Titel:
Unzureichende Glaubhaftmachung eines Arrestanspruchs wegen Anlegertäuschung
Normenketten:
ZPO § 294, § 917
BGB § 826
HGB § 331
Leitsätze:
1. An die iRd Sicherungsverfahrens nach § 294 ZPO ausreichende Glaubhaftmachung dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Es ist insbesondere kein voller Beweis zu erbringen. Für die Glaubhaftmachung einer Behauptung genügt es, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. Ob Tatsachen ausreichend glaubhaft gemacht wurden, ist daher eine Entscheidung des konkreten Einzelfalls. Die gerichtliche Würdigung der Darstellung und der beigebrachten Beweismittel hat dabei auch die für den Gläubiger im Einzelfall bestehenden Schwierigkeiten, den Sachverhalt hinreichend aufzuklären, zu berücksichtigen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein dinglicher Arrest findet nach § 917 ZPO nur statt, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Danach können zwar die den Tatbestand eines vermögensbezogenen Strafgesetzes erfüllenden Tatsachen im Falle ihrer Glaubhaftmachung auch einen Arrestgrund nach § 917 Abs. 1 ZPO ergeben. Hierfür dürfte aber allein die Darlegung (und Glaubhaftmachung), dass gegen den Antragsgegner wegen einer Straftat nach § 331 HGB wegen unrichtiger Darstellung als Vorstandsmitglied ermittelt wird, ohne konkreten Tatsachenvortrag nicht ausreichen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Glaubhaftmachung, Arrest, Sittenwidrigkeit, Vorstand
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 12.04.2021 – 35 O 4118/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 38387
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 12.04.2021 wird zurückzuweisen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 3.000,- € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Antragstellerin begehrt als Anlegerin der W. AG die Anordnung eines dinglichen Arrests in das Vermögen des Antragsgegners aufgrund deliktischer Ansprüche. Hinsichtlich der weiteren Feststellungen wird auf die Feststellungen im landgerichtlichen Beschluss Bezug genommen.
2
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 12.04.2021 ohne mündliche Verhandlung den Antrag der Antragstellerin auf Erlass eines dinglichen Arrestes vom 26.03.2021 wegen einer Forderung aufgrund deliktischer Ansprüche in Höhe von 8.123,13 € sowie einer Kostenpauschale von 406,15 € zurückgewiesen. Gegen diesen, den Antragsstellervertretern am 16.04.2021 zugestellten Beschluss, hat die Antragstellerin am 29.04.2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 30.04.2021 (Bl. 19/22 d.A.) hat das Landgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Senat vorgelegt. Der Vorsitzende hat mit Verfügung vom 05.05.2021 die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass vorgelegte Anlagen einen schriftsätzlichen Vortrag nicht ersetzen könnten und die Gerichte zur Durcharbeitung umfangreicher ungeordneter Anlagenkonvolute nicht verpflichtet seien, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren (Bl. 25 d.A.). Innerhalb der ihr gesetzten Frist von einer Woche hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 11.05.2021 (Bl. 26/27 d.A.) Stellung genommen.
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Die Antragstellerin beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung den dinglichen Arrest in das Vermögen des Antragsgegners wegen einer Forderung der Antragstellerin in Höhe von 8.123,13 € sowie einer Kostenpauschale von 406,15 € anzuordnen.
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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung des Antrags vom 26.03.2021 auf Erlass eines dinglichen Arrestes nach §§ 916, 917 ZPO ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 1 und § 569 ZPO zulässig, aber unbegründet. Auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts wird verwiesen und lediglich ergänzend kurz Folgendes ausgeführt:
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Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die Antragstellerin einen Arrestanspruch gemäß § 826 BGB weder hinreichend konkret dargelegt noch ausreichend glaubhaft gemacht hat.
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a) Die Antragstellerin trägt nach allgemeinen Beweislastregeln die Behauptungs- und Beweislast für die gegen den Antragsgegner geltend gemachten deliktischen Ansprüche (Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. vor § 916 Rn. 9). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (stRspr; vgl. BGH NJW 2015, 934 Rn. 43; WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244 Rn. 6 mwN; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 11 mwN). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, welche Angaben einer Partei zumutbar und möglich sind. Falls sie keinen Einblick in die Geschehensabläufe hat und ihr die Beweisführung deshalb erschwert ist, darf sie auch vermutete Tatsachen unter Beweis stellen. Sie ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2018, III ZR 213/17, Rz. 25 mwN).
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Vorgelegte Anlagen dienen lediglich der Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags, sie können diesen aber nie ersetzen (BGH, NJW 2008, 69, Rz. 25 mwN). Die Gerichte sind, worauf der Senat bereits hingewiesen hat, auch nicht verpflichtet, umfangreiche ungeordnete Aktenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren (z.B. BGH, NJW-RR 2004, 639 [640]; BGH, Urteil vom 17. März 2016 - II ZR 200/15 Rn 19 mwN). Zumindest im Anwaltsprozess obliegt es daher dem Prozessbevollmächtigten, den Vortrag der Partei selbst zu ordnen, Anlagen auszuwerten und die Tatsachen nach Rechtsgesichtspunkten hervorzuheben und vorzutragen. Pauschale Verweisungen auf Anlagen sind unzulässig (z.B. Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 130 Rnr. 10 mwN). Und genügen ohne inhaltliche Auswertung der Anlage der Darlegungslast nicht (BGH NJW 2017, 26^7 Rnr. 33).
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b) Vor diesem Hintergrund kommt die Beschwerde trotz des Hinweises vom 05.05.2021 nicht über Pauschalbehauptungen hinaus. Die Antragstellerin hat weder eine vorsätzliche Täuschung bzw. ein im Verhältnis zur ihr objektiv sittenwidriges Verhalten des Antragsgegners noch eine vorsätzliche Schädigung der Antragstellerin ausreichend darlegt, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat.
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Die Antragstellerin behauptet lediglich pauschal, dass die Mitglieder des Vorstands der W. AG, namentlich Dr. M. B. und Herrn B. L., sowie „weitere Mittäter“ im Verdacht stünden, seit mindestens 2015 die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen durch Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sog. Third-Party-Acquiren (sog. TPA-Geschäfte) aufzublähen, um das Unternehmen für Investoren und Kunden finanzkräftiger darzustellen, und dass insgesamt 1,9 Milliarden EUR auf Treuhandkonten ausgewiesen worden, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existent seien. Es fehlt jedoch jeglicher konkrete Tatsachenvortrag zu den angeblich inmitten stehenden TPA-Geschäften, insbesondere dazu, wer, wann für die W. AG handelte und was Gegenstand der Geschäfte war. Ferner fehlt eine nachvollziehbare Darlegung, durch welche vorwerfbaren Handlungen der Antragsgegner Anleger, mithin auch die Antragstellerin, vorsätzlich getäuscht oder sittenwidrig geschädigt haben soll. Der Verweis auf die als Anl. 1 zur Glaubhaftmachung vorgelegte Presseberichterstattung 05 der Staatsanwaltschaft München I vom 22.07.2020 ersetzt substantiierten Sachvortrag nicht und entbindet die Antragstellerin daher nicht, die tatbestandsbegründenden Tatsachen vorzutragen.
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Soweit die Antragstellerin aufgrund der Position des am 01.01.2018 als Chief Financial Officer (CFO) in den Vorstand der Firma W. berufenen Antragsgegner und gegen diesen geführter Ermittlungen wegen unrichtiger Darstellung gemäß § 331 HGB schlußfolgert, dass der Antragsgegner daher im Verdacht stehe, die Verhältnisse der W. AG als Kapitalgesellschaft in den Bilanzen und Jahresabschlüssen unrichtig dargestellt zu haben, handelt es sich um bloße Mutmaßungen. Es fehlt auch insoweit jeglicher Tatsachenvortrag dazu, dass, wann und in welcher Weise der Antragsgegner am „Aufblähen“ der Bilanzsumme und des Umsatzvolumens der W. AG beteiligt gewesen sein soll.
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c) Auch eine Glaubhaftmachung des - bereits nicht ausreichend dargelegten Anspruchs - ist nicht ausreichend erfolgt (§ 920 Abs. 2 ZPO).
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aa) Dabei verkennt der Senat nicht, dass an die im Rahmen des Sicherungsverfahrens nach § 294 ZPO ausreichende Glaubhaftmachung dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Es ist insbesondere kein voller Beweis zu erbringen. Für die Glaubhaftmachung einer Behauptung genügt es, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (BGH, Beschluss vom 21.12.2006, NJW-RR 2007, 776). Ob Tatsachen ausreichend glaubhaft gemacht wurden, ist daher eine Entscheidung des konkreten Einzelfalls. Die gerichtliche Würdigung der Darstellung und der beigebrachten Beweismittel hat dabei auch die für den Gläubiger im Einzelfall bestehenden Schwierigkeiten, den Sachverhalt hinreichend aufzuklären, zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 11.09.2003, NJW 2003, 3558, 3559).
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bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Glaubhaftmachung des - bereits nicht ausreichend dargelegten - Anspruchs der Antragstellerin aus unerlaubter Handlung gegen den Antragsgegner hier nicht hinreichend erfolgt. Auch diesbezüglich wird auf die Begründungen der landgerichtlichen Entscheidungen Bezug genommen. Die pauschale Bezugnahme auf Anlagenkonvolute (etwas A 5 - Bericht über die unabhängige Sonderuntersuchung, W. AG (58 Seiten); A6 - „Stellungnahme des Vorstands zur aktuellen Lage des Unternehmens“) genügt auch für eine Glaubhaftmachung nicht, worauf der Senat in der Verfügung vom 05.05.2021 bereits hingewiesen hat. Welche Passagen der Berichte welche konkreten, den Deliktsanspruch begründenden Tatsachen in diesem Zusammenhang glaubhaft machen sollen, ist in keiner Weise ersichtlich. Ein deliktsrechtlicher Anspruch gegen den Antragsgegner ist auf dieser Grundlage auch aus Sicht des Senats unwahrscheinlich.
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d) Inwieweit der Arrestgrund durch die Ermittlungen gemäß § 331 HGB gegen den Antragsgegner indiziert ist, bedarf insoweit keiner Entscheidung mehr. Ein dinglicher Arrest findet nach § 917 ZPO allerdings nur statt, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Danach können zwar die den Tatbestand eines vermögensbezogenen Strafgesetzes erfüllenden Tatsachen im Falle ihrer Glaubhaftmachung auch einen Arrestgrund nach § 917 Abs. 1 ZPO ergeben (BGH, WM 84, 614). Hierfür dürfte aber allein die Darlegung (und Glaubhaftmachung), dass gegen den Antragsgegner wegen einer Straftat nach § 331 HGB wegen unrichtiger Darstellung als Vorstandsmitglied ermittelt wird, ohne konkreten Tatsachenvortrag nicht ausreichen.
15
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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2. Der Beschwerdewert richtet sich nach dem Interesse der Klagepartei an der Anordnung des dinglichen Arrestes. Dieses ist hier gemäß § 3 ZPO - ausgehend von den Angaben in der Antragsschrift - auf ein Drittel des Wertes der zu sichernden Forderung festzusetzen (Thomas/Putzo, ZPO a.a.O. § 3 Rn. 52).
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3. Nach Erschöpfung des Rechtsweges ist auch der Antragsgegner zu informieren (vgl. Zöller, ZPO, § 922 Rnr. 18)