Titel:
Widerruf der Zulassung zur Anwaltschaft wegen Vermögensverfall
Normenkette:
BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7, § 112c Abs. 1
Leitsätze:
1. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerrufsbescheids, abzustellen. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO (Vermögensverfall aufgrund Eintragung ins Schuldnerverzeichnis) kommt nur dann nicht zur Geltung, wenn der Rechtsanwalt nachweist, dass die der Eintragung zugrunde liegende Forderung im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids bereits getilgt war. (Rn. 36 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Immobilienvermögen kann nur dann als valides Vermögen des Rechtsanwalts berücksichtigt werden, wenn es diesem zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs als liquider Vermögenswert zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden hat. Daran fehlt es, wenn die Immobilien in eine Gesellschaft eingebracht sind, an welcher der Rechtsanwalt nicht alle Anteile hält. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Herkunft der Verbindlichkeiten des Rechtsanwalts, sei es aus privater Vermögensverwaltung oder Kanzleitätigkeit, spielt für die Frage des Vermögensverfalls keine Rolle. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Unfähigkeit eines Rechtsanwalts zur Begleichung auch geringfügiger Forderungen und sein unkorrekter Umgang mit Fremdgeld indizieren eine konkrete Gefährdung und gebieten dringend den Schutz der Rechtssuchenden durch Widerruf der Anwaltszulassung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
BayAGH I, 5, 25/19, Widerruf, Zulassung zur Anwaltschaft, Vermögensverfall, Eintragung ins Schuldnerverzeichnis, Immobilienvermögen, Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs, Herkunft der Verbindlichkeiten, unkorrekter Umgang mit Fremdgeld, Anordnung der sofortigen Vollziehung
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 08.11.2021 – AnwZ (Brfg) 30/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 38418
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über den Widerruf der Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft.
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I. Der Kläger, geboren am …, wurde mit Urkunde vom 03.02.1993 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Seinen Kanzleisitz hat er seither in S.
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Mit Schreiben vom 14.08.2019, zugestellt per PZU am 20.08.2019, wurde der Kläger gemäß § 32 BRAO i.V.m. Art. 28 BayVwVfG zu einem möglichen Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls gem. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO angehört. Er wurde dabei u.a. über die der Beklagten durch Mitteilung des zuständigen OGV F. bekannt gewordene Ladung des Klägers zur Abgabe der Vermögensauskunft gem. § 802 c ZPO für den 03.09.2019, die mit einer etwaigen Eintragung in das Schuldnerverzeichnis einhergehende Vermutung des Vermögensverfalls und darüber informiert, dass weitere Zwangsvollstreckungsaufträge sowie weitere gegen ihn vorliegende Titel und Klageverfahren Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall abbilden. Des Weiteren wurde er zu einer drohenden Anordnung der sofortigen Vollziehung eines etwaigen Widerrufsbescheids gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen einer angesichts seiner strafrechtlichen Verurteilung wegen Untreue und mehrfach wegen des Verdachts der Nichtweiterleitung von Fremdgeldern geführter, berufsaufsichtlicher Verfahren bestehenden konkreten Gefährdung von Fremdgeldern unterrichtet. Mit Schreiben vom 10.09.2019 erfolgte eine ausführliche Stellungnahme des Klägers.
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Mit Bescheid vom 05.11.2019, zugestellt am 14.11.2019, widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an.
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Die Beklagte begründet ihren Bescheid im Wesentlichen wie folgt:
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Gegen den Kläger wurden seit dem Jahr 2014 verschiedene strafrechtliche (wegen des Verdachts der Untreue und des Parteiverrats) und berufsaufsichtliche Verfahren (wegen des Vorwurfs der Nichtweiterleitung bzw. nicht unverzüglichen Weiterleitung von Fremdgeldern und des Vorwurfs des Parteiverrats) eingeleitet. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Ziff. I. 2. - 12., S. 2 - 4, und Ziff. I. 18., S. 12 des Widerrufsbescheids nebst der Anlage „Übersicht über die vom Vorstand der Kammer seit 2016 gegen Rechtsanwalt … geführten berufsaufsichtlichen Verfahren“ Bezug genommen. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Schwabach vom 07.06.2019, Az. …, rechtskräftig seit 27.06.2019, wurde gegen den Kläger wegen Untreue in drei Fällen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verhängt (Ziff. 8. des Widerrufsbescheids).
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Für den 03.09.2019 wurde der Kläger durch Obergerichtsvollzieher F. auf Antrag der LT … AG wegen einer Gesamtforderung in Höhe von 2.873.215,57 €, der Stadt N. wegen einer Forderung von 63,50 € und des T. wegen einer Gesamtforderung von 1.134,81 € zur Abgabe der Vermögensauskunft geladen (Ziff. 13 des Widerrufsbescheids). Nachdem der Kläger zu dem Termin unentschuldigt nicht erschienen war, erfolgte am 12.09.2019 der Eintrag des Klägers in das beim Amtsgericht Hof geführte Schuldnerverzeichnis (Ziff. 15. des Widerrufsbescheids).
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Hinsichtlich weiterer Klageverfahren gegen den Kläger wird auf Ziff. 17 des Widerrufsbescheids und die dort in Bezug genommene Anlage „Aktuelle Zusammenstellung aller dem Vorstand seit Anfang 2018 bekannt gewordenen Klageverfahren, Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen mit Sachstandsangabe (lfd. Nr. 89 - 139)“ nebst den diesbezüglichen Leitzordnern verwiesen.
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Unter Ziff. III des Widerrufsbescheids, S. 13 ff., wird dargelegt, weshalb vorliegend die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2 BRAO gegeben seien. RA … sei in das Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts Hof eingetragen, damit werde der Vermögensverfall gesetzlich vermutet und diese Vermutung sei nicht widerlegt. Ist ein Rechtsanwalt in das Schuldnerverzeichnis eingetragen, müsse dieser, wenn er den Widerruf verhindern will, im Einzelnen nachweisen, dass trotz des Eintrages tatsächlich ein Vermögensverfall nicht bestehe. Dafür genüge der Nachweis der Tilgung der Schuld, die zur Eintragung geführt habe, nicht, vielmehr müsse der Rechtsanwalt im Einzelnen seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse darlegen. Ein vollständiges und detailliertes Gläubiger- und Schuldnerverzeichnis mit Angaben, ob und wie diese Forderungen im Einzelnen getilgt würden, habe er nicht vorgelegt, sondern sich lediglich zu bereits bekannten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und Titeln geäußert. Deren inhaltliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit müsse aufgrund der Tatbestandswirkung von Forderungstiteln von der Kammer nicht im Einzelnen geprüft werden. Einen Tilgungsplan habe er nicht vorgelegt, sondern nur eine Zahlung einzelner Forderungen angekündigt, die Forderung der LT … AG in Höhe von 2.873.215,57 € und die Forderung des Finanzamts wegen Steuerrückständen in Höhe von 485.904,41 € für unberechtigt erklärt. In dem Berufungsverfahren vor dem OLG Nürnberg bezüglich der Forderung der LT … AG in Höhe von 2.873.215,57 € habe der Kläger hinsichtlich der von ihm beantragten Einstellung der Zwangsvollstreckung, ausweislich des Beschlusses vom 30.09.2019, selbst vorgetragen, dass er weder zur Begleichung der Forderung noch zu einer Sicherheitsleistung in der Lage sei. Die Vermutung des Vermögensverfalls werde auch nicht dadurch widerlegt, dass RA … vortrage, seine Familie verfüge über umfangreiches Immobilienvermögen, denn daraus alleine ergebe sich keine Liquidität entsprechender Mittel und im Übrigen stünden die Immobilien nicht im Vermögen des RA …, sondern seien Eigentum einer Fa. X. … GmbH & Co KG. Zudem ergebe sich der Vermögensverfall auch aus der Tatsache, dass auch kleinere Forderungen, z.B. des T. in Höhe von 1.134,81 € und der Stadt N. in Höhe von 63,50 €, erst nach Ladung zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft bezahlt wurden. Besorgniserregend sei auch die Aussage des RA …, dass es „passieren“ könne, dass Fremdgelder zu spät weitergeleitet würden und dass es angesichts der Vielzahl der laufenden Verfahren „nicht ganz auszuschließen“ sei, dass „im Einzelfall Sachen liegen bleiben und Akten nicht so schnell bearbeitet werden, wie es wünschenswert wäre“.
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Unter Ziff. IV des Widerrufsbescheids, S. 16 ff., wird zur Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgeführt, dass die Voraussetzungen hierfür vorlägen. Der Widerrufsbescheid werde aufgrund des zweifellos vorliegenden Vermögensverfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit Bestandskraft erlangen. Auch sei die Anordnung im überwiegenden öffentlichen Interesse zur Abwehr konkreter Gefahren für die Rechtssuchenden und die Rechtspflege erforderlich, nachdem der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts Schwabach vom 07.06.2019 rechtskräftig wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden sei und zwischenzeitlich weitere Beschwerden gegen ihn wegen Nichtweiterleitung von Fremdgeldern eingegangen seien. Auch seine eigene Einlassung zum Umgang mit Mandantengeldern offenbare, dass eingehende Fremdgelder konkret gefährdet seien und dringender Handlungsbedarf bestehe.
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Gegen den Widerrufsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner Klage vom 16.12.2019 (einem Montag, eingegangen am gleichen Tag).
die Aufhebung des Widerrufsbescheids vom 05.11.2019.
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Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 03.02.2020 (Bl. 10), die Klage abzuweisen.
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Der Kläger führt, nach mehreren Fristverlängerungsanträgen, zur Begründung seines Klageantrages mit Schriftsatz vom 06.08.2020 (Bl. 41/90) nebst Anlagen, dem mehrere Ergänzungen zu einzelnen Forderungen zwischen dem 11.08.2020 und 01.09.2020 (Bl. 91 - 113) folgten, aus:
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Er betont, dass er Kenntnis davon habe, dass es hinsichtlich des Widerrufs wegen Vermögensverfalls auf den Entscheidungszeitpunkt ankomme. Er vertritt die Ansicht, dass bereits am 14.08.2019 keine Situation des Vermögensverfalls bei ihm vorgelegen habe, so dass ein Widerruf der Zulassung nicht opportun gewesen sei. Der Kläger legt im Einzelnen dar, inwieweit aus seiner Sicht die Forderungen gemäß lfd. Nr. 88 bis 133 berechtigt bzw. unberechtigt sind bzw. waren, gerichtliche Fehlentscheidungen ergangen sind, Forderungen zwischenzeitlich beglichen wurden, ihm „durchgerutscht“ sind (S. 12 der Klagebegründung), „reine private Angelegenheiten“ beträfen (S. 25 der Klagebegründung) bzw. die Annahme eines Vermögensverfalls zum 14.11.2019 nicht rechtfertigen könnten.
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Sodann stellt er seine Vermögenssituation zum 14.11.2019 näher dar (S. 37 bis 50). Der Kläger und seine Ehefrau verfügten über ein umfangreiches Gesamtimmobilienportfolie (Anlage K 95) mit einem Wert zum Stichtag 14.11.2019 von 12.227.823,20 € (21.7000.500 € Verkehrswert abzüglich einer Nominalbelastung von 8.927.676,81 €), das sie im Jahr 2017 in die Fa. X. … GmbH & Co. KG eingebracht hätten, an der der Kläger 13/14tel, seine Ehefrau 1/14tel hielten (S. 41 der Klagebegründung). Es würden dabei monatliche Mieteinnahmen von 67.227,22 € erzielt. Kurz vor dem 14.11.2019 habe er über die vorgenannte Firma eine weitere Immobilie in Nürnberg zu einem Kaufpreis von 870.000 € erworben und den Kaufpreis über die VR Bank Nürnberg finanziert. Dabei seien seine Bonitätsverhältnisse „auf Herz und Nieren“ überprüft worden (S. 44 der Klagebegründung). Nachdem das Darlehen gewährt worden sei, sei widerlegt, dass die Widerrufsgründe zutreffend seien. Gleiches gelte für den Erwerb einer weiteren Immobilie in der Liegenschaft „DAS Hüttlinger“ zu einem Kaufpreis von 290.000 €, finanziert über die Sparkasse Nürnberg. Die Darlehen seien dabei jeweils auf den Kläger gelaufen, zum Schutz der Immobilien, die Immobilien selbst jedoch in die Vermögens KG der Familie … eingelegt worden (S. 46 der Klagebegründung). Auch die Finanzierung eines weiteren Immobilienkaufs vom 18.10.2019 wäre völlig unproblematisch gewesen, wenn nicht der Eintrag im „Schuldnerverzeichnis“ in Hof erfolgt wäre (S. 48 der Klagebegründung).
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Nach all dem werfe er der Beklagten vor, dass sie die Gründe im Bescheid vom 14.11.2019 mit einer fadenscheinigen Begründung, die nur der Stimmungsmache gegen seine Person dienen soll, zu Papier gebracht habe (S. 50 der Klagebegründung).
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Die Beklagte führt in ihrer Klageerwiderung vom 03.02.2020 (Bl. 10/13) und mit ergänzender Stellungnahme vom 15.09.2020 (Bl. 114/117) nebst Anlagen aus, dass der Widerrufsbescheid rechtmäßig sei. Zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung, auf den es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ankomme, sei der Kläger (am 12.09.2019) wegen Nichterteilung der Vermögensauskunft u.a. im Zusammenhang mit einer Forderung der LT … AG in Höhe von 2.873.215,57 € (lfd. Nr. 91 der aktualisierten Zusammenstellung der der Beklagten bekannt gewordenen Titel und Zwangsvollstreckungen gegen den Kläger, s. gelbes Anlagenheft) im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts Hof eingetragen worden. Die Einträge im Schuldnerverzeichnis bestünden noch heute. Damit werde gesetzlich vermutet, dass er sich in Vermögensverfall befindet, § 14 Abs. 2 Nr. 7 2. Hs. BRAO.
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Die Voraussetzungen für eine Widerlegung dieser Vermutung seien vorliegend nicht gegeben, da der Kläger weder vorgetragen noch nachgewiesen habe, dass die der Entscheidung zugrunde liegende Forderung im maßgeblichen Zeitpunkt bereits getilgt gewesen sei. Er behaupte lediglich, dass die Forderung unberechtigt sei. Auch habe der Kläger in dieser Angelegenheit am 21.11.2019 die Vermögensauskunft abgegeben und sei erneut in das Schuldnerverzeichnis eingetragen worden. Soweit der Kläger im Vermögensverzeichnis vom 21.11.2019 angebe, alle Aktiva als Einzelunternehmen seien in die bestehende Firma A. … GmbH, welche in „… Rechtsanwaltsgesellschaft mbh“ umbenannt werde, bei der er Geschäftsführer sei, eingebracht worden, sei eine solche Gesellschaft bis heute weder zugelassen, § 59 c BRAO, noch sei eine Zulassung beantragt worden.
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Im Übrigen könnten auch Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bezüglich bereits beglichener Forderungen als Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall herangezogen werden. Das vom Kläger ins Feld geführte umfangreiche Immobilienvermögen stünde der Vermutung des Vermögensverfalls nicht entgegen, wie bereits im Widerrufsbescheid dargelegt. Die Herkunft der Verbindlichkeiten (beruflich/ privat) sei ebenso unerheblich wie ein etwaiges Verschulden des Klägers für die Vermögenssituation.
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Zudem sei auch die weitere Entwicklung der Vermögenssituation des Rechtsanwalts nach Erlass des Widerrufsbescheids von Bedeutung, soweit daraus Rückschlüsse auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids gezogen werden könnten. Insoweit verweist die Beklagte auf die aktualisierte Zusammenstellung der ihr bekannt gewordenen Titel und Zwangsvollstreckungen gegen den Kläger, lfd. Nr. 89 - 151, sowie auf die aktuelle Auflistung eingegangener Zwangsvollstreckungsaufträge des Gerichtsvollziehers F. vom 10.09.2020 (s. gelbes Anlagenheft). Auch sei der Kläger am 15.01.2020 ausweislich eines aktuellen Ausdrucks aus dem Vollstreckungsportal (s. gelbes Anlagenheft) erneut in das Schuldnerverzeichnisses des Amtsgerichts Hof eingetragen worden wegen einer Forderung der Rechtsanwälte H. und R. in Höhe von 144.434,71 € (lfd. Nr. 143 der Zusammenstellung der Beklagten). Dem seien zwei erfolglose Kontenpfändungen vorausgegangen.
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Zwischenzeitlich sei der Kläger auch mit nicht rechtskräftigem Urteil des Anwaltsgerichts Nürnberg vom 06.03.2020, Az.: …, wegen berufswidrigen Verhaltens aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen worden. Mit Beschluss des Anwaltsgerichts Nürnberg vom 06.03.2020 sei zudem gegen ihn ein vorläufiges Berufsverbot verhängt worden.
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Der Kläger hat ergänzend mit Schriftsätzen vom 30.04.2021 (Bl. 124/189 nebst zwei Leitzordnern), 04.05.2021 (Bl. 194/201) und 07.05.2021 (Bl. 195/196), zum Teil unter wörtlicher Wiederholung bereits dargelegter Argumente, zu dem Ziel seiner Klage, zu seiner Vermögenssituation bezüglich der lfd. Nr. 88 bis 133 (gemäß Schreiben der Beklagten vom 14.08.2019) und zu seiner Vermögenssituation zum 05.11.2019 vorgetragen. Er hat zusammengestellt, welche Verbindlichkeiten von ihm zum 05.11.2019 bezahlt worden seien und eine Aufstellung Einkommens - und Vermögenssituation (Anlage K 147) vorgelegt. Er rügt nunmehr, dass ihm vor Erlass des Widerrufsbescheids vom 05.11.2019 im Rahmen der Anhörung keine Möglichkeit eingeräumt worden sei zu den Verbindlichkeiten gemäß lfd. Nr. 89, 90 und 134 - 139 Stellung zu nehmen (S. 52 - 54 des Schriftsatzes vom 30.04.2021). Er vertritt die Rechtsauffassung, dass infolge dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs der Widerrufsbescheid rechtswidrig und aus formalen Gründen aufzuheben sei.
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Mit Schriftsatz vom 03.05.2021 (Bl. 190/193) wendet sich der Kläger erstmals gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung und beantragt den sofortigen Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen. Da der Kläger bezüglich der lfd. Nr. 89, 90 und 134 - 139 keine Anhörung erfahren habe, sei sein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO schon allein deshalb begründet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf die beigezogenen Personal - und Sachakten und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2021 (Bl. 202/206).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage erweist sich als in der Sache erfolglos. Über den kurz vor der mündlichen Verhandlung vom Kläger beantragten Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage war gesondert im Beschlusswege zu entscheiden.
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I. Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. §§ 112 c Abs. 1 BRAO. Gemäß Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen.
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II. Die Klage ist jedoch unbegründet, da der durch Bescheid vom 05.11.2019 in Ziff. 1 erfolgte Widerruf der Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft sowohl formell als auch materiell rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 112 c Abs. 1 BRAO.
1. Formelle Rechtmäßigkeit
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Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen vorliegend auch im Angesicht der vom Kläger gerügten, vor Erlass des Widerrufsbescheids unterbliebenen Anhörung zu lfd. Nr. 89, 90, 134 - 139 nicht.
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Der Kläger hat mit Schreiben der Beklagten vom 14.08.2019 ganz offensichtlich Gelegenheit erhalten sich „zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen“ i. S.v. Art. 28 BayVwVfG, mithin den Tatsachen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass die Entscheidung eine andere wäre (BeckOK VwVfG/Herrmann, § 28 Rn. 16.1.), zu äußern. Vorliegend kommt es maßgeblich, wie noch aufzuzeigen sein wird, auf die Eintragung des Klägers im Schuldnerverzeichnis an, auf deren Folgen er hingewiesen wurde. Die zahlreichen Zwangsvollstreckungsaufträge und gegen ihn vorliegenden Titel und Klageverfahren sind (nur) weitere Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall, ohne dass jedem Einzelnen entscheidungserhebliche Bedeutung zukäme. Mithin wäre die vom Kläger gerügte, unterbliebene Anhörung zu lfd. Nr. 89, 90, 134 - 139 auch gemäß Art. 46 VwVfG unbeachtlich, denn es ist offensichtlich, dass die (wenn überhaupt allenfalls partiell) nicht erfolgte Anhörung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Ist ein Rechtsanwalt in das Schuldnerverzeichnis eingetragen, wird sein Vermögensverfall vermutet und seine Zulassung ist gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu widerrufen. Es handelt sich insoweit um einen gebundenen Verwaltungsakt
2. Materielle Rechtmäßigkeit
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Auch die materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung waren bei Erlass des angegriffenen Bescheids erfüllt.
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Rechtsgrundlage des Widerrufs wegen Vermögensverfalls ist § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Nach dieser Vorschrift ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind.
33
a) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerrufsbescheids, abzustellen. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen, wie z.B. in Form der Begleichung einzelner Forderungen, ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (st. Rspr. des BGH; vgl. nur Beschlüsse vom 17.11.2020 - AnwZ (Brfg) 20/20, juris Rn. 10; vom 18.02.2019 - AnwZ (Brfg) 65/17, juris Rn. 4; vom 20.05.2015 - AnwZ (Brfg) 7/15, juris Rn. 5; vom 10.03.2014 - AnwZ (Brfg) 77/13, juris, Rn.3; vom 29.06.2011 - AnwZ (Brfg) 11/ 10, Rz. 9ff.).
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b) Der Kläger befand sich am 05.11.2019, dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids, in Vermögensverfall.
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aa) Ein Vermögensverfall im Sinn von § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr. des BGH, vgl. nur Beschluss vom 17.11.2020 - AnwZ (Brfg) 20/20, juris Rn.14; vom 29.04.2019 - AnwZ (Brfg) 21/19, juris Rn. 5; vom 10.03.2014 - AnwZ (Brfg) 77/13, juris Rn. 3). Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2 BRAO wird ein Vermögensverfall kraft Gesetzes vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 882b ZPO) eingetragen ist.
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bb) Nach den vom Kläger nicht angegriffenen Feststellungen der Beklagten war er im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids jedenfalls mit einer Forderung der LT … AG in Höhe von 2.873.215,57 € in dem vom Vollstreckungsgericht des Amtsgerichts Hof zu führenden Schuldnerverzeichnis eingetragen (und hat wegen dieser Forderung dann auch die Vermögensauskunft abgegeben). Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wird der Vermögensverfall des Klägers deshalb vermutet.
37
cc) Die Vermutung käme nicht zur Geltung, wenn der Rechtsanwalt nachweist, dass die der Eintragung zugrunde liegende Forderung im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids bereits getilgt war (BGH, Beschluss vom 29.07.2016 - AnwZ (Brfg) 9/16, juris, Rn. 5). Der Kläger hat weder dargelegt noch nachgewiesen, dass er die titulierte Forderung getilgt hat.
38
c) Der Kläger hat die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls auch nicht widerlegt. Um die Vermutung des Vermögensverfalls zu widerlegen muss er ein auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids bezogenes vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen und - ggfs. unter Vorlage eines nachvollziehbaren bzw. realistischen Tilgungsplans - dartun, dass seine Einkommens und Vermögensverhältnisse bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt nachhaltig geordnet sind (st. Rspr. des BGH, vgl. nur Beschlüsse vom 01.02.2021 - AnwZ (Brfg) 34/20, juris Rn. 8; vom 29.07.2016 - AnwZ (Brfg) 9/16, juris, Rn. 6; vom 10.03.2014 - AnwZ (Brfg) 77/13, juris Rn. 3). Eine substantiierte Vermögensaufstellung unter Angabe aller bestehenden Verbindlichkeiten sowie eine Darlegung, wie er insbesondere die im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids offene Forderung der LT … AG zurückführen gedenkt, ist der Kläger schuldig geblieben. Er hat vielmehr im Berufungsverfahren vor dem OLG Nürnberg ausweislich des Beschlusses vom 30.09.2019, Az.: …, zur Begründung der von ihm beantragten vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung vorgetragen, dass er weder zur Begleichung der Forderung noch zu einer Sicherheitsleistung zur Abwendung der Vollstreckung in der Lage sei. Von geordneten Einkommens- und Vermögensverhältnisses kann beim Kläger keine Rede sein.
39
d) Auch die weiteren, vom Kläger ins Feld geführten Argumente ändern an dem gesetzlich vermuteten Vermögensverfall nichts.
40
aa) Soweit der Kläger im Einzelnen auf die zahlreichen, gegen ihn geltend gemachten Forderungen, Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen näher eingeht und deren Begleichung teilweise zum Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vorträgt, widerlegt dies den gesetzlich vermuteten, aus seiner Eintragung ins Schuldnerverzeichnis resultierenden Vermögensverfall nicht. Die geradezu unzähligen gegen den Kläger titulierten Forderungen und erteilten Vollstreckungsaufträge (vgl. aktualisierte Zusammenstellung der dem Vorstand der Beklagten bekannt gewordenen Titel und Vollstreckungen gegen den Kläger, lfd. Nr. 89 - 151) begründen vielmehr, unabhängig von den lfd. Nr. 89, 90, 134 - 139, neben der hier eingreifenden gesetzlichen Vermutung im Rahmen einer Gesamtschau zusätzliche Beweisanzeichen für seinen Vermögensverfall, denn schon eine Häufung von Klagen und Titeln kann auf einen bevorstehenden oder bereits eingetretenen Vermögensverfall hindeuten (BGH, Beschluss vom 05.09.2016 - AnwZ (Brfg) 39/15, juris, Rn.11). Dies gilt erst recht, wenn ein Anwalt auf Herausgabe von Fremdgeld verklagt oder sogar in diesem Zusammenhang verurteilt wird (BGH, aaO), wie vorliegend z.B. ausweislich der lfd. Nr. 89, 131 der Zusammenstellung der Beklagten und des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts Schwabach vom 07.06.2019.
41
Dabei kommt es auf die teilweise vom Kläger in Frage gestellte inhaltliche und verfahrensrechtliche Richtigkeit der Titel und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht an, da im Widerrufsverfahren nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 01.02.2021 - AnwZ (Brfg) 34/20, juris Rn. 10; vom 18.02.2019 - AnwZ (Brfg) 65/17, juris Rn. 8) insoweit von einer Tatbestandswirkung auszugehen ist. Behauptete Fehler sind in den jeweils vorgesehenen Verfahren geltend zu machen.
42
bb) Das vom Kläger detailreich vorgetragene Immobilienvermögen ändert an der Annahme des Vermögensverfalls ebenfalls nichts. Immobilienvermögen kann nur dann als valides Vermögen berücksichtigt werden, wenn es dem Rechtsanwalt zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs als liquider Vermögenswert zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten zur Verfügung gestanden hat (st. Rspr. des BGH, vgl. nur Beschlüsse vom 01.02.2021 - AnwZ (Brfg) 34/20, juris Rn. 8; vom 10.11.2020 - AnwZ (Brfg) 29/20, BeckRS 2020, 35569, Rn. 11; vom 03.01.2020 - AnwZ (Brfg) 26/19, BeckRS 2020, 476, Rn. 10). Das ist vorliegend schon deshalb nicht der Fall, weil das vom Kläger ins Feld geführte Immobilienportfolio nicht in seinem Eigentum steht, sondern in eine Gesellschaft eingebracht ist, an der er auch nicht alle Anteile hält.
43
cc) Die Herkunft der Verbindlichkeiten aus privater Vermögensverwaltung oder Kanzleitätigkeit spielt für die Frage des Vermögensverfalls keine Rolle.
44
e) Anhaltspunkte dafür, dass ungeachtet des Vermögensverfalls des Klägers eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausscheidet, sind weder von ihm vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwaltes ist nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Mandantengeldern und den darauf möglichen Zugriff seiner Gläubiger, verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtssuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft (vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom 20.11.2017 - AnwZ (Brfg) 46/17, juris Rn. 11; vom 01.02.2019 - AnwZ (Brfg) 76/ 18, juris Rn. 7; vom 05.02.2019 - AnwZ (Brfg) 50/ 18, juris Rn. 13).
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Hier ist angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls, insbesondere der Verurteilung des Klägers wegen Untreue durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Schwabach vom 07.06.2019, der zahlreichen gegen ihn wegen der Nichtweiterleitung bzw. nicht unverzüglichen Weiterleitung von Fremdgeldern eingeleiteten berufsaufsichtlichen Verfahren und seiner eigenen Einlassung zum Umgang mit Fremdgeldern (S. 10 des Widerrufsbescheids), wonach es „passieren“ könne, dass Fremdgelder zu spät weitergeleitet würden und dass es angesichts der Vielzahl der laufenden Verfahren „nicht ganz auszuschließen“ sei, dass „im Einzelfall Sachen liegen bleiben und Akten nicht so schnell bearbeitet werden, wie es wünschenswert wäre“, zweifelsohne von einer Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden auszugehen, zumal der Kläger auch Darlegungen aus welchen Gründen trotz all dem eine Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden, insbesondere der Mandantengelder, nicht gegeben sein sollte, hat vermissen lassen.
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Die Klage ist auch unbegründet, soweit der Kläger sich jedenfalls mittelbar - 18 Monate nach dessen Anordnung - gegen die Anordnung des Sofortvollzugs, Ziff. 2 des Bescheids, wendet, in dem er den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt, denn auch die Anordnung des Sofortvollzugs ist formell und materiell rechtmäßig erfolgt, § 112 c Abs. 1 BRAO, § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.
1. Formelle Rechtmäßigkeit
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Bedenken gegen dessen formelle Rechtmäßigkeit bestehen vorliegend nicht.
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a) Dem Begründungserfordernis, § 80 Abs. 3 VwGO, wurde, wie aus S. 16 ff. des Bescheids ersichtlich, Rechnung getragen, denn es ist erkennbar, welche Überlegungen die Beklagte zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst haben und die Begründung ist nachvollziehbar und auf den konkreten Fall zugeschnitten (BeckOK VwGO/Gersdorf, 57. Ed. 1.10.2019, § 80 Rn. 86)
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b) Soweit der Kläger auch in diesem Zusammenhang eine teilweise unterbliebene Anhörung rügt, beeinflusst dies die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs schon deshalb nicht, da es sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt handelt und § 80 VwGO keine Anhörung vorsieht, so dass nach h.M. (BeckOK VwGO/Gersdorf, aaO, § 80 Rn. 78) eine Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG nicht zwingend zu erfolgen hat. Im Übrigen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf obige Ausführungen unter Ziff. II. 1. im Abschnitt Entscheidungsgründe Bezug.
2. Materielle Rechtmäßigkeit
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Auch im Übrigen ist die Anordnung nicht zu beanstanden.
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a) Die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids darf nur angeordnet werden bei einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass die Widerrufsverfügung Bestandskraft erlangen wird und, wenn sie im überwiegenden öffentlichen Interesse schon vor Bestandskraft der Widerrufsverfügung zur notwendigen Abwehr konkreter Gefahren für die Rechtssuchenden oder die Rechtspflege geboten ist (BGH NJW-RR 2002, 1718). Bei vorausschauender Betrachtung muss im Falle des Unterlassens einer solchen Anordnung eine Gefährdung und Verletzung wichtiger Gemeinschaftsgüter durch die weitere Tätigkeit des Rechtsanwalts wahrscheinlicher sein als deren Ausbleiben. Ein überwiegendes öffentliches Interesse am Sofortvollzug besteht beispielsweise dann, wenn Fremdgelder bei dem Rechtsanwalt konkret gefährdet sind. Davon kann etwa dann ausgegangen werden, wenn der Rechtsanwalt in jüngerer Zeit wegen Veruntreuung verurteilt wurde. Eine Unfähigkeit eines Rechtsanwalts zur Begleichung auch geringfügiger Forderungen und sein unkorrekter Umgang mit Fremdgeld indizieren eine konkrete Gefährdung und gebieten dringend den Schutz der Rechtssuchenden durch Widerruf der Anwaltszulassung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Weyland/Vossebürger BRAO § 14 Rn. 108b mwN).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Rechtssätze sind unter den Umständen des vorliegenden Einzelfalles zweifelsohne die Voraussetzungen für die Anordnung des Sofortvollzuges gegeben. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die völlig zutreffenden Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 5.11.2019, dort insbesondere S. 17/18 Bezug. Nicht zuletzt angesichts der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers wegen Untreue im Jahr 2019, der zahlreichen gegen ihn geführten berufsaufsichtlichen Verfahren im Zusammenhang mit seinem Umgang mit Fremdgeldern und seiner eigenen diesbezüglichen Einlassung, die valide Vorsorgemaßnahmen zur Sicherung eingehender Zahlungen für Mandanten nicht erkennen lässt, war die Anordnung des Sofortvollzugs zwingend geboten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus, § 154 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 112c Abs. 1 BRAO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, § 709 S. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 112c Abs. 1 BRAO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung sind nicht gegeben, § 112 e BRAO i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO.