Titel:
Keine Zurechnung der Kenntnis der Betriebsprüfungsstelle bei Veranlagung
Normenketten:
ErbStG § 10
AO § 195 S. 3
Leitsätze:
1. Nach der Rechtsprechung des BFH liegt positive Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung dann vor, wenn das für die Verwaltung der Schenkungsteuer zuständige Finanzamt in erforderlichem Umfang (Name und Anschrift des Schenkers und des Bedachten, Rechtsgrund des Erwerbs) Kenntnis erlangt hat (BFH BStBl. II 2007, 954 = DStRE 2007, 1525). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. In ständiger Rechtsprechung hat der BFH entschieden, dass die Kenntnis der Betriebsprüfung der Veranlagung nicht zuzurechnen ist (vgl. z.B. BFHE 76, 64 = NJW 1963, 559). § 195 S. 3 AO kann auch nicht entnommen werden, dass die Betriebsprüfung stets auch für die Veranlagung zuständig sei. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Außenprüfung
Fundstellen:
StEd 2022, 41
EFG 2022, 75
LSK 2021, 38772
BeckRS 2021, 38772
ZEV 2022, 120
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1
Streitig ist, ob die Festsetzungsverjährung dem Erlass des angegriffenen Bescheides entgegensteht und die Bemessungsgrundlage der festgesetzten Schenkungsteuer.
2
Der Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstreitig und entspricht weitestgehend den im gegenüber denselben Beteiligten ergangenen Urteil vom 27.07.2017 im Verfahren 4 K 1301/14 festgestellten Tatsachen.
3
Die Klägerin erhielt am 23.05.2000 von der AG eine Provisionszahlung in Höhe von netto (ohne Umsatzsteuer) 33.164,40 DM. Die Beteiligten sind sich grundsätzlich einig, dass von dieser Zahlung entsprechend den im Urteil vom 27.07.2017 niedergelegten Grundsätzen 18.773,53 DM als eine Schenkung ihres Ehemanns an sie der Schenkungsteuer unterliegt.
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Ausweislich eines Aktenvermerks vom 14.08.2012 informierte die Betriebsprüfungsstelle des Finanzamts 1 die Schenkungssteuerstelle des beklagten Finanzamts (wohl an diesen Tag) im Wege der persönlichen Vorsprache darüber, dass die Firmengruppe A derzeit geprüft werde und über die Tatsache, dass es Provisionszahlungen der AG an die Klägerin gebe. Sie überließ der Schenkungsteuerstelle eine Aufstellung „Provisionserlöse“ mit kumulierten Jahresbeträgen für den Zeitraum 2000 bis 2010, einen diese Zahlungen betreffenden Vergütungsvertrag aus dem Jahr 2002 und Teile der Akten der Vorprüfung, in der diese Zahlungen als gewerbliche Einkünfte der Klägerin gewertet wurden.
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Mit Schreiben vom 20.08.2012 beauftragte das beklagte Finanzamt das Finanzamt 1 „gemäß § 195 Satz 2 AO“ mit einer Betriebsprüfung u.a. bei der Klägerin für den Zeitraum 01.01.2000 bis 30.06.2012. Ausdrücklich wurde die Befugnis zur Erteilung einer Prüfungsanordnung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Betriebsprüfungsordnung (BpO) erteilt. Das Schreiben enthält keinen Hinweis auf eine Veranlagung, aber die Bitte, den Abschluss der Prüfung zeitnah mitzuteilen. Das Schreiben ist gerichtet an die „BP-Stelle“ und nennt unter „unser Aktenzeichen“ die Bearbeiterkennung „BP/B“.
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Der zuständige Sachgebietsleiter des Schenkungsteuerstelle verfasste unter dem 14.12.2012 eine allgemeine Stellungnahme zur Frage, ob die von der Klägerin erhaltenen Zahlungen als Schenkungen zu erfassen sein. Konkrete Daten und Zahlen enthält diese Stellungnahme nicht.
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Mit Schreiben vom 11.07.2013 forderte der Sachgebietsleiter der Schenkungsteuerstelle die Klägerin auf, die durch die Betriebsprüfung angeforderten Zahlungsbelege und etwaige sonstige Unterlagen betreffend Zahlungen der AG an die Klägerin dem Betriebsprüfer zugänglich zu machen.
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Mit Schenkungsteuerbescheid vom 06.08.2018 setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Schenkungsteuer in Höhe von 1.826 € fest. Die dabei angesetzten Vorerwerbe in Höhe von 3.391.498,68 DM und der resultierende Anrechnungsbetrag in Höhe von 530.366 € sind unstreitig (vgl. Protokoll der mündlichen Sitzung am 29.03.2021).
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Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.
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Mit ihrer fristgerechten Klage beantragt die Klägerin, den Schenkungsteuerbescheid vom 06.08.2018 ersatzlos aufzuheben, hilfsweise, die Schenkungsteuer dahingehend abzuändern, dass aus der Bemessungsgrundlage die von der Klägerin auf die schenkweise erhaltene Zahlung entrichtete Einkommen- und Gewerbesteuer ausgeschieden wird.
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Sie begründet ihre Klage im Wesentlichen wie folgt:
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Die Bemessungsgrundlage für die Schenkungsteuer sei zu hoch, da die bei der Klägerin eingetretene Vermögensmehrung durch die für diese Zahlung aufgrund der früheren abweichenden steuerlichen Behandlung entrichteten Steuern vermindert worden sei.
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Dem Bescheid vom 06.08.2018 stehe die Festsetzungsverjährung entgegen. Das die Betriebsprüfung durchführende Finanzamt habe bereits in 2013 volle Kenntnis von der Schenkung gehabt; das beklagte Finanzamt müsse sich diese durch die in seinem Auftrag durchgeführte Außenprüfung gewonnene Kenntnis zurechnen lassen. Dies ergebe sich insb. aus § 195 Satz 3 Abgabenordnung (AO), der insoweit eine Befugniserweiterung und Kompetenzverlagerung ausspreche. Eine Kenntnis des so „bevollmächtigten“ Finanzamts sei stets auch dem „Vollmachtgeber“, mithin dem beklagten Finanzamt zuzurechnen.
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Das Finanzamt beantragt
Klageabweisung und begründet dies im Wesentlichen damit, dass es selbst erst durch den Eingang des Betriebsprüfungsberichts in der Schenkungssteuerstelle im Jahr 2014 volle Kenntnis von den die Schenkung begründenden Tatsachen erhalten habe und sich eine Kenntnis des beauftragten Prüfungsfinanzamts nicht zurechnen lassen müsse.
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Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 10.07.2021 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugstimmt.
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Mit Bescheid vom 01.04.2021 wurde der Bescheid vom 06.08.2018 für endgültig erklärt.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet, da der Schenkungsteuerbescheid vom 06.08.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.12.2018 und des Änderungsbescheides vom 01.04.2021 rechtmäßig ist. Eine Rechtswidrigkeit kann weder aus einer Verletzung der Versetzungsverjährung noch dem Ansatz einer überhöhten Bemessungsgrundlage abgeleitet werden.
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I. Die festgesetzte Schenkungsteuer ist nicht überhöht, weil das Finanzamt die Bemessungsgrundlage korrekt ermittelt hat.
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Die Berechnung des Schenkungsanteils in den Provisionszahlungen ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Insoweit wird ergänzend auf das zwischen denselben Beteiligten ergangene Urteil im Rechtstreit 4 K 1301/14 verwiesen, dessen Ausführungen auch hier gelten.
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Dabei sind die von der Klägerin getragenen Steuern nicht mindernd von der erhaltenen Zuwendung abzusetzen, da die streitigen Ertragssteuerzahlungen zwingend an den Zufluss anknüpfen und damit logisch dem Schenkungsteuertatbestand nachfolgen. Nach § 10 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) ist Bemessungsgrundlage der Schenkungsteuer der Bruttobetrag der Zuwendung, soweit er nicht nach den §§ 5, 13, 13a, 16, 17 und 18 ErbStG von der Schenkungsteuer befreit ist. Eine Ausnahme für anderweitig ertragsbesteuerte Anteile sieht das Gesetz nicht vor.
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Ob infolge der geänderten rechtlichen Beurteilung der Provisionszahlungen eine Änderung der Ertragssteuerfestsetzungen möglich ist, kann in diesem Verfahren nicht entschieden werden.
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II. Die Festsetzungsverjährung war am 06.08.2018 noch nicht abgelaufen, weil die Schenkungsteuerstelle des beklagten Finanzamts erst im Jahr 2014 von der Schenkung im Sinne des § 170 Abs. 5 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) erfahren hat.
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Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Diese beträgt für die Schenkungsteuer regelmäßig 4 Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO).
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Die Festsetzungsfrist beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 AO). Für die Schenkungsteuer beginnt die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liegt positive Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung dann vor, wenn das für die Verwaltung der Schenkungsteuer zuständige Finanzamt in erforderlichem Umfang (Name und Anschrift des Schenkers und des Bedachten, Rechtsgrund des Erwerbs) Kenntnis erlangt hat (BFH-Urteil vom 06.06.2007 II R 54/05, BStBl. II 2007, 954). Nicht ausreichend ist die Kenntnis von Umständen, die nur zur Prüfung Anlass geben, ob ein schenkungsteuerpflichtiger Vorgang vorliegt (BFH-Urteil vom 28.05.1998 II R 54/95, BStBl. II 1998, 647). Maßgebend ist die Kenntniserlangung der für die Festsetzung der Schenkungsteuer organisatorisch zuständigen Dienststelle, auf die Kenntnis anderer Stellen kommt es nicht an (BFH-Urteil vom 05.02.2003 II R 22/01, BStBl. II 2003, 502).
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Die der Schenkungsteuerstelle aufgrund der Rücksprache der Betriebsprüfung zugänglich gemachten Daten reichen für eine positive Kenntnis der besteuerten Schenkung nicht aus, da dabei der Rechtsgrund der einzelnen Schenkungen nicht genannt wurde; übermittelt wurden der Schenkungsteuerstelle nur kumulierte Zahlen und ein spätere Jahre betreffender Provisionsvertrag, nicht aber Daten zu den einzelnen Zahlungs- bzw. Schenkungsvorgängen. Dass die einzelnen Zuwendungen noch nicht bekannt waren, zeigt sich auch deutlich im Schreiben vom 11.07.2013. Im Übrigen kann auf die auch in diesem Verfahren gültigen Ausführungen im Urteil vom 27.07.2017 Bezug genommen werden. Auch die Klägerin geht in diesem Verfahren nicht mehr von einer positiven Kenntnis der Schenkungsteuerstelle aus.
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Die Kenntnis der Betriebsprüfungsstelle des Finanzamt 1 ist der Schenkungsteuerstelle des beklagten Finanzamts nicht zuzurechnen. Eine derartige Kenntniszurechnung ergibt sich insb. auch nicht aus § 195 Satz 3 AO.
28
In ständiger Rechtsprechung hat der BFH entschieden, dass die Kenntnis der Betriebsprüfung der Veranlagung nicht zuzurechnen ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20.07.1962 VI 167/61 U, BFHE 76, 64). Er hat dabei betont, dass es für den Personenkreis, dessen Kenntnis relevant ist, auf die Befugnis zur Entscheidung über den Steueranspruch ankommt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.07.1964 V 92/61 S, BFHE 80, 446).
29
Der Klägerin ist zuzugestehen, dass § 195 Satz 3 AO die Möglichkeit vorsieht, dass die Betriebsprüfung selbst die Veranlagung durchführt. Daraus ergibt sich zwanglos, dass es in diesen Fällen auf die Kenntnis der zuständigen Personen in der (veranlagenden) Betriebsprüfung ankommt. Nicht jedoch kann dieser Vorschrift die Regelung entnommen werden, dass die Betriebsprüfung stets auch für die Veranlagung zuständig sei. Dies ergibt sich schon aus dem Kompetenzgefüge des Grundgesetzes. Nach § 108 Abs. 1 und Abs. 2 Grundgesetz dürfen durch Bundesgesetz nur der Aufbau der Landesfinanzbehörden (und die Ausbildung des Beamten) geregelt werden. Dementsprechend macht § 17 Finanzverwaltungsgesetz keinerlei Vorgaben für die innere Struktur der Landesfinanzbehörden. Auch die AO kann als Bundesgesetz keine Regeln dazu treffen, welche Organisationseinheit innerhalb eines Finanzamts (als örtliche Landesbehörde für die Verwaltung der Steuern) für die Entscheidung über den Steueranspruch zuständig ist.
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Soweit § 195 Satz 3 AO eine Zuständigkeitsregelung trifft (vgl. Gosch in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 161. Lieferung, § 195 Zuständigkeit, Rn. 59), kann das schon deswegen nicht für die Klägerin streiten, weil es nach Vorgesagtem nur auf die Kenntnis der Veranlagung und nicht der Prüfungsdienste ankommt. Nach der Steuer-Zuständigkeitsverordnung (ZustVSt) vom 01.12.2005, Anlage 3 Nr. 62 ist das beklagte Finanzamt alleine zuständig für die Veranlagung der Schenkungsteuer im Fall der Klägerin; eine Veranlagung durch die Betriebsprüfungsstellen sieht die ZustVSt an keiner Stelle vor.
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Auch durch den Prüfungsauftrag vom 20.08.2012 wurde keine Entscheidungskompetenz auf das Betriebsprüfungsfinanzamt verlagert. Dies ist schon deswegen auszuschließen, weil das Schreiben unzweifelhaft durch die intern nicht für Veranlagung zuständige Betriebsprüfungsstelle des beklagten Finanzamts verfasst wurde. Zudem kann durch ein derartiges Schreiben nicht die in der ZustVSt festgelegte Organisationsstruktur abgeändert werden; Finanzämter haben nicht die Kompetenz, ihre Kompetenzen (abgesehen von dem nicht einschlägigen § 27 AO) zu verlagern.
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III. Weitere Angriffe gegen den streitgegenständlichen Schenkungsteuerbescheid wurden nicht vorgetragen; Rechtsfehler sind auch aus den Akten nicht ersichtlich. Auch insoweit wird ergänzend auf die entsprechend geltenden Ausführungen im Urteil vom 27.07.2017 verwiesen.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.