Titel:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Stützmauer nebst Aufschüttung
Normenketten:
BauGB § 34
BayBO Art. 6 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 7 S. 1 Nr. 3
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr.3 (idF bis zum 31.01.2021)
Leitsätze:
1. Wenn eine Stützmauer der Sicherung der Aufschüttung vor dem Abrutschen auf das Nachbargrundstück, dient, bildet sie abstandsrechtlich mit der Aufschüttung eine funktionale Einheit, die in ihrer Gesamtheit der Privilegierung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F. unterfällt. Dass die Stützmauer kein natürliches Gelände, sondern eine künstliche Aufschüttung sichert, steht der Privilegierung nicht entgegen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Nachbar kann sich auf die Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften dann nicht berufen, wenn auch die Bebauung auf dem eigenen Grundstück den Anforderungen dieser Vorschrift nicht entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu - gemessen am Schutzzweck der Vorschrift - schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erfolglose Drittanfechtungsklage, Tektur Außenanlagen, Erteilung der Nachbarunterschrift führt zu einem Verlust der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur in dem zugestimmten Umfang, Stützmauer und Aufschüttung unterfallen der Privilegierung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F. bzw. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO a.F, zudem keine bauliche Anlage i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO, maßgeblich ist das Genehmigte auch bei tatsächlich planabweichender Ausführung, keine Geltendmachung von Abwehrrechten nach dem Verbot unzulässiger Rechtsausübung – hier Art. 6 BayBO, Baugenehmigung, Nachbarklage, Abstandsflächen, Privilegierung, Stützmauer, Aufschüttung, funktionale Einheit, Rechtsmissbrauch, eigener Abstandsflächenverstoß
Fundstelle:
BeckRS 2021, 41277
Tenor
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3.Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
2
Die Kläger sind Eigentümer der Grundstücke FlNrn. …, …, Gemarkung …, …, … … Das Grundstück FlNr. … ist mit einem Wohnhaus bebaut, welches von den Klägern bewohnt wird. Auf dem Grundstück … befindet sich eine Scheune. Die Beigeladenen sind Eigentümer des südlich der FlNr. … und östlich der FlNr. … gelegenen Grundstückes FlNr. …, Gemarkung …, … (Vorhabengrundstück), das in seinem östlichen Bereich mit einem Mehrfamilienhaus bebaut ist. Die Beigeladenen sind außerdem Eigentümer der nördlich der FlNr. … gelegenen FlNr. … Im südöstlichen Bereich des Wohnhauses der Kläger (FlNr. …*) befindet sich ein Anbau, der mit dem Mehrfamilienhaus der Beigeladenen zusammengebaut ist. Die Kläger haben ihr Anwesen von den Beigeladenen erworben.
3
Die Beigeladenen beantragten mit Bauantrag vom 9. Juli 2018 den Umbau und die Sanierung eines Mehrfamilienhauses (bestehend aus Erdgeschoss, 1. Obergeschoss, ausgebautem Dachgeschoss und Spitzboden) mit drei Wohnungen auf dem Vorhabengrundstück. Mit Formblatt vom 15. Oktober 2018 beantragten sie außerdem eine isolierte Abweichung von den Abstandsflächen nach Norden. Der Abweichungsantrag enthält die Unterschriften der Kläger. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2018 teilten die Beigeladenen mit, dass der Carport vorerst nicht errichtet werden solle und nicht Bestandteil des Antrages sei. Gegebenenfalls würde ein separater Bauantrag gestellt werden.
4
Mit Bescheid vom 7. November 2018 genehmigte der Beklagte den beantragten Umbau und die Sanierung des Mehrfamilienwohnhauses auf dem Vorhabengrundstück und erteilte eine Abweichung von den nach Art. 6 Abs. 5, 6 BayBO vorgeschriebenen Abstandsflächen zur FlNr. …, da nach Größe und Zuschnitt des Baugrundstückes eine städtebaulich und wirtschaftlich sinnvolle Bebauung nur unter Verkürzung der vorgeschriebenen Abstandsflächen möglich sei. Die Abweichung sei insbesondere unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Hinsichtlich des im südwestlichen Bereich des Vorhabengrundstückes gelegenen Carports befindet sich auf den genehmigten Planunterlagen der Vermerk, dass der Carport nicht Gegenstand der Baugenehmigung sei. Laut Behördenakten erfolgte die Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung vom 7. November 2018 an die Beigeladenen per Einschreiben, aufgegeben am 9. November 2018.
5
Mit Änderungsantrag vom 9. März 2019 beantragten die Beigeladenen eine Baugenehmigung. Außerdem wurde mit Datum vom 24. Juli 2019 ein Antrag auf Abweichung, Art. 63 BayBO, von den Abstandsflächen des Carports nach Westen gestellt. Weiter wurde mit Antrag vom 13. September 2019 ein Antrag auf Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen betreffend die sich überdeckenden Abstandsflächen von Gebäude und Carport auf dem eigenen Grundstück. Dem Tekturantrag beigefügt war weiter eine auf den 6. September 2019 datierende „Information zum eingereichten Antrag auf Abweichung“, wonach wegen des geplanten Carports der Eigentümer des Flurstücks … über die Stellung des Antrages auf Abweichung von den Abstandsflächen die FlNr. … betreffend informiert worden sei und der Antrag auf Abweichung im Zuge der Baugenehmigung vom Landratsamt geprüft werde. Die „Information“ enthält die Unterschrift einer der Kläger.
6
Mit Bescheid vom 16. September 2019 wurde den Beigeladenen in Abänderung der mit Bescheid vom 7. November 2018 erteilten Baugenehmigung für Grundrissänderungen und die Errichtung eines Carports die bauaufsichtliche Genehmigung erteilt. Weiter wurden Abweichungen zugelassen von Art. 6 BayBO wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen zum Nachbargrundstück FlNr. … und wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen auf dem eigenen Grundstück. Nach Art. 63 Abs. 1 BayBO seien die beantragten Abweichungen erteilt worden, weil nach Größe und Zuschnitt des Baugrundstückes eine städtebaulich und wirtschaftlich sinnvolle Bebauung nur unter Verkürzung der vorgeschriebenen Abstandsflächen möglich sei. Eine Abstandsflächenübernahme sei nicht möglich, da an der Grundstücksgrenze bereits ein Gebäude bestehe, das ebenfalls Abstandsflächen nicht einhalte. Es handele sich hierbei um eine Scheune ohne Aufenthaltsräume. Belichtung und Belüftung seien hierfür nicht relevant. Die Bauherren hätten die Zustimmung der betroffenen Nachbarn eingeholt. Die Abweichungen seien insbesondere unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Laut Behördenakten erfolgte die Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung vom 16. September 2019 an die Beigeladenen per Einschreiben, aufgegeben am 17. September 2019.
7
Nach Beschwerden der Kläger ordnete der Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 2020 eine Baueinstellung bezüglich des Vorhabens an und führte aus, dass bei der Errichtung des Carports mit Abstellraum von den mit Bescheid vom 16. September 2019 genehmigten Plänen abgewichen werde und eine nicht genehmigte Grundstücksauffüllung mit Errichtung im nördlichen Grundstücksteil vorgenommen worden sei. In dem mit Bescheid vom 16. September 2019 genehmigten Plänen sei keine Darstellung des natürlichen Geländeverlaufs enthalten gewesen bzw. sei das Grundstück als ebenes Grundstück dargestellt worden. Nun sei im nördlichen Grundstücksbereich die Auffüllung des zuvor offensichtlich abfallenden Grundstückes hergestellt worden, was von der Baugenehmigung nicht umfasst sei.
8
Die Beigeladenen beantragten mit beim Beklagten am 25. März 2020 eingegangenem Änderungsantrag zu einem genehmigten Vorhaben vom 20. Februar 2020 unter Vorlage geänderter Pläne die Erteilung einer Baugenehmigung zu einem bestehenden Vorhaben - Umbau, Sanierung eines Mehrfamilienhauses mit drei Wohnungen, Tektur Außenanlagen. Im eingereichten Grundrissplan findet sich an der nordwestlichen Grundstücksgrenze des Vorhabengrundstückes die Bemerkung „Geländesprung von Bestandsgelände 1,16 m“ und an der Nordwestecke des auf dem Vorhabengrundstück befindlichen Mehrfamilienhauses die Bemerkung „Geländesprung von Bestandsgelände 0,30 m“. Zur Flurnummer … hin ist im Bereich der nordwestlichen Ecke des Vorhabengrundstückes ein Geländesprung von 1,16 m vermerkt. Im Wesentlichen soll der Bereich des Vorhabengrundstückes westlich des Mehrfamilienhauses aufgeschüttet werden. Die Stützmauer nach Norden, zur FlNr. …, ist zeichnerisch zu erkennen. Auf dem aufgeschütteten Bereich ist auch die Errichtung des Carports/Schuppens im westlichen Bereich des Vorhabengrundstückes geplant. Nördlich des Carports/Schuppen ist eine Treppe eingezeichnet, die hinab zur FlNr. … führt. Beginnend am oberen Treppenabsatz ist eine grün-gestrichelte Linie in Richtung Südosten eingetragen, die mit Zaun h = 1 m beschriftet ist. Nach ca. 5 m in südöstlicher Richtung verläuft der Zaun dann in einem Abstand von ca. 2,50 m parallel zum Mehrfamilienwohnhaus in Richtung Süden. Direkt auf der Stützmauer zur FlNr. … hin ist kein Zaun o.ä. eingezeichnet.
9
Mit Bescheid vom 22. April 2020 erließ der Beklagte in Abänderung der mit Bescheid vom 7. November 2018 erteilten Baugenehmigung, geändert durch Tekturgenehmigung vom 16. September 2019, die bauaufsichtliche Genehmigung für Geländeveränderungen und Höhenlage des Carports/Schuppen. Gegenstand der Genehmigung seien die mit Genehmigungsvermerk (Prüfvermerk) versehenen Bauvorlagen des Bauantrages vom 20. Februar 2020 - Tenor des Bescheides. Weiter wurde ausgeführt, dass die Auflagen des Erstgenehmigungsbescheides unverändert fortgelten würden. Sie seien auch bei der Bauausführung nach den Tekturplänen zu beachten. Laut Behördenakten erfolgte die Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung vom 22. April 2020 an die Beigeladenen per Einschreiben, aufgegeben am 23. April 2020.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 15. Mai 2020, hier eingegangen am selben Tag, erhoben die Kläger Klage gegen die Baugenehmigung vom 22. April 2020. Zur Begründung führten die Kläger im Wesentlichen aus, dass sie sich gegen die erteilte Tekturgenehmigung für Geländeveränderungen und die Höhenlage des bereits errichteten Carports/Schuppen wenden. Die nachträglich genehmigten Geländeveränderungen sowie die erhöhte Ausführung des Carports/Schuppen würden gegen das nachbarschützende Abstandsflächenrecht verstoßen. Die Kläger hätten zwar weder die Ausgangsgenehmigung noch die Änderungsgenehmigung vom 17. September 2019 angegriffen. Allerdings sei die Zustimmung für das Vorhaben der Beigeladenen aufgrund zugesicherter Gegenleistungen abgegeben worden wie etwa der Beseitigung von im Grenzbereich verbliebenen Bauschutts, der Sicherung von Stromkabeln und der Wiederanbringung von abgebauten Dachrinnen. Diesbezüglich würden die Kläger zivilrechtlich von den Beigeladenen auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands in Anspruch genommen. Jedenfalls sei die Zustimmung zum Bauvorhaben in gutem Glauben an die Versprechungen der Beigeladenen erteilt worden. Die Beigeladenen hätten sich bei der Ausführung des Vorhabens nicht an die Höhenlagen gehalten. Auch seien massive Geländeveränderungen vorgenommen worden. Das Geländeniveau auf dem Vorhabengrundstück sei, ausgehend von natürlichen Geländeverlauf, um mehr als 1 m erhöht worden. Es seien massive Stützmauern im Bereich der Terrasse auf dem Grundstück der Kläger errichtet worden. Insbesondere im Bereich der Terrasse auf dem klägerischen Grundstück habe die errichtete Stützmauer zur Stabilisierung der Geländeauffüllung mit dem darauf aufgebrachten Zaun sowie den Carports eine erdrückende Wirkung. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO erweitere den Anwendungsbereich der Abstandsflächenregelung über Gebäude hinaus auf alle Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen. Es sei anerkannt, dass bei Geländeerhöhungen von über 1 m Abstandsflächen erforderlich seien, weil von dem angehobenen Gelände aus das Nachbargrundstück bzw. das Nachbargebäude stärkerer Einsichtnahme ausgesetzt sei. Infolge der Geländeerhöhungen hätten auch alle baulichen Anlagen entlang der Grundstücksgrenzen eine mittlere Wandhöhe von deutlich über 3 m, so dass die Privilegierungsvorschrift des Art. 6 Abs. 9 BayBO nicht greife.
11
Die Kläger beantragen den Bescheid des Beklagten vom 22. April 2020 aufzuheben.
12
Der Beklagte beantragt die Klage abzuweisen und führte mit Schriftsatz vom 24. August 2020 aus, dass das Vorhaben bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB zu beurteilen sei. Bereits für die Ausgangsgenehmigung vom 7. November 2018 sei eine Abweichung von den Abstandsflächen erteilt worden. Die Kläger hätten der Abweichung zugestimmt. Mit Bescheid vom 16. September 2019 habe man Grundrissänderungen und den Carport mit vier Stellplätzen und einem Abstellraum genehmigt. Auch hier habe man eine Abweichung von den Abstandsflächen erteilt. Die Kläger seien über den Antrag auf Abweichung informiert worden und hätten keine Einwände vorgebracht. Das Gelände sei in dem zugrundeliegenden Bauantrag eben dargestellt worden. Aufgrund mehrerer Anrufe der Klägerin wegen mutmaßlicher planabweichender Bauausführungen seien Baukontrollen durchgeführt und schließlich die Baueinstellung verfügt worden, da Abweichungen von den genehmigten Plänen hinsichtlich des Grundrisses des Carports und des Geländes festgestellt worden seien. Das Gelände falle tatsächlich nach Osten zur Scheune und nach Norden zum Grundstück der Kläger ab. Gegenstand des dann eingereichten Tekturantrages seien nur die Geländeveränderungen gewesen. Der von den genehmigten Plänen abweichende Grundriss des Carports sei zurückgebaut und entsprechend der Genehmigung geändert worden. Der Tekturantrag sei genehmigt worden, da die Geländeveränderung von 0,30 m bis 1,16 m nicht abstandsflächenrechtlich relevant sei. Es handele sich nämlich nicht um eine erhöhte Terrasse, sondern um einen Hofbereich mit Zugang zu einem Abstellraum und zum Nachbargrundstück FlNr. … Die klägerseits genannte stärkere Einsichtnahme auf das Nachbargrundstück beziehe sich ausschließlich auf Terrassen, da diese zum Aufenthalt bestimmt seien. Die zur Erdgeschosswohnung gehörende Terrasse bzw. der Balkon befinde sich in einem Abstand von 4,90 m zur Grundstücksgrenze und liege in dem Bereich der geringeren Auffüllung von 0,30 m bis 0,70 m. Im vorliegenden Fall sei das längere - nicht höhere - Grenzgebäude über die nach Art. 6 Abs. 9 BayBO zulässige Länge von 9 m hinaus mit einer Abweichung zugelassen worden. Diese Abweichung erstrecke sich über eine Länge von 5 m entlang der östlichen Grundstücksgrenze. Eine Abstandsflächenübernahme sei in diesem Fall nicht möglich gewesen, da die auf der FlNr. … befindliche Scheune ihrerseits die Abstandsfläche nicht einhalte. Der Antrag auf Abweichung sei den Klägern bekannt gewesen. Sie hätten keine Einwendungen vorgebracht. Die mittlere Wandhöhe des Carports über dem natürlichen Gelände zur Scheune übersteige die zulässigen 3 m nicht. Zum Grundstück FlNr. … hin liege der Carport durch den Abstand von 3 m zur Grenze nicht im grenznahen Bereich nach Art. 6 Abs. 9 BayBO, sondern halte für sich die Mindestabstandsflächen ein. Eine Beeinträchtigung des Grundstücks der Kläger sei nicht erkennbar, da sich die Länge des Carports nicht zur klägerischen Terrasse hin, sondern entlang der Scheune erstrecke. Vergleichbar der in der Rechtsprechung geklärten Situation zum bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrecht könne ein Nachbar, der seinerseits den erforderlichen Grenzabstand nicht einhalte, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben eine derartige abstandsflächenrechtliche Verletzung durch das benachbarte Bauvorhaben nicht rügen, wenn die jeweiligen Verletzungen in etwa gleich schwer wiegen und keine schlechthin untragbar Verhältnisse entstünden.
13
Die Beigeladenen beantragen zuletzt die Klage abzuweisen und führten mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 4. September 2020 aus, dass das Grundstück der Beigeladenen, auf dem ein Altbau saniert und ausgebaut worden sei, ursprünglich ein leichtes Süd-Nord-Gefälle zum Grundstück der Kläger aufgewiesen habe. Daher seien auf dem Grundstück der Beigeladenen Aufschüttungen erfolgt, die an der Grenze zum Grundstück der Kläger ca. 1 m erreichen und mit einer Stützmauer in gleicher Höhe abgestützt worden seien. Das Niveau der angehobenen Oberfläche nähere sich dem Geländeniveau der Terrasse der Kläger an und überrage diese allenfalls um 10 - 15 cm. Eine Beeinträchtigung der Kläger sei nicht zu erkennen. Auch vom Carport, der in einem Abstand von über 3 m errichtet worden sei, gehe keine Beeinträchtigung aus. Die Seitenwand zum Grundstück der Kläger sei ca. 2,40 m bis 2,80 m hoch. Die Ausgleichsaufschüttung des Geländes betrage nur ca. 80 cm. Platzierung und Höhenlage des Carports seien zudem nicht mehr Gegenstand des streitgegenständlichen Bescheides vom 22. April 2020. Die Beigeladenen bestreiten die behaupteten Zusagen und den Vorwurf, dass noch Bauschutt gelagert sei.
14
Die Klägerseite erwiderte zu den Ausführungen des Beklagten mit Schriftsatz vom 25. November 2020, dass den Klägern bewusst sei, dass allein die Tekturgenehmigung vom 22. April 2020 Gegenstand der Anfechtungsklage sei. Im westlichen Verlauf des Geländesprungs weise die Stützmauer mit dem Zaun (nebst Sichtschutz) eine Höhe von mehr als 2 m auf. Wegen Überschreitung der maximalen Höhe von 2 m greife die Vorschrift des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO nicht. Auch hinsichtlich des Carports sehe die nachträglich genehmigte Geländeauffüllung einen Geländesprung von 1,16 m vor. Damit hätten alle baulichen Anlagen entlang der Grundstücksgrenze eine mittlere Wandhöhe von deutlich über 3 m. Die Kläger selbst hätten auf ihrem Grundstück keine künstlichen Geländeveränderungen vorgenommen. Die unteren Bezugspunkte für die Wandhöhen aller baulichen Anlagen auf dem klägerischen Grundstück würden sich an der natürlichen Geländeoberfläche orientieren. Das Argument „Treu und Glauben“ greife daher nicht. Auch sei der Carport planabweichend errichtet worden.
15
Der Beklagte äußert sich mit Schriftsatz vom 30. November 2020 dahingehend, dass zwar der tatsächlich errichtete Zaun in den genehmigten Plänen nicht dargestellt worden sei, letztlich könne er aber gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 7a BayBO bis zu einer Höhe von 2 m verfahrensfrei errichtet werden. Der Teil des Zauns in der westlichsten Grundstücksecke, der zusammen mit der Stützmauer eine größere Höhe als 2 m gehabt habe, sei zwischenzeitlich nach einer Baukontrolle seitens des Landratsamtes entfernt worden, so dass die Stützmauer inkl. Zaun nun an keiner Stelle größer als 2 m sei. Auf einen weiteren Tekturantrag zur Ergänzung des Zaunes in den Plänen sei verzichtet worden. Die Höhe des Carports sei bezogen auf die nördliche Grundstücksgrenze nicht abstandsflächenrelevant bzw. halte den Mindestabstand von 3 m ein. Entlang der westlichen Grundstücksgrenze zur Scheune der Kläger, die ihrerseits die Abstandsflächen nicht einhalte, sei mit Kenntnis der Kläger eine Abweichung von den Abstandsflächen erteilt worden. Der behaupteten planabweichenden Errichtung des Carports werde entgegengetreten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung mit Augenscheinseinnahme vom 20. Juli 2021 samt Lichtbildern Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Klagegegenstand sind, wie sich dem Klageantrag und sämtlichen klägerischen Ausführungen ersehen lässt, ausschließlich die mit Bescheid vom 22. April 2020 genehmigten Geländeveränderungen samt Stützmauer, Zaun sowie der Carport/Schuppen auf dem Vorhabengrundstück.
18
Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Die Klage ist zulässig.
20
Die im Rahmen des ersten Tekturantrages zur Baugenehmigung vom 16. September 2019 von einem der Kläger unterschriebene „Information zum eingereichten Antrag auf Abweichung“ hinsichtlich des Carports/Schuppen zur FlNr. … hin vom 6. September 2019 führt nicht zum Entfallen der Klagebefugnis und dies bereits deshalb, weil es sich hier nach dem eindeutigen Wortlaut schon um keine Zustimmung handelt. Vielmehr sollte hiermit nur klargestellt werden, dass die Kläger über den Antrag auf Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen des Carports/Schuppen zur FlNr. … hin informiert wurden. Weiter liegt nur die Unterschrift einer der Kläger vor. Doch selbst wenn hierin eine Zustimmung zu sehen wäre, hätte diese nicht den Verlust der Klagebefugnis zur Folge, da die der Baugenehmigung vom 16. September 2019 zugrundeliegenden Pläne keine Angaben zu der Höhenlage des Carports/Schuppen enthielten. Die Erteilung der Nachbarunterschrift führt zu einem Verlust der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur in dem zugestimmten Umfang, vorliegend also nur im Hinblick auf die der Baugenehmigung vom 16. September 2019 zugrundeliegende Planung. Der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 22. April 2020 liegen andere Pläne zugrunde, denen die Kläger nie ihre Zustimmung erteilt haben.
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Die Klagebefugnis entfällt auch nicht deshalb, weil die Kläger den Antrag der Beigeladenen vom 15. Oktober 2018 auf Erteilung einer isolierten Abweichung von den Abstandsflächen nach Norden (zur FlNr. … hin) unterschrieben haben. Sowohl Antrag als auch Baugenehmigung vom 7. November 2018 bezogen sich nicht auf die jetzt streitgegenständlichen Geländeveränderungen westlich des Mehrfamilienhauses der Beigeladenen samt Stützmauer und Zaun sowie die Höhenlage des Carports/Schuppen, sondern einzig auf die Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen des Mehrfamilienhauses der Beigeladenen in Richtung Norden, zur FlNr. … hin, so dass auch kein Rechtsverzicht, Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO, bezüglich des hier zu entscheidenden Streitgegenstandes gegeben ist.
22
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
23
Eine Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat in der Sache nur dann Erfolg, wenn der angefochtene Verwaltungsakt - hier der Bescheid des Landratsamtes … vom 22. April 2020 - rechtswidrig ist und die Kläger zugleich in ihren Rechten verletzt. Die objektive Verletzung einer Rechtsnorm alleine genügt für den Erfolg einer Nachbarklage, wie sie hier vorliegt, somit nicht. Vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit zum einen gerade aus einer solchen Norm ergeben, die dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris). Zum anderen ist nur eine Rechtsverletzung maßgeblich, die zum Prüfungsumfang im bauaufsichtsrechtlichen Verfahren gehört, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (BayVGH a.a.O.).
24
Eine Rechtsverletzung der Kläger ist nicht gegeben.
25
a) Die Kläger sind nicht in ihren Rechten aus Art. 6 BayBO verletzt. Die Abstandsflächenvorschriften dienen dem Nachbarschutz und sind drittschützend (vgl. Schönfeld in BeckOK, BayBO, 19. Ed. 1.4.2021, Art. 6 Rn. 259).
26
(1) Eine Verletzung des Art. 6 BayBO ergibt sich nicht aus der mit dem streitgegenständlichen Bescheid genehmigten Stützmauer samt Geländeaufschüttung und Zaun. Laut den der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugrundeliegenden Plänen findet sich an der nordwestlichen Grundstücksgrenze des Vorhabengrundstückes ein Geländesprung von 1,16 m und an der Nordwestecke des Mehrfamilienwohnhauses auf dem Vorhabengrundstück ein Geländesprung von 0,30 m. Die Auffüllung des nach Norden und Westen abfallenden Geländes des Vorhabengrundstückes wurde in Höhe des Geländesprungs beantragt und mit streitgegenständlichem Bescheid genehmigt. Genehmigt wurde auch eine Stützmauer an der nördlichen Grundstücksgrenze des Vorhabengrundstückes. Laut den Plänen ist die Stützmauer an der nordwestlichen Grundstücksecke 1,16 m hoch. Mit in Richtung Osten ansteigendem natürlichen Geländeverlauf verringert sich auch die Höhe der Stützmauer auf ca. 0,30 m. Der auf der Stützmauer errichtete Stabgitterzaun, der, wie der Augenscheinstermin gezeigt hat, mittels Kunststoffeinlagen nahezu blickdicht ausgeführt ist, wurde weder mit dem Tekturantrag vom 20. Februar 2020 beantragt noch mit Bescheid vom 22. April 2020 genehmigt. Ob sich hieraus eine Rechtsverletzung der Kläger ergibt, ist daher nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Gegenstand dieses Verfahrens ist allerdings der mit Tekturantrag vom 20. Februar 2020 beantragte und mit Bescheid vom 22. April 2020 genehmigte, von der nördlichen Grundstücksgrenze in Richtung Süden zurückversetzte Zaun. Wie bereits ausgeführt, ist, beginnend am oberen Treppenabsatz, in den genehmigten Bauunterlagen eine grün-gestrichelte Linie in Richtung Südosten eingetragen, die mit Zaun h = 1 m beschriftet ist. Nach ca. 5 m verläuft der Zaun dann in einem Abstand von ca. 2,50 m parallel zum Mehrfamilienwohnhaus in Richtung Süden.
27
Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO müssen auch andere Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, Abstandsflächen einhalten. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO findet jedoch keine Anwendung, wenn eine Anlage nach der spezielleren Regelung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO a.F. bzw. des regelungsgleichen Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F abstandsflächenfrei ist (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2017 - 15 CS 16.1883 - juris Rn. 23 ff.). Hiernach dürfen Stützmauern und geschlossene Einfriedungen in Gewerbe- und Industriegebieten, außerhalb dieser Baugebiete, wie hier, mit einer Höhe bis zu 2 m in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsflächen errichtet werden. Die streitgegenständliche Stützmauer samt Aufschüttung erreicht eine maximale Höhe von 1,16 m und liegt damit unter der hier maßgeblichen Höhe von 2 m.
28
Unerheblich ist, dass sich an die Stützmauer eine Aufschüttung anschließt. Zwar kann es sich bei einer Aufschüttung grundsätzlich um eine eigenständige bauliche Anlage, Art. 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BayBO, handeln, die auch abstandsflächenrechtlich gesondert zu beurteilen ist. Anders verhält es sich aber, wenn, wie hier, die Stützmauer der Sicherung der Aufschüttung vor dem Abrutschen auf das Nachbargrundstück, hier das Grundstück FlNr. … der Beigeladenen, dient. Die Stützmauer bildet mit der Aufschüttung dann eine funktionale Einheit, die in ihrer Gesamtheit der Privilegierung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F. unterfällt (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2017 - 15 CS 16.1883 - juris Rn. 23 ff.). Dass die Stützmauer kein natürliches Gelände, sondern eine künstliche Aufschüttung sichert, steht der Privilegierung nicht entgegen (vgl. BayVGH v. 22.2.2017 - 15 CS 16.1883 - juris Rn. 27). Die Stützmauer mit dahinterliegender Aufschüttung ist auch zur angemessenen und zulässigen Nutzung des abfallenden Vorhabengrundstückes erforderlich (vgl. BayVGH v. 22.2.2017 - 15 CS 16.1883 - juris Rn. 28), denn durch die Aufschüttung soll im Bereich westlich des Wohnhauses in nachvollziehbarer Weise die sinnvolle Nutzung dieses eigentlich nach Norden und Westen im Gelände abfallenden Bereichs insbesondere zur Errichtung des Carports/Schuppen ermöglicht werden. Die Regelungen in Art. 6 Abs. 9 Nr. 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F. und Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 a und 9 BayBO sind Ausdruck der grundsätzlichen gesetzlichen Wertung, dass durch Bauwerke bis zu einer solchen Höhe diejenigen Gesichtspunkte, die das Abstandsflächenrecht vor allem im Blick hat (Belichtung, Belüftung, Besonnung, Brandschutz), im Regelfall nicht zu Lasten des Nachbarn beeinträchtigt werden. Im hier vorliegenden Einzelfall gilt auch nicht ausnahmsweise etwas anderes wie es teilweise (kritisch hierzu: BayVGH, B.v. 17.4.2015 - 15 CS 14.2612 - juris Rn. 15) dann vertreten wird, wenn sich auf der Auffüllung eine dem Aufenthalt von Menschen dienende Terrasse befindet, denn auch der Aspekt des Wohnfriedens wird im vorliegenden Fall durch die hinter der Stützmauer liegende Aufschüttung nicht tangiert. Zwar kann die Auffüllung bis zur Grundstücksgrenze hin betreten werden, allerdings ist eine Nutzung der Flächen an der Grundstücksgrenze als Terrasse und damit ein Heranrücken der Wohnnutzung an das klägerische Grundstück nicht genehmigt und daher nicht zulässig. Die zur Erdgeschosswohnung der Beigeladenen gehörende Terrasse befindet sich in einem deutlichen Abstand von mehreren Metern zur Grundstücksgrenze und liegt in dem Bereich der nach Osten hin geringeren Auffüllung. Zudem befindet sich auch die nach Süden ausgerichtete, von der Grundstücksgrenze zum Vorhabengrundstück etwas zurückversetzte Terrasse der Kläger und auch der Wohnbereich im Haus der Kläger nicht auf dem Niveau des ursprünglichen Geländeverlaufs, sondern deutlich erhöht, wenn auch leicht unter der Höhe des durch die Beigeladenen aufgeschütteten Geländes, so dass von einem „Herabschauen“ jedenfalls in diesem Bereich nicht gesprochen werden kann. Ohnehin beträgt die Auffüllung nur in dem nordwestlichen Bereich eine Höhe von 1,16 m und fällt nach Osten hin auf ca. 0,30 m ab. Auch erscheint eine Betroffenheit des Aspekts Wohnfrieden durch die Aufschüttung schon deshalb nicht gegeben, weil bereits die Höhenlage des Mehrfamilienhauses mit Fenstern und Balkonen zu erhöhten Einsichtsmöglichkeiten auf das klägerische Grundstück führt und die Aufschüttung im Vergleich hierzu nicht ins Gewicht fällt. Einen generellen Anspruch auf Schutz vor Einsichtnahme auf das eigene Grundstück kennt weder das Gesetz noch die Rechtsprechung (vgl. auch: VG Würzburg, B.v. 6.11.2008 - W 5 S 08.2064 - juris Rn. 14).
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Der von der nördlichen Grundstücksgrenze in Richtung Süden zurückversetzte Zaun ist als Zaun und nicht als Sichtschutz oder geschlossene Einfriedung beantragt und mit streitgegenständlichen Bescheid vom 22. April 2020 genehmigt worden. Tatsächlich ist er durch die Kunststoffeinlagen weitgehend blickdicht ausgeführt. Da Streitgegenstand hier aber die Baugenehmigung vom 22. April 2020 ist, ist vom genehmigten Zustand auszugehen und nicht vom tatsächlich errichteten. Von dem nicht als geschlossene Einfriedung genehmigten Zaun gehen nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO keine gebäudegleichen Wirkungen aus. Im Unterschied zur Formulierung in Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 BayBO („Mauern und Einfriedungen“) ist in Art. 6 Abs. 9 Nr. 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F. ausdrücklich von „geschlossenen“ Einfriedungen die Rede. Die Höhe einer „nicht geschlossenen“ Einfriedung, wie hier des genehmigten Zauns mit einer Höhe von 1 m, ist daher nicht zur Höhe der Stützmauer samt Aufschüttung von maximal 1,16 m hinzuzuaddieren, so dass die nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F erlaubten 2 m eingehalten sind.
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Selbst wenn man nicht von der Privilegierung des Art. 6 Abs. 9 Nr. 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F. ausgehen würde, wäre ein Verstoß gegen Art. 6 BayBO nicht gegeben, da die Stützmauer mit Hinterfüllung - und gleiches gilt bei gesonderter Betrachtung der Auffüllung - samt zurückversetztem Zaun keine gebäudeähnliche Wirkung hat, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO. Ob einer Anlage gebäudeähnliche Wirkung zukommt, lässt sich nicht grundsätzlich, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Abstandsflächenrechts bestimmen, wobei die Größe der Anlage und z.B. auch das Material, aus welchem sie hergestellt ist, sowie ihre Zweckbestimmung eine Rolle spielen. Bauliche Anlagen, die eine mit den in Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO genannten Anlagen vergleichbare Nutzung aufweisen, sind demnach anders zu beurteilen als bauliche Anlagen mit Aufenthaltsfunktion (vgl. BayVGH v. 12.9.2013 - 14 CE 13.928 - juris). Es liegt hier kein atypischer Fall vor, bei dem die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Aspekte wie insbesondere der Wohnfriede (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 14 CE 13.928 - juris) auch bei Einhaltung der Maße des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F verletzt werden. Auf die obigen Ausführungen zu Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO n.F wird verwiesen.
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(2) Hinsichtlich des Carports/Schuppen liegt eine Verletzung des Art. 6 BayBO nach Norden, zur FlNr. … hin, nicht vor. Die Abstandsflächen nach Norden sind vielmehr eingehalten. Der Abstand beträgt 3 m, was ausreichend ist, da die errechnete Abstandsflächentiefe kleiner als 3 m ist und somit nur der Mindestabstand von 3 m einzuhalten ist.
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Der Carport/Schuppen hat Abstandsflächen einzuhalten und ist nicht nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO n.F. bzw. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO a.F. in den Abstandsflächen bzw. ohne eigene Abstandsflächen zulässig, da seine Gesamtlänge zur Grundstücksgrenze zur FlNr. … hin mit 14,65 m die hiernach zulässige Gesamtlänge von 9 m übersteigt.
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Nach Auffassung des Gerichts ist für die Ermittlung der einzuhaltenden Abstandsfläche nicht nur die Höhe des Carports/Schuppen maßgeblich, sondern auch die Höhe der genehmigten Aufschüttung im Bereich des Carports/Schuppen. Es ist auf die nach der BayBO n.F. für den Bauherrn günstigere maßgebliche Abstandsflächentiefe von 0,4 H abzustellen (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO n.F.), nicht auf die von 1 H nach der BayBO a.F. (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO a.F.). Zwar ist bei der Anfechtungsklage grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung der Genehmigungsbehörde maßgeblich. Jedoch gilt dies bei Drittanfechtungsklagen nicht uneingeschränkt. Nach Erteilung der Baugenehmigung zu Gunsten des Bauherrn eingetretene Änderungen der Sach- und Rechtslage sind zu berücksichtigen (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 143. EL Juli 2021, Art. 66 Rn. 590 f. mit weiteren Nachweisen). Der Carport hat nach drei Seiten keine Seitenwände, nur nach Norden hin ist er aufgrund des an dieser Stelle integrierten Schuppens geschlossen. Der Carport/Schuppen besitzt ein Pultdach mit einer Dachneigung von nur wenigen Grad, das von Ost nach West abfällt. In Richtung der FlNr. … (Westen) hat der Carport/Schuppen eine Wandhöhe von 2,45 m, im Osten eine Wandhöhe von 2,80 m. Die 4,96 m lange Giebelseite zeigt nach Norden bzw. Süden. Die giebelseitige Abstandsfläche hat die Form der vollständigen Giebelwand und die Abmessungen der vollständigen Giebelwand multipliziert mit dem nach Art. 6 Abs. 5 S. 1 BayBO n.F. maßgeblichen Faktor (vgl. Kraus in Busse/Kraus, BayBO, 143. EL Juli 2021, Art. 6 Rn. 230 f.), Art. 6 Abs. 4 BayBO n.F.
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Zusätzlich ist im vorliegenden Fall, wie bereits ausgeführt, die Höhe der Aufschüttung hinzuzuaddieren. Die Höhe der genehmigten Aufschüttung im Bereich des Carports/Schuppen weist an ihrem höchsten Punkt in der nordwestlichen Ecke des Vorhabengrundstücks eine Höhe von 1,16 m auf und fällt dann in Richtung Osten ab. Bei solch einem schrägen Geländeverlauf ist eine Ausmittelung der Wandhöhe nicht vorgesehen. Ändert sich die Geländehöhe entlang einer Wand, so hat diese eine Vielzahl von Fußpunkten mit jeweils unterschiedlicher Höhenlage und entsprechend variabler Wandhöhe, was Abstandsflächen in variabler Tiefe erzeugt (vgl. Kraus in Busse/Krauss, BayBO, 143. EL Juli 2021, Art. 6 Rn. 164). Selbst bei Ansatz der maximalen Wandhöhe von 2,80 m und einer maximalen Aufschüttung in Höhe von 1,16 m (die tatsächlich am höchsten Punkt des Dachgiebels aufgrund der abfallenden Höhe der Aufschüttung wohl kleiner als 1,16 m ist) ergibt sich nur eine einzuhaltende Abstandsfläche von 1,58 m. Somit hat der Carport nur den Mindestabstand von 3 m einzuhalten, Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO, und tut dies auch.
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(3) Im Hinblick auf eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften, Art. 6 BayBO, nach Westen, zur FlNr. … hin, durch den Carport/Schuppen ist den Klägern die Geltendmachung von Abwehrrechten nach dem Verbot unzulässiger Rechtsausübung verwehrt (vgl. auch: Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 143. EL Juli 2021, Art. 66 Rn. 558). Ein Nachbar kann sich auf die Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften dann nicht berufen, wenn auch die Bebauung auf dem eigenen Grundstück den Anforderungen dieser Vorschrift nicht entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu - gemessen am Schutzzweck der Vorschrift - schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2017 - 1 CS 17.918 - juris Rn. 10). Wer sich zur Abwehr eines Vorhabens auf dem Nachbargrundstück auf ein nachbarliches Austauschverhältnis beruft, muss auch seinerseits den Anforderungen genügen, die sich daraus für sein eigenes Grundstück ergeben, vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2018 - 15 CS 17.2549 - juris Rn.
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4. Die auf der FlNr. … stehende Scheune der Kläger, deren Traufseite in Richtung des Carports/Schuppen zeigt, besitzt eine mit der Höhe des grenzständisch errichteten Carports/Schuppens der Beigeladenen in etwa vergleichbare Traufhöhe. Hinzu kommt noch das in seiner Höhe die Wandhöhe der Scheune deutlich übersteigende Satteldach der Scheune. Die Scheune befindet sich in einem ungefähren Abstand von 1 m zur östlichen Grundstücksgrenze und hält damit die nach Art. 6 BayBO in jedem Fall erforderliche Mindestabstandsfläche von 3 m, Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO, nicht ein. Auch der Carport/Schuppen des Beigeladenen, dessen Traufseiten nach Osten bzw. Westen zeigen, hält in Richtung FlNr. … die erforderliche Abstandsfläche nicht ein, er ist vielmehr grenzständig errichtet. Auch hier ist für die Ermittlung der einzuhaltenden Abstandsfläche nicht nur die Höhe des Carports/Schuppen maßgeblich, sondern auch die Höhe der genehmigten Aufschüttung im Bereich des Carports/Schuppens. Wie bereits ausgeführt ist zudem auf die nach der BayBO n.F. maßgebliche Abstandsflächentiefe von 0,4 H abzustellen (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO n.F.), nicht auf die von 1 H nach der BayBO a.F. (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO a.F.). Selbst bei einer nach keiner Fassung der BayBO erforderlichen vollen Anrechnung der Höhe des Daches des Carports/Schuppens und einer Addition der maximalen Höhe der Aufschüttung von 1,16 m (tatsächlich hat die Aufschüttung im nordwestlichen Bereich des Carports/Schuppens eine Höhe von 1,16 m und wird in Richtung Süden immer geringer), bleibt die errechnete Abstandsflächentiefe deutlich unter 3 m, so dass nur der Mindestabstand von 3 m einzuhalten ist. Zwar ist der Carport/Schuppen grenzständig errichtet, während die Scheune einen Abstand von ca. 1 m einhält. Dennoch sind die beidseitigen Abweichungen nach Überzeugung des Gerichts etwa gleichgewichtig. Die Abstandsflächen sollen u.a. sicherstellen, dass Belichtung, Belüftung, Besonnung, Brandschutz und dem sozialen Wohnfrieden Genüge getan wird. Die Auswirkungen des überwiegend offenen Carports mit der sehr geringen Dachneigung sind im Vergleich zu den Auswirkungen der Scheune mit dem hohen Satteldach in Bezug auf die Aspekte Belichtung, Belüftung, Besonnung und Brandschutz verschwindend gering. Die geschlossene Wand des Schuppenteils des Carports fällt hierbei nicht ins Gewicht. Überdies wird die Scheune nur als Lagerraum benutzt. Auch wird sich im Carport nur kurzzeitig aufgehalten, so dass auch der Aspekt Wohnfrieden ebenfalls nicht tangiert wird. Trotz der grenzständigen Errichtungsweise des Carports/Schuppen im Vergleich zum Grenzabstand von ca. 1 m der Scheune sind die beidseitigen Abweichungen von Kläger und Beigeladenen im Ergebnis in etwa gleichgewichtig und führen auch nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen. Den Klägern ist eine Berufung auf die Verletzung von Abstandsflächen durch den Carport/Schuppen im Verhältnis zur FlNr. … daher verwehrt.
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b) Auch das im Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 BayBO enthaltene drittschützende Gebot der Rücksichtnahme ist nicht verletzt (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 8.7.1988 - 4 B 64.98 - juris). Das Vorhaben der Beigeladenen liegt im unbeplanten Innenbereich, so dass § 34 BauGB anzuwenden ist.
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Das Gebot der Rücksichtnahme ist nach gefestigter Rechtsprechung anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Gegeneinander abzuwägen sind dabei die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar bzw. unzumutbar ist. Feste Regeln lassen sich insoweit nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 - 4 B 48.12 - juris Rn. 7 m.w.N.). Gemessen hieran ist eine Rücksichtslosigkeit zu Lasten der Kläger nicht erkennbar.
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Eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung misst die Rechtsprechung Baukörpern dabei nur im Ausnahmefall, bei in Volumen und Höhe „übergroßen“ Baukörpern in nur geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden zu. Bejaht wurde eine solche Wirkung beispielsweise bei einem zwölfgeschossigen Gebäude in einer Entfernung von 15 m zu einem zweigeschossigen Nachbarwohnhaus (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78 - juris Rn. 33 f.) oder bei einer 11,5 m hohen Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85 - juris Rn. 2 und 15). Eine erdrückende Wirkung des Bauvorhabens scheidet dabei regelmäßig aus, wenn die bauordnungsrechtliche Abstandsfläche eingehalten ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 41).
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Im vorliegenden Fall fällt die danach vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten der Kläger aus.
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(1) Das beklagte Vorhaben der Beigeladenen ruft im Hinblick auf die FlNr. …, also nach Norden hin, keine erheblichen, billigerweise unzumutbaren Störungen hervor. Das streitgegenständliche Vorhaben der Beigeladenen, das die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen einhält, hat mit seinen vergleichsweise geringen Ausmaßen keineswegs, auch nicht ausnahmsweise, eine erdrückende Wirkung, zumal auch der Wohnbereich des Wohnhauses der Kläger und die nach Süden ausgerichtete Terrasse der Kläger im Vergleich zum natürlichen Geländeverlauf erhöht liegen. Ohnehin hat die Auffüllung der Beigeladenen nur in dem nordwestlichen Bereich eine Höhe von 1,16 m und fällt nach Osten hin auf ca. 0,30 m ab. Der Carport/Schuppen kommt zwar im höheren Bereich zum Liegen, ist aber 3 m vom Grundstück der Kläger entfernt, was seine Wirkung deutlich abschwächt. Auch unter den Aspekten geschaffene Einsichtmöglichkeiten und sozialer Wohnfrieden sind keine Einwirkungen zu erkennen, die nicht sozialadäquat wären und damit hinzunehmen sind. Auf die diesbezüglichen obigen Ausführungen zu Art. 6 BayBO unter 2. a) (1) wird verwiesen. Im Übrigen gibt auch das Rücksichtnahmegebot dem Nachbarn insbesondere nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung, speziell vor jeglichen Einblicken verschont zu bleiben (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2015 - 15 CS 14.2612 - juris Rn. 15). Auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme im Hinblick auf die Aspekte Belichtung, Besonnung, Belüftung und Brandschutz vermag das Gericht nicht zu erkennen. Insbesondere ist eine unzumutbare Verschattung des Grundstückes, FlNr. …, der Kläger nicht zu befürchten. Aussichtseinbußen sind hinzunehmen. Derartige Nachteile sind auch über das Rücksichtnahmegebot nur ausnahmsweise maßgeblich. Ein rücksichtsloses Vorgehen der Beigeladenen ist insoweit nicht erkennbar. Ob in den Carport, wie die Kläger vortragen, keine vier Stellplätze passen, ist kein Belang, auf den sich die Kläger berufen können.
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(2) Doch auch im Hinblick auf die FlNr. … ist das Rücksichtnahmegebot nicht verletzt. Zwar hält der Schuppen/Carport samt Auffüllung die Abstandsflächen nach Westen nicht ein. Die mit Baugenehmigungsbescheid vom 16. September 2019 erteilte Abweichung hinsichtlich der Abstandsflächen zur FlNr. … hin dürfte angesichts der damals nicht bekannten Geländeauffüllungen obsolet sein. Dennoch liegt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nicht vor, wobei zu Lasten der Kläger zu berücksichtigen ist, dass auch deren Scheune, wie bereits ausgeführt, die Abstandsflächen zum Vorhabengrundstück nicht einhält, so dass die Schutzwürdigkeit gemindert ist. Die Scheune wird nach Klägerangaben nur als Lagerraum genutzt. Auch der Schuppen/Carport hat keine Aufenthaltsräume. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger unter dem Aspekt des Wohnfriedens scheidet daher aus. Doch auch im Hinblick auf die Aspekte Besonnung, Belüftung, Belichtung, Brandschutz und erdrückende Wirkung erfolgt aus dem seitlich offenen Carport keine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger. Die in Richtung FlNr. … auf 2 m geschlossene Wand des Schuppenteils des Carports fällt hierbei nicht ins Gewicht. Der mit dem Carport einhergehende Verkehr, insbesondere Lärm, ist als sozialadäquat hinzunehmen.
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3. Die Klage hat keinen Erfolg und ist mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese durch Stellung eines Antrages ein Kostenrisiko eingegangen sind.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.