass es offensichtlich teilweise vorkommt, dass verheiratete Frauen, Mütter und Schwangere von der Dienstpflicht nicht vollständig befreit, sondern noch zum zivilen Teil des Nationaldienstes herangezogen werden (vgl. EASO, Eritrea: National service, exit and return, September 2019 S. 32; Amnesty International (AI), Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea vom 28.07.2017, unter Bezugnahme auf AI, Just Seserters, Why indefinite National Service in Eritrea has created a Generation of Refugees vom 31.12.2015, S. 28; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Eritrea: Nationaldienst vom 30.06.2017, S. 11; vgl. hierzu auch OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris; OVG Hamburg, U.v. 1.12.2020 - 4 Bf 205.18.A - juris). Bei einer allenfalls in Betracht kommenden Verwendung im zivil geprägten Teil des Nationaldienstes droht der Klägerin jedenfalls kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, da dieser Teil des Nationaldienstes grds. weder erniedrigend noch unmenschlich ist. Für sexuelle Gewalt im zivilen Teil des Nationaldienstes besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Die Arbeitsbedingungen im zivilen Teil des Nationaldienstes erreichen nicht das für eine unmenschliche Behandlung notwendige Mindestmaß an Schwere. Die Situation im zivilen Teil des Nationaldienstes ist zwar geprägt von Arbeitszwang, mangelnder persönlicher Freiheit und einer unzureichenden Bezahlung. Der Schweregrad dieser Umstände reicht jedoch weder einzeln noch in einer Gesamtschau für die Feststellung einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aus. Aus den Erkenntnisquellen ergibt sich nicht, dass die Arbeitssituation derart demütigend, erniedrigend, menschenverachtend oder herabsetzend ist, dass sie geeignet ist, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (vgl. hierzu ausführlich: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf. 106.20.A - juris m.w.N., dessen Sichtweise sich das erkennende Gericht vollumfänglich anschließt).
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Die den Erkenntnismitteln zu entnehmenden Fälle, in denen verheiratete oder schwangere Frauen sowie Mütter trotz der ungeschriebenen Praxis der Dienstverschonung zum Nationaldienst einberufen worden sind, stellen im Übrigen offensichtlich nur Einzelschicksale dar, die der unzweifelhaft willkürlichen Anwendung dieser Praxis geschuldet sein dürften. Sie lassen jedoch keinen Rückschluss darauf zu, dass auch der hiesigen Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bzw. mit dem notwendigen „real risk“ die Einberufung zum Nationaldienst droht, obwohl sie eine Mutter ist und damit dem Kreis der Begünstigten der Praxis der Dienstverschonung zuzurechnen ist (vgl. auch VG Arnsberg, U.v. 4.5.2018 - 12 K 5098/16.A - juris), insbesondere sind insoweit keine individuell gefahrerhöhenden Umstände in der Person der hiesigen Klägerin ersichtlich (vgl. hierzu auch nachstehend unter 2.). Das Thema „Nationaldienst“ wurde ferner von der Klägerin persönlich in der mündlichen Verhandlung erst auf explizite Nachfrage des Gerichts geäußert und auch insoweit erklärte die Klägerin nur, sie wisse nicht genau, ob Mütter auch zum Nationaldienst müssen.
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Es ist letztlich auch weder substantiiert dargelegt, noch anderweitig ersichtlich, dass sich an der eritreischen Einzugspraxis durch den „Tigray-Konflikt“ etwas geändert hat, insbesondere, dass gegenwärtig vermehrt Mütter von Kleinkindern zum Nationaldienst einberufen wurden bzw. werden (so auch OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris).
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2. Der Klägerin droht auch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen einer etwaigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder einer etwaigen Bestrafung wegen illegaler Ausreise aus Eritrea bzw. der Asylantragstellung in Deutschland. Bei einer Gesamtabwägung der vorliegenden Erkenntnisquellen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der eritreische Staat jeden eritreischen Staatsbürger, der illegal ausgereist ist und dadurch den Nationaldienst umgeht, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Handlung unterzieht (OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris; vgl. hierzu jeweils im Rahmen des § 3 AsylG auch: BayVGH, U.v. 5.2.2020 - 23 B 18.31593 - juris; OVG Münster, B.v. 9.11.2020 - 19 A 3586/18.A - juris; OVG Hamburg, U.v. 1.12.2020 - 4 Bf 205/18.A - juris; OVG Hamburg, B.v. 2.9.2021 - 4 Bf 546.19.A - juris; VGH Mannheim, U.v. 8.6.2021 - A 13 S 403.20 - juris). Zwar mag einiges dafürsprechen, dass die Haftbedingungen für sich genommen den Tatbestand einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erfüllen (vgl. OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris). Die Reaktion der eritreischen Behörden auf eine illegale Ausreise - und damit die Frage der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG - hängt aber vielmehr maßgeblich von den Umständen der Ausreise, dem Nationaldienst-Status, etwaigen exilpolitischen Aktivitäten, dem Netzwerk in Eritrea und weiteren Faktoren des Einzelfalls ab (vgl. auch VG Bayreuth, U.v. 15.3.2021 - B 8 K 18.31541). Es ist somit in erster Linie nicht die illegale Ausreise (vgl. etwa Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 09.12.2020 in der Fassung vom 25.01.2021, S. 21), sondern deren Begleitumstände, welche zu einer Bestrafung führen (vgl. insoweit auch OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris; VG Bremen, U.v. 20.4.2021 - 7 K 1944.19 - juris; VG Gießen, U.v. 12.6.2020 - 6 K 8852.17.GI.A - juris). Im Hinblick auf die hiesige Klägerin sprechen die Begleitumstände der Ausreise eindeutig gegen eine unmenschliche/ erniedrigende Behandlung der Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea. Zum einen war die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Ausreise im Herbst 2014 noch nicht im wehrpflichtigen Alter. Dabei verkennt das Gericht auch nicht, dass sie Klägerin zumindest kurz vor der Volljährigkeit stand. Im Übrigen ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass man bereits zu diesem Zeitpunkt versucht hat, die Klägerin zu rekrutieren. Die Klägerin hat gegenüber dem Gericht selbst erklärt, dass sie Eritrea nicht wegen des konkret anstehenden Nationaldienstes verlassen hat, sondern wegen „Stress und Druck in Eritrea“, insbesondere, weil sie sich in Eritrea nicht habe frei bewegen können, sie regelmäßig gefragt worden sei, wohin sie gehen wolle und ihr wiederholt unterstellt worden sei, dass sie nach Äthiopien fliehen wolle. Auch der Vortrag, dass sie einmal beim Holzsammeln festgenommen worden sei und für zwei Tage ins Gefängnis gebracht wurde, führt nach Auffassung des Gerichts nicht dazu, dass insoweit gefahrerhöhende Umstände in der Person der Klägerin vorliegen. Zum einen ist die Klägerin nach zwei Tagen freigelassen worden, sodass die Sache insoweit „erledigt“ war. Im Übrigen scheint der Vortrag dem Gericht nicht sonderlich glaubwürdig. Bei der Anhörung im Anerkennungsverfahren erklärte die Klägerin am 10.07.2017 nämlich noch gegenüber dem Bundesamt, man habe sie mehrmals in ein Sammelgefängnis gebracht, um zu befragen. Dabei habe man wissen wollen, ob geplant sei zu fliehen. In der mündlichen Verhandlung hingegen war nur die Rede davon, dass sie einmal festgenommen worden und für zwei Tage in ein Gefängnis gebracht worden sei. Daneben sind auch die klägerischen Einlassungen zum familiären Hintergrund in Eritrea widersprüchlich. So erklärte sie noch im Jahr 2017 gegenüber dem Bundesamt, sie habe in Eritrea unter anderem noch ihre Eltern, die in Tsorona leben. Ferner, dass sie in Eritrea ihren Eltern in der Landwirtschaft geholfen habe. Gegenüber dem Gericht führte sie hingegen in der mündlichen Verhandlung aus, zu ihrem Vater habe sie keinen Kontakt. Dieser sei beim Militär und nicht mehr zu Hause. Ihre Eltern seien schon geschieden gewesen, als sie noch ein Baby war. Von daher kann das Gericht schon im Ansatz nicht nachvollziehen, warum die Klägerin bei der Anhörung im Jahr 2017 angegeben hat, sie habe in Eritrea ihren Eltern in der Landwirtschaft geholfen und ihr Vater lebe - genauso wie die Mutter - in Tsorona. Auch die in der mündlichen Verhandlung erstmals geschilderte Vergewaltigung am Tag vor ihrer Flucht aus Eritrea nimmt das Gericht der Klägerin nicht ab. Dieser Aspekt wurde weder im „Erstverfahren“, noch während des gesamten Widerrufsverfahrens auch nur ansatzweise erwähnt. Erstmals in der mündlichen Verhandlung „tischte“ die Klägerin dann diese Geschichte dem Gericht mit der Begründung auf, die Vergewaltigung habe sie früher nicht erwähnen können, da diese „zu tief gesessen“ sei. Im Übrigen konnte die Klägerin insoweit nur davon berichten, dass sie beim Wasserholen von einem „ihr unbekannten Mann“ vergewaltigt worden sei. In diesem Zusammenhang ist für das Gericht auch nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin nicht einmal mehr nach Hause gegangen sein will, um die notwendigsten Sachen zusammenzupacken, sondern unmittelbar vom Ort der Vergewaltigung aus die Flucht angetreten haben will. Selbst wenn diese Vergewaltigung der Wahrheit entsprechen sollte, wirkt diese für die Klägerin in keinster Weise gefahrerhöhend im Hinblick auf eine drohende Bestrafung bei einer Rückkehr. Es ist weder dargetan, noch anderweitig ersichtlich, dass diese Vergewaltigung im Zusammenhang mit einer politischen Gesinnung der Klägerin steht oder mit einem Konfliktpotential gegenüber dem Staat einhergeht. Ferner ist nicht ersichtlich, dass der eritreische Staat nicht fähig und willens ist, die Klägerin vor solchen Handlungen künftig zu schützen. In Anbetracht der Tatsache, dass der Klägerin kein „real risk“ der Heranziehung zum Nationaldienst wegen Mutterschaft droht, diese in keinem Konfliktverhältnis mit dem Staat steht, keine exilpolitischen Tätigkeiten ausübt und mittlerweile über sieben Jahre im Ausland lebt, liegen auch keinerlei gefahrerhöhende Begleitumstände vor, die wegen der seinerzeitigen illegalen Ausreise und des bislang nicht abgeleisteten Nationaldienstes zu einer unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlung der Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea führen würden.
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Im Übrigen kann die Klägerin als Auslandseritreerin jedenfalls den „Diaspora-Status“ erlangen, der für sechs bis zwölf Monate im Falle einer permanenten Rückkehr vor Strafverfolgung und Einziehung in den Nationaldienst schützt (vgl. hierzu umfassend: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris). Es der Klägerin zuzumuten, ihren „Status“ bei den eritreischen Behörden zu regeln, um anschließend straffrei nach Eritrea zurückkehren zu können, sei es über die Botschaft bzw. das Generalkonsulat in Deutschland oder unmittelbar bei den im Heimatland ansässigen Behörden. Im Umgang mit freiwilligen Rückkehrern aus der Diaspora, die sich im Ausland nicht exilpolitisch-oppositionell bestätigt haben, werden die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen für Desertion, Dienstverweigerung und illegale Ausreise offenbar nicht angewandt. Falls sie sich mindestens drei Jahre im Ausland aufgehalten haben, können sie den „Diaspora-Status“ beantragen. Dieser befreit sie von der Pflicht, Nationaldienst zu leisten und Ausreisevisa zu beantragen. Auf den „Diaspora-Status“ besteht zwar kein Rechtsanspruch. Gleichwohl wird dieser nach der Auskunftslage aber offensichtlich berücksichtigt. Dies belegen die von internationalen Vertretern in Asmara und von der Presse ausführlich dokumentierten Beobachtungen der Urlaubsbesuche von Diaspora-Mitgliedern, aber auch die im Rahmen einer Fact-Finding-Mission im März 2016 geführten Gespräche mit dauerhaften Rückkehrern u.a. aus Israel und dem Sudan. Vor diesem Hintergrund ergibt sich bei einer zusammenfassenden Würdigung keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Bestrafung von Eritreern, die illegal ausgereist sind und hierdurch den Nationaldienst nicht abgeleistet haben, jedoch den „Diaspora-Status“ erlangt haben (OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris; vgl. auch SEM - Focus Eritrea, Update Nationaldienst und illegale Ausreise, von 10.08.2016, S. 32 ff., 42 ff.; Danish Refugee Council, Eritrea, National service, exit and entry, von Januar 2020, S. 30/31; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 09.12.2020 in der Fassung vom 25.01.2021, S. 21 ff. sowie Accord, Information zum Militärdienst vom 09.05.2017; VG Saarland, U.v. 19.2.2021 - 3 K 739/20 - juris; VG Gießen, U. v. 12.6.2020 - 6 K 8852.17.GI.A - juris; VG Trier, U.v. 16.8.2019 - 1 K 6280.17.TR - juris). Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nach Erlangung des „Diaspora-Status“ im Einzelfall eine Verfolgung - insbesondere von bekennenden Regierungsgegnern mit (exil-)politischen oppositionellen Aktivitäten - nicht gänzlich ausgeschlossen ist, ergibt sich gemessen am Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zumindest für die vorliegend nicht exilpolitisch tätig gewordene Klägerin keine andere Bewertung.
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Soweit der Diaspora-Status voraussetzt, dass die Klägerin ein Schuldeingeständnis abgibt, ist nicht ersichtlich, dass die Abgabe einer solchen Reueerklärung der Klägerin unzumutbar wäre (OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris; vgl. auch VG Trier, U.v. 16.8.2019 - 1 K 6280.17.TR - juris). Die Klägerin erfüllt, nachdem sie Eritrea nach eigenen Angaben bereits im Jahr 2014 verlassen hat, auch die weiteren Voraussetzungen für die Erlangung des Diaspora-Status, namentlich hat sie sich weit mehr als drei Jahre außerhalb ihres Heimatlandes aufgehalten. Eine Unzumutbarkeit der Auseinandersetzung mit den eritreischen Behörden zur Ermöglichung einer faktischen Straffreiheit bei Rückkehr ergibt sich auch nicht daraus, dass der Klägerin die Zahlung von Geldbeträgen auferlegt werden dürfte (sog. Diaspora-Steuer, vgl. hierzu etwa Danish Refugee Council, Eritrea - National service, exit and entry, vom Januar 2020, S. 30/31; vgl. zur Höhe und Zumutbarkeit auch: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris). Soweit es um die Aufbringung der Diaspora-Steuer geht, muss sich die Klägerin nicht zuletzt auf die bei freiwilliger Ausreise möglichen Rückkehrer- und Starthilfen (vgl. hierzu umfassend auch: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris) verweisen lassen. Bereits mit der Zuleitung des streitgegenständlichen Bescheids an die Klägerseite hatte das Bundesamt auf die Rückkehrhilfen bei freiwilliger Ausreise hingewiesen. Aus dem sog. REAG-/GARP-Programm kann u.a. eine Reisebeihilfe i.H.v. 200,00 EUR sowie eine Starthilfe von 1.000,00 EUR in Anspruch genommen werden. Medizinische Hilfe kann nicht nur während der Reise, sondern auch im Zielland für bis zur drei Monate nach der Ankunft - maximal i.H.v. 2.000,00 EUR - in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen einen Ankunftsservice (Flughafenabholung, kurzfristige Unterkunft), individuelle Beratung nach der Ankunft, Unterstützung im Bereich Wohnen (z.B. Grundausstattung, Mietzuschuss), berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Beratung und Unterstützung bei sozialen und medizinischen Angelegenheiten sowie allgemeine Rechtsauskünfte. Die Unterstützung wird grundsätzlich als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückkehrende Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR, bei festgestellter Vulnerabilität einmalig zusätzlich 1.000,00 EUR und im Familienverbund bis zu insgesamt maximal 5.000,00 EUR (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin). Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich die Klägerin nicht darauf berufen kann, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf nämlich grundsätzlich ein Asylbewerber dann nicht des Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland, wenn er eine geltend gemachte Gefährdung in seinem Heimatland durch zumutbares eigenes Verhalten, wozu insbesondere die freiwillige Ausreise und Rückkehr in den Heimatstaat gehört, abwenden kann (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 - 9 C 38.96; BVerwG, U.v. 3.11.1992 - 9 C 21.92 - juris).
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Ein längerer Schutz vor Bestrafung als durch den Diaspora-Status ermöglicht wird, ist von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht gefordert. Die Gefahr eines ernsthaften Schadenseintritts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist nämlich nicht schon dann gegeben, wenn zu einem beliebigen Zeitpunkt nach der Rückkehr in das Heimatland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Vielmehr muss im Rahmen einer Prognose eine Verwirklichung der Gefahren noch in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur Rückkehr zu befürchten sein. Die Gefahr muss folglich in dem Sinne konkret sein, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen zeitlichen Zusammenhang mit der Rückkehr ins Herkunftsland eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Rückkehr - in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Asylbewerbers - gerechtfertigt erscheint (vgl. OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris). Für die Situation in Eritrea ist die Dauer der Schutzwirkungen des Diasporastatus von sechs bis zwölf Monaten ein ausreichend langer Betrachtungszeitraum, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts auszuschließen. Bei wertender Betrachtung der Erkenntnismittel ergibt sich, dass die Schutzwirkungen in der Regel sogar für mindestens ein Jahr anhalten dürften. Dieser Zeitraum ist ausreichend lang, um dem aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abzuleitenden „Absehbarkeitserfordernis“ (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.1981 - 9 C 237.80 - juris) Rechnung zu tragen. Soweit es im Einzelfall schon vor Ablauf von zwölf Monaten dazu kommen sollte, dass zurückgekehrte Eritreer nicht mehr als Diasporaeritreer angesehen werden, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die Erkenntnislage gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass Personen nach Erlöschen ihres Diasporastatus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmittelbar einer Strafverfolgung oder (erneuten) Einziehung in den Nationaldienst ausgesetzt sind. Die Berichte zu Personen, die während des Diasporastatus oder nach dessen Ablauf der Gefahr von Strafverfolgung und (erneutem) Einzug in den Nationaldienst ausgesetzt waren, betreffen zum einen sehr spezielle Situationen, in denen Personen in Konflikte mit höherrangigen Militär- oder Regierungsangehörigen verstrickt waren (vgl. SFH: Eritrea: Reflexverfolgung, Rückkehr und „Diaspora-Steuer“, September 2018, S. 10 f.). Zum anderen sind derartige Berichte nicht belast- und nachprüfbar, da sie überwiegend auf anekdotischer Kenntnis und Gerüchten beruhen (EASO, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, September 2019, S. 65 f.). Für den Regelfall des rückkehrenden Eritreers, der sich - wie die hiesige Klägerin - nicht (exil-)politisch betätigt hat, besteht hingegen auch nach Erlöschen des Diasporastatus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung. Sie kommt nur „unter Umständen“ vor und kann zeitlich deutlich verzögert (Monate bis Jahre nach der Rückkehr) erfolgen (vgl. hierzu umfassend: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris m.w.N.).
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III. Die in zulässiger Weise hilfsweise erhobene Klage auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 AsylG bzw. auf Verpflichtung der Beklagten, festzustellen, dass der Klägerin nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG zustehen, bleiben ebenfalls ohne Erfolg (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 AslyG ist ebenfalls nicht gegeben, insbesondere herrscht gegenwärtig in Eritrea kein Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (vgl. auch VG Bayreuth, U.v. 15.3.2021 - B 8 K 18.31541). Dabei verkennt das Gericht nicht, dass im sogenannten „Tigray-Konflikt“ auch zunehmend das eritreische Militär verwickelt ist und dass im Zuge dieses Konfliktes Gewalttätigkeiten offensichtlich auch auf dem eritreischen Staatsgebiet, insbesondere in der Grenzregion zu Äthiopien, stattfinden. Es liegen aber keinerlei belastbare Anhaltspunkte dafür vor, dass auch nur ansatzweise die Schwelle zu einer Auseinandersetzung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erreicht wird.
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2. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
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a) Bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes aus humanitären Gründen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist ein „sehr hohes Niveau“ anzulegen und eine „besondere Ausnahmesituation“ erforderlich. Nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind, sind liegen die Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor (BVerwG, B.v. 22.9.2020 - 1 B 39.20 - juris; BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - juris m.w.N.; BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 - 8 B 19.31004 - juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - juris).
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Gemessen an diesem Maßstab ist bei der Klägerin ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Eritrea zu verneinen. Im Rahmen der anzustellenden Rückkehrprognose ist davon auszugehen, dass eine hypothetische Rückkehr der Klägerin nach Eritrea zusammen mit ihrem Lebenspartner und ihrem in Deutschland geborenen Kind erfolgt. Nach Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist deren Lebensgefährte und Vater des Kindes ebenfalls eritreischer Staatsangehöriger, mit dem sie eine Liebesbeziehung führt. Die Klägerin bezeichnet das Zusammenleben zwischen ihr, dem Kind und dem Kindsvater selbst als „Familie“. Nach klägerischen Angaben versuche man gegenwärtig auch, eine gemeinsame Wohnung zu finden und zeitnah zusammenzuziehen. Von daher geht das Gericht davon aus, dass insoweit eine gelebte Kernfamilie besteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - juris) hat eine realitätsnahe Rückkehrprognose zu erfolgen, in der die gelebte Kernfamilie einzubeziehen ist und dementsprechend davon auszugehen ist, dass im Regelfall auch die Mitglieder der Kernfamilie mit ins Herkunftsland zurückkehren, die über internationalen Schutz - so wie der hiesige Kindsvater - oder über nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz verfügen. Dies zugrunde gelegt hat das Gericht keinerlei Bedenken, dass die kleine Familie in Eritrea das absolute Existenzminimum sichern kann. Die Klägerin ist jung, gesund und erwerbsfähig. Gleiches gilt offensichtlich für ihren Lebensgefährten. Für die Kinderbetreuung kann die Erwerbstätigkeit entsprechend organisiert werden. Im Übrigen kann die Klägerin auf verwandtschaftlichen Rückhalt in Eritrea zurückgreifen. Sie erklärte dem Gericht in der mündlichen Verhandlung, sie habe noch ihre Mutter und einen Bruder in Eritrea. Ferner leben noch die Geschwister ihrer Mutter in Eritrea, sodass sie auf umfassenden familiären bzw. großfamiliären Rückhalt zurückgreifen kann. Selbst wenn die Klägerin selbst keiner Arbeit nachgehen könnte und/oder entgegen der angestellten Rückkehrprognose der Kindsvater nicht mit nach Eritrea zurückkehren würde, ist es nach Auffassung des Gerichts der Mutter auch alleine mit dem Kind möglich, in Eritrea das absolute Existenzminimum zu sichern. Der verwandtschaftliche Rückhalt ist insoweit ausreichend und geeignet, die Klägerin mit ihrem Kind vor einer existenziellen Notlage zu bewahren. Im Übrigen kann die Klägerin auch Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen, um in Eritrea entsprechend Fuß zu fassen. Dabei kann auch nicht eingewandt werden, dass diese nur bei freiwilliger Rückkehr in das Herkunftsland gewährt werden (s.o.). An diesem Ergebnis ändert auch die Corona-Pandemie nichts. Es liegen keine Erkenntnisse vor, dass sich die Versorgungslage aufgrund der Verbreitung des „Corona-Virus“ (auch) in Eritrea in einer Weise verschlechtert hat, die die Sicherung des existentiellen Lebensunterhaltes nicht mehr ermöglicht (vgl. ausführlich: OVG Hamburg, U.v. 27.10.2021 - 4 Bf 106.20.A - juris und nachstehend unter b).
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b) Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht einschlägig.
35
aa) Insbesondere führt die „Corona-Pandemie“ (auch) in Eritrea nicht zur Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
36
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Fehlt eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kann ein Ausländer im Hinblick auf die (allgemeinen) Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 - 1 C 5.01 - juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 24.10 - juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 - 8 B 19.31004 - juris; VG Würzburg, GB v. 11.5.2020 - 8 K 20.50114 - juris).
37
Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien - und damit auch infolge der Verbreitung des Corona-Virus - begründet nur Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff., 45; VG Würzburg, U.v. 3.7.2020 - W 3 K 19.31666 - juris unter Verweis auf BayVGH, B.v. 19.05.2020 - 23 ZB 20.31096; VG Würzburg, B.v. 3.12.2020 - W 3 S 20.31209 - juris).
38
Es ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer „Rückkehr“ nach Eritrea einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung einschränken könnte, ausgesetzt wären. Die Klägerin gehört insbesondere keiner besonderen Risikogruppe an und hat umfangreiche familiäre Unterstützung im Herkunftsland. Im Übrigen wird vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG verwiesen. Dementsprechend sind jedenfalls auch die noch höheren Voraussetzungen für die Durchbrechung der Sperrwirkung nicht gegeben.
39
bb) Individuelle Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, insbesondere lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen, die sich alsbald nach der Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), sind weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.