Titel:
Unzulässigkeit der Rinderhaltung im Dorfgebiet wegen Geruchsbelästigung
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 5 Abs. 2 Nr. 1, § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Im Dorfgebiet sind Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO ihrer Art nach zwar allgemein zulässig, § 34 Abs. 2 BauGB. Ebenso wie im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB an dem im „Einfügen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebot kann ein Vorhaben in einem festgesetzten oder faktischen Dorfgebiet aber an § 15 Abs. 1 BauNVO als einfach gesetzlicher Ausprägung des Rücksichtnahmegebots scheitern. Hauptfall ist die Einwirkung durch Immissionen (hier bejaht wegen Geruchsbelästigung durch Rinderhaltung). (Rn. 25 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtungsklage auf Baugenehmigung, landwirtschaftlicher Betrieb auf zwei Flurnummern, Neuerrichtung und Umnutzung bestehender baulicher Anlagen zu Ställen für Rinderhaltung Geruchsbelästigung, Bestandsschutz, Baugenehmigung, Innenbereich, Dorfgebiet, landwirtschaftliche Betriebe, Wirtschaftstellen, Rücksichtnahmegebot, Geruchsbelästigung, Rinderhaltung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.04.2022 – 9 ZB 21.3227
Fundstelle:
BeckRS 2021, 39911
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die baurechtliche Genehmigung zur Umnutzung bestehender Gebäude zum Stall, zur Errichtung von Ställen und zum Aufstellen von Großraumkälberboxen.
2
Der Kläger bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb in …, … …, mit ca. 32,54 ha landwirtschaftlicher Fläche und 2,52 ha Wald. Die Hofstelle besteht aus den Grundstücken FlNrn. …, …, Gemarkung …, wobei die FlNr. … nördlich der FlNr. … liegt. Nördlich der FlNr. … kommt die FlNr. … zum Liegen, südwestlich der FlNr. … die FlNrn. … und … Der Betriebsschwerpunkt liegt in der Rinderhaltung mit Milchkühen und entsprechender Nachzucht (Kälbern).
3
Anlässlich von Baukontrollen am 30. August 2017 und am 17. Januar 2018 wurde seitens des Beklagten festgestellt, dass für die auf der FlNr. … bestehende Nutzung der Maschinenhalle als Rinderstall sowie hinsichtlich des dort errichteten Kälberunterstandes keine Baugenehmigung vorliegt. Selbiges gilt für die auf der FlNr. … bestehende Nutzung der Einstellhalle als Rinderstall, hinsichtlich des errichteten Unterstands für Jungrinder, für die Nutzung der Scheune als Stall sowie hinsichtlich des nördlich der Scheune errichteten Stallanbaus.
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Mit Bauantrag vom 20. November 2017 beantragte der Kläger hinsichtlich der FlNr. … die Erteilung einer Baugenehmigung für die Umnutzung der bestehenden Maschinenhalle zu einem Rinderstall und für die Errichtung eines Kälberunterstandes. Ebenfalls mit Bauantrag vom 20. November 2017 mit Ergänzung vom 25. Juli 2018 beantragte der Kläger hinsichtlich der FlNr. … die Erteilung einer Baugenehmigung für die Umnutzung der bestehenden Einstellhalle zum Rinderstall, für die Umnutzung der bestehenden Scheune zum Rinderstall, für die Errichtung einer Stallerweiterung und zum Aufstellen zweier Großraumkälberboxen. Die Gemeinde … erteilte das gemeindliche Einvernehmen mit Beschluss vom 13. Dezember 2017.
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Im Rahmen der Behördenbeteiligung wurde das Veterinäramt, das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, die Fachkundige Stelle für Wasserwirtschaft und das Sachgebiet … des Landratsamtes …, Technischer Umweltschutz - Immissionsschutz, beteiligt. Letztere äußerte Bedenken, da bei den beantragten Vorhaben gemäß Kap. 3.2.2 „Abstandsregelungen für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ aufgrund der geringen Entfernung von acht Metern zu nächsten Wohnbebauung schädliche Umweltwirkungen zu vermuten seien.
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Die Eigentümer der FlNrn. … und … erhoben beim Landratsamt Einwände gegen die vorgelegten Bauunterlagen und beklagten Geruchsbelästigung. Weiter würden sie durch die Arbeitszeiten belästigt.
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Nach erfolgter Anhörung des Klägers zur beabsichtigten Ablehnung der Bauanträge mit jeweiligen Schreiben vom 14. März 2019 erfolgte am 18. Juli 2019 ein Gesprächstermin der Beteiligten. Der Kläger erklärte, dass die ehemalige Einstellhalle und die Scheune bereits durch seinen Vater als Schweinestall mit deutlich höheren Emissionen genutzt worden seien. Das Wohnhaus … (FlNr. **) könne nicht als Immissionsort gewertet werden, da dort seit vielen Jahren keine Wohnnutzung mehr stattfände und das Wohnhaus teilweise zum Schlachthaus umgebaut worden sei. Alternative, genehmigungsfähige Nutzungen wurden diskutiert.
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Mit Bescheid vom 11. März 2020 lehnte der Beklagte die beantragte Baugenehmigung hinsichtlich der Vorhaben auf der FlNr. … sowie ebenso mit Bescheid vom 11. März 2020 die beantragte Baugenehmigung bezüglich der Vorhaben auf der FlNr. … ab. Die Vorhaben seien nicht genehmigungsfähig. Es liege ein Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften vor. Da das Vorhaben im Innenbereich, für den es keinen Bebauungsplan gebe, liege, sei § 34 BauGB einschlägig. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem Dorfgebiet i.S.d. § 5 BauNVO, so dass Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe dort allgemein zulässig seien, § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO. Jedoch ergebe sich die Unzulässigkeit aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO aufgrund der vom Vorhaben ausgehenden unzumutbaren Belästigungen, wobei hierzu insbesondere schädliche Umwelteinwirkungen i.S.d. § 3 Abs. 1, 2, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 22 BImSchG zählen würden. Es liege ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor. Für die Beurteilung von Rindergerüchen werde als Beurteilungsgrundlage Kapitel 3.2.2 „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ herangezogen. Dabei werde hinsichtlich des einzuhaltenden Abstandes zwischen Dorf- und Wohngebiet unterschieden. Im hier vorliegenden Dorfgebiet sei ein deutlich geringerer Abstand zwischen Wohnbebauung und Rinderhaltung erforderlich. Bei den Abstandsdiagrammen werde unterschieden zwischen der unteren Abstandszone, in der schädliche Umwelteinwirkungen zu vermuten seien, der oberen Abstandszone, in der solche Auswirkungen weitgehend ausgeschlossen werden, und einen dazwischenliegenden Abstandsbereich, in dem es einer Einzelfallprüfung bedürfe. Die Abstände würden nach den Rinder-Großvieheinheiten (GV) bemessen. Die relevante Abstandszone werde bestimmt durch die GV-Zahl auf der x-Achse und den aufgetragenen Abstand in Metern auf der y-Achse. Gemäß der vom Kläger nachgereichten „Legende über Rinderbestand auf Flurstücken …“ ergebe sich für den landwirtschaftlichen Betrieb auf den Grundstücken FlNrn. …, … eine Gesamtgröße von 81,3 GV. Für die Abstandsbestimmung aller freibelüfteten Ställe sei die der Wohnbebauung am nächsten gelegene emissionsrelevante Stallaußenwand maßgebend. Der Abstand der Wohnbebauung zur nächstgelegenen emissionsrelevanten Stallaußenwand betrage ca. 8 m. Bei Übertragung der GV-Zahl von 81,3 sowie des vorhandenen Abstands von ca. 8 m in das Diagramm ergebe sich ein Schnittpunkt in der unteren Abstandszone des Diagramms. Daher seien schädliche Umwelteinwirkungen zu vermuten. Entgegen der klägerischen Meinung sei auch das Wohnhaus … … als Immissionsort zu berücksichtigen gewesen. Zwar sei das Wohnhaus teilweise zum Schlachthaus umgebaut worden und werde seit dem 28. Mai 1999 nicht mehr bewohnt, allerdings könne die Wohnnutzung jederzeit wiederaufgenommen werden.
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Die Vorhaben auf der FlNr. … würden überdies das Abstandsflächenrecht aus Art. 6 BayBO verletzen. Bei der vorliegenden Nutzungsänderung der Einstellhalle, der Scheune zum Stall und dem Aufstellen von zwei Großraumkälberboxen seien die Abstandsflächen zu prüfen, da die Nutzungsänderung vom Bestandsschutz nicht mehr gedeckt sei und die Änderung, die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange (Belichtung, Belüftung, Wohnfrieden) im Vergleich zu bisherigen Nutzung negativ beeinflussen könne. Die betroffenen Grundstückseigentümer hätten die Baupläne nicht unterzeichnet. Da das Bauvorhaben die Vorgaben des Art. 6 BayBO nicht einhalte, bedürfte es zur Zulässigkeit einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO, die aber nicht erteilt werden könne.
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Der Einwand des Klägers, dass die ehemalige Einstellhalle bereits durch seinen Vater als Schweinestall genutzt worden sei, sei für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit unerheblich, da auch die Umnutzung der Einstellhalle als Schweinestall nicht genehmigt gewesen sei. Bestandsschutz scheide aus.
11
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 6. April 2020, hier eingegangen per Fax am selben Tag, hat der Kläger gegen den Bescheid vom 11. März 2020 mit dem Az. … (die Flurnummer … betreffend) Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erhoben (AN 17 K 20.00626). Mit weiterem Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 6. April 2020, hier ebenso eingegangen per Fax am selben Tag, hat der Kläger gegen den Bescheid vom 11. März 2020 mit dem Az. … (die Flurnummer … betreffend) Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erhoben (AN 17 K 20.00627). Zur Begründung führte er mit Schriftsätzen seines Bevollmächtigten vom 25. September 2020 im Wesentlichen aus, dass er die ursprüngliche eigenständige landwirtschaftliche Hofstelle auf FlNr. … im Jahre 2010 erworben habe, wobei bereits der Voreigentümer Nutztiere (Rinder und Schweine) gehalten habe. Die bestehende alte Scheune/Halle sei vom Kläger 2011 ertüchtigt worden, um dort Jungvieh zu halten. Bereits seit dieser Zeit nutze der Kläger das Gebäude als Rindermastbetrieb. Auch die ursprüngliche 1994/95 erbaute landwirtschaftliche Maschinenhalle (vormals Standort des Schweinestalls) werde seit 1997 für die Unterbringung der trockenstehenden Kühe bis zum Abkalbtermin gutgläubig benutzt. Bei den auf der FlNr. … bestehenden Unterständen handele es sich um zwei Großraumiglus ohne feste Verbindung zum Untergrund (fliegende Bauten). Diese könnten jederzeit verschoben oder an einen anderen Ort verbracht und gestellt werden. Sie seien für sich genommen genehmigungsfrei. Beschwerden seitens Nachbarn und Behörden habe es trotz einer Vielzahl von Tieren (vormals Schweine, dann Rinder) nie gegeben, wobei von den Schweinen eine deutlich höhere Belästigung ausgegangen sei. Das Vorhaben verstoße nicht gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften. Es liege ein Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Innenbereich nach § 34 BauGB vor. Dort müssten unter anderem die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben. Dies sei der Fall. Es liege ein Dorfgebiet im Sinne des § 5 BauNVO vor. Dort seien landwirtschaftliche Betriebe allgemein zulässig. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sei nicht einschlägig. Von schädlichen Immissionen sei nicht auszugehen. Im vorliegenden Dorfgebiet sei nach der „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ ein deutlich geringerer Abstand zwischen Wohnbebauung und Rinderhaltung erforderlich. Die von der Behörde angenommene Gesamtgröße von 81,3 GV sei als rechnerisch zu groß zu hinterfragen. Betriebliche Besonderheiten, wie zum Beispiel die Umtriebszeit, würden nicht berücksichtigt. Im Jahresdurchschnitt müsste sich eine geringere Gesamtgröße ergeben, da sowohl die Höchst-Tieranzahl, die nicht permanent vorhanden sei, herangezogen werde, als auch jeweils von einem Höchstalter der Tiere ausgegangen werde, dass im Durchschnitt aufgrund der Tiermast unterschiedlich sei. Des Weiteren sei falsch, wenn die Gesamtfläche des landwirtschaftlichen Betriebs herangezogen werde, obwohl sich diese auf ursprünglich zwei getrennte Flurnummern beziehe. Es fließe somit in die fehlerhafte Berechnung der Abstandsflächen beispielsweise auch ein Tierplatz auf der Flurnummer … im Vergleich zur Lage des nachbarlichen Wohnhauses … mit ein. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass sich für die Tierplätze auf dem Flurstück … die nächstgelegene Wohnbebauung auf dem nördlich gelegenen Flurstück … befinde, zu der der Abstand ausreiche. Auch werde nicht berücksichtigt, dass das ehemalige Wohnhaus … seit vielen Jahren nicht mehr als Wohnhaus diene, vielmehr einer anderen Nutzung unterzogen worden sei. Ebenso wenig sei gewürdigt worden, dass bereits seit vielen Jahrzehnten, gerade im Grenzbereich zum Wohnhaus …, eine emissionsstärkere Schweinehaltung stattgefunden habe, ohne dass es jemals Beschwerden über Belästigungen gegeben habe. Es sei daher davon auszugehen, dass die Abstandskurve im Dorfgebiet unrichtig dargestellt worden sei. Beim Nebeneinander von Wohnen und Landwirtschaft innerhalb eines Dorfgebiete sei eine Einzelfallbeurteilung erforderlich, bei der auch Zumutbarkeitsfragen nicht außer Acht gelassen werden dürften. Die Nachbarn, die als einzige den beantragten Baugenehmigungen nicht zugestimmt haben, müssten innerhalb des Dorfgebiets mit einem gewissen Maß an Emissionen aus einer Landwirtschaft rechnen. Es sei zu bestreiten, dass vorliegend gesunde Wohnund Arbeitsverhältnisse nicht mehr gewahrt würden. Vielmehr würden auch die Nachbarn auf dem Grundstück mit dem Haus … selbst Tiere, nämlich Schafe, halten und dort eine Schlachtung betreiben. Die errechnete (falsche) GV-Zahl von 81,3 sei auf beiden Flurnummer … und … großflächig verteilt und stehe nicht in unmittelbarem Kontakt zum angeblichen Wohngebäude … Die angrenzende Gebäudemauer der ursprünglichen Maschinenhalle (FlNr. **) an das Objekt … habe auf der gesamten Länge weder Fenster noch Lüftungsöffnungen und sei an drei Seiten geschlossen. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls sei das Vorhaben nicht unzumutbar und rücksichtslos.
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Der Kläger beantragt im Verfahren AN 17 K 20.00626 sinngemäß zuletzt:
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Unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Ansbach vom 11.03.2020 wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung zur Umnutzung der bestehenden Einstellhalle zu einem Rinderstall, Umnutzung der bestehenden Scheune zum Rinderstall, Errichtung einer Stallerweiterung und Aufstellen von zwei Großraumkälberboxen (FlNr. …, Gemarkung …*) zu erteilen.
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Der Kläger beantragt im Verfahren AN 17 K 20.00627 sinngemäß zuletzt:
15
Unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Ansbach vom 11.03.2020 wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung zur Umnutzung der bestehenden Maschinenhalle zu einem Rinderstall und zur Errichtung eines Kälberunterstandes (FlNr. …, Gemarkung …*) zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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Ergänzend zu den Bescheidsbegründungen trug der Beklagte vor, dass die Berechnung der GV-Zahlen korrekt erfolgt sei. Nach Kapitel 3.3.2 „Abstandsregelungen für Rinderhaltungen“ des Arbeitskreises Immissionsschutz in der Landwirtschaft seien die Abstandsflächen nach Rinder-Großvieheinheiten zu bemessen. Zur Ermittlung der Bestandsgröße werde Kapitel 2.1.1 des o.g. Papiers bzw. VDI 3894 Bl. 2 herangezogen, wonach zu unterscheiden sei, ob ein Mastbetrieb mit variablen Tiergewichten oder ein Zuchtbetrieb, eine Milchviehhaltung (…) mit festen Tiergewichten vorliege. Gemäß Kapitel 4.1.1 VDI 3894 Bl. 2 ergebe sich in den Fällen, in denen die Lebendmasse eines Tiers über die Haltungsperiode konstant angenommen werden könne (z.B. Milchkühe, Sauen, Legehennen), die mittlere Einzeltiermasse durch die Masse bei der Einstallung. Im vorliegenden Falle handele es sich nach der Stellungnahme des zuständigen Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 20.08.2018 um einen Milchviehbetrieb. Daher werde aus immissionsschutzfachlicher Sicht von festen Tiergewichten ausgegangen. Dabei werde das Tieralter berücksichtigt. Wie üblich seien auch hier die Standardwerte der mittleren Tierlebendmasse mit der Anzahl der im Bauakt angegebenen Stallplätze berechnet worden.
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Weiter seien die Emissionen des Betriebes insgesamt auf beiden Flurnummern zu betrachten. Beide Grundstücke würden durch den Kläger bewirtschaftet. Außerdem seien beide Grundstücke mit einer direkten gemeinsamen Zufahrt verbunden und würden zusammen als Hofstelle eine wirtschaftliche Einheit bilden. Da beide Flurnummern im Grundbuchbezirk …, Blatt …, eingetragen seien, seien sie überdies ein Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinne.
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Festzuhalten sei auch, dass selbst im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung die umgenutzte Scheune zum Stall und der hieran anschließende Teil des vorhandenen Stalls wesentlich auf den Immissionsort … einwirken und die umgenutzte Einstellhalle samt anschließender Großraumkälberbox auf den Immissionsort … Entsprechend dem Arbeitspapier „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ sei für die Abstandsbestimmung von freigelüfteten Ställen die der Wohnbebauung am nächstgelegene emissionsrelevante Stallaußenwand als maßgebend anzusehen. Für den ersten Fall sei dies das Tor, da der Kläger bei der Besprechung am 18. Juli 2019 mitgeteilt habe, dass ein Verschließen der Tore aus betriebstechnischen Gründen nicht möglich sei. Für den zweiten Fall sei es der nach Nordosten geöffnete Unterstand. In beiden Fällen ergebe sich so ein Abstand von 8 m zwischen Immissionsort und nächstgelegener emissionsrelevanter Stallaußenwand, so dass auch hier schädliche Umwelteinwirkungen zu vermuten seien. Im Arbeitspapier werde außerdem darauf hingewiesen, dass frei gelüftete Ställe insbesondere innerhalb eines Dorfgebiets im Nahbereich negativ zu beurteilen seien. Die Abstandsbestimmung solle sich bei diesen Ställen an der oberen Abstandskurve orientieren. Das Wohnhaus … sei nach wie vor als Wohnhaus bestandsgeschützt. Es habe keine Nutzungsänderung zu einem Schlachthaus stattgefunden. Bei einer Baukontrolle im Jahr 2018 sei festgestellt worden, dass nur zwei Räume zur Fleischzerlegung für den Eigengebrauch der Eigentümer genutzt würden. Es handele sich nicht um ein gewerbliches Schlachthaus. Zwar sei das Wohnhaus … nach Aussage der Stadt … seit dem 28. Mai 1999 nicht mehr bewohnt, jedoch müsse nach wie vor damit gerechnet werden, dass in diesem Haus wieder eine Wohnnutzung aufgenommen werde. Es handle sich um eine sogenannte Nutzungsunterbrechung. Auch eine Dauer von 21 Jahren sorge nicht ohne Weiteres für ein Erlöschen der der Nutzung als Wohnhaus zugrundeliegenden Genehmigung. Der schlichte Leerstand von Wohnungen habe als solcher keine Auswirkungen auf den Bestandsschutz des Wohnhauses. Erforderlich wäre diesbezüglich, dass der jeweilige Genehmigungsinhaber die genehmigte Nutzung endgültig aufgegeben habe oder mit einer andersartigen als einer solchen, die außerhalb jeder Nutzung eigenen Variationsbreite liege, tatsächlich begonnen habe. Die ausgeübte Nutzung als Schlachtraum für private Zwecke stelle nur einen einer Nutzungsaufgabe entgegenstehenden Ausschnitt der genehmigten Wohnnutzung dar. Auch gebe es im Bauordnungsrecht keine Nutzungsobliegenheit.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten verwiesen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2021 wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
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Die Ablehnung der beantragten Baugenehmigungen ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigungen.
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Voraussetzung für einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung ist nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO, dass dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Nachdem es sich bei den Vorhaben des Klägers (FlNr. …: Umnutzung der bestehenden Maschinenhalle zu einem Rinderstall, Errichtung eines Kälberunterstandes, FlNr. …: Umnutzung der bestehenden Einstellhalle zum Rinderstall, Umnutzung der bestehenden Scheune zum Rinderstall, Errichtung einer Stallerweiterung, Aufstellen zweier Großraumkälberboxen) um keine Sonderbauten im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt und auch keine Verfahrensfreiheit (Art. 57 BayBO) oder Genehmigungsfreistellung (Art. 58 BayBO) in Frage kommt, sind vom Prüfungsumfang grundsätzlich nur die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfasst. Insbesondere sind auch die beiden Großraumkälberboxen (Iglus) genehmigungspflichtig. Zum einen handelt sich hierbei um bauliche Anlagen, die nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt sind, überwiegend ortsfest benutzt zu werden, Art. 2 Abs. 1 Satz 3 Hs. 1 BayBO. Sie stehen derart in Beziehung zu einem Grundstück, dass sie ähnlich an der Unbeweglichkeit des Bodens teilhaben, wie wenn sie mit dem Erdboden verbunden wären (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 141. EL März 2021, Art. 2 Rn. 128). Damit handelt es sich nicht, wie die Klägerseite meint, um fliegende Bauten, Art. 72 BayBO. Zum anderen kommt auch eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 BayBO, etwa nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 a, c BayBO, nicht in Betracht. Art. 57 BayBO stellt baurechtlich weniger bedeutsame Vorhaben von der Baugenehmigungspflicht frei, die selbständig als Einzelvorhaben ausgeführt werden (vgl. Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, 141. EL März 2021, Art. 57 Rn. 12). Hier sind die Iglus aber unselbständiger Teil eines einheitlich auszuführenden Gesamtvorhabens, so dass Art. 57 BayBO keine Anwendung findet.
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Die Vorhabengrundstücke befinden sich im unbeplanten Innenbereich, so dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 BauGB zu betrachten ist. Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden, § 34 Abs. 1 BauGB. Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien, dem sich das Gericht nach Durchsicht der vorgelegten Behördenakten, der Einsichtnahme im BayernAtlas und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung anschließt, entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem Dorfgebiet i.S.d. § 5 BauNVO. Die Einordnung als Dorfgebiet setzt kein bestimmtes prozentuales Mischverhältnis der drei Hauptnutzungsarten des § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO voraus. Notwendig ist aber wenigstens eine noch aktive landwirtschaftliche Nutzfläche. Es ist jedenfalls ein landwirtschaftlicher Betrieb vorhanden, nämlich der Betrieb des Klägers. Vorliegend dürfen die bereits auf dem Baugrundstück vorhandenen und hier nicht streitgegenständlichen Gebäude auf dem Anwesen des Klägers bei der Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung herangezogen werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.6.2007 - 4 B 8/07 - juris Rn. 4, VG Ansbach, U.v. 16.4.2021 - AN 17 K 19.01267 - juris Rn. 29). Ohne dass dies noch erforderlich wäre, scheinen auch die Anwesen … … und* …landwirtschaftlich genutzt zu sein.
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1. Im Dorfgebiet sind die beantragten Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO ihrer Art nach allgemein zulässig, § 34 Abs. 2 BauGB. Vorliegend ist das beantragte Vorhaben allerdings bauplanungsrechtlich unzulässig. Ebenso wie im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB an dem im „Einfügen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebot kann ein Vorhaben in einem festgesetzten oder faktischen Dorfgebiet an § 15 Abs. 1 BauNVO als einfach gesetzlicher Ausprägung des Rücksichtnahmegebots scheitern (vgl. BVerwG, U.v. 14.1.1993 - 4 C 19.90 - juris). Hauptfall ist die Einwirkung durch Immissionen. Insofern kann auf die Begriffsbestimmung des § 3 Abs. 2 BImSchG zurückgegriffen werden. Darunter sind auf Menschen sowie Tiere, Pflanzen oder andere Sachen einwirkende Luftverunreinigungen (Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Erosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe), Geräusche (Lärm), Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Einwirkungen zu verstehen. Diese müssen städtebaulich nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sein, unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenart des Baugebiets unzumutbare Belästigungen für das körperliche (subjektive) Wohlbefinden oder Störungen für die übrigen geschützten Rechtsgüter herbeizuführen (vgl. Söfker in EZBK, BauNVO, 142. EL Mai 2021, § 15 Rn. 37). So liegt es hier. Die beantragten Vorhaben sind unzulässig, da von ihnen Belästigungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und dies auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, wonach auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen ist.
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2. Die beantragten Vorhaben sind im Hinblick auf die Geruchsauswirkungen auf die Nachbarschaft unzumutbar und damit unzulässig.
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Für die Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle bzw. Unzumutbarkeitsschwelle von Gerüchen aus der Rinderhaltung existieren weder rechtlich verbindliche Vorschriften noch ein technisches Regelwerk wie etwa die für die Schweinehaltung maßgebliche VDI-RL 3471. Bei Konfliktlagen zwischen Rinderhaltung und Wohngebäuden können u.a. die „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ als Orientierungshilfen zugrunde gelegt werden. Auch wenn diese Vorgaben rechtlich nicht verbindlich sind, bieten sie doch brauchbare Anhaltspunkte für die Beurteilung der im Einzelfall von der genehmigten Rinderhaltung ausgehenden Beeinträchtigung für die Nachbarn (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2009 - 15 ZB 08.1045 - juris Rn. 12, B.v. 22.3.2006 - 15 CS 05.3343 - juris Rn. 15 ff.).
28
Zu Recht hat der Beklagte für die Beurteilung von Rindergerüchten daher auf Kapitel 3.3.2 der „Abstandsregelungen für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ abgestellt.
29
Im Rahmen der „Abstandsregelungen für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ wird hinsichtlich des einzuhaltenden Abstandes zwischen Dorf- und Wohngebiet unterschieden. In Dorfgebieten, wie hier, ist ein deutlich geringerer Abstand zwischen Wohnbebauung und Rinderhaltung erforderlich.
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Die erforderlichen Abstände werden nach den Rinder-Großvieheinheiten (GV) bemessen. Die entwickelten Abstandsdiagramme (Bild 4 für das Dorfgebiet) unterscheiden eine untere Abstandszone, in der schädliche Umwelteinwirkungen zu vermuten sind, eine obere Abstandszone, in der solche Auswirkungen weitgehend ausgeschlossen werden können und einen dazwischenliegenden Abstandsbereich, in dem es einer Einzelfallprüfung bedarf. Die relevante Abstandszone wird bestimmt durch die GV-Zahl auf der x-Achse und den aufgetragenen Abstand in Metern auf der y-Achse.
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Richtigerweise hat der Beklagte seinen Berechnungen 81,3 GV zugrunde gelegt. Der Einwand der Klägerseite, dass sich im Jahresdurchschnitt eine geringere Gesamtgröße ergebe, da sowohl die Tierhöchstanzahl nicht permanent vorhanden sei, als auch fälschlicherweise jeweils vom Höchstalter der Tiere ausgegangen werde, obwohl dies aufgrund der fortlaufenden Tiermast unterschiedlich sei, geht fehl. Sowohl nach der Stellungnahme des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten … vom 20. August 2018 als auch den Ausführungen der Klägerseite im Schriftsatz vom 25. September 2020 liegt der Betriebsschwerpunkt des Klägers in der Rinderhaltung mit Milchkühen und entsprechender Nachzucht. Nach Kapitel 2.1.1 des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ ist bei der Bestimmung der GV-Zahl einer Tierhaltungsanlage zu unterscheiden, ob es sich um einen Mastbetrieb mit variablen Tiergewichten oder um einen Zuchtbetrieb, eine Milchvieh- bzw. Legenhennenhaltung o.ä. mit festen Tiergewichten handelt. Vorliegend ist daher von letzterem auszugehen, denn es handelt sich bei dem Betrieb des Klägers gerade nicht um einen Mastbetrieb mit variablen Tiergewichten. Somit kann von festen Tiergewichten ausgegangen werden, wobei das Tieralter berücksichtigt wird. Der Kläger muss sich hierbei an seinen Angaben im Baugenehmigungsverfahren, nämlich der eingereichten „Legende über Rinderbestand auf Flurstück …“, festhalten lassen. Aus dieser geht u.a. hervor, wieviele Kühe, Rinder (1-2 Jahre), Rinder (bis 1 Jahr) und Kälber (bis 4 Monate bzw. 4-6 Monate) der Kläger einstellt. Bei 52 Kühen (Alter über zwei Jahre) ergibt sich nach Kapitel 2.1.1 des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ i.V.m. Kapitel 4.1.1 VDI 3894 Bl. 2 eine Bestandsgröße von 62,4 GV. Die 25 Rinder (weiblich, 1- 2 Jahre) schlagen mit 15 GV zu Buche. Für die fünf Rinder (weiblich, 0,5 -1 Jahr) sind 2 GV und für die 10 Kälber (bis sechs Monate) 1,9 GV anzusetzen. Somit ergibt sich insgesamt eine Bestandsgröße von 81,3 GV.
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Bei den Stallungen des Klägers handelt es sich um freigelüftete Ställe im Gegensatz zu geschlossenen Ställen mit Zwangslüftung. Der Kläger gab in der mündlichen Verhandlung an, dass auf beiden Flurnummern keine Lüftungsanlagen bestehen. Die Lüftung erfolgt ausschließlich über Türen und Fenster bzw. teilweise auch über offene Fronten. Für die Abstandsbestimmung aller frei gelüfteten Ställe ist die der Wohnbebauung am nächsten gelegene emissionsrelevante Stallaußenwand maßgebend.
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Die auf der FlNr. … an die FlNrn. … und … angrenzende ehemalige Einstellhalle, die zum Stall umgenutzt wurde, ist in Richtung Nordosten offen. Der Abstand des Wohnhauses … … zur dieser am nächsten gelegenen emissionsrelevanten Stallaußenwand beträgt ca. 8 m. Bei einem solchen Abstand sind nach dem Abstandsdiagramm für ein Dorfgebiet in Kapitel 3.3.2 „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ bei 81,3 GV schädliche Umwelteinwirkungen zu vermuten. Im Gegensatz zu Warmställen mit Zwangslüftung sind freigelüftete Ställe oder gar Offenställe im Nahbereich überdies negativer zu beurteilen (Kapitel 3.3.2 „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“).
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Doch auch hinsichtlich der nordwestlich an die ehemalige Einstellhalle anschließende Großraumkälberbox sind schädliche Umwelteinwirkungen zu vermuten. Es handelt sich nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung um einen offenen Kälberstall, der nach den Unterlagen nach Nordosten ausgerichtet ist, so dass auch hier ein Abstand von nur ca. 8 m zur Wohnbebauung … … vorhanden ist und damit nach Kapitel 3.3.2 „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft auch hier schädliche Umwelteinwirkungen zu vermuten sind.
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Nach Überzeugung des Gerichts kann das Anwesen … … ebenso als Immissionsort herangezogen werden, obwohl die Wohnnutzung bereits seit dem 28. Mai 1999 aufgegeben wurde und sich bei einer Baukontrolle 2018 gezeigt hat, dass zwei Räume zur Fleischzerlegung für den Eigenverbrauch vorhanden sind. So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof unlängst entschieden (vgl. BayVGH, U.v. 2.11.2020 - 15 B 19.2210 - juris), dass das geltende Bauordnungsrecht keine Rechtspflicht zur Fortsetzung einer genehmigten Nutzung kennt. Ein längerer Leerstand bzw. eine längere Nutzungsunterbrechung lassen für sich genommen nicht auf einen Verzichtswillen schließen. Mangels bauordnungsrechtlicher Nutzungsobliegenheit ist es nicht erforderlich, ein Gebäude ständig in einem Zustand zu halten, der ohne vorherige Renovierungs- oder Modernisierungsmaßnahmen die Wiederaufnahme der genehmigten Nutzung erlaubt, solange noch kein Verfall der baulichen Anlage festzustellen ist. Im vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall bestand der Leerstand von 1978 bis 2014, also deutlich länger als im hier vorliegenden Fall. Der tatsächliche Beginn einer außerhalb der Variationsbreite der genehmigten Nutzung liegenden anderen Nutzung, welche erkennbar nicht nur vorübergehend ausgeübt werden soll, lässt den Bestandsschutz aber entfallen und stellt ein zum Zeitmoment hinzutretendes beachtliches Umstandsmoment dar (vgl. BVerwG, B.v. 9.9.2002 - 4 B 52/02 - juris), die eine endgültige Aufgabe des Nutzungswillens nach außen dokumentieren. Zwar wurden hinsichtlich des Gebäudes … … zwei Räume zur Fleischzerlegung für den Eigenverbrauch eingerichtet, so dass hierin eine Nutzungsänderung gesehen werden kann. Jedoch betrifft diese allenfalls diese beiden Räume und nicht das gesamte Wohnhaus, zumal ein gewerbliches Schlachthaus nicht vorliegt, so dass von einem Verzicht der Nutzung als Wohnhaus (von den beiden Räumen abgesehen) nicht ausgegangen werden kann. Dass das Gebäude verfallen ist, wurde weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.
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Somit ist es nicht zu beanstanden, wenn im Hinblick auf § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO auch auf den Abstand von lediglich 8 m zwischen dem Immissionsort … … und der nächstgelegenen emissionsrelevanten Außenwand der umgenutzten Scheune abgestellt wird. An dieser Außenwand befindet sich u.a. im südwestlichen Bereich ein Tor. Dieses ist nach Klägerangaben aus betriebstechnischen Gründen nicht ständig verschlossen, wobei der Kläger in der mündlichen Verhandlung hierzu ausführte, dass das Tor nur zur Durchfahrt offen, ansonsten geschlossen sei. Da das Tor somit nicht permanent geschlossen bleibt, kann auf den gemessenen Abstand abgestellt werden. Bei einem solchen Abstand sind nach dem Abstandsdiagramm für ein Dorfgebiet in Kapitel 3.3.2 „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ bei 81,3 GV schädliche Umwelteinwirkungen zu vermuten.
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Die Emissionen auf den Flurnummern … und … sind überdies nicht, wie die Klägerseite meint, getrennt zu betrachten. In der vom Beklagten durchgeführten Gesamtbetrachtung der Emissionen der beiden Flurnummern unter Zugrundelegung der errechneten 81, 3 GV liegt nach Überzeugung des Gerichts kein Verstoß gegen eine immissionsschutzfachlich anerkannte Methode vor. Dies wurde auch weder substantiiert vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Das Gericht verkennt nicht, dass es sich bei den beantragten Neuerrichtungen bzw. (Nutzungs-)Änderungen baulicher Anlagen nicht um einen einzigen Stall auf einer einzigen Flurnummer handelt, in dem die errechneten 81,3 GV untergebracht sind, sondern um teilweise verbundene, teilweise nicht miteinander verbundene bauliche Anlagen auf zwei Flurnummern, in denen jeweils eine stark unterschiedliche Anzahl von Tieren, insgesamt 81,3 GV untergebracht sind. Die Betrachtungsweise des Beklagten ist dennoch überzeugend.
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So bewirtschaftet der Kläger (zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn) beide Grundstücke. Nach den klägerischen Angaben in der mündlichen Verhandlung wurde auf dem Flurstück FlNr. … sogar ein Gebäude abgerissen, damit die Erschließung auch vom Grundstück FlNr. … gesichert ist. Auch wurde die bauliche Trennung der beiden Flurnummern, z. B. durch einen Zaun, die bis zum Erwerb der FlNr. … durch den Kläger noch bestanden hatte, entfernt. Die Flurnummern wurden zu einer Einheit verschmolzen. Die beiden Flurnummern bilden zusammen als Hofstelle eine wirtschaftliche Einheit mit einer einheitlichen Betriebsnummer. Auch ist nach Klägerangaben einmal die Weiterführung des Betriebes mit beiden Flurnummern durch den Sohn beabsichtigt. Überdies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er mit den zwei Bauanträgen nicht zum Ausdruck habe bringen wollen, dass er notfalls auch das eine Grundstück ohne das andere bewirtschaften könne oder würde. Die Vorhaben auf den Flurnummern … und … sind damit organisatorisch und betriebstechnisch in einer Weise verbunden, die es nach der Verkehrsanschauung rechtfertigt, sie als eine einheitliche Anlage, die nach einem übergreifenden Konzept betrieben wird, erscheinen zu lassen. Die Vorhaben auf beiden Flurnummern bilden eine Funktionseinheit. Zudem handelt es sich bei allen hier streitgegenständlichen Ställen um frei gelüftete Ställe im Gegensatz zu Warmställen mit Zwangslüftungen. Bei den freigelüfteten Ställen ist nach Kapitel 3.3.2 der „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ für die Abstandsbestimmung die der Wohnbebauung am nächsten gelegene emissionsrelevante Stallaußenwand maßgebend. Da für alle Ställe somit dieselbe Herangehensweise angezeigt ist, ist die emissionstechnisch gemeinsame Betrachtungsweise nicht zu beanstanden.
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Eine Aufspaltung in zwei Vorhaben, nämlich eines auf der FlNr. … und eines auf der FlNr. …, oder gar auf die einzelnen baulichen Anlagen, würde dem Störungs- bzw. Gefährdungspotential, das von den Vorhaben ausgeht, nicht gerecht.
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Selbst wenn man die vom Beklagten durchgeführte Gesamtbetrachtung der Emissionen der beiden Flurnummern unter Zugrundelegung der errechneten 81, 3 GV ablehnt, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Die vom Beklagten durchgeführte Einzelfallbetrachtung sowohl der zum Stall umfunktionierten Einstellhalle als auch der nordwestlich daran anschließenden Großraumkälberbox im Hinblick auf das Anwesen … … hat überdies ergeben, dass selbst bei Ansatz der lediglich dort untergebrachten neun Kühe bzw. fünf Kälber (bis 4 Monate) bei einem Abstand von ca. 8 m laut dem Abstandsdiagramm nach dem Kapitel 3.3.2 „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ zum jeweiligen Immissionsort schädliche Umwelteinwirkungen zu vermuten sind. Zum selben Ergebnis kommt der Beklagte bei Betrachtung der in der umgenutzten Scheune zum Stall und im hieran anschließenden Teil des vorhandenen Stalls untergebrachten Großvieheinheiten in Bezug auf den Immissionsort … … Und selbst bei singulärer Betrachtung der in der Großraumkälberbox, in der zum Stall umfunktionierten Einstellhalle als auch in der umfunktionierten Scheune untergebrachten Großvieheinheiten kommt man zu diesem Ergebnis. Nach dem Abstandsdiagramm beträgt der Mindestabstand zur nächsten Wohnbebauung, unabhängig von der Anzahl der GV, nämlich 10 m. Bei einem Abstand von ca. 8 m zum Wohnhaus … … bzw. … werden unabhängig von der vorhandenen Tierzahl stets schädliche Umwelteinwirkungen vermutet. Die fehlende Genehmigungsfähigkeit bereits einer dieser baulichen Anlagen, hier betrifft es sogar mehrere bauliche Anlagen, führt zur fehlenden Genehmigungsfähigkeit sämtlicher zur Genehmigung gestellter baulicher Anlagen auf den FlNrn. … und … Der Bauherr legt durch seinen Genehmigungsantrag den Inhalt des Vorhabens fest (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.2019 - 4 C 10/18 - juris Rn. 25). Wird hinsichtlich verschiedener baulichen Anlagen lediglich ein Bauantrag gestellt, spricht dies, sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen, dafür, dass das Vorhaben als Ganzes genehmigt werden soll. Fehlt es an der Genehmigungsfähigkeit eines der baulichen Anlagen, ist die Baugenehmigung im Ganzen abzulehnen. Zwar hat der Kläger hier für die FlNr. … und für die FlNr. … jeweils einen Bauantrag gestellt. Er hat jedoch in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass sich aus der Stellung von zwei Bauanträgen, je einen für die jeweilige Flurnummer, gerade nicht schließen lasse, dass er notfalls auch das eine Grundstück ohne das andere bewirtschaften könne oder würde. Er hat damit verdeutlicht, dass die beantragten Vorhaben auf der FlNr. … und … als bauliche Einheit zu betrachten sind. Folglich führt die fehlende Genehmigungsfähigkeit nur eines der Ställe zur Ablehnung der gesamten Bauvorhaben auf den FlNrn. … und … Nach alledem ist bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles zu erwarten, dass durch die beantragten Vorhaben des Klägers erhebliche Immissionen und damit unzumutbare Belästigungen in Form von Geruchsbelästigungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO im Hinblick auf mehrere benachbarte Wohnanwesen (wobei die Unzumutbarkeit hinsichtlich eines Anwesens genügt hätte) hervorgerufen werden, so dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Vorhaben nicht gegeben ist. Etwas anderes ergibt sich insbesondere auch nicht aus § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, wonach auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen ist. Nach Überzeugung des Gerichts wird der hierin enthaltene Vorrang für die landwirtschaftlichen Nutzungen im Dorfgebiet bereits in Kapitel 3.3.2 „Abstandsregelung für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ berücksichtigt und führt dazu, dass im Dorfgebiet der Abstand der Rinderhaltungen zu Wohnhäusern deutlich geringer ausfallen darf als in Wohngebieten. Die Vorrangklausel bedeutet keinen absoluten Vorrang in den genannten Beziehungen, auch nicht im Hinblick auf Emissionen (vgl. auch Söfker in EZBK, BauNVO, 142. EL Mai 2021, § 5 Rn. 15; OVG Lüneburg, U.v. 9.6.2015 - 1 LC 25/14).
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3. Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf Bestandsschutz, der allenfalls die umgenutzten Gebäude und nicht die neu zu errichtenden baulichen Anlagen umfassen kann, berufen. Der Kläger gab zwar an, dass die ehemalige Scheune und die Einstellhalle bereits durch seinen Vater als Schweinestall genutzt wurden und daher deutlich höhere Immissionen vorgelegen hätten. Weiter führte der Kläger aus, dass er die Rinder- und Schweinezucht vor 35 Jahren von seinem Vater übernommen habe. Im Laufe der Zeit sei die Rinderhaltung immer mehr geworden, bis man die Schweinehaltung schließlich ganz aufgegeben habe. Gutgläubig habe man die vorhandenen Gebäude zur Rinderhaltung verwendet, da es sich hierbei auch um landwirtschaftliche Nutzung handelt. Beschwerden habe es nicht gegeben. Aus dem Vortrag lässt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens etwa aus Bestandsschutzerwägungen nicht herleiten. In der bereits erfolgten Umnutzung der diversen baulichen Anlagen zur Tierhaltung liegt eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung, denn durch diese Umnutzung wird die einer jeden Art von Nutzung eigene „Variationsbreite“ verlassen und es kommen für die geänderte Nutzung andere bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Anforderungen in Betracht als für die bisherige Nutzung, so dass sich die Frage der Genehmigungsfähigkeit neu stellt (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 18.9.2017 - 15 CS 17.1675 - juris Rn. 14, B.v. 28.6.2016 - 15 CS 15.44 - juris Rn. 18; U.v. 19.5.2011 - 2 B 11.353 - juris Rn. 31). Baugenehmigungen hierfür liegen nicht vor. Im Übrigen obliegt die Beweislast dem, der sich auf den Bestandsschutz beruft (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2001 - 14 ZB 00.1476 - juris Rn. 2 - zur materiellen Beweislast hinsichtlich des Bestandschutzes). Ohnehin erfasst ein etwa gegebener Bestandsschutz für bauliche Anlagen jedenfalls nicht Bestands- oder Funktionsänderungen, weil diese über den genehmigten Zustand hinausgreifen würden (vgl. BVerfG, B.v. 15.12.1995 - 1 BvR 1713/92 - juris). Es gibt gerade keinen auf Bestandschutz gegründeten Anspruch auf Zulassung von Veränderungen oder Erweiterungen baulicher Anlagen (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.1997 - 4 B 116/97 - juris) und gerade hierum geht es mit den geplanten Vorhaben, so dass ein Bestandsschutz ausscheidet.
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4. Da die Vorhaben bereits bauplanungsrechtlich unzulässig sind, kommt es auf die vom Beklagten hinsichtlich der auf der FlNr. … zum Rinderstall umgenutzten Einstellhalle, der nordwestlich hiervon errichteten Großraumkälberbox sowie der zum Rinderstall umgenutzten Scheune vorgetragene Verletzung der Abstandsflächenvorschriften, Art. 6 BayBO, nicht mehr an.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.