Titel:
Vormerkung für eine öffentlich geförderte Wohnung, Dringlichkeitsfestsetzung, Wohnungssuchende in Studium oder Ausbildung, Aktuelle Wohnsituation nicht nachgewiesen.
Normenkette:
Art. 5 BayWoBindG.
Schlagworte:
Vormerkung für eine öffentlich geförderte Wohnung, Dringlichkeitsfestsetzung, Wohnungssuchende in Studium oder Ausbildung, Aktuelle Wohnsituation nicht nachgewiesen.
Fundstelle:
BeckRS 2021, 39928
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, die Dringlichkeit ihres Antrags auf Vormerkung für eine öffentlich geförderte Wohnung höher als bislang erfolgt festzusetzen.
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Die am … … … geborene, schwerbehinderte und unter Betreuung stehende Klägerin absolvierte vom 28. August 2018 bis zum 27. August 2021 eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin bei der Stiftung … … Vom 1. Januar 2017 bis zum 15. September 2020 war die Klägerin in D … gemeldet. Der Ausbildungsvertrag der Klägerin mit der Stiftung … … vom 1. Oktober 2018 wie auch der Förderbescheid der Bundesagentur für Arbeit aus dem Januar 2020 benennt als Wohnanschrift der Klägerin ebenfalls die dort genannte Adresse in D … Am 20. Oktober 2020 erfolgte - rückwirkend zum 15. September 2020 ... die Ummeldung auf eine Adresse in der S H1. Straße in München, wo die Klägerin in einem Internat der Stiftung … … wohnte. Die Wohnungsgeberbestätigung der Stiftung … … vom 23. September 2020 wiederum benennt als Anschrift der Klägerin die T H2. Straße in München.
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Seit 1. Juni 2021 ist die Klägerin unter einer neuen Adresse (G … Ring in München) gemeldet.
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Am 27. November 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Vormerkung für eine öffentlich geförderte Wohnung als Einzelperson. Zur Begründung wurde u.a. geltend gemacht, der Klägerin drohe in absehbarer Zeit die Wohnungslosigkeit, da diese nach Abschluss ihrer Ausbildung im Sommer 2021 nicht mehr weiter in der Wohngemeinschaft ihres derzeitigen Ausbildungsbetriebes wohnen dürfe, da diese nur Auszubildenden zur Verfügung stünde. Für die Zeit nach Ende ihrer Ausbildung habe die Klägerin bereits eine Beschäftigung in München in Aussicht gestellt bekommen.
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Mit streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2020 wurde die Klägerin als Einzelperson für eine öffentlich geförderte Wohnung vorgemerkt (Nr. 1), als angemessene Wohnungsgröße 1 Wohnraum festgesetzt (Nr. 2) sowie die Dringlichkeit des Antrags unter Verweis mit 30 Gesamtpunkten (10 Grundpunkte; 20 Vorrangpunkte, wegen Schwerbehinderung) festgesetzt (Nr. 4). Das Zusprechen von lediglich 10 Grundpunkten wurde damit begründet, dass sich die Klägerin nach den strengen Maßstäben des sozialen Wohnungsbaus nur zur Ausbildung in München aufhalte. Denn zwischen dem Zuzug der Klägerin nach München und dem Beginn ihrer Ausbildung bestünde ein enger zeitlicher Zusammenhang.
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Hiergegen hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom … Dezember 2020, am gleichen Tage bei Gericht eingegangen, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben, beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2020 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, die soziale Dringlichkeit des Wohnungsantrages der Klägerin mit Grundpunkten zu wenigstens 90 zu beurteilen, und die Klage zugleich sowie ergänzend mit Schriftsatz vom … März 2021 wie folgt begründet: Die Beklagte habe das Zuzugsdatum nach München „falsch gewichtet“. Die Klägerin habe bereits 2017 ein Internat in München bezogen und mit der Ausbildung begonnen. Sie habe sich nur deshalb nicht umgemeldet, weil ihr gesagt worden sei, dies wäre nicht erforderlich. Zudem sei der Klägerin im Rahmen ihres derzeitigen Praktikums eine eventuelle Übernahme in ein Arbeitsverhältnis nach Abschluss ihrer Ausbildung in Aussicht gestellt worden. Die Klägerin müsse ihre derzeitige Unterkunft im Sommer verlassen, anderweitiger Wohnraum stehe ihr nicht zur Verfügung. Pendeln sei der Klägerin aufgrund ihrer Behinderung nicht zumutbar. Die Beklagte stelle bei ihrer Bewertung zwar auf ein nachvollziehbares Punktesystem ab, allerdings sei die konkret drohende Wohnungslosigkeit und die besondere Bedeutung der Behinderung bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden, diese daher ermessensfehlerhaft.
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Mit Schriftsatz vom 5. März 2021 hat die Beklagte hat beantragt,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Zuzug der Klägerin sei zu Ausbildungszwecken erfolgt, wofür nach den einschlägigen Dienstanweisungen der Beklagten lediglich 10 Grundpunkte zuzuerkennen seien. Die im Verlauf des Verwaltungsverfahrens gemachte Angabe, die Klägerin sei bereits 2017 und damit noch vor Beginn ihrer Ausbildung bei der Stiftung … … nach München gezogen, sei angesichts der anderslautenden Angaben im Ausbildungsvertrag der Klägerin mit der Stiftung … … vom 1. Oktober 2018, dem Förderbescheid der Bundesagentur für Arbeit aus dem Januar 2020 und insbesondere der erst am 20. Oktober 2020 erfolgten Ummeldung, bei welcher als Einzugsdatum zudem der 15. September 2020 angegeben wurde, unglaubhaft. Angesichts der Tatsache, dass die Wohnungsgeberbestätigung der Stiftung … … vom 23. September 2020 als Adresse nicht die S H1. Straße, sondern die T H2. straße in München enthalte, seien die Angaben zu den Wohnverhältnissen der Klägerin darüber hinaus insgesamt widersprüchlich. Sofern zudem geltend gemacht worden sei, dass der Klägerin für die Zeit nach Beendigung ihrer Ausbildung eine Arbeitsstelle in Aussicht gestellt worden sei, habe die Klägerseite trotz entsprechender Aufforderung durch die Beklagte bislang keine entsprechende Bestätigung des künftigen Arbeitgebers vorgelegt.
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Mit Beschluss vom 3. Dezember 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Den mit Schriftsatz vom … März 2021 seitens des Bevollmächtigten gestellten Antrag, die Beklagte im Wege einstweiligen Rechtsschutzes mittels einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die soziale Dringlichkeit des Wohnungsantrages der Klägerin bis zur Hauptsacheentscheidung mit Grundpunkten zu wenigstens 90 zu beurteilen (M 12 E 21.1563) sowie den mit Schriftsatz vom … Dezember 2020 gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten hat das Gericht mit Beschluss vom 3. Dezember 2021 abgelehnt.
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Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 19. März 2021 (Kläger) bzw. 5. März 2021 (Beklagter) auf mündliche Verhandlung verzichtet.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dem zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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II. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids vorgenommene Dringlichkeitsfestsetzung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Insbesondere hat die Klägerin keinen Anspruch auf Festsetzung einer höheren Dringlichkeit.
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Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist Art. 5 BayWoBindG. Die Landeshauptstadt München gehört zu den Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf. Die Beklagte hat als zuständige Stelle in Bezug auf Sozialwohnungen nach Art. 5 Satz 2 BayWoBindG gegenüber den Verfügungsberechtigten ein Benennungsrecht. Dieses Benennungsrecht ermächtigt die zuständige Behörde aus Gründen der Praktikabilität auch, vor der eigentlichen Benennung eine rechtlich verbindliche Vorentscheidung über die Voraussetzungen der Wohnberechtigung und über den Grad der sozialen Dringlichkeit zu treffen. Diese Vorentscheidung erfolgt durch Aufnahme in eine nach Dringlichkeitsstufen und Punkten differenzierende Vormerkkartei, wobei es sich um einen im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakt handelt (BayVGH vom 23.9.1987, DWW 1988, 55).
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Zur gleichmäßigen Ermessensausübung hat die Beklagte eine Punktetabelle erstellt. Es handelt sich dabei um eine ermessensbindende interne Richtlinie, deren konsequente Anwendung dem Gleichbehandlungsgrundsatz entspricht und die regelmäßig zu einer Selbstbindung der Verwaltung führt. Diese Punktetabelle ist ein geeignetes Mittel, um die Bewertung der sozialen Dringlichkeit transparent zu machen und dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung zu tragen (BayVGH vom 14.4.1999 - 24 S 99.110).
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Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin keinen Anspruch auf Festsetzung einer höher als die bereits festgesetzten, 30 Gesamtpunkten betragenden Dringlichkeit.
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1. Ein derartiger Anspruch ergibt sich zum einen nicht unter Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Denn die Beklagte hat die Dringlichkeit vorliegend, insbesondere auch im Rahmen der von Klägerseite gerügten Bemessung der Grundpunkte, entsprechend der aktuell geltenden, seitens der Beklagten strukturell angewandten Dienstanweisungen bewertet.
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a) Gemäß Ziff. 4 der Punktetabelle ist die Dringlichkeit von Wohnungsanträgen mit 10 Grundpunkten zu bewerten, soweit die aktuelle Wohnsituation nicht oder nicht ausreichend durch entsprechende Unterlagen nachgewiesen ist. Aufgrund der in Ziffer 2 der Punktetabelle geregelten Grundpunktebegrenzung bleibt der Grundpunktestand in diesem Fall auch dann auf die Zahl 10 begrenzt, wenn Gründe vorliegen, die für sich genommen eine höhere Zahl an Grundpunkten generieren würden.
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Die Klägerin ist ausweislich einer durch das Gericht am 2. Dezember 2021 durchgeführten Meldeabfrage seit dem 1. Juni 2021 nicht mehr in der S H1. Straße in M., sondern im G …-Ring in München gemeldet. Der bisherige Vortrag inklusive der vorgelegten Unterlagen, sowohl im Verwaltungsverfahren vor der Beklagten, wie auch im gerichtlichen Verfahren, beschränkt sich jedoch ausschließlich auf die Wohnsituation in der S H1. Straße in M. Hinsichtlich der neuen Wohnsituation wurde von Klägerseite nichts mehr vorgetragen, so dass die Dringlichkeit des Wohnungsantrages zum Zeitpunkt dieser Entscheidung mit 10 Grundpunkten (aktuelle Wohnsituation nicht nachgewiesen) sowie 20 Vorrangpunkten (aufgrund der Schwerbehinderung der Klägerin) zu bemessen ist.
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a) Die Beklagte hat zudem entsprechend Ziffer 3 der Punktetabelle der Klägerin zusätzlich 20 Vorrangpunkte aufgrund ihrer Schwerbehinderung zuerkannt.
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2. Des Weiteren führt die - grundsätzlich als ermessensgerecht zu bewertende (s.o.) - Anwendung der Punktetabelle sowie der diese flankierenden Dienstanweisungen im vorliegenden Fall auch nicht ausnahmsweise zu einer den Zielen der gesetzlichen Ermessenseinräumung widersprechenden bzw. die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreitenden Bewertung der Dringlichkeit (§ 114 Satz 1 VwGO) und damit einhergehend zu einer ungerechtfertigten Schlechterstellung der Klägerin im Rangverhältnis zu den übrigen Antragstellern. Die Klägerin hat daher auch vor diesem Hintergrund keinen Anspruch auf zumindest erneute, ermessensfehlerfreie Festsetzung ihrer Dringlichkeit unter angemessener Berücksichtigung der besonderen Umstände ihres Falles unter Abweichung von den Vorgaben der Punktetabelle (§ 113 Abs. 5 Satz 2, § 114 Satz 1 VwGO), geschweige denn auf Festsetzung eines bestimmten Punktebetrages infolge Ermessensreduktion auf Null (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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In diesem Zusammenhang war insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Schwerbehinderung der Klägerin - wie gesetzlich gefordert - durch Zuerkennung entsprechender Vorrangpunkte bereits auf Basis der Punktetabelle berücksichtigt hat, zudem die Klägerseite nichts bezüglich ihrer neuen Wohnsituation mehr vorgetragen hat.
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III. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.