Titel:
Beihilfefähigkeit bioidentischer Schilddrüsenhormone bejaht
Normenketten:
BayBG Art. 96 Abs. 2 S. 1
BayBhV § 7 Abs. 1 S. 1, § 18 S. 1
Leitsätze:
Medizinische Notwendigkeit bioidentischer Schilddrüsenhormone. (Rn. 23 – 26)
1. Beihilferechtlich sind Aufwendungen dem Grund nach notwendig, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden sowie der Beseitigung oder zum Ausgleich körperlicher Beeinträchtigungen dient; entsprechend dem Zweck der Beihilfengewährung müssen die Leiden und körperlichen Beeinträchtigungen Krankheitswert besitzen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Kosten lediglich nützlicher, aber nicht notwendiger Behandlungen muss der Beihilfeberechtigte hingegen aus eigenen Mitteln bestreiten, wobei maßgebend ist, ob die Maßnahme im Einzelfall objektiv medizinisch notwendig war; kommen nach medizinischen Gesichtspunkten verschiedene vertretbare Möglichkeiten in Betracht, ist die vom Arzt gewählte Methode medizinisch notwendig, wenn er sie nach ärztlich-wissenschaftlichem Maßstab dafür halten konnte. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hinsichtlich der Höhe der Kosten darf man nicht davon ausgehen, dass der Beihilfeberechtigte allgemein verpflichtet ist, die Kosten möglichst gering zu halten; jedoch ist er aufgrund der Treuepflicht gehalten, extrem hohe Kosten zulasten des Dienstherrn zu vermeiden, wenn andere weniger kostenaufwendige, aber medizinisch gleichwertige Behandlungsmethoden möglich sind. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Behandlung mit bioidentischem Schilddrüsenhormon ist im zugrundeliegenden Einzelfall objektiv medizinisch notwendig, da der behandelnde Arzt sie nach ärztlich-wissenschaftlichem Maßstab dafür halten durfte, nachdem – anders als aktuell mit den bioidentischen Hormonen – konventionelle Schilddrüsenpräparate auch nach längerer medikamentöser Therapie zu keiner Verbesserung der Symptomatik geführt haben. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
5. Zwar sind die Kosten für bioidentische Schilddrüsenhormone deutlich höher als für synthetische Schilddrüsenhormone, doch sind sie wirtschaftlich angemessen und stehen der Erstattungsfähigkeit nicht entgegen. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Medizinische Notwendigkeit bioidentischer Schilddrüsenhormone, Hypothyreose, Hashimoto Thyreoiditis, Schilddrüsenpräparat, Schilddrüsenextrakt, synthetisches Hormonpräparat, L-Thyroxin, T3, T4, BayBhV, Beihilfe, medizinische Notwendigkeit bioidentischer Schilddrüsenhormone, wirtschaftlich angemessen, wissenschaftliche Studie, Schweinehormone
Fundstelle:
BeckRS 2021, 4106
Tenor
I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde (53,83 €), wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird der Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Landesamtes für Finanzen vom 20.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesamtes für Finanzen vom 14.05.2020 verpflichtet, der Klägerin weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 158,90 € zu gewähren.
Darüber hinaus wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens tragen zu ¼ die Klägerin und zu ¾ der Beklagte.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt Beihilfe für Aufwendungen aus der Anschaffung ärztlich verordneter bioidentischer Schilddrüsenhormone für sich und ihre Tochter A. Die am … 1975 geborene Klägerin ist Beamtin des Beklagten und für ihre Kinder mit einem Bemessungssatz von 80 v.H. und für sich mit einem Bemessungssatz von 70 v.H. beihilfeberechtigt. Mit Formblattantrag vom 10.11.2019 beantragte sie unter Vorlage von u.a. zwei Rezepten des Dr. med. L. - Allgemeinmedizin/Naturheilverfahren/Traditionelle Chinesische Medizin/Borreliose -, einmal für ihre Tochter A. (geb. …2002) und einmal für sich selbst, jeweils vom 16.09.2019 (jeweils Bezugsdatum 04.10.2019: „1/4 Grain Extr. gland. thyroid. sicc. Thyroid USP Levothyrosin/T4 9,4µ Liothyronin/T3 2,25µ PZN 9999011 300 Kps.“ zu je 143,82 €) beim Beklagten Beihilfeleistungen.
2
Mit Bescheid vom 20.11.2019 gewährte das Landesamt für Finanzen, Dienststelle Würzburg Bezügestelle Beihilfe 2, Beihilfeleistung in Höhe von 450,77 €. Für die mit Formblattantrag eingereichten zwei Rezepte vom 16.09.2019 über jeweils 143,82 € lehnte das Landesamt Beihilfeleistungen ab. Für die geltend gemachten Aufwendungen könne keine Beihilfe gewährt werden, da es sich um keine beihilfefähigen Arznei- und Verbandmittel, Medizinprodukte und dergleichen im Sinne des § 18 BayBhV handle.
3
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 15.12.2019 ließ die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid erheben. Zur Begründung der beantragten Beihilfe ließ die Klägerin u.a. Atteste für sich und ihre Kinder des Dr. med. N. vom 26.09.2019 und 02.12.2019 vorlegen. Ergänzend werde ausgeführt, dass über einen Zeitraum von neun Jahren vergeblich versucht worden sei, mit L-Thyroxin Beschwerdefreiheit zu erreichen. Erst nach Umstellung auf die natürlichen Schweinehormone sei ein Gesundheitszustand erreicht worden, der ohne größere Beeinträchtigung den Berufsalltag, den Schulalltag sowie eine aktive Freizeitgestaltung ermögliche.
4
Mit Schreiben vom 31.03.2020 bat das Landesamt für Finanzen, Dienststelle Würzburg Bezügestelle Beihilfe 2, das Gesundheitsamt für den Landkreis E. und die Stadt W. (Gesundheitsamt) um eine amtsärztlicher Stellungnahme, ob die Behandlung mit „bioidentischen Hormonen“ als eine medizinisch notwendige Maßnahme betrachtet werden könne.
5
Mit Schreiben vom 02.04.2020 teilte das Gesundheitsamt - Dr. J., Medizinaloberrat - für die Klägerin und ihre beiden Kinder A. und G. mit, dass bioidentische Hormone definitionsgemäß die gleiche chemische und molekulare Struktur aufweisen würden, wie die vom menschlichen Körper produzierten Hormone. Wissenschaftliche Studien, die den Nachweis führten, dass die Anwendung bioidentischer Hormone von Vorteil sei gegenüber der Anwendung synthetischer Hormone mit derselben Hormonwirkung, seien dem Unterzeichner nicht bekannt. Da bioidentische Hormone genauso wirksam seien wie synthetisch hergestellte Hormone wäre zu empfehlen, bei Anwendung bioidentischer Hormone zumindest den Kaufpreis der entsprechenden synthetischen Hormone zu erstatten.
6
Mit Schreiben vom 16.04.2020 teilte das Gesundheitsamt - Dr. J., Medizinaloberrat - auf Nachfrage der Beklagten vom 08.04.2020 hin mit, dass es sich bei den genannten synthetischen Hormonen um Präparate mit den Wirkstoffen T3 (Trijodthyronin), T4 (Tetrajodthyronin) oder um Mischpräparate aus T3 und T4 handle. Handelsnamen seien zum Beispiel Euthyrox, Eferox, L-Thyrox, L-Thyroxin, Novothyral etc..
7
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2020, dem Bevollmächtigten der Klägerin mit Postzustellungsurkunde zugestellt am 16.05.2020, teilte das Landesamtes für Finanzen, Dienststelle Würzburg Bezügestelle Beihilfe 2, mit, dass dem Widerspruch vom 15.12.2019 gegen den Bescheid vom 20.11.2019 hinsichtlich der ersatzweisen Erstattung von synthetischen Hormonen (hier: L-Thyroxin) mit gesondertem Bescheid abgeholfen werde und wies den Widerspruch hinsichtlich der darüber hinausgehenden Aufwendungen zurück. Die medizinische Notwendigkeit sei im vorliegenden Fall einzelfallbezogen durch einen Amtsarzt überprüft worden. Mit amtsärztlichem Gutachten vom 02.04.2020 sei die Anwendung bioidentischer Hormone nicht als notwendig erachtet worden, da synthetische Hormone genauso wirksam seien wie bioidentische Hormone. Auf amtsärztliche Empfehlung könnten entsprechende synthetische Hormone erstattet werden. Dies erfolge mit gesondertem Beihilfebescheid.
8
Mit Bescheid vom 19.05.2020 setzte das Landesamt für Finanzen, Dienststelle Würzburg Bezügestelle Beihilfe 2, für die beiden Rechnungen vom 04.10.2019 über je 143,82 € Beihilfeleistungen in Höhe von insgesamt 53,83 € fest. Der Beihilfebescheid vom 20.11.2019 werde hinsichtlich der Rechnungen vom 04.10.2019 für die Klägerin und ihre Tochter A. aufgehoben und durch diesen Bescheid ersetzt. Dem Widerspruch vom 15.12.2019 gegen den Beihilfebescheid vom 20.11.2019 werde hiermit im Rahmen der Bayerischen Beihilfeverordnung teilweise abgeholfen. Ersatzweise für die bioidentischen Hormone seien die Kosten für synthetische Hormone (Präparat: L-Thyroxin) erstattet worden.
9
Mit Schreiben vom 05.06.2020, eingegangen beim Landesamt für Finanzen, Dienststelle Würzburg, am selben Tag, ließ die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.05.2020 mit der Beihilfefestsetzung über 53,83 € einlegen.
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Mit Schreiben vom 16.06.2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten vorliegende Klage erheben lassen. Zur Begründung ließ die Klägerin vortragen, dass die Ausführungen im Widerspruchsbescheid nicht annähernd geeignet seien, die medizinische Notwendigkeit für die verordneten bioidentischen Schilddrüsenhormone abzulehnen. Insoweit werde auf die Schreiben der R. Apotheke, F., vom 29.08.2019 und die ärztlichen Atteste des Dr. med. N. vom 26.09.2019 sowie vom 02.12.2019 verwiesen. Der gravierende Unterschied von bioidentischen Komplexpräparaten und synthetischen Hormonpräparaten liege an der unterschiedlichen Freisetzung und der Zusammensetzung. Bioidentische Schilddrüsenextrakte hätten eine langsamere Freisetzung und würden somit ein zu schnelles Anfluten des T3-Hormons und damit unangenehme Reaktionen verhindern. Viele Patienten könnten außerdem von den zusätzlich enthaltenen natürlichen Extrakten, die alle bei der Regulation einer hypothyreoten Stoffwechsellage eine Rolle spielen könnten, profitieren. Bei der Klägerin und deren beiden Kindern sei durch die Autoimmunerkrankung der Schilddrüse bereits so viel an Gewebe zerstört worden, dass nur noch ein Restgewebe mit geringster Eigenfunktion vorhanden sei. Nur durch die Therapie mit den bioidentischen Schilddrüsenhormonen habe bei der Klägerin und ihren Kindern eine Verbesserung der Beschwerden erreicht werden können. Aus der Aufstellung und der Vielzahl von Laboruntersuchungen könne ersehen werden, dass die Klägerin und deren Kinder über Jahre vergeblich versucht hätten, mit L-Thyroxin eine Verbesserung des Befindens zu erreichen. Unter regelmäßiger laborchemischer Untersuchung und entsprechender Medikamentenanpassung seien mittlerweile die Klägerin und deren beiden Kinder nahezu beschwerdefrei. Die Versorgung mit konventionellen Schilddrüsenmedikamenten sei in keinster Weise ausreichend gewesen. Die verordneten bioidentischen Schilddrüsenhormone seien für die Gewährleistung der Gesundheit und der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Klägerin und ihrer Kinder medizinisch notwendig. Zur weiteren Verbesserung des Befundes sei im Januar 2020 bei der Klägerin und deren Kindern eine Umstellung auf das Präparat der K.apotheke, M., vollzogen worden. Im Zuge der Umstellung habe sich bei der Klägerin und ihren Kindern der fT4-Wert erhöht, was zu einer weiteren Verbesserung des Befundes geführt habe.
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Die Klägerin hat zuletzt unter teilweiser Klagerücknahme schriftsätzlich beantragt,
I. Der Beihilfebescheid des Beklagten vom 20.11.2019 in Form des Widerspruchsbescheids vom 14.05.2020, zugestellt am 16.05.2020, wird abgeändert.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Beihilfeleistungen in Höhe von 70% der Rechnungsbeträge für die Klägerin in Höhe von 143,82 €, abzüglich einer Erstattung von 23,52 €, somit 77,15 €, und für das Kind A. Beihilfeleistungen in Höhe von 80% der Rechnungsbeträge in Höhe von 143,82 €, abzüglich einer Erstattung von 30,31 €, somit 84,75 €, zu gewähren.
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Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass er an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalte. Hinsichtlich Klageantrag I.) sei hervorzuheben, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 20.11.2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2020 nur abgelehnte Aufwendungen für die Klägerin und deren Tochter A. betreffe. Klagegegenstand sei nur der Bescheid vom 20.11.2019, weshalb keine Ausführungen und Aktenvorlage hinsichtlich des Sohnes G. erfolge. Die speziell hergestellten Hormonrezepturen seien ein Vielfaches teurer als die vergleichbaren und zugelassenen Fertigarzneimittel (synthetische Schilddrüsen-Hormonpräparate), mit denen die Klägerin und ihre Kinder nach eigenen Angaben des Behandlers Dr. N. (Attest vom 02.12.2019) bis ins Jahr 2018 leitlinienkonformen nach der Schulmedizin therapiert worden seien. Die medizinische Notwendigkeit bzw. Angemessenheit der Behandlung der Klägerin und ihrer Kinder mit den bioidentischen Komplexpräparaten sei im Rahmen des Widerspruchsverfahrens einzelfallbezogen durch einen Amtsarzt überprüft worden. Aufgrund der amtsärztlichen Stellungnahmen sei der Widerspruch vom 15.12.2019 mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2020 als teilweise unbegründet zurückgewiesen worden und im Übrigen ein gesonderter Teilabhilfebescheid vom 19.05.2020 ergangen. Die Aufwendungen seien in Höhe des damaligen Verkaufspreises des Präparats L-Thyroxin 0,025 mg als beihilfefähig angesetzt und für die Klägerin (abzüglich der Eigenbeteiligung in Höhe von 3,00 €) mit 23,52 € und für die Tochter A. mit 30,31 € erstattet worden. Aus der amtsärztlichen Stellungnahme vom 02.04.2020 gehe eindeutig hervor, dass bisher keine wissenschaftlichen Studien vorlägen, welche einen Vorteil der Anwendung von bioidentischen Hormonen gegenüber der Anwendung von synthetischen Hormonen belegen würden. Das Gutachten des Gesundheitsamtes sei für die Beihilfestelle bindend.
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Mit Schreiben vom 15.02.2021 und 17.02.2021 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung.
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Soweit die Klage mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 15.02.2021 hinsichtlich der ursprünglich auch noch begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung weiterer Beihilfeleistungen in Höhe von 53,83 € zurückgenommen wurde, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Insoweit ist die Entscheidung unanfechtbar.
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Soweit aufrechterhalten, ist die Klage zulässig, aber nur teilweise begründet. Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 20.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2020 ist, soweit noch angefochten, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit nicht bei der Klägerin eine Eigenbeteiligung in Höhe von 3,00 € einzubehalten ist. Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 158,90 €; darüber hinaus war die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Gemäß Art. 96 Abs. 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) erhalten u. a. (Ruhestands-)Beamte und (Ruhestands-)Beamtinnen für sich, (unter gewissen Voraussetzungen) den Ehegatten und die im Familienzuschlag nach dem Bayerischen Besoldungsgesetz berücksichtigungsfähigen Kinder Beihilfen als Ergänzung der aus den laufenden Bezügen zu bestreitenden Eigenvorsorge, solange ihnen laufende Besoldung oder Versorgungsbezüge zustehen. Beihilfeleistungen werden nach Art. 96 Abs. 2 Satz 1 BayBG zu den nachgewiesenen medizinisch notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Pflegefällen und zur Gesundheitsvorsorge gewährt. Das Nähere ist durch das Staatsministerium der Finanzen und für Heimat durch Rechtsverordnung zu regeln (Art. 96 Abs. 5 Satz 1 BayBG). Von dieser Ermächtigung wurde durch Erlass der Bayerischen Beihilfeverordnung (BayBhV) Gebrauch gemacht.
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Die Klägerin ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 2 BayBhV beihilfeberechtigt. Die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen richtet sich nach §§ 7, 18 BayBhV in der anzuwendenden Fassung. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 02.04.2014 - 5 C 40/12, Rn. 9). Die Aufwendungen gelten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Die Präparate wurden alle am 04.10.2019 in der Apotheke erworben, so dass die BayBhV in der Fassung gültig ab 01.01.2019 bis 31.12.2020 Anwendung findet.
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Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind Aufwendungen nach den folgenden Vorschriften der BayBhV beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig (Nr. 1) und der Höhe nach angemessen sind (Nr. 2) und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3).
22
Nach § 18 Satz 1 BayBhV sind die aus Anlass einer Krankheit bei ärztlichen oder zahnärztlichen Leistungen oder Heilpraktikerleistungen nach §§ 8 bis 17 BayBhV verbrauchten oder nach Art und Umfang schriftlich verordneten apothekenpflichtigen Arzneimittel nach § 2 des Arzneimittelgesetzes (Nr. 1), Verbandmittel (Nr. 2), Harn- und Blutstreifen (Nr. 3) sowie Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nrn. 1 bis 3 des Medizinproduktegesetzes zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind (Nr. 4) beihilfefähig. Nicht beihilfefähig sind nach § 18 Satz 4 BayBhV Aufwendungen für Mittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, zur Rauchentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen (Nr. 1), für Mittel, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen (Nr. 2), Vitaminpräparate, die keine Fertigarzneimittel im Sinn des Arzneimittelgesetzes darstellen (Nr. 3) und Geriatrika und Roborantia (Nr. 4).
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Der Begriff der beihilferechtlichen Notwendigkeit von Aufwendungen als Voraussetzung für die Beihilfengewährung ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach sind Aufwendungen dem Grund nach notwendig, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden sowie der Beseitigung oder zum Ausgleich körperlicher Beeinträchtigungen dient. Entsprechend dem Zweck der Beihilfengewährung müssen die Leiden und körperlichen Beeinträchtigungen Krankheitswert besitzen. Die Behandlung muss darauf gerichtet sein, die Krankheit zu therapieren. Zusätzliche Maßnahmen, die für sich genommen nicht die Heilung des Leidens herbeiführen können, können als notwendig gelten, wenn sie die Vermeidung oder Minimierung von mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Behandlungsrisiken und Folgeleiden bezwecken (BVerwG, Beschluss v. 30.09.2011 - 2 B 66/11, juris Rn. 11). Die Kosten lediglich nützlicher, aber nicht notwendiger Behandlungen muss der Beihilfeberechtigte hingegen aus eigenen Mitteln bestreiten. Maßgebend ist, ob die Maßnahme im Einzelfall objektiv medizinisch notwendig war. Kommen nach medizinischen Gesichtspunkten verschiedene vertretbare Möglichkeiten in Betracht, ist die vom Arzt gewählte Methode medizinisch notwendig, wenn er sie nach ärztlich-wissenschaftlichem Maßstab dafür halten konnte. Auch die Höhe der Kosten darf nicht außer Betracht bleiben. Zwar wird man nicht davon ausgehen können, dass der Beihilfeberechtigte allgemein verpflichtet ist, die Kosten möglichst gering zu halten, jedoch ist er auf Grund der Treuepflicht gehalten, extrem hohe Kosten zu Lasten des Dienstherrn zu vermeiden, wenn andere weniger kostenaufwendige, aber medizinisch gleichwertige Behandlungsmethoden möglich sind (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Bd. 1 § 6 BBhV Anm. 2 (2) zu Abs. 1; 179. AL. Juli 2019).
24
Dies zu Grunde gelegt, ist die Behandlung der Klägerin und ihrer Tochter A. mit bioidentischen Schilddrüsenhormonen - anders als vom Beklagten vertreten - medizinisch notwendig.
25
Bei der Klägerin und ihrer Tochter A. wurden eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse in Form einer Hashimoto Thyreoiditis Erkrankung diagnostiziert (Atteste Dr. N. v. 26.09.2019) und beide wegen einer bestehenden Hypothyreose therapiert (Attest Dr. N. v. 02.12.2019), die gemäß ärztlichem Attest des behandelnden Hausarztes Dr. N. vom 25.07.2019 bei der Klägerin und ihrer Tochter zunächst von 2010 bis 2018 leitlinienkonform mit synthetischen Schilddrüsen-Hormonpräparaten behandelt worden ist. Eine Verbesserung der Symptomatik konnte gemäß Attest auch nach längerer medikamentöser Therapie nicht erreicht werden. Diese Behandlung war gemäß Attest bei der Klägerin und ihrer Tochter nicht ausreichend und die Indikation für die Umstellung auf bioidentische Schilddrüsenextrakte zweifelsfrei vorhanden. Erst nach Umstellung auf bioidentische Schilddrüsenextrakte konnte eine deutliche Verbesserung der Beschwerden erzielt werden. Dieser Vortrag der Klägerin wird durch den Beklagten auch nicht angezweifelt. Zwar sind die Kosten für bioidentische Schilddrüsenhormone (deutlich) höher als für synthetische Schilddrüsenhormone, doch war die Behandlung im zu Grunde liegenden Einzelfall objektiv medizinisch notwendig, da der behandelnde Arzt sie nach ärztlich-wissenschaftlichem Maßstab dafür halten durfte, nachdem - anders als aktuell mit den bioidentischen Hormonen - konventionelle Schilddrüsenpräparate auch nach längerer medikamentöser Therapie bei der Klägerin und ihrer Tochter zu keiner Verbesserung der Symptomatik geführt haben.
26
An der medizinischen Notwendigkeit der Verordnung bioidentischer Schilddrüsenhormone ändert vorliegend auch die vom Beklagten eingeholte beratungsärztliche Stellungnahme vom 02.04.2020 nichts. Vielmehr geht aus ihr hervor, dass bioidentische Hormone die gleiche chemische und molekulare Struktur aufweisen, wie die vom menschlichen Körper produzierten Hormone. Weiter wird darin ausgeführt, dass bioidentische Hormone genauso wirksam seien wie synthetisch hergestellte Hormone und deshalb „zumindest“ der Kaufpreis der entsprechenden synthetischen Hormone erstattet werden solle. Die beratungsärztliche Stellungnahme setzt sich erkennbar nicht mit der Stellungnahme des behandelnden Arztes zu dem „gravierende[n] Unterschied von bioidentischen Komplexpräparaten und synthetischen Hormonpräparaten“ auseinander und, dass bei der Klägerin und ihrer Tochter die langjährige Therapie mit synthetischen Schilddrüsenpräparaten die vorhandene Symptomatik nicht verbessert hat. Beide wurden von 2010 bis 2018 mit synthetischen Schilddrüsenhormonen behandelt. Die pauschale Formulierung in der beratungsärztlichen Stellungnahme dahingehend, dass ihm wissenschaftliche Studien, die den Nachweis führten, dass die Anwendung bioidentischer Hormone von Vorteil sei gegenüber der Anwendung synthetischer Hormone mit derselben Hormonwirkung, nicht bekannt seien, ist nicht geeignet, im zu Grunde liegenden Einzelfall die vom behandelnden Arzt nachvollziehbar und plausibel begründete medizinische Notwendigkeit der Umstellung der Therapie auf bioidentische Schilddrüsenhormone in Zweifel zu ziehen.
27
Die Aufwendungen für die bioidentischen Schilddrüsenhormone sind auch wirtschaftlich angemessen.
28
Für die Prüfung der wirtschaftlichen Angemessenheit ist nur dann Raum, wenn Aufwendungen in unterschiedlicher Höhe getätigt werden können. Etwas anderes gilt bei feststehenden Kaufpreisen, z.B. Medikamenten. Hier sind Aufwendungen - abgesehen von den (ggfs.) zu berücksichtigenden Eigenbehalten im Sinn des Art. 96 Abs. 3 Satz 5 BayBG - in jedem Fall voll beihilfefähig, wenn das gekaufte Arzneimittel notwendig war, es der ärztlichen Verordnung entspricht und auch keine sonstigen Einschränkungen in Bezug auf die Beihilfefähigkeit bestehen (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Bd. 1 § 6 BBhV Anm. 3 (1) zu Abs. 1; 179. AL. Juli 2019; Bd. 2 § 7 BayBhV Anm. 3 (1) zu Abs. 1; 174. AL. Juni 2018). Die bioidentischen Schilddrüsenhormone waren vorliegend medizinisch notwendig (s.o.) und es sind keine Einschränkungen in Bezug auf die Beihilfefähigkeit ersichtlich (z.B. Höchstbetragsregelung). Dass das gekaufte Arzneimittel nicht der ärztlichen Verordnung entspricht ist nicht erkennbar und wurde vom Beklagten auch nicht behauptet.
29
Die Beihilfefähigkeit ist auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Weder § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 oder 2 und Anlage 2 noch § 18 BayBhV regeln einen ausdrücklichen Ausschluss bioidentischer Hormone. Insbesondere liegt kein Fall des § 18 Satz 2 BayBhV vor. Die Beihilfefähigkeit der verordneten bioidentischen Schilddrüsenhormone ist darüber hinaus auch nicht nach § 18 Satz 4 BayBhV ausgeschlossen, da sie kein Mittel sind, das geeignet ist, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen (Nr. 2). Ebenso wenig handelt es sich um ein Vitaminpräparat im Sinne der Nr. 3 oder um Geriatrika oder Roborantia (Nr. 4).
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Bei den schriftlich verordneten bioidentischen Schilddrüsenhormonen handelt es sich um ein apothekenpflichtiges (vgl. §§ 43 Abs. 1, 44 Arzneimittelgesetz (AMG) und die Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel (AMVerkRV)) Rezepturarzneimittel (§ 2 Abs. 1 AMG, § 1a Abs. 8 Apothekenbetriebsordnung).
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Gemäß Art. 96 Abs. 3 Satz 5 BayBG ist die festgesetzte Beihilfe um 3 € je verordnetem Arzneimittel (Eigenbeteiligung) bei der Klägerin zu mindern. Bei ihrer Tochter A. ist, wie in Art. 96 Abs. 3 Satz 6 Nr. 1 BayBG vorgesehen, keine Eigenbeteiligung anzusetzen.
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Nach alledem war der Klage - abgesehen von der bei der Klägerin einzubehaltenden Eigenbeteiligung i.H.v. 3,00 € - stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Durch die Rücknahme hat die Klägerin Kosten in Höhe von ¼ zu tragen (53,83 € ./. 215,73 €). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.